Lupus Cruor

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von Lance-Korporal Rabbe Schraubenndrehr (RUM), Lance-Korporal Jargon Schneidgut (SEALS)
Online seit 08. 10. 2014
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 08. 01. 2012 datiert
Dauer: 5 Tage

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 Außerdem kommen vor: Sebulon, Sohn des SamaxRibIkari Gernetod

Diese Geschichte entstand über einen Zeitraum von beinahe drei Jahren, weshalb bestimmte Personen sich etwas anders Verhalten als sie es in der Jetztzeit eigentlich tun würden - Rogi ist noch nicht gestorben gewesen und das Ziegenberger-Problem ist noch nicht aktuell. Wir bitten dies beim lesen zu berücksichtigen und um Gnade, weil wir nicht den Nerv hatten die Sache nochmal dem entsprechend umzuschreiben.

Hinweis an Leser der laufenden Multi: Diese Coop spielt - aus Rabbes Sicht (und nur aus Rabbes!) eigentlich ein gutes halbes Jahr vor der Multi. Wir haben die continuity wegen der Fixpunkte der vorigen Multi und der nahenden Abteilungsauflösung einfach nicht auf die Reihe gekriegt, wer daraus wirklich ein Problem machen will ist willkommen es mit mir (Rabbe) zu erörtern.

Dafür vergebene Note: 12

Die folgende Coop ist äußerst brutal.

Sie ist nicht besonders lustig

(abgesehen von den lustigen Stellen. Die sind lustig.),

es gibt keine Heiterkeit
(oder kaum welche).


Wir wissen, dass solche Geschichten nicht schön zu lesen sind...
Aber manche Geschichten müssen dennoch erzählt werden.

FSK 18[1]





Rabbe Schraubenndrehr


Schreie. Blut. Tränen. Tiefe Trauer. Rabbes Traum - der sich in letzter Zeit ständig wiederholte - deckte stets das gleiche Thema ab.
"Jetzt nicht bewegen, dann haben wir's gleich, Kleines..."
Es war stets der gleiche Ablauf. Zuerst richtete sie ihrer kleinen Schwester das Haar.
"Noch ein Spängchen..."
Es war ein Abend gewesen, der inzwischen über sechzehn Jahre zurück lag. Die junge Frau, der sie die Frisur richtete, hatte hart gearbeitet und es nach jahrelangem Lernen geschafft, den höchsten bildungstechnischen Abschluss zu erreichen, der ihr in dieser Region Überwalds möglich gewesen war.
"Das ist dein großer Tag. Nur noch eine Strähne an der Seite, dann haben wir's geschafft."
Doch obwohl der Abend so fröhlich angefangen hatte, endete er grauenvoll. An der Stelle, an der sie dem Mädchen die Frisur fertig gemacht hatte, drehte sich das junge Wesen immer fröhlichst in ihrem neuen Kleid - und der Traum wurde plötzlich von Grau und Rot dominiert. Rabbe sah auf einmal Farbschlieren. Sie hörte ihre Schwester etwas rufen, zeitgleich brach das Schreien zu ihr durch, das die ältere Schwester Stunden später durch den Wald führen würde. Sie sprang gedanklich in die vergangene Zukunft und sah wie das junge Mädchen blutend am Boden lag, Wölfe um sie herum. Die Tiere rissen ihr das Fleisch von den Armen, während Rabbe festgehalten wurde, nur zusehen konnte.

Der Anblick des sterbenden Kindes war zu viel.

Rabbe schrie. Ihr eigenes verzweifeltes Schreien, Weinen und Flehen verhallte nicht ungehört. Es wurde übertönt vom Lachen des Mörders.
Mauricias Mörder.
Sein Lachen würde sich auf immer in Rabbes Verstand brennen, ebenso seine starren blauen Augen.

###

Rabbe wachte schweißgebadet auf. Die Bilder des eben Geträumten flackerten noch einmal vor ihren Augen auf: Mauricias fröhliches Gesicht auf der Abschlussfeier - ihre angsterfüllten Schreie bei der Jagd durch den Wald - ihr Zerfetzen auf der schneebedeckten Lichtung - das grässliche Lachen ihres Mörders.
Rabbe drehte sich der Magen um. Sie schnappte nach Luft. Das war nun schon das sechste Mal innerhalb kürzester Zeit gewesen, dass sie von diesem Tag geträumt hatte. Die Ereignisse verfolgten sie immer mehr. [2]
"Mist aber auch..." Ihr Blick war auf die Uhr gefallen. Wissend, dass sie heute nicht mehr schlafen würde, begann sie sich anzuziehen, um sich ins Wachhaus zu begeben. Dort konnte sie wenigstens etwas Produktives tun.


*Ein paar Häuserblocks weiter*

Schlaflos wälzte Jargon sich hin und her. Langsam gestand er sich ein, dass er im Augenblick wohl einfach nicht schlafen konnte und setzte sich genervt im Bett auf, stand dann ungelenk auf und ging zu seinem Schreibtisch, wo er etwas niederzuschreiben begann. Warum konnte er nicht schlafen? Es war nichts vorgefallen was ihn irgendwie verfolgen würde, nichts was ihn beschäftigte. Warum also konnte er nicht schlafen?
Eben schrieb er eine weitere Seite fertig, als er plötzlich ein Kribbeln in seinem Nacken spürte. Seine Haare stellten sich auf. Jargon sog scharf die Luft ein, stand betont langsam auf und langte nach seinem Schwert, als eine massige Gestalt von oben auf ihn herab stürzte. Der Lance-Korporal wich zur Seite und riss sein Schwert aus der Scheide, doch er hatte keine Chance. In Sekundenschnelle wurde er zu Boden gerungen.


Rabbe schlenderte missmutig durch die Dunkelheit. Was war mit ihr los? Klar, manchmal erinnerte sie sich noch der grässlichen Ereignisse, die sie aus ihrer Heimat vertrieben hatten, und dann stiegen Trauer und Zorn schnell wieder in ihr auf, aber in letzter Zeit passierte dies in einer Intensität und Häufigkeit, dass sie ernsthaft überlegt hatte, ihren Püscholgen noch einmal aufzusuchen.

"Ach Sör, hätten Sie einen Moment Zeit für mich?"
"Worum geht's denn, Lance-Korporal?"
"Ich habe in letzter Zeit immer so grässliche Träume..."


Bei dem Gedanken an den skeptischen Ausdruck den das Gesicht ihres Vorgesetzten bei diesen Worten annehmen würde, rumorte Rabbes Magen aufs Neue. Warum musste diese alte Sache nur jetzt wieder hoch kommen? Nach all diesen Jahren sollte man doch annehmen, dass sie den Tod ihrer Schwester endlich vergessen könnte und nicht immer wieder voller Hass an die Lache ihres Mörder zurückdenken müssen würde.

"HA! Dann packt ihn mal ein und ab mit uns!"

Ihr Blut gefror. Dieses Lachen kannte sie: Es verfolgte sie seit Nächten in ihren Träumen. Bevor sie nachdenken konnte hatten ihre Beine das Kommando übernommen und sie rannte die Straße hinunter in die Richtung, aus der die Laute gekommen waren. Eben bog sie um die Ecke, schon sah sie die eigenartige Gesellschaft, die einen kleinen Mann mit Sack über dem Kopf in einen Wagen lud. Am unteren Ende ragten zappelnde Beine in lumpigen, ehemals weißen Leinenhosen heraus und die unverwechselbare Stimme Jargon Schneidguts schrie dumpf um Hilfe.
Rabbe rannte weiter auf sie zu. "STEHEN BLEIBEN! STADTWACHE!", brüllte sie aus voller Kehle, weniger weil sie es wollte, als vielmehr aus Reaktion. Die kleine Stimme in ihrem Kopf ignorierend, die sie darauf hinzuweisen versuchte, dass dies Selbstmord war, zog Rabbe ihre Kette vom Gürtel und schwang sie ungezielt um sich, als sie sich auf den ersten Werwolf stürzte.


*Der nächste Morgen gegen 7.30, Ankhbrücke*

Menélaos Schmelz lief grübelnd seine Runde. Was war nur mit Jargon? Er war heute früh nicht zum Dienst erschienen - zu spät zur Streife zu kommen sah ihm überhaupt nicht ähnlich.
Der Szenenkenner blickte einen Moment auf den Ankh hinaus und atmete die toxischen Gase ein. Er hatte seinen Kollegen nicht in Schwierigkeiten bringen wollen, darum hatte er die Streife lieber gleich allein übernommen, aber Sorgen machte ihm die Sache doch. Eben wollte er weiterschlendern, als er auf der Kruste eine rot gekleidete Gestalt bemerkte. Er lehnte sich ein wenig vor, bekämpfte den Brechreiz und hätte selbigem keine Sekunde später beinahe doch nachgegeben.
Auf der Kruste des Ankhs lag eine Wächterin.
"Rabbe!"
Von der unten Liegenden kam keine Antwort und der Wächter sah sich leicht panisch um. Himbeer-Limonengeruch stieg von ihm auf. Er wusste, dass die Kruste ihn sicher nicht ohne Weiteres tragen würde, zumindest nicht wenn schon jemand darauf lag. Sein Blick glitt übers Geländer, die Passanten, die Tiere. "Hey du!", er winkte ein Kind zu sich heran. "Wie wär's wenn du mir ein Gefallen tust? Du musst nur,-"
"Vergiss es, Mann. Ohne Kohle läuft hier gar nix und dann sehen wir weiter!"
Menélaos knurrt kurz unwillig, warf dem Mädchen dann aber flugs 10 Cent zu. "Da. Und jetzt hör zu: Kriech auf die Kruste des Ankhs, lös die eine Hälfte der Kette, die die Frau dort unten am Gürtel trägt und zieh diese so weit wie möglich Richtung Ufer." Das Mädchen nickte unwillig, sprang aber auf die Kruste und lief auf dem wackeligen Grund in Richtung der Wächterin. Langsam taste sie sich heran und löste dann die Kette, während am Ufer der bangende Hauptgefreite stand und hoffte, die Kette im richtigen Moment auch wahrhaft erreichen zu können. Als das Mädchen näher kam zweifelte er einen Moment daran, doch dann lehnte er sich soweit er konnte über den dampfenden Fluss und erreichte mit Mühe das gliedrige Etwas. Der Rest war eine Sache beharrlichen Gezerres.


-.-


Das Bewusstsein fand seinen Weg nur langsam wieder in den Körper des Lance-Korporal. Er spürte unangenehme Schmerzen in Rücken und Extremitäten, sein Mund war klebrig und trocken. Der Kopf dröhnte.
"Wo bin ich?", wollte er sagen, aber es kam nur unverständliches Gemurmel aus seinem Mund, der Versuch die Augen zu öffnen scheiterte. Langsam richtete er sich auf, und sofort bahnte sich ein ersticktes Husten den Weg nach außen.
"Habt ihr das gehört? Klingt als wäre hier jemand wach!", hörte er eine dröhnende Stimme. Es wurde hell.
"Hallo Schnittgut!", dröhnte der größte der drei Kerle mit einem breiten Grinsen. Er war struppig und verschwitzt, - und sein Name war Zerrbert Hauser, ehemals wohnhaft in der Unbesonnenheitsstraße. Auch die Anderen kamen dem Wächter bekannt vor. "Wuabwoll", brachte er hervor, und wieder lachten die Umsitzenden.
"Ist ja gut, Kleiner... Ist ja guuuuut...", näselte ein anderer, der sich neben ihn fläzte und ihm auf unangenehme Art den Arm um die Schulter legte. "Lass mich dir helfen", er zog den Lumpen aus dessen Mund. "Jetzt geht's dir besser nicht?" Er grinste hämisch. "Geht es dir besser?"
Jargon sah sich ängstlich und unsicher um. Was war das hier? Was wollten die überhaupt? Er wusste noch, dass er aufstehen wollte und dann war da jemand gewesen, und dann der Sack über dem Kopf.
Jargon nickte unsicher.
"Seeeehr gut."
Dann schlug Fritzbert ihn bewusstlos.
"Warum befragen, wenn du ihn wieder bewusstlos schlägst?", fragte eine Gestalt vom Kutschbock aus herein.
"Warum nicht?" Der Mann namens Fritzbert grinste und stopfte sich etwas in den Mund. "Wer hat sich denn vorhin halb kaputt gelacht, als er die Wächterin gerade so zusammenschlug, damit sie ein paar Erinnerungen zurück behält, aber immer noch laufen könnte, hm? Das war auch ziemlich weich, Cero!"
Der Mann schwieg und sah in die Nacht heraus. Die wolkige Nacht verschluckte das Licht. So sah niemand sein schauriges Grinsen.


-.-


"Rabbe! Was ist passiert?", rief Ophelia schockiert, als sie zufällig mitbekam, wie ein leicht taumelnder Menélaos Schmelz das Wachhaus betrat, Rabbe auf den Armen tragend. Ophelia sah einen Moment besorgt vom Hauptgefreiten zum Lance-Korporal, doch bevor der Seals-Wächter irgendetwas hätte erwidern können begann die Rumlerin auch schon, ihn gen Zellen zu dirigieren.
"Ich hab sie bei meiner Runde so auf der Ankh-Kruste gefunden... sie war schon leicht eingesunken, lag da also bestimmt schon ein paar Stunden.", erklärte der Kondochemiker, während sie die enge Treppe hinabstiegen. Er wusste nicht recht wie er mit dieser Situation umgehen sollte, was sich in einem leichten Zitrone-Himbeer-Geruch äußerte.

In Rogis Zelle angekommen ließ sich Ophelia der Reihe nach noch einmal erklären, wo und bei welcher Gelegenheit Menêlaos den Lance-Korporal gefunden hatte, während Rogi leise murmelnd die Wunden Selbiger säuberte und verband. Nachdem Ophelia den Kondichemiker weggeschickt hatte, blickte Rogi sie nachdenklich an.
"Fie wurde auf jeden Fall von mehreren Leuten angegriffen", sagte die Igorina ernst. "Rabbe hat fich fon während ihrer Aufbildung dauernd geflagen, aber wenn ef jemand fafft fie bewufftlof fu prügeln, müffen ef mehrere Leute gewefen fein."
Ophelia nickte. Sie setzte zu einem Kommentar an, stutzte stattdessen aber überrascht, als Rabbe sich plötzlich aufrichtete.
"Rabbe!" entfuhr es Ophelia, doch die Ermittlerin fiel gleich wieder nach hinten um, noch bevor sie hätte irgendetwas erwidern können. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf und sie drehte ob der Erinnerungen unwillig den Kopf hin und her. Fetzen der vergangenen Nacht, vermischt mit Erinnerungen an die Nacht, in der ihre Schwester gestorben war, drangen aus der Tiefe ihres Unterbewusstseins hervor und Übelkeit kam in ihr auf.
"Rabbe? Rabbe, kannst du mich hören?", drang Ophelias Stimme aus weiter Ferne zu ihr durch. "Mmmwwtt...mmaneidgut...entführt...wwwwmerwölfe...mmmrrüberwald...", brachte sie undeutlich hervor. Dann wurde das Chaos in ihrem Magen zu stark und Rabbe übergab sich in einen in der Nähe stehenden Eimer.
Rogi rümpfte die Nase. Ophelia sah die Dienstjüngere betroffen an und half ihr mit einem Arm, sich langsam ganz aufzurichten.
"Ganz ruhig, Rabbe... Was hast du gesagt, wer wurde entführt?", sie reichte ihr ein Taschentuch.
"Schneidgut!", brachte Rabbe hervor. Die Umgebung verschwamm noch immer. Alles wirkte undeutlich und das Orientieren fiel ihr schwer. "Ich... Er wurde entführt! Letzte Nacht..." Sie schnappte nach Luft und beugte sich reflexartig vornüber, konnte weiteren Mageninhalt aber zurückhalten.
"Es... waren vier oder fünf... sie haben ihn aus seinem Haus entführt und in eine Kutsche gezerrt... Ich glaube, sie wollten nach Überwald."
Ophelia dachte einen Moment nach. Wenn sie ihren Schützling so besah war offensichtlich, dass sie wohl einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte. Wobei sie ohnehin so aussah, als würde es noch einige Minuten dauern bis Rabbe wirklich wieder redefähig wäre. Schließlich traf Ophelia eine Entscheidung und nickte ernst.
"Also gut, Rabbe... Übereilte Handlungen helfen uns jetzt wahrscheinlich nicht. Versuch du erstmal einen klaren Kopf zu bekommen, ich hole solange den Oberfeldwebel, in Ordnung?"
Rabbe nickte benommen und nahm dankbar das Glas Wasser an, das ihr in diesem Moment gereicht wurde. Ihre Gedanken schwirrten unkontrolliert durch die Gegend. Ophelia blickte sie noch einen Augenblick besorgt an, nickte Rogi zu und verließ die Zelle dann, um ihren Abteilungsleiter zu holen.
Rabbe blickte derweil ins Nichts. Die Ereignisse der vorigen Nacht ordneten sich nur langsam wieder in die richtige Reihenfolge. Als sie die Gruppe angriff, hatte diese nur wenig Zeit gebraucht, sich zu koordinieren und sie zu überwältigen. Sie hatte versucht mit dem silberbeschichteten Teil ihrer Kette etwas auszurichten, doch die kurzen Momente in denen sie es einem der Männer auf die Stirn gepresst hatte waren von einem anderen wohl genutzt worden, um sie von hinten nieder zu schlagen. Zumindest endete hier ihre Erinnerung.
"Aber war es wirklich ihr Mörder?", gab ihr Bewusstsein eine erste, klare Meldung von sich. "Die Sache ist nun 16 Jahre her... Selbst wenn er noch jung war, müsste er heute dennoch mindestens so alt sein wie ich, wenn nicht älter... Und warum sollte er ausgerechnet hierher kommen? Was sollten die überhaupt mit dem Schneidgut wollen?" Sie grübelte über das Wenige nach was sie am Vorabend gehört hatte. Man hatte ihren Kollegen zwischendurch als 'alten Freund' bezeichnet und man hatte ihr auf Anfrage ohne Umschweife gesagt, dass sie nach Graubach wollten. Bevor sie versuchten ihr die Zähne auszuschlagen. Rabbe seufzte. Viel hatte sie nun wirklich nicht erfahren. Und von dem wenigen was sie wusste würde sie sicher nicht alles weiter geben.


Jargon Schneidgut



Es war wie damals, nur schlimmer. Damals waren es Kinder und Jugendliche gewesen und er ein kleiner Hänfling, der den Platz, der ihm zugewiesen worden war, anerkannt hatte. Er war ein Spielball gewesen, ein Gegenstand, den man gerne umherwarf und trat, aber aufpasste, dass er nicht kaputtging. Ab und zu hatte er sich plötzlich gewehrt, aber das spielte kaum eine Rolle. Dann wurde man älter, ernster, mehr auf sein eigenes Leben fokussiert und hatte wichtigeres zu tun als, Ball zu spielen. Es war vorbei gewesen. Etwas mehr als zehn Jahre lang hatte Jargon ein Leben führen können, das fast frei gewesen war von Peinigern und Piesackern, die sich speziell auf ihn konzentrierten.
Und jetzt waren sie wieder da.
Und nicht die, an die er sich gewöhnt hatte.
Es waren die, die sich immer etwas Neues ausgedacht hatten, um ihn zu quälen.
Es waren die, die eines Abends, als Jargon sechzehn geworden war, plötzlich verschwunden waren.
Es waren die, deren Abwesenheit ihn zu einer sozialfähigen, einigermaßen aufrecht gehenden Person gemacht hatte.
Das Blut in seinem Körper schien seinen Kopf zum Platzen bringen zu wollen. Sein Herz hämmerte schneller als er es je zuvor gespürt hatte, alles an ihm schwitzte, pochte, stank, zitterte.
Sie hätten keine Fesseln gebraucht. Die Panik, die er spürte, lähmte alles an ihm und ließ ihn nur spastisch zucken.
Als er von ihnen überfallen wurde hatte er sie nicht erkannt - er war in Panik gewesen, aber nicht in einer solchen Form, wie er sie jetzt erfuhr. Als sie ihm den Knebel abnahmen hatte er sie nicht erkannt weil sie so... anders waren. Sie hatten harte, wilde Augen, die tierische Farben angenommen hatten. Sie waren haarig, kräftig, groß und zeigten ihre Zähne so oft, dass sich die weißen, schimmernden Beißwerkzeuge im Dunkeln bald in sein Gedächtnis eingebrannt hatten.
Er hatte sie erkannt, weil sie mit ihm redeten, wie mit einem alten Freund. Wie mit jemandem, der in die Sache mit eingeweiht ist.
Sie nannten ihn Pisser, Feigling, Weichei, Schisser. Kein gewöhnlicher Entführer nannte sein Opfer so.
Es waren die, die genau wussten was er fürchtete, was er hasste, was ihn zum Winseln und Weinen brachte.
Und sie hatten gelernt.
In seiner Paralyse konnte Jargon seine Gedanken nicht im Entferntesten darauf lenken, dass er fortgebracht wurde, einen weiten Weg zurücklegte. Und dass seine Entführer mehr im Sinn hatten, als ihn nur zu Quälen.


Es dauerte nicht lange bis der Kommandeur selbst im Krankenzimmer auftauchte. Romulus hatte von Rabbe die gleiche Erzählung gehört wie Ophelia und daraufhin beschlossen, sich mit Breguyar zu besprechen.
Der stand nun neben dem Krankenbett auf dem der Lance-Korporal lag. Sie hatte ihre Arme verschränkt und starrte auf einen Fleck irgendwo in der Nähe ihres Gesichtes. Ihre Kopfschmerzen hatten sich kein bisschen verbessert, was wohl unter anderem daran liegen mochte, dass ihre Gedanken rasten.
"Du sagst, es waren mindestens vier - und jeder von ihnen Werwolf?"
"Nein, es waren sechzehn kleine flittrige Feen, die- was weiß ich- ja! Das habe ich doch schon dreimal gesagt!" Unterdrückte Panik, Frust und die Kopfschmerzen machten es Rabbe schwer, ihren Ärger zu verbergen.
Araghast verkniff sich ein beinahe amüsiertes Grinsen. Seine Gedanken hatten eine gewisse Richtung eingeschlagen und es gefiel ihm immer mehr, was sich da vor seinem inneren Auge entfaltete.
"Ich muss sicher gehen, dass ich keinen Mann umsonst losschicke, Lance-Korporal", brummte er und wandte sich zu Romulus um (Ophelia hatte sich in der Zwischenzeit abgesetzt, um ihm aus dem Weg zu gehen).
"Na schön", sagte er. "Hier ist der Plan."
Der Oberfeldwebel lauschte mit ansteigendem Unbehagen, als er ihm seine Gedankengänge erläuterte. Natürlich nicht, was ihm tatsächlich durch den Kopf ging, aber alles was man wissen musste, um die Räder der Stadtwache zu seiner Zufriedenheit in Bewegung zu versetzen. Als er fertig war spiegelte sich verhaltene Skepsis in der Miene seines Kollegen.
"Das klingt ja schön und gut, aber-" Von Grauhaar verlagerte sein Gewicht und zeigte deutlich, dass er einen Teil des Planes nicht guthieß. "Wieso der Zwerg?"

Etwa eine halbe Stunde später saß die neugegründete Sonderkommission "Werwolfkloppe" in Romulus' Büro. Zwischen dem Kobold Rib und dem Zombie Ikari saß, mit etwas säuerlicher Miene, der berüchtigte Agentenzwerg, Sebulon, Sohn des Samax, Enkel des Braumeisters Sorbalan aus dem Siebgut-Clan von Kreideland.
Aus Rabbes Sicht war er ihre persönliche Nemesis. [3]
Aus seiner Sicht war er im Augenblick vor allem genervt weil man ihn für diese Mission ausgewählt hatte.
"Versteh mich nicht falsch, Sör", brachte er nach etwas länger Vorrede hervor, "Jargons Wohl liegt mir sehr am Herzen und ich selbst bin zweifellos bereit, ihm zu helfen." Er massierte sich die Nasenwurzel. "Was ich nicht verstehe", brummte er dann und hob den Blick, "Ist, warum ich, als einziges Mitglied meiner Abteilung, in diese Sonderkommission verpflichtet wurde, während einige andere Wächter aus anderen, wohlbesetzten Abteilungen, die sich freiwillig bereit erklärt hatten zu helfen, nicht zugelassen werden, weil angeblich Personalmangel herrscht." Er dachte unter anderem an Menélaos, der zwar zugegebenermaßen im Moment ermittelte, aber wohl kaum als "temporär unentbehrlich" bezeichnet werden konnte.
Romulus seufzte tief. Araghast war immer froh um eine Gelegenheit, den Stammagenten für eine Weile loszuwerden. Fakt war aber leider auch, dass sie im Augenblick wirklich unterbesetzt waren - in dieser Woche war so viel los, dass er in wenigen Bereitschaftsräumen überhaupt Wächter gefunden hatte, geschweige denn die Abteilungsleitung der SEALS. Rea war für eine Fortbildung in Gennua und Cim war viel zu weit entfernt im Rejka-Kloster [4], wo er zwei Freunde besuchte.
Es war ein Elend.
Romulus blickte den Stammagenten ernst an und setzte schweren Herzens zu der vorbereiten Antwort an, die er sich zuvor zurechtgelegt hatte. Die Reaktion des Agenten war durchaus vorauszuahnen gewesen.
"Es ist Anordnung des Kommandeurs höchstpersönlich. Er sagt, er braucht in diesem Fall unbedingt einen ausgebildeten Püschologen, will aber ansonsten keine, äh-" Der Blick des Oberfeldwebels huschte kurz zwischen den beiden untoten Wächtern umher. "Verletzlichen Wächter schicken."
"Verstehe", brummte Sebulon. "Nyvania und Narrator sind seit einer Weile abwesend, Tussnelda meines Wissens nach im Ausland, Dagomar hat keinerlei Kampf- und kaum Welterfahrung und er selbst muss, mir dir zusammen Sör, natürlich die Stadtwache am Laufen halten. Dass rein zufällig der einzige Agent von Intörnal Äffärs der einzig entbehrliche Püschologe ist, ist bestimmt nur ein sehr unglücklicher Zufall."
Sebulon knurrte unwillkürlich. So wenig Leute zu schicken sah Breguyar überhaupt nicht ähnlich, schon gar nicht, wenn ein Wächter vermutlich in Lebensgefahr schwebte - ihn als Stammagenten wieder einmal auf eine übermäßig gefährliche Mission zu schicken dafür umso mehr. Das Herz des Zwergs pochte und der Zorn in ihm blieb unvermindert. Aber er konnte die Angelegenheit nicht noch länger hinauszögern. Jargon war in Gefahr und im Begriff nach Überwald verschleppt zu werden. Man musste handeln. "Ich werde eine offizielle Beschwerde einreichen, falls ich lebendig zurückkehre", knurrte Sebulon missmutig.
"Dieses ganze Palavern bringt uns jetzt auch nichts!", sprach Rib seine Gedanken aus. "Es gilt, einen Mitwächter zu retten."
Er durchbohrte Romulus mit einem Blick, der sagte Wenn ich mehr Zeit hätte würde ich mal ein ernstes Wörtchen mit Bregs reden... und mit dir auch!
Er hüpfte von seinem Stuhl.
"Wir wissen ja, wo sie uns haben wollen", brummte Ikari und erhob sich schwankend. "Hoffen wir mal, dass sie auch dort sein werden."


Araghast Breguyar blickte aus dem Fenster und sah zu wie die ungleiche Sondergruppe auf den Hof hinaus trat. Ihm war ganz und gar nicht wohl dabei eine so kleine Gruppe für einen solchen Einsatz loszuschicken - aber es ging nicht anders.
Sein Blick schweifte in die Ferne. Wenn Cim aus dem Kloster zurückkehrte würde es ihm gar nicht passen, dass einer seiner Leute entführt wurde. Er würde sich ärgern, dass er nicht hier war, um die Rettungsmission selbst zu leiten, würde sich aufregen, dass man nur drei Leute geschickt hatte, er würde,-
Bregs trat an seinen Schreibtisch und trank einen langen Schluck aus der getreuen Flasche.
An manchen Tagen hasste er es wirklich Kommandeur zu sein.


Rabbe hatte die vergangene Stunde alleine in Rogis Zelle verbracht, ihre Gedanken stetig beschleunigend.
Überwald. Er war in Überwald und sie wusste, wo. Er wusste, dass sie es wusste.
Was waren ihre Möglichkeiten? Zum einen konnte sie hierbleiben und sich von ihren Wunden erholen. Rogi hatte gesagt, dass sie sich mindestens eine Woche lang würde schonen müssen, damit die Genesung so schnell wie möglich vonstattengehen konnte. Aber was dann? Wenn sie jetzt eine Woche lang - oder auch nur wenige Tage - wartete, würde sie sich vollständig auf die Aussage des Werwolfs verlassen müssen. Was natürlich total selbstmörderischer Unsinn war.
Zum anderen konnte sie nach Hause gehen, unter dem Vorwand, Zeit zur Heilung zu brauchen, und sich dann direkt an die Verfolgung machen. So könnte sie die Entführer womöglich einholen und einen entscheidenden Vorteil haben.
Es war reiner Selbstmord. Das war klar. Sie hatten sie nur am Leben gelassen, weil sie sich einen Spaß daraus machten, sie zu quälen. Um sie mit ihrer Furcht zu konfrontieren, sie mit ihrer eigenen Angst zu peinigen. Rabbes Fäuste ballten sich, wie sie auf dem Krankenbett saß, und ihr Gesicht bekam einen mörderischen Ausdruck.
"Das werde ich niemandem gönnen- und diesem Pack schon gar nicht!"
Ihre noch zittrigen Beine fanden Halt auf dem Steinboden. Sie schloss die Augen, atmete einmal kurz, ruckartig ein und entließ die Luft mit einem Knurren.
Dann machte sie sich auf den Weg.

Entgegen aller Klischees war es keine kalte, herbstliche Vollmondnacht. Die Mittagssonne schien hell und warm auf die Einsatztruppe herab, der Wind war kaum mehr als eine Brise.
"Ein Trollarsch kann sich auch nicht trockener fühlen als ich", brummelte Rib, während sie den Wagen mit den nötigsten Vorräten beluden. "Hoffentlich wird es bald kühler."
"Wäre durchaus ganz angenehm", bestätigte Ikari.
Sebulon fühlte sich furchtbar fehl am Platz und versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.
"Die Fahrt nach Überwald dauert einige Tage, auch wenn man die ganze Zeit durchfährt", sagte er. "Ich denke, wir sollten abwechselnd fahren und uns ausruh-" Er wurde sich dem Mangel an Ermüdungserscheinungen seiner Kollegen bewusst und hielt inne.
"Abwechselnd fahren."
Er sah zwischen Zombie und Kobold hin und her, während sie zwei Pferde, die eiligst vom Kommandeur gemietet worden waren, anspannten. Die Dienstpferde wurden nun mal immer noch benötigt.
"Wer gerade nicht fährt, sollte auf der Karte dann den besten Weg nach Graubach heraussuchen, den wir nehmen können sobald wir Überwald erreicht haben."
"Sollten wir die Entführer bis dahin nicht eingeholt haben", brummte Rib.
"Genau."
Sebulon sah kurz besorgt zu den Pferden. Sie wirkten nicht gerade wie Tiere, die man für anhaltende Verfolgungsjagden benutzen sollte. Glum hatte ein paar Nachrichten herumgeschickt, damit sie Wechselpferde an den Postkutschenstationen bekommen konnten, aber... es würde dennoch nicht einfach werden. Dann seufzte er und während er auf den Planwagen kletterte huschten seine Gedanken zu seinem Misstrauen gegenüber dem Kommandeur zurück, das sich mittlerweile in seinem Kopf eingenistet hatte.
Was war seine Absicht hinter der Unterbesetzung dieser Mission? Warum hatte man ausgerechnet ihn losgeschickt?
Er dachte an seine Arbeit, überlegte ob Jargon dem Kommandeur irgendwann mal in den Weg gekommen war, ob dies eine Art persönlicher Racheaktion sein könnte. War Breguyar wirklich selbstsüchtig genug, das Leben von vier Wächtern zu gefährden, weil er zwei von ihnen vielleicht als Gefahr ansah?
Was wusste er über den Kommandeur? Seine bisherigen Begegnungen mit Breguyar waren immer recht deutlich von dessen Abneigungen gegen seine Abteilung geprägt gewesen, doch er hatte nicht gewirkt als würde er wegen derartiger Differenzen Wächterleben unnötig gefährden.
Oder ging es darum dem Inspektor zu zeigen, dass sie unter Drucksituationen extrem gute Ergbenisse erzielen konnten?
Sebulon grummelte noch einen Moment, riss sich dann aber aus seinen Gedanken als er bemerkte, dass sie bereits durch die verkehrsreichen Straßen der Stadt rollten. Ein schnelles Vorankommen war kaum möglich. Das heißt, wäre kaum möglich. Die Tatsache, dass Rib als Verkehrsexperte genau wusste, wo man eine besonders hohe Geschwindigkeit besonders lange beibehalten konnte. Sofern man kein Problem damit hatte, diverse Fässer und andere Leute anzufahren.
Sebulon krallte sich an der Sitzbank und der Seitenwand fest und unwillkürlich schossen ihm sämtliche Anzeigen durch den Kopf, die dem Kobold aufgehalst werden könnten, sollte diese jemand erstatten. Kurz fragte er sich, ob er selbst als Zeuge mehr Gewicht hatte, verwarf den Gedanken aber wieder und wischte sich Windtränen aus den Augen.
Sie ratterten kurz über Kopfsteinpflaster, dann galoppierten die Pferde durch das Osttor und ließen die Stadtmauer hinter sich.
Rib überfuhr ein Huhn, das das Glück hatte, quer zwischen den Achsen gestanden zu haben und dem Tode so knapp entkam.
Die Geräuschkulisse reduzierte sich von brechendem Holz, schmetterndem Metall und Sebulons (seltenen) panischen Rufen auf das Hufgeklapper der Pferde und das Rattern der Räder.
"Rib!", rief Ikari. "Mach langsamer! Die Pferde halten das nicht aus!"
Der Kobold brummte unwillig, ließ die Vierbeiner dann aber doch in Trab verfallen.
"Na schön", sagte Sebulon dann mit einem Ausatmer und kramte die Karte unter seinem Sitz hervor. Er hatte kaum Zeit gehabt, sich vorher mit der Strecke zu beschäftigen und wollte es jetzt tun. Sein Zeigefinger folgte ruckelnd der Linie, die die Straße darstellte.
"Interessant", dachte er.
"So wie es aussieht, führt diese Straße direkt zur Grenze... oh. Hier ist ein Ausrufezeichen."
"Was soll das heißen?", fragte Rib und wich knapp einem Schlagloch aus.
"Ich bin mir nicht sicher."
"Vermutlich 'Gefahr'", gab Ikari zu denken.
"Wir sind auf dem Weg nach Überwald, natürlich ist es gefährlich!"
"Ja, aber-" Sebulon strich sich ein Barthaar aus dem Gesicht, das der Wind nach oben gepustet hatte. "Es ist noch vor der Grenze. Vielleicht eine Schotterstrecke."
"Möglich ist es", meinte Gernetod.
"Kümmert es uns?" Rib fuhr kurz einhändig und kratzte sich am Bein.
"Äh- womöglich." Die Karte flatterte im Wind. "Allerdings-" Er packte das Papier fester, als eine Böe an ihm zerrte. "Allerdings gibt es nur eine Alternativroute, die hier eingezeichnet ist, und die stellt auf jeden Fall einen Umweg dar."
"Ich würde sagen, wir fahren den direkten Weg. Wenn es ein Problem gibt, können wir immer noch umdrehen."
"Hoffentlich."
Sebulon zog den Zettel mit Informationen heraus die Rabbe noch weitergegeben hatte.
Alles Werwölfe. Einer der Täter als Spross der Secabonums identifiziert. Anwesen der Secabonums als extrem wahrscheinlicher Zielort...
Der Zwerg kratzte sich am Kopf. Es folgten Beschreibungen über die Umgebung, das Gebäude und weitere Warnungen, dass es sich bei allen um extrem gewaltätige Werwölfe handelte. Woher wusste Rabbe so viel über diese Leute?
Sebulon fuhr fort die Informationen in seinen Kopf einzuprägen.
Die Mittagssonne verschwand hinter ein paar Wolken.



Sie mussten nun schon stundenlang unterwegs sein. Mittlerweile tat Jargon alles weh. Der Körper, am Kopf, den Beinen, den Armen, dem Hals, dem Rücken, einfach überall. Die Seele, vor Scham, vor Schmerz, vor Angst, vor Unsicherheit. Mittlerweile war sich der kleine Mann sicher, dass sie nicht einfach nur vorhatten ihn ein bisschen zu quälen, dafür hätten sie einfach irgendwo anhalten können. Sie hatten ein anderes Ziel. Das war ungewöhnlich.
Fritzbert Feldkern, Zerrbert Hauser und Regar Niedertritt hatten nie ein festes Ziel verfolgt, das über "quäle den und stehle dies" hinausging. Es waren schon immer typische, verwahrloste Gossenkinder gewesen, die aber nie den Mut und den Willen hatten aufbringen können, etwas aus sich zu machen. Sie nahmen was sie wollten (oder versuchten es zumindest), schlugen, wen sie für schwach hielten und fanden sowieso alles lustig, was anderen Schmerz bereitete. Sie waren die Sorte Kind gewesen, deren Leben eine Karriere als Straßenräuber und/oder baldiger Galgenbehang für sie vorgesehen hatte.

Aber es waren nicht nur die drei. In den etwas klareren Phasen der Fahrt, wenn sich die Peiniger seiner Kindheit darauf konzentrierten seine Papiere zu zerreißen und ihm beim Zusammenzucken zuzusehen, bemerkte er einen vierten Mann. Dieser schien sich am wenigsten um ihn zu kümmern, lachte nur ab und zu, wenn Regar, der der einzige aus dem Trio war, der einigermaßen lesen konnte, einige Fetzen von den Blättern las.
Jargon vermutete, dass er den treibenden Kern der Gruppe darstellte. Auch wenn keiner der anderen ihm offen Respekt zollte oder ihn in irgendeiner Weise unterwürfig behandelte schienen sie sich doch darauf zu verlassen, was er meinte und wie er den Wagen lenkte. Aber trotz allem wirkte er kein Stück weniger irre.
Es war weniger die Tatsache, dass er keinen Spaß daran hatte, Jargon leiden zu sehen, die ihn davon abhielt die drei Peiniger in ihrem Tun zu unterstützen. Vielmehr schien ihn etwas gedanklich sehr zu beschäftigen. Er saß auf dem Kutschbock und regte sich kaum, verlagerte nur manchmal das Gewicht und trieb die Pferde an.
Der Mann wirkte, als würde er einen teuflischen Plan aushecken. Und das gefiel Jargon ganz und gar nicht.


Rabbe Schraubenndrehr


Rabbe blickte auf ihre Uniform herab. Sie hatte sich eben umgezogen und trug nun beinahe wieder dieselben Kleider in denen sie in die Stadt gekommen war. Die dunkle Hose aus festem Stoff, die im unteren Drittel mit Leder überzogen war, ein festes grün-graues Hemd, darüber ein Spezialkettenhemd, das auf der Innenseite mit Silber beschichtet war, ihren Brustgurt darüber. Erneut fiel ihr Blick auf die Uniform, die sie ordentlich zusammengefaltet auf ihr dünnes Bett gelegt hatte.
Sie seufzte.
Die Dienstmarke lag noch schwer in ihrer Hand. Rabbe betrachtete das dünne Metall nachdenklich. Wie konnte etwas so augenscheinlich Wertloses einem so wichtig vorkommen? Das Ding fühlte sich irgendwie wichtig an, leicht organisch, als hätte es ein Eigenleben. Sie dachte kurz an all die Leute, die sie über die Zeit in der Wache kennen gelernt hatte, bevor sie schluckte und den wehmütigen Gedanken abblockte.
Ihre Hand bewegte sich steif nach vorne und sie ließ die Marke auf ihre Uniform fallen und atmete angespannt ein. Sie war sich sicher, dass sie das Richtige tat, keinen Zweifel... das hieß aber nicht, dass es nicht schwierig sein konnte.
Sie hatte bei der Wache eine sehr interessante Zeit gehabt... eigentlich waren die letzten paar Jahre eine der besten Zeiten ihres bisherigen Lebens gewesen. Und nun wusste sie nicht, ob sie zurückkehren würde... ob sie dieses Leben wieder würde aufnehmen können.
Und welche Konsequenzen sie erwarten würden.

Rabbe überprüfte noch einmal den Inhalt ihres Rucksacks und den des Brustgurtes. Hatte sie genug Vorräte mit? Sie hatte etwa die Hälfte ihres riesigen Rucksacks nur mit Essen gepackt und sie wusste genug über die Gegend in die sie unterwegs war um zu wissen, wie man sich unterwegs Essen besorgte... dennoch... es war immerhin Überwald.
Rabbe schauderte es ein wenig bei dem Gedanken in ihr Heimatland zurückzukehren, doch die Angst in ihr würde sie nicht von ihrer Mission abhalten.
"Nein... Er wird bezahlen", nahm sie sich vor, atmete tief durch, schulterte den Rucksack und verließ den Keller. Sie würde ein zuverlässiges Transportmittel brauchen und bei den lokalen Händlern würde sie kein solches bekommen, das wusste sie. Die Händler in Morpork verkauften nur müde Gäule die sie fein hochstilisierten. Sie konnten zwar meist recht schnell laufen, jedoch nicht lange - es kam immer wieder zu Anzeigen wegen frühzeitig verstorbener Pferde... Nicht, dass das je Erfolg bringen würde. Rabbes Gedanken glitten einen Moment zu den Pferden die es in Ankh zu kaufen gab und in ihr schüttelte es sich. Die meisten Pferde die es dort gab sahen zwar gut aus und waren meist auch recht schnell und bei guter Gesundheit - hatten aber keine Ausdauer. Die feinen jungen Damen und Herren forderten die Tiere einfach nicht mehr, darum wurde bei Züchtungen mehr Wert auf Aussehen und Geschwindigkeit, als auf Ausdauer gelegt.
Darum gab es nur einen Ort in der Stadt wo Rabbe schnell ein gutes Pferd herbekam.
Sie näherte sich dem Postamt.


Einige Zeit später

Sebulon sah nachdenklich in den blauen Himmel hinauf. Das Wetter schien ungewöhnlich gut wenn man bedachte wo sie hinfuhren... Er war noch nie in Überwald gewesen, aber er hatte davon gehört dass die Gegend überaus unwirtlich sein sollte. Doch wer hatte das nicht?
Sein Blick wanderte besorgt über die Karte. Der Zwerg hatte sich in den hinteren Teil des Wagens zurückgezogen und saß nun zwischen einem Fass Wasser und einem Korb, wo er über die Bedeutung der Markierung nachdachte. Die Gegend war insgesamt als recht hügelig und felsig dargestellt, außerdem war die Karte durchaus für Leute gedacht die mit Karren unterwegs waren. “Aber was genau soll ein Ausrufezeichen heißen? „Achtung!“? wahrscheinlich irgendetwas wohinter für gewöhnlich ein Ausrufezeichen ist, könnte also heißen das Gefahr droht… könnte aber auch der Standort einer besonders guten Schenke oder Fundort schöner Gesteinsformationen sein…“
Sebulon beschloss, auf das Schlimmste gefasst zu sein und begann nun mit den Überlegungen wie man einen Steinschlag innerhalb eines billigen Planwagens am besten überstand.


Im Wachhaus

"Rogi?"
"Ja?"
"Hast du Rabbe nach Hause bringen lassen?"
"Nein, ich hatte fie verforgt und ihr gefagt fie foll noch eine Weile liegen bleiben. Leider ift fie noch fiemlich genaufo ftur fu fein wie in ihrer Aufbildung - Ich wollte ihr nicht unbedingt ein Beruhigungfmittel geben, fo wie fie verleft war hätte ich aber eh nicht gedacht dass sie einfach aufftehen könnte."
Romulus kräuselte die Stirn. "Sie ist nicht mehr in der Zelle. Ich bin eben rein weil ich noch mal mit ihr reden wollte – sie schien mir püschisch arg mitgenommen. Aber die Zelle war leer." Er massierte sich genervt die Nasenwurzel während Rogi leicht resigniert seufzte. „Rabbe war fon während ihrer Aufbildung aufgesfrprochen ftur. Ef würde mich nicht wundern wenn fie auf eigene Fauft hinter den Entführern her ist, fie feigte Werwölfen gegenüber immer eine gewiffe Averfion – wie kommt ef eigentlich daff fie dir gegenüber immer foviel Refpekt gefeigt hat? Normalerweife war fie nicht fo… folgfam."
"Wenn ich das wüsste." Er knirschte mit den Zähnen. "Naja… Ich werde Breguyar über ihr Abhandenkommen unterrichten und einen Wächter bei ihr zu Hause vorbei schicken… vielleicht ist sie wirklich einfach heimgegangen ist um sich auszukurieren."


*Auf der Straße nach Überwald*

Jargons Blick reichte in die Ferne. Es war inzwischen Abend geworden - er war nicht sicher an welchem Tag. Er hatte den Schlaf der Gequälten weiter geschlafen und ihm schien, als hätte seine Entführer sich in diesem Zeitraum an diversen Alkoholika gütlich getan – Sie alle dösten entweder oder blickten verträumten Blickes nach draußen. Die Ausnahme bildete der Kutscher. Der mysteriöse Mann den er vorhin schon gesehen hatte. Er saß draußen und starrte in die Dunkelheit, als hätte sie ihm etwas angetan – zumindest hatte Jargon diesen Eindruck. Im Grunde konnte er ihn nicht richtig sehen, aber unwillkürlich stellte er sich vor das der Mann stechende, kalte, graue Augen hatte.
In diesem Moment hielt er auf einmal an, drehte sich um und kletterte ins Innere der Kutsche. Als er den langen Schlapphut abnahm blickte Jargon überrascht in blaue, warm blickende Augen.
"Guten Abend", sagte er leise, stieß einen der anderen rücksichtslos von der Sitzbank und setze sich selbst, mit überkreuzten Beinen, Jargon gegenüber.
Der am Boden liegende wimmerte nur.
"Nenn mich Ceró. Wie du als intelligenter, belesener Mensch dir sicher schon gedacht hast, bin ich der… Anführer dieser… Truppe." Er trat dem am Boden liegenden in die Seite. "und du kommst mit uns in das Urlaubsparadies Überwald. Was hältst du davon, hm? Ein Urlaub, von uns, für dich, nur um dir zu zeigen wie sehr wir… Menschen wie dich wertschätzen."
Jargon starrte den Mann irritiert an.
"Ich liege wieder bewusstlos auf dem Boden… Dieser Kerl kann unmöglich von Urlaub sprechen, und wenn doch dann bin ich die Unterhaltung für ihren Urlaub."
Er räusperte sich. "Was… Was wollen sie wirklich von mir?", krächzte der Wächter unsicher.
"Das sagte ich doch. Wir wollen dir zeigen wie sehr du uns am Herzen liegst… Wir werden dir ein Geschenk machen." Beim letzten Teil des Satzes schienen die Augen des Mannes unnatürlich groß und deutlich bösartiger zu werden, und er brach in bösartiges Gelächter aus. "Und dann… dann wirst du uns ein Geschenk machen!" Noch immer lachend ging er nach draußen und kletterte zurück auf den Kutschbock.
Jargon blieb zitternd zurück.


Woanders

Rabbe ritt durch die Nacht. Sie ging davon aus dass der Verlust des Pferdes schon lange bemerkt worden war – die Jungs beim Postamt waren immer schnell bei der Sache wenn es um so etwas ging- doch sie hatte sich Mühe gegeben, keine Spuren zu hinterlassen die auf sie zurückführbar sein würden.
“Und wo hattest du so plötzlich das Pferd für die Verfolgung des Kollegen Schneidgut her?“, tönte die Stimme von IA-Zwerg Sebulon durch ihren Schädel, doch sie schüttelte den Gedanken schnell ab. Selbst wenn es ein Verfahren geben sollte – es gab keine Beweise, und sicher keine Zeugen die aussagekräftig genug gewesen wären.
“Und ob ich überhaupt zurückkehre ist ohnehin fraglich…“
Rabbes Blick schweifte durch die Nacht. In einigen Stunden, wenn der Morgen graute, würde sie sich irgendwo verstecken und den Tag über schlafen. Trotz Rogis Arbeit war sie noch immer recht angeschlagen – als ob das stundenlanges Reiten nicht so schon anstrengend genug wäre – ihr tat alles weh. Rücken, Beine, Arme… Das Gewicht ihrer Ausrüstung drückte schwer und einige Stunden Ruhe würde ihr sicher wohl tun. Zumal sie sich der Natur lieber bei Tage als bei Nacht ungeschützt präsentierte. Die Geschöpfe des Tages waren zumindest um ein vielfaches leichter zu töten.
Sie dachte einen Moment lang an ihre früheren Reisen. Schon mit fünfzehn wäre sie gerne von daheim weggegangen, doch nach dem Tod ihres Vaters und Alexanders Abreise hatte sie ihre Mutter noch nicht mit einem jüngeren Mädchen im Stich lassen wollen. Mauricia war noch so jung und unerfahren, Rabbe hatte es nicht über sich gebracht dieses Unschuldige Ding allein in den Händen ihrer Mutter zurück zu lassen. Als selbige auf einer Reise ums Leben kam erübrigte sich die Frage des Weggehens für die nächsten Jahre erst recht – Mauricia würde noch Zeit brauchen bis sie soweit war, dass sie ohne ihre große Schwester würde auskommen können – letztlich wäre Rabbe also wohl geblieben bis Mauricia selbst soweit gewesen wäre alleine klar zu kommen, oder bis sich ein ausreichend anständiger, vertrauenswürdiger Mann für das Mädchen gefunden hätte.
Doch dann hätte sie Schauerkrault für immer hinter sich gelassen.
Als die Nacht des 26.Spunis 1997 kam hatte sie diesen Tag noch in weiterer Ferne vermutet. Sie hatte gedacht, es würde von diesem Tag an wohl noch in etwa drei Jahre dauern.
Stattdessen war sie kaum einen Tag später aufgebrochen.


16 Jahre zuvor, frühe Dämmerung

"Rabbe? Rabbe, hast du mein Kleid gesehen?", rief eine unsichere Stimme aus dem kleinen Wohnraum. Eine junges Mädchen mit nassem Haar stand dort, ein dünnes Laken um den Leib gewunden. Sie war gerade etwas über einen Meter sechzig groß, die dunkelbraunen Haare hingen in langen Strähnen um ihr zierliches Gesicht herab, und sie war offensichtlich äußerst nervös.
"Rabbe? Rabbe, ich,-"
"Was hast du denn kleines?" Rabbe war plötzlich durch die Tür getreten und sah das Mädchen unwissend an, als hätte sie keine Ahnung was ihr Problem war. Ihre langen Haare waren zu einem Zopf geflochten, sie trug ihr bestes dunkles Hemd und eine ebenso dunkle, relativ feine schwarze Hose. [5] Um die Hüfte hatte sie sich eine Art blaues Tuch gewickelt, und als Mauricias Blick an ebenjenem hängen blieb wurde Rabbes Grinsen noch einmal breiter.
"Gib es zurück!", entfuhr es der Jüngeren und sie sprang vor, in dem Versuch Rabbe das Kleid wegzunehmen, doch diese wich ihr nur allzu schnell aus und zog der Jüngeren im Gegenzug das Tuch vom Leib. Wie sich zeigte war sie nicht nackt - nicht ganz zumindest. Rabbe musterte sie grinsend während Mauricia versuchte ihre Blöße zu bedecken.
"Uii.. ich wusste ja dass du ihn magst, aber so sehr?" Rabbe streckte ihre Zunge heraus, nahm das Kleid ab und reichte es ihrer tieferröteten Schwester.
"Und ich hatte Urd noch gesagt dass er auch auf deine Nachfrage hin nicht zugeben soll dass er solche Dinge importiert... tseseses..." Rabbe schüttelte den Kopf, lächelte nun aber und sah zu wie ihre Schwester versuchte ihr neues Kleid anzuziehen. Sie konnten sich solche Annehmlichkeiten derzeit ohnehin nur leisten weil ihre Mutter eigentlich über wesentlich mehr Geld verfügt hatte als sie zu Lebzeiten hatte zugeben wollen. "Was ein Grund mehr ist warum wir froh sein können dass du nie zurückkehrst, du Miststück", ging es der jungen Frau soeben durch den Kopf. Sie hatte immer ein recht schwieriges Verhältnis zu der älteren Frau gehabt und im Grunde glaubte sie, dass es besser war, dass diese nicht mehr bei ihnen weilte.
"Ich äh... Ich..." Mauricia sah sie, mit noch immer hochrotem Kopf, bittend an und zeigte auf die Schnürung an der Rückseite ihres Kleides. Rabbe lachte leise, trat näher und half der jüngeren mit ihrer Garderobe, und auch allen weiteren kosmetischen Veränderungen.

Eine halbe Stunde später liefen die beiden Frauen durch den warmen Abend. Das Wetter war ausgesprochen sonnig in diesem Jahr und Rabbe freute sich Mauricia so glücklich zu sehen. Das Mädchen war in den letzten drei Jahren in eine Schule für junge Menschen gegangen wo sie nähen, kochen, Geschichte und auch ein wenig lesen und schreiben sowie etwas rechnen gelernt hatte. Es war die einzige Schule dieser Art im näheren Umkreis gewesen, und die meiste Zeit war Rabbe (die selbige Schule nur ein Jahr lang besucht hatte) für die Ausbildung ihrer Schwester aufgekommen, weil ihre Mutter stets behauptet hatte, es wäre kein Geld im Haus.
Für einen kurzen Moment schlich sich Ärger in Rabbes Miene, doch dann fiel ihr Blick wieder auf ihre leise summende Schwester.
Im Grunde war es wohl gut gewesen dass alles so gekommen war.
Als Mauricia auf die Schule kam war sie zuerst etwas unsicher gewesen und kam nicht gut zurecht, doch nach einiger Zeit lernte sie, wie schön es dort sein konnte.
Vor allem mit den richtigen Mitschülern.
Mauricia hatte kaum ein halbes Jahr gebraucht um sich zum ersten Mal in ihrem Leben richtig zu verlieben, und Rabbe, die den Kerl den sie sich ausgeguckt hatte zunächst eine ganze Weile mürrisch beobachtet hatte, musste zugeben, dass sie es hätte schlechter treffen können.
"Und vielleicht kann ich so doch schon früher aufbrechen...", ging es dem älteren Mädchen sehnsuchtsvoll durch den Kopf. Sie wollte inzwischen immer mehr hier weg. An Geld oder dem kleinen Haus dass sie von ihrer Mutter geerbt hatte lag ihr nichts. Für sie war nur noch ihre Schwester wichtig, und wenn sie versorgt war... Ja dann würde sie ausziehen und ihr Leben alleine Leben.
Sie trafen an der Schule ein und sogen noch einmal die kühle Abendluft ein. "Bist du bereit, Kleines?", fragte Rabbe, und knuffte das Mädchen in die Seite.
"Bist du es denn?", erwiderte sie, und streckte ihr die Zunge raus.


Einige Zeit später

"Sie sieht sehr glücklich aus, findest du nicht?", fragte eine Stimme von hinten, und ein paar Arme schlang sich um Rabbes Bauch.
Sie lachte leise. "Schön dass du's geschafft hast", sagte sie leise, drehte sich um und umarmte ihren Bruder nun richtig. "Ich dachte nicht dass der Brief dich noch erreichen würde. Wolltest du nicht schon in Llamedos sein?"
"Ach weißt du..." Alexander sah zu Mauricia hinüber die fröhlich mit ihrem Freund tanzte. "In Ankh-Morpork gibt es viele Dinge die einen nur allzu leicht dazu bringen können seine Pläne mal ein bisschen zu verzögern." Er lächelte. "Und als ich deine Nachricht bekam da dachte ich halt 'Wie oft macht die jüngste Schwester schon ihren Abschluss in einfachsten Lebensdingen'?" Er grinste schelmisch. "Und einen Blick auf ihren Liebsten wollte ich dann doch auch mal werfen bevor die beiden sich dann am Ende wirklich noch verloben." Er trank einen Schluck Wein. "Was ist eigentlich mit dir Rabbe... willst du dir nicht auch mal einen Kerl suchen? Du bist doch schon so alt... Achtzehn Jahre, Kleine, such dir einen Mann bevor du grau wirst."
Sie knuffte ihn in die Seite. "Musst du grade sagen. So wie ich das sehe bist du hier derjenige der alt wird, und-"
Er packte sie an den Armen, drehte sie hastig herum, hielt sie von hinten fest, legte seinen Kopf auf ihren, wippte hin und her und meinte:"Na-ain... Naaaaaa-ain... Ich bin gar nicht alt... du bist alt... gnaaa...“ Seine kindliche Art fiel schnell wieder ab und er ließ sie los. "Nein Rabbi... Ich denke für mich gibt es erstmal einen anderen Weg. Für uns alle fürchte ich." Betrübt sah er zu Mauricia hinüber und ließ den Blick dann durch den Raum schweifen. "Irgendwas stimmt nicht, fürchte ich. Ich habe ein schlechtes Gefühl hier."
"Sei nicht so pessimistisch. Du bist doch nur wieder drauf wie früher; du bist wieder in der Heimat und das macht dich kirre, Alex. Du hast nur Angst vor Verantwortung." Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen, stellte ihr Glas ab und schritt in die tanzende Menge.
"Ich wünschte es wäre so", murmelte er leise und trank noch einen Schluck Wein.

Rabbe drückte sich durch die tanzenden Paare bis hin zu ihrer Schwester und einem jungen Mann den sie vor einigen Monaten als Antonio kennen gelernt hatte.
"Naaaa?", unterbrach sie ein offenbar intimes Gespräch zwischen den beiden plötzlich, indem sie ihren Kopf einfach zwischen die beiden streckte und kurz hin-und-herrückte, um beide kurz direkt anzusehen. Als sie ihre Schwester ansah gab sie ihre einen sachten Kuss auf die Stirn. Mauricia huschte wie ertappt nach hinten und auch Antonio sah aus, als hätte er sich soeben verbrannt. "Äh... Ich habe nicht... ich meine wir wollten auch gar nicht,-", brachte er hervor, doch Rabbe lachte nur.
"Ja, es war ziemlich eindeutig was ihr überhaupt nicht wolltet." Rabbe grinste. "Leider muss ich dich nun aber doch von deinem Liebsten entführen, Mauricia. Alexander ist hier, und ich bin sicher er möchte dich gerne kurz sehen."
Mauricia nickte verlegen, sah Antonio entschuldigend an und folgte Rabbe durch die Menge.
Sie fanden den jungen Mann an einem Fenster stehend, wie er in die Nacht hinaus blickte. Er war im Stil recht ähnlich gekleidet wie Rabbe: Dunkles Hemd und schwarze Hose, nur das sein Hemd offenbar aus teurer Seide war, wie auch seine schwarzen Lederschuhe absolut schmutzlos und teuer aussahen. Sein hüftlanges, schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und er hatte einen langen, schmalen Kinnbart. Seine grauen Augen blickten wissend.
"Sieh einer an. Meine unschuldigen Schwestern bieten sich zur Werbung an." Er schob sein Kinn vor und blickte streng von einer zur anderen, hielt dies aber nicht lang durch. Rabbe blickte ihn skeptisch an und zog eine Augenbraue hoch, rollte dann mit den Augen und streckte die Zunge heraus.
"Ist ja gut", er grinste und umarmte beide gleichzeitig. "Hab dich ja vorhin schon genug geärgert, Rabbie. Aber du Mauri, was musste ich da mit ansehen, hm? Du hast diesem Kerl ja ordentlich schöne Augen gemacht..."
"Hey!", die kleinste im Bunde löste sich aus der Gruppenumarmung und verschränkte verärgert die Arme. "Ich bin alt genug um so etwas machen zu dürfen. Rabbe hat auch immer alles gemacht was sie wollte!"
"Jaaah...", Rabbe beugte sich zu ihr runter und sah sie übertrieben ernst an. "Aber Rabbe hat nebenher auch das Geld verdient damit du auf diese Schule hier gehen konntest, Kleines.“
"Und wer weiß unter welchem Einsatz...", murmelte Alexander, was ihm gleich wieder einen sauren Blick der Schwester einbrachte.

Es begann mit einem Schreien von der Tür her. Rabbe und Alexander waren eben für eine Weile nach draußen gegangen um in Ruhe ein Gespräch führen zu können, als es passierte.
Mauricia tanzte einen langsamen Tanz mit Antonio und legte den Kopf an seine Schulter. Dies war ihr Abend. Sie hatte hart hierfür gearbeitet und war stolz auf das was sie geschafft hatte. Natürlich wusste sie noch nicht so recht, was sie mit ihrem neu erworbenen Abschluss anfangen sollte, aber... das musste sie auch noch gar nicht. Ihr stand die ganze Welt offen. Sie konnte tun und lassen was sie wollte... und mit wem sie wollte.
"Antonio?", flüsterte sie leise, und er wandte den Kopf noch etwas näher an ihren.
"Ja, meine Schöne?"
"Wenn ich weggehen würde um mein Glück in der Fremde zu suchen... würdest du mit mir kommen?"
Antonio blickte einen Moment ins Leere und lächelte. "Wohin auch immer es dich führen sollte, ich werde folgen."
Mauricia blickte auf und lächelte ihn glücklich an. Als er sich vorbeugte und sie küsste, hörte man einen markerschütternden Schrei vom Eingang her, gefolgt von einem panischen Rufen: "WÖLFE! DIE WÖLFE SIND HIER! FLIEHT! FLIE-ARGH!"
Gelähmt vor Schreck starrte Mauricia einen Moment lang fassungslos gen Ausgang, wo nun auch schon zwei Wölfe aus dem Gang sprangen und in die Menge hetzten. Antonio zog sie von hinten am Arm mit sich Richtung des Hinterausgangs, doch das Mädchen war so fassungslos dass sie es kaum schaffte Schritt zu halten. Wie konnte so etwas passieren? Die Gegend war doch seit Ewigkeiten nicht überfallen worden... warum jetzt? Warum heute?
Die Leute liefen panisch durcheinander und traten sich gegenseitig auf die Füße, sich durchzuwühlen fiel schwer, während mehr Wölfe in den Raum drängten und in die Menge vorstießen. Beißend. Reißend. Panik- und Schmerzschreie mischten sich während alle Richtung Ausgang strömten und sich dabei nur gegenseitig den Weg versperrten. Mauricia und Antonio schafften es dem Hinterausgang sehr nahe zu kommen, als ein lautes Knarzen ertönte und weitere Wölfe auch aus dieser Richtung auf sie zukamen. "Zum Fenster! Schnell!", rief Antonio ihr zu, gerade laut genug, dass sie es hörte. Er schob sie so schnell er konnte Richtung eines Fensters wobei er einem Schnappen nur knapp entkam. Andere kamen auf ähnliche Ideen und drängten ebenfalls Richtung Fenster, doch das junge Paar schaffte es noch zu einem unbelegten, und er half Mauricia hindurch zu klettern. Als er seitlich nach einem Griff langte biss ihm ein Wolf ins Bein.
Sein Schrei sollte Mauricia den Rest ihres kurzen Lebens in den Ohren gellen. "Antonio!", entfuhr es ihr panisch, doch der junge Mann wurde am Fuß nach hinten geschleift. Mehrere Wölfe kamen dazu und fielen über ihn her.
Es sollte dauern bis seine Schreie verhallten.

Rabbe und Alexander waren ein Stück entfernt durch den Wald gelaufen als das Spektakel begann. Sie hatten erst einen Schrei gehört. Sich umgedreht und dann viele gehört. Dann waren sie gerannt. Nach wenigen Minuten waren sie an der kleinen Halle angekommen und spähten durchs Fenster. "Siehst du Mauricia?", flüsterte Rabbe heiser, mit leichtem Zittern. Sie sah wie die Wölfe soeben zwei Leute fraßen und die Angst brannte sich durch ihr Bewusstsein.
"Nein... Antonio auch nicht, sie... Doch da, drüben!“, er zeigte auf die gegenüberliegende Seite, wo Mauricia starr am äußeren Fenster stand. Sie hetzten ums Gebäude herum wo das Mädchen schnell von Rabbe vom Gebäude zurückgezogen wurde. "Schnell Kleines, weg hier, weg!", rief sie in leisem, heiserem Tonfall, doch Mauricia ließ sich kaum bewegen. "Sie... Sie haben ihn gefressen Rabbe! Sie haben ihn umgebracht! Er hat mich noch angesehen während sie ihm das Fleisch von der Brust gerissen haben, und ich,- Ich... Ich konnte nichts tun ich,-" Tränen liefen ihr über das gerötete Gesicht, und Rabbe zog sie zum Waldrand. "Ich weiß Kleines, ich weiß ja", sie versuchte beruhigend zu klingen, doch es fiel ihr selbst sehr schwer einen klaren Kopf zu behalten. Sie hatte den jungen Antonio gemocht, und es tat weh ihre Schwester so traurig zu sehen.
Doch sie waren noch längst nicht außer Gefahr. Zum Trauern würde später Zeit sein.
Eben als sie das dachte sah sie einen Wolf bereits um das Haus laufen und Alexander drängte sie in den Wald, wo er seine Axt vom Rücken nahm. "Rennt Richtung Südhang, ich halte sie auf. Wir treffen uns in drei Stunden zu Hause.“
Rabbe blickte ihn ängstlich an. Er blickte ernst, aber beruhigend. "Ich schaff das schon, Rabbi, keine Angst. Jetzt bring Mauricia in Sicherheit, damit ihr es auch schafft."
Die Jüngere starrte noch einen Moment, doch dann nickte sie und zog Mauricia durch die Bäume davon. Alexander sah zu wie sie in der Dunkelheit verschwanden, drehte sich um und hielt seine Axt bereit.
Er würde nicht zulassen dass sie seinen Schwestern etwas antaten.

Die Mädchen rannten durch die Dunkelheit, Maurica weinte noch immer sehr, und irgendwann hielt sie einfach an. "Ich kann nicht mehr Rabbe, Ich... Ich kann das einfach nicht ich... Was soll ich nur ohne ihn tun? Er war doch mein... mein alles, er war meine Zukunft, und jetzt ist er nicht mehr! Zerrissen! Ermordet von diesem Monstern." Weinend sank sie zu Boden. "Ich kann einfach nicht mehr..."
Rabbe ging in die Hocke und umarmte sie, in dem Versuch sie zu beruhigen. Sie konnte noch immer viel Bewegung im Wald hören, sie wusste dass sie noch immer nicht sicher waren.
"Hör zu... Hör zu Kleines, ich verstehe was du gerade durchmachst. Es ist nicht fair dass ihr... dass ihr nicht länger zusammen sein dürftet, aber... Es ist jetzt keine Zeit zum Trauern. Wir müssen uns jetzt in Sicherheit bringen und dann,-"
"Keine Zeit? KEINE ZEIT?!", keifte die Jüngere und wand sich aus der Umarmung. "Er hat auch keine Zeit mehr! Keine Lebenszeit! Er hat mir aus dem Fenster geholfen damit ich zuerst sicher bin! Er wäre nicht gestorben wenn ich nicht zuerst, ich,-" sie schluchzte, und hinter ihr traten Schatten durch die Bäume.
"Na sieh mal einer an...", sagte eine glatte, kalte Stimme. "Ich sagte doch dass uns noch jemand entkommen ist... Wen haben wir hier? Die Schraubenndrehrs oder?“ er lachte böse, und als Rabbe nach hinten zurückweichen wollte bemerkte sie, das von hinten noch mehr Werwölfe ankamen, diese jedoch noch in ihrer wölfischen Gestalt.
"Lasst uns gehen! Wir... Wir haben einflussreiche Freunde! Die würden euren Clan verbannen!“, bluffte Rabbe, doch sie glaubte sich nicht einmal selbst. Ihre Stimme zitterte fast so sehr wie ihre Beine und sie konnte die Angst nur noch mühsam ertragen. Der Schrecken und die Furcht drangen in ihren Geist vor wie das Licht einer Laterne in einen finsteren Raum.
"Nein... habt ihr nicht. Komm schon Schraubenndrehr... Jeder weiß, dass eure Familie vor Generationen entehrt wurde. Oh ja, einst hattet ihr großen Einfluss, alter Adel und all sowas, aber nicht mehr. Nie mehr. Ihr seid auf alle Zeiten entehrt..."
Rabbe hatte keine Ahnung was er überhaupt mit Adel meinte, und von Familiengeschichte wusste sie auch nichts, doch immerhin redete er mit ihr. Vielleicht konnte sie darüber zumindest etwas Zeit gewinnen. Vielleicht würde ihnen irgendwer zur Hilfe kommen...
"Mach dir doch nichts vor, Rabbe. Niemand wird kommen. Alexander ist wahrscheinlich tot, und es gibt hier in der Gegend niemanden der es mit einem Dutzend hungriger Werwölfe aufnehmen könnte", sagte der kleine, realistische Teil in ihrem Kopf, doch sie konnte die Wahrheit nicht ertragen.
"Nur weil wir in öffentlicher Ungnade liegen heißt das nicht, dass wir nicht immer noch Freunde in hohen Kreisen haben... Wir können noch immer,-" bevor Rabbe fortfahren konnte wurde sie von hinten von zwei kräftigen, nackten Männern gepackt und festgehalten.
"Halt! Lasst das! Ich sage euch, wir,-" Der, der eben zu ihr gesprochen hatte trat vor und hielt ihr den Mund zu. "Und ich sage dir, es interessiert uns nicht. Uns interessiert nur Blut und Schmerz. Euer Blut." Er machte eine Geste und die wimmernde Mauricia wurde ebenfalls von zwei Männer festgehalten und ihr Kleid herab gerissen.
"Mmh…lecker", kommentierte der Werwolf den entblößten Körper des zitternden Mädchens, und Rabbe fühlte sich mit einem Mal unfähig irgendetwas zu sagen. Sie wusste was passieren würde. Es war offensichtlich. Und sie würde nichts tun können, gar nichts.
Die grauen Augen des Mannes sahen sie kalt und böse an, als er sich umdrehte und Mauricia ableckte. Er begann am Bein und fuhr fort bis er an ihre Brust kam, kostete das Unbehagen beider Schwestern sichtlich aus.
"Hör auf! Hör auf du Monster, lass sie in Ruhe!“, rief Rabbe, aber sie wusste dass es nichts brachte. Es amüsierte den Blauäugigen nur umso mehr. Er lachte. Ein böses, höhnisches Lachen bevor er Rabbe wieder direkt ansah. "Ich soll das lassen, ja? Okay... kein Problem, Rabbe von Schraubenndrehr..." Sein Grinsen wurde teuflisch. Er blickte einen Moment zu Mauricia, dann wieder zu Rabbe.
"Nehmt sie euch!", rief er, und alles Weitere schien Rabbe so als hätte sie es irgendwie im Schnelldurchlauf gesehen. Im Moment als es passierte schien es unendlich lange zu dauern, doch direkt danach war es unglaublich schnell passiert. Sie hörte sich selbst vor Angst und Wut laut schreien, sie sah den ängstlichen Blick in Mauricias Gesicht, den hämischen Ausdruck im Blick ihres Peinigers,- Und sie sah wie die Wölfe sich auf die junge Frau stürzten. Ihr das Fleisch von den Beinen, den Armen und der Brust rissen. Hörte ihre Schreie, sah die Tränen. Das Blut. Fleischfetzen die umher flogen. Es ging zu schnell als dass Mauricia die Zeit gehabt hätte, zu sterben bevor man sie äußerlich ganz abgeknabbert hatte.
Rabbe starb innerlich. Es war zu viel. Sie hörte das höhnische Lachen weiterhin während ihre Schwester in Blut verging. Als es getan war, nagten die Wölfe noch an ihren Knochen. Knackten ihren Schädel um die restlichen Säfte auch noch aufzunehmen. Eines ihrer Augen rollte davon.
Der Blauäugige, der die ganze Zeit nur Rabbe angesehen hatte hob es auf und trat näher an die Überwäldlerin an. Sie hing schwer nach vorne gebeugt da und schluchzte. Sie hatte während des ganzen Vorganges durchgehend geschrien. Nun war sie am Ende. Wozu nun noch weiter leben? Doch der Mann packte ihren Kopf und zwang sie, den Blick zu heben. "Weißt du warum wir dich leben lassen, Mädchen?", fragte er mit irrem Blick und wippte das Auge direkt vor Rabbes Gesicht hin und her.
Sie übergab sich. Der Mann ließ Rabbe einen Moment lang los, packte sie dann aber wieder am Kragen und hielt sie erneut fest. "Deine Familie hat eine Blutschande begangen. Ihr wart Wölfe... und dann habt ihr plötzlich angefangen euch mit Menschen abzugeben! Immer mehr von euch heirateten Menschen, und eure Blutlinie ist verwässert! Du bist höchstens zu einem Achtel ein Wolf geblieben und wahrscheinlich weißt du es nicht einmal... Ihr seid Verräter an unserer Sache!“
Er ließ sie los und trat sie noch ein paar Mal in die Seite. Er redete noch irgendetwas was nicht mehr zu Rabbe durchdrang bis er irgendwann offenbar keinen Spaß mehr an ihr hatte und mit seinen Wölfen verschwand.
Rabbe blieb liegen.
Sie würde sich an die Situation nur Bruchstückhaft erinnern können, - ab dem Zeitpunkt zu dem ihre Schwester gefressen wurde, und alles davor blieb schmerzhaft detailreich im Gedächtnis. Doch von dem Moment an, als man ihr das Kinn hochdrückte und das Auge vors Gesicht hielt, wusste sie nichts mehr. Der Grund blieb ihr nicht im Gedächtnis.
Das Lachen würde sie überall erkennen. Die Augen auch.
Ansonsten wusste sie, dass irgendwann Alexander gekommen war und sie mitgenommen hatte. Dass er selbst viel geweint hatte. Die Knochen hatten sie am nächsten Tag begraben.

Dann hatten sie beide Schauerkrault für immer verlassen.

Jargon Schneidgut


Wie weit werden wir noch fahren?, fragte sich Jargon und fragte sich, ob sie bereits in Überwald waren. Wenn die Fahrt vor vier Tagen nachts begonnen hatte, mussten sie schon ganz in der Nähe der Grenze sein. Die Pausen waren immer sehr kurz gewesen, also schienen die Pferde auf jeden Fall sehr ausdauernd zu sein.
Seine Entführer waren mittlerweile mehr oder weniger berauscht und dösten in der Nacht - natürlich bis auf Cero, der immer noch die Zügel in der Hand hielt. Jargon hatten sie mit den Händen an einen der Kantbalken des Wagens gefesselt und seine Beine zusammengebunden. Mit etwas Mühe konnte er an dem Wagenlenker vorbei die Schwärze Überwalds erkennen. Die Bäume reihten sich dicht aneinander und wurden vom Licht des Mondes erhellt. Der Lichtintensität nach musste es kurz vor oder nach Vollmond sein.
Céro blickte kurz zum Himmel, knurrte, und lenkte den Wagen an den Straßenrand.
Jargon erschrak, als er über den Kutschbock nach drinnen stieg - das Gesicht des Mannes war im Dunkeln nur schemenhaft zu erkennen, aber es war eindeutig als schmerzverzerrte Fratze zu erkennen.
Vollmond! Überwald! Schlagartig erinnerte er sich an die Kampfgeräusche, die er gehört hatte, als seine Entführer ihn gepackt hatten - es waren eindeutig zu viele Knurrer dabei gewesen.
Es sind Werwölfe!
Panik machte sich in ihm breit. Er hatte keine Ahnung, wie kontrolliert ein Werwolf unter dem Einfluss des Vollmondes war. Bisher waren ihm alle Werwölfe, denen er begegnet war, freundlich gesonnen gewesen - alles Wächter, die immer beherrscht wirkten. Aber diese Kerle? Jargon wollte nicht wissen, wozu sie fähig waren.
Cero packte seine Kumpanen an den Armen und hievte sie aus der Kutsche - ruckartige, ohne Anstrengung, ohne Sympathie oder Vorsicht. Dann zog er die Plane zu und ließ Jargon in der Dunkelheit zurück.
Es dauerte nicht lange, bis ein Jaulen und Winseln von draußen ertönte und sich die Nackenhaare des Wächters aufstellten.
Dies war keine gute Nacht, um gefesselt in einer Kutsche zu liegen.
Panik machte sich in Jargons Gedärmen breit, und er untersuchte das Seil, das ihn gefangen hielt.
Es war zweifellos darauf ausgelegt, Dinge stabil an ihrem Platz zu halten und so um seine Handgelenke gewunden, dass er keine Möglichkeit hatte, mit seinen Fingern den Knoten zu erreichen. Es fühlte sich rau an, und ihm wurde bewusst, dass die Haut an seinen Händen und Armen bereits aufgescheuert sein musste.
Draußen heulten wieder die Wölfe. Zu Jargons gelinder Verwunderung klang es leiser, als hätten sich die Wölfe entfernt.
Er zog versuchsweise an dem Seil, wie er es so oft getan hatte. Es rührte sich nicht. Er zog stärker an dem Seil, mit deutlich mehr Kraftaufwand, etwas, dass er sich in Anwesenheit seiner Entführer nicht getraut hatte. Wieder nichts.
Er riss mit voller Wucht nach oben und unten, am Balken entlang, und spürte, wie das alte, splittrige Holz in seine Handgelenke riss.
Das Seil ruckte ebenfalls nach oben und unten.
Jargons Puls pochte, und er spürte, wie Blut aus seinen aufgescheuerten Armen tröpfelte.
Er schluckte und biss die Zähne zusammen. Es tat sehr, sehr weh, es brannte und stach.
So wie es aussah müsste er wohl die Stabilität seiner Handgelenke gegen die des Seils testen.
Er atmete heftig, biss die Zähne zusammen-
und ein Mann stieg in den Wagen.
Im fahlen Mondlicht erkannte Jargon nur die Umrisse einer breiten Gestalt, die sich umsah, hastig in den Wagen kletterte und sich auf den Boden legte.
Er stank nach Schweiß, und er atmete schnell und flach, als wäre er sehr lange gerannt. Er flüsterte vor sich hin.
"Vielleicht...haben sie mich... verloren..."
Jargon starrte auf den Mann. Was hatte ihn dazu verleitet, sich in den Wagen zu verkriechen? Waren die Werwölfe hinter ihm her?
Er blieb still und starr auf seinem Platz sitzen und beobachtete, wie der Mann vor sich hin keuchte und leise murmelte.
"Noch drei Meilen... bisher lief's ganz gut... ich glaube, ich kann es schaffen..."
Der schweißüberströmte Mann keuchte, erschauerte und lachte leise keuchend.
"Kann nicht mehr warten... muss... los."
Er stützte sich auf.
"Warten sie!", rief Jargon und sein Gegenüber schrie vor Überraschung auf.
"Was- wer-"
"Ich bin ein Gefangener der Werwölfe! Bitte helfen sie mir!"
Der Mann schlug die Plane zurück und erblickte Jargon im Mondlicht. Seine Augen waren erfüllt von Panik als er dem Wächter ins Gesicht starrte.
"K- keine Zeit- ich muss-"
In diesem Moment sprang ein schwarzer Schatten in den Wagen, gefolgt von zwei weiteren.
Jargon kniff die Augen zusammen und hörte den Mann schreien.
Etwas Warmes sprühte ihm auf das Gesicht.
Sein Bewusstsein meldete sich ab.

Plötzlich sah er sich selbst, wie er in einer Kutsche saß, die Augen groß mit Staunen.
Das musste eine Weile her sein - er wirkte jünger, unschuldiger. Irgendwie gesünder, wenn auch dünner.
Der Blick des jüngeren Jargon war nach draußen gerichtet, wo Kohlfelder vorbeizogen.
Es war eine ganz neue, erstaunliche Erfahrung für ihn.
"Bist du noch nie draußen gewesen, Jargon?"
Zusammenzuckend wandte der kleine Mann den Kopf nach vorne, wo einer seiner Kollegen, Menélaos, saß.
"Äh, naja- nicht wirklich. Also. Selten."
Jargon sah ein wenig beschämt zu Boden.
"Ach so?" Menélaos kratzte sich ein wenig überrascht am Kopf. "Aber... du bist doch schon... also... ich meine..."
"Alt?"
Verlegen nickte sein Gegenüber. Jargon schämte sich nicht minder.
"Ich... naja..." Er sah wieder nach draußen. "Ich habe nie so recht den Grund gefunden. Ich wollte lieber da bleiben, wo ich mich auskenne."
"Also, als ich klein war, ist mein Vater immer mal wieder mit mir rausgefahren, damit ich was von der Welt seh'", steuerte Peter Drobisch, ein weiterer Rekrut, der neben Menélaos saß, bei.
"Hm", meinte Jargon.
Seinen Vater hatte er eigentlich nie wirklich gekannt. Er war verschwunden, als Jargon vier Jahre alt gewesen war. Seine Mutter redete nie über ihn - und entsprechend hatte ihr Sohn sich nie getraut nach ihm zu fragen. Das hatte sich dann aber auch erledigt, als er mit zwanzig ausgezogen war.
Jargon seufzte. Er dachte eigentlich nie wirklich über seinen Vater nach - warum auch?
Es war nicht so, als gäbe es etwas, über das er nachdenken könnte.
Er war abgehauen, vermutlich weil er keine Lust hatte, sich weiter mit Kind und Frau herumzuschlagen, und jetzt vermutlich irgendwo in Quirm oder Pseudopolis oder- na, er könnte genauso gut in Überwald sein.
"Wie lange dauert es denn noch, bis wir in Kuhnacken sind?", fragte Menélaos den Ausbilder Harry, der auf seiner Schulter saß und etwas las, das wie eine Broschüre zum Thema "Thiembildung" aussah. Jargon kam nicht umhin zu bemerken, dass sich etwas, das nach einem Comicheft aussah, am oberen Rand zeigte.
Der Gnom sah aus dem Fenster, kratzte sich an der Nase und meinte: "Eine halbe Stunde, denke ich."
Er sah Jargon in die Augen.
"Genieße die Aussicht, solange du kannst, Rekrut. Und wisch dir das Blut aus dem Gesicht."

Sebulon schreckte hoch, als die Kutsche über einen Felsbrocken hüpfte und die drei Insassen durchschüttelte.
Es war Nacht, die fünfte, seit sie losgefahren waren. Als er nach draußen spähte, konnte er die finstere Baumgrenze Überwalds bereits sehen.
"Wie läuft es so?", fragte er Ikari müde und ließ sich den Fahrtwind durch den Bart wehen.
"Wenn wir die Pferde weiter so hetzen sind sie bald so tot wie ich", krächzte der Zombie und schüttelte den Kopf. "Und ich habe glaube ich schon wieder meinen Zeigefinger verloren."
Leicht schaudernd fuhr sich Sebulon übers Gesicht und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen dass das Reisen mit dem Zombie manchmal doch etwas gruselig war. Er sah sich um.
"Wo steckt Rib?"
"Hier, du Schnarchnase", kam eine Stimme vom Dach. "Ich kann Überwald schon sehen."
"Ich auch", brummte der Zwerg und verkniff sich ein Gähnen. "Ich schätze, die Schlafenszeit ist vorbei."


Rabbe Schraubenndrehr


Rabbe starrte ins Feuer. Sie hatte sich eben den Verband an ihrem rechten Arm neu gemacht und briet sich eine Echse über dem Feuer. Sie war nicht mehr weit von ihrem Ziel entfernt, das wusste sie, aber sie wusste auch dass die Werwölfe mit Sicherheit durchgehend weiter fuhren während sie selbst zumindest ein paar Stunden Pause jede Nacht machen musste. "Dafür kann ich Schleichwege nehmen. Mit ihrem breiten Wagen werden sie so manchen Umweg machen müssen", überlegte sie hoffnungsvoll und stocherte im Feuer herum. Sie dachte allgemein nur sehr wenig darüber nach, was sie tun würde wenn sie die Gruppe eingeholt hatte. Jargon rausholen und Cero töten. Weiter hatte sie nicht gedacht. Geistesabwesend strich sie über die silberbeschichtete Klinge die sie vor einiger Zeit für solche Missionen besorgt hatte.
Im Grunde gab es auch nichts weiter zu bedenken. Sie war auf dem Weg in ein Haus voller blutrünstiger Werwölfe, sie war verletzt und allein.
Dass sie zurückkehren würde war schlicht nicht möglich.
Rabbe nahm ihre Echse vom Feuer und aß langsam das zähe Tier. Sie hatte das Pferd in der Nähe angebunden wo es ein wenig Raum hatte um sich ein wenig auszuruhen und legte sich selbst nun ans Feuer um etwas Schlaf zu finden. Unruhige Träume folgten.


18 Jahre zuvor

Rauschende Musik und schimmernde Lichter trugen ihren Teil zum Gelingen des Abends bei, während sich die hohe Gesellschaft von Graubach und Umgebung die Klinke in die Hand gab. Es war der Tag von Lord Secabonums jährlichem Empfang, dem Kulturellen Event des Jahres - zumindest wenn man in Graubach und Umgebung wohnte, war die nächste große Stadt doch mehrere Tage Fußmarsch entfernt. Diener verschiedener Art hasteten durch die Halle um die Gäste zu bedienen, herein zu führen, Mäntel aufzuhängen oder diskret Drogen zu verteilen.
"Lord und Lady Secabonum und ihr Sohn, Lord Cero Secabonum!", kündigte der Empfangsmeister an, und die Blicke der Gäste wie auch des Personals wanderten gleichermaßen nach oben. Am Kopf der Treppe stand Lord Secabonum, ein Mann mit langem, silber-grauem Haar, der aber kräftig gebaut war und einen festen Blick hatte. Neben ihm seine Frau Ignis, eine große Gestalt mit exquisit filigranen Zügen und langem schwarz gelocktem Haar, vor ihnen ihr Sohn.
Cero blickte herrisch in die Menge. Er war noch recht jung und seine nachtschwarzen Haare erzeugten in Kombination mit den dunkelblauen Augen und dem altmodischen, schwarzen Anzug eine merkwürdige Aura der Seriosität, die in Anbetracht seines Gesichtes jedoch an Ausstrahlung zu verlieren schien. Sein Blick hatte etwas Wahnsinniges.
Kellnerin Schraubenndrehr blickte ihn einen kurzen Moment leicht beunruhigt an, bevor sie sich wieder um ihre Arbeit kümmerte indem sie einem Gast ein Glas Wein und - wie zufällig unter dem Glas klebend - eine Euphorie verursachende Droge brachte. Sie machte diese Arbeit saisonbedingt. Innerhalb des letzten Jahres hatte sie hauptsächlich Gelegenheitsjobs gemacht da eine Festanstellung hier in der Gegend nur schwer zu bekommen war - insbesondere wenn man nicht bereit war, eine Ausbildungsstelle anzunehmen und seine Eltern nicht namentlich nennen wollte.
Rabbe seufzte und ging zurück in die Küche um einige Canapés zu holen. Sie wurde hier relativ gut bezahlt, dafür dass sie nur kellnerte - dafür erwartete man aber auch, dass sie den Mund hielt. Rabbe hatte schon früher von diesem Empfang gehört - Hier traf sich die Cremé de la mal[ * Welshters 8. Ausgabe - "Böshaftigkeitscreme" *] Überwalds jedes Jahr um neue Komplotte zu schmieden, die Feinde im Augen zu behalten und ganz allgemein den Schein aufrecht zu erhalten als 'wären sie alle nur gute Freunde'. Die Gäste waren aus nahezu jeder ethnischen Gruppe vorhanden; Menschen, Trolle, Zwerge, Werwölfe und Vampire gingen auf gleicher Ebene miteinander um. Für sie war nicht wichtig welche Spezies hatte - Ein Verbrecher war als erstes immer ein Verbrecher.
Rabbe sah hastig zur Seite als eine Gruppe Prostituierte in geradeso legalem Alter [6] an ihr vorbei in die große Halle schritt.
Manche Leute würden sich an Rabbes Stelle Sorgen um ihre Sicherheit machen - sie tat es nicht. Ihr Bruder hatte hier zwei Jahre gearbeitet und eigentlich wussten alle Bewohner im näheren Umkreis dass dies ein ungefährlicher Dschob war - so lange man sich nicht einbildete irgendwelche Fragen stellen zu können. Alle wussten dass Lord Secanbomum ein Verbrecher war der seine Verbrecherfreunde nun mal jedes Jahr in sein Verbrechernest einladen wollte und dafür ein paar Zusatzbedienstete brauchte - die sich nicht beschwerten zwischen zwei und sechs nicht vorhergesehener Überstunden zu machen und bei Verbrechen wegzuschauen.
Und Rabbe tat genau dies. Sie servierte Drinks, Drogen, Essen, blickte zur Seite wenn jemand auf einmal niedergeschlagen und aus dem Raum geschleift wurde und ignorierte die jungen Mädchen die sich an den alten Säulen hochzogen.
Aber was tat man nicht für die Menschen die einem nahe standen? Ihre elendige Säufer-Mutter beharrte dass kein Schulgeld da war, deshalb verdiente Rabbe so viel Geld wie sie nur konnte um ihrer Schwester eine passable Ausbildung zu ermöglichen. Sie selbst hatte nur ein Jahr auf der Schule verbracht - lang genug um Lesen, Schreiben, Rechnen und eine Handvoll anderer Tätigkeiten zu lernen. Danach waren andere Dinge wichtiger geworden. "Aber Mauricia ist intelligent. Etwas naiv, aber sie braucht eine vernünftige Ausbildung, schon allein um ihre Naivität auszugleichen. Am Ende wird irgendein Mistkerl sie sonst noch ausnutzen und das würde er nicht überleben", dachte Rabbe leicht genervt. Sie konnte diesen Job nicht leiden, diese Typen waren der Abschaum der Gesellschaft, ruinierten die Leben unzähliger Unschuldiger und machten dabei reichlich Kohle.
"Hey! Du da!"
Rabbe drehte sich überrascht um, bemerkte dann aber das nicht sie gemeint gewesen war. Cero, Sohn des Hausherren herrschte eine der Stripperinnen an. "Du schaust nicht unterwürfig genug! Auf die Knie!" Das Mädchen das nicht alt genug aussah um zu trinken ging ungelenk auf die Knie und schien den Tränen nah. Sie wirkte unsicher und bemühte sich um einen unterwürfigen Ausdruck, weshalb es umso derber wirkte als Ceros Fuß sie im Gesicht traf.
Rabbe ballte die Fäuste und biss die Zähne zusammen. "Schau weg. Schau weg verdammt. Tu so als wäre nichts, du weißt das gehört hier dazu." Doch sie konnte sich nicht dazu bringen den Blick abzuwenden. Cero schlug auf die Frau ein und riss ihr dann die wenige Bekleidung vom Leib bevor er sich an seiner eigenen Kleidung zu schaffen machte.
Rabbe hob ihr Tablett auf und zwang sich, weiter zu gehen. Alles in ihr schrie, einzugreifen und das hier zu verhindern, aber es gab keine Wahl. Die Mädchen die sich für diesen Teil bereit stellten hatten für gewöhnlich keine Wahl oder fanden vielleicht sogar Gefallen daran. So oder so wussten die Leichtbekleideten, womit sie rechnen mussten. Hätte Rabbe etwas unternommen wäre das für sie beide ein Todesurteil gewesen.
Der weitere Abend stellte immer wieder ähnliche Szenen zur Schau, teils von anderen Teilen der hohen Gesellschaft, aber Cero und sein Vater zeigten selbst immer wieder was für widerliche Typen sie waren. Der Ältere stand seinem Sohn im Betatschen von jungen Frauen um nichts nach, während seine Frau sich an geistesumnebelnden Substanzen ergötzte und die anderen Gäste zwischen Zigarrenqualm und Brandy über neue Waffenlieferungen, Erpressungen und Mordkomplotte diskutieren.

Der Abend zog sich. Als sie viele Stunden später mit Putzen fertig war, der letzte Gast zu Bett getorkelt, die letzte Kotzlache aufgewischt war, sie ihre Kleidung abgab und ihren Lohn erhielt fühlte Rabbe sich unermesslich dreckig. Sie hatte sehr, sehr viel Geld für die Arbeit hier verdient. Aber es war Blutgeld, das wusste sie.
Sie hasste sich weil sie es annehmen musste.

Während die zukünftige Wächterin vom Hof verschwand blickte ihr Cero aus einem Fenster im Obergeschoss nach. Nachdem ihre Gestalt verschwunden war starrte er noch einen kurzen Moment in die Nacht bevor er sich ruckartig umdrehte.
"Warum heuern wir jedes Jahr neue Diener an die wir dann mit dem Leben davon kommen lassen? Die Nutten tun das nicht immer, schön und gut, aber es gehen jedes Jahr Zeugen hier raus die sonst was mitgehört haben oder gesehen haben könnten. Je mehr die Leute über uns wissen und je mehr wir verschonen, desto weniger Respekt hat dieses Pack vor uns. Diese schwarzhaarige Tusse die als letzte weg ist zum Beispiel. Als ich mich vorhin mit einem Mädchen niederließ hat die gestarrt wie ein Pferd. Warum lassen wir solches Verhalten immer noch zu? Das ist eine Respektlosigkeit sondergleichen!", entfuhr es ihm und er blickte seinen Vater zornig an. Dieser nahm entspannt einen Zug aus seiner Pfeife. Er saß in seinem roten Morgenmantel in einem Ohrensessel und hatte die Augen geschlossen. Die große Tagung war wieder recht vergnüglich gewesen. Lord Sicorax hatte wieder versucht ihn zu töten, nur zweimal dieses Jahr, aber doch auf recht vergnügliche Weise. Ein mit Silberstaub versetzter Eiswürfel in seinem Drink und ein Pelikan-Assassine.
Mane Secabonum lächelte leicht. Die Versuche wurden jedes Jahr kreativer und waren meist höchst amüsant.
"Weil wir keinen Grund haben sie zu töten, Cero. Lebendig nutzen uns die Einwohner mehr, erstens weil wir sonst innerhalb weniger Jahre keine Bürger mehr hätten die wir einstellen könnten, zweitens weil plötzliche Spiele für die Leute so viel erschreckender sind und drittens haben wir so die Möglichkeit... ihre körperlichen Ressourcen zu nutzen."
Cero blickte ihn verärgert und irritiert an. "Wie meinst du das... ihre Ressourcen nutzen?"
"Hast du dir mal überlegt dass es mehr gibt als dieses Fleckchen Überwald? Das wir als überlegene Lebensformen die Pflicht haben, uns auszubreiten? Wenn wir genug Wirtskörper zur Verfügung haben wird es kein Problem eine kleine Armee aufzustellen. Leider müssen wir dafür eine leichte Verunreinigung unseres Blutes in Kauf nehmen aber... wenn wir unseren Einfluss früh genug stärken, wird das kein Problem sein. Wir werden eine große Anzahl von uns erreichen können und dann unser Gebiet langsam ausbreiten."
Cero blickte ihn zweifelnd an. "Ich werde mich sicher nicht um einen Haufen schreiender Bälger kümmern, ganz davon abgesehen dass du keine Garantie hast, dass sie deinem Pfad folgen werden."
Sein Vater grinste ihn bösartig an. "Und ob ich die habe."

*Gegenwart, Überwald*

Rabbe erwachte aus unruhigen Träumen. Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren, raffte sich dann aber auf. Sie erinnerte sich gut an jene Zeit damals. Sie hatte jeden Job angenommen um ihrer Schwester die Ausbildung zu ermöglichen... und kurz nachdem sie bei dem Empfang der Secabonums gearbeitet hatte waren die Überfälle losgegangen. Die umliegenden Dörfer waren regelmäßig von den Wölfen heimgesucht worden. Es wurden vergleichsweise wenige Leute umgebracht, dafür die Frauen regelmäßig vergewaltigt und häufiger geschwängert worden.
Die Wächterin kämpfte gegen den bitteren Geschmack, der sich in ihrem Mund ausbreitete, während sie ihr Pferd sattelte und den grässlichen Kaffee herunter spülte den sie mehr schlecht als recht noch zustande bekommen hatte. Es war ihr letzter.
Schauerkrault hatte sich gewehrt gegen die Zustände. Die anderen Dörfer hatten akzeptiert dass sie nichts tun konnten gegen den Terror der Secabonums denen sie zum Teil auch in Leibeigenheit verpflichtet waren, aber Schauerkrault hatte sich gewehrt. Sie hatten versucht, die Werwölfe aus dem Dorf zu halten, hatten eigene kleine Patrouillen aufgestellt und ab Einbruch der Dunkelheit gingen nur noch Dreiergruppen durchs Dorf.
Gut eineinhalb Jahre nach Einführen all dieser Schutzmaßnahmen war der Überfall gekommen. Die Secabonums wollten die Aufmüpfigkeit der Schauerkrautler nicht länger tolerieren und das Ergebnis war jenes Massaker, das auch Rabbes Schwester das Leben gekostet hatte.
Geistesabwesend wischte sich die Wächterin eine Träne aus den Augen. Sie würde bald ankommen, das wusste sie. Sie hatte Angst davor, ihre Heimat wieder zu sehen. Sie verband damit vor allem das Blutbad dass sie vertrieben hatte, und sie wusste nicht was aus der Ortschaft geworden war.

*Wenige Stunden später, Burg Secabonum*

Mane Secabonum stand am Kopf der Treppe und sah zufrieden zu, wie die Kutsche ankam und ein paar Leute ausstiegen. Cero, der die Spitze der auf Lord Secabonum zusteuernden Truppe bildete, trug eine gefesselte Gestalt über der Schulter, die er dann mehr oder weniger sachte an dem Fuß der Treppe ablegte. "Wir haben den Schneidgut, Vater. Was willst du mit ihm anfangen?"
"Das kann dir im Augenblick egal sein. Ist er in gutem Zustand?"
Cero packte Jargon und zog seinen Kopf nach hinten. "Er atmet stabil."
"Das wird für den Moment genügen. Ruh dich nun aus, mein Sohn." Er blickte an Cero vorbei zu den Anderen. "Ihr könnt euch entfernen, schickt beim Hinausgehen Lagida zu mir." Die Männer nickten und tauschten einen skeptischen Blick bevor sie sich entfernten.
Lord Secabonum ging zu Jargon hinunter, löste ihm die Fesseln und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. "Hallo Jargon. Kennst du mich noch, mein Junge?" Jargon antwortete nicht. Seine Augen schienen halboffen und eines seiner Lider flatterte, doch abgesehen von einem leicht gequälten Atmen gab er keinen Ton von sich. "Das wird schon wieder, Jargon." In diesem Moment kam eine schwarzhaarige Frau näher und verneigte sich vor Mane. "Ihr habt gerufen, mein Herr?"
"Ja. Bitte bring unseren Gast in das große Gästezimmer. Sorg dafür dass er gebadet und frisiert wird und gib ihm Kleidung Nummer zwei."
Lagida blickte leicht verwirrt von Jargon zu Mane, nickte dann aber. "Wie sie wünschen."

Jargon erwachte als sein Körper in wohltuendes, heißes Wasser getaucht wurde. Er befand sich in einem Dämmerzustand. Er wusste nicht, warum er plötzlich in diesem angenehm warmen Wasser war und war noch zu verschlafen, um in diesem Umfeld seine Blase zu kontrollieren. Er nahm die übertrieben süßen Gerüche von Duftölen war und dass ihn irgendetwas bewegte, konnte jedoch zu keiner Erkenntnis gelangen was genau geschah. Seine Augen waren geschlossen und er unternahm keinen Versuch sie zu öffnen. Die letzten paar Tage waren grauenhaft gewesen. Ein Teil von ihm fürchtete, dass wenn er die Augen öffnete er wieder nur Tod und Gewalt sehen würde.
Also ließ er sie zu. Er trieb in der sanften Ungewissheit des Halbschlafs bis ihm etwas Bestimmtes klar wurde.
Jemand schrubbte ihm den Rücken. Weiche Haut presste sich an seine Beine und seinen unteren Rücken während jemand seinen Rücken mit einer Bürste und dann mit einer Art sehr weichen Schwämmen zu bearbeiten schien.
Jargons schluckte und versuchte sich so schnell er konnte zu lösen. Als er sich umdrehte erblickte er eine schwarzhaarige Frau mit einer Scheuerbürste in der Hand, die ihn verwirrt anblickte.
"Ist etwas nicht in Ordnung?", fragte sie und ging auf die Knie hoch. Jargon blickte sie entrüstet an. Dass sie nackt war und nur wenig Schaum ihre angenehmen Proportionen bedeckte interessierte ihn wenig. "Wer zur Hölle sind sie? Und wo zur Hölle bin ich? Und wo sind meine Klamotten?" Der Wächter blickte sich panisch um. Der Raum in dem er sich befand war in dunklen Tönen gehalten, der Boden bestand aus glatten, dunkelblauen Fließen bedeckt mit sehr teuren Frotteeteppichen. An den Wänden hingen rote Tücher und hinter der runden, zehn Meter durchmessenden Badewanne schien ein Vorhang diesen Raum von einem anderen zu trennen.
"Ich bin Lagida, Dienerin meines Herren Mane Secabonum. Du bist Gast in seinem Haus und deine Kleidung war dreckig und abgetragen, wir haben sie weggebracht. Würdest du dich nun bitte wieder hersetzen? Ich habe deine Vorderseite noch nicht gereinigt."
"Wie weggebracht? Was heißt das, weggebracht?" Jargon wartete nicht auf eine Antwort sondern verließ so schnell er konnte die Wanne und rannte in Richtung des Vorhanges.


Jargon Schneidgut



In diesem Moment fühlte Jargon nur noch Verwirrung - war er jetzt gerettet worden? Hatte ihn jemand aus den Fängen der Werwölfe befreit? Oder hatten sie ihn dahin gebracht, wo sie ihn wollten?
Er riss den dicken, warmen Vorhang beiseite, seine Bewegungen wurden etwas langsamer. Er befand sich jetzt in einem großen, teuer aber spärlich eingerichteten Schlafzimmer. Jedes Möbelstück hatte eine Art von Masse an sich, wie zusammengestauchter Reichtum. Es mangelte weder an Bett noch an Polster. Auch an Kleiderschrank- und Kronleuchter-Masse war mehr vorhanden, als Jargon in seinem Leben bisher zu Gesicht bekommen hatte. Der Leuchter, der im Eingangsbereich der Anwaltsgilde hing, sah zwar nett aus, trug aber nicht dieses Gefühl von durchgängigem Wert. Dieser hier war... prachtvoll. Aus blank poliertem Silber (oder war es Stahl?), mit viel Glas. Die Kerzen waren weiß und brannten tatsächlich auch.
Einen Moment lang starrte Jargon und hörte, wie hinter ihm Wasser plätscherte und sich watende Schritte näherten. Er drehte sich nicht um.
"Wo genau bin ich nochmal?"
"Im Herrenhaus Secabonum", antwortete die Frau.
Jargon starrte noch ein wenig, dann fuhr er sich mit der Hand durchs Gesicht und begann zu überlegen.
Irgendein Kerl aus Überwald hat mich von drei Werwölfen entführen lassen... den ganzen Weg von Ankh-Morpork.
"Also... ich habe gesagt bekommen, ich soll dich waschen...", sagte die Frau hinter ihm zögerlich.
Was ist da in der Kutsche passiert? Da war dieser Kerl... er ist hereingekommen - und dann?
Er versuchte, sich zu erinnern, aber irgendetwas in ihm drängte ihn, es nicht zu tun.
Ich muss ohnmächtig geworden sein... vermutlich die Erschöpfung.
Seine Handgelenke brannten an den Stellen, an denen er sie am Holzbalken aufgerissen hatte. Mit jedem weiteren Atemzug spürte er, wie sein Körper an allen möglichen Stellen pochte und schmerzte, an den Rippen, den Beinen - und der Kopf erst!
"Ist- ist alles in Ordnung bei dir?"
Jetzt drehte er sich zu der Frau um, die ihn mit einem Ausdruck äußerster Verwirrtheit ansah. Ihren restlichen Körper, der unbedeckt war, blendete er für den Moment aus.
"Nein... mit mir ist nicht alles in Ordnung...", sagte er langsam. Er starrte sie an und versuchte zu erkennen, ob sie tatsächlich keine Ahnung hatte was los war oder ob sie sich über ihn lustig machte. Sie schwieg und beobachtete ihn. Nicht nur im Gesicht.
"Bitte lass mich allein", sagte Jargon und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er sich für seine Nacktheit schämte. Er glaubte nicht, dass es ihm gelang.
Sie legte den Kopf schief, offenbar immer noch verwirrt.
"Aber-"
"Lass mich allein", unterbrach er sie, etwas energischer, "Bitte. Ich will allein sein. Jetzt."
Sie sah unsicher zwischen ihm un der Tür hin und her, ihre Brauen zogen sich zusammen.
"Aber mein Herr-"
In diesem Moment klopfte es an der Tür.
"Lagida! Ist er fertig?", rief eine männliche, aber hohe, fast schon jugendliche Stimme.
Sie starrte ihn entsetzt an, dann packte sie einen Schwamm, der neben der Wanne lag und begann, Jargons Oberkörper abzureiben.
"Äh, ja, einen Moment noch-!", rief sie zur Tür.
"Lass das! Ich will nicht- ich- ich-" Jargon wehrte die Waschattacken Lagidas fast schon halbherzig ab, als er sah, wie sie ihm einen bittenden Blick zuwarf.
"Ich- lass mich mich einfach selbst waschen-" Er nahm ihr den Schwamm aus der Hand und ging rückwärts zur Wanne, verwirrt und ein wenig mitleidig. Sie war offensichtlich in einer ungünstigen Situation, und er wollte nicht, dass sie wegen ihm Ärger bekam.
"Lagida! Der Herr will ihn gleich sehen!"
"Ich bin gleich soweit!", rief sie, sah zu Jargon und flehte mit ihren Blicken.
Er wusch sich Blut und Schlamm aus dem Gesicht und vom Körper und fühlte sich furchtbar - beschämt, ausgenutzt. Wenn sie nur einfach wegsehen würde.
Zu seiner Erleichterung ging sie zum Bett, offenbar um seine Kleidung zu holen.
Er sah sich um. Keine Fenster, keine Gitter, keine Spalten. Es war höchstens ein winziger Ablaufschlitz in der Wanne, aber das änderte nichts- Er war in einer reich eingerichteten Gefängniszelle.
Was soll ich tun? Soll ich-
Er hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Nicht ruckartig, sondern fast schon sanft. Jargon huschte zum Vorhang und versuchte, nicht sichtbar zu sein während er ins Zimmer spähte.
Ein junger Mann war hereingekommen, eine Art Uniform tragend. Diese bestand vor allem aus schwarzem Stoff, war aber reich mit silbernen Tressen verziert. Der Mann trug ebenso schwarze Lederstiefel mit silbernen Schnürsenkeln und Knöpfen und einem Pelzeinsatz. Seine Haare waren kurz und braun, seine Augen grau und auf merkwürdige Weise durchscheinend. Er wirkte... geduldig. Freundlich.
Er schloss die Tür hinter sich und legte Lagida zum Gruß die Hand auf die Schulter.
Die nackte Frau hielt die Kleider vom Bett vor sich und nickte nervös.
"Wo ist er denn?", fragte der Mann und sah sich um. Er zeigte auf den Badezimmervorhang, direkt dorthin, wo Jargon sich versteckte. "Noch im Bad?"
"Ja", antwortete Lagida und eilte mit den Kleidern zum Vorhang.
Jargon wich vom Vorhang zurück, als sie hereinkam und ihm die Sachen hinhielt. Es war eine Uniform in der Art, wie sie der Mann im Zimmer trug.
Was? Was soll das? Denken die, ich bin einer von ihnen? Wollen die mich zu einem von ihnen machen?
"Bitte zieh es an, Herr... Man erwartet dich schon."
Jargon zögerte, aber er zog die Sachen an. Es war zumindest besser, als nackt zu sein. Lagida wirkte merkwürdig erleichtert als er ihr den Stapel aus der Hand nahm und holte sich sofort einen Bademantel aus einer Ecke des Badezimmers.
Die Uniform war etwas zu groß, aber sie schien einigermaßen zu passen. Die Stiefel fühlten sich merkwürdig eng an, anders als die, die er von seinem Großvater (mütterlicherseits) zur Volljährigkeit bekommen hatte. Einen Moment lang fühlte er Panik beim Gedanken an seine Kleider - seine Stiefel, seine Jacke! Seine Papiere! - aber er schluckte die aufsteigende Angst und sagte sich, dass er im Anbetracht der Umstände andere Sorgen haben sollte.
Lagida verließ das Bad und sagte "Er ist soweit, Herr."
"Gut", antwortete der Mann. "Du kannst gehen."
Jargon hörte Schritte und die Tür auf- und zugehen.
Was jetzt?, dachte er und spürte Angst in sich aufsteigen.
"Komm nur raus Jargon, ich bin mir sicher, die Uniform steht dir ausgezeichnet!"
Jargon starrte auf den Badezimmervorhang. Er schluckte und schob ihn dann zur Seite, den Körper angespannt.
"Na also... ich sagte doch, steht dir." Der junge Mann lächelte ihn an. Dann streckte er ihm seine Hand entgegen.
"Ich bin Theo."
Jargon starrte ihn an.
Was jetzt? Soll ich versuchen ihn zu überwältigen? Oder herausfinden, was zum Geier hier vor sich geht?
Er sagte nichts, und er hielt Theo auch seine Hand nicht hin. Der junge Mann machte eine auffordernde Geste, aber Jargon sah nur zu ihm hoch und starrte. Es herrschte kurz Stille. Theo senkte die Hand.
"Was wollen sie von mir?", fragte Jargon dann.
Theo lachte.
"Ohje-" Er stellte sich neben Jargon und legte ihm eine Hand um die Schultern, während er ihn in Richtung Tür bugsierte. "Ich versteh' schon... das muss dir ziemlich komisch vorkommen... Entführung und so. Naja." Theo tätschelte ihm die Schulter und öffnete die Tür.
"Das wird sich alles gleich aufklären. Warts nur ab." Er lächelte wieder. Jargon nicht.
Sie traten auf einen Gang, der die gleiche Grundstruktur aufwies wie das Zimmer: Die Wände bestanden aus dunklem Stein, der Boden wurde zum Teil von einem gewaltigen, roten Teppich bedeckt und an den Wänden hingen teuer aussehende Kerzenleuchter. Keine Fenster.
Ich spiele erstmal mit, dachte Jargon. So wie es aussieht komme ich hier nicht weit, wenn ich keine Ahnung habe was los ist.
Sie liefen durch den Gang. Jargons Füße versanken zum Teil in dem Teppich, während er Theo immer wieder misstrauische Blicke zuwarf. Dieser lächelte ihm zu.
"Weißt du, ich habe sehr lang auf diesen Tag gewartet", sagt er dann. Jargon schluckte.
"Wieso?" Seine Stimme schien so klein, dünn. Es ärgerte ihn.
"Na, weil- ach." Theo winkte ab. "Das wirst du gleich merken."
Sie standen vor einer hohen, aus dunklem Holz bestehenden Tür, die sich stilistisch sehr gut in das bisherige Schema der Inneneinrichtung einreihte. Sie war mit viel Eisen beschlagen und mehrfach verstärkt. Jede einzelne Planke war mit Mustern und Schnitzereien verziert, hier und da waren einige Szenerien zu erkennen. Jargon hatte nicht viel Zeit, hinzusehen, denn sie wurde sofort geöffnet, als sie sich auf einen Meter näherten.
Er sah in einen Thronsaal- anders war es nicht zu beschreiben. Der rote Teppich führte auf ein Treppchen zu, an dessen Spitze ein hoher, aus Holz, Stein und Eisen gefertigter Thron stand, wie die Tür mit vielen Intarsien und Verzierungen bedacht.
Auf dem Thron saß ein älterer Mann, das Gesicht kantig und faltig, die Haare weiß und lang. Der Bart des Mannes reichte auf seine Brust, und seine Augen waren durchscheinend grau mit einem leichten Grünstich. Der Mann trug etwas, das Theos Uniform in der Farbe ähnelte, aber es hatte mehr Pelz. Die Jacke war offen, und die Brust des Mannes ansonsten unbedeckt. Unter dichtem, grauen Haar konnte man eine eindrucksvolle Muskulatur erkennen.
Theo bedeutete Jargon, voranzugehen. Er tat es.
Der Mann auf dem Thron erhob sich, sobald er den ersten Schritt in den Thronsaal getan hatte und breitete die Arme aus.
"Jargon! Wie schön dich wiederzusehen!" Er lächelte breit. "Es ist so lange her, seit ich dich das letzte mal sah... Auch wenn ich sagen muss, dass du seitdem nicht mehr viel gewachsen bist." Der Weißhaarige musterte ihn genau.
"Aber ich erkenne mein Gesicht in deinem wieder." Er lächelte breiter. "Wie hätte es anders sein können."
Er trat vom Thron herab auf Jargon zu.
"Willkommen daheim, mein Sohn!"


Rabbe Schraubendrehr


Rabbe lugte vorsichtig hinter einem hohen Zaun hervor. Die letzten Stunden hatten sie sehr aufgewühlt. Nachdem sie einige Zeit geritten war hatte sie Schauerkrault erreicht. Ihr Heimatdorf, in dem sie geboren und aufgewachsen war. Sie hatte nicht erwartet dass alles noch stand, dass es ihr Haus noch gab oder dass noch besonders viele Leute dort lebten. Dass das ganze Dorf offenbar vor langer Zeit vollkommen nieder gebrannt worden war, hatte sie aber auch nicht erwartet.
Nachdem sie eine Weile durch die Ruine marschiert war hatte sie erkannt, dass es dort nichts mehr für sie gab und sie sich lieber wieder auf den Weg machen sollte. Nun war sie im letzten Dorf vor Burg Secabonum.
Was sie hier sah gefiel ihr nicht.
Die Leute schienen inzwischen alle im Dienste Lord Secabonums zu stehen. Überall liefen Leute in einer merkwürdigen schwarzen Uniform herum, junge Männer und ein paar wenige Frauen. Sie alle schienen sehr durchtrainiert. Alle anderen trugen einen merkwürdig furchtsamen Ausdruck im Gesicht und mieden die uniformierten allgemein. "Verdammt. Der Kerl baut sich seine eigene Armee auf", schoss es Rabbe besorgt durch den Kopf. Sie hielt willkürlich Ausschau nach einem Klackerturm als ihr kurz die Idee kam, Meldung über dieses Problem zu machen, verwarf die Überlegung aber schnell wieder. Die Nachricht würde nie übermittelt werden, selbst wenn sie sicher zu einem Klackerturm käme.
Rabbe schlich durch die Gasse zurück bis sie an eine Kreuzung kam, wo sie eine Weile im Schatten lauerte. Dauernd liefen Leute vorbei, Männer und Frauen, die meisten in Uniform. Nach etwas über einer Stunde Wartezeit (während der sie zweimal fast entdeckt worden wäre) hatte der Verkehrsfluss deutlich aufgehört. Meist gingen jetzt nur noch vereinzelt Leute ihren Weg, was die Möglichkeit eröffnete, jemanden anzusprechen.
Die Wächterin wartete ein wenig bis eine einzelne Frau vorbei lief bis sie aktiv wurde. "Hallo! Hallo hören Sie mich!", rief sie mit betont erschöpfter Stimme. Die Frau in Uniform zog ein Messer und kam langsam näher. "Wer ist da?", rief sie herrisch.
"Hallo! Ich... ich bin aus dem Nachbardorf, ich muss herunter gefallen sein..." erklärte Rabbe, noch immer im Schatten. Als die Frau noch knapp drei Meter entfernt war sprang Rabbe aus dem Schatten, schlug der Frau ins Gesicht und bekam von ihr einen langen Schnitt im Arm verpasst. "Arrrrgh!", entfuhr es beiden gleichzeitig, doch keiner nahm sich Zeit um die Wunden zu lecken. Rabbe trat ihr mit aller Kraft ans Schienenbein und packte ihre Kette. Sie schwang sie kurz herum und erstarrte. Die Umrisse der Frau waren in einem Sekundbruchteil undeutlich geworden. Dann veränderte sich ihre Gesichts- und Körperform, Haare breiteten sich aus und die Uniform fiel zu Boden. All dies geschah sehr schnell und bevor Rabbe irgendwie reagieren konnte stürzte sich der Werwolf auf sie. Das Tier biss ihr in die Schulter und jaulte beinahe sofort schmerzerfüllt auf. Rabbe war noch immer überrascht, riss aber dennoch ihre Kette so herum dass die Wölfin gegen die silbernen Glieder rannte. Die Wächterin ließ sich auf den Rücken des Tieres fallen, drückte es zu Boden und presste ihr die Silberglieder auf die Augen. Das Tier jaulte und schrie entsetzlich doch Rabbe hörte es kaum. Vor ihren Augen brannte ihr Dorf und ihre Schwester schrie um Gnade, weinte und wurde zerfetzt.
Das Jaulen des Wolfes wurde leiser und Rabbe zwang sich die Kette zu lösen. Die Wölfin jammerte leise. Das Fleisch war verbrannt. Die Augen sahen aus wie durchgebraten. Rabbe blickte das Tier an. Es war ein Werwolf. Der sie umgebracht hätte wenn sie nicht so gehandelt hätte - der dies vielleicht immer noch konnte...
Aber jemand anderen so schrecklich zu verletzen war dennoch nicht schön. Das Tier sank auf dem Boden zusammen und die Wächterin hoffte, dass es nur ohnmächtig wurde. Trotz all ihres Hasses gegen Cero und Seinesgleichen wusste er dennoch nicht, wer diese junge Frau war. Vielleicht hatte auch sie eine Schwester, die sich nun um eine verkrüppelte Blinde würde kümmern müssen, falls sie den Tag überlebte...
Rabbe übergab sich. Sie konnte nicht damit umgehen dass sie eben fast jemanden getötet hätte. Ohne nachzudenken. Ohne irgendetwas über diese Person zu wissen. Vielleicht wollte sie gar nicht für die Secabonums arbeiten, vielleicht wurde sie gezwungen, vielleicht...
"Durchatmen Rabbe. Atmen. Es bringt jetzt nichts sich fertig zu machen. Falls wir zurückkommen können wir's ja dem Stammagenten erzählen, der führt uns bestimmt unserer gerechten Strafe zu..."
Ein bitteres Lächeln huschte über Rabbes Gesicht und sie wischte sich den Mund ab, und sammelte die Kleidung auf. Sie hatte nicht wirklich für ein danach geplant. Aber ja. Falls sie durch irgendeinen verrückten Zufall überleben sollte und wirklich mit Schuld zu kämpfen hatte würde ihr der Zwerg sicher gerne Strafen in Aussicht stellen.
Rabbe streifte ihre Jacke ab und schnallte die Uniformjacke über, die Hose tauschte sie komplett aus und verstaute ihre Sachen in ihrem Rucksack.
Ihr Blick fiel erneut auf den bewusstlosen Wolf. Sie schluckte und fluchte leise. Dann zog sie ihre Jacke wieder heraus und deckte den Wolf zu bevor sie langsam zum Rand der Gasse ging. Die Straße schien leer. Rabbe wartete noch einen Moment, dann lief sie los.


*Kurz vor dem Rand Gegenwolks*

Sebulon hustete und zupfte sich Spinnenweben aus dem Bart. Wie sie inzwischen wussten hatte das Ausrufezeichen auf der Karte bedeutet, dass sie den Weg ab jenem Zeitpunkt hatten unterirdisch fortsetzen müssen... mit wenigen Lampen. Ihm als Zwerg hatte die Dunkelheit natürlich nicht viel ausgemacht - die Spinnenweben und die kohlehaltige Luft waren ihm da deutlich unangenehmer gewesen. Ikari und Rib schienen dagegen relativ unbewegt geblieben zu sein - sah man davon ab, dass sie wegen Rib zweimal hatten kurz umkehren müssen weil er in einem Spinnennetz hängen geblieben war.
"Und wir wissen immer noch nicht wo genau wir hinmüssen", dachte der Stammagent besorgt. Eindeutig gesagt hatte Rabbe nur dass es Überwald in der Kwäknie Region war, irgendwo um Graubach herum... Rogi meinte, die Wächterin hätte im Schlaf dauernd etwas über "Schauerkrault" und "Secabonum" erwähnt... beim eiligen Nachforschen hatte sich herausgestellt, dass Rabbe aus dem Dorf Schauerkrault in der Region stammte und dass die Secabonums eine bekannte Adelsfamilie in der Umgebung waren, weshalb der Zwerg davon ausging dass es da eine Verbindung gab.
Etwas anderes beunruhigte ihn aber mehr.
Der Name Secabonum konnte aus dem Latatinischen direkt ins Morporkiansiche übersetzt werden... daraus wurden in der Grundform dann die Worte "trennen" und "gut"... oder auch Trenngut.
Der Zwerg schüttelte willkürlich den Kopf. Es brachte ihm nichts darüber nachzudenken ob es zwischen der Familie selbst und Jargon eine Verbindung gab, ob er inzwischen vielleicht gar nicht mehr gerettet werden wollte...
Ein tiefer (wenn auch vorsichtiger) Atemzug. Auf die viel zu dunkle Strecke konzentrieren. Solche Gedanken waren nutzlos. Sebulon wusste, er würde sich nur aufregen wenn er über diese Möglichkeit nachdachte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen dass Jargon irgendetwas mit einer solchen Familie zu tun hatte.
Andersereits konnte sich schließlich niemand seine Familie aussuchen.
Auch Wächter nicht.

*Salon der Secabonums*

Lord Secabonum lief in dem teuer dekorierten Raum langsam auf und ab.
"...wie du vielleicht bereits wusstest. Immerhin war deine Mutter durchaus eine... gewöhnlichere Frau, aber ich wusste, ich wusste schon immer, dass du etwas Besonderes bist, Jargon. Dass Großes aus dir werden kann und du eine hohe Position gut würdest übernehmen können. Aber lass mich mich nicht übereilen... Sag noch nichts, bitte, ich will dir erst die ganze Dimension meines,- unseres Planes erklären."
Mane strahlte Jargon an und schenkte ihm mehr Cognac nach, den dieser in langsamen Schlucken trank. Jargon saß geradezu statisch da und hörte seinem Vater ohne sichtbare Regung zu. Es wurde nicht recht deutlich, was in ihm vorging, was für alle die ihn beobachteten [7]äußerst unbefriedigend war.
"Theo und Cero hast du ja schon kennen gelernt. Sie sind - wie du dir vielleicht schon denken kannst - deine Halbbrüder; ebenso wie diese jungen Männer und Frauen die du hier um uns herum an diesem schönen Tag versammelt siehst. Du hast tatsächlich eine ganze Menge mehr Geschwister - insgesamt über 70 aktuell und noch einmal gut 40 Nichten und Neffen." Mane grinste nun noch breiter. "Natürlich... sind nicht alle so von unserer Mission überzeugt wie mein lieber Cero hier. Es gab ein paar... unglücklichere Fälle. Nicht alle meine Nachkommen konnten die Weisheit meiner Mission erkennen, ihre... Notwendigkeit. Nein... Deshalb brauchen wir dich... Meinen ältesten, klügsten Sohn. Ja, dich brauchen wir. Als Anführer. Du wirst unsere Truppen anführen. Zunächst nach Überwald, wo du all die widerlichen Zwerge und Trolle ausrotten wirst, und dann.. nach Ankh Morpork. Ja... Die Stadt wird unser sein. Wenn alles in Asche liegt wird unser Licht erstrahlen und die Welt neu errichten, unter unserer Flagge in der nur noch ein Blut den wahren Segen bringt.. unseres. Was sagst du, Mein Sohn?"
Mane blickte Jargon erwartungsvoll an.

Jargon Schneidgut


Jargon starrte auf den Lord vor ihm und trank das Glas in seiner Hand aus. Er wusste nicht, wie oft er es bisher geleert hatte. Er spürte allerdings bereits, wie es ihm zu Kopf stieg.
"D'mit ich das jetz richtig versteh...", sagte sein Mund dann, ohne dass er sich erinnern konnte, ihn dazu aufgefordert zu haben. Es schien ihm logisch, dass der Mund entsprechend schwerfällig handelte.
"Du has' ne Menge - Kinder, ne?"
Der Lord sah ihn an, immer noch erwartungsvoll, und nickte.
"Mann...", murmelte Jargons Mund weiter, "dann muss' du echt... 'n riesen Sack ham."
Jargon musste lachen. Sein Mund konnte schon lustige Sachen sagen.
"So groß.. wie dein Ding, äh, Arsch. Du hast'n Arschsack."
Er lachte wieder, diesmal lauter. "Arschsack."
Jargon nahm die Hand vor den Mund, blinzelte panisch ob der Dinge, die da aus seinem Mund kamen und starrte seinen Gegenüber an, der plötzlich loslachte.
"Ja, da hast du wohl recht, Jargon!", lachte Lord Secabonum und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"Ich sehe schon, wir werden eine vergnügliche Zeit miteinander haben."
Seine Hand mochte die Berührung des Lords gar nicht und wischte sie ärgerlich weg.
"Nich anfassen, Arschsack!" Jargon sprang auf seine Beine. Die anderen Anwesendem im Raum gaben erschrockene Laute von sich.
"Wills' du mir jetz' ernsthaft erzähl'n du wills' versuch'n Ankh-Morp-" Sein Mund versuchte, das richtige Wort auszubilden. "Prop- äh, Morpork anzugreifen?"
Secabonum sah ihn an und versuchte, eine Augenbraue im Stile von Lord Vetinari hochzuziehen.
"Das habe ich dir doch gerade erklärt."
Jargon lachte wieder. Irgendwie war gerade alles lustig.
"Ja schon, aber- äh- wie meinst'n du wie das dem Pratizier, äh, dem Patrizier gefällt, hä?"
"Oh, Jargon", lachte der Lord wieder. "Ich sehe. du hast keine Ahnung, zu was wir fähig sind."
"Hä?", entfuhr es dem kleinen Mann und so langsam machte sich in ihm die Vermutung breit, dass der Alkohol keine so gute Idee gewesen war.
"Komm mal mit", sagt der Größere und ging auf eine Tür zu.
Jargon blieb wo er war.
"Ich hab keine Lust, dir hinterherzudackeln!", rief er. "Ich hab' auch keine Lust, irgendwas mit dir zu tun zu haben, ich kenn dich überhaupt nich, und du erzählst hier irgendwas von Familie oder sowas!" Er zeigte anklagend auf die um ihn herum versammelten Menschen, die ihn anstarrten.
"Ich kenn diese Typen doch überhaupt nicht! Was macht mich so besonders, dass ich die anführ'n soll? Überhaupt ist das doch ein dämlicher Plan, Leute ausrotten, wer zur Hölle ist so blöd zu denken, dass-"
Plötzlich traf ihn etwas im Rücken, und er fiel vornüber auf den Boden. Etwas schweres saß auf ihm und knurrte laut.
"Bermut, lass das! Geh runter von ihm!", rief Mane und kam auf Jargon zu.
Das Gewicht auf seinem Rücken veränderte sich auf merkwürdige Weise und wurde... irgendwie härter.
"Er hat dich beleidigt, Vater! Er ist genauso nutzlos wie-"
"Das liegt nur daran, dass er noch mit merkwürdigen Ankh-Morpork-Idealen vollgestopft ist! Wenn er das Training durchlaufen hat, wird er schon sehen, dass ich Recht habe."
"Aber-!"
"Geh jetzt runter von ihm!"
Das Gewicht verschwand von Jargons Rücken.
"Steh schon auf, Jargon. Ich möchte dir etwas zeigen."
Aber Jargon antwortete nicht.
"Jargon?"
Secabonum ging auf den kleinen Mann zu und kniete sich neben ihn.
"Also wenn ihn das schon ausgeknockt hat, ist er sowieso nutzlos", brummte Cero.
"Verschwinden sie", flüsterte Jargon. "Ich weiß nicht, was sie von mir wollen, aber ich bin der falsche Mann."
"Kopf hoch", sagte Mane und zerrte ihn an einem Arm auf die Beine. "Du wirst schon sehen. Vertrau mir."
Jargon schüttelte nur den Kopf.
"Wie soll ich ihnen vertrauen..? Ich kenne sie nicht. Sie sind ein völlig fremder Mann, der aus dem nichts auftaucht und mir etwas davon erzählt, dass ich sein Sohn wäre und irgendeinen Feldzug anführen soll."
Er sah sich um.
"All diese Leute sehen mich an wie ein Stück Dreck, und so fühle ich mich auch."
Jargon schluckte.
"Ich glaube, sie sind besser dran, wenn sie mich gleich töten."
"Unsinn." Mane sah Jargon in die Augen. "Ein Werwolf tötet doch keinen aus der eigenen Familie."
Einen Moment lang war Stille.
"Was?", fragte Jargon. "Sie sind auch-"
"Genau, Jargon. Wir sind alle Werwölfe! Wir alle eine große Familie, und wir wollen, dass du dich uns anschließt. Weil du auch ein Teil von uns bist!"
Jetzt musste der kleine Wächter aus Ankh-Morpork doch lachen. Ziemlich heftig sogar.
"Sie haben wirklich den Falschen erwischt!", entfuhr es ihm zwischen den Atemzügen.
"Ich bin doch kein Werwolf!"
Secabonum entfuhr ein Laut der Verwirrung, und er sah zu Cero.
"Was soll das heißen, er ist kein Werwolf?"
Cero zuckte mit den Schultern.
"Wenn er einer ist, hat er sich noch nicht gezeigt, seit wir ihn gesehen haben."
Der Lord sah verwirrt zu Jargon.
"Soll das heißen, du hast dich noch nie verwandelt? Noch nie bei Vollmond deine wahre Gestalt offenbart?"
Jargon schüttelte nur den Kopf, total verwirrt, vor Angst grinsend und mit Lachtränen in den Augen.
"Na, das ist... unerwartet." Mane strich sich durch den Bart. "Ich schätze, die Gene deiner Mutter waren doch etwas stärker als erwartet."
"Nein, verstehen sie nicht?! Ich bin nicht ihr Sohn! Ich bin kein Werwolf!" Jargon wich vor dem Mann zurück und versuchte, so viel Platz wie möglich zwischen sich und die Werwölfe zu bringen. Alle Türen waren mit Wachposten versehen - ein Fluchtversuch wäre hoffnungslos.
Doch Secabonum schüttelte den Kopf und lächelte.
"Ich weiß genau, dass du mein Sohn bist, Jargon. Ich habe dir deinen Namen gegeben. Ich habe dich vier Jahre deines Lebens erzogen. Ich habe dich alleine zurückgelassen, damit du deine eigene Stärke erkennst."
Jargon schüttelte den Kopf und kämpfte gegen die Verzweiflung an.
"Nein, das... es ist unmöglich- Ich-"
"Sieh mir ins Gesicht. Du kannst es nicht leugnen."
"Aber- das heißt..." Jargon wurde klar, dass der Mann recht hatte. Auch wenn er sich nicht an seinen Vater erinnerte, er erinnerte sich an seine Mutter, die ihm immer gesagt hatte, es wäre besser, wenn er seinen Vater nie kennenlernen würde. Die Verschwiegenheit über ihn, selbst als er erwachsen geworden war. Die Besorgnis, mit der sie ihn in den Vollmondnächten seiner Jugend betrachtet hatte. Aber er hatte nie etwas gespürt. Der Mond war ihm immer... egal gewesen. Und jetzt kam sein Vater und wollte die Weltherrschaft mit seiner Hilfe erlangen?
"Ja! Erkenne es, ich bin-"
"Ein verdammter Verrückter!", entfuhr es Jargon.
Mane schüttelte den Kopf. "Das denkst du jetzt noch. Aber ich bin mir sicher, es wird nicht lange dauern, bis sich das ändert."
"Ich hoffe, es wird sich nie ändern - außerdem bin ich doch völlig nutzlos für dich, wenn ich mich nicht verwandeln kann!"
"Das glaubst du, ja... aber keine Sorge. Ich weiß schon, wie ich das ändern kann."
"Was ändern?" Jargon sah ihn entsetzt an.
Mane nahm ihn an der Hand, wie man ein trotziges Kind nehmen könnte.
"Zuerst einmal deine Gesinnung."
Er zog ihn mit sich zu der Tür, die er schon zuvor angestrebt hatte.
"Cero, Regar, Zerrbert, ihr kommt mit." Er öffnete die Tür, und Jargon spürte unverhofft einen frischen Luftstoß.
"Und vergesst die Hühner nicht."

"Hört ihr das auch?", fragte Sebulon plötzlich und sah sich beunruhigt um. Er glaubte eine Art Schaben, oder vielleicht ein Zischen gehört zu haben.
"Ja, keine Sorge", sagte Rib und kletterte neben ihn auf den Kutschbock. Er hatte bis eben von der Hinterseite des Wagens aus die Umgebung betrachtet. "Das sind nur die Spinnen."
Sebulon starrte ihn an. "Spinnen? Welche Spinnen?"
Auch Ikari sah sich vorsichtshalber um.
"Na, die Großen. Die laufen uns schon die ganze Zeit hinterher."
"Sebulon - ich glaube, du solltest die Pferde etwas antreiben", sagte Ikari. Er wirkte ein wenig beunruhigt.
"Wieso denn?", fragte Rib. "Bei uns ist doch nichts zu holen."
"Bei euch beiden vielleicht nicht!", fluchte der Zwerg dann und ließ die Zügel knallen. Das Zischen hinter ihnen wurde ein wenig lauter, vernehmlicher.
"Oh, stimmt ja", entfuhr es Rib und er kletterte sofort auf das Wagendach.
"Ich schätze, dann sollte ich die hier runtertreten!"


Rabbe Schraubenndrehr


Rabbe bemühte sich nach Kräften die Gangart und den Blick der anderen Uniformierten nachzuahmen, merkte aber deutlich dass es ihr nicht ganz gelang. Sie war es gewohnt gelegentlich mal Streife zu gehen und beherrschte den Wächterschritt gut. Als Ermittlerin bewegte sie sich meist etwas anders, mit mehr Zielstrebigkeit, da sie damit meist besser durch die Menge kam. Aber diese Soldaten liefen... wie Uhrwerke. Viele von Ihnen hatten einen merkwürdig leeren Blick oder sahen einfach zornig aus.
Vereinzelt glaubte sie hinter einer Maske der Unbeteiligung auch Bedauern oder Trauer zu entdecken, sie wusste aber nicht wieso und niemand sagte ein Wort zu ihr. Sie war mit einer Gruppe Richtung Anwesen der Secabonums gegangen und hatte auf dem Weg nur langsam gemerkt dass sich immer mehr der schwarz Uniformierten einfanden. Was war das hier? Eine Versammlung? Und wo kamen all diese Anhänger her? Es war über 16 Jahre her dass Rabbe zuletzt hier in der Umgebung gewesen war, doch sie konnte sich kaum vorstellen wo in dieser Zeit all diese offenbar kampfwilligen Leute her gekommen waren. Gut, die meisten wirkten noch recht jung, wahrscheinlich war tatsächlich kaum jemand älter als 16 auch wenn die Männer alle schon deutlichen Bartwuchs hatten.
"Aber die Secabonums sind Werwölfe." schoss es Rabbe plötzlich durch den Kopf. "Und die Frau vorhin war auch ein Werwolf..." Rabbe schüttelte den Gedanken ab. So viele Werwölfe würden kaum zu Secabonum stehen. Die meisten Werwölfe bleiben bei ihren Clans und die Secabonums waren zwar geflüchtet, wer sich mir ihnen verbündete würde dies aber wohl nur tun um auf eine Chance zu hoffen sie zu schädigen.
Die Gruppe hatte angehalten und stand in langen Reihen ordentlich auf einem Hof, Rabbe unter ihnen. Sie bemühte sich, starr geradeaus zu sehen wie es die anderen ebenfalls taten, versuchte dabei aber auch so viel wie möglich von ihrer Umgebung zu sehen. Sie stand in der dritten Reihe. Hinter ihr noch einige mehr. Wie viele Leute waren hier? 70? 80? Rabbe konnte es nicht sicher sagen ohne deutlich zu zeigen dass sie die Leute offensichtlich nicht kannte, weshalb sie stocksteif stehen blieb und wartete. Doch worauf? Vor Ihnen war eine Art Tribüne... Würde es eine Ansprache geben? Was war wenn man sie erkannte? Und würde Cero dort sein?
Rabbes Gesicht verzog sich unwillkürlich zu einer wütenden Fratze, doch sie verbarg es schnell wieder hinter einer Maske der Ausdruckslosigkeit. Im Stummen dachte sie sich, dass dies wohl das einzige war was ihr die IA-Verhöre je gebracht hatten... sie hatte gelernt besser zu verschleiern was wirklich in ihr vorging.


Hinterhof der Secabonums

Jargon wurde nach Draußen geführt und genoss im ersten Moment das Gefühl der frischen Luft die durch seine Atemwege wehte.
"Sieh, Jargon... ich will dir etwas zeigen!" Mane legte seinen Arm wieder väterlich auf Jargons Schulter und führte ihn ein Stück weiter. Jargons Versuche, die Hand abzuschütteln waren wirkungslos, zumal er noch immer stark alkoholisiert war.
Der Wächter trat um die Ecke und ihm stockte für einen Moment der Atem. Auf dem Boden lag eine zerfleischte Leiche.
In Jargons Kopf schien es zu pfeifen als seine Gedanken nur kurze Zeit zurück reisten, zu seiner Reise hierher... Es war dunkel, es waren Schreie zu hören.. dann kam dieser Mann in die Kutsche und dann..
Blut. Überall Blut. Der Mann sah nicht aus als wäre er schnell gestorben. Er hatte überall Biss- und Reisswunden und eine Art... Loch in der Brust. Die Rippen standen hervor und es sah aus als hätte man einen Teil seines Brustkorbs einfach durch einen Fleischwolf gedreht.
Jargon wurde schwindelig. Er hatte zugesehen wie dies passiert war, aber.. er hatte nichts tun können und weil es zu schrecklich war hatte er es ausgeblendet, hatte ignoriert was mit diesem Mann geschah weil er es nicht ertragen konnte. Weil ihn sonst der Wahnsinn ereilt hätte.
"Siehst du Jargon...", unterbrach die Stimme seines Vaters seine Gedanken. "Das passiert mit jedem der sich gegen uns stellt. Jeder, der sich weigert unseren Kurs zu unterstützen oder uns irgendwie belästigt... Ja, auch dieser einfache Wegelagerer hat dieses Schicksal absolut verdient. Niemand darf uns in Frage stellen."
In Jargon riss eine Art Band. Er drehte sich um, packte seinen Vater am Revers und schrie ihn wortlos an. Er schrie und schrie bis er irgendwann merkte wie vage Worte daraus wurden. Wie er ihn als Monster und wahnsinnig bezeichnete. Sein Vater blickte ihn stoisch an und schien sich zu langweilen solange Jargon schrie. Als er mit den Fäusten ausholte um auf ihn einzuschlagen wurde er aber plötzlich weggerissen und bekam von Cero einen harten Schlag ins Gesicht verpasst.
Der Mann grinste wölfisch. Mane sah enttäuscht aus.
"Du verstehst noch nicht, Jargon..." Er blickte seinen Sohn an. Dem Wächter brannte der Hals vom Schreien. Sein Kopf pochte, ihm war schwindelig, schlecht und er fühlte sich in einem unfassbaren Alptraum gefangen.
"Ich denke wir müssen mit einer unserer einfacheren Übungen beginnen. Normalerweise geben wir diese Übung einem Sechsjährigen, wenn sie langsam ans Töten heran geführt werden sollen." Mane winkte Zerrbert herüber der mehrere gackernde Hühner an den Füßen trug und sie Jargon hinhielt.
"Bitte nimm dir die Hühner und bring sie um."
Jargon blickte Mane mit glasigem, irritierten blick an. "Warum? Warum bist du ein so verstockter alter Wahnsinniger?! Ich bring doch nicht grundlos irgendwelche Hühner um-" Jargon war verzweifelt. Cero packte ihn schmerzhaft fest im Genick und trat näher an ihn heran. "BRING DIE MISTVIECHER ENDLICH UM DU SCHLAPPSCHWANZ!" brüllte er ihm lautstark in die Ohren.
"Cero!" Mane blickte seinen anderen Sohn verärgert an und zog ihn von Jargon weg. "Ich sehe schon... du bist einfach noch nicht soweit."
Jargon war inzwischen auf die Knie gesunken. Er war hin und her gerissen zwischen Angst, Verzweiflung und unfassbarem Zorn.
Mane blickte seinen ältesten Sohn ein paar Sekunden kalkulierend an bevor er eine Entscheidung traf. "Jargon... Ich würde dir gerne etwas mehr Zeit geben, aber wir haben einen Zeitplan." Er drehte sich weg. "Zerrbert... bring Jargon zur Präsentation nach oben. Cero, bitte hol Zubehör aus dem Keller. Nur für den Fall." Mane ging wieder ins Haus und überließ es seinen Kindern sich des ältestens Sohnes anzunehmen.
Diese blickte ihn nur verächtlich an.


*Innenhof*

Rabbe hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Die Menge hatte angefangen zu tuscheln und aus den Gesprächen heraus war deutlich gewesen dass Secabonum offenbar irgendeine große Ankündigung an seine 'Untertanen' hatte. Die Wächterin biss ihre Zähne fest zusammen. Sie wusste, dass wenn sie irgendeine optische Reaktion außer Begeisterung beim Auftauchen dieses Mörders zeigte, ihr Leben damit vorbei war. Man würde sie sofort überwältigen und dann vermutlich auffressen.
"Meine geliebten Söhne und Töchter" sagte Secabonum laut als er durch den Torbogen auf die Tribüne schritt. Gleichwohl sie diesen Mann aufs Blut hasste konnte Rabbe nicht umhin zu bemerken dass er eine ausgesprochen gute Stimme für solche Ansprachen hatte.
"Ihr alle fragt euch sicher was in letzter Zeit los ist. Das Training wurde mehr als verdoppelt, die Zeitpläne ausgeklügelter und wir kontrollieren das Gebiet deutlicher... Nun, es ist simpel. Wir bereiten uns darauf vor, unser Schicksal zu erfüllen." Die Menge jubelte wie verrückt. Rabbe versuchte ihre Arme in die Höhe zu heben und zu jubeln, doch ihr Hals war zu rau. Dort oben stand einer der größten Verbrecher, den es gab. Und sie jubelte ihm zu.
"Schon viel zu lange wird diese Welt verunstaltet von Trollen, Zwergen, Menschen... Gnomen und Vampiren und was es nicht sonst noch alles für unreine Kreaturen gibt. Viel zu lange haben wir, die wahren Herrscher, im Schatten gelebt und uns auf unsere Gebiete beschränkt. Ich sage euch.. nun ist es Zeit uns zu nehmen was uns zusteht! Heute ist der Tag an dem es anfängt. An dem wir aufstehen und nehmen was schon immer unser sein sollte! Die Minderwertigen werden ausgelöscht oder zu Anbauzwecken verwendet. Als ersten Schritt werden wir Überwald im Stillen erobern, dabei werden wir sicher gehen, dass keine Nachricht darüber nach außen gerät. Wir werden die Zwerge alle innerhalb einer Nacht umbringen, dem Niederen König die Macht entreißen und dann alle Werwölfe von Überwald unter unsere Kontrolle bringen. Jeder von euch wird mehr Macht haben als jeder von Ihnen, denn sie sehen das Licht noch nicht. Sobald wir Überwald haben übernehmen wir Ankh-Morpork, und dann... die Welt!"
Tobender Jubel. Rabbe stand stumm da. Die Hände starr, unbewegt erhoben. Secabonum war absolut wahnsinnig. Er konnte nicht wirklich glauben dass er damit durchkam. Das war vollkommener Irrsinn. Wenn die Situation nicht so ernst wäre hätte Rabbe gelacht, doch sie war umgeben von mörderischen Werwölfen.
Nachdem der Jubel leicht abgeebbt war brachte Mane das Publikum mit einer Geste wieder ganz zum Schweigen. "Da dies eine besondere Unternehmung ist, habe ich euch eine weitere besondere Ankündigung zu machen. Über viele Jahre hinweg habt ihr häufig Andeutungen gehört über euren künftigen Truppenführer. Über den der euch ins Feld führt, der den Kampf mit euch in die Welt hinaus tragen wird. Ich darf euch stolz verkünden dass am heutigen Tag mein ältester Sohn wieder zu uns zurückgekehrt ist!"
In diesem Moment wurde in einem Stockwerk über ihm ein Vorhang weggezogen und ein Mann mittleren Alters trat auf den Balkon hinaus, flankiert von zwei anderen.
Rabbe starrte. Sie hatte die Arme nun unten. Sie starrte nur noch mit absoluter Fassungslosigkeit nach oben.
Auf dem Balkon stand Jargon Schneidgut. Ihr Kollege den sie zwar nie recht hatte leiden, können, der aber eigentlich immer ganz in Ordnung war, der... dort stand in der Uniform der Secabonums. Rechts hinter ihm der Mörder ihrer Schwester. Und Jargon stand da und winkte. Er blickte ernst in die Menge, hatte aber eine Hand erhoben und bewegte sie langsam hin und her. Er war Secabonums ältester Sohn! Er war der Sohn dieses Mörders, der ältere Bruder des Kerls der ihre Schwester gefressen hatte... oder war er am Ende damals vielleicht selbst schon dabei gewesen? War seine Identität als Wächter in Ankh-Morpork nur ein Trick gewesen um Ankh-Morpork auszuspionieren?
Rabbe stand völlig unter Schock. Die Menge um sie herum war explodiert. Alle waren wie im Wahn. Der älteste Sohn war wieder hier! Er würde sie in den Krieg führen. Glorreicher Krieg!
Rabbe merkte nicht mehr wie die Leute um sie herum misstrauisch wurden weil sie nicht mitjubelte und feierte, weil ihr Menschengeruch unter den Werwolfklamotten hervor sickerte. Sie spürte nicht wie sie sich aufregten weil sie merkten dass Rabbe ja gar kein Werwolf war sondern nach Mensch stank. Sie war längst in Bewusstlosigkeit gesunken als man sie packte und in ein Verließ zog.
Wäre sie bei Bewusstsein gewesen hätte sie sich nur gewundert dass man sie überhaupt noch am Leben ließ.


Jargon Schneidgut



Wie erstarrt blickte Jargon in die vielen Gesichter unter ihm. Wie viele von ihnen waren wohl tatsächlich Kinder von Lord Secabonum? Wie viele von ihnen waren Wahnsinnige, die glaubten, ein gewalttätiger Irrer würde sie in eine bessere Welt führen?
Einen Moment lang spürte er, wie der Wind ihm scharf von unten entgegenkam und ihn daran erinnerte, wie hoch der Balkon war.
Wenn ich jetzt einen großen Sprung mache-, dachte Jargon und sein Herzschlag beschleunigte sich, als er es tatsächlich in Erwägung zog.
So konnte er dem verrückten Lord seine ausgewählte Führungsperson rauben, seine Macht untergraben-! Sich aus der Affäre ziehen.
Nein! Wenn ich am Leben bleibe, habe ich eine Chance, ihn aufzuhalten.
Er blickte kurz nach links, wo Zerrbert stand und regungslos starrte.
Außerdem würden sie mich packen bevor ich einen Schritt gemacht habe. Er starrte kurz in das Gesicht des Mannes, der ihm in seiner Jugend schon so viel Schmerz bereitet hatte. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass Zerrbert, Regar und Fritzbert keine seiner Geschwister waren, sondern vermutlich angeheuert geworden waren, in seiner Kindheit 'einen Mann aus ihm zu machen.'
Irgendwie erfüllte ihn das mit einer merkwürdigen Art von Euphorie - sie hatten ihn nicht gepeinigt weil sie etwas gegen ihn hatten, sondern weil sie vermutlich von ihren Eltern, die Geld von Mane bekamen, dazu angestiftet worden waren.
Leider änderte das nichts daran, dass sie ihn auch jetzt noch Quälen konnten und wollten.
"Gut, das reicht. Komm wieder rein", brummte Cero.
Jargon tat wie ihm geheißen, die Vorhänge wurden wieder zugezogen.
In diesem Moment kam Lord Secabonum zurück, mit einem zufriedenen Ausdruck in den Augen.
"Soweit so gut", sagte er und ging auf sie zu.
"Igor hat alles vorbereitet. Wir können sofort loslegen. Jargon, komm mit."
Weil er keine Hoffnung darin sah, sich zu wiedersetzen, folgte der kleine Wächter.
Sie kamen wieder zurück in den Thronsaal, wo eine merkwürdige Apparatur aufgebaut worden war. Ein Igor war gerade damit beschäftigt, ein kleines Feuer unter einem Kupferkessel zu entfachen, über dem ein Gestänge aus Metall aufgebaut war. Dieses Gestänge verschwand rechts und links in zwei sehr sauber aussehenden Metallkästen, an deren Ende jeweils zwei Schläuche hingen. Je einer der Schläuche war mit einer dünnen Metallnadel versehen.
Jargon fühlte sich überhaupt nicht wohl bei dem Anblick.
"Keine Forge, guter Mann", sagte der Igor als er sein Gesicht sah. "Ift allef fteril und gröftenteilf fmerffrei!"
Was auch immer das sein soll!, dachte Jargon und sah sich wieder erfolglos nach einem Fluchtweg um.
"Ich musste diese wunderbare Maschine bisher nur zweimal in Betrieb nehmen", sagte Mane ganz entspannt, während er sich auf einem Stuhl zu einer Seite der Apparatur setzte. "Einmal bei einem noch recht jungen Mann, der leider dabei verstarb, und einmal bei Theo. Wie du siehst, geht es ihm trotzdem ganz wunderbar!"
Jargon sah kurz zu dem lachenden jungen Burschen in Uniform. Abgesehen davon, dass er einem Wahnsinnigen wie dir folgt.
"Bitte, fetz dich!" Igor geleitete ihn zum Stuhl auf der anderen Seite.
"Und keine Forge, es wird recht fnell gehen. Abgefehen davon, wenn du allfu dickef Blut haft, natürlich." Er lachte. Und Jargon wurde klar, wozu die Maschine diente, als sich das Metallgestänge in Bewegung setzte, vom Dampf aus dem Kupferkessel betrieben, und aus den Metallkästen ein leises Rauschen wie von einem Blasebalg ertönte.
"Moment! Halt! Was wird das!?" Er wich zurück in Richtung Tür, wurde aber sofort von Zerrbert und Regar gepackt und zu dem Apparat gezerrt.
"Keine Angst, Jargon. Du wirst sehen, wenn wir fertig sind fühlst du dich gleich viel wohler!", sagte Secabonum und schob sich den mit der Nadel versehenen Schlauch in den Arm. Sofort pochte sein Blut in den kleinen Metallkasten.
"Nein! Ich lasse mich nicht mit fremdem Blut aufpumpen!", schrie Jargon und wehrte sich gegen die stählernen Arme seiner Peiniger.
"Halt still, du Wicht!", knurrte Zerrbert.
Und in Jargons Kopf wurde alles mit einem Mal alles viel... einfacher. Animalischer. Sein Verstand blendete aus, und seine Augen flatterten kurz. Dann brach sein Wutanfall los, und er versenkte seine Zähne in Zerrberts kräftigem Muskelgewebe, während er weiterhin schrie.
Lord Secabonum lächelte.
"Scheint fast so, als hätte er doch ein bisschen was von mir übernommen."
Regar versuchte verzweifelt, ihn weiter festzuhalten, aber der Wächter wand sich unter seinen Armen hinweg und sprang in sein Gesicht.
"Schlagt ihn bewusstlos", sagte der Lord dann.
Zerrbert schlug zu.

Schauerkrault, stand auf dem Schild, dass schief an seinem Metallpfosten hing.
"Sieht nicht so aus, als wäre hier in letzter Zeit etwas los gewesen", sagte Ikari und betrachtete die moosbewachsenen Brandruinen.
Sebulon nickte zustimmen und betrachtete den Feldweg vor ihnen.
"Hier sind vor nicht allzu langer Zeit eine Kutsche und ein Reiter durchgekommen."
Rib, der ein langes, haariges Spinnenbein über der Schulter liegen hatte, nickte und sagte: "In die gleiche Richtung, in die wir wollen, wie es scheint."
Stumm betrachtete der Zwerg noch einmal die Ruinen, schauderte und trieb die Pferde wieder an, bis zum Galopp.
"Hoffen wir, es sind die, die wir suchen."
Rib zupfte Härchen vom Spinnenbein, während er die Umgebung im Auge behielt.
"Die zerfetzte Kehle dieses Typen spricht dafür", sagte er als sie das Dorf hinter sich ließen, und zeigte auf einen Körper, der neben dem Feldweg lag.
Sebulon knurrte leise.
Dann ließ er noch einmal die Zügel knallen.

Es war eigentlich schon fast eine vertraute Erfahrung - Jargon lag auf etwas Weichem, sein Kopf pochte schmerzhaft im Takt mit seinem Pulsschlag. Er erinnerte sich einen Moment lang an nichts, außer daran, dass er Lance-Koporal Jargon Schneidgut, Stadtwächter von Ankh-Mopork war.
Dann packte ihn eine gewaltige Übelkeitswelle, und er konnte nicht anders als sich zur Seite zu wenden und sich über den Rand des Bettes zu übergeben.
"Foweit fo gut", murmelte eine Stimme, die zwar lispelte, aber definitiv nicht zu der ihm so vertrauten Igorina gehörte, die ihn bisweilen in solchen Momenten weckte.
"Er ift jetft wach!"
Schritte näherten sich. Heiße und kalte Blitze der Realisation schossen durch seinen Körper, und Jargon stand in weniger als einer Sekunde aufrecht im Bett, bereits im Begriff, davonzuspringen.
Jemand lachte.
"Keine Panik, Jargon!" Er wurde mit Macht auf das Bett zurückgedrückt. "Es ist schon alles vorbei!"
Jetzt erst schlug er die Augen auf und sah in das Gesicht von Lord Secabonum, der ihm väterlich zulächelte. Er wollte ihm nur ins Gesicht schlagen, seine Augen zum Erstarren bringen. Sein Blut war heiß, und etwas zerrte an seinen Fingernägeln, an seiner Haut, seinen Zähnen.
Schockiert schrie er auf, Panik kroch ihm in den Körper.
Bin ich jetzt einer von ihnen?!, dachte er panisch und wand sich gegen den Griff des Lords. Er packte dessen Arm mit beiden Händen und zog ihn von seiner Brust.
"Ja, spürst du?", rief Secabonum entzückt. "Du bist schon wesentlich stärker als zuvor."
Dann beugte er sich zu ihm hinab und verstärkte den Druck auf seiner Brust. Er sah ihm direkt in die Augen und grinste.
"Glaub aber nicht, du wärst mehr als zuvor in der Lage, irgendetwas gegen mich ausrichten zu können!"
Jargon starrte ihn nur an, und Wut füllte seinen Bauch.
"Aber jetzt ist erstmal Zeit, dich an deine neuen Fähigkeiten heranzuführen. In vierzig Minuten geht der Mond auf. Solang solltest du etwas essen."
Und Lord Secabonum verließ den Raum, dicht gefolgt von Igor.
Jargon lag noch kurz im Bett und starrte ihnen hinterher, bis die Tür zufiel. Ihm war immer noch übel. Er war immer noch wütend, so wütend. Er sprang aus dem Bett und trat dagegen, so fest er konnte. Der Rahmen brach durch, und Schmerz zuckte sein Bein hoch - er schrie fast auf. Aber er starrte nur, mit zusammengebissenen Zähnen, wie das Bett in sich zusammenfiel. Wieder zerrte etwas an ihm, an seinen Haaren, die schon fast ein Eigenleben entwickelten. An seinen Fingernägeln, die sich so sehr in die Länge ziehen wollten. Seine Gelenke knirschten, wollten sich drehen, biegen, dehnen.
Jargon sackte in sich zusammen und presste die Hände vors Gesicht. So sehr er den animalischen Drang verspürte, zur Bestie zu werden, so sehr wollte er es nicht. Er hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren, als würde er sich auf einen ewigen Wutanfall einlassen. Er kämpfte dagegen an und packte alles tierische zu einem Bündel zusammen, dass er im Bauch verstaute, so gut er konnte.
Seine Nase schrie ihn an, mit Gerüchen die er zuvor nie wahrgenommen hatte. Nachdem er eine Weile versucht hatte, es auszublenden, wurde ihm klar, dass er es nicht konnte. Auch als Mensch war seine Nase um einiges stärker als die anderer Menschen. Er roch sich selbst, sein eigenes Erbrochenes, das frisch gebrochene Holz des Bettes, den Staub, der darin festgehangen war, das Wachs der Kerzen, das Metall des Kerzenleuchters.
Er ließ sich einfach auf den Boden fallen und alles auf sich eindringen. Seine Sinne warne ihm in diesem Moment überlegen. Er konnte ihnen nicht entkommen, also ließ er sie einfach. Er roch auch das Essen. Er hatte Hunger.
Zögernd setzte sich Jargon auf und sah zum Tisch, wo Fleisch und Brot mit etwas Soße und Wein angerichtet war.
In diesem Moment gab er seinen Trieben doch nach und verschlang alles, was auf dem Tisch lag. Es war gut, es tat gut.
Was es wohl gewesen war?
Ihm war schon wieder schlecht.



Rabbe Schraubenndrehr


Rabbe erwachte in Düsternis. Ihr Schädel brannte, der restliche Körper fühlte sich an als hätte sie Tagelang irgendwo gekauert. Sie hatte das Gefühl ein metallenes Geräusch im Kopf zu haben - als wetzte jemand ein Messer zwischen ihren Ohren.
"Uaargh", entfuhr es ihr, als sie sich mühsam aufrichtete und sich erstaunt umblickte. Sie hatte erwartet sich in einem grimmig aussehenden, alten Kerker zu befinden mit verrosteten Gittern und schlechter Beleuchtung. Tatsächlich stimmte das auch, solang man vom letzten Teil absah. Rabbes Zelle war tatsächlich alt, rostig, sogar mit Knochenresten in einer Ecke und einer eklig wirkenden Rinne im Boden. Die Beleuchtung jedoch kam aus dem Rest des Raumes. Letzterer wurde von einem Kronleuchter erhellt. Der Boden außerhalb der Zellen waren hübsche Fließen. "von denen kann man Blut sicher gut wieder wegwischen.", kam es ihr unwillkürlich in den Sinn. Und wahrscheinlich hatte sie recht. Der Raum war zwar hell erleuchtet aber sie befand sich offenbar in einem Keller. Es gab keine Fenster, dafür aber eine Vielzahl mehrere Zellen. Von weiter hinten hörte sie Kinderstimmen.
Rabbe sah an sich herab. Man hatte ihr den Gürtel abgenommen. Wieder einmal. "Irgendwann investiere ich das Geld und kaufe die elendigen falschen Sohlen für Notwerkzeuge.. irgendwann..." murrte Rabbe gedanklich, bemühte sich aber nach außen hin möglichst leise zu sein. Sie sah keinen Wächter, wollte aber auch nicht herausfinden ob es wirklich keinen gab. Sie tastete an ihrem Bein entlang und schöpfte Hoffnung. Der Dolch war nicht entdeckt worden. Die zwanzig Dollar Aufpreis für Spürmichnichtium im Schaft hatten sich vielleicht doch bezahlt gemacht.
Von ihrer Zelle aus konnte Rabbe die Eingangstür in den Keller sehen, die sich in diesem Moment öffnete. Eine Gruppe schwarz gekleideter Männer kamen herein - unter ihnen auch Jargon und Cero.
Rabbe biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste - doch sie wusste auch dass sie von hier aus nichts tun konnte, also bemühte sie sich, soweit wie nur möglich in den Schatten ihrer Zelle zurück zu weichen in der Hoffnung der Aufmerksamkeit der Besucher zu entgehen. Zwecklos, verstand sich.
"Aaaaah... ja, die liebe kleine Rabbie!", rief Cero hocherfreut aus als er näher kam. Rabbe krallte ihre Nägel in ihre Hände und stierte krampfhaft gerade aus, sagte aber nichts. "Ich fand so schön zu sehen dass du den Weg hierher gefunden hast obwohl du in Ankh Morpork doch so eine schwächliche Figur gemacht hast." Cero sperrte ihre Zelle langsam auf. Er genoss ihre hastigen Blicke und auch das erschreckte keuchen Jargons der hinter ihm stand war ihm nicht entgangen. Rabbes Blick huschte kurz zu dem Lance Korporal. Welche Rolle spielte er hier? War er wirklich der älteste Sohn Secabonums? War er die ganze Zeit ein Werwolf gewesen und hatte nur eine Rolle gespielt?
"Nein." ging es ihr durch den Kopf. Jargon war immer recht aufrichtig gewesen und es gab keinen Grund für jemandem von solchem Rang in einer Brandruine in Ankh-Morpork zu hausen. Wenn dann war Jargon hier nur eine Marionette. Aber warum ausgerechnet er?
Cero hatte die Tür aufgeschlossen und war zu Rabbe in die Zelle gekommen. Er lächelte sie an und in seinen Augen war der Wahnsinn erneut überdeutlich.
"Deine Schwester hat wirklich gut geschmeckt."
Rabbe war vor geschnellt und biss Cero so fest sie konnte in den Hals während sie ziellos auf ihn einprügelte und ihn so schnell sie konnte so stark verletzte wie sie konnte während ihr ein langer, dunkler Schrei entwich. Cero lachte unter ihren Anstrengungen. Er begann ein wenig zu bluten. Seine Kleidung riss. Als er genug gelacht hatte packte er Rabbes Schädel und rammte ihn mit Wucht an die Wand.
Jargon sah fassungslos zu wie seine Kollegin bewusstlos zu Boden ging. Cero drehte sich um, rieb sich die Hände und grinste Jargon an. "Wo waren wir?" er gab Zerrbert ein Zeichen, der sich Rabbe schnappte und begann sie hinter sich her zu ziehen. Cero grinste Jargon an, vollkommen sicher dass dieser Rabbe erkannt hatte. "Achja.. Die Kinder..."

Jargon lief klopfenden Herzes hinter Cero her. Sein Blick wanderte immer wieder kurz hinter sich, wo Rabbe blutend über den Boden gezogen wurde. Warum war sie hier? Warum war sie nicht in Ankh Morpork, wo sie hingehörte? Und waren vielleicht noch andere Wächter hier? Würde ihn jemand befreien?
Trotz der grauseligen Erfahrung eben zusehen zu müssen wie einer der seiner Erfahrung nach kräftigeren Wächter einfach zusammen geschlagen worden war, schöpfte Jargon Hoffnung. Falls Rabbe nur unglücklicherweise erwischt worden war und die FROGs mitgebracht hatte.. dann gab es wirklich noch Hoffnung für ihn. Die FROGs waren normal gut ausgerüstet, sie hatten sicher die Ausrüstung um Werwölfe zu erledigen.
"Da sind wir", schnarrte Cero. Sie waren an einer Zelle angekommen in der mehrere Kinder in relativ zerlumpten Kleidern saßen, keines älter als acht Jahre.
Jargon wurde kalt.
Cero öffnete die Tür und zog einen kleinen jungen heraus. "Wie alt bist du denn, kleiner?" fragte er, freundlich und boshaft zugleich. Das Kind sah sehr mager aus. Dürr. Braune, dünne Haare und grün-blaue Augen.
"Fünf. Kann ich was zu essen haben? Die anderen und ich sind soo hungrig..."
"Oh ich weiß nicht.. was meinst du Jargon... Geben wir ihm was zu essen?", fragte Cero und blickte den älteren grinsend an.
Jargon schmeckte Blut. Er nickte stumm. Er wusste nicht mehr was er sagen konnte. Die Drohung die Cero ihm hier entgegen schlug war offensichtlich.
Cero blickte ihn an. "Wie schön dass du es so siehst wie ich, Jargon. Bitte zerteil Zerrbert und gib dem Jungen eine große Portion."

Jargon nahm alles wie in Zeitlupe war. Er hatte das Gefühl, überall Gänsehaut zu haben. Er hatte vage wahrgenommen, wie Rabbe beim Auftauchen des Kindes gezuckt hatte. Er hörte seinen Herzschlag laut in den Ohren und sein Blut rauschen. Und er hörte sein Inneres schreien. In ihm heulte die Agonie und die aufgestaute Wut, die Angst, der Alkohol drohten ihn zu zerreißen. Ceros Worte hallten in seinem Kopf nach. Er sollte seinen früheren Peiniger umbringen. Und einem Kind zu essen geben. Zerrbert sollte sterben. Sterben. Er sollte töten. Mutwillig. Jargon starrte stumm geradeaus. Er hörte das Gewimmer des Kindes. Er hörte Zerrberts aufgeregtes Gezeter, das Ceros Anweisung gefolgt war. Er glaubte ein leises Stöhnen aus Rabbes Richtung zu hören.
Aber nichts schien mehr eine Rolle zu spielen. Seine Gedanken ließen ihn los. Er sprang von der metaphorischen Klippe und das Band, das seinen Verstand bis eben noch an einem Haar zusammen gehalten hatte, riss. Er spürte nicht wirklich wie er sich verwandelte. Nur eine Art Platzen. Ein Abfallen dessen, was er vorher war, und dann nur noch Wut. Wut auf Zerrbert der ihn im Auftrag seines Vaters von frühester Kindheit an gequält hatte, Wut auf Cero der so unfassbar grausam war, und vor allem Wut auf seinen Vater. Der Wolf der einst als Jargon Schneidgut bekannt gewesen war stieß Zerrbert zur Seite und warf Cero nieder. Er nahm nicht war wie dieser lachte als er ihm die Schulter aufriss - aber er spürte die plötzlich heißer werdende Wut als ein anderer Geruch den Keller betrat.
Mane Secabonum war eingetreten, auf seiner Schulter eine Dornen besetzte Keule. "Jargon.. mein Junge... komm doch mal mit..." sagte er. Jargon hörte die Worte durch einen Schleier aus Wut und übermäßig scharfen Gerüchen. Blut, Schweiß, Angst... Zorn. Jargon roch den Zorn jemand anderes in dem Raum, aber das spielte keine Rolle. Er stürmte auf Mane zu, der die Türe eben offen ließ und schnell den Raum verließ.
Jargon hetzte hinterher.

Rabbe erwachte in einer Welt aus Schmerz und Übelkeit. Erneut. Sie öffnete mühsam ihre Augen, wagte aber noch nicht den Kopf zu heben. Schräg vor ihr lag ein scheinbar bewusstloser Mann, links von ihr waren Kinderstimmen zu hören.
In der Ferne sah sie Cero den Keller verlassen.
"Cero!", entfuhr es ihr leise und sie schnellte hoch, bereute dies aber sofort. Der hämmernde Schmerz in ihrem Kopf verstärkte sich ruckartig. Ihre Sicht wurde für einige Sekunden prismenartig und sie übergab sich herzhaft.
"Uhrg", entfuhr es ihr. Die Kinder neben ihr hatten geekelt aufgeschrien, aber das war ihr gerade egal. Cero hatte den Raum verlassen. Cero war dort draußen... und sie war nicht mehr eingesperrt.
Sie zog sich taumelnd auf die Füße. Nach dem Gefühl ihres Kopfes und der Präzision ihrer Schritte nach zu schließen hatte sie auf jeden Fall eine Gehirnerschütterung. Sie wankte in Richtung Tür. Ihr Blick fiel am Rande kurz auf Zerrbert dessen Kehle relativ zerfetzt aussah, doch das interessierte sie wenig. Sie dachte nur an Cero. Cero musste sterben. Aber wo war ihre Ausrüstung? Wenn dieses Verließ ähnlich funktionierte wie das in der Wache würden ihre Sachen nicht weit sein.. wahrscheinlich in einer Kiste oder einem Schrank oder...
Rabbes blick fiel auf einen Schrank mit vielen Fächern.
Sie stöhnte erneut und wankte auf die Fächer zu während ihre Hand den Langdolch unter ihrer Kleidung fand. Mit etwas Glück gab es hier vielleicht sie noch etwas was ihr helfen konnte.

Jargon Schneidgut + Rabbe Schraubenndrehr


Mein Herz war rasend vor Hass, vor Feuer. Es brannte bis in die tiefsten Poren meines Körpers. Ich nahm kaum wahr, dass ich meine Gestalt, meine Identität verändert hatte. Es fühlte sich kaum ungewohnt an, ich kannte sie ja, die Empfindung von sinnloser, geifernder Wut. Aber irgendwo war doch Sinn in mir - ich wollte die Bestrafen, die für meine Wut verantwortlich waren. Ich wollte die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen, damit endlich Frieden in mir einkehren konnte. Aber dazu brauchte ich die Wut. Und im Moment kannte ich nichts anderes.
Mane stand im Thronsaal, noch als Mensch, die Keule vor sich auf den Boden gestellt.
Er wollte irgendetwas sagen, aber ich nahm es nicht wahr. Ich jagte auf ihn zu, zielte auf seine Kehle und sprang.
Der Lord wich dem Sprung blitzschnell aus und holte mit der Keule aus. Er traf die Hinterbeine.
Da war Schmerz, von Ausmaßen wie ich ihn nicht kannte. Aber die Wut war stärker als alles, und ich wirbelte herum und biss zu.
Mane lachte, erfreut über die Wut und die Absichten seines Sohnes. Er ließ sich die linke Hand zerfleischen, packte dann den Kopf des Wolfes und zog ihn zu sich hin.
Er war stärker als ich - aber ich war wütender.
"So will ich dich noch viel öfter erleben, Jargon!", rief er. Dann schlug er mit der Rechten zu. Zu seinem Erstaunen wich der Wolf aus und schnappte wieder nach seiner Kehle.

Sebulon, Rib und Ikari hatten eine Weile debattiert welchen Weg zum Anwesen sie nehmen sollten. Sie waren den Kutschspuren eine Weile gefolgt und waren zu einem schwer bewachten Herrenhaus gekommen. Von dem wie es aussah hatte Sebulon nicht wirklich Lust, an den Haupteingang zu klopfen, aber wie ging man bei einem solchen Gebäude am besten vor? Wenn Jargon ein normaler Gefangener war befand er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit im Keller... oder in einem Turm, über diese Möglichkeit wollte der Püschologe im Augenblick aber lieber nicht nachdenken. Diese ganze Mission wurde immer mehr zu einem Selbstmordkommando, und das gefiel ihm ganz und gar nicht.
Geistesabwesend fasste er sich an das silberbeschichtete Kettenhemd dass man ihm sehr widerwillig geliehen hatte. Es war extrem alt und abgetragen, aber gegen Werwölfe gab es kaum einen besseren Schutz. "Außer natürlich ihnen verdammt nochmal aus dem Weg zu gehen."
Die Wächter hatten an der Seite des Gebäudes eine Art Lieferanteneingang entdeckt, der scheinbar nicht allzu schwer bewacht wurde - draußen standen zwei bärbeißig wirkende Wachen in schwarzen Uniformen, sonst war niemand zu sehen. "Aber es könnten Werwölfe sein, überlegte Sebulon. Sie brauchten eine Möglichkeit die beiden auszuschalten ohne sie zu töten - nur war das bei einem Werwolf leider nicht so einfach.

Mane schlug Jargon noch einmal mit der Keule ins Gesicht. Der Wolf hatte ihm eine ordentliche Wunde in die Schulter gerissen, doch das amüsierte den Vater noch immer. Jargon hingegen wurde von dem letzten Schlag schwer getroffen. Die Silberdornen hatten sich für einen kurzen Moment in sein Gesicht gebohrt und er heulte und jaulte schmerzerfüllt, bevor er sich unkontrolliert in einen Menschen zurück verwandelte. So stark und unproportional muskulös er als Wolf gewesen war, so zerbrechlich wirkte er als Mensch. Er rappelte sich nur langsam auf. Seine linke Gesichtshälfte blutete und hatte punktförmige Brandwunden.
"WARUM, DU ELENDER ALTER MISTKERL?!", brüllte er, sobald er wieder zu Atem gekommen war. Die Verzweiflung brach nun stärker zu ihm durch. Die Wut hatte ein wenig abgeebbt. Warum tat jemand so etwas? Warum wurde man zu jemandem, dessen einziges Ziel im Leben darin bestand andere fertig zu machen?
Mane blickte ihn stoisch an.
"Warum was? Warum ich deine Mutter mit dir allein ließ? Warum ich Leute anstellte einen Mann aus dir zu machen oder warum ich dich erst jetzt hierher geholt habe? Ich verstehe nicht was dein Problem ist, Jargon."
Der alte Mann ließ die Keule in seiner Hand umherwirbeln.
"Wir haben dich nicht früher geholt weil wir sicher sein wollten, dass bei deiner Ankunft alles bereit ist um die Invasion zu starten, und weil wir sicher sein wollten dass du so viele Informationen wie möglich über unseren Feind sammeln kannst. Ist es Cero? Er zeigt dir noch keinen Respekt, ich weiß, aber das wird sich auch noch ändern. Warum wehrst du dich so einer von uns zu werden?" Die wahnsinnig glänzenden Augen des Mannes schienen aufzublitzen. "Du BIST einer von uns. Mehr als jeder außer mir hier es ist. Du bist der Grundstein, mein ältester Sohn, der erste der die Ambition zeigte unsere Feinde zu vernichten. Du hast es schon ganz früh gesagt... du hast uns ganz früh gesagt wie doof Zwerge sind. Das du nur Menschen magst. Natürlich wusstest du damals noch nicht um deine wahre Natur, aber... Ich wusste was du eigentlich meintest. Ich habe dich verstanden."
Mane stellte die Keule ab und breitete die Arme aus. "Komm zu mir, mein Sohn. Du bist der Ursprung von allem hier. Ich habe für dich dieses Imperium aufgebaut, das wir gemeinsam regieren können. Vater und Sohn. Vereint in Herrschaft."
Jargon lachte. Er konnte nicht anders. Es war wie er dachte. Sein Vater- nein, dieser völlig fremde Mensch hier- war wahnsinnig. Absolut wahnsinnig. "Herrschen? Warum zur Hölle sollten wir über die anderen herrschen dürfen? Jeder ist ein Individuum, niemand ist mehr wert als ein anderer! Zwerge sind nicht weniger wert als Menschen oder Werwölfe, ein Bauarbeiter nicht weniger als der Patrizier oder ein Adelsmann! Egal wer man ist, egal wo man herkommt, es gilt immer gleiches Recht für alle!"
Mane ließ die Arme sinken und schüttelte langsam den Kopf. "Ich schätze.. es ist an der Zeit dass ich dir erst mal Respekt einbläue. Vielleicht bist du dann bereit zu verstehen."
Mane löste langsam seinen Kragen und die anderen Schnürungen seiner Kleidung bevor er sich verwandelte. Jargon war darauf gefasst gewesen und hatte sich ebenfalls zurück verwandelt, auch wenn er noch keine volle Kontrolle über sein neues, animalisches Gut hatte.
Jargon starrte die wolfsartige Gestalt einen Moment an. Der Ältere hatte keine Anstalten gemacht ihn anzugreifen sondern ging ruhigen Schrittes in Richtung der offenen Tür. Er wusste nicht, was Mane damit bezweckte, doch er folgte, hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit den Alten einfach direkt wieder anzugreifen und der Frage, warum er erst nach draußen geführt wurde.
Als er außen ankam wurde klar, warum.
Hinter dem Haus war ein Plateau. Soweit Jargon es beim Herauskommen sehen konnte, ging rückwärtig eine Klippe in eine Schlucht ab. Seitlich war auf einer niedrigeren Ebene eine gute Stelle um zu sehen, was hier oben vorging - und sie war voller Soldaten. "Er will mich hier zerfetzen. Hier wo es alle sehen können will er mich fertig machen um seine Macht über mich zu demonstrieren... aber nicht mit mir!"

Jargon Schneidgut


Mit einem Zischen flitzte Rib auf die Kniescheibe des ersten Wächters zu, während Sebulon vorsichtig zielend einen Bolzen auf die Schulter des Anderen feuerte.
Beide Projektile[7a] trafen ihr Ziel zur gleichen Zeit. Es knackte scharf, und beide Wächter schrien vor Schmerz und Schreck auf. Ikari und Sebulon sprinteten auf sie zu. Rib schlug mit dem Silberring, den er um seine Faust trug, gegen die Schläfe eines der Wächter, was ihn hoffentlich nur Ohnmächtig werden ließ. Der Andere hatte keine Zeit, sich vom Schock zu erholen, bevor ihn die Faust Ikaris zu Boden schickte.
Sebulon atmete schwer und fragte sich kurz, wieso er überhaupt dabei war, während ihn die anderen Beiden musterten. Er wendete nicht gerne Gewalt an aber mit den Informationen die sie hatten mussten sie davon ausgehen dass Jargon in diesem Gebäude war und dass niemand hier zögern würde sie gefangen zu nehmen oder vielleicht direkt zu töten. Er seufzte.
"Ich schätze, wir sollten reingehen."
Das taten sie dann auch.

"Natürlich haben sie nicht mehr Silber hier... Mistkerle", brummte Rabbe während sie den Schrank durchsuchte. Alles, was sie fand, war etwas Lampenöl und diverse Handwerksutensilien. Sie nahm einen Feuerstein und das Öl mit. Im Zweifelsfall war Feuer auch eine nützliche Waffe gegen Werwölfe - sie hatte ihren Silberdolch zwar dabei, Feuer wäre im Notfall aber ebenfalls nutzbar. "Leider kann ich Cero mit Feuer nicht den Hals durchschneiden.", dachte sie missmutig. Geistesabwesend betastete ihren Kopf und stellte erleichtert fest, kein Blut zu finden.
Dann öffnete sie die Zellentür, hinter der einige Kinder eingesperrt waren und wies sie in die Richtung von der sie wusste das dort der Lieferanteneingang war. Wenn sie es nicht schafften jetzt zu entkommen würde Rabbe ihnen auch später nicht helfen können.
Die Wächterin sah ihnen einen Moment nach, umfasste den Dolch dann fester und machte sich auf, Cero zu folgen.

Es war schon fast Nacht, die Außenwände des Schlosses waren reichhaltig mit Fackeln und Lampen bestückt. Der Horizont war bereits am Abkühlen, und der letzte Rotstich des Sonnenuntergangs färbte sich lila.
Kaum war Jargon im Freien angekommen, verwandelte sich Mane wieder in Menschengestalt und hob schon wieder zum Sprechen an.
"Jargon! Ich habe mir schon gedacht, dass du der Meinung bist, besser Bescheid zu wissen, als ich!"
Jargon blieb Wolf und nahm instinktiv eine lauernde Haltung ein. Er hatte keine Lust zu sprechen - so falsch sich der Pelz auch anfühlte, gab er ihm eine merkwürdige Art von Sicherheit.
"Ich muss dir wohl beweisen, dass ich der bessere Anführer bin!", rief Mane, dass es jeder der Soldaten weiter unten hören musste.
Mit einem Satz sprang Jargon auf ihn zu und zielte wieder mal auf die Kehle. Aber in seiner Menschengestalt hatte Mane einen eindeutigen Vorteil - seine Hände.
Er packte den Wolf an der Schnauze und schleuderte ihn von sich. Jargon purzelte über den Boden in Richtung Abgrund.
Mit einer großen Willensanstrengung saugte er das Fell, die Zähne, die Krallen wieder zurück und war Mensch, als er einige Meter vor dem Rand der Klippe zum Liegen kam.
Mane kam schon auf ihn zu, das Gesicht bedrohlich verzerrt.
Jargon rappelte sich auf und hastete seitwärts zu den Schlossmauern hin.
"Ich habe nie behauptet, dass ich ein besserer Anführer bin als du! So wie du will ich niemals sein!" Mane blieb stehen und schaute kurz zum Horizont.
"Sieh es doch ein, Jargon - wir ähneln uns in vielerlei Hinsicht." Er lächelte, als das letzte rot der Sonne verschwand. "Heute ist Vollmond. Spürst du es auch?"
Und da war etwas, das Jargon vorher noch nie gespürt hatte - etwas so mächtiges, so berauschendes. Ein Gefühl, das dem von Alkoholeinfluss nicht fern war, aber viel- wilder. Unwiderstehlicher. Ein Streifen fahlen Mondlichtes zog von Osten her über das Herrenhaus hinweg und traf erst die Soldaten, die weiter unten standen, wo das Herrenhaus weniger Schatten hinwarf. Jeder von ihnen ließ sich auf die Knie sinken und vervielfachte wie auf Kommando seine Körperbehaarung - dann waren es Wölfe. Sie alle. Und dann heulten sie.
Jargon, dessen Haare nun alle standen, spürte den Einfluss des Mondes ebenfalls schon - und als ihn der Lichtschein ebenfalls traf, konnte er einen Moment lang nicht mehr denken. Einen Moment lang war er orientierungslos, dann kniete er auf allen Vieren und spürte, wie sich seine Haare wieder nach draußen schoben. Es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Er spürte die Macht des Mondes, die ihn zwang, seine Zähne zu fletschen und die Krallen auszufahren. Er sah zu Mane.
Und er sah, was Mane wirklich war.
Vor ihm stand nicht einfach nur ein Wolf. Offensichtlich hatte der Lord nicht nur mit anderen Halbwerwölfen herumexperimentiert.
Er stand immer noch auf zwei Beinen, aber sein Körper war von Fell überzogen. Seine Gliedmaßen waren annähernd menschlich, aber viel zu krumm und zu muskulös, um wirklich menschlich zu wirken. Der Kopf des Lords war eine Fratze, die menschliche Augen mit der Schnauze und dem Gebiss eines Wolfes vermischte. Seine spitzen Ohren standen von der Seite des Schädels ab. Seine Beine waren krumm und mit einem zusätzlichen Gelenk versehen, die Hände krallenbewehrt.
Auch Lord Secabonum heulte jetzt, in den Gesang seiner Gefolgsleute einstimmend.
Jargon konnte nichts dagegen tun, auch er musste kundgeben, dem Mond Untertan zu sein. Er heulte. Der lautstarke Gesang der Wölfe erfüllte jede Faser seines Körpers, und mit einem Mal fühlte er sich der Meute verbunden - wenn auch nur in der Wildheit, der Kraft. Es ging nicht um Ansichten oder Pläne, nur um das, was man war.
Das Wolfsgeheul erfüllte eine gefühlte Ewigkeit lang die Luft, und dann war es still.
Jargon starrte auf die zweibeinige Gestalt, die ihm entgegenblickte und ihn angrinste. Secabonum konnte in dieser Gestalt nicht sprechen, da war er sich sicher, aber seine Blicke waren eindeutig - Schließ dich mir an, und du kannst der Herr über diese Macht sein!, sagten sie.
Aber das machte Jargon nur noch mehr Angst - er spürte, dass er die Macht fürchtete, dass er niemals die Verantwortung auf sich nehmen könnte, eine todeslustige Meute zu befehligen. Und er spüre auch, dass Secabonum ein "Nein" nicht akzeptieren würde. Entweder würde er sich anschließen, oder sterben.
Einen Moment lang spürte er, wie sein Drang, weiterzuleben, stärker zu sein schien als seine Prinzipien - aber das wollte er nicht zulassen. Er würde sich selbst nicht aufgeben, wenn er damit das Leben anderer Menschen gefährden müsste. Er würde nicht für eine ihm völlig fremde Motivation stehen - und so sträubte er sein Fell und knurrte Mane an. Es war genug, um ihm zu zeigen, wie er sich entschieden hatte, wie er am Gesichtsausdruck der Bestie vor ihm erkannte.
Wenn ich sterbe, dann in einem fairen Zweikampf, dachte er sich. Dann wurde ihm klar, dass das feige wäre - ein fairer Zweikampf gegen Secabonum? In dieser Gestalt? Das war eine bewusste Selbstmordentscheidung.
Jargon mobilisierte seine geistigen und körperlichen Kräfte und hetzte in Richtung Tür.
Wenn ich schon sterbe, dann in dem Versuch, den Arschsack mit allen Mitteln aufzuhalten, ob sie fair sind oder nicht!

Sie befanden sich in einer Art Speisesaal, riesig groß und mit fein geschnitzten Altholzmöbelstücken eingerichtet.
"Lord Secabonum muss ein reicher Mann sein", stellte Ikari fest und schlurfte durch die Halle. Rib kam ihnen aus der entgegengesetzten Richtung entgegen.
"Das ganze Gebäude ist wie ausgestorben - ich glaube, die Typen sind auf Jagd oder so."
Sebulon brummte zustimmend, hoffte aber dass dem nicht so war - wenn, dann hätten sie Jargon garantiert auf eine solche Jagd mitgenommen.
Etwas weiter hinten im Gang schepperte, und eine Tür fiel aus den Angeln.
"Typisch teure Baukonstruktionen... wenn das Schloss fehlt, kann man die Tür einfach aus den Angeln hebeln", brummte eine Stimme, die dem Zwerg nur allzu bekannt vorkam.
"Ich dachte, es ist niemand hier?", fragte Ikari überrascht.
"Äh, jedenfalls in den Räumen, die nicht abgeschlossen waren-", erwiderte Rib und wollte schon davonhuschen, als Sebulon "Halt!", rief.
"Ich glaube, das ist Rabbe."
Stille.
Dann entfernten sich hastige Schritte.
Das Einsatzteam setzte sich in Bewegung.
Draußen heulten die Wölfe.

Rabbe Schraubenndrehr


Rabbe rannte die Treppe hoch, ihren Langdolch fest umklammert. Sie war sicher, dass Cero auf dem höher gelegenen Felsvorsprung war. Aus einem Fenster heraus hatte sie den tieferen einsehen können wo Jargon und sein Vater sich zu streiten schienen während die anderen Wölfe sie beobachtet hatten. Sie kannte Cero. Er würde nicht beim gewöhnlichen Volk stehen, nein, er würde hoch über der Meute auf das Geschehen herabblicken und auf seinen Moment warten. Wenn Jargon tot am Boden lag würde er dann so theatralisch wie möglich Position einnehmen um sich vor seinen Leuten als Anführer begrüßen zu lassen.
Der obere Vorsprung war der ideale Ort dafür.
Sie schnappte sich eine weitere Lampe aus der sie das Öl auf den Boden goss. Wenn sie am oberen Vorsprung angekommen war würde sie das Gebäude hinter sich zu entzünden versuchen. Der Bau selbst bestand aus Stein, war jedoch vollgestopft mit teuren Möbeln und samtenen Wandbehängen. Wenn sie genug Lampenöl ausgoss und die Teppiche genug getränkt waren würde das Gebäude schnell Feuer fangen.
Und sie wollte es brennen sehen. Die Kinder würden entkommen - Kinder taten so etwas oder sie wurden gefressen. Jeder Wolf, der noch in diesem Haus war, würde sterben, es gab im ganzen Umkreis wahrscheinlich ohnehin niemanden mehr der noch nicht korrumpiert war.
Rabbe biss die Zähne zusammen. Das Tor nach außen war ganz in der Nähe. Sie wurde langsamer.
Dies war der Moment auf den sie sechzehn Jahre lang gewartet hatte, die Chance von der sie immer dachte dass sie sich nie ergeben würde. Sie würde endlich Rache nehmen können, den Tod ihrer Schwester sühnen.
Sie würde zum ersten Mal so direkt einen Mord begehen.
Diese Tatsache spielte eine sehr kleine Rolle in ihrem persönlichen Kosmos. Eine leise Stimme die durch ihr Bewusstsein flüsterte während sie den nächsten Teppich mit mehr Öl tränkte, den Feuerstein aus der Tasche zog und zusah wie der Teppich Feuer fing. Sie rückte das andere Ende des Teppichs unter einen großen Kleiderschrank, trat auf die Tür zu und war draußen.
Kälte empfing sie. Es war weniger die Kälte der Nacht - der Vollmond schien über die Herbstlandschaft und es war relativ warm - für Überwaldverhältnisse zumindest. Vor Rabbe erstreckte sich ein kleines Plateau - der höchste Punkt des Secabonum-Anwesens. Hier war der Fels rau und es gab wenige Stellen um sich anzulehnen - auf der einen Seite stand das Gebäude selbst, gegenüber gab es eine kleine Steilwand, die ungefähr ein Fünftel der Plattform berührte. Der Mond schien hell und klar auf das Plateau - nur nicht in den Schatten der von der Steilwand geworfen wurde, denn diese stand genau im Weg. Genau zwischen dem Mond und dem Wolf.
Rabbe starrte Cero an. Sie hatte die Tür hinter sich geschlossen und hoffte dass Cero das Feuer nicht sah, aber es spielte eigentlich auch gar keine Rolle.
Sie würde ihn töten. In ihrem Verstand herrschte nun nur noch Klarheit. Sie würde ihn töten. Keine moralischen Zweifel mehr, keine Überlegung ob es etwas danach geben würde.
Nur Tod.
Cero grinste sie an. "Hast du schon gesehen was da unten vorgeht, Schraubenndrehr?", fragte er mit einem höhnischen Unterton und wies mit dem Daumen hinab. "Dein dämlicher Freund, den wir aus Ankh-Morpork geholt haben hat die Herrschaft abgelehnt... Vater wird ihn nun umbringen, denke ich."
Rabbe sagte nichts sondern trat langsam näher, den Dolch hinter ihrem Arm verborgen. Wahrscheinlich sah er ihr an dass sie eine Waffe bei sich trug, doch Cero war viel zu arrogant um davon auszugehen dass sie eine Gefahr war. Sie war schließlich nur ein Mensch.
Der Werwolf leckte sich die Lippen. "Weißt du noch, warum wie Mauricia damals gefressen haben und dich am Leben ließen? Ich glaube, du warst etwas weggetreten als ich es dir zuletzt erklärte..."
Von unten erklang Geheul. Rabbe war stehen geblieben. Ihr Körper gespannt wie eine Feder. Sie dürfte sich nicht provozieren lassen, das wusste sie. Wenn sie unbeherrscht würde, zu früh ihre Deckung fallen ließ, zu früh auf ihn losging, hätte sie keine Chance.
"Wir wollten dich leiden sehen, Rabbie." Das Nutzen ihres Spitznamens ließ die heiße Wut noch einmal verstärkt durch Rabbe Körper zucken, doch sie beherrschte sich weiter, sie kam nur langsam näher, sie dürfte sich nicht zu sehr aufregen sonst,-
"Deine Familie hat eine Blutschande - so viel kannst du dir vielleicht schon denken. Deine Vorfahren waren Wölfe, aber du weißt nichts mehr davon, ihr habt euch selbst entehrt... und du warst zu eitel das zu akzeptieren. Du und der Rest deiner erbärmlichen Sippschaft verdienen es nur die niederste Arbeit zu machen, ihr solltet unterwürfig sein vor euren Herren! Aber du hast dich nicht daran gehalten. Du hast bei der Feier bei der du hier vorher mal gekellnert hast zu lange zugeschaut während ich mir die Schlampen durchgenommen habe, darum haben wir deine Schwester gefressen. Weil du nicht wusstest wann du wegsehen musst. Weil du dich nicht an deinen Platz in der Gesellschaft gehalten hast."
Rabbe sah nichts mehr. Erinnerungen durchzuckten ihren Kopf. Mauricia wurde zerrissen. Cero hob ihr Auge auf. Cero kam näher und redete etwas sehr ähnliches...
Sie verkrampfte sich. Der Schmerz und die Wut hatten sie übernommen und legte sich wie ein Schleier auf ihre Wahrnehmung.
Wie konnte er es wagen? Wie konnte irgendjemand das Leben anderer als derart nieder bewerten? Ein unschuldiges Kind umbringen, nur weil sich jemand angeblich unhöflich verhalten hatte? Weil man nicht einfach ignorieren konnte wenn jemand eine Minderjährige vergewaltigte?
Die Wächterin vergaß in diesem Moment alles andere. Dass es dumm war die Deckung fallen zu lassen. Dass sie eigentlich noch zu weit weg war um einen Vorteil aus der Initiative zu ziehen. Nichts davon war noch wichtig.
Rabbe riss den Dolch hoch und sprang vor - Cero rammte ihr seinen Kopf in den Bauch wie eine Kanonenkugel. Sie taumelte weg als Cero einen Schritt vormachte und sich langsam den Kragen löste und sein Hemd aufknöpfte. Rabbe hasste dieses Getue. Dieses Monster tat als hätte er Stil, dabei war er nur ein Killer mit langen Haaren und reichen Eltern. Sie schnappte nach Luft und wollte wieder vorschnellen als Cero sich verwandelte. Er trat ins Mondlicht und seine Kopfhaare wurden langsam kürzer während überall sonst Haare hervorsprossen - sein Fell war ein blau schimmerndes Schwarz. Seine Augen wirkten unverändert böse - sein Maul schnellte vor und er schnappte nach ihr.
Rabbe parierte mit Mühe, sie drehte sich und rollte ihn seitlich an sich ab wodurch seine Richtung leicht geändert wurde. Sie trat nach ihm, was keinerlei Schmerzen zu verursachen schien und er schnappte nach ihrem Fuß. Sie hatte im gleichen Moment Schwung geholt was ihn unter leisem Wimmern einen Zahn zu kosten schien, doch er hielt ihren Fuß fest und drehte sich wodurch sie den Halt verlor und über den Boden geschwungen wurde. Ihr Kopf wurde aufgeschürft und die Wächterin konnte nicht anders als zu schreien, denn er durchbiss den Schuh und fand Halt an ihrem Knöchel, den er schmerzhaft langsam brach.
Er ließ sie los und blickte sie fast schon hämisch an - etwas was ihm in Wolfsgestalt eigentlich nicht möglich sein sollte, ihm aber dennoch keine Mühe bereitete. Seine blauen Augen blitzten bösartig. Er gab ihr eine Sekunde sich dem Schmerz hinzugeben und sprang wieder auf sie zu um dem ganzen ein Ende zu machen.
Die nächsten Sekunden spielten sich für Rabbe in Zeitlupe ab.
Sie hatte sich mühsam aufgerichtet, der Schmerz in ihrem Fuß schien ihr in diesem Moment schlimmer als jeder körperliche Schmerz den sie je vorher hatte erdulden müssen. Cero hatte Anlauf genommen und wollte offenbar auf sie draufspringen. Sie stieß den Wolf so gut sie konnte weg und er biss ihr in die ausgestreckte Hand. In diesem Moment spürte Rabbe dass dies der Moment war. Jetzt oder nie. Das Schreien ihres Fußes ignorierend rollte sie sich hoch, riss den linken Arm nach hinten, sodass Cero ihr die festgehaltenen Finger anriss und stieß ihm den Silberdolch in die Kehle. Sie schrie - Rabbe hatte noch nie solche Schmerzen erduldet - sie war aber auch nie so vielen Emotionen auf einmal ausliefert gewesen. Wie automatisch zog sie den Dolch unter Ceros Röcheln und Winseln schnell sein Kehle hinunter bis in die Brust hinab.
Der Wolf kippte. Sie zog die Reste ihrer spritzenden Hand aus seinem Maul, drehte den Wolf auf den Rücken und setzte sich auf seinen Bauch. Dann stieß sie mit beiden Händen den Dolch erneut in seine Brust. Einmal. Zweimal. Sie wusste nicht, wann sie aufhörte. Seine Brust sah aus wie Hackfleisch. Das Leben war aus ihm gewichen und doch fühlte sie sich in ihrer Wut nicht befriedigt.
Die Wächterin stand auf und blickte auf die Leiche hinab, während eine leise Stimme in ihrem Kopf flüsterte dass sie ihren Fuß und ihre Hand versorgen musste. Dass sie im Moment nur stehen konnte weil ihr ganzer Körper in eigenen Drogen schwamm.
Rabbe riss sich ein Stück ihrer Kleidung ab und band sich den Arm ab. Sie blickte in das inzwischen brennende Gebäude und wuchtete Cero unter einigem Keuchen und großer Anstrengung in die Flammen. Sie würde hier nicht mehr Genugtuung finden, das musste sie akzeptieren.
Vielleicht würde sie noch eine Lösung finden. Etwas was ihr gestatte, loszulassen. Zu vergessen. Abzuschließen. Sie wusste es nicht.
Falls nicht würde sie damit leben müssen dass es manchmal keine Antwort gab.
Rabbe setzte sich und sah dem Feuer zu. Sie fühlte sich leer als sie ihren Schuh auszog und feststellte, dass ihr Fuß wenigstens nicht blutete.

Auch wenn er absolut taub und merkwürdig verdreht war.

*Zur gleichen Zeit*

Die Rettungstruppe lief ins Treppenhaus und sah nach oben. Man hatte Schritte die Treppe hinauf hasten hören und Sebulon fragte sich einen Moment lang, ob sie hinterher sollten. Sie gingen die ersten paar Stufen hinaus als das Geheul begann lauter zu werden. Die Wächter versteckten sich ohne Absprache hinter dem breiten Geländer und linsten in den Aufgang, wo in diesem Moment ein großer braunhaariger Wolf hindurch rannte. Sebulon erkannte ihn als Werwolf, auch wenn ihm diese spezielle Fellfarbe irgendwie bekannt vorkam...
Er hatte keine Zeit weiter darüber nach zu denken woher er diese Farbe vielleicht kannte, denn der Wolf wurde von einem... Monster verfolgt.
Dies war zumindest die erste Assoziation, die dem Stammagenten durch den Kopf ging. Soweit er es sehen konnte handelte es sich in der Grundform um eine menschenähnliche Gestalt - die jedoch unproportional muskulös wirkte, komplett mit Haaren bedeckt war und ein riesiges, wolfartiges Maul hatte.
Dann war die Kreatur auch schon wieder fort. "Das... war verdammt knapp.", sagte er leise. Rib lief die Treppe wieder hinunter und sah den beiden hinterher. "Was denkt ihr, warum der eine den anderen gejagt hat?", fragte er nachdenklich.
Der Stammagent zuckte die Schultern als ihm auffiel dass es über ihnen angefangen hatte zu brennen. "Oh verflixt", murmelte er. "Ikari?"
"Hm?"
"Schau mal nach oben, bitte."
Der Zombie blickte nach oben. "Ach du je. Bist du sicher dass das Rabbe war die du gehört hast?"
Der Stammagent nickte. "Wir sollten kurz prüfen ob Jargon irgendwo da oben ist, danach können wir immer noch die anderen Typen überprüfen."


Jargon Schneidgut


Nicht weit von ihnen rannte Jargon um sein Leben. Er versuchte, alle Lampen die im Weg waren so gut wie möglich umzustoßen, bemühte sich hier und da die eine oder andere Fackel in den Mund zu nehmen um einen weiteren Teppich anzuzünden.
Mit einem kurzen Satz sprang Jargon gen Decke und packte einen Kronleuchter, der das große Zimmer, das er gerade halb durchquert hatte, erleuchtete. Die Kette, die den Leuchter hielt, zeigte sich unbeeindruckt, und so schwang er mit viel Schwung vor und zurück, bis er schließlich mit dem Maul den Stift fand, der die Kette sicherte.
Es ist wirklich erstaunlich, wie das Maul in der Wolfsgestalt die Hände ersetzt, dachte er, während er sich unbeholfen von dem schwingenden Halter abstieß und schief auf allen Vieren landete. Ebenfalls erstaunlich ist, wie gut ich als Wolf zurechtkomme.
Ein kurzer Blick über seine Schulter zeigte, wie Secabonum den Leuchter wütend mit einer Hand zur Seite schmetterte. Kerzen, heißes Wachs und diverse Ziermetallstücke flogen durch den Raum, der offenbar noch eine Art Speisesaal war. Die Bestie brüllte zornig, als ihr Fell an diversen Stellen verkohlte oder Feuer fing.
Das ist eben der Nachteil, wenn man so groß ist, dachte Jargon während er durch die nächste Tür hetzte. Und gegen eine Kiste krachte.
Mit Entsetzen stellte er fest, das er in einer Sackgasse gelandet war - es war ein kleiner Lagerraum, mit Fässern und Kisten vollgestopft.
Panisch machte er eine Kehrtwende und entkam gerade so einer Klauenhand Secabonums, die stattdessen eine der Kisten zerschmetterte. Das bremste den Lord aber nicht, und nur ein weiterer blitzschneller Satz brachte Jargon außerhalb der Reichweite dessen zuschnappenden Kiefers.
Zurück geht schlecht, schoss es ihm durch den Kopf, da brennt alles. Also, was tun?
Ein weiterer, eiliger Ausweichsprung ließ Secabonum ins Leere hechten, und die Bestie zerstörte durch den Aufprall einen Tisch, der mit brennendem Wachs beschmiert war. Mit einem kurzen Blick hinter sich vergewisserte sich Jargon, dass es durch den Raum hinter ihm nicht weiterging - aber er zeigte ihm etwas anderes, was ihm eine gefährliche Idee aufgehen ließ. Die von Lord Secabonum zerstörte Kiste enthielt kopfgroße, schwarze, schwer kullernde Kugeln, aus deren massiger Gestalten kleine, ebenfalls schwarze Schnüre ragten. Jargon erkannte sie - es war dieselbe Art von Bomben, wie sie gerne von Seefahrern und Terroristen benutzt wurden. Zwar hatte er selbst noch nie welche in Aktion erlebt, aber er hatte viel über die zerstörerische Wucht gelesen, die sie entfalten konnten. Es war die perfekte Waffe- er musste sie nur irgendwie einsetzen. Er sah wieder nach vorn. Secabonum hatte so etwas wie eine Lauerhaltung eingenommen und wartete nur darauf, dass er sich bewegte. Merkwürdig - er könnte mich einfach zerfetzen, wenn er mich so in die Finger kriegen würde, und wegrennen kann ich gerade schlecht. Jargon starrte zurück zu der Bestie, deren Augen kalt, animalisch glänzten. Vermutlich ist es eine Art Instinkt, der-
Der Wolfsmensch machte einen gewaltigen, rasend schnellen Satz auf Jargon zu, und er konnte nicht schnell genug reagieren um ihr auszuweichen. Eine Klaue des Monstrums riss ihm die linke Flanke auf, als er panisch nach rechts hechtete. Jargon spürte, wie sein Blut pochend aus seinem Körper gestoßen wurde und ihm entfuhr ein panisches Winseln. Secabonum brüllte, machte noch einen Satz und packte ihn am Genick. In Panik und Verzweiflung verdrehte der kleinere Wolf seinen Körper und biss in die gewaltige Krallenhand, die ihn hielt. Er biss tatsächlich mit solcher Wucht zu, dass sich drei der pelzigen Finger von der Hand lösten. Das reichte aus, damit Jargon sich aus dem Griff winden konnte und er sprintete mit kräftiger Seitenlage zu einem der umgestürzten Tische, wo Kerzen und brennendes Wachs über dem Boden verstreut lagen. Eilig sah er sich nach irgendetwas um, das er in seiner Wolfgestalt aufheben konnte. Dort, wo Secabonum zuvor den Tisch zerschmettert hatte, lagen diverse Tischplanken, teilweise mit Wachs bespritzt. Aber sie brannten nicht. Tatsächlich brannte in diesem Zimmer eigentlich kaum noch etwas, nur ein paar Kerzen, die auf dem Boden lagen und eine kleine Wachsspur auf einem der intakten Tische.
Wenn der Angeklagte nicht zum Richter kommt, muss der Richter eben zum Angeklagten kommen[9], dachte Jargon und sprang auf den intakten Tisch, als das Wolfsmonstrum Secabonum wieder einen Satz auf ihn zu machte und ihn diesmal knapp verfehlte. So schnell er konnte, eilte er zu den schwarzen Kugeln. Sie sind zu groß! Ich kann sie nicht ins Maul nehmen! Hastig schnappte er nach einer Zündschnur, die aber nicht gegen das Gewicht der Bombe gesichert war und sich infolgedessen einfach aus deren Körper heraus fädelte. Schwer prallte der Bombenkorpus auf den Steinboden. Aus dem kleinen Loch rieselte schwarzes Pulver.
Dann wieder anders! Mit viel Glück entkam er wieder der blutigen Kralle seines Widersachers, als er aus dem Raum heraus sprintete, auf der Suche nach etwas Brennendem, das Secabonum zumindest kurz aufhalten würde. Er fand es in Form eines langen Teppichs, der zum großen Teil in Flammen stand, und an dem man sich nur sehr eng an der Wand entlang vorbei quetschen konnte. Mit viel Überwindung und einem merkwürdigen Gefühl verwandelte sich Jargon wieder in Menschengestalt, stellte sich ans Ende des Teppichs, wo er praktisch im Feuer stand, und packte ihn an den Enden. Seine Hände und Finger schrien ihn an, sofort loszulassen, aber er hatte sich auf den Reflex eingestellt und ließ den Teppich knallen, wie er es früher oft getan hatte, um den einzigen kleinen Teppich, den sie damals besessen hatten, auszuschütteln. Das Timing war genau richtig, und das schnalzende Ende des Läufers wischte dem heranstürmenden Lord Secabonum direkt ins Gesicht. Die Bestie heulte laut auf und schlug sich mit seinen Klauen auf dem Kopf herum, um das Feuer zu löschen. Das nutzte Jargon, um den Schmerz und die Hitze zu ignorieren, die in seinem ganzen Körper herrschte, und wieder zurück in den Lagerraum zu sprinten. Er wusste, dass er sich nur sehr wenige Sekunden gekauft hatte, [10] und so ignorierte er alle Schmerz- und Angstsignale, die ihm sein Körper sendete, als er eine der schweren Kugeln aufhob und zum nächstbesten Feuer rannte.
Secabonum hatte sich bereits wieder gefangen, und er schrie und brüllte vor Wut und Schmerz, während er die letzten Flammenreste in seinem Fell ausschüttelte um erneut auf Jargon zu zu sprinten. Der sah gerade, wie die Zündschnur der Bombe brennend im Gehäuse verschwand und brüllte:
"Fang Feuer, Arschsack!"
Er warf die Bombe.
Sie prallte vom Kopf des Ungetüms ab, was dieses Kurz irritierte, und explodierte dann etwa vierzig Zentimeter von dessen Kopf entfernt.
Es blieb nicht viel davon übrig.


Rabbe Schraubenndrehr


Sebulon stieß den nächsten Schrank um. Er traf den Wolf und das Tier heulte auf bevor Rib vorsprang und es bewusstlos schlug. "Wo kommen die nur alle her?", überlegte Ikari laut während Sebulon erneut hustete.
"Wir sind in Überwald. Was denkst du wohl?!" Er wischte sich mit dem Ärmel durch das rußige Gesicht. Sie waren die Treppe hochgegangen um sie ab einem bestimmten Teil komplett in Flammen vorzufinden. Als sie wieder hinunter gehen wollten, waren ihnen Wölfe entgegen gekommen die wenig zögerten sie anzugreifen - Das war vor weniger als zwei Minuten gewesen. Inzwischen hatten sie notgedrungen fünf von ihnen unter Möbelstücken begraben oder in die Flammen gestoßen - eine Tatsache die vor allem dem Zwerg ernsthafte Schwierigkeiten bereitete. Er hatte schon so manchen sterben sehen und er hatte auch schon einige harte Kämpfe bestritten. Beim verteidigen des eigenen Lebens jemanden anderen zum Sterben in die Flammen fallen zu lassen gehörte dennoch nicht zu den Dingen die er je hatte tun wollen, doch die Wölfe waren aggressiv und hatten umgehend nach ihnen geschnappt. Würden sie nicht von Qualm umhüllt und von Flammen flankiert hätte er vielleicht mehr Raum zum denken und käme auf bessere Ideen um mit den heranstürmenden Tieren fertig zu werden, doch unter dem schlimmer werdenen Sauerstoffmangel war dies nur schwer möglich.
Der Stammagent rieb sich einen Moment die schmerzenden Rippen wo das erste Tier ihn gebissen hatte bevor es wimmernd weggesprungen war. Hätte er das silberne Kettenhemd nicht getragen wäre der Wolf nicht so leicht abschüttelbar gewesen, da war er sicher. "Wir müssen hier raus", sagte Sebulon so deutlich er konnte. Sie hatten Jargon nicht gefunden und sie wussten nicht wo Rabbe hin war. Wenn die Beiden noch in diesem Haus waren konnte ihnen niemand mehr außer ihnen selbst helfen. "Wahrscheinlich war es sogar Rabbe die das Feuer gelegt hat", schoss ihm durch den Kopf als Rib sich in einer Mischung aus Überraschung und Ärger umdrehte. "Wie, raus? Ich dachte wir suchen hier nach dem Schneidgut? Außerdem läuft hier immer noch Wolfspack herum, ich glaube wir tun den Anwohner nur einen gefallen wenn wir den einen oder anderen noch in die Flammen stoßen!"
"Aber wir sind nicht hier um Selbstjustiz zu üben!", rief der Zwerg verärgert, hustete aber wieder. "Hör zu", er schnappte nach Luft. "Wenn wir jetzt nicht hier raus gehen sterben wir hier auch. Dann können wir Jargon erst recht nicht helfen - vielleicht hat er es nach draußen geschafft, vielleicht auch nicht - aber auch wenn du den höheren Rang hast, ich habe die Leitung über diese Rettungsmission, und ich sage dass wir jetzt hier verschwinden", mit diesen Worten stapfte er in die Richtung in welcher er den Ausgang vermutete.
Rib starrte ihn verärgert an als seine Hose knapp über dem Fuß Feuer fing. Hastig schlug er es aus wobei sein linker Ellenbogen einen Funken abbekam und ebenfalls in Flammen aufging. "Okayokay, ich bin überzeugt!", rief er nun leicht panisch und folgte den anderen beiden die sich einen Weg Richtung Treppenausgang bahnten.

Dort angekommen stellte sich ihnen ein neues Hindernis in den weg - der Abgang der Treppe war vor dem Ausgang bereits am Brennen. Diesen Weg zu beschreiten wäre für einen Zwerg mit Mühe und sehr, sehr guter Ausrüstung die dieser nicht hatte und die für die Wache auch viel zu teuer war, vielleicht überlebbar. Für einen Kobold und einen nicht untrockenen Zombie [11] wäre es Tod innerhalb weniger Sekunden. Unter Ikaris Führung, der aufgrund seines Höhenvorteils am besten die Lage überblicken zu können schien, traten sie in einen abzweigenden Seitengang um nach einem anderen Ausgang zu suchen. Sie stolperten durch einen vergleichsweise dunklen Gang und kamen zurück in eine große Halle wo Ikari immer gebückter laufen musste weil der Qualm über ihnen zu stark wurde. Sie befanden sich auf einer Art Innenbalkon der rund herum durch die Halle ging. Hier oben brannte nichts - dafür war der Qualm schwarz und es war beinahe unmöglich etwas zu sehen - ihre Augen brannten und sie wurden immer schläfriger. Durch den Qualm drangen ein paar Schreie und Geheul hinauf. Dann eine bekannte Stimme: "Wenn ihr noch näher kommt mache ich euch auch fertig! Glaubt ihr etwa, Der Arschsack kann euch noch helfen? Der ist weg! Noch habt ihr eine Chance auf ein eigenes Leben, weg von ihm, weg von hier, aber nur wenn ihr mich jetzt gehen lasst!"
Jargon!
Hustend und prustend taumelte Sebulon an die Lehne vor und versuchte durch den Qualm etwas zu erkennen. Unten waren die Flammen deutlich höher - mühsam war erkennbar dass Jargon vor einem Ausgang zu sehen schien, vor ihm mehrere Wölfe. Wenn er sich umdreht erwischen sie ihn, schoss es dem Zwerg durch den Kopf und er versuchte fieberhaft in dem Rauch irgendetwas nützliches zu erkennen. Was konnte er sehen? Rauch. Verdammt viel Rauch. Er tastete sich weiter um so nah wie möglich an Jargon heran zu kommen, als er vor sich ein größeres Konstrukt entdeckte, dass vielleicht ihrer aller Rettung war.
Ikari entfuhr ein trockener Schrei. "Chrrrrrrrrrrrrttt", wurde plötzlich daraus und er hustete für eine Weile. Sebulon blickte zu ihm hinüber, erklärte Rib nebenher aber schnell sein Vorhaben. Das hier musste funktionieren. Wenn es das nicht tat würden sie alle sterben.

Jargon schnappte nach Luft. Er merkte dass seine Kraftreserven absolut am Ende waren. Bisher hatte ihn das Adrenalin auf den Beinen gehalten, aber der Hormonspiegel sank von Sekunde zu Sekunde weiter. Der Kampf mit Mane hatte ihn zu sehr geschwächt - körperlich und emotional. Er wusste dass unmittelbar hinter ihm der Ausgang war, doch was erwartete ihn? Kälte und wahrscheinlich noch mehr Wölfe. Und was war mit Rabbe? Er hatte sie früher gesehen, es war eindeutig sie gewesen in den Zellen. War sie entkommen? Als er das Gebäude in Brand gesetzt hatte waren seine Gedanken nicht so weit gekommen dass er an sie gedacht hätte. Als es ihm einfiel war es zu spät gewesen - die Kellertreppe hatte dank der Holztäfelung rundum gebrannt. Habe ich sie umgebracht?, kam ihm nicht zum ersten Mal in den Sinn. Er wäre selbst bereits schon tot wenn er das Gebäude nicht angezündet hätte, dessen war er sich sicher. Wenn man später aber herausfand dass sie wirklich hier gewesen war, würde er sich das nie verzeihen. Er würde zu Sebulon gehen und ihn bitten ihn zu verurteilen damit man ihn seiner gerechten Strafe zuführen würde.
Sebulon...
Der Zwerg war einer der wenigen Personen die er als seinen Freund betrachtete. Würde er ihn je wieder sehen?
In diesem Moment stand er hier - nackt und mit Ruß bedeckt, nicht mehr ganz Mensch, nicht mehr der, der er noch vor zwei Monaten gewesen war. Und er schwenkte eine Lanze mit brennenden Kopf hilflos vor den Wölfen herum. Sie knurrten und fletschten die Zähne.. und kamen sehr langsam näher. Er wusste es hatte keinen Sinn zu rennen, er konnte nur darauf hoffen dass er sie vielleicht erledigen konnte sobald sie ihm zu nahe kamen.
Als sie noch knappe zwei Meter von ihm entfernt waren erklang ein merkwürdiges Geräusch. Es klang wie eine sehr laute Feder die ausgelöst wurde, gefolgt von einem Ächzen und einem unfassbarem Scheppern als der Kronleuchter von der Decke stürzte was ein zermürbendes Jaulen nach sich zog da die Wölfe unter dem massiven Gebilde begraben wurden.
Jargon starrte fassungslos auf die drei Wächter, die von der gut fünf Meter breiten Hängelampe [12]herab sprangen.
"Jargon!" Sebulon kam hustend und leicht ächzend auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand, Rib und Ikari folgten und begrüßten ihn ebenfalls.
Jargon starrte sie einfach nur an während sie ihn an den Armen packten und begannen nach draußen mit zu zeihen. "Wie... wie seid ihr hierhergekommen?", brachte er nach ein paar Sekunden stockend hervor. Er war überglücklich die Drei zu sehen. Nun würde alles gut gehen. Er würde überleben. Er würde überleben!
"Lange Geschichte", grummelte Sebulon. "Wo hast du eigentlich deine Kleider gelassen?"

Als sie nach draußen traten wurde ihnen furchtbar kalt. Gleichzeitig war es eine unfassbare Wohltat, aus den Flammen und dem Rauch heraus zu kommen. Um das Anwesen herum waren auf den ersten Blick hin keine weiteren Wölfe mehr erkennbar, was die vier für den Augenblick als Entwarnung genug ansahen um sich - in angemessener Entfernung - erst einmal eine Weile aufs Gras zu legen um die Hitze aus ihren Körpern weichen zu lassen, wobei Jargon froh war, dass der Mond hinter einer dichten Wolkenfront verschwunden war. Für eine Weile herrschte Stille als sich alle der Erschöpfung ergaben - selbst Rib, der sonst so unerschütterlich wirkte gab keinen Mucks von sich. Sie alle waren wie geräuchert - die Haut zu trocken, die Hälse rau und schmerzend. Nach einer Ewigkeit erhob Jargon die Stimme. "Ihr... seid wegen mir gekommen...", sagte er leise.
Sebulon drehte sich leicht auf die Seite und nickte ihm zu. Er war zu erschöpft um zu sprechen, so erleichtert er auch war, dass Jargon noch lebte.
"...was ist.. mit Rabbe...?", fragte der Rechtsexperte leise und die Erschöpfung aller wurde durch erneute Anspannung ausgetauscht. Sie setzten sich auf und blickten sich gegenseitig an bevor der Blick der Truppe zum langsam abbrennenden Gebäude zurück ging.
"Wir haben gehört, wie sie die Treppe hoch ist und etwas über Architektur geredet hat, und sie fluchte...", sagte Ikari leise. "Als wir später hinterher sind hatte der Durchgang gebrannt. Wir wissen nicht..." seine Stimme erstarb.
Die Wächter starrten ins Feuer.

Sie blieben noch ein paar Tage in der Gegend. Erholten sich von dem Feuer. Suchten nach Rabbe. Sie fanden ein paar Anwohner die sie aufnahmen. Sie hörten von Kindern die heimkamen, nicht wussten was sie in den letzten Monaten getan hatten. Sie hörten, dass Frieden bei den Leuten einkehrte und dass die Ruine des Anwesens geplündert wurde.

Sie schickten eine Klackermeldung heim und packten alles um nach Ankh-Morpork zurück zu fahren.

Jargon schwieg über alles, was vorgefallen war.

Rabbe blieb verschwunden.





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Zur Kontinuität: Diese Coop ist jetzt passiert - das heißt, Rabbe ist ab jetzt ingame verschollen, bitte beachtet bezüglich der laufenden Multi den oben stehenden Hinweis. Es war nicht anders zu machen. I am so very sorry.

[1]  Ausdrücklich wird gewarnt vor: bildhafter Sprache, ausgeprägter Gewalt, Mord, angedeuteter Vergewaltigung und Kindesmisshandlung. Im Falle deutlicher Abscheu gegenüber einem dieser Aspekte wird der Leser ausdrücklich und im eigenen Interesse gebeten, die Geschichte nicht zu lesen.

[2]  Auf Wunsch: Rabbe hatte die Ereignisse und alle Rachegelüste verdrängt bis ihr durch die Püschositzung Rohrklonk und andere Püscho-Methoden die Vergangenheit wieder stärker bewusst wurde.

[3]  Siehe, Ia-Akte, andere Ia-Akte oder ganz andere IA-Akte

[4]  Siehe Vautam Reloaded

[5]  Was sie zusammen zwei Monatslöhne gekostet hatte

[6]  zumindest redete sie sich das ein

[7]  Was da Manes Frau, Jargons Vater sowie etwa zehn Halbbrüder und -schwestern Jargons waren.

[7a]  Ja, Rib war in diesem Moment durchaus als Projektil zu bezeichnen.

[9]  Oder so ähnlich.

[10]  Etwa so viele, wie an Lord Secabonums linker Hand noch vorhanden waren.

[11]  Um nicht zu sagen, wandelndes Räucherfleisch. Jetzt neu; Ikari-Jerky mit Raucharoma!

[12]  um des lieben Friedens willen... es wirkte mehr wie ein Flambeau als eine Hängelampe - Das Flambeau war majestätisch und wunderschön als es die Wölfe zerquetschte und den drei Wächtern einen epischen Absprung gewährte.




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Feedback:

Von Cim Bürstenkinn für Jargon Schneidgut

08.10.2014

Ebenfalls gratuliere zu der Geschichte. Ein gelungener und würdiger Wandel im Charakter eines Wächters :)
Gleichzeitig hat man Jargon wie man ihn kennt nie verloren und es wirkt nachvollziehbar und natürlich.
sorry, wenn ich hier wahrscheinlich mehr die Charakter-Entwicklung als eure individuellen Ergebnisse bewerte.

Von Cim Bürstenkinn für Rabbe Schraubenndrehr

08.10.2014

Zusammenfassend: hat mir sehr gut gefallen. Keine Scheu vor Gewaltszenen aber auch nicht so, dass man es als übertrieben empfinden würde.
Starker Vorzug der Coop ist natürlich der starke persönliche Bezug. Plötzlich wird mir klar, warum du in den MULTIS der letzten Jahre bei einigen Themen immer rumgezickt hast wenn es um Werwölfe, deinen Bruder, etc. ging.

Einziger Befund: Sebulon halte ich für etwas überzeichnet. Im Angesicht dieser tödlichen Bedrohung wird auch der IA-Zwerg zuerst an das Wohlergehen seiner Mitwächter denken und eine Gefahr so schnell wie möglich ausräumen und nicht darüber sinnieren, ob das den jetzt dem dritten Unterkapitel des Wache-gesetzes entspricht. Die Kerle sind Killer und ein Zögern in so einer Situation bedeutet üblicher Weise, dass 2-3 Wächter sterben....

Von Kanndra für Rabbe Schraubenndrehr

19.10.2014

Für beide:
Schreibtechnisch/stilistisch habe ich keine großen Unterschiede erkennen können. Und auch nichts, was mich groß im Lesefluss gestoppt hätte. Also nichts zu meckern ;).
Inhaltlich: der Warnhinweis war durchaus angebracht und ihr habt eine Welt gebaut, die meiner Meinung nach nicht mehr viel mit der Scheibenwelt gemein hatte - aber für die Coop hat das durchaus funktioniert und ihr seid ja nicht die Einzigen, die sich die Scheibe für sich zurechtbiegen. Im Grunde muss man das ja auch...
Den Bruch der "Continuity" hätte man mit ein paar kleineren Korrekturen schon vermeiden können. Aber auch das ist nicht so sehr ins Gewicht gefallen.

Von Ophelia Ziegenberger für Jargon Schneidgut

23.10.2014

Leider, leider muss ich sagen, dass mir an dieser Geschichte so viele Aspekte nicht gefallen haben, dass ich bis zum Schluss nicht mit ihr warm geworden bin. Allem voran war mir der agressive Anteil beschriebener Gewalt bei weitem zu hoch. Was ich ja auch schon vor dem Hochladen der Geschichte, als sie noch in der Entstehung war, als unangenehm anmerkte. Natürlich sehe ich ein, dass "manche Geschichten" dennoch erzählt werden müssen. Auch wenn sie nicht schön sind. Aber es gibt einfach Dinge, die mir persönlich beim Lesen absolut zuwider sind und die ich nicht lesen möchte. Dass Überwald - erst recht in den Fängen eines Wahnsinnigen - kein weiches Pflaster ist, davon bin ich immer ausgegangen. Aber es hätte meiner Meinung nach auch einmal im Laufe der Geschichte vollauf genügt, jemanden kotzen zu lassen, um seinen mitgenommenen Zustand bildlich zu verdeutlichen. Die angedeutete Vergewaltigung wäre auch an einer ausgewachsenen Frau schlimm genug gewesen etc. Ich kann das schwer erklären; Gewalt als Stilmittel, Gewalt als Plotelement... das ist absolut legitim und das nutze ich selber ebenso. Nur irgendwie... war es mir zu viel. Zu explizit. Ich weiß, Ihr hattet eben darum eine FSK-Empfehlung und Warnungen vor die Single gepackt. Ich denke mir nur, dass ich, wenn ich mich aus Gründen der Fairness eurer Mühe wegen und der Neugier wegen, was Ihr euren Figuren Weiterführendes angedichtet habt, die ganze Coop gelesen habe, ich sie auch werten darf. Und dass das dann - rein subjektiv betrachtet - auch ausnahmsweise einmal eine nicht so gute Wertung sein darf. Ich hoffe da auf euer Verständnis. ;-)

Zu Jargons Charakterentwicklung: Den Hintergrund seiner Figur finde ich mit dem heimlich Armeen zusammenstellenden, wahnsinnigen Herrscher Überwalds als Vater zwar etwas hoch gegriffen. Die Umsetzung dieser Idee ist dennoch gut gelungen. Das Anwesen entstand, mitsamt der Angestellten und der düsteren dörflichen Umgebung ziemlich detailiert vor Augen beim Lesen. Die Uniformität der Rekrutierten unterstrich dabei das Bedrohliche. Auch hier wären die Kinder als Druckmittelmotiv meiner Meinung nach nicht nötig gewesen, um die Bedrohungssituation zu verdeutlichen. Jargons Aufnahme im Haus seines Erzeugers im Kontrast zu seiner Persönlichkeit machte den Wahnsinn seines Vaters noch klarer; es wäre für jeden anderen schon auf den ersten Blick ersichtlich gewesen, dass Jargon auch nach den Jahren als Prügelknabe in seiner Kindheit nicht die Wesensaspekte entwickelt hat, die seinem Vater dabei vorschwebten und dass er - erst recht mit einem selbt erwählten Werdegang ausgerechnet als Wächter - nicht für dessen Plan in Frage kam. Jargons Wandlung verspricht einige spannende Optionen in der Zukunft. :-)

Von Ophelia Ziegenberger für Rabbe Schraubenndrehr

23.10.2014

Leider, leider muss ich sagen, dass mir an dieser Geschichte so viele Aspekte nicht gefallen haben, dass ich bis zum Schluss nicht mit ihr warm geworden bin. Allem voran war mir der agressive Anteil beschriebener Gewalt bei weitem zu hoch. Was ich ja auch schon vor dem Hochladen der Geschichte, als sie noch in der Entstehung war, als unangenehm anmerkte. Natürlich sehe ich ein, dass "manche Geschichten" dennoch erzählt werden müssen. Auch wenn sie nicht schön sind. Aber es gibt einfach Dinge, die mir persönlich beim Lesen absolut zuwider sind und die ich nicht lesen möchte. Dass Überwald - erst recht in den Fängen eines Wahnsinnigen - kein weiches Pflaster ist, davon bin ich immer ausgegangen. Aber es hätte meiner Meinung nach auch einmal im Laufe der Geschichte vollauf genügt, jemanden kotzen zu lassen, um seinen mitgenommenen Zustand bildlich zu verdeutlichen. Die angedeutete Vergewaltigung wäre auch an einer ausgewachsenen Frau schlimm genug gewesen etc. Ich kann das schwer erklären; Gewalt als Stilmittel, Gewalt als Plotelement... das ist absolut legitim und das nutze ich selber ebenso. Nur irgendwie... war es mir zu viel. Zu explizit. Ich weiß, Ihr hattet eben darum eine FSK-Empfehlung und Warnungen vor die Single gepackt. Ich denke mir nur, dass ich, wenn ich mich aus Gründen der Fairness eurer Mühe wegen und der Neugier wegen, was Ihr euren Figuren Weiterführendes angedichtet habt, die ganze Coop gelesen habe, ich sie auch werten darf. Und dass das dann - rein subjektiv betrachtet - auch ausnahmsweise einmal eine nicht so gute Wertung sein darf. Ich hoffe da auf euer Verständnis. ;-)

Direkt auf Rabbes Entwicklung in dieser Geschichte bezogen: Ich finde es gut, dass sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss. Zu erfahren, dass Rabbe früher anders war, dass sie sich mit viel Zuneigung um eine jüngere Schwester gekümmert hat, dass sie humorvoll mit ihrem Bruder umgesprungen ist und dass es eben einen sehr guten Grund dafür gibt, warum sich das zu der uns bekannten, rauhen Rabbe hin verändert hat, rundet ihren Chara ab. Es verleiht ihrer Figur Tiefe. Es erklärt ihr tägliches Verhalten innerhalb der Wache und die Dinge und Verhaltensweisen, für die sie kein Verständnis aufzubringen vermag.

Und... hey! High-Five, meine Liebe! ^^ Rabbe ist zwar aus anderen Gründen verschwunden... aber ich würde mal sagen, das kommt mir bekannt vor. ;-) Wir können jetzt gemeinsame Aus-dem-Off-Kommentare-Parties machen! :-D

Von Sebulon, Sohn des Samax für Jargon Schneidgut

23.10.2014

... Jargons Teile kamen mir besser geschrieben vor: knapper und klarer.
Etwas über Jargons Familie zu erfahren fand ich obendrein angenehm - verwundert hat mich in seinen Szenen aber mehreres. Beispielsweise dass Jargon so schnell wieder nüchtern wurde und dass er jetzt scheinbar kein Werwolf ist (war die Wirkung nur vorübergehend?).

Für beide gilt, dass ein ausführliches Gegenlesen von mir weiterhin befürwortet wird, um Wortwiederholungen, Rechtschreibunklarheiten, Sprachstil (Ich fand beispielsweise "Arschsack" zu platt um witzig zu sein) und dergleichen lesergerecht zurechtzustutzen.
Insgesamt bleibt mir der Eindruck, dass die Coop gut war. Und ich bin gespannt, wann / als was Rabbe wieder auftaucht.

Von Sebulon, Sohn des Samax für Rabbe Schraubenndrehr

23.10.2014

Neulich hab ich eine DSA-Runde geleitet und am Ende AP-Abzug gegeben - aufgrund übermäßiger Gewalt. Was hat euch geritten, die Cooperative derart blutig zu gestalten?
Having said this: Die Geschichte liest sich über weite Strecken flüssig. Sebulon finde ich gut getroffen ...

Von Tussnelda von Grantick für Jargon Schneidgut

09.10.2014

Für Beide:
Am Anfang fiel es mir schwer der Geschichte zu folgen - die eine oder andere Rückblende hat dann zwar zum Verständnis geführt, wäre aber unnötig gewesen, wenn chronologisch erzählt werden würde. Auch was die Perspektive betraf gab es -für meinen Geschmack- einige rasante Wechsel. ich mag es lieber, wenn Du dichter bei Rabbe bist, da bist Du viel emotionaler, sinnlicher - liest sich einfach immer sehr schön.
Finger weg vom Telling;-) Du weißt schon, zeigen, statt erzählen. @Rabbe.

Mir ist niemals klar geworden, worüber sich Bregs zu Anfang amüsiert - das kam auch später nicht: Ein vergessener Subplot?

Ich mag sehr die Stimmung der Szene von Rabbe vor 16 Jahren, sehr heimelig irgendwie obwohl da immer dieser Grauschleier der Vergangenheit durchschimmert. Nice. Und dieses nette wird dann von der dumpfen Drohung von Alex langsam zerstoßen, bis dann die Wölfe kommen. Ich mag vor allem die Art, wie Du das Satzschema zwischendurch durchbrichst. Lange Sätze, dann Einwortsätze. Hübsch.

Ab der Mitte der Erzählung, gewinnt die Geschichte an Kraft, Tempo! Gut!
Hier gefällt mir besonders die Szene, wie Jargon auf seinen Vater trifft, da wirkt auch die Zweiperspektivenstellung sehr großartig!

Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum Jargons Vater ihn schliesslich töten will, bzw. "beweisen will, dass er der bessere Anführer ist". Der Gesinnungswechsel ist plötzlich...

Von Rabbe Schraubenndrehr

18.11.2014 07:57

Endlich Bewertung! Jaaah!



[size=50]((Auch wenn ich irgendwie schon wieder weniger Punkte habe als mein Coop-Partner... -.-´´ nennt mich kleinlich aber irgendwann wirds doof...))[/size]





So, jetzt zum einzelnen.

- Gewalt

Die Geschichte hat an Gewaltgebieten so ziemlich nichts ausgelassen, das stimmt. Der Grund warum wir, bzw vor allem ich der Meinung war dass die dinge so sinnvoll sind lag daran dass ich die geschichte so "realistisch" (haha.) wie möglich haben wollte. Menschen sind grausam und manchmal extrem gewaltvoll ohne grund. Mir war das wichtig, speziell im Bezug auf Rabbe hatte die Gewalt die direkt mit ihr zu tun hatte auch immer etwas mit ihrer Charalterentwicklung zu tun, ich wollte eigentlich mit allen Sachen etwas unterstreichen. Ich werde jetzt nicht im Detail darauf eingehen was wegen was war, manche Dinge sind zugegebenermaßen nur geschehen weil ich wollte das Rabbe mit bestimmten Umständen konfrontiert wird. So wie Rabbe als Charakter wegen ihrer Ereignisse in der Vergangenheit geworden ist hielt ich es für notwendig das all diese Dinge passiert sind. Dass in der angedeuten vergewaltigung eine mindejrährige vorkam hatte hauptsächlich den Grund dass ich Rabbes... Beschützinstinkt deutlicher herausstellen wollte. Wenn die Person eine erwachsene Frau gewesen wäre hätte es Rabbe bedeutend weniger ausgemacht und sie hätte die Gefahr die Cero potenziell auch für ihre Schwester und die Schwestern anderer Leute darstellte anders bewertet.

Die Geschichte war sehr brutal, ja - ich glaube tatsächlich dass es für die nächsten Jahre mit Sicherheit die heftigste meiner Geschichten in dieser Art sein wird - ich möchte aber auch kurz erwähnen: Die Geschichte war hier bereits entschärft. Eigentlich waren manche Sachen noch wesentlich expliziter... *pfeif*



-Werwolf

Ganz deutlich: Jargon ist jetzt ein Werwolf und bleibt einer.



-Contuinity

Ich habe lange rumgebastelt. Ich bin ehrlich der Meinung dass es nicht wirklich lösbar war.



-Alkohol

Wir gingen davon aus das Jargon so irrsinnig voll mit Adrenalin augepumpt ist dass der Alkohol da nich mehr viel ausmacht. Uns fehlt da etwas praxiserfahrung... nächstes mal lassen wir ihn den alkohol wieder erbrechen, dann passt das



-Bregs

Es war einfach ein fingerzeig darauf dass bregs sebulon andauernd gerne ins ausland schickt um ihn aus dem weg zu haben. Das war alles was ihn da amüsiert hat. Weiß grade nich mehr wie ich das geschrieben hatte aber ich dachte ich hätte es inzwischen deutlicher gemacht... hmmm





Ich finde doof dass es keine Möglichkeit gibt herauszustellen welcher cooppartner wieviel Formarbeit gemacht hat...





@Britta JAAAA! Wir sind beide verschollen! :doppeld: Allerdings komme ich ingame hoffentlich schon anfang nächsten jahres wieder, so lange dauert das also wohl nich... Dennoch ein toller zufall ^^

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