Vassanegos Schüler oder: Der Club der tötenden Dichter

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von Hauptgefreiter Kolumbini (RUM)
Online seit 01. 03. 2004
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Das Leben könnte so einfach sein, wenn man nicht, wie der Hauptgefreite Kolumbini, an einem Internat einen äußerst vertrackten Mordfall, mit einem Haufen Verrückter als Zeugen lösen müsste...

Dafür vergebene Note: 12

Vorwort des Autors:

Sämtliche Personen in dieser Single sind FREI ERFUNDEN und KEINE Parodien auf irgendwelche Schüler/innen oder Lehrer/innen von der Schule, die ich besuche! Sie basieren GANZ UND GAR NICHT auf reell existierenden Personen!! Das möchte ich nur noch einmal hervorheben!!!

Diese Single soll keine Beleidigung an bestimmte Personen sein. Sie ist MIT NICHTEN eine Parodie auf die heutige Jugend.

Äußerst lose basierend auf der Columbo-Folge "Columbo goes to College"

Gewidmet: Herrn Keller, Herrn Ciliox, Herrn Röhrig, Herrn Räuber, Herrn Behrendt, Frau Werchner und einigen anderen Lehrern für manch geniale Unterrichtsstunden und Frau Dürauer für zynische Kommentare.

Dank geht an: Meine Korrekturleser Bregs, Valdi und Michael Völkner, sowie an eine Jahrgangskameradin, die mir die Erlaubnis dafür gab, sie in dieser Single in verzerrter Form darzustellen.


Flackernder Kerzenschein erhellte den kleinen Raum, in dem jemand vier Sessel in einem Halbkreis aufgestellt hatte, deren Dunkelheit vier Personen verbarg.
"Er muss sterben, meine Brüder", sagte einer der Sessel, mit einer Stimme, die vor Autorität triefte, allerdings auch etwas leicht verschlafenes inne zu haben schien.
"Abber mer könne en doch net einfach so umbringe, Hyronnimus, nur weil er uns durch das Schuljahr rassele lasse will", sprach eine andere Person.
"Wie oft soll ich dir noch sagen, Bruder Babbel, dass du meinen Namen nicht laut aussprechen sollst? Was ist, wenn uns jemand ausspioniert? Willst du, dass unser Club auffliegt? Willst du, dass wir allesamt im Gefängnis landen?"
"Ei, nee."
"Aber Bruder...Babbel, ist im Recht, wenn er die Feststellung äußert, dass wir Herrn Callowdeck nicht einfach so ins Jenseits befördern können, Bruder...Cheffe", fügte eine weitere Stimme hinzu, die stark näselnd klang.
"Na bitte, Bruder Schwafel, es geht doch. Warum sollen wir es nicht können? Wir werden nicht verdächtigt werden. Ich habe bereits einen perfekten Plan ausgearbeitet. Niemand wird uns auf die Schliche kommen, glaubt mir."
"I-ich h-h-habe gedacht, wwir wwürden nur dichten", jammerte ein weiterer Sessel.
"Ach, Bruder Stutz, warst du wirklich so naiv, zu glauben, der Name "Club der tötenden Dichter" hätte keine Bedeutung? Du weißt, dass wir dich nun nicht mehr gehen lassen können. Aber wenn du aussteigen willst, können wir dich tragen lassen."
Das Lachen von Bruder Cheffe fand bei Babbel und Schwafel Anklang und sie stimmten mit ein.
"Überhaupt sind deine Gedichte der absolute Müll. "Der Ankhe gurgelte in der Nacht"? Wir haben wohl einen zweiten Jakob von Offenbach in unserer Runde, was?"
"I-ich bin kein Vam-pir, das wweißt du."
"Natürlich wissen wir das. Ich, Bruder Schwafel und Bruder Babbel."
"Dürfte ich vielleicht anmerken, dass nach meiner bescheidenen Meinung unsere Spitznamen in Diskrepanz zu der Stärkung unseres Selbstwertgefühls stehen?"
"Sei still, Schwafel", keifte das Clubmitglied namens Hyronimus zurück.
Bruder Stutz blickte in die Leere und dachte daran wie alles angefangen hatte. Seine Gedanken glitten eine Woche zurück.
...
Ein typischer Tag am Lord Winder Internat:
Die Mädchen legten sich gerade die fünfte Schicht von Schnapptopf Donnerstoß' feinster Schminke auf und die Jungs sprachen miteinander über die Frau ihrer Träume, wobei fast immer die entsprechende Person nichts von den jungen Herren wissen wollte.
Von der Damengruppe ging hin und wieder ein schrilles Kichern aus, während die Herrengruppe sich auf ein affenartiges "Höhöhö" beschränkte, das ab und an erklang.
Abseits der Gruppen saß an der linken und an der rechten Seite des kargen Flures jeweils eine Person.
Links hatte ein recht kleines Mädchen Platz genommen, das in einem Schulbuch schmökerte, ab und an in ein Butterbrot biss und gelegentlich Blicke zu ihrem Gegenüber warf. Selbiger war ein dürrer Junge, der mit seinem bleichen Gesicht wie eine Wasserleiche wirkte. Natürlich trug er eine Brille. Er starrte ins Leere und aß geistesabwesend etwas von seinem Butterbrot.
Der Name des Jungen war Marcus Schmitz. Wie in jeder Pause saß er einfach da, während er über sein miserables Leben nachdachte und versuchte, einen Ausweg zu finden.
Nun ein Ausweg war ihm schnell eingefallen, aber vermutlich würde er vom Internat kein Grab gespendet bekommen, wenn er den Boden mit seinem Blut versaute.
Seine Eltern waren nämlich bereits vor einigen Jahren gestorben und somit war er eine der wenigen Waisen im Hause.
Wie erwartet klingelte es pünktlich zur Stunde. Der Hausmeister Argus Michel mochte ein Säufer ohnegleichen sein, aber wenn es darum ging, die große Schulglocke pünktlich zu läuten und sich somit bei den Schülern unbeliebt zu machen, war er sehr zuverlässig.
Die einzige Person, die sich zu freuen schien, war die junge Dame, die zuvor im Buch geschmökert hatte. Ansonsten ging ein genervtes Stöhnen durch die Reihen der Schüler.
Im Klassensaal wartete bereits ein großer und ziemlich muskulöser Herr, den die Schüler nur allzu gut kannten. Immerhin war Jakobus Callowdeck ihr Lehrer für Ephebianische Mathematik, Latatianisch und Sport.
Außerdem war allgemein bekannt, dass er immer pünktlich war.
"Hopp, hopp!" trieb er die Schüler und Schülerinnen mit seiner grollenden Stimme zur Eile an. "Wir wollen doch keine wertvolle Unterrichtszeit verlieren, was? Hahaahaa."
Sein Lachen war mehr ein freundlicher Donner, den man eher von einem fetten Mann, als von einem Muskelpaket wie Callowdeck erwartete. Unter den Schülern ging das Gerücht um, dass Callow, wie man ihn auch manchmal nannte, früher in der Morporkianischen Armee gewesen sei.
Etwas anderes, das die Schüler stets über ihn sagten, war, dass er wie ein Uhrwerk funktioniere.
"Wurde ja langsam Zeit", grollte er, als die Klasse Platz genommen hatte.
Der Saal war mit mehreren Sitzbänken eingerichtet, vor denen Tische angebracht worden waren.
Die erste Reihe war bis auf die kleine Bücherschmökerin leer und selbst in der zweiten saßen bis auf Marcus nur wenige Leute. Erst in den letzten beiden Reihen hatte der Rest der Klasse es für weise gehalten, sich zu setzen.
Kaum einer will weit vorne sitzen, wenn der Lehrer irgendwelche Freiwilligen sucht, was jedoch eine falsche Logik ist. Generell wissen Lehrkräfte, dass schlechtere Schüler automatisch in den hinteren Sitzreihen Platz nehmen.
"Ich habe Ihre Klausuren überprüft", fuhr Callowdeck fort.
Bis auf ein freudiger Ausruf aus der ersten Reihe, schallten dem Lehrer Verkündigungen der Enttäuschung entgegen.
"Wie ich sehe ist Fräulein Gutherr die einzige Person, die sich auf ihr Ergebnis freut. Und dazu hat sie allen Grund, denn sie ist die EINZIGE PERSON, DEREN ERGEBNIS ÜBER FÜNF PUNKTEN LIEGT!" Die letzten Worte schrie er und die Klasse zuckte zusammen.
Allerdings mussten sie zugeben, dass fünf von fünfzehn Punkten nichts Gutes waren. Vorausgesetzt, man hatte sie.
"Ich musste mir eine Genehmigung vom Internatsleiter holen, damit ich keine Wiederholungsarbeit schreiben muss. DAS KANN NICHT SEIN!! Ihr wisst, ich hege deshalb keinen Groll gegen irgendjemanden von euch. ABER DAS KANN NICHT SEIN!! Wie kann man so viele Fehler machen? Ich bin mit den Fehlergrenzen sehr großzügig nach unten gegangen und die beste Note hat Fräulein Gutherr mit 12 Punkten. Und ich muss wirklich sagen, dass ich sehr enttäuscht von Ihnen bin, Fräulein. Das war Ihre schlechteste Note überhaupt."
Wäre Fräulein Gutherr ein Junge gewesen, so wäre sie in der nächsten Pause zusammengeschlagen worden. In der Schule herrschte das Gesetz des Leistungsschwächeren und dafür körperlich Stärkeren.
"Sie bekommen nun Ihre geistigen Ergüsse zurück und wenn auch nur einer außer Fräulein Gutherr stolz auf seine Leistung ist, so bekommt er von mir einen Satz warme Hände verpasst.[1] Und nach der Stunde möchte ich noch folgende Herren sprechen: Herrn Schmitz, Herrn Schmatze, Herrn Rust und Herrn Bauer."
...
Und er hatte mit ihnen gesprochen, wie sich Marcus Schmitz an jenem Tag, an dem sich der Club der tötenden Dichter getroffen hatte, um zu beraten, wie es weitergehen solle, erinnerte.
Callowdeck hatte ihnen erzählt, dass er nicht zulassen würde, dass sie dieses Schuljahr absolvieren würden. Und er wusste, wie wichtig dieses Jahr war. Denn die Schüler gingen nach diesem Jahr vom Internat, um in fernen Städten einen Beruf zu ergreifen. Ärzte, Professoren und andere Gelehrte...Das war es, was das Lord Winder Internat herstellte.
Überall galt es als Eliteunterrichtshaus.
Wenn man das jetzige Schuljahr nicht schaffte, so konnte man eine erfolgreiche berufliche Karriere an den Nagel hängen. (oder sich selbst an einen Strick)
"Also gut", sagte Bruder Cheffe und riss Marcus aus seinen Gedanken. "Wir werden morgen noch einmal mit ihm reden und versuchen, ihn zu überzeugen, dass er uns bessere Noten gibt. Falls er uns dann ablehnt...nun, dann gibt es nur noch eine Möglichkeit, unsere Zukunft zu retten. Und nehmt einmal an, wir würden verhindert werden, Ärzte zu werden, wodurch viele Menschen an Krankheiten sterben würden, die wir behandelt hätten. Ist unter solchen Umständen nicht der Tod eines Menschen angemessener?"
Babbel und Schwafel stimmten zu und in der Dunkelheit seines Sessels grinste Bruder Cheffe in sich hinein.

Der nächste Tag begann wie jeder andere.
Marcus zog sich seine Schuluniform an, die für Jungen aus einer weinroten Weste, weißem Hemd sowie schwarzer Hose und für die Mädchen aus einem schwarzen langen Rock mit weißer Bluse und einem weinroten Barett bestand. (Meist war das Schwarz inzwischen Grau und das Weinrot hatte ebenfalls bessere Zeiten gesehen)
Danach suchte er sich seine Schulbücher zusammen, packte sie, zusammen mit Pergament, Füllfederhalter und Tintenfass, in eine lederne Umhängetasche und verließ sein Zimmer, das er sich mit niemandem teilte, in Richtung Speisesaal.
Wie jeden Morgen ging Schmitz alleine durch die Gänge und wurde auch von niemandem angesprochen, dem er begegnete.
Hauptsächlich sprachen die Leute nicht mit ihm, weil er, seit dem Tod seiner Eltern, zu stottern begonnen hatte. Still frühstückte er an einem Tisch, den er ganz alleine besetzte und ging schließlich schweigend in die Klasse.
Warum war er nur dem Club der tötenden Dichter beigetreten? Hatte er wirklich so dringend Freunde gebraucht?
War er überhaupt so naiv gewesen, zu denken, dass diese...Kerle ihn aufnehmen würden? Er hatte ihnen vorgemacht, er wolle sich auch an Callowdeck rächen. In Wirklichkeit wollte er nur jemanden, bei dem er seine Gedichte an den Mann bringen konnte. Sich die Seele aus dem Leibe dichten...Alle Sorgen auf dem Pergament gefangen halten und sich für immer von ihnen entledigen.
Das war es, was er wollte.
Aber es war zu spät, jetzt noch etwas zu bereuen. Er traute den anderen Brüdern zu, dass sie ihn töten würden, sobald er auch nur versuchte, auszusteigen.
Vermutlich war er genau wie Franziskus Schmatze und Kornelius Bauer diesem Bastard Hyronimus Rust auf den Leim gegangen und steckte nun zu tief drinnen, um aufhören zu können. Denn Franz und Kornelius waren zu feige, etwas zu sagen.
Insgeheim betete Marcus zu allen Göttern der Scheibe, dass Callowdeck doch noch Einsicht hatte.

"Das können Sie sich an Ihren verdammten Hut stecken, meine Herren. Bei mir verdient man sich gute Noten durch Mitarbeit und nicht durch Geld. Mögen Ihre Väter noch so reich sein, Sie sind faule Mistkerle und ich werde Ihnen, nur weil Sie mich darum bitten, keine bessere Note geben", schrie Callowdeck nach der Stunde.
"Aber Herr Callowdeck. Verstehen Sie doch..."
"Nichts da, Rust. Ich kenne deinen verdammten Vater und es ist mir auch scheiß egal, wie viel Geld du mir anbietest, du kannst dir deine Note nicht erkaufen, du verwöhnter kleiner Mistkerl. So eine Frechheit ist mir in meiner gesamten Laufbahn als Lehrer noch nicht vorgekommen und jetzt muss ich gehen."
Bei den letzten Worten rannte er schon. Vermutlich drückte ihn sein Zeitplan.
"Sie haben das Sie vergessen, Herr Callowdeck", flüsterte Hyronimus scharf. "Heute Abend bei der alten Weide", fügte er lauter hinzu und verließ den Raum.
Franziskus und Kornelius folgten ihm.
Nur Marcus stand weiterhin im Saal, blickte in die Leere und bemerkte, wie der Zug seines Lebens langsam aber sicher aus dem Gleis kam.[2]

Die vier Sessel standen wieder im Halbkreis.
Für ein verfallenes Kellerverlies war der "Clubraum" der tötenden Dichter ziemlich gut eingerichtet. Kerzen brannten und an der Wand hing eine Uhr, die den Raum mit einem beruhigenden Ticken füllte.
Größtenteils war diese exklusive Einrichtung Hyronimus zu verdanken. Sein Vater Lord Ronald Rust, einer der wohlhabendsten Männer der Stadt, erfüllte dem jüngsten Sohnemann gerne alle Wünsche und wenn die Nachfrage, was Söhnchen mit dem Geld tun wollte, die Antwort ergab, er wolle einen Club gründen, so war der Vater nur allzu gerne bereit, ohne Fragen zu geben.
"Ihr habt gesehen, Brüder, wie er uns runtergemacht hat", begann Bruder Cheffe. "Jetzt haben wir nur noch die eine Möglichkeit. Nächsten Dienstag trägt er die endgültigen Noten ein und dadurch würde unsere Zukunft den Bach runtergehen, das müsst ihr einsehen. Ich habe mich erkundigt und der Tag wird Montag sein. Der Todestag von Jakobus Callowdeck. Andernfalls könnt ihr eure berufliche Karriere an den Nagel hängen. Es sei denn, ihr wollt Wächter werden."
Drei von vier Brüder lachten lauthals und hämisch.
"Findest du es etwa nicht komisch, Bruder Stutz?"
"N-nicht besonders, n-nein", gab der Angesprochene als Antwort. "Wwarum engagieren wwir keinen A-aassassinen?"
"Das ist ein guter Einwand, Bruder, und ich habe mich bereits vorher danach erkundigt, wie es mit der Anheuerung eines Meuchelmörders aussieht. Die Gilde akzeptiert nur volljährige Auftraggeber und mein Vater wird mir sicher keinen Assassinen zum Geburtstag schenken. Außerdem würde diese Sache wohl kaum unserem Ruf gut tun. Wohingegen ein Mord..."
"N-noch mehr Aufsehen verursacht, wwen e-er aufgeklärt wwird."
"Wer soll uns denn auf die Schliche kommen? Die Stadtwache etwa? Ein Haufen von inkompetenten Versagern, nichts weiter. Selbst, wenn sie ihren besten Mann schicken...wir werden ein perfektes Alibi haben, ganz im Gegensatz zu Fräulein Gutherr."
"Wwas? Das kann doch uuunmöglich dein Ernst sein. Sie hat damit n-nichts zu tun", sprudelte es aus Marcus heraus.
Hyronimus lächelte in der Dunkelheit seines Sessels.
"Sie wird ein gefundenes Fressen für die Wächter sein. Am Montag sortiert sie nämlich für den Leiter die Zeugnispapiere und schreibt die Namen darauf. Allerdings wird sie dabei nicht bewacht. Über das Motiv werden sich die Wächter keine Gedanken machen, wenn sie nur genug Beweise gegen sie haben. Callowdeck hat Montags früher Schluss und während er stirbt sitzen wir beim guten alten Oflo im Biologieunterricht."
"Abber wie willsten umbringe, wenn wir doch gar net do sin? Die Guddherr wirste net überrede könne, dass se en umbringt."
"Wir MÜSSEN sie ja nicht überreden, weil sie ihn ja nicht UMBRINGT, du Volltrottel!"
"Bisher entzieht sich deine Argumentation jeglicher Logik. Wie gedenkst du denn nun Herrn Callowdeck ins Jenseits zu befördern?"
Bruder Cheffe gab keine Antwort und für kurze Zeit herrschte fast völlige Stille.
Dann begann er schallend zu lachen.

Die Schüler hassten den Montag.
Er war das Ende vom Sonntag und somit der allwöchentliche Beginn der Schule. Wenige Schüler fuhren über das Wochenende nach Hause, da viele von weit her kamen und keine Verwandten direkt in Ankh-Morpork hatten.
Außerdem war am Lord Winder Internat Montags für die höheren Klassen länger Unterricht und das Mittagessen wurde deshalb verschoben.
Fräulein Gutherr mochte diesen speziellen Montag, da sie der Internatsleitung behilflich sein konnte, was sie nur allzu gerne tat. Heute Morgen vor dem Unterricht hatte sie dem Stallwärter Rainer Hübschmaul unter die Arme gegriffen und momentan sortierte sie die noch (bis auf den Namen) leeren Zeugnispapiere. Sie war eine jener Personen, die man sozial nannte.
Auch Jakobus Callowdeck mochte Montage, da er Montags früher mit der kleinen Kutsche, die er besaß in sein Haus in der Stadt fahren konnte.
Mit einem Blick auf die Taschenuhr stellte er fest, dass er genau im Zeitplan lag und ging deshalb in seinem normalen Laufschritt weiter in Richtung Stall, wo auch die jungen Herren ihre Kutschen abgestellt hatten.
Callowdecks Fahrzeug war kaum mehr als ein Eselskarren und war auch mit einem solchen Tier bespannt, was der Stallwärter immer für ihn erledigte.
Seltsamerweise war dieser nirgends im Stall vorzufinden.
Er klopfte seinem Esel, den er Perditus getauft hatte auf den Rücken.
Es war wirklich ein herrlicher Tag.
Nun das fand Callowdeck zumindest bis zu dem Zeitpunkt an dem sich ein Bolzen in seinen Hinterkopf bohrte.

Lord Vetinari, der Patrizier von Ankh-Morpork, blickte aus dem Fenster des Rechteckigen Büros über die Dächer der herbstlichen Stadt.
Die hier und dort verteilten Bäume hatten sich inzwischen ein anderes Blätterkleid zugelegt und einige hatten bereits ihre Pracht auf den Straßen verteilt.
"Herein, Kommandeur", sagte der Patrizier, als es an der Tür klopfte. "Wie schön, dass du meinem Gesuch so schnell Folge geleistet hast", fügte er hinzu, als Rince das Büro betreten und salutiert hatte.
"Natürlich, Herr", antwortete der Leiter der Stadtwache, der etwas verschlafen dreinblickte. Vetinari hatte ihn in seinem Mittagsschlaf gestört. "Ihr wolltet mich sprechen, Herr."
"Ja, Kommandeur. Wie du sicher bereits weißt, ist im Lord Winder Internat ein Lehrer mit einem Armbrustbolzen im Kopf aufgefunden worden."
"Herr", meinte Rince, der das eben genannte Fakt noch nicht gewusst hatte und nach einer geeigneten Aussage suchte.
"Das Internat befindet sich in einem Vorort der Stadt und ich möchte dich darauf hinweisen, dass die gesamte Schülerschaft aus Söhnen und Töchtern von einflussreichen Personen in- und außerhalb von Ankh-Morpork besteht."
"Was meint Ihr, Herr?"
"Ich wollte dich nur darauf hinweisen, Kommandeur, dass es sicher ein geschickter Schachzug wäre, einen geeigneten Wächter auf diesen Fall anzusetzen."
"Natürlich, Herr."
"Einen Herrn von äußerster Diskretion. Wenn ich dir meinen Vorschlag unterbreiten dürfte?"
"Natürlich, Herr."
"Ein Mann mit der richtigen Bildung und dem nötigen Wissen in Umgangsformen. Meiner Meinung nach ist er genau der Richtige für diesen Fall."

"Guten Tag, der Herr. Inspäctor Kolumbini mein Name, von der Stadtwache von Ankh-Morpork."
Zufrieden betrachtete sich der kleine Herr im Trenchcoat in einem Spiegel, der genauso groß war wie er.
"Bist du fertig, Igor?" rief er laut aus.
"Natürlif, Herr. Die Kutfe ift bereit fur Abfahrt", lispelte eine bucklige Gestalt mit einem Gesicht, das aus einem Netzwerk aus Narben bestand, nachdem sie hinter dem Wächter aufgetaucht war.
"Sehr schön", lobte Inspäctor "Fred" Kolumbini seinen Diener.
"Leider haben wir daf Problem, daff if bifher keine Gelegenheit fand, fie nach dem Unfall komplett fu reparieren, wefhalb wir nift fehr fnell fahren können."
"Igor, du weißt, dass ich es hasse, wenn du mit der Kutsche so schnell fährst. Du lässt das mit der Reparatur, ja?"
"Natürlif, Herr. Äh, bift du fifer, daff du meine Hilfe nift in Anfpruch nehmen willft? Bei deinem neuen Fall meine if."
"Ich habe dir das nun oft genug gesagt, Igor. Du wirst, sobald du mich beim Internat abgesetzt hast, wieder hierher fahren, um auf das Haus und auf Ivonne und Emilia aufzupassen. Irgendwer muss doch hier nach dem Rechten sehen, oder? Ich meine zwei Frauen alleine in einem Haus? Das kann doch gar nicht lange gut gehen."
Der Hauptgefreite lächelte schelmisch und ging zusammen mit seinem Diener zur Kutsche.
Von selbiger zu behaupten, sie sähe ein wenig lädiert aus, wäre das gleiche, als würde man behaupten, der Große Nef wäre ein wenig trocken.
Überall waren kleine Kratzer und Dellen im Holz und eines der Räder wirkte schief.
Der Bucklige namens Igor setzte sich auf den Kutschbock, wartete, bis sein Herr in das grau gestrichene Gefährt geklettert war und trieb die Pferde zu einem leichten Trab an.

Das Lord Winder Internat lag in einem Vorort von Ankh-Morpork und war ein ehemaliges Herrenhaus, gesäumt von einigen hohen Bäumen und einem großen Garten, der zu einem Sportplatz umfunktioniert worden war.
Da man körperliche Ertüchtigung für unverzichtbar hielt, oder dies zumindest ein ehemaliger (irregeleiteter) Rektor gedacht hatte, war einige hundert Meter neben dem Hauptgebäude ein neues errichtet worden, dass den Schülern im Herbst und Winter als sportliche Betätigungsstelle diente.
Im Internat selbst konnte man vermutlich keinen Stein werfen, ohne irgendein Kind eines reichen Pinkels zu treffen. Es wimmelte von Adelssprösslingen, dem einem oder anderem Emporkömmlingskind und sehr wenigen Ärztekindern. Meistens kamen sie von weiter her, da die Familie keine Lust hatte, die verfluchten Gören öfter als in den Ferien sehen zu müssen.
Hyronimus Rust, Sohn von Lord Ronald Rust, blickte aus dem Fenster der zweiten Etage der Lehranstalt und erspähte eine graue Kutsche, die sich langsam näherte.
Je geringer die Entfernung zwischen ihm und dem Gefährt wurde, desto mehr Einzelheiten erkannte er an dem selbigen: Es war verbeult und eierte ein wenig. Mit anderen Worten: Die Kutsche konnte nur einem "niederen Bürger" gehören, wie es ein richtiger Rust ausgedrückt hätte.
Knarrend kam sie auf dem mit Kies bedeckten Vorhof zum Stillstand, nachdem sie das Tor passiert hatte und der Adelssprössling bemerkte, dass ein sehr kleiner Mann in einem hellbeigen Trenchcoat aus dem lädierten Fortbewegungsmittel ausstieg.
Er war kein Zwerg, soviel konnte Hyronimus erkennen, obgleich die genauen Gesichtszüge des Fremden auf diese Entfernung nicht zu erfassen waren.
Als der Mann jedoch an die Tür klopfte geriet er aus Rusts Blickfeld und er beschloss, sich nicht weiter um diesen kleinen "niederen Bürger" zu kümmern.

Inspäctor blinzelte in der Herbstsonne und klopfte entschlossen an die große Doppeltür aus Eiche.
Bereits nach kurzer Zeit öffnete ein leicht dicklicher Mann mit einer Nase wie eine Rotlichtlampe das Portal und fragte: "Scheit wann schickt en die Bettlergilde Leute hierher, hä?"
"Oh, da liegt ein Missverständnis vor, der Herr. Ich bin Inspäctor Kolumbini von der Stadtwache von Ankh-Morpork", erklärte er und hielt dem Trunkenbold seine Dienstmarke unter die Säufernase. "Einige meiner Kollegen müssten eigentlich schon hier sein."
"Schoscho. Isch bin der Hauschmeischter. Argusch Mischel."
Warum überrascht es mich nicht, dass ein runtergekommener Trunkenbold an dieser Schule Hausmeister ist?
"Da wäre ich nie darauf gekommen", meinte Fred ohne auch nur die leiseste Spur von Sarkasmus in seiner Stimme.
"Ihr Kollege ischt schon im Stall, wo der Typ umgelegt wurde."
"Würden Sie mich hinführen, Sir?"
"Wie hamsche misch grade genannt?"
"Was? Oh, entschuldigen Sie. Wissen Sie ich bin erst seit kurzem gezwungen diese Förmlichkeiten in der Wache einzuhalten. Sie wissen schon die Sache mit den Sirs und Ma'ams. Bis vor kurzem waren die Leute immer mit einem einfach "der Herr" oder "gnä' Frau" zufrieden. Und weil ich so oft üben musste, falle ich oft in diese Sprechweise hinein", schloss Kolumbini die, für den Hausmeister, vollkommen unplausibel klingende Erklärung.
Während er sich in den Bart murmelte, führte Argus Michel den Ermittler in den recht großen Stall des Internats, in dem viele Schüler ihre Kutschen abgestellt hatten.
Das Gebäude war fast leer, was Personen anging.
Lediglich Chief-Korporal Sillybos, der gerade seinem Beruf als Tatortsicherer nachging und Herr Made, der ihm dabei behilflich war, befanden sich in dem Kutschenaufbewahrungszentrum(wie ein etwas merkwürdiger Kerl einen Stall nennen würde), auf dessen mit Stroh bedecktem Boden die Leiche eines Mannes lag.
"Hallo, Kolumbini", begrüßte Made den Ermittler. "Auch hier?"
"Genau, Herr Made. Mir wurde der Fall zugeteilt."
Wenn der halbe Brindisianer gewusst hätte, von wem der "Vorschlag" dafür gekommen war, wäre er sicher wesentlich aufgeregter gewesen, als er es war.
"Freut mich, das zu hören. Leider haben wir noch nicht viel rausfinden können, nicht wahr, Sir?"
Sillybos richtete sich langsam, einen blutigen Armbrustbolzen in einer behandschuhten Hand haltend, auf und verstaute das tödliche Geschoss in einer für solche Zwecke vorgesehenen Tüte.
"Guten Tag, Hauptgefreiter", begrüßte er Inspäctor. "Bisher können wir nur sicher sein, dass der Tod heute eingetreten ist und, dass keine Quittung vorliegt. Dass er mit einer Armbrust erschossen wurde ist wohl am wahrscheinlichsten, wobei wir bis zur Obduktion nicht genau sagen können, ob das auch die Todesursache war."
"Er könnte immerhin auch vergiftet und danach erschossen worden sein, wie?" fragte Kolumbini.
"Könnte, ja. Aber wie gesagt: Genaueres können wir erst nach der Obduktion sagen."
Danach händigte der Philosoph den Bolzen in der Tüte dem Ballistiker aus.
"Was hältst du davon, Made?"
Während der Zombie das Geschoss genauer untersuchte, blickte sich Fred im Stall um.
Die Einrichtung entsprach dem Standard und die einzelnen Kutschen standen ohne Pferde in ihren Boxen, deren Türen, bis auf eine geschlossen waren.
Wann und von wem die Pferde eingespannt wurden, beschloss Inspäctor den Stallwärter zu fragen, sobald dieser anwesend war.
"Also dieses Geschoss entstammt auf keinen Fall einer Assassinenwaffe", gab Made nach kurzer Betrachtungszeit kund. "Der Bolzen scheint eher aus einer sehr durchschlagkräftigen Burlich und Starkimarm zu stammen."
"Die sich so gut wie jeder Bürger besorgen kann", stöhnte Kolumbini auf. "Also die Tatwaffe gibt uns schon mal keine Hinweise auf den Täter."
"Nun, vielleicht doch. Dieser Bolzen hier besteht aus wertvollem Holz. Sehr teuer."
"Dann beschränkt sich der Täterkreis also auf wohlhabende Bürger. Ich schätze, dass der Täter von dieser Schule hier stammt und soweit ich weiß gibt es hier recht viele vermögende Personen. Wer es war, darüber will ich mal keine Spekulation verlauten lassen. Vorerst will ich erst einmal mit dem Leiter sprechen. Wo ist denn der Stallwärter hier?"
"Vorhin war er kurz da, aber er sagte, dass er seit heute morgen einige Probleme...nunja auf dem Abort hatte", versuchte Made einigermaßen taktvoll zu erklären.
"Er zieht die Reparatur des Aborts der Zeugenaussage bei der Wache vor?"
"Äh, nein du hast mich falsch verstanden, Kolumbini. Er hat nicht Probleme mit dem Abort sondern...mit seinem Verdauungssystem."
"Ach so. Ich verstehe, was du meinst. Und seit heute morgen?"
"Ja. So hat er es uns wenigstens in der kurzen Zeit, in der er hier war gesagt, bevor er wieder wegrannte. Er hat die Leiche gefunden sagte er. Um 14:15 Uhr."
"Ein wenig zu zufällig, findest du nicht auch? Ich meine, dass er ausgerechnet heute auf den Abort gefesselt ist."
"Könnte sein. Denkst du etwa, dass er...?"
"Was? Woher soll ich das wissen? Ich hab noch nicht einmal mit diesem Mann gesprochen. Aber meiner Meinung nach sollte es nicht schwer sein, festzustellen, ob sich jemand den ganzen Tag auf dem Abort erleichtert hat. Immerhin sollte die Grube danach voll genug sein, oder?"
Inspäctor lächelte ein wenig schelmisch. Wenn Igor an Ort und Stelle gewesen wäre, so hätte er sich bestimmt ein Kommentar über den "tollen Witf" anhören können.
"Gibt es sonst noch irgendwelche ungewöhnlichen Dinge an dem Bolzen, Made?"
"Lass mich mal nachschauen." Der Zombie fuhr mit seinen Fingern an dem Geschoss entlang.
"Hm. Er ist glatt bis zur Spitze...Moment", rief er plötzlich aus und Kolumbini blickte dem Ballistiker sofort über die Schulter, um zu sehen, was er entdeckt hatte. "Hier ist eine Einkerbung."
"Könnte eine Verzierung sein?" fragte der Ermittler.
"Vielleicht, aber es könnte auch..."
Krampfhaft begann Made an dem länglichen Holzgegenstand herumzudrehen, bis er schließlich einen kleinen Holzverschluss in der Hand hielt.
"Lotto."
In dem Bolzen war ein winziges Loch gebohrt worden, welches gerade so groß war, dass er noch schussfähig war, aber den Gegenstand noch enthalten konnte.
Es war ein kleiner Zettel.
"Was haben wir denn da?" fragte sich das S.U.S.I.-Mitglied laut.
Ein Zettel, du Trottel. Das sieht man doch. Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre, einen Eignungstest durchzuführen, bevor man Leute der Wache beitreten lässt. Und wenn sie ihn nicht bestehen, kann man sie immer noch zu FROG oder SEALS schicken. Nun mal abgesehen vom Posten des Püschologen. Wenigstens ist da ein verlässlicher junger Herr und keine...Frau wie in unserer werten Abteilung.
Kolumbini hatte es ganz und gar nicht gern gesehen, als der Abteilungsleiterwechsel stattgefunden hatte. Humph MeckDwarf war ihm, obgleich selbiger ihn für kurze Zeit in den Zwangsurlaub versetzt hatte, immer noch lieber als irgendeine Frau als Abteilungsleiterin.
Vorsichtig holte der Ballistiker das Papierstück heraus und versuchte es zu lesen.
"Könntest du das vielleicht versuchen zu lesen, Kolumbini?", bat er den Hauptgefreiten und händigte ihm das kleine Pergament aus.
"Ich kann nur schwer entziffern, was auf diesem Zettel geschrieben steht, Herr Made. Die ersten beiden Zeilen kriege ich grade noch so hin."
Konzentriert las der Ermittler vor:
"Wo einst war Licht, herrscht Dunkelheit
Wo einst war Liebe, macht Hass sich breit."

"Scheint ein Trauergedicht zu sein", schaltete sich Sillybos in das Gespräch der beiden ein.
"Vielleicht. Noch etwas gefunden?" ermittelte Fred.
"Nein. Nichts."
"Hm. Könnte ich mir die Leiche mal genauer ansehen?"
"Selbstverständlich, Kolumbini. Wir sind soweit fertig mit ihm."
Der Mann lag auf dem Bauch und in seinem Kopf zeigte sich ein klaffendes Loch, welches von dem Bolzen stammte. Sein hellbraunes Hemd war von Blut durchtränkt und auch die graue Hose hatte einige Flecken abbekommen.
"Meint ihr, ich könnte ihn umdrehen, und mir sein Gesicht anschauen?" fragte das R.U.M.-Mitglied.
"Ich schätze schon", gab der Spurensicherer als Antwort, während er den Stall nach Hinweisen durchsuchte. "Die Kreideumrisse haben wir ja bereits angezeichnet."
Vorsichtig drehte der Ermittler die Leiche um und legte sie wieder auf das Heu. Ein ausdrucksloses Gesicht schaute Inspäctor an. Weder Schmerz noch Überraschung waren zu erkennen. Es musste so schnell gegangen sein, dass keine Zeit für eine Bewegung der Gesichtsmuskulatur vorhanden war.
Der Mann hatte kein einziges graues Haar und nur wenige Falten wagten es, sich auf der rauen Oberfläche der Haut mit dem Drei-Tage-Bart zu zeigen.
"Was glaubt ihr, wie die Tat abgelaufen ist?"
"Nun, Kolumbini, meiner Meinung nach ging der Herr zu seiner Kutsche und wurde dann von hinten erschossen. Das muss aus einiger Entfernung gewesen sein, denn ansonsten hätte der Bolzen seinen Kopf gänzlich durchbohrt und nicht nur zur Hälfte, wie es hier der Fall ist", spekulierte Herr Made.
Ein nachdenkliches Klopfen auf sein Glasauge war die einzige Reaktion, die daraufhin von dem Ermittler kam.
"Ähm, vielleicht kann ich den Herren weiterhelfen?" fragte eine gepresste Stimme hinter den Wächtern.
Als sie sich umdrehten, erblickte die kleine Gruppe einen mittelgroßen älteren Herrn in einer feinen blauen Uniform und einer gleichfarbigen Mütze, auf der das Wort "Stallwärter" angebracht worden war.
"Ich bin Rainer Hübschmaul. Der Stallwärter. Zwei der Herren kenne ich ja schon. Und Sie sind?" Mit den letzten Worten wandte sich der Uniformierte an den Hauptgefreiten.
"Kolumbini. Inspäctor Kolumbini, von der Stadtwache. Ich bin von der Abteilung für Raub und unlizenzierten Mord und soll den Tod dieses Herrn hier untersuchen."
"Herr Callowdeck meinen Sie? Wirklich tr-tragisch. Uh...könnten Sie mit der Befragung schnell machen?"
"Äh, ja natürlich. Was haben Sie gesehen?"
"Nichts. Absolut nichts. Ich war fast die gesamte Zeit über auf dem...mh...Abort. Seit heute morgen. Glücklicherweise hilft mir morgens ja manchmal diese nette junge Dame."
"Name?"
"Von ihr? Keine Ahnung. Oder warten Sie...ich glaube den Nachnamen kriege ich noch zusammen. Nein. Nein doch nicht. Ich hab's nicht so mit Namen, wissen Sie."
Der Mann trat nervös von einem Bein aufs andere.
"Das ist wirklich zum Verrückt werden, wissen Sie. Gleich nach der ersten Tasse Tee hatte es angefangen. Als ich wieder kurz hier war hab ich natürlich gleich die nächste getrunken, denn Tee soll ja stopfen. Aber selt-hmh-samerweise hilft es wohl d-doch nicht. Am besten, ich trinke noch einen..."
"Davon würde ich abraten, Herr Hübschmaul. Wir werden Ihre Teekanne erst mal auf abtreibende Stoffe untersuchen. Wer spannt hier die Pferde ein und aus, der Herr?"
"Hm? Ich tue das. Wenn die Leute es eilig haben, wie Herr Callowdeck, dann müssen sie mir nur vorher Bescheid sagen und ich bespanne die Kutsche für sie. Heute hat das allerdings diese Schülerin für mich erledigt. Also den Eselskarren von Herrn Callowdeck für mich bespannt. Was ein Glück, dass sein Esel schon alt ist und von so gut wie nichts erschreckt werden kann, denn andernfalls wäre er wohl durchgegangen und hätte die Box in Schutt und Asche gelegt."
Mit jedem Wort, das er sprach, wurde der Stallwärter unruhiger.
"K-kaaaannn ich geeeheeen?" flehte er mit zusammengekniffenem Hintern.
"Gehen Sie, bevor Sie uns noch platzen", meinte Kolumbini geistesabwesend.
Mit einer mehr als albernen Gangart eilte Hübschmaul aus dem Stall in Richtung des Abortes.
"Könntest du den Tee untersuchen lassen?" bat das R.U.M.-Mitglied Sillybos.
"Mach ich. Wir werden uns hier und in der Umgebung noch nach Spuren umsehen und danach vorerst zurück ins Wachhaus gehen. Ich werde dich bevor wir gehen noch mal aufsuchen."
"Gut. Vielen Dank. Und ich mach mich jetzt mal auf die Suche nach dem Leiter dieser Anstalt."
Mit einer lässigen Handbewegung über die linke Schulter, die eine Abschiedsformel darstellte, ging der Hauptgefreite in Richtung Tür, stieß sich dabei an einer offenen Boxentür das Knie an und verließ schließlich unter leisem Fluchen den Stall.

Das Unterfangen den Lehreraufenthaltsraum zu finden stellte sich als schwieriger heraus, als der Ermittler zu denken gewagt hatte.
Es befand sich weder ein Schüler, noch ein Lehrer in den Fluren und somit ging der Wächter ziellos durch die Gänge und suchte nach irgendwelchen Türen, auf denen vielleicht Hinweise auf den Ort, an den er zu gelangen suchte, geschrieben waren.
"Wasch tun Schie schon wieder hier?" lallte plötzliche eine Stimme hinter Fred, die ihn zusammenzucken ließ.
"Schleichen Sie sich ja nicht noch einmal an einen Vertreter des Gesetzes heran, Herr Michel. Ich suche den Aufenthaltsraum der Lehrer."
"Und Ich scholl Schie hinführen?"
"Das wäre zu freundlich."
"Da vorne lings", lallte Argus und zeigte den Gang hinauf.
Lehrerzimmer, stand in fein säuberlichen Lettern auf der vom Hausmeister gezeigten Tür.
Innendrinnen war es wesentlich rustikaler eingerichtet, als der halbe Überwaldianer es geglaubt hatte.
Komisch. Man sollte doch zumindest mit Samt bezogene Sessel, einen schönen Kamin und den Geruch mehrerer Dutzend Pfeifen erwarten.
Als der kleine Wächter den Raum betrat, herrschte urplötzlich Stille und mehrere skeptische Blicke trafen ihn.
Er hatte angeklopft, aber anscheinend waren die Lehrkräfte doch sehr überrascht, dass nach einem Klopfen sofort jemand den Raum betrat.
Nur ein extrem kleiner Herr, der nur ein Zwerg oder ein Liliputaner sein konnte, einen Backenbart besaß und ein weißes Hemd trug, das er mit einer geschmacklosen karierten Hose kombiniert hatte, lächelte schelmisch, blickte von den vielen belegten Brötchen, die vor ihm aufgetischt lagen, auf und betrachtete den Hauptgefreiten interessiert.
"Guten Tag, die Herren", Freds Blick glitt durch den Raum, "und äh die Damen. Mein Name ist Inspäctor Kolumbini. Ich bin von der Stadtwache von Ankh-Morpork und habe den Auftrag erhalten den Mord an ihrem Kollegen Herrn Callowdeck zu untersuchen."
"Jaja der arme alte Jakobus", meinte der Zwerg. "Wirklich ein Jammer was Herr Inspäctor."
"Ja. Wo kann ich den Leiter dieser Schule finden?"
Der vertikal benachteiligte Lehrer deutete auf eine Tür, die aus milchigem Glas bestand.
"Da ist sein Büro."
"Ich danke Ihnen, der Herr."
Aufgrund der Angst davor, das Glas zu zerbrechen, klopfte der Hauptgefreite zaghaft an die Tür, woraufhin ein freundlich klingendes "Herein" aus dem Raum dahinter erschallte.
Der Ermittler betrat das Büro und blickte sich sofort in selbigem um. Es war etwas exklusiver als das Lehrerzimmer eingerichtet und schien Vertäfelungen aus feinstem Holz zu haben. An einem Schreibtisch, der den Eindruck erweckte, aus ebenso feinem Material zu bestehen, saß ein großer hagerer Mann mit wallendem Bart und blickte den Kleinen, der gerade seine Räumlichkeiten betreten hatte, freundlich aber dennoch etwas verwirrt an.
"Was kann ich denn für Sie tun, mein werter Herr?" fragte der Schreibtischsitzer.
"Mein Name ist Kolumbini, von der Stadtwache Ankh-Morpork. Ich bin hier hergekommen, um den Mord an Jakobus Callowdeck zu untersuchen. Sind Sie der Leiter dieser Lehranstalt?" grüßte der Wächter zurück.
"Das bin ich, Herr Kolumbini. Ronald Fade mein Name. Vermutlich möchten Sie, dass ich Ihnen einige Fragen beantworte?"
"Exakt. Bitte sagen Sie mir alles über Herrn Callowdeck, was Sie über ihn wissen."
"Er ist...äh, war Lehrer für Latatianisch, Mathematik und Sport an unserer Schule und befand sich kurz vor der Versetzung in den Ruhestand."
"Bitte?"
"Äh, ich meine, dass er sich bald aus dem Berufsleben zurückziehen wollte. Entschuldigen Sie die schlechte Wortwahl, Herr Kolumbini."
"Mir war klar, was Sie meinten, aber ich dachte, er wäre noch nicht sehr alt. Zumindest hatte er noch keinerlei graue Haare oder Falten, soweit ich das gesehen habe."
"Das ist korrekt. Er sah nicht wie ein alter Mann aus. Er war für sein Alter noch recht frisch."
Betonung auf war. Von frisch kann keine Rede mehr sein, wenn er anfängt zu stinken und langsam die Maden an ihm nagen.
"Die einzige Klasse, die er noch unterrichtet hat, war eine der Abschlussklassen. Und für die haben wir noch nicht einmal einen Vertretungslehrer."
"Ach?"
"Ja. Die Lehrergilde meinte, sie hätten niemanden für den Latatianischunterricht. Das ist wirklich zu ärgerlich, denn..."
"Non scholae, sed vitae discimus", vollendete Kolumbini den Satz.
Es herrschte kurzzeitig Stille.
"Sie sprechen Latatianisch?"
"Ein wenig, ja. Mein Diener hat mich darin unterrichtet."
"Würden Sie vielleicht den Unterricht dieser Klasse übernehmen? Sie bekommen auch einen Raum von uns."
Das nenne ich einen Rektor, wie er im Buche steht. Ein Lehrer an seiner Schule wurde ermordet und er macht sich nur darüber Sorgen, wo er die Vertretung für ihn herbekommt.
"Das dürfte Ärger mit der Gilde geben, oder? Immerhin bin ich kein Mitglied. Außerdem bin ich Wächter und muss diesen Beruf ausüben."
"Aber Sie könnten es doch für Ihre Ermittlungen nutzen. Ich meine das könnten Sie doch sagen. Bitte."
"Ich mach Ihnen einen Vorschlag: Sie sorgen dafür, dass ich einen Raum bekomme, in dem ich meine Befragungen durchführen kann. Weiterhin würde ich Sie bitten, mir sämtliche Namen der Lehrer und der von Herrn Callowdeck unterrichteten Schüler zu geben, damit ich weiß, wen ich befragen sollte und dann werde ich es mir überlegen, ob ich den Unterricht von Herrn Callowdeck so lange übernehme, wie ich hier ermittle."
"Ich danke Ihnen, Herr Kolumbini. Ich werde sofort alles arrangieren", rief Fade freudig aus.
"Äh, warten Sie noch kurz, Herr Fade. Es gibt da noch einige Fragen, die ich hätte."
"Natürlich, natürlich."
"Was haben Sie am heutigen Tage für Aufgaben wahrgenommen?"
"Ich habe mich um die üblichen Sachen gekümmert, die ich sonst auch mache.[3] "

"Die da wären?"
Der Leiter wirkte nervös. Kaffeetrinken, Essen und Zeitungslesen schien keine Antwortmöglichkeit darzustellen.
"Wichtige Anträge auf Gültigkeit überprüfen."
"Sie haben den gesamten Tag gelesen?"
"Exakt. Und ich habe meine Rede für den Abschlussball nächste Woche vorbereitet."
Langsam schien ein neuer Gedanke in das Gehirn Ronalds zu kriechen.
"Moment mal, Sie wollen mich verdächtigen?"
"Das ist nur für meinen Bericht, wissen Sie. Muss ich machen", entschuldigte sich der Ermittler sofort.
"Nun, gut. Ich stelle Ihnen gleich einen Kollegen zur Seite, der Sie auf Ihr Zimmer führen wird."

"Oflo mein Name", begrüßte der extrem kleine Herr den Mann im Trenchcoat kurze Zeit später. "Herr Fade meinte ich solle Sie zum Raum 410 führen. Bevor Sie fragen ja ich bin ein Zwerg aber ich hasse diese wallenden Bärte."
Der Lehrer sprach in einem einzigen Wortschwall und schien die Bedeutung von Satzpausen nur manchmal in seine Erinnerung zu rufen.
"Guten Tag, Herr Oflo. Wo befindet sich dieser Raum?"
"Im Jungenflügel. Es ist ein leerstehender Wohnraum wissen Sie. Folgen Sie mir."
Mit eiligen Schritten ging der Zwerg voran und blieb an manchen Flurkreuzungen stehen, um zu überlegen, in welche Richtung es genau gehe.
"Die Treppe da hoch Herr Inspäctor."
"Sagen Sie, was unterrichten Sie eigentlich, Herr Oflo?" fragte der Ermittler, während sie die Stufen hinaufstiegen.
"Biologie und Geschichte, der Wächter."
"Haben Sie einen Verdacht, wer Callowdeck umgebracht haben könnte?"
"So gut wie jeder in dieser Schule ist verdächtig Herr Inspäctor. Sie können hier keinen Stein werfen, ohne jemanden zu treffen der Jakobus nicht leiden konnte. Mal abgesehen von den Schülern, die ihn nicht kannten."
"Herr Fade meinte, das wären ziemlich viele."
"Was? Unsinn. Jakobus kannten viele zumindest vom Sehen. Wenn er immer durch die Gänge geeilt ist, um irgendwo pünktlich einzutreffen."
"Aha. Kannten Sie ihn gut?"
"Nicht wirklich, nein. Kein Lehrer kannte ihn richtig. Viele sind Unterhaltungen mit ihm ausgewichen da er einen immer in Grund und Boden redete. Ich glaube er war der zerstreuteste Mann an dieser Schule. Mit seinem Tod ist der durchschnittliche Intelligenzquotient im Lehrerzimmer sicher gestiegen."
Fred konnte sich nicht erinnern, dass es jemals so schwer gewesen war, ein Lachen zu unterdrücken. Dennoch beschloss der halbe Brindisianer den Witz kommentarlos stehen zu lassen.
"Ich habe mir schon gedacht, dass er nicht sehr beliebt war. Denn andernfalls wären die Kollegen ja wenigstens etwas betrübt gewesen, oder?" fragte der Ermittler stattdessen.
"Sie sind gar nicht so dumm wie sie aussehen, Herr Inspäctor. Sollte keine Beleidigung sein."
Wieder erfolgte kein Kommentar des Wächters, sondern eine Gegenfrage.
"Wo befindet sich denn nun der Raum?"
"Wir sind gleich in der Nähe der Schlafräumlichkeiten. Um die Ecke da vorne noch und schon sind wir da."
"Sagen Sie, Herr Oflo, wissen Sie, ob Callowdeck Familie hatte?"
"Seine Frau ist vor einiger Zeit gestorben. Irgendeine Krankheit soweit ich mich richtig erinnere. Kinder hatte er nicht. Von anderen Verwandten in der Stadt weiß ich nichts. Ah wir sind da."
Vor den beiden taten sich zwei lange Flure auf, die in unterschiedliche Richtungen führten.
"Links ist der Mädchenflügel und rechts der für die jungen Herren", erklärte Oflo mit seiner Lehrerstimme. (Sie wissen schon die Art von Stimme, die man benutzt, um kleinen, dummen Kindern und Jugendlichen klar zu machen, wie es angeblich in der Welt zugeht.)
"Und jetzt für einen älteren Herren, nehme ich an."
"Exakt, der Wächter."
"Herr Kolumbini", rief eine Stimme, die Inspäctor zu kennen glaubte, plötzlich hinter ihnen.
Es war Hegelkant, der Sklave von Sillybos. Der Philosoph schlenderte hinter dem Klatschianer her.
"Guten Tag, die Herren. Mein Herr möchte Ihnen noch etwas mitteilen."
"Guten Tag", grüßte der Ephebianer Oflo und Fred. "Wir haben inzwischen den genauen Todeszeitpunkt in Erfahrung bringen können."
"Na das sind mal gute Neuigkeiten", stellte der halbe Überwaldianer fest. "Woher denn?"
"Der Stallwärter kam noch einmal kurz zu uns und meinte, dass es höchstwahrscheinlich gegen 13:42 gewesen sein musste, da Herr Callowdeck immer um diese Uhrzeit seine Kutsche abhole."
"In der Tat gute Neuigkeiten."
"Außerdem meinte Herr Hübschmaul, dass ihm der Name der jungen Dame, die ihm stets im Stall helfe wieder eingefallen sei."
"Ja?"
"Ihr Nachname sei Gutherr."
"Fräulein Gutherr...aha."
Irgendwoher kenne ich den Namen...aber woher?
"Vorname?"
"Der ist ihm nicht mehr eingefallen. Uns hat er erzählt, jeder im Internat nenne sie einfach Fräulein Gutherr."
"Hm. Kennen Sie diese Schülerin, Herr Oflo?"
"Und ob ich sie kenne. Sie ist in meinem Biologiekurs. Sehr gute und fleißige Schülerin. Kann mich nicht erinnern, dass sie sich jemals nicht bei irgendeiner Frage gemeldet hat", antwortete der Biologieexperte.
"Interessant. Ich nehme an, sie ist nicht sehr beliebt bei den restlichen Schülerinnen und Schülern, oder?"
"Leistungsstarke Leute sind nie wirklich beliebt Herr Inspäctor. Weder im Unterricht noch im richtigen Leben. Es gibt zu viele mittelmäßige Leute und Neid liegt in der menschlichen Natur."
Dieser Feststellung konnten die Wächter nur zustimmen.
"Also wie ist der Vorname der jungen Dame?" überbrückte Fred die Stille.
"Oktarina."
"Wie bitte?"
"Oktarina. Wie Oktarin nur eben mit einer weiblichen Endung."
"Welcher kranke Geist nennt seine Tochter nach der Farbe, die nach der siebten kommt?"
"Oh nur der reichste Arzt von ganz Sto Lat."
Wieder herrschte eine kurze Stille, in der eine aufprallende Stecknadel, wie die Explosion mehrerer Tonnen Pulver Nummer eins geklungen hätte.
"Wie sagten Sie war noch mal der Nachname?", fragte Kolumbini, obgleich er die Antwort wusste und einfach nur nicht wahr haben wollte.
"Gutherr."
Oh, verfluchter Mist.
"Ah."
"Kennen Sie die Familie etwa, Herr Inspäctor?"
"Ich gehe dann mal", mischte sich Sillybos in das Gespräch ein. "Ich sende dir Neuigkeiten, sobald es welche gibt."
"Dann sende die Taube bitte hier zum Internat. Ich werde hier in der nächsten Zeit wohl öfter sein, als in meinem Büro oder zu Hause."
"In Ordnung. Tschüss und viel Erfolg", verabschiedete sich der Philosoph.
"Also was ist denn nun, Herr Inspäctor? Kennen Sie die Familie Gutherr?"
"Was? Nein, nein. Woher denn?"
Ein Schulterzucken war die Antwort des Geschichtsexperten, der den Hauptgefreiten daraufhin in einen kleinen Raum mit Schrank, Schreibtisch, Bett und einem kleinen Fenster führte. In einer Ecke stand ein kleiner Kanonenofen, vor dem altes Holz herumlag.
"Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Mordes, Herr Oflo?"
"Gleich in die Vollen wie? Ich habe in meinem Biologiekurs unterrichtet. Und dafür gibt es mehr als genug Zeugen."
Ein freundliches Lächeln untermalte die Antwort des Lehrers.
"Wollen Sie gleich mit meiner Befragung weitermachen?"
"Ich habe keine weiteren Fragen an Sie, der Herr. Aber eine Bitte."
"Ja?"
"Wenn Sie bitte die einzelnen Lehrer zu mir schicken und mir weiterhin eine Liste der Klasse, die Sie zu besagtem Zeitpunkt unterrichtet haben, bringen würden?"
"Natürlich, der Wächter. Ich eile so schnell mich meine kurzen Beine tragen."
Mit einem sanften Knall schloss sich die Tür und Inspäctor "Fred" Kolumbini blieb alleine in seinem neuen Schlafraum zurück.
Das Bett war härter, als der Wächter es überhaupt von irgendeinem Stoff für möglich gehalten hätte und der Schrank war kurz davor auseinanderzufallen. Allerdings war der Schreibtisch ein absolutes Prunkstück morporkianischer Tischlerkunst.
Gutherr...verfolgt mich diese Familie? Schlimm genug, dass sie in den Fall mit Margaret Bouvier verwickelt waren, aber wenn rauskommt, dass ich die Eltern einer Verdächtigen gut kenne, so bin ich meinen momentanen Fall mit Sicherheit bald los.
Inspäctor hoffte, dass es noch mehrere Verdächtige gab, die ähnlich offensichtlich waren und die ganze Geschichte mit den Gutherrs überhaupt keine Erwähnung wert werden würde.
In seinen Erinnerungen hing der Tag, an dem sein Hausarzt Doktor Gutherr in die Schneiderei gekommen war, um für seine Tochter ein Kleid herstellen zu lassen. Die Maße hatte er glücklicherweise schon notiert und somit entfiel das, für Kolumbini, lästige Ausmessen an einer jungen Dame.
Ob sie noch wusste, von wem ihr rosa Kleid stammte?
Wir werden sehen.

Die erste Lehrerin, die in den kleinen Verhörsaal trat stellte sich als eine gewisse Frau Lubelia Dominart vor. Ihr faltiges Gesicht, der Buckel und die übergroßen Brillen ließen sie wie einen besonders abartig aussehenden Greifvogel erscheinen. Jedoch war das alles nichts im Vergleich zu ihrer Stimme.
Selbige war kratzig und schien stets nach der richtigen Sprechgeschwindigkeit und der korrekten Tonlage zu suchen, was nicht nur albern sondern auch (in Verbindung mit ihrem nach Alkohol stinkendem Atem) in höchster Weise abstoßend war.
Inspäctor ging die Fragen schnell durch, um diese...Dame so schnell wie möglich aus seinem Blickfeld entfernen zu können.
"Natürlich habe ich Herrn Callowdeck gekannt, Herr Wächter", meinte die Lehrerin nachdem sie die dazu gehörige Frage gehört hatte.
"Welche Fächer unterrichten Sie?"
"Kunst und Morporkianisch."
"Wo waren Sie heute um ungefähr 13:40 Uhr?"
"Das ist doch wohl eine Frechheit, Sie Schnüffler!" sprang die...nunja wollen wir sie mal in Ermangelung eines besseren Wortes als Frau bezeichnen, von ihrem Stuhl auf.
"Bitte beruhigen Sie sich, gnä'...Frau, das ist alles..." Die Tür knallte mit einem Schlag zu. "... nur für meinen Bericht."

Die restlichen Gespräche mit den einzelnen Lehrkräften liefen sehr ähnlich ab.
Als er darüber nachdachte, glaubte Kolumbini, dass er noch nie so häufig das Wort "Unverschämtheit" oder eine zuknallende Tür gehört hatte.
Was für eine Bande von eingebildeten Irren. Da habe ich ja von meiner netten Abteilungsleiterin einen schönen Fall zugesteckt bekommen.
Es klopfte an den Raum und der Zwerg Oflo trat zusammen mit dem Internatsleiter in den Raum.
"Ich habe die Liste meiner Schüler, Herr Inspäctor", sagte der Biologielehrer, während er einen Zettel hin und her schwenkte.
"Vielen Dank, der Herr. Könnten Sie die Klasse bitte...oder warten Sie. Ich glaube, es wäre besser, wenn ich mir bei dieser Gelegenheit mal ein Bild von den Unterrichtssälen mache. Würden Sie, Herr Fade, bitte die Schüler auf der Liste von Herrn Oflo zusammenrufen und in den Raum führen, wo sie vorhin in Biologie unterrichtet wurden, was Ihnen der werte Herr sicher auch sagen kann."
"Raum 425, Herr Fade", erläuterte der Zwerg.
Der Rektor nickte nur kurz und verschwand dann aus dem Verhörzimmer.
"Würden Sie mich dann auch bitte zu diesem Raum führen?"
"Natürlich. Ich schlage vor wir genehmigen uns erst einmal etwas zu Essen. Es wird eine Zeit lang dauern, bis Fade die Schüler zusammengetrommelt hat. Ich habe einen Mordshunger."
Fred erinnerte sich zwar, dass der Lehrer vorhin, als er ihn im Lehrerzimmer gesehen hatte einige Brötchen vor sich liegen gehabt hatte, an deren Stelle, nachdem er aus dem Büro von Fade gekommen war, nur noch einige Krümel zu sehen waren, aber beschloss, dies nicht zu erwähnen und ging stattdessen mit dem Zwerg in Richtung des Speisesaales.

Mensa, stand in großen Lettern über der Doppeltür, hinter welcher der Essenssaal von mehreren hundert Internatsschülerinnen und -schülern lag.
Der Raum war erstaunlicherweise ziemlich voll, obgleich es schon lange nicht mehr Mittag war, jedoch immer noch zu früh, um Abend sagen zu können und Kolumbini angenommen hatte, dass es im Internat nur Frühstück, Mittag- und Abendessen gab.
Als die beiden auf einen freien Tisch zusteuerten, bemerkte der Hauptgefreite, dass sie von keinem Schüler geschweige denn von einer jungen Dame gegrüßt wurden.
Oflo schien dies gewohnt zu sein, doch der halbe Brindisianer war aufgrund dieser Unhöflich- und vor allem Respektlosigkeit sehr überrascht.
"Guten Tag, die Herren", grüßte plötzlich eine freundliche und definitiv weibliche Stimme hinter ihnen.
Langsam drehte sich der Wächter um und blickte in das lächelnde Gesicht eines Mädchens.
Jeder normale Mensch hätte nun gedacht, mit welch einer freundlichen Person er es hier zu tun habe.
Was für eine scheißfreundliche Schleimerin, war der Hauptgedanke des Wächters.
"Guten Tag", grüßte der Zwerg, ohne sich auch nur umzudrehen. Er wusste, wer ihn da gegrüßt hatte.
Mit einem letzten kritischen Blick und einem "Guten Tag, die junge Dame" eilte Fred weiter hinter dem Biologieexperten her, der sich bereits wieder in Bewegung gesetzt hatte.
Bisher hatte der Ermittler nicht geglaubt, dass es schlechteres Essen als in der Wachekantine geben könnte, aber der Haferschleim, dem man ihm in der Mensa des Internats vorsetzte war vermutlich unerträglicher als selbst klatschianische Schafsaugen es sein konnten.
Anscheinend schien dies jedoch nur auf das Gericht, dass sich der Wächter ausgesucht hatte zuzutreffen, denn Oflo schaufelte die verbrannten Würstchen, den Speck, die Spiegeleier und den schwarzen Toast in sich hinein, dass die Bewegungen fast schon vor den Augen des Hauptgefreiten verschwammen.
Der Geräuschpegel in der "Mensa" war recht hoch, doch die Gespräche an dem nächsten Tisch, an welchem mehrere junge Herren saßen, konnte der Wächter verstehen.
"Na jetzt hat das Uhrwerk von dem alten Callow aufgehört zu schlagen", spottete eine Stimme. Die anderen Essenden lachten höhnisch.
Inspäctor klopfte sich gegen die Stirn und holte eine kleine Holzdose [4] , in die seine Tante mehrere belegte Brote gelegt hatte aus seinem MANTEL hervor, woraufhin er genüsslich zu Essen begann.
Während dieses Vorgangs betrachtete das R.U.M.-Mitglied die Namensliste der Klasse von Herrn Callowdeck und Herrn Oflo. Sie stimmten exakt überein.
Oktarina Gutherr
Hyronimus Rust
Degratia von Plotz
Kornelius Bauer
Franziskus Schmatze
Marianna Selachii
Marcus Schmitz...

10 weitere Namen waren auf der Liste notiert.
Die Befragung wird heute nicht mehr zu erledigen sein.
Der Wächter goss sich eine Tasse Tee ein und beschloss die Probleme für kurze Zeit der Zukunft zu überlassen.

Einige Zeit später wunderte sich Hyronimus Rust, was für ein Clown da vor der Klasse stand.
Der Mann war vielleicht gerade mal 150 Zentimeter groß und trug einen Trenchcoat, der wesentlich bessere Tage gesehen hatte.
Bestenfalls konnte man diesen Herrn als zerknautscht beschreiben.
"Guten Tag, werte Schülerinnen und Schüler. Mein Name ist Kolumbini. Inspäctor Kolumbini von der Stadtwache von Ankh-Morpork. Ich führe derzeit Untersuchungen durch, um den Mord an Herrn Callowdeck aufzuklären, der, wie Sie sicher alle wissen heute Mittag begangen wurde. Aus diesem Grund habe ich Sie auch hier hergebeten. Ich möchte nämlich gerne einen jeden von Ihnen befragen, da Herr Callowdeck nur Ihre Klasse unterrichtet hat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nun alle den Saal verlassen würden und, sobald ich Sie aufgerufen habe, hier zu mir in den Raum kommen, wo ich dann das Verhör durchführen werde. In Ordnung?"
Ein mehrstimmiges "Ja" war die Antwort der Klasse.
In diesem Moment klopfte es an die Tür.
"Herein", sagte Kolumbini leicht genervt.
In den Unterrichtssaal trat die kleine, junge Dame, die Fred und Oflo in der Mensa gegrüßt hatte.
"Entschuldigen Sie, der Herr. Ich hatte vergessen, in welchem Raum ich mich einfinden sollte."
"Und Ihr Name ist?"
"Oktarina Gutherr, der Herr."
War ja klar.
"Gut Sie können gleich hier zur Befragung bleiben."
Ein kurzer Blick ins Leere und ein darauffolgendes "Natürlich, der Herr" waren die Antwort.
Der kleine Mann im Trenchcoat reichte der jungen Dame die Hand und zeigte auf einen Stuhl, vor dem Lehrerpult.
"Kolumbini, mein Name. Inspäctor Kolumbini. Ich bin von der Stadtwache und untersuche den Mord an Herrn Callowdeck. Setzen Sie sich. Sie sind Fräulein Gutherr?"
"Ja, Herr Inspäctor. Wie ich bereits sagte."
"In Ordnung", schlug der Ermittler eine neue Seite auf seinem Notizblock auf. "Kannten Sie Herrn Callowdeck, Fräulein Gutherr?"
"Ja, Herr Inspäctor. Er war mein Lehrer in Latatianisch, Mathematik und Sport. Es ist wirklich absolut tragisch, und ich finde schlimm, dass man nicht einmal eine Schweigeminute für den armen Herrn Callow eingelegt hat", gab die junge Dame mit leichter Traurigkeit in der ansonsten freundlichen Stimme als Antwort.
Kolumbini musterte Oktarina kritisch.
Sie war recht klein. Nur einige Zentimeter größer als er und hatte braunes Haar, dass für ein Mädchen kurz geschnitten war und ihr nicht einmal bis auf die Schulter reichte. Trotz der tristen Schuluniform schaffte es diese junge Dame, Fröhlich- und Freundlichkeit auszustrahlen, wie es der Ermittler bei keiner Person, die er bisher getroffen, erlebt hatte.
Sie war eine jener Personen, bei deren Betrachtung einem Worte wie "sympathisch" oder "niedlich" einfielen.
Zum Glück schaut sie nicht auf die Etiketten ihrer Kleider. Wenn ich sie mir so anschaue, müsste das, was ich damals im Auftrag ihres Vaters genäht habe noch gut passen...
"Wo waren Sie heute gegen 13:40 Uhr, Fräulein?"
"Ich war im Nebenzimmer des Rektorzimmers, Herr Inspäctor, und habe die Namen auf die Zeugnispapiere geschrieben, da Herr Fade keine Zeit dafür aufbringen konnte und mich darum gebeten hatte."
"Wann werden die Noten eingetragen?"
"Morgen, Herr Inspäctor. Es ist das Abschlusszeugnis, wissen Sie."
"Beobachtet Sie jemand bei dieser Tätigkeit?"
"Nein."
"Mit anderen Worten: Sie haben kein Alibi."
Mist. Das hätte ich besser nicht sagen sollen.
"Nein, Herr Inspäctor."
So gefasst? Na das ist mal was verwunderliches.
"Aber ich habe ihn nicht umgebracht, wenn Sie das meinen, Herr Inspäctor."
Ich weiß, dass du ihn nicht umgebracht hast, aber wird das auch der Patrizier oder irgendein Richter wissen? Du kannst gar niemanden töten. Du bist eine jener Personen, die mehrere Kutschen anhalten, damit ein kleines Kind oder eine Schar von Gänseküken über die Straße gehen kann. Obgleich es egal ist, denn in der nächsten dunklen Gasse könnte ein Verrückter lauern, der dem Kind die Kehle durchschneidet oder irgendein Tier, dass die Küken in einem brutalen Gemetzel zerfleischt. Wir sind hier immerhin in Ankh-Morpork. Du bist eine dieser Personen, die man sozial nennt.
"Wo befinden sich die Zeugnisse jetzt? Ich würde sie mir gerne ansehen."
"Ich kann sie Ihnen gerne nach der Befragung zeigen, Herr Inspäctor."
"Sie haben heute morgen dem Stallwärter geholfen?"
"Ja. Armer Herr Schönmaul. Er macht sich bestimmt Vorwürfe."
"Besitzen Sie irgendwelche abführenden Mittel?"
"Nein, Herr Inspäctor. Aber ich könnte welche aus der Schulapotheke holen, wenn Sie damit Probleme haben."
"Äh, nein...danke. Das meinte ich damit nicht. Würden Sie bitte hinausgehen und den nächsten Herrn hereinbitten?"
"Natürlich, Herr Inspäctor."
Und lass uns hoffen, dass es noch wenigstens einen gibt, der mal kurz aus dem Biologieunterricht gekommen ist.
Als nächstes betrat ein großer und unglaublich dicker junger Herr den Saal.
Er war einer jener Leute, deren Bauchumfang einem Äquator gleich kam.
"Guten Tag", grüßte der Ermittler. "Ihr Name?"
"Ei, Gornellius Bauer", antwortete der Junge undeutlich.
"Wie bitte?"
"Gornellius Bauer."
"Kornelius Bauer?"
"Ei jo, sach ich doch die ganz Zeit. Könne Se kein Morporkianisch, oder was?"
"Vermutlich nicht. Wo waren Sie heute gegen 13:40 Uhr, Herr Bauer?"
"Ei, in de Klass. Beim aale Oflo im Unnericht."
Es dauerte eine Zeit, bis die Entschlüsselungsmaschine in Freds Gehirn die Botschaft aus dem undeutlichen Gerede des ländlichen Jugendlichen herausgefunden hatte.
"Kannten Sie Herrn Callowdeck?"
"Ei, jo. Ma kennt halt sei Lehrer, geh?"
Ob ich mir einen Dolmetscher besorgen sollte?
"Natürlich. Seit wann sind sie schon aus Sto Kerrig fort, Herr Bauer?"
"Woher wissen se dann, des ich aus Sto Kerrig komm?"
Jeder, der Ohren hat und sie einzusetzen vermag, weiß, dass du aus irgendeinem ländlichen, zurückgebliebenem Dorf kommst, in dem es wahrscheinlich mehr Schweine, als Einwohner gibt. Vermutlich haben seine Eltern eine Quarzader unter ihrem Haus entdeckt, oder so.
"Nur geraten, Herr Bauer. Besitzen Sie irgendwelche abführenden Mittel?"
"Nee", antwortete der Dialektsprecher, nach einer kaum zu merkenden Pause.
"In Ordnung. Sie können gehen. Schicken Sie bitte den nächsten rein, in Ordnung?"

Kurz darauf betrat ein junger Mann den Raum der in seiner Gangart und in seinem Auftreten die Botschaft "ich bin der Beste" zum Ausdruck brachte.
"Sie sind also Inspektor, wie?" fragte er ungläubig. "Ich wusste gar nicht, dass es in der Wache einen solch hohen Rang gibt."
Es folgte keine Antwort von dem kleinen Mann im Trenchcoat, aber innerlich grinste er wissend.
"Guten Tag, Herr Rust. Würden Sie mir bitte sagen, wo Sie heute Mittag gegen 13:40 Uhr waren?" fragte Kolumbini beiläufig.
"Bitte? Wollen Sie mich des Mordes bezichtigen, Herr Inspektor?"
"Oh, nein, der Herr. Es ist nur für meinen Bericht, wissen Sie. Ich würde doch niemals den Sohn eines einflussreichen Herren des Mordes beschuldigen."
"Gut. Es ist ohnehin egal, weil ich nämlich, wie alle Schüler und Schülerinnen aus meiner Klasse, abgesehen von Fräulein Gutherr, im Biologieunterricht Herrn Oflos war. Sie können ja gerne jeden einzelnen Schüler befragen, aber die Arbeit würde ich mir nicht machen. Immerhin sind es nur noch einige Stunden bis zur Bettruhe."
"Oh, ich will das alles nicht machen, aber meine Abteilungsleitung erwartet einen sehr ausführlichen Bericht von mir. Es müssen wirklich alle Kleinigkeiten drinnen sein. Es ist wirklich lästig, aber was will man machen."
"Nun gut. Ich werde Ihnen Ihre Fragen beantworten."
"Es sind ja nicht viele, Herr Rust. Würden Sie mir bitte sagen, ob Sie irgendwelche abführenden Mittel besitzen?"
"Nein, Herr Inspektor. Und Sie brauchen mich auch nicht zu fragen, ob ich weiß, wo man so etwas herbekommt. Ich weiß es nicht."
Der Ermittler schrieb etwas auf seinen Notizblock und blickte den jungen Lord mit einem dämlichen Grinsen an.
"Welche Note hatten Sie eigentlich bei Herrn Callowdeck?"
"Bisher immer gute."
"Bisher?"
"Ich habe die letzte Arbeit, wie sagt man so schön, verhauen", erklärte Hyronimus.
"Aha. Nun ja. Wenn Sie bisher immer gute Noten gehabt haben, Herr Rust, dann sollte ja eine schlechte Note kein Beinbruch sein, nicht wahr? Haben Sie vielleicht eine Armbrust?"
"Bitte? Was erl-"
"Entschuldigen Sie, Herr Rust, aber ich muss das fragen", erklärte das R.U.M.-Mitglied betont freundlich.
Das Gesicht des Jugendlichen entspannte sich wieder. Wie sein alter Herr hörte Hyronimus Rust auf den Tonfall wie jemand etwas sagte und nicht was er sagte.
"Ich besitze keine Armbrust. Kann ich nun gehen?"
"Was?" fragte der Ermittler nach einer kurzen Pause, in der er auf seinen Notizblock gestarrt hatte. "Achso. Gehen. Ja natürlich."
"Ach, Sir, äh, der Herr!" rief Fred, als Rust an der Tür angekommen war. "Noch eine Frage."
Langsam drehte sich der Schüler um.
"Was ist denn noch, Inspektor?"
"Was wissen Sie über Fräulein Gutherr?"
"Oktarina?"
"Exakt."
"Sie ist eine verfluchte Streberin. Kann ich nun endlich gehen?"
"Ja", winkte der Hauptgefreite ab. "Vielen Dank für Ihre Zeit. Würden Sie bitte Degratia von Plotz reinbitten?"
"Mache ich."
Daraufhin betrat eine junge Frau, der es, genau wie Oktarina Gutherr, trotz der Schuluniform gelang, ihre Ausstrahlung zu wahren. Jedoch war selbige nicht so positiv, wie bei der freundlichen Dame.
Das sie überhaupt noch sieht, wohin sie tritt, so wie sie die Nase hochhält.
"Sie sind Fräulein Plotz?"
"Degratia von Plotz, aber Sie dürfen mich Fräulein von Plotz nennen, Herr...Wächter."
Ihr Tonfall weckte in Kolumbini ein starkes Verlangen.
Das Verlangen, ihr den "verfluchten eingebildeten Schädel vom Hals zu reißen".
"Vielen Dank, Fräulein von Plotz", verbeugte sich der Hauptgefreite tief.
Achte darauf, dass du freundlich klingst und bring immer den Nachsatz Fräulein von Plotz anbringst. Diese Adligen achten nicht auf das, was man sagt, sondern wie man das tut.
Wie erwartet ergab auch das Gespräch mit der eingebildeten Adelstochter keine Neuigkeiten. Die weiteren Gespräche verliefen wie die vorhergegangenen, obgleich sich Fred über die bekannten Namen unter den Schülern wunderte. Die Familie Selachii hatte eine Tochter in der Klasse, die stets kicherte und vermutlich auf eine gewisse Art und Weise natürlich unter Drogen stehen musste.
"Herr Schmatze bitte!", rief der Wächter, als die junge Dame gegangen war.
Der junge Mann, der daraufhin den Raum betrat, hatte schwarzes Haar und ein kantiges Gesicht. Sein Tonfall verriet die Art seines Wesens. Er war einer dieser eingebildeten Gebildeten.
"Sie sind Herr Schmatze?"
"Ich würde zum Ausdruck bringen, dass die von Ihnen geäußerte Feststellung, Herr Inspäctor, einen großen Wahrheitsfaktor beinhaltet."
Bei den Göttern, der Typ spricht geschwollener, als ein Literaturprofessor mit Mandelentzündung.
"Wo waren sie heute gegen 13:40 Uhr, Herr Schmatze?"
"Zu dem eben genannten Zeitpunkt befand sich meine Wenigkeit im Biologieunterricht Herrn Oflos, der Herr Inspäctor."
"Haben Sie irgendwelche abführenden Mittel?"
"Solche Medikamente befinden sich nicht in meinem Besitz."
"In Ordnung. Sie können gehen."
Mit einem Knarren öffnete sich die Tür und der Hauptgefreite klopfte sich gegen die Stirn.
"Noch eine Frage, Herr Schmatze."
"Sie wünschen?"
"Sind Sie im Besitz eines Schussinstruments genannt Armbrust?"
"Nein."
"Gut. Sie können gehen."
Fred blickte auf seine Liste und hakte den Namen Schmatze ab. Der nächste Name, der nicht abgehakt war, lautete Marcus Schmitz.
Genüsslich schlürfend nahm der halbe Brindisianer einen Schluck aus seiner Teetasse, bevor er den jungen Herrn bat, einzutreten.
Bild des Jammers, war der erste Gedanke, der das Gehirn des Wächters durchschoss.
"Sie sind Herr Schmitz?" fragte er.
"J-ja, Herr Inspäctor", kam die Antwort zögernd von dem Jungen.
"Wo waren Sie heute gegen 13:40 Uhr, Herr Schmitz?"
"I-ich wwar i-im Biologieunterricht vvon Herrn Oflo. Nur Okta...ich mmeine n-natüürlich Fräulein Gutherr wwar n-nicht da."
"Fehlte sonst noch jemand?"
Es schien, als tobe ein innerer Kampf in dem jungen Mann. Kurz ertönte das Kratzen eines Stiftes über Papier.
"Nnein."
Der Blick des Ermittlers glitt auf die Anwesenheitsliste, die ihm Oflo gegeben hatte.
"Gut. Besitzen Sie abführende Mittel?"
"Nnein, Herr Inspäctor."
"Hm. Das wäre Alles, Marcus. Sie können gehen."
Ich werde ohnehin besser das Angebot von Herrn Fade annehmen und in dem Zimmer 410 übernachten und die Ermittlungen morgen weiterführen.
Der junge Mann stolperte über seine Füße, bei dem Versuch aufzustehen und den Saal so schnell wie möglich zu verlassen.

Keiner weiß etwas von abführenden Mitteln, außer die, die eine offensichtliche Möglichkeit hatte, es dem Stallwärter in den Tee zu tun. Man darf die anderen aber nicht ausschließen, da es nicht schwer sein sollte, dem Typen etwas in seine Tasse zu schütten, ohne dabei bemerkt zu werden. Aber würde eine intelligente junge Dame sich wirklich so belasten? Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Sofern sie wenigstens einen Teil ihres Vaters geerbt hat, so ist es unmöglich, dass sie mir etwas vorspielt, oder gar so blöde ist, dass sie sich selbst so belastet. Wie Vater und Mutter...naiv. Nicht dumm, keinesfalls, aber im Glaube an das Gute im Menschen. Ein anderes Wort als Naivität gibt es für solch eine törichte Einstellung nicht.

Kratzen ertönte in dem kleinen Zimmer Kolumbinis. Das Geräusch, das verursacht wurde, wenn jemand etwas auf einen Zettel schrieb. Danach ertönte ein kurzes "Ratsch" und der Hauptgefreite hielt einen Zettel in der Hand auf dem folgende Worte geschrieben waren:
Hallo, Sillybos!
Bitte besorge dir einen Durchsuchungsschein für die Zimmer der Internatsschüler und komme damit morgen zu mir. Sag bitte auch Herrn Made Bescheid, damit er uns bei einem eventuellen Waffenfund darüber aufklären kann, ob es die Tatwaffe ist oder nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Hauptgefreiter Kolumbini

Die Schrift war im Gegensatz zu Freds Gekrakel auf den normalen Notizblockseiten fein säuberlich.
Hastig kramte der halbe Überwaldianer in seinen MANTELtaschen herum und holte schließlich eine Nachrichtenkapsel, in die er den kleinen Zettel steckte und eine Brieftaube hervor.
Das Tier wirkte verdutzt und blickte sich in seiner neuen Umgebung um.
"Guru?!" rief es aus, was in unsere Sprache übersetzt lauten würde: Weshalb bin ich hier? Eben war ich doch noch an einem schönen, warmen, dunklen Ort!
Irgendwie habe ich das leichte Gefühl, dass ich weiß, wo wir morgen alle nötigen Beweise finden werden. Ich hoffe nur, dass ich mit meinen Vermutungen Unrecht habe, dachte Inspäctor, als er aus dem Fenster der Taube nachblickte, wie sie langsam, in Richtung Stadt verschwand.

Die schwarze Aktentasche schwang in gleichmäßigem Rhythmus hin und her.
Fahles Licht aus den Internatsgängen wurde von der metallenen Schnalle reflektiert und warf einen kleinen Lichtpunkt an die Wände.
Warum wusste er nicht, aber Inspäctor Kolumbini war der starken Überzeugung, dass er als Lehrer eine Aktentasche besitzen sollte. Aus dem Inneren seines MANTELS hatte er den von Tante Emilia gestrickten Wollschal hervorgeholt und sich selbigen locker um den Hals gelegt.
Eine Schule voller Kinder von reichen Pinkeln und die Leitung ist zu blöde, sich einen Sponsor für ein Heizsystem zu angeln.
"Guten Morgen, Herr Kolumbini", grüßte eine freundliche Stimme.
Langsam drehte sich der Ermittler um, obgleich er ganz genau wusste, wer ihn da begrüßt hatte.
"Guten Morgen, Fräulein Gutherr."
"Bitte, nennen Sie mich doch Oktarina, Herr Kolumbini."
"Was kann ich für Sie tun?"
"Nichts spezielles. Ich hab Sie nur gesehen und wollte guten Tag sagen."
Du bist die einzige Person in dieser Schule, die eine Idee davon hat, was das Wort "Manieren" bedeutet. Freundlichkeit und Intelligenz...für ein Leben in dieser Gemeinschaft hier ist das vermutlich der soziale Tod.
"Obwohl da wäre doch noch etwas, Herr Kolumbini."
"Ja?"
Bitte bestätige nicht meine Vermutung.
"Ich glaube, gestern war jemand in meinem Zimmer, der da nichts zu suchen hatte. Jedenfalls waren einige Dinge an anderen Orten, wie ich sie vorher gelegt hatte."
Verflucht.
"Fehlt irgend etwas?"
"Ich konnte mich bisher noch nicht genauer umsehen. Die ganze Hektik wegen dem Mord an dem armen Herrn Callowdeck. Aber ich habe in meinen obersten Schubladen irgend etwas ertastet."
"Nun gut. Später kommt sowieso noch ein Spurensicherungstrupp, mit dem ich die einzelnen Zimmer durchsuchen möchte, aber das erzählen Sie nicht weiter, in Ordnung?"
"Natürlich, Herr Kolumbini."
Auch wenn die ganze Arbeit nicht notwendig sein wird, da wir sowieso in deinem Zimmer alle nötigen Beweise finden werden.
"Wir sollten gehen, Herr Kolumbini. Gleich fängt die Latatianisch-Stunde an."
Hoffentlich hilft mir das wenigstens, die ganze Sache für kurze Zeit zu vergessen.

"Salve, pueri et puellae!"
Um den darauffolgenden äußerst verwirrten Blick der Klasse noch einmal zu Gesicht zu bekommen, hätte Kolumbini ein Vermögen bezahlt.
Die einzige Antwort kam von Oktarina, die ein "Salve, magister" verlauten ließ.
"Wie ich sehe, können Sie gar kein Latatianisch. Nunja keine voreiligen Schlüsse ziehen, wie es so schön heißt. Ich wurde von Herrn Fade engagiert, Herrn Callowdeck zu vertreten, bis ein Ersatzlehrer für ihn gefunden ist. Ich werde jetzt die Motti einiger bekannter Gilden an die Tafel schreiben und die Person, die ich daraufhin aufrufe, übersetzt mir dasselbige und nennt die dazugehörige Institution, in Ordnung?"
"Ja, Herr Lehrer", antworteten die Schüler einstimmig.
Hier und dort zeigten sich Gesichtsausdrücke des Nicht-Verstehens, die dem Vertretungslehrer galten.
Mit quietschender Kreide schrieb Inspäctor die Worte NIL MORTIFI, SINE LVCRE auf die aus Schiefer bestehende Tafel.
"Also wer kann mir das, außer Fräulein Gutherr, übersetzen?" fragte der Wächter ohne sich umzudrehen. "Herr Rust?"
Alle Augenpaare wandten sich zu dem Adelssohn, der gelassen dreinschaute und gähnte.
"Keine Ahnung, Inspektor. Aber ich bin sicher, dass Fräulein Gutherr die Antwort weiß."
"Ich habe sie aber nicht gefragt, sondern Sie. Das hier ist eines der bekanntesten Gildenmotti und Sie können es mir nicht übersetzen, wirklich ach zu schade. Fräulein Selachii, was ist mit Ihnen?"
Bei dem letzten Satz drehte sich Fred schlagartig in eine andere Richtung und brachte das kichernde Mädchen mit einem düsteren Blick zum Schweigen.
"Weiß nicht, Herr Wächter", war die kleinlaute Antwort der ansonsten so lauten jungen Dame.
"Kein Tod, ohne Gewinn, ist eine ungefähre Übersetzung. Es ist das Motto der Assassinengilde, der Ihr werter Vater angehört, Fräulein Selachii. Eigentlich sollten Sie das wissen", gab der Hauptgefreite die Antwort.
Wenn es eine Gilde der Gehirnamputierten gäbe, wären alle in diesem Raum, abgesehen von Fräulein Gutherr und Herrn Schmitz vielleicht, Mitglieder davon.
DICO, DICO, DICO verkündete die Tafel nun.
"Herr Schmitz können Sie uns das übersetzen?"
"Ähm, i-ich sage, i-ich sage, i-ich sage?" kam unsicher die Antwort.
"Fast richtig, aber von welcher Gilde soll dieses Motto sein? Es ist das Motto der Narrengilde und heißt im Kontext deshalb ich lache, ich lache, ich lache. Aber ansonsten war es richtig, Herr Schmitz, gut gemacht."
Wieder quietschet die weiße Tafelkreide und einige der jungen Damen zuckten zusammen.
NVNC ID VIDES NVNC NE VIDES
"Was heißt dies, Herr Schmatze?"
"Nun siehst du es, nun siehst du es nicht. Wie ich feststellen möchte ist es das Motto der Unsichtbaren Universität", antwortete Franziskus mit seiner näselnden Stimme.
"Und warum war die Antwort falsch, liwbe Schülerinnen und Schüler? Weil die Universität keine Gilde ist und dies eine Fangfrage war, Herr Schmatze. Sie müssen die Aufgabenstellung beachten und nicht einfach stur übersetzen."
Und nun...
NIL VOLVPTI, SINE LVCRE.
"So mal etwas einfaches für die Damen. Fräulein von Plotz, wie wäre es mit Ihnen?"
Das hochmütige Gesicht veränderte sich nicht, sondern blickte nur noch herablassender auf den halben Brindisianer herab.
"Ich kann Ihnen keine Antwort geben, Herr...Wächter", sagte die junge Adlige in einem Tonfall der feststehen ließ, dass ihr dieselbige auch gleich war.
"Also bitte, es ist doch wirklich ganz einfach, Fräulein von Plotz. Immerhin ähnelt dieses Motto sehr dem der Assassinengilde. Nil heißt Kein, Volupti heißt Vergnügen und Sine Lucre heißt Ohne Gewinn. Es ist das Motto der Gilde der käuflichen Zuneigung oder der Näherinnengilde, wie sie der Großteil der Bevölkerung nennt."
Anscheinend war Degratia nicht so inkompetent, wie Inspäctor gedacht hatte, da sich ihr Gesicht in eine Maske der Empörung verwandelte.
"Soll das etwa eine Anspielung sein, Herr Wächter?"
"Wie bitte? Ich würde es mir doch nie erlauben, einer so edlen jungen Dame gegenüber eine Anspielung auf ihre Freizeitbeschäftigung, oder gar ihr zukünftiges Berufsleben auszusprechen", antwortete Kolumbini überfreundlich, kämpfte jedoch stark gegen ein schelmisches Grinsen an.
Die Stunde verging und der Hauptgefreite verließ den Raum. Als er sich weit genug entfernt glaubte, lachte er schallend.

Soweit der Plan, den Inspäctor im Lehrerzimmer gesehen hatte, stimmte, waren die nächsten zwei Schulstunden der Klasse Herrn Callowdecks für den Sportunterricht vorgesehen.
Gemütlich schlendernd machte sich der Wächter also auf den Weg in die sogenannte Sporthalle, die sich etwas abseits vom Hauptgebäude befand.
Der Rasen hatte sich durch den häufigen Regen in den letzten Tagen in ein kleines Moor verwandelt und mehr als einmal musste Kolumbini seinen Gleichgewichtssinn unter Beweis stellen. Am Rande der Wiese standen einige hohe Laubbäume, die bereits ihre rot- oder gelbgefärbte Pracht auf die Welt verteilten.
Bei einem solchen Anblick könnte ich fast vergessen, dass ich mich in Ankh-Morpork befinde.
"Inspektor!" rief eine Stimme hinter dem Ermittler, die ganz offensichtlich zu Hyronimus Rust gehörte.
Als sich der Angesprochene umdrehte, bemerkte er, dass dem Adelssohn die Herren Schmatze und Bauer folgten. Ein wenig abseits lief Marcus Schmitz auf die Halle zu.
"Was kann ich für Sie tun, die Herren?" fragte der halbe Brindisianer laut.
"Wir wollten nur gerne wissen, was Sie hier tun, Inspektor."
"Ich wollte mir Ihren Sportunterricht anschauen, um mir ein besseres Bild der Klasse zu machen, Herr Rust."
"Na dann schauen Sie mal zu, Inspektor. Es wird sicherlich lustig für Sie", meinte Hyronimus in einem kumpelhaften Tonfall. "Wir haben Herrn Buczi."
"Ein ungewöhnlicher Name, oder?"
"Er kommt glaube ich aus Borogravien oder so."
Ein Kommentar wie "ach in der Tat?" sparte sich der Stadtwächter und beschloss stattdessen mit einer Frage das Gespräch weiterzuführen.
"Sagen Sie, Herr Rust? Haben Sie vielleicht einen Verdacht, wer Herrn Callowdeck umgebracht haben könnte?"
"Nun wenn Sie davon ausgehen, dass ein Schüler oder eine Schülerin ihn umgebracht hat, Herr Inspektor, würde ich auf Fräulein Gutherr tippen, da sie ja immerhin aus unserer Klasse die einzige war, die eine Möglichkeit hatte. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Lehrer zu einem Mord fähig wäre."
"Wir werden sehen, was die Ermittlungen ergeben."
"Wen verdächtigen Sie, Herr Inspektor?"
"Ich? Bisher ist es noch zu früh, um sagen zu können, dass ich einen begründeten Verdacht habe."
"Nun gut. Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie einen begründeten Verdacht haben, Inspektor."
"Werde ich, Herr Rust."
Sie waren an dem Gebäude, das im Internat gemeinhin Sporthalle genannt wurde, angelangt und Hyronimus zeigte dem Ermittler den Eingang.
"Dort können Sie reingehen, Inspektor. Wir müssen uns erst noch umziehen, wissen Sie."
"Natürlich, ich schaue mich drinnen um, Herr Rust", winkte der halbe Überwaldianer über seine linke Schulter.

Der Boden der Sporthalle bestand aus Stroh und Erde. Eine Rennbahn war mit Kreidelinien eingezeichnet worden und von der Decke, die ungefähr drei Meter über dem Hauptgefreiten emporragte, hingen mehrere Seile.
Die Erde war leicht matschig, da von den Stürmen in der letzten Zeit einige Ziegel vom Dach der Halle gefallen waren und somit das Regenwasser durchsickern konnte.
In einer Ecke war eine große Matte an die Wand gelehnt und neben selbiger befanden sich mehrere lange Bänke, auf denen bereits einige Schülerinnen und Schüler Platz genommen hatten.
Mehrere fragende Blicke trafen den Ermittler, der den versammelten Individuen erläuterte, wie sehr er es bedauere, dass er so nerven würde, aber er würde sich gerne die Sportstunde anschauen, um ein besseres Bild von der Gruppe zu bekommen.
Nachdem sich die Internatsbewohner wieder ihren eigenen Angelegenheiten zugewandt hatten setzte sich Inspäctor etwas abseits der Klasse zu Fräulein Gutherr und Marcus Schmitz auf die Bank, und griff in die Innentasche seines MANTELS, aus der er eine Teekanne, eine Tasse, sowie Honig- und Milchpott hervorholte.
"Ist ihr Mantel etwa magisch, Herr Inspäctor?" fragte die junge Dame in der gewohnt freundlichen Stimme.
Nein du antwortest jetzt nicht mit so etwas wie "oh wie kommen Sie nur darauf?"! Die Familie Gutherr konnte deinen Humor noch nie gut leiden.
"Ja, Fräulein Gutherr. Ein magischer Mantel", antwortete der Hauptgefreite beiläufig, während er sich Tee in seine Tasse goss und etwas Milch und Honig hinzufügte. "Wo bleibt denn nun Ihr Lehrer?"
"Ich weiß auch nicht, Herr Inspäctor. Eigentlich sollte Herr Buczi schon längst hier sein, aber er kommt, soweit ich weiß, häufiger zu spät."
Aus der Ferne ertönte ein tiefes und lautes Schnauben, das vermuten ließ, dass irgendein extrem großes und fettes Lebewesen bald den Raum betreten musste.
Der...nun vermutlich war das Ding, das gerade die Halle betrat unter all den Massen irgendwo ein Mensch und vielleicht gehörte er sogar dem männlichen Geschlecht an, blickte sich um und ging danach auf die Schüler zu.
Trotz der Eiseskälte, die hier in der Sporthalle noch intensiver als draußen wirkte, schwitzte das Etwas stark und wischte sich immer wieder mit einem ohnehin schon durchnässten Taschentuch über die Stirn.
Ein stetiges Schnauben, dem sich der kondensierende Atem hinzu gesellte ging von dem Mann aus.
"Hallo", grüßte der Berg mit einer Stimme, die für die Erfinder einer kranken Kindersendung, in der irgendein fettes Tier irgendwelche belanglosen Dinge falsch erklärte ein gefundenes Fressen gewesen wäre.
Mit anderen Worten: wären Walrösser zum Sprechen fähig gewesen, so hätten sie solch eine Stimme gehabt, obgleich auch gewisse Ähnlichkeiten mit den Lauten eines vergnügten Seehundes nicht abzustreiten waren.
"Uh, was tun Sie hier?" schrie der Fette, als er den Ermittler zu Gesicht bekam. "Sie sind doch dieser Schnüffler."
"Äh, ich bin Inspäctor Kolumbini von der Stadtwache von Ankh-Morpork und würde gerne Ihrem Unterricht beiwohnen, damit ich die Klasse hier besser kennen lerne. Das wäre nämlich sehr wichtig für meine Ermittlungen."
"Sie haben hier nichts zu suchen! Sie sind kein qualifizierter Sportlehrer, wie ich!"
Sportlehrer? Bei den Göttern aus diesem Kerl könnte man Lampenöl herstellen.
"Lassen Sie den Herrn Inspektor doch an unserem Unterricht teilhaben, Herr Buczi", mischte sich Hyronimus ein, der gerade den Raum betreten hatte. Er trug, wie der Rest der Schüler wesentlich bequemere Kleidung als sonst.
"Ja", stimmte fast der gesamte Rest der Klasse ein. Was Rust sagte war Gesetz, wenn man als beliebt gelten wollte.
"Na gut", stimmte der Lehrer zu, nachdem er sich mit seinem Taschentuch die riesigen Schweißtropfen, die an seinem Gesicht herunterliefen, wie Tautropfen an einer Pflanze im Klatschianischen Regenwald, gewischt hatte. "So und jetzt lauft ihr alle drei Runden um das Gebäude."
Enttäuschungsausrufe schallten dem Fetten entgegen und Degratia kam mit schwingenden Hüften auf ihn zugeschlendert.
"Dafür ist es doch viel zu kalt und feucht, Herr Buczi", säuselte sie ihm ins Ohr und Kolumbini hätte glauben können, dass es dem Wal sogar noch wärmer wurde, als ihm ohnehin schon war.
Ach ja, die Schneiderei... Wenn ich jetzt noch in Sto Lat wäre, würde ich mir schnell eine gute Begründung dafür einfallen lassen, warum ich Fräulein von Plotz aus Versehen ein Ohr mit meiner Schere abgeschnitten habe, als ich etwas am Kleid ausbessern wollte...Hm...ob es wohl rauskommen würde, wenn ich alle Beweise ihr zuspielen würde...Nein! Nein! So etwas sollte ich nicht einmal denken. Ich muss mich auf den Fall konzentrieren und nicht einen Hass gegen die Hauptverdächtigen entwickeln, so verachtungswürdig sie auch sein mögen...
"Ja das stimmt allerdings, Fräulein von Plotz", stimmte Buczi zu. "Wir sollten hier drinne laufen. Hier ist es nicht so feucht wie draußen. Ihr lauft also zehn Runden und wer versucht abzukürzen, muss extra Runden laufen."
"Ja, Herr Lehrer."
Interessiert beobachtete der halbe Brindisianer die laufenden Schüler und Schülerinnen. Erstere liefen stets hinter Letzteren und man musste sicher kein Genie sein, um zu deuten, warum dies so war. Ganz hinten liefen Oktarina Gutherr und Marcus Schmitz.
Erstere vermutlich deshalb, weil sie ziemlich kurze Beine und letzterer vermutlich deshalb, weil er sich eine böse Erkältung eingefangen hatte. Sie sprachen nicht miteinander, wie der Hauptgefreite bemerkte, was ihn jedoch leicht verwunderte.
Oktarina schien eine junge Dame zu sein, die generell zu jedem freundlich war...oder hatte er sich etwa doch in ihr getäuscht?
Er schüttelte den Kopf und beschloss einen Test zu machen.
Kurz bevor die junge Dame an ihm vorbei lief goss er seine Teetasse auf dem Boden aus, der dadurch noch schlammiger wurde, als er es ohnehin schon war.
Wie erwartet rutschte sie aus und wie erwartet lachte die gesamte Klasse, außer Marcus Schmitz, über das Missgeschick.
"Intelligenz nützt nicht viel, wenn man nicht richtig laufen kann, was Fräulein Gutherr?" stichelte Rust.
"Kommen Sie, Fräulein Gutherr, ich helfe Ihnen auf", reichte ihr der Ermittler die Hand. "Es tut mir Leid, Fräulein, aber ich musste etwas testen", fügte er wesentlich leiser hinzu.
"Macht nichts, Herr Kolumbini. Ich habe mir ja nicht weh getan. Und außerdem hätte ich ja auch besser aufpassen können. Es ist ja nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert wäre."
So vorhersehbar kann nur ein Gutherr sein. Du kannst wahrlich niemanden umgebracht haben. Unglücklicherweise habe ich keine Ahnung, wie ich dir denn helfen kann, aber ich werde alles mir Mögliche versuchen.
"Trauen Sie niemandem außer mir, Fräulein Gutherr", flüsterte das R.U.M.-Mitglied der jungen Dame zu, bevor es ihr einen Klaps auf den Rücken gab und Sie somit in die weiteren Laufrunden schickte.
"So jetzt seit ihr aufgewärmt genug, Schüler", brüllte Buczi, nachdem die angesagte Rundenzahl gelaufen worden war. "Rust, Bauer, Schmatze! Baut die Turnapparaturen auf."
Der fette Lehrer hatte eine Namensliste in der Hand und rief die Namen aus, wie ein General, wobei die gesamte Szenerie durch die Seehundstimme des Sprechers einer seriösen Wirkung beraubt wurde.
"Die was?" fragte Kolumbini laut.
"Turnapparaturen, Inspektor", antwortete Hyronimus. "Geräteturnen soll angeblich unsere Hand-Augen-Koordination und unsere Beweglichkeit verbessern, die wir für die Sportarten brauchen, die wir im Sommer auf dem Großen Sportplatz ausüben. Wie Fuhßball, oder Rugby, oder Kricket."
"Interessant, was es alles gibt", meinte der Hauptgefreite mehr zu sich, als zu jemand anderem.
Daraufhin packten die aufgerufenen Schüler Marcus Schmitz an der Schulter und zerrten ihn mit sich in Richtung Geräteraum.

"Was habe ich euch gesagt, Brüder?" fragte Hyronimus Rust, als sie im Aufbewahrungszentrum der Turngeräte angekommen waren. "Dieser Wächter ist ein absoluter Volltrottel. Der ist doch so zerstreut, wie Marcus dumm ist. Wenn der uns auf die Schliche kommt, dann schwöre ich bei den Göttern, dass ich die Dominart heirate."
Schwafel und Babbel lachten höhnisch.
"Morgen Mittag werden wir den Inspektor mal zum Essen ins Cafe Richie einladen, Brüder. Stutz bleibt natürlich daheim, denn wir sollten es nicht zu auffällig machen. Es wird sicherlich lustig, diesen Trottel an der Nase herumzuführen."
"D-du solltest ihn n-nicht uunterschätzen, Hyronimus", warnte Marcus und griff nach einem der Turngeräte, um danach wieder zu den anderen zu gehen.

"Das wurde aber auch Zeit", bellte Buczi. "Bei der heutigen Jugend herrscht einfach keine Disziplin mehr."
Das Aufbauen nahm weitere fünfzehn Minuten in Anspruch, bis die seltsame Apparatur schließlich stand.
Sie bestand aus zwei langen Holzstangen, die in gleicher Höhe an einem eisernen Gerüst angebracht worden waren.
Ich dachte, die Folterkammern des Patrizierpalastes seien für Außenstehende versperrt.
"Das Ding da nennt man Reck, Inspektor", erläuterte Rust, als er den verwirrten Blick des Herren bemerkt hatte. "Man hält sich an den Stangen fest und macht dann bestimmte Übungen."
"Höchst interessant. Wozu ist dieses Metallgerüst?"
"Damit man die Höhen der Stangen verstellen kann. Je höher die Stangen desto höher muss man springen, um sich daran festzuhalten."
"So", schrie der fette Sportlehrer, "wir beginnen bei einem Meter und zehn."
"Herr, Buczi, seien Sie nicht so hart. Wollen Sie etwa, dass Fräulein Gutherr Ihre eigene Körpergröße überspringt?"
Wieder erschallte Lachen von fast der gesamten Klasse. Hyronimus stieß Fred mit seinem Ellenbogen in die Seite, um ihn zum Lachen anzustacheln, doch dessen Gesicht blieb so versteinert, wie es zuvor bereits gewesen war.
Nur mit Mühe konnte sich der Hauptgefreite ein "sehr lustig, Herr Rust" oder "bitte erinnern Sie mich, dass ich irgendwann, wenn ich Zeit habe, einmal lache" verkneifen.
"Ihr springt an die Stangen, haltet euch fest, schwingt dann zweimal vor und zurück und macht dabei einen Überschlag, klar?" jaulte der Fettsack, die Beleidigung ignorierend, weiter. "Und damit die schlechten Schüler uns nicht aufhalten, werde ich die Reihenfolge nach dem Notenbuch bestimmen. Zuerst Fräulein Gutherr und danach Herr Schmitz."
Die Erstgenannte stieß sich nur die Ellenbogen an, der zweitgenannte jedoch rutschte mit seinen Händen auf den Stangen aus, stieß mit Unterarm gegen selbige und knallte daraufhin noch auf den Boden.
Zu dem Erstaunen der gesamten Klasse gingen Fräulein Gutherr und Inspäctor auf den jungen Herrn zu, halfen ihm auf und brachten ihn zu einer der Banken, wo sie ihn gegen die Wand lehnten.
"E-es ggeht schon", brachte der Schüler mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor. "I-ist nnicht so schlimm."
Im Hintergrund hörte der halbe Brindisianer, wie Buczi die Notenliste durchging und nach und nach sämtliche Schülerinnen und Schüler die ihnen gestellte Aufgabe absolvierten.
Sogar Fräulein von Plotz schaffte einen vollkommenen Überschlag.
Wundert mich, dass ihr nicht die Watte aus dem Ausschnitt fällt, wenn sie das tut.
"Unser Gast muss nun allerdings auch einen Versuch starten", schlug Hyronimus vor, nachdem ein Durchgang vollbracht war.
Ein (fast) einstimmiges "Ja" war die Antwort der Klasse.
Lächelnd wehrte Kolumbini mit seinen Händen ab.
"Oh, nein, nein. Ich bin ein sehr unsportlicher Mensch", versuchte er sich rauszureden.
"Ach kommen Sie schon, Inspektor. Nur ein Versuch."
"Na gut. Wenn Herr Schmitz meinen MANTEL halten könnte?"
"N-natürlich, der Herr."
Der Ermittler nahm großzügig Anlauf, sprang, versuchte sich an den Stangen festzuhalten, rutschte stattdessen ab und landete unsanft auf dem Hintern.
Schallendes Gelächter war die Antwort und nachdem er mühsam aufgestanden war, ging Fred zu Herrn Schmitz und holte sich seinen MANTEL wieder.
In dem Gesicht des Wächters zeigte sich große Besorgnis, als er das Gesicht von Hegelkant in der Tür erblickte.

"Gut, dass du da bist, Hauptgefreiter", grüßte Sillybos kurze Zeit später seinen Kollegen. "Wir wollten mit der Zimmerdurchsuchung warten, bis du anwesend bist."
"Sehr gut gedacht", meinte der Gegrüßte. "Fangen wir bei den Jungs an?"
"Wie du meinst. Hast du den Bewohnern Bescheid gegeben?"
"Bitte? Willst du, dass ich Selbstmord begehe und einer Bande halbwüchsiger Snobs erkläre, dass wir jetzt ihre persönlichen Habe durchwühlen? Außerdem haben wir doch die Genehmigung und mehr brauchen wir doch nicht, oder?"
"Mir wäre es lieber, wenn du ihnen Bescheid gesagt hättest. Aber wenn du meinst. Ach übrigens, wir haben das Ergebnis der Teeuntersuchung vom Labor."
"Und?"
"Es war ein Abführmittel enthalten, welches laut unseres Labors sehr schnell wirkt und je nach Dosierung zwischen sechs und zwölf Stunden wirkt. Den Namen konnten wir noch nicht feststellen."
"Höchstwahrscheinlich werden wir es sowieso in der Schulapotheke finden, wenn wir dort nachsehen."
Es folgte ein Schulterzucken von Seiten des Philosophen und zusammen mit Herrn Made folgte er dem Ermittler in Richtung der Jungengemächer.
"Warten Sie, die Herren", rief Herr Fade, der den Gang hinaufgeeilt kam. Mit ihm im Schlepptau hatte er den Zwerg Oflo. "Ich muss doch sicher gehen, dass Sie die Zimmer nicht zu sehr verwüsten."
Vermutlich will er einigen Schülern nachspionieren, damit er ihnen irgendwelche nichtigen Regelbrüche nachweisen kann.
Das erste Zimmer war ursprünglich für drei Personen ausgelegt, jedoch wurde es nur von Marcus Schmitz bewohnt. Bleiche schwarze Hosen, einige weiße Hemden, zwei ehemals weinrote Westen, zerfledderte Bücher, abgenutzte Federkiele und halb getrocknete Tinte waren der Inhalt der Schubladen und Schränke.
"Marcus ist ein Stipendiat, Herr Inspäctor falls Sie sich wundern, dass er all diese abgenutzten Sachen hat", erläuterte Oflo, als er den nachdenklichen Blick des Wächters bemerkte.
Sie fanden in dem Raum nichts, was auf den Mörder hingewiesen hätte, wie Fred auch erwartet hatte.
Schrank um Schrank, Schublade um Schublade durchwühlte der kleine Untersuchungstrupp die einzelnen Domizile, jedoch fanden sie keinerlei Beweismittel, oder etwas in der Art, bis schließlich nur noch ein einziges Zimmer zu untersuchen war.

"Hier wohnt also Fräulein Gutherr?" fragte Kolumbini, um ein wenig Zeit zu schinden, obgleich er wusste, dass sie in diesem Zimmer alle nötigen Beweise finden würden.
Innerlich stieß er einen Seufzer aus, als Sillybos und Hegelkant mit der Durchsuchung begannen.
Langsam ging der Ermittler an das kleine Fenster, an dem Fräulein Gutherr die Pappsilhouette eines Greifvogels angebracht hatte, damit keine kleinen Vögel gegen das Glas flogen.
Was dem Wächter jedoch ein wenig unlogisch erschien, da das Fenster ziemlich dreckig war und darum ohnehin kein Spatz oder ein ähnliches Tier dagegen gerast wäre.
Überhaupt war das Zimmer ziemlich unordentlich und schien einer jener Personen zu gehören, die ihre Brille suchten, obgleich selbige auf dem Haupt des entsprechenden Individuums zu finden war.
Anscheinend waren Intelligenz und Zerstreutheit in irgendeiner Weise miteinander verknüpft.
Schon nach wenigen Minuten ließ Sillybos verlauten, die Untersuchung habe zu einem Ergebnis geführt.
Lass mich raten, Chief-Korporal, ihr habt die Armbrust, mehrere Bolzen und eine identische Abschrift des Gedichtes gefunden.
Hätte der Hauptgefreite diesen Satz ausgesprochen, so hätte sich seine weitere Vorgehensweise sicher als äußerst schwierig durchführbar erwiesen.
"Was habt ihr denn?" fragte er stattdessen.
"Eine Armbrust von Burlich und Starkimarm, sowie mehrere dazu passende Bolzen aus feinem Holz."
Kein Gedicht?
"Sie waren unter einigen Kleidungsstücken versteckt."
Stets darauf bedacht, kein betroffenes Gesicht zu machen, drehte sich das R.U.M.-Mitglied um und ging schnellen Schrittes auf den Schubladenschrank zu, vor dem seine Kollegen standen.
Warum musste ich verdammt noch mal Recht behalten? Eine nette junge Dame hat das wahrlich nicht verdie...
Er unterbrach sich in seinen Gedanken und fragte sich, warum er überhaupt so dachte.
Die Schublade durchwühlend verdrängte er seinen inneren Konflikt, und beschloss, sich später darum zu kümmern.
Er fand, was er suchte. Einen Zettel mit krakeliger Schrift bedeckt.
"Mal mit dem vergleichen, den wir im Stall gefunden haben", fischte er das angesprochene Indiz aus den unergründlichen Tiefen seines MANTELS. "Scheint die gleiche Handschrift zu sein. Was meinen Sie, Herr Oflo?"
"Ja definitiv die Schrift von Fräulein Gutherr."
"Sillybos ich gebe dir den Zettel mit, den wir im Stall gefunden haben. Würdest du bitte zu einem Experten in der Stadt gehen, der uns alle Informationen über den Schreiber oder die Schreiberin geben kann?"
"Natürlich, aber weshalb? Ich glaube, diese Beweise sollten genügen, die junge Dame hinter Gitter zu bringen."
"Oh, ich will nur ganz sicher gehen."
"In Ordnung."
"Wenn du weiterhin die Armbrust auf Fingerabdrücke untersuchen würdest? Made?"
"Ja?"
"Glaubst du, dies könnte die Tatwaffe sein?"
"Nun auf den ersten Blick lässt sich das natürlich nicht sagen, aber ich schätze es besteht eine gute Chance, dass sie es ist und die Bolzen sind definitiv die Gleichen."
"Hm. Herr Oflo, wo halten sich die Schüler wohl derzeit auf?"
"Wenn sie Fräulein Gutherr suchen, so sollten Sie in der Mensa vorbeischauen. Dort ist sie meistens." (Ja, der Autor ist sich diesem schlechten Wortspiel durchaus bewusst!)
Und während der Ermittler mit eiligen Schritten in Richtung des Speisesaales marschierte, tobte der innere Kampf weiter in ihm.
Sie hat den Mord definitiv nicht begangen.
Und woher willst du das wissen?
Weil sie genau wie ihr Vater ist und er wäre auch nie zu einem Mord fähig gewesen und ist es auch jetzt mit Sicherheit nicht. Außerdem ist niemand so dumm die Beweismittel im eigenen Zimmer aufzubewahren. Das stinkt förmlich so, als ob ihr jemand die Tat anhängen wolle. Und dazu gibt es wohl mehr als genug Verdächtige.

Aber egal, ob er es den Eltern von Oktarina schuldig war, ihre Tochter zu verteidigen oder nicht...er musste die Aufgabe erledigen, die vor ihm lag.

Fräulein Oktarina Gutherr saß mit einigen Schülerinnen aus den niedrigeren Jahrgangsstufen an einem Tisch und unterhielt sich mit selbigen.
Als sie Inspäctor "Fred" Kolumbini zu Gesicht bekam lächelte sie ihm erfreut (oder belustigt, so genau ließ sich das bei ihr nicht sagen) zu.
"Hallo, Herr Kolumbini. Was machen Sie hier? Wollen Sie auch etwas essen?"
"Fräulein Oktarina Gutherr?"
"Äh, ja, natürlich bin ich das. Was ist denn...?"
"Aufgrund eines dringenden Mordverdachts muss ich Sie bitten, mit mir zu kommen und einige weitere Fragen zu beantworten."
Anscheinend begriff die junge Dame immer noch nicht recht, was eigentlich geschah, als Fred sie sanft, aber bestimmt am Arm packte und in Richtung ihres eigenen Zimmers geleitete.

"Was ist denn nun, Herr Kolumbini?" fragte Oktarina immer noch mit einer Stimme voller Freundlichkeit, als sie der Ermittler in ihr Zimmer geführt hatte und ihr den Bärtigen, den Farbigen und den Zombie als Chief-Korporal Sillybos, dessen Sklaven Hegelkant und den Gefreiten Herrn Made vorgestellt hatte.
"Kennen Sie diese Armbrust?" legte der Hauptgefreite das genannte Tötungsinstrument vor die Schülerin.
"Nein. Ich kenne sie nicht."
"Würden Sie bitte ihre Fingerspitzen zuerst auf dieses Stempelkissen und dann auf dieses Blatt Papier geben, Fräulein Gutherr?"
"Halt warten Sie, Herr Kolumbini. Ich kenne dieses Ding doch. Ich glaube, ich habe es heute Morgen in meiner obersten Schublade ertastet. Zumindest fühlte sich es so an, als sei es eine Armbrust, aber ich habe nicht genauer nachgeschaut."
"Sie hatten erwähnt, Sie hätten etwas ertastet, aber wieso bei allen Göttern haben Sie mir nicht gesagt, dass es sich wie eine Armbrust anfühlte?"
"Ich hatte es vergessen, Herr Kolumbini."
Mit einer raschen Umdrehung wandte sich der Hauptgefreite seinen Kollegen zu.
"Wenn ihr so freundlich wäret, den Raum zu verlassen und euch Herrn Oflo hinzuzugesellen, damit ich mit der jungen Dame unter drei Augen reden kann?"
Einem Nicken folgend verließen die Angesprochenen den Saal und der halbe Brindisianer ließ sich auf einen Stuhl gegenüber von Oktarina fallen und holte seine Pfeife heraus. In letzter Zeit begann er immer mehr zu rauchen. Es half ihm beim Nachdenken.
"Ich darf doch?"
"Ich würde Sie bitten, das nicht zu tun. Da ich nämlich Nichtraucherin bin."
"Sehr lobenswert, sehr lobenswert. Aber einen Tee erlauben Sie, ja?"
"Natürlich."
"Also, Fräulein Oktarina. Geben Sie bitte Ihre Fingerabdrücke ab, in Ordnung?"
Anscheinend schien die Arzttochter endlich verstanden zu haben, da sie still und leise das Verlangte tat.
Ruckartig stand Kolumbini auf und begann in seinen MANTEL-Taschen herum zu wühlen.
"Na bitte", rief er triumphierend aus und förderte ein recht kleines Papierstück zu Tage. "Erkennen sie das hier, Fräulein Oktarina?"
"Das ist eines meiner Gedichte ja, aber wie..."
"Ein Untersuchungsschein vom Patrizier unterschrieben, Fräulein. Außerdem fanden wir eine vollkommen identische Abschrift in einem Hohlraum, in dem Bolzen, von dem Herr Callowdeck getroffen wurde."
"Aber ich habe solch eine Abschrift nie gemacht", protestierte das Mädchen. "Was hat das alles zu bedeuten, Herr Kolumbini?"
"Es tut mir Leid, Fräulein Gutherr, aber alle Indizien deuten darauf hin, dass Sie den Mord an Jakobus Callowdeck begangen haben."
Na bitte. Es war gesagt. Jetzt musste jeder verstehen, was denn nun vor sich ging.
Urplötzlich war sämtliche Freundlichkeit aus dem Gesicht der Musterschülerin verschwunden und die kleinen Augenringe, die sie stets hatte, schienen deutlicher hervorzutreten, als sich die Hautfarbe in ein ungesundes Weiß abänderte.
"Aber ich habe ihn doch nicht ermordet."
Die Stimme war leise und klang traurig, als wäre das gesamte Weltbild der jungen Dame mit einem Male zu Nichte gemacht worden.
Tränen kamen aus den Äuglein heraus und rannen die Wange hinunter, wie Regentropfen über ein Kalkplateau, welches seit Jahren diese Erfahrung nicht gemacht hatte.
"Ich weiß, Fräulein. Aber dennoch ist die Beweislage wirklich erdrückend. Mit anderen Worten: Du sitzt verflucht tief in der Patsche. Aber ich werde versuchen, dir jede Hilfe zukommen zu lassen, die ich zu verrichten vermag."
Als die Arzttochter aufstand, hatte Inspäctor befürchtet, sie würde versuchen zu türmen.
Stattdessen klammerte sie sich an dem halben Brindisianer fest und weinte bitterlichst.
Na toll. Da zeigt man Mitleid und sie versaut einem die Klamotten.
Obgleich der Gedanke schwach war, so erschien er doch im Kopf des Hauptgefreiten.
Er stammte von dem Teil von Freds Geist, der verbitterter war als ein übler Schnaps, hartherziger, als ein Felsbrocken und einen Humor besaß, der schwärzer war, als selbst der tiefste Brunnen es sein konnte.
Doch trotz der anfänglichen Überraschung und der bitteren Stimme in ihm begann der Zyniker, der jungen Dame den Kopf zu tätscheln.
Mehrere Stoßgebete eilten nach Würdentracht, dass er auch mit der Theorie, die Schauspielkünste Fräulein Gutherrs betrügen gleich null, Recht behalten würde.

Eine Pritsche und eine Tür, die zu einem abgesondertem Abort führte, das war die Einrichtung des "Nachsitzzimmers".
Das letzte Mal, als Kolumbini einen solch spärlich eingerichteten Raum gesehen hatte, war er im Zellentrakt des Wachhauses gewesen.
"Für was bei allen Götten brauchen Sie diesen Raum, Herr Fade?" fragte der Hauptgefreite mit leichtem Entsetzen in der Stimme.
"Für unartige Schüler, Herr Inspäctor, was glauben Sie denn? Disziplin heißt das Zauberwort."
Mir scheint hier keine Disziplin zu herrschen, wenn jemand einen Lehrer ermordet und es einer Unschuldigen in die Schuhe zu schieben versucht.
"Also, Fräulein Gutherr. Hier werden Sie vorerst bleiben, bis sich Neuigkeiten ergeben. Derzeit ist für mich der Fall noch nicht abgeschlossen, da es noch einige kleine Ungereimtheiten gibt, weshalb Sie vorerst nur zur Untersuchung in Haft kommen, was hier genauso gut geht, wie im Wachhaus", erklärte der Wächter der jungen Dame, die ihn aus verweinten Augen anblickte.
"In Ordnung, Herr Kolumbini. Vielen Dank", brachte sie mit leiser Stimme heraus.
"Und?" fragte Sillybos, nachdem sein Kollege die "Zelle" wieder verlassen hatte. "Was hast du nun vor? Für mich scheint der Fall mit all diesen Beweisen abgeschlossen. Warum sie hier in Untersuchungshaft lassen?"
"Wir haben die Beweise Sillybos, aber wo ist das Motiv?"
"Na das finden wir mit Sicherheit heraus."
"Bis wir kein Motiv haben, werde ich sie nicht in eine Zelle im Wachhaus bringen lassen. Nein, nun wird es Zeit richtig zu ermitteln. Herr Fade?"
"Ja, der Herr?"
"Sie haben mit Sicherheit eine Akte über das Mordopfer, oder? Mit den persönlichen Daten und so weiter."
"Ja, das haben wir."
"Gut. Bringen Sie mir bitte die Akte, ja? Eigentlich hätte ich das viel früher tun sollen."
"Und was genau hast du nun vor?" fragte der Philosoph, als Kolumbini langsam hinter dem Leiter her marschierte.
"Meine Theorie bestätigen, Sillybos. Meine Theorie bestätigen."

Jakobus Callowdeck
,
stand auf der grauen Aktenmappe geschrieben.
Geburtsort: Sto Kerrig
Wohnort: Ankh-Morpork, Kurze Str.
Verwandte: Mutter und Vater gestorben; Geschwister: Keine; Frau: Gestorben; Kinder: Keine; Cousin/e: Keine
Finanzielle Lage: stabil; Alter: 55


Genau, wie ich dachte. Keinerlei Verwandte oder Familie. Also würden als potentielle Mörder nur Schüler, oder Lehrer übrig bleiben.
Und alle haben sie ein wasserdichtes Alibi. Alle hatten Unterricht.


Es klopfte leise an der Tür zu Kolumbinis kleinem Raum.
"Herein", rief der Wächter über sein Notizbuch gebeugt und Pfeife rauchend.
"Herr Inspäctor? S-stimmt es, wwas man über Fr-äulein Ggutherr sagt?" fragte Marcus Schmitz, nachdem er seinen Kopf durch die Tür gesteckt hatte.
"Bitte?"
"Ddas man sie vveerhaftet hat?"
"Sie ist in einer Art Untersuchungshaft, bis der Fall endgültig aufgeklärt ist. Aber weshalb fragen Sie, Herr Schmitz?"
"K-könnte ich vvielleicht mit Ihnen uunter vvier Augen sp-sprechen, Herr Inspäctor?"
"Unter drei, ja. Kommen Sie rein, Herr Schmitz."
"N-nicht hier. L-lieber dort, wo n-niemand n-nachschaut."

Überall im Multiversum haben öffentliche- und Schultoiletten die selben Graffitis und pseudoamüsanten Sprüche, deren Schreiber vermutlich längst in Gräbern vermoderten, an den Wänden stehen.
Die Mühe, Toiletten zu renovieren machte sich niemand, da sie nach wenigen Tagen ohnehin wieder beschmutzt wären, wie eh und je.
"S-sie wwar e-es n-nicht, Herr Inspäctor", kam Marcus sofort auf den Punkt, nachdem er Kolumbini hereingeführt hatte.
"Und weshalb sind Sie sich da so sicher?"
Der Schüler schien einen inneren Kampf zu fechten.
"Wweil s-sie dazu n-nicht iin d-der Lage ist, Herr Inspäctor."
"Hm. Zu diesem Schluss bin ich auch schon gekommen, Si...äh Herr Schmitz."
"B-bitte e-erzählen S-sie n-niemandem vvon diesem Gespräch, ja?"
"In Ordnung, Sir, aber erst sagen Sie mir alles, was Sie wissen."
"Wwürden Sie Oktarina vvon mir grüßen, Herr Inspäctor?"
"Haben Sie überhaupt gehört, was ich gesagt habe? Ich will, dass Sie mir alles erzählen, was Sie wissen, Herr Schmitz."
Die Aufregung des Schülers schien wieder zu steigen und plötzlich drehte er sich um und rannte aus der Tür.
"Mist", meinte Fred, während er die Verfolgung des jungen Herrn aufnahm.
Die Gänge entlang immer nur wenige Meter von dem Flüchtenden entfernt, von dem er sich die Antworten auf manch eine Frage erhoffte.
Das hier ist keine Polizeiarbeit. Das ist Wahnsinn. Weiß dieser Trottel eigentlich, wie verdächtig er sich macht? Dieser Unfug hier...Verfolgungsjagden das ist Sache der F.R.O.G.S. und nicht meine. Haudraufs sind für diesen Job geeignet und nicht ich.
Eine verschlossene Tür kann äußerst hilfreich sein, wenn sie einen Fliehenden daran hindern will, seine Tätigkeit weiter auszuüben.
In wenigen Sekunden hatte der Hauptgefreite die Waise fest im Griff, schleifte ihn zur Wasserpumpe und setzte seinen Kopf einem Schwall eiskalten Wassers aus.
"Sind Sie jetzt wieder bei Sinnen?" fragte der Ermittler wütend und ließ seinen Gefangenen los.
"E-entschuldigen Sie, Herr Inspäctor. B-bitte l-lassen S-sie mich m-mit Oktarina sprechen."
Aus flehenden Augen blickte Marcus den halben Überwaldianer an.
"Fünf Minuten."

Mit einem ins Mark gehenden Knarren öffnete sich die Tür zum "Nachsitzraum" und gab den Blick auf eine deprimierte Oktarina Gutherr frei, die mit von Tränen geröteten Augen auf ihrer Pritsche saß.
"Besuch für Sie, Fräulein", kündigte der Wächter Marcus an. "Herr Schmitz."
"Marcus?" kam es überrascht von dem kleinen Mädchen.
Nein, sein verschollener Zwillingsbruder.
"Was machst du denn hier?"
"Dich besuchen", war die Auskunft des Angesprochenen.
"Ich lasse euch beide mal alleine", verabschiedete sich das R.U.M.-Mitglied.
Diese Szenerie halte ich keine Sekunde mehr aus, ohne mich übergeben zu müssen.

"Und? Über was habt ihr gesprochen?" kam es von einer Rauchwolke vor der Tür des "Nachsitzzimmers", als Marcus Schmitz aus selbigem nach exakt fünf Minuten herauskam.
"Sie h-hat mich gefragt, oob ich schon mal an S-selbstmord gedacht h-hätte."
"Aha. Ich werde besser noch mal ein Wort mit ihr reden. Die ganze Sache scheint sie ziemlich mitzunehmen."
Jetzt darf ich auch noch den Therapeuten spielen.
"D-das hier soll ich I-ihnen ggeben, Herr Inspäctor. Von H-hyronimus. Ei-eigentlich hhätte ich es Ihnen früher geben sollen."
Es war ein kleiner Zettel, auf dem eine Botschaft geschrieben war:
"Sehr geehrter Inspektor,
hiermit möchte ich Sie herzlichst zum Mittagessen in Richies Cafe einladen. Seien Sie morgen um 14:00 Uhr vor dem Haupteingang des Internats, sofern Sie die Einladung annehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Hyronimus Rust"
Der Ermittler steckte den Zettel in eine seiner Taschen und stand von dem Stuhl auf, auf dem er bis eben noch gesessen und seine Pfeife geraucht hatte.
Dann erinnerte er sich dem Schlachtruf des einzigen Püschologen, den er kannte.
"Auf in den Kampf, die Schwiegermutter naht."

Die Tränen waren verschwunden, im Gegensatz zu dem deprimierten Gesichtsausdruck, den die junge Dame zur Schau trug, während sie auf ihrer Pritsche saß.
"Soll ich die Pfeife ausmachen?" fragte der Hauptgefreite freundlich.
"Nicht nötig, Herr Kolumbini", sprach Oktarina in traurigem Tonfall.
"Das Herr kannst du ruhig lassen."
"In Ordnung, Herr Kolumbini."
"Ich habe do...ach egal. Tee?"
"Ja, gerne."
Der Ermittler zog die Teekanne und zwei Tassen aus den unergründlichen Tiefen seines hellbeigen Trenchcoats und goss die bernsteinfarbene Flüssigkeit in die dafür vorgesehenen Behälter.
"Milch und Honig?"
"Nur Honig, Herr Kolumbini."
Dankend nahm sie das heiße Getränk entgegen und hielt den Pott so in ihren zierlichen Händen, dass dieser selbige wärmte.
"Hast du viele Freunde?" begann Fred nach einigen Minuten der Stille das Gespräch.
"Es gibt viele Leute, mit denen ich reden kann und ich habe es mir nie mit jemandem verdorben."
Natürlich.
"Meistens rede ich mit den Mädchen aus den unteren Jahrgängen."
Und vermutlich scheren sie sich keinen Pfifferling um dich.
"Und Marcus?"
"Er redet mit so gut wie niemandem."
"So gut wie?"
"Manchmal redet er mit Rust und diesen Leuten."
"Warum hat er dich besucht?"
"Ich weiß es nicht. Er hat nur geschwiegen, als ich ihm diese Frage stellte."
Es herrschte erneut jene bedrückende Stille, wie sie sonst nur auf Begräbnissen zu finden war.
"Warum tun Menschen so etwas? Warum will mir jemand diesen Mord anhängen, Herr Kolumbini?"
Er hatte mit dieser Frage gerechnet, ja sogar gewusst, dass Oktarina sie stellen würde.
Aber das Wissen um die Frage war noch nicht das Wissen um die Antwort. Wenn man über die Verderbtheit der Menschen Bescheid wusste, so hieß das noch lange nicht, dass man auch den Grund dafür kannte.
"Ich wünschte, ich wüsste die Antwort, Fräulein Oktarina. Ich wünschte es wirklich", antwortete der halbe Brindisianer nach einigen Minuten des Schweigens. "Aber es ist besser, du weißt um diese Falschheit der Menschen, denn je früher du es herausfindest, desto früher bist du auch darüber hinweg. Es mag bitter klingen, Fräulein Oktarina, aber so ist der Lauf der Scheibe."
Wieder herrschte eine kurze Pause, bis die junge Dame schließlich eine Antwort auf das Gesagte gab.
"Sie irren sich, Inspäctor. Es mag solche Leute geben, aber es trifft sicher nicht auf viele zu, sondern nur auf einen kleinen Teil der Bevölkerung."
"Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die erdrückende Mehrheit der Leute ist verdorben, falsch und besitzt keinerlei Ehrgefühl. In jedem von ihnen steckt ein kleiner Mörder, der nur auf seine Chance wartet. Sie leben alle in ihren kleinen kleinbürgerlichen Bahnen und versuchen mit der Zeit zu gehen und in Wirklichkeit sind sie alle die Personen, die diese Welt zu einer Hölle auf Scheiben machen können."
"Wie alt sind Sie, Inspäctor?"
Zum Erstaunen der Arzttochter schien der Ermittler an dieser Frage lange überlegen zu müssen.
Nach ungefähr einer Minute ließ er verlauten, er wäre 31 Jahre alt.
"Und seit wann...?"
"Ich so verbittert bin?" schloss Fred den Satz.
"Ja."
"Ich würde sagen, das ganze hat mit dem Tod meiner Eltern angefangen."
"Weshalb?"
"Ich bin nicht hier um über mich zu reden, Fräulein Gutherr. Lass uns lieber überlegen, wer dir die ganze Sache mit dem Mord anhängen will."
"Inspäctor?"
"Ja?"
"Ich danke Ihnen."
Das hast du auch zu tun.
"Ich habe nur das Puzzle zusammengesetzt und durch eine logische Betrachtung die Ungereimtheiten aufgestöbert."
"Und was ist so merkwürdig an dem Puzzle, dass Sie mir helfen?"
"Die Teile eines Puzzles helfen rein gar nichts, wenn sie unbedruckt sind und ich habe noch nie ein unvollkommenes Puzzle eingerahmt und an die Wand gehängt", lächelte der Wächter wissend. "Lass uns einmal überlegen, wer dich so sehr hasst, dass er dir einen Mord anhängen würde."
"Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Kolumbini."
Das R.U.M.-Mitglied zwickte sich in den Nasenrücken und stieß einen tiefen Seufzer aus.
"Nun gut. Du kannst mir nicht helfen und ich kann dir nicht helfen, womit wir wieder am Anfang wären."
Langsam hob der Hauptgefreite die Hand zum Gesicht und klopfte mit einem Pling gegen sein Glasauge.
Dann kam ein Gedanke, wie ein Blitz, der eine kleine Feldmaus grillte.
"Aber ich kenne jemanden, der dir helfen kann!"

Das Geräusch feiner brindisianischer Schuhe, die an schnell laufenden Füßen befestigt waren, hallte durch die Gänge des Lord Winder Internats.
Warum bin ich Thor eigentlich nicht vorher auf ihn gekommen? Das hier sollte genau sein Metier sein.
Mit einem Knall schloss sich die Tür des Wohnraumes 410.
Kurze Zeit später öffnete jemand das Fenster und schickte eine Taube mit einer Nachricht am linken Bein in die Luft.

"Herein", rief Inspäctor ungefähr eine halbe Stunde später, als jemand entschlossen an seine Tür geklopft hatte. "Ah, Korporal du bist es. Ausgezeichnet."
"Guten Tag, Kolumbini. Was gibt es denn für ein Problem, bei dem ich dir behilflich sein kann?" erfragte der Angesprochene.
Interessiert blickte sich Korporal Araghast Breguyar in dem kleinen Zimmer um.
"Die Hauptverdächtige, Herr Breguyar."
"Bitte? Ach übrigens ich glaube nach zweimaligem Zusammenarbeiten kannst du mich ruhig Araghast nennen."
"Nun die Person, auf die alle Indizien hindeuten, Araghast, hat kein Motiv und scheint meiner Meinung nach auch nicht die Püsche einer Mörderin zu haben und alles scheint so, als ob ihr jemand die Tat anhängen wolle, woran sie ziemlich zu nagen hat. Und da meine Püschologiekentnisse doch recht nun ja unumfangreich sind, wollte ich dich als Fachmann bitten, dich ihrer anzunehmen."
"Und da ich der einzige momentan aktive Püschologe bin, konntest du dich an niemanden sonst wenden, hab ich Recht?"
"Exakt. Außerdem habe ich Fachmann gesagt, Araghast."
Ein kurzes hämisches Grinsen war die Antwort des F.R.O.G., der daraufhin einen Stuhl ergriff und sich seinem Kollegen gegenüber setzte.
"Warum willst du, dass ich mich ihrer annehme?"
"Weil..."
Ja, warum eigentlich?
"...das Motiv fehlt."
"Ja, aber wenn du nur das Motiv suchst, setzt das doch keinen püschisch stabilen Zustand ihrerseits voraus."
"Aber wenn sie wieder auf dem Dampfer ist, könnte sie mir bei der Motivsuche helfen."
Wieder erntete Kolumbini einen kritischen Blick des Püschologen.
"Na, gut. Ich kenne ihre Eltern. Ihr Vater war mein Arzt in Sto Lat und in einen Fall von mir verwickelt, als ich noch als Schneider dort gearbeitet habe. Es ist eine lange Geschichte."
"Und nur weil du ihre Familie kennst willst du ihr helfen?" hakte der Halbvampir unermüdlich nach.
Irgendwo hat er ja Recht...wieso sollte ich ihr eigentlich helfen? Ich kenne sie immerhin kaum.
Aber vielleicht war es ja schlichte ehrliche Freundlichkeit, die einem in einer Welt aus Heuchelei und Hass wie ein leuchtender Stern in finsterer Nacht erschien...und wenn man ein Erlischen dieses Sternes voraussehen könnte, wer würde dann nicht alles daran setzen diesen Untergang zu verhindern?
"Außerdem ist es nicht gerecht, wenn eine unschuldige junge Dame in ihrer Zelle dahinsiecht, wenn du mich fragst."
"Nicht gerecht? Was ist denn schon gerecht?"
"Nur weniges, ich weiß. Aber man kann doch wenigstens versuchen, etwas mehr Gerechtigkeit in diese Welt zu bringen."
"Wir befinden uns hier in Ankh-Morpork, Kolumbini. Ungerechtigkeit steht hier an der Tagesordnung."
"Wir sind nicht ganz in Ankh-Morpork, Araghast, sondern in einem kleinen Vorort. Vertrau mir einfach, wenn ich dir sage, dass sie es nicht war. Ich habe eine Nase für so etwas. Außerdem kannst du ja einfach mal mit ihr reden und ein püschologisches Profil von ihr erstellen und mir danach immer noch sagen, dass sie es war. Können wir uns darauf einigen?"
"In Ordnung. Momentan habe ich keinen Fall. Wie heißt die Dame überhaupt?"
"Oktarina Gutherr."
"Oktarina? Seltsamer Name."
"Wie die Farbe eben."
Irgendwie erscheint es mir paradox, wenn ausgerechnet wir über seltsame Namen reden.
"Ach, Kolumbini, da fällt mir etwas ein. Angeblich will Rince wissen, warum du dieses Fräulein nicht in eine Zelle im Wachhaus sperren willst und ein Gerichtsverfahren herauszuzögern versuchst. Ich glaube, du solltest bis morgen mehr als nur einen Verdacht haben, dass sie es nicht war."
"Oh. Das sind nicht gerade gute Nachrichten. Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen. Übrigens, Araghast, die püschologische Schweigepflicht gilt auch für dieses Gespräch, oder?"
"Ja."
"Gut. Sehr gut. Ich bringe dich nur schnell zur Schulzelle."
"Schulzelle?"
"Offiziell ist es das Nachsitzzimmer, aber es gleicht eher einer Zelle. Dort ist das Fräulein in Untersuchungshaft. Sie ist ziemlich naiv, musst du wissen und will mir partout nicht sagen, ob sie einen Verdacht hat, wer ihr den Mord anhängen will ."
"Hm. Und was machst du währenddessen?"
"Erst einmal treibe ich für Rince einen Beweis auf, dass unser Fräulein die Tat zumindest vielleicht nicht begangen hat und danach werde ich versuchen den wahren Mörder zu finden", meinte Fred und grinste, als er seinen Kollegen zur Zelle Oktarina Gutherrs führte.

"Guten Tag, Herr Wächter, was kann ich denn für Sie tun?" fragte Rainer Hübschmaul den exzentrischen Gesetzesvertreter, als dieser den Stall betrat.
"Ich würde mich nur gerne noch einmal umsehen, Sir, wenn Sie erlauben", grüßte Kolumbini geistesabwesend den Wärter, wobei er seine linke Hand hob.
"Natürlich, der Wächter. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause."
Dieser Aufforderung folgend holte der halbe Brindisianer eine Pfeife aus seinem MANTEL hervor, die er stopfte und, nachdem er diese Tätigkeit vollendet hatte, mit einem dieser übelriechenden Zündhölzer der Alchemisten anzündete.
Daraufhin ging er zu der Stelle, wo sie die Leiche von Jakobus Callowdeck gefunden hatten und untersuchte sie nochmals genau.
Ein Umriss aus Kreidelinien zeigte, wo und wie der Mann auf dem Boden gelegen hatte.
Inspäctor paffte einige Male an seiner Pfeife und betrachtete nachdenklich den Fundort.
"Hm", brummte er und ging mit der einen Hand am Gesicht in einer Art Denkerpose verharrt um die Markierung herum. "Jetzt muss ich erst mal nachdenken."
Langsam presste er sich leicht die linke Hand gegen den Kopf und schloss die Augenlider.

Er lag auf dem Bauch und zwar schräg in Richtung des Karrens. Der Bolzen war in seinen Nacken gebohrt, was bedeutet, dass er von Hinten erschossen wurde.
Weiterhin steckte das Geschoss nicht gerade in seinem Hals, was auf einen Täter hindeutet, der kleiner war, als das Opfer. Nun Fräulein Gutherr ist sicherlich kleiner, aber man könnte sich auch einfach auf den Boden legen, um die Illusion eines kleineren Täters herbeizuführen...


"Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Herr Wächter?" riss Rainer Hübschmaul den Hauptgefreiten aus seinen Gedanken.
"Bitte? Oh, ja. Natürlich. Ich habe nur nachgedacht, wie Herr Callowdeck wohl erschossen wurde. Ach da fällt mir ein, Herr Hübschmaul, mein Kollege hat mir das Ergebnis der Untersuchung Ihres Tees genannt und es hat sich herausgestellt, dass wohl Abführmittel darin enthalten war."
"Huch? Aber ich habe doch gar keines hinein getan, Herr Wächter."
"Vermutlich war es der Mörder, der Ihnen das Mittel in den Tee gegeben hat."
"Ich habe gehört, Fräulein Gutherr wurde verhaftet."
"So etwas in der Art, ja. Sie ist in Untersuchungshaft, bis der Mord aufgeklärt ist."
"Sie war es bestimmt nicht, Herr Wächter. Sie ist viel zu freundlich, um einen Mord zu begehen. Ich meine eine nette junge Dame, wie Fräulein Gutherr bringt doch niemanden um, oder?"
"Wer weiß. Dieser Fall ist ohnehin ziemlich vertrackt."
"Och, Herr Wächter, das kommt doch immer auf den Blickwinkel an, oder?"
"Ja, da haben Sie recht, Herr Hübschmaul."
Wieder nahm der Ermittler einen Zug aus seiner Pfeife und ging das eben Gesagte noch einmal durch.
"Einen Moment, Herr Hübschmaul, was haben Sie noch zuletzt gesagt?"
"Äh, dass es auf den Blickwinkel ankommt, Herr Wächter, wieso?"
Sofort ging der halbe Brindisianer zu den Kreidelinien, kniete sich erst hin, visierte ein imaginäres Ziel mit einer ebensolchen Waffe an, schüttelte den Kopf und tat das Gleiche noch einmal, während er auf dem Boden herumkroch.
"Aber nicht doch, der Herr. Sie machen doch Ihre ganzen Klamotten dreckig."
Gleich nachdem Herr Hübschmaul diesen Satz gesagt hatte stockte der kleine Mann inmitten seiner Bewegungen, setzte sich auf den Boden und klatschte in die Hände.
"Das ist es, Herr Hübschmaul."
Ein erfreutes Lachen folgte den Worten des R.U.M.-Mitglieds.
"Das ist es", warf er kichernd etwas Dreck, den er vom Boden aufgenommen hatte in die Höhe und stand dann auf. "Oh, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin, Herr Hübschmaul."
"Aber wieso denn?" fragte der Stallwärter erstaunt, doch der Stadtwächter war bereits aus der Tür heraus- und in Richtung Internat gerannt.

"Jaja isch komm ja schofort!" schrie Argus Michel, als es heftig an die Tür seines Hausmeisterquartiers klopfte. "Wasch gibt esch de...? Schie?"
"Ja isch, Herr Michel", konterte der kleine Mann im Trenchcoat vor ihm bissig. "Sagen Sie, wer kümmert sich hier um die Wäsche der Schüler?"
"Isch, wiescho?"
"Hat Fräulein Gutherr in letzter Zeit irgendwelche Kleidung bei Ihnen abgegeben? Es ist wirklich extrem wichtig."
"Laschen Schie misch in meinen Lischten nachschauen."
Der Trunkenbold verschwand in seinen Quartieren und kam kurz darauf mit einem versifften Blatt Papier wieder, welches er dem Wächter überreichte.
Blitzschnell überprüfte dieser den ihm ausgehändigten Zettel auf den Namen Gutherr.
Er stieß einen erleichterten Seufzer aus, als er das gesuchte Wort nicht auf dem Wisch fand.
"Dürfte ich das hier mitnehmen, Herr Michel?"
"Wenn Schie mich danach in Ruhe laschen."
"Ich danke Ihnen, der Herr", rief der Hauptgefreite noch über seine Schultern, während er in Richtung des Mädchenflügels davoneilte.

Der Biologie- und Geschichtslehrer namens Oflo ging gemütlich, mit einem dick belegten Sandwich in den Händen, durch die Gänge des Lord Winder Internats, als ein Individuum in einem hellbeigen Trenchcoat an ihm vorbeifegte.
"Huch", rief der Zwerg ein wenig überrascht aus. "Herr Kolumbini?"
"Keine Zeit, der Herr. Ich muss schnell etwas überprüfen."
"Äh warten Sie."
Missmutig blickte der Lehrer auf sein Sandwich hinab. Er hatte sich doch so auf sein drittes Abendessen gefreut.
Es folgte ein Seufzer und daraufhin schnelle Schritte.

Es war nicht leicht gewesen dem Wächter durch die Flure zu folgen und erst recht nicht mit den kurzen Beinen eines Zwerges und insgeheim verfluchte Oflo seine Neugierde, als er das Zimmer von Oktarina Gutherr betrat, in dem er den Wächter vor rund fünf Minuten hatte verschwinden sehen.
Die Füße taten ihm schrecklich weh und das, was er nun sah, entschädigte keineswegs dafür.
Es war das gleiche Zimmer, wie vorhin nur lagen nun sehr viele Wäschestücke auf dem Boden und der merkwürdige Herr dessen Name Ähnlichkeit mit dem eines berühmten Seglers hatte, schien alle Schubladen zu durchwühlen und alle Wäschestücke, auch die, welche etwas...nunja privaterer Natur waren kurz zu betrachten und danach über die Schulter zu werfen.
"Was bei allen Göttern tun Sie da, Herr Kolumbini?" fragte der Biologieexperte erstaunt.
"Ich suche dreckige Kleidung", antwortete der Angesprochene und wühlte weiterhin in den Schubladen.
"Wieso?"
"Einen Moment, Herr Oflo. Einen Moment."
Der Zwerg seufzte und blickte auf sein Sandwich hinab. Es hatte den größten Teil seines Belages auf dem Weg verloren.
"Ach verflucht", murmelte er in seinen Backenbart und schaute dem exzentrischen Gesetzesvertreter dabei zu, wie er immer wieder freudig "nichts" ausrief und danach irgendwelche sauberen Kleidungsstücke über seine Schulter warf.
"Hm."
"Haben Sie etwas gefunden, Herr Kolumbini?"
"In gewissem Sinne. Einen Gedichtband habe ich hier entdeckt. Aber es steht mir wohl nicht zu, ihn zu lesen."
"Und sonst?"
"Nur saubere Klamotten", antwortete der Ermittler grinsend.
"Ist das gut?"
"Und wie das gut ist. Mein Chef wollte von mir einen Beweis haben, dass die Schuld von Fräulein Gutherr zumindest fragwürdig ist. Und hiermit habe ich ihn."
"Bitte?"
"Der Winkel, in dem der Bolzen in Herrn Callowdecks Nacken steckte weißt darauf hin, dass der Schuss aus unmittelbarer Bodennähe und einiger Entfernung abgegeben wurde. Wenn jedoch Fräulein Gutherr auf dem Boden herumgekrochen wäre, hätte man sie erstens entdeckt und zweitens wäre ihre Kleidung durch den Stallgrund verdreckt, was allerdings nicht der Fall ist. Und beim Hausmeister hat sie auch keine Wäsche abgegeben. Es ist nur ein winziges Detail, aber ein wichtiges."
"Sie hätte es doch bei den anderen jungen Damen untergebracht haben können."
"Ohne das es diesen auffällt? Wohl eher weniger, oder? Ich vermute, diese jungen...Damen hier achten äußerst genau auf den Inhalt ihrer Schränke."
"Nun wenn die Schulzeit vorbei ist tragen sie alle sehr ausgefallene Kleider..."
"Abgesehen von Fräulein Gutherr, nicht wahr?"
"Ja das stimmt. Sie trägt immer ihre Schuluniform."
"Sehen Sie. Würde einem Mädchen, wie zum Beispiel Fräulein von Plotz nicht auffallen, wenn ihr Schrank plötzlich eine dreckige Schuluniformbluse in kleiner Größe enthält?"
Diesem Gedanken musste der Geschichtsexperte zustimmen, da er immerhin die angesprochene junge Dame kannte.
"Aber so ein Hemd kann man doch bestimmt leicht verschwinden lassen, Herr Kolumbini."
"Da haben Sie Recht. Aber es ist nicht schwerer, die Fingerabdrücke von jemandem auf einen Gegenstand anzubringen, den dieser jemand noch nie bewusst in den Händen gehalten hat."

Nachdenklich blickte Inspäctor "Fred" Kolumbini aus dem Fenster seines kleinen Zimmers im Lord Winder Internat, als jemand an seine Tür klopfte.
Zur Erleichterung des Ermittlers war es Araghast Breguyar.
"Und? Hat das Gespräch etwas ergeben?" fragte der Hauptgefreite seinen Kollegen.
"Wie man es sieht. Jedenfalls scheinst du mit deiner Vermutung recht zu haben, dass diese junge Dame wohl, vom püschischen Standpunkt aus gesehen, nicht in der Lage ist, einen Mord zu begehen. Welche Beweise liegen gegen sie vor?"
Fred zählte die einzelnen Indizien auf und berichtete schließlich auch von seinen Entdeckungen, die er im Stall gemacht hatte.
"Hm, zumindest kann niemand jetzt mehr verlangen, dass sie sofort in eine Zelle im Wachhaus eingeliefert wird", meinte Araghast.
"Aber dennoch stecken wir in einer Sackgasse, Kollege. Wir wissen zwar, dass die Schuld von Fräulein Gutherr fragwürdig ist, aber wir haben keinen einzigen Verdächtigen, da alle anderen ein Alibi haben. Alle Schüler von Herrn Callowdeck waren in einer Unterrichtsstunde, als der Mord verübt wurde und keiner hat auch nur für eine Sekunden den verdammten Saal verlassen", erläuterte Inspäctor ihre Lage.
"Hm."
"Morgen wollten mich einige von diesen bescheuerten Halbwüchsigen zum Essen einladen. Vielleicht erfahre ich ja dadurch etwas mehr."
"Vielleicht, ja."
"Weißt du, Araghast. Als ich mit Fräulein Gutherr gesprochen habe ist mir ein Satz eingefallen, der mich stark an dich erinnert hat."
"Welcher?"
"Wer therapiert den Therapeuten?"
"Oh, den kenne ich nur allzu gut, glaub mir. Diese Frage habe ich mir auch schon manche Tage gestellt."
"Ich frage mich wirklich, wie du das aushältst. Auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass dieser Job nichts für mich ist. Viel zu kompliziert."
Bregs ließ diese Aussage kommentarlos stehen und zuckte mit den Schultern.

Am Mittwoch hatten die Schüler kein Latatianisch, was Kolumbini mit leichter Enttäuschung hinnahm. Korporal Breguyar war bereits am Vorabend wieder abgereist, hatte allerdings bestätigt, er würde sich bei ihm melden, sobald er das komplette püschologische Profil der jungen Dame fertiggestellt hätte. Weiterhin versicherte er dem Ermittler, ihm die Ergebnisse von Chief-Korporal Sillybos zu übergeben, wenn selbige vollendet waren.
Da der Hauptgefreite nicht dachte, das Betrachten weiterer Unterrichtsstunden würde zu besonderen Ergebnissen führen, beschloss er einfach nur Fräulein Gutherr ihr Essen zu bringen und mit ihr über das Gespräch mit dem Püschologen zu reden.
"Frühstück ist da, Fräulein", rief der Wächter, als er die kleine Zelle betrat. "Ich hoffe, Sie mögen diesen Kantinenfraß."
Auf dem Teller, den er angewidert in der Hand hielt waren zwei Scheiben verbrannter Speck, zu lange gebratenes Rührei und zwei Scheiben Toast in Form von Holzkohle.
Alles schwamm in einem See aus Fett.
"Etwas anderes gab es nicht mehr."
"Vielen Dank, Herr Kolumbini. Ich bin an das Essen hier doch gewöhnt", antwortete die Arzttochter.
Der Angesprochene stellte den Teller vor die junge Dame, welche ihn sofort in die Hand nahm und fleißig begann zu Essen.
Wie dem Ermittler auffiel war der Vorgang des Essens ein wenig...ungewöhnlich.
Sie nahm stets nur kleine Bissen und kaute diese dann noch oft durch, wobei sie ein schmatzendes Geräusch verursachte.
Es wirkte ein wenig wie die Essgewohnheiten eines Nagetieres oder eines Igels.
"Ach sagen Sie, Fräulein, was hat eigentlich das Gespräch mit Herrn Breguyar gestern ergeben?"
"Dem jungen Herrn?" fragte Oktarina, nachdem sie fertig gekaut hatte.
"Genau."
"Er hat mir gesagt, bei solchen Gesprächen herrsche eine Art Schweigepflicht. Es würde Ihnen bei Ihren Ermittlungen ohnehin nicht weiterhelfen, wenn Sie wüssten, über was ich mit ihrem Kollegen geredet habe."
"Wenn Sie erlauben, Fräulein, würde ich Ihnen gerne einige Ergebnisse meiner Nachforschungen erläutern."
Erst nachdem sie den Bissen vollständig zerkaut und runtergeschluckt hatte, ließ das Mädchen verlauten, er solle fortfahren.
Mit ruhiger Stimme berichtete der halbe Überwaldianer über die von ihm zu Tage geförderten Fakten und die daraus resultierenden Folgen für die Arzttochter.
"Das einzige, was ich jetzt noch brauche, ist der wahre Mörder", sagte Fred mit bitterem Tonfall. "Kann ich vielleicht noch etwas für Sie tun, Fräulein?"
"Nein danke, Herr Kolumbini."
"In Ordnung", murmelte der Ermittler mit einem Blick auf seine Taschenuhr. "Ich muss ohnehin bald gehen. Bin zum Essen eingeladen worden, wissen Sie? Von Herrn Rust und seinen Kumpanen."
"Viel Spaß, Herr Inspäctor."
"Oh, den werde ich sicherlich haben, Fräulein. Vielleicht kriege ich ja durch dieses Essen einen Hinweis auf den wahren Mörder."

Das Cafe Richie war ein kleines Restaurant, das ungefähr eine Meile vom Internatsgebäude entfernt, aber dennoch das am schnellsten zu erreichendste Wirtshaus war.
Anscheinend war es dem Wirt klar gewesen, wie schlecht die Küche der Lehranstalt sein musste und deshalb die Schüler geradezu in sein Verköstigungslädchen stürmen würden.
Was den Besitzer Richie anging so ließ sich folgendes über ihn sagen: er gehörte zu jenen Leuten, die glaubten, dass sie trotz ihres extremen Bierbauchs in eng anliegenden Hemden gut aussahen. Fettige Haare, eine viel zu kleine Hose, ein ungleichmäßig gewachsener Bart und eine überhöhte Schweißproduktion trugen zu dem nicht gerade positiven Erscheinungsbild des Mannes bei.
Aus diesem Grund wurde er von dem Chefkoch des Cafes stets mit irgendwelchem Papierkram beschäftigt, um die Gäste nicht zu vergraulen.
Eigentlich war der Chefkoch auch der einzige Grund, warum sich das Lokal hielt. Die Küche war besser als alles, was man im Umkreis von zwei Meilen finden konnte und unter solchen Umständen ignorierten Gäste, die größtenteils aus Schülern und Lehrern bestanden es gerne, wenn der Besitzer des Ladens manchmal herunterkam, um seine Kundschaft mit einem "Hey, guude alder Babbsack!" zu begrüßen.
Es ging sogar das Gerücht um, dass Richie eine Frau hatte, die Anita hieß und wohl hässlicher war, als es die Nacht sein konnte.
Über der Tür verkündete eine magische Leuchtschrift, wie sie viele Cafes hatten, um welches Lokal es sich handelte.
"Wer ist dieser Richie?" fragte Inspäctor Kolumbini seine Begleiter.
"Der Besitzer der Bar, Inspektor", antwortete Hyronimus mit schleimiger Freundlichkeit. "Aber wer er genau ist, wollen Sie wirklich nicht wissen."
"Wenn Sie meinen, Si...Herr Rust."
Die Gaststätte war recht sporadisch eingerichtet, aber schon beim Betreten schlug der kleinen Gruppe ein wohlriechender Duft von gebratenem Speck und anderer deftiger Hausmannskost entgegen.
"Sie finden in der ganzen Gegend keine besseren Omelettes, Inspektor."
"Jo, kaa bessere in de ganze Gechend", plapperte Bauer nach.
"Na dann. Wollen wir uns an den Tisch dort vorne am Fenster setzen? Von dort aus kann man gut die Straße überblicken."
"Glauben Sie etwa, man wird unsere Kutsche klauen, Inspektor?"
"Oh, ich mag es einfach aus dem Fenster zu schauen, wenn ich esse, Herr Rust. Eine meiner kleinen Angewohnheiten, wissen Sie."
Sie setzten sich an den vom Hauptgefreiten vorgeschlagenen Tisch und kurz darauf fragte sie ein Kellner, was er ihnen zu Trinken bringen könne.
Die drei jungen Herren nahmen jeweils einen Kaffee wohingegen der Wächter einen schwarzen Tee wählte.
"Erzählen Sie uns doch ein wenig von Ihrer Arbeit, Inspektor. Ich stelle es mir sehr interessant vor, das Leben eines Verbrecherjägers."
"Oh, mein Beruf ist nicht interessant, Herr Rust. Es ist regelrecht langweilig und nervtötend. Ich muss den kleinsten Kleinigkeiten und Ungereimtheiten nachgehen, wissen Sie."
"Ungereimtheiten?" fragte Hyronimus skeptisch.
"Ach wissen Sie zum Beispiel diese Sache bei diesem Fall. Aufgrund des Winkels in dem der Bolzen im Kopf von Herrn Callowdeck steckte steht fest, dass der Schuss aus einiger Entfernung, aber auch aus geringer Höhe abgegeben wurde. Wenn man jetzt berücksichtigt, dass Fräulein Gutherr, um diesen Schuss abzugeben, auf dem Boden gelegen haben muss, kommt man zu dem Schluss, dass sie irgendwo dreckige Kleidung haben muss, nicht wahr?"
Der Adelssohn zögerte kaum merklich, betrachtete den komischen Kauz vor ihm jedoch ungläubig.
"Ja, und? Was soll daran nicht passen?"
"Nun ich habe ihr gesamtes Zimmer durchsucht und bin dabei auf nichts gestoßen, was beschmutzt war und beim Hausmeister hat sie auch nichts abgegeben, um es waschen zu lassen."
Wieder antwortete der Sohn des Lords mit einer winzigen Pause.
"Nun sie könnte doch die Sachen irgendwie versteckt haben oder verbrannt oder so etwas. Da gibt es sicher viele Möglichkeiten."
"Ja da haben Sie auch wieder Recht, Sir, das könnte natürlich gemacht worden sein. Aber wissen Sie ich muss eben jedem Hinweis nachgehen und jede Kleinigkeit aufs genauste untersuchen, da meine Abteilungsleitung von mir einen ausführlichen Bericht erwartet. Und genau deshalb ist mein Beruf alles andere als aufregend, Sie verstehen."
"Oh, ich finde das sehr interessant, Inspektor."
Erneut erschien der Kellner, brachte die Getränke und fragte ob sie das übliche nehmen wollten.
Rust bestellte für sie alle das gleiche: ein gewisses Omelett a la Quirm.
Selbiges war ein Eierpfannkuchen mit viel Speck, Schinken, Salami und teilweise auch Käsestücken gespickt.
Genüsslich schmatzend nahm Inspäctor einen Bissen von seinem Gericht.
"Das ist wirklich ausgezeichnet", meinte er noch mit halbvollem Mund. "Wirklich das beste Omelett, das ich je in einem Restaurant gegessen habe."
"Freut mich, dass es Ihnen schmeckt, Inspektor."
Immer wieder blickte das R.U.M.-Mitglied aus dem Fenster und betrachtete die Kutsche, mit der sie die eine Meile ziemlich schnell zurückgelegt hatten.
"Das ist ein ausländisches Modell, oder?" fragte er seine Gastgeber unschuldig.
"Diese Äußerung ist korrekt, Herr Wächter", antwortete Schmatze.
"Die Kutsche habe ich von meinem Vater bekommen, Inspektor. Er hat sie direkt aus XXXX, wo man schnelle Kutschen aufgrund der Wagenrennen[5] sehr schätzt. Sie sind tiefer als andere Kutschen und "windschnittiger" wie es so schön heißt."
"Wissen Sie ich fahre auch eine Ausländerin, sozusagen. Meine Kutsche kommt aus Quirm, aber fragen Sie mich nicht, wie mein Diener drangekommen ist. Tiefer sagten Sie?"
"Genau, Inspektor. Sie ist niedriger über dem Boden. Ihre Kutsche ist die, mit der sie hergekommen sind?"
"Oh, ja natürlich. Ich bin ja eigentlich kein nun ja Kutschenfanatiker, aber ihr Modell sieht wirklich ausgezeichnet aus, das muss ich einfach sagen", lächelte der halbe Überwaldianer fröhlich und blickte neidisch auf die Straße.
Als sie ihre Mahlzeit beendet hatten holte Kolumbini seine Pfeife hervor und begann gemütlich, seinen Bauch haltend, zu rauchen.
"Hat es Ihnen geschmeckt, wie immer, die jungen Herren?" fragte der Ober, während er die gelehrten Teller und die benutzten Gläser und Bestecke einsammelte.
"Natürlich, der Herr", ergriff der Ermittler das Wort für die Gruppe. "Richten Sie dem Koch ein großes Lob aus und das hier ist für Sie."
Er gab dem Kellner einen Dollar, woraufhin dieser sich heftigst bedankte und daraufhin in der Küche verschwand.
"Wir würden dann gerne fahren, Inspektor", erklärte Rust dem Wächter, nachdem dieser noch nach zehn Minuten keine Anstallten machte, mit dem Pfeiferauchen aufzuhören, oder sich gar von seinem Platz zu erheben.
Hyronimus hatte bereits gezahlt, dem Kellner jedoch kein weiteres Trinkgeld gegeben.
"Oh, gehen Sie ruhig schon, Herr Rust. Ich werde zu Fuß nachkommen."
"Wie Sie meinen, Inspektor."
Als die Schüler schon fast aus der Gaststätte waren klopfte sich der Hauptgefreite gegen die Stirn und hob die linke Hand.
"Ach, Sir, noch eine Sache."
Langsam drehte sich der Angesprochene um. Franz und Kornelius hatten bereits Angst, dass er sie irgend etwas fragen könnte, was sie zu verraten mochte.
"Ich wollte mich nur für das Essen bedanken", ließ der merkwürdige Verbrechensaufklärer stattdessen verlauten.
"Keine Ursache, Inspektor."
Gleich nachdem die Schüler das Cafe verlassen hatten winkte Fred den Ober zu sich und bestellte einen Tee, der kurz darauf gebracht wurde. Die Kutsche der jungen Herren stand noch an Ort und Stelle. Vermutlich unterhielten sie sich derzeit.
"Ach entschuldigen Sie, Herr Ober?"
"Ja, der Herr?"
"Sagen Sie kommen die jungen Herren eigentlich öfters hierher?"
"Jeden Tag, der Herr. Und immer um die gleiche Uhrzeit. Nun abgesehen von Montag."
"Diesen Montag?"
"Oui, der Herr. Da kamen sie nämlich überhaupt nicht. Aber ich habe gehört, dass an diesem Tag ein Mord an ihrer Schule begangen wurde."
"Wann war denn die normale Uhrzeit?"
"Um 14:10 Uhr, der Herr."
"Ich danke Ihnen, Sir. Was macht das für den Tee? Reichen zwei Dollar?"
"Das ist mehr als genug, der Herr."
"Gut", ließ das R.U.M.-Mitglied verlauten und warf das Geld vor den Kellner. "Und sagen Sie den jungen Herrn nicht, was Sie mir gerade erzählt haben, ja?"
"Natürlich nicht, der Herr."
Als der halbe Brindisianer aus dem Fenster blickte, erspähte er Hyronimus Rust, der sich gerade gegen die Stirn klopfte und darauf hin die linke Hand hob.
Seine beiden Begleiter lachten über die kleine Parodie.
Kolumbini nahm einen Schluck aus seinem Tee und lächelte wissend.

"Wir habbes der ja gesacht", beschwerte sich Kornelius Bauer kurz nachdem sie das Cafe verlassen hatten. "Der aale Babbsack kommt uns uff die Schlich!"
"Ausnahmsweise muss ich Kornelius Aussage für korrekt erachten, Hyronimus. Dieser Wächter scheint um unsere Taten zu wissen."
"Ei, jo sach ich doch."
"Seid still, ihr Trottel! Der Inspektor weiß rein gar nichts. Er hat höchstens einen Verdacht, den momentan alle an sich haften haben und damit kann er uns wohl kaum verhaften. Macht euch doch nicht verrückt. Vielleicht kann er anzweifeln, dass Fräulein Gutherr die Tat begangen hat, aber er wird keinen Gegenbeweis bringen können, um den Patrizier oder irgendeinen Richter von ihrer Unschuld zu überzeugen. Ihr habt doch selbst gesehen, wie albern dieser komische Kauz ist. Der könnte doch den wahren Mörder nicht einmal dann überführen, wenn er ihn mit der Tatwaffe in der Hand vor der Leiche sitzen sähe."
"Meiner Meinung nach wäre es unweise, Marcus' Rat zu ignorieren."
"Seid ihr jetzt total übergeschnappt? Wie könnt ihr vor jemandem Angst haben, der noch zerstreuter ist als die Gutherr? Wenn der uns auf die Schliche kommt..."
"Heiratste die Domminart, wir wisses jo. Abber wer gibt uns dann die Sicherheit, dass de aach Recht habbe tust, hä?"
"Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass meine Gedankengänge ähnlich verlaufen, auch wenn sie ein umfangreicheres Vokabular verwenden."
"Sagt mal wie könnt ihr euch von jemandem beunruhigen lassen, der aussieht, als habe man ihn aus der schlimmsten Gosse geholt?"
Er klopfte sich gegen die Stirn und ahmte Kolumbinis Stimme nach, als er sagte "Noch eine Frage, Sir".
Sie lachten und stiegen in die Kutsche.

Pfeifenrauch füllte das Lehrerzimmer des Lord-Winder Internats. (Von wem er stammte kann sich vermutlich jede/r Leser/in denken.)
Der Raum war abgesehen vom Rauchenden vollkommen leer und nur das beruhigende Ticken und die Geräusche der Person füllten den Raum, als eine halbe Stunde ins Land ging.[6]
Nach diesen 30 Minuten öffnete sich die Tür mit einem ächzenden Knarren, welches in der Stille des Saales tausendmal verstärkt wirkte und ein kleines Individuum, das den Rauch mit einem lauten Prusten kommentierte, betrat das Zimmer.
"Guten Tag, Herr Oflo", begrüßte der Hauptgefreite Inspäctor Kolumbini den Neuankömmling aus dem Zentrum der Wolke.
"Whua", war die erschreckte Antwort des Zwerges. "Sie haben mich aber ganz schön überrascht, Herr Kolumbini."
"Entschuldigen Sie, Herr Oflo. Was tun Sie hier?"
"Das Gleiche könnte ich Sie auch fragen. Ich für meinen Teil bin hier weil ich Sie gesucht habe. Mir ist da nämlich etwas für Ihre Motivsuche eingefallen."
"Ich brauchte einen Ort zum Nachdenken. Was meinen Sie?"
"Na die Zeugnisse."
"Die habe ich mir vorhin bereits angeschaut. Die Noten sind allesamt eingetragen, auch die für den Latatianisch-Unterricht und es sieht so aus, als ob jeder und jede dieses Abschlussjahr erfolgreich absolvieren würde."
"Ja aber fragen Sie sich nicht auch, Herr Kolumbini, wie die Latatianisch Noten zustande kommen? Ich meine Herr Callowdeck konnte sie vermutlich nicht mehr eintragen oder?"
"Sie glauben doch nicht etwa, ein Schüler könnte den Herrn umgebracht haben, weil er ihm eine schlechte Note geben wollte? Ich hatte diese Idee auch Anfangs, aber ich habe sie wieder verworfen, da sie mir ein wenig abwegig erschien."
"Wieso?"
"Nun nur ein absoluter Irrer mordet, weil er eine schlechte Note bekommen hat."
"Sind Sie sich da wirklich sicher? Ich meine immerhin ist dies das Abschlussjahr und wenn man es jetzt nicht schafft gute Leistungen zu erbringen und den Abschluss nicht schafft, war alle Arbeit umsonst und die Karriere ist im Eimer."
Der Ermittler nahm mehrere Züge von seiner Pfeife und summte nachdenklich.
"Sagen Sie, Herr Oflo, haben Sie so etwas wie ein Buch, wo Sie die Noten eintragen?"
"Ja natürlich. Jeder Lehrer hat so was."
"Wissen Sie vielleicht, wo Herr Callowdeck sein Exemplar aufbewahrt hat?"
"Nun wenn sie es bei seiner Leiche nicht gefunden haben, dann wird es wohl in seinem Lehrerfach sein, oder bei ihm zu Hause."
"Wo sind diese Fächer?"
"Ich führe Sie hin, aber ohne die Kombination..."
"Das werden wir schon hinbekommen, Herr Oflo."

Die Fächer lagen in einem kleinen Nebenraum des Zimmers und waren weiß gestrichene Eisenschränke, die allesamt Zahlenschlösser besaßen.
An jeder Tür war ein kleines graviertes Metallschild angebracht worden, welches einen Nachnamen verkündete.
Die Schlösser waren die obligatorischen Drehscheiben, wie sie stets in billigen Klickern bei irgendwelchen Banktresoren zu sehen waren.
Es fehlte nur noch ein Stethoskop, um die Szene zu vervollständigen und einen der "Tresore" zu öffnen.
In die Türen waren kleine Schlitze eingearbeitet, durch die man Dokumente einwerfen konnte.
"Die Spaßvögel haben mir zuerst ein Schließfach in der obersten Reihe gegeben", meckerte Oflo.
"Und was haben Sie gemacht, damit Sie eins unten bekommen haben?" fragte Kolumbini interessiert.
"Ich habe ihnen gedroht, ihnen die verfluchten Knie abzuschlagen wenn sie mir keines geben", gab der Lehrer breit grinsend zurück. "Wie kriegen wir das Fach nur auf? Vielleicht könnte ich irgendwo ein Hörrohr besorgen und dann..."
Es ertönte ein metallenes Krachen, welches den Biologieexperten dazu veranlasste, Inne zu halten und sich zu dem Schrank Herrn Callowdecks umzudrehen.
Fred hatte die Metalltür mit einem Schraubenzieher herausgehebelt.
"Was ist?" ließ der Wächter verlauten, als er den Blick des Zwerges bemerkte. "Er wird sich daran bestimmt nicht mehr stören. Sagen Sie Herr Oflo sind diese Notenbücher klein und mit einem roten Einband versehen?"
"Ja."
"Dann habe ich das von Herrn Callowdeck gefunden."
Er blätterte es durch und holte kurz darauf seinen Notizblock hervor, auf dem er sich die Noten aufgeschrieben hatte.
Sie stimmten überein.
"Moment mal", unterbrach der halbe Brindisianer sich selbst. "Da fehlt doch eine Seite, oder Herr Oflo?"
"Hm. Könnte sein ja. Es scheint recht sauber herausgetrennt worden zu sein aber ein paar Spuren sind noch zu erkennen. Aber was stand auf dieser Seite?"
"Unser Motiv, vermutlich. Vielleicht hatten Sie doch Recht mit Ihrer Vermutung, dass der Mord des Abschlusses wegen begangen wurde. Kann man wegen einer schlechten Note schon kein Zeugnis mehr bekommen?"
"Ja, Herr Kolumbini, sofern die Note schlecht genug ist besteht die Möglichkeit dazu. Aber wie sollen wir herausfinden, wer welche Note bekommen hätte?"
"So wie ich das sehe brauchen wir nur die Ergebnisse des letzten Testes, denn die fehlen hier anscheinend. Ich würde sagen, wir fangen bei Fräulein Gutherr an und besorgen uns ihre Schulhefte. Danach nehmen wir uns Herrn Rust, Herrn Bauer und Herrn Schmatze vor."

Wie erwartet hatte Fräulein Oktarina Gutherr durch die letzte Arbeit ihre Absolvierung des Schuljahres nicht gefährdet.
Kolumbini hatte beschlossen den großen Ordner, in welchem sie ihre gesamten Unterrichtsaufzeichnungen aufbewahrte, einer genaueren Untersuchung durchzuziehen und somit vielleicht einen Hinweis zu erhalten.
Von Herrn Oflo hatte er erfahren, wo Herr Rust und seine Freunde wohnten, also klopfte er vorsichtig, an die ihm genannte Tür.
"Herein", schallte es auf den Gang.
"Entschuldigen Sie die Störung, die Herren, aber es gibt da noch ein paar Kleinigkeiten", begrüßte der Hauptgefreite die drei Jugendlichen, die sich in dem Raum befanden.
"Aber Sie stören doch nicht, Inspektor", schmeichelte Hyronimus. "Was können wir für Sie tun."
"Wissen Sie wir haben das Notenbuch von Herrn Callowdeck gefunden und anscheinend hat jemand eine Seite daraus entfernt, die Ergebnisse des letzten Testes enthielt. Ich wollte fragen, ob Sie so freundlich sein könnten, mir die Noten zu sagen."
Das Brandyglas, welches der Adelsspross zu seinem Mund heben wollte, um einen Schluck zu nehmen verharrte kurz vor den Lippen und kurz richtete sich ein missbilligender Blick auf den Wächter.
"Inspektor, wofür wollen Sie die Noten wissen, ich meine, sie sind immerhin eingetragen. Herr Fade hat sie aus den Notenbüchern übernommen."
"Oh so funktioniert das also. Ich habe mich schon gefragt, wie Herr Fade an das Buch kam."
"Er braucht das Notenbuch nicht. Die Lehrer geben die Noten schon einige Wochen vorher ab und in den letzten Wochen können sie diese jederzeit abändern."
"So ist das. Ich danke Ihnen vielmals, Herr Rust. Wissen Sie das hat mir wirklich ein paar Rätsel aufgegeben."
"Keine Ursache."
"Dann werde ich mal wieder gehen."
Gerade, als er im Türrahmen stand klopfte sich der Ermittler gegen die Stirn und drehte sich um.
"Ach, Sir, noch eine Frage."
"Was?"
"Wie lauteten denn nun Ihre Noten? Falls Sie es mir nicht sagen wollen müsste ich mir nämlich eine Erlaubnis holen, dass ich in Ihren persönlichen Sachen suchen darf, bis ich die Tests gefunden habe."
"Wir haben alle drei null Punkte gehabt, wie Marcus", brachte Rust zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Das Gesicht des halben Überwaldianers zeigte Betroffenheit.
"Oh entschuldigen Sie, Herr Rust, das tut mir Leid. Das ist wirklich schade. Aber na ja, nur wegen diesem einen Test mit Null Punkten hätten Sie ja sicher nicht keinen Abschluss bekommen. Ich danke Ihnen, die Herren."
Wieder drehte er sich um und ging in Richtung Tür, die sich mit einem Knarren hinter ihm schloss.

Nachdenken...ja das war es, was er nun musste. Sich irgendeinen ruhigen Ort suchen und über die neugewonnenen Fakten nachdenken.
Herr Oflo vereitelte sein Vorhaben jedoch, als er den Hauptgefreiten in dessen Zimmer überraschte und sich nach den Neuigkeiten erkundigte.
"Sie hätten, wenn man alles zusammenzählt, ungenügende Ergebnisse bekommen, Herr Oflo."
"Herr Rust Herr Schmatze und Herr Bauer", zählte der Lehrer die Namen auf.
"Sowie Herr Schmitz", fügte Inspäctor hinzu.
"Marcus? Wieso er? Glauben Sie..."
"Ich glaube gar nichts, Herr Oflo, ich vermute. Und bis sich meine Vermutungen nicht bestätigt haben, kann ich Ihnen gar nichts sagen."
"Und wie gedenken Sie, Ihre Vermutungen zu bestätigen?"
"Das weiß ich auch noch nicht, aber ich werde genauer nachdenken. Wenn Sie mich dazu bitte alleine lassen könnten?"
"Natürlich, Herr Kolumbini. Und viel Erfolg beim Grübeln."
Leise fiel die Tür hinter dem Biologieexperten zu und der Ermittler blieb mit seinen Gedanken alleine in dem kleinen Raum zurück.
Es vergingen Stunden und schließlich stand er auf und machte sich in Richtung Stall davon.

Abend herrschte inzwischen und in der Ferne verschwand die kleine Sonne unter der Scheibe, wobei sie eine rote Färbung aufwies.
Rainer Hübschmaul mochte seinen Beruf, da meist wenig Arbeit anfiel. Um die Pferde kümmerte sich jemand anderes und er musste die Kutschen nur bespannen, auf sie aufpassen und die gelegentlich fälligen Reparaturen erledigen. Er konnte den gesamten Tag lesen und Tee trinken, was schon immer seine liebste Freizeitbeschäftigung gewesen war.
Der Stallwärter blickte von seiner derzeitigen Lektüre auf, als der Wächter, an dessen Name er sich nicht mehr erinnern konnte, in den Raum gestürmt kam und wieder auf die Kreidemarkierungen zuging.
"Was kann ich denn diesmal für Sie tun, Herr Wächter?"
"Oh, erst einmal nichts, Herr Hübschmaul, danke. Ich muss da mal eine Kleinigkeit überprüfen, bevor ich in Ruhe schlafen kann."
Vorsichtig legte sich Fred auf den Boden und begann den Ort, wo Callowdeck erschossen worden war aus verschiedensten Blickwinkeln anzupeilen. Dann holte er aus seinem MANTEL einen Bolzen hervor, mit dem er wiederum den Punkt anpeilte. Er kroch immer weiter zurück, bis er schließlich mit den Füßen an die Tür einer Box stieß.
"Hm, das ist immer noch zu nah, wenn der Winkel stimmen müsste", überlegte das R.U.M.-Mitglied laut.
Er öffnete die Boxentür und versuchte unter die Kutsche zu kriechen, was sich jedoch, aufgrund seines Bauchumfangs als unmöglich erwies, da sich das Gefährt so niedrig über dem Boden befand, dass nur ein extrem dünner ja gar abgemagerter Mensch dort hinunter gepasst hätte.
Diese Kutsche kenne ich doch...
Gerade wollte er den Stall verlassen, als ihn der Stallwärter noch einmal anredete.
"Ach entschuldigen Sie, Herr Wächter, würden Sie bitte die Boxentür wieder schließen?"
"Äh, ja natürlich."
"Sie wissen ja, Ordnung muss sein."
Als der halbe Brindisianer das Verlangte tat, bemerkte er knapp neben den Scharnieren des kleinen Türchens ein Loch, welches nur von einer Schraube verursacht worden sein konnte, welche man erst reingedreht und danach wieder entfernt hatte.
"Ach sagen Sie, Herr Hübschmaul, haben Sie vielleicht eine Schraube aus dieser Tür entfernt?"
"Was? Nein. Weshalb fragen Sie?"
"Ach nur ne Kleinigkeit, Herr Hübschmaul. Nur ne Kleinigkeit", murmelte der Ermittler, während sein Blick auf dem kleinen Loch fixiert blieb.

Mit einem schwungvollen Knall landete der grüne Ordner auf dem Tisch des Raumes 410.
Auf der Vorderseite war in Druckbuchstaben "Oktarina Gutherr" geschrieben.
Die erste Seite stellte ein Inhaltsverzeichnis dar, doch der Leser schien sich nur dafür zu interessieren, was die Schüler in ephebianischer Mathematik gelernt hatten.
Als große Überschrift hatte die junge Dame "Winkelberechnungen" gewählt und langsam und sorgfältig las Inspäctor "Fred" Kolumbini die einzelnen Informationen durch. Dieses Unterfangen stellte sich als recht schwer heraus, da der Ordner alles andere als ordentlich angelegt worden war und die Schrift nur schwer entziffert werden konnte.
Na diese Aufgabe ist mal interessant. Sie schießen mit einem Bogen auf eine zwei Meter erhöhte Zielscheibe, die sich in einem Abstand von fünf Metern zu Ihnen befindet. Die Zielscheibe hat einen Radius von 20 Zentimetern. In welchem Winkel müssen Sie schießen, um die Mitte der Zielscheibe zu treffen?
Er las die Rechnung und verstand kein Wort, aber ein Haken am Endergebnis musste wohl bedeuten, dass es richtig war.
Wirklich höchst interessant. Moment, am besten, ich schaue mir gerade mal die Mathematiknoten an.
Nach kurzem Suchen fischte der Wächter das gesuchte Objekt aus den unergründlichen Tiefen seines Trenchcoats und blätterte solange darin, bis er die gewünschten Fakten fand.
In der Tat...höchst interessant.

Am nächsten Morgen weckte ein Klopfen an der Tür den Hauptgefreiten.
"Herein", rief er verschlafen, während er sich seinen MANTEL überzog. Es sah überaus albern aus mit dem Pyjama, den er anhatte, aber einen Morgenmantel hatte er nicht und meist zog er sich an bevor er in die Öffentlichkeit trat.
"Poscht für Schie", lallte Argus Michel, nachdem er die Tür geöffnet hatte. "Die Taube kam geschtern Abend an, aber Schie warn nich da."
Wie kann man zu solch früher Morgenstunde schon betrunken sein? Anscheinend fließt kein Blut, sondern Whiskey in den Adern von diesem Saufbold.
"Ich danke Ihnen, Herr Michel."
Es war eine Taube, mit einer Nachrichtenkapsel am Fuß. Inspäctor steckte das verdutzte Tier in seinen MANTEL und las den Zettel, den er der Kapsel zuvor entnommen hatte.
Hallo, Kolumbini!
Ich habe hier die Ergebnisse des Tests des Gedichtes. Es wurde definitiv von einem oder einer Linkshänder/in geschrieben. Mehr kam nicht heraus. Um mehr herauszufinden, müsstest du mir auch die andere Version schicken.
Gruß, Araghast

In Windeseile zog sich der Wächter an und machte sich auf den Weg in die Nachsitzzelle.

Die Unterrichtsglocke hatte bereits geschlagen, als Inspäctor Kolumbini den Klassenraum betrat, in dem er unterrichten sollte.
"Salve", grüßte er mit einer kurzen Handbewegung, wartete jedoch keine Reaktion ab, sondern fuhr fort. "Entschuldigen Sie die Verspätung, aber es gab da noch eine wichtige Sache, der ich nachgehen musste."
"Vermutlich nur eine winzig kleine Kleinigkeit, was Inspektor", scherzte Hyronimus Rust und lachte auf eben die Art und Weise, wie Jugendliche lachen, wenn sie einen Witz gemacht haben der die gleichen humorvollen Qualitäten wie eine überfahrene Eidechse besitzt.
"Ja, genau, der Herr. Wissen Sie bei Mordfällen sind es meist Kleinigkeiten, die den wahren Mörder überführen."
"Naja, Fräulein Gutherr wurde ja nicht anhand von Kleinigkeiten überführt, oder Inspektor?"
"Nein es gibt keine winzigen Details, die darauf hindeuten, Fräulein Gutherr habe die Tat begangen. Aber lassen wir dieses Thema, denn ich habe heute morgen mal die Textbücher durchgesehen, die ihr habt. Bitte schlagt den Text auf Seite 38 auf und übersetzt ihn schriftlich, danach werden wir vergleichen."
Schultaschen wurden geöffnet, Federkiele und Bücher entpackt, Tintenfässer aufgeschraubt, bis die Schüler endlich damit begannen den Text sorgfältig zu lesen und einige auch damit begannen, ihr Schreibinstrument in die Tinte zu tauchen und damit zu schreiben.
"Ach, noch eine Sache, die Damen und Herren. Jeder schreibt was er oder sie denkt und bei wem ich nachher keine Ergebnisse irgendeiner Art sehe, darf Herrn Michel dabei helfen seine Schnapsflaschen zu Paul König zu bringen."
Die Schüler schienen zu wissen, dass, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, im ganzen Multiversum nicht genug Zeit zur Verfügung stand, da sie allesamt schnellstens zu Schreiben begannen.
Keiner von ihnen bemerkte, dass der Hauptgefreite, wenn er durch die Reihen ging nicht auf den Text, sondern auf die Hände des schreibenden Individuums blickte.

Der Tag des Abschlussballes rückte näher und überall herrschte erregtes Getuschel, wer denn nun mit wem zu selbigem Ereignis gehen würde.
"Sehen Sie, Herr Kolumbini", meinte Oflo, während er und Fred durch die Gänge des Internats schlenderten. "So ist die Jugend heutzutage. Vor nicht einmal einer Woche ist hier ein Mord geschehen und meinen Sie einer von ihnen wäre deshalb schockiert gewesen, oder hätte wenigstens Neugierde gezeigt? Keiner. Ich habe viele Generationen miterlebt und diese ist zwar schon größtenteils unmöglich. Die Jungs stehen die gesamten Unterrichtspausen in den Gängen und gaffen allem hinterher was auch nur annähernd weiblich und gutaussehend ist oder schupsen und schlagen sich einfach aus Spaß und die jungen Damen sind so heuchlerisch und verlogen, dass einem bei den Gesprächen mit ihren Freundinnen schlecht werden könnte. Kaum ist eine Dame aus der Gruppe mal kurz weg, wird sofort Rufmord an ihr betrieben. Aber wenn Sie sich die jüngeren Generationen ansehen, Herr Kolumbini dann werden Sie feststellen, dass sie nur noch schlimmer sind. Und glauben Sie mir, ich bin lange genug an dieser Schule um zu wissen, was unmöglich ist. Alle bezeichnen uns als Eliteschule. Leider ist da das kleine Problem, dass es uns an Eliteschülern mangelt."
"Warum suchen Sie sich keinen neuen Beruf?"
"Ach für Naturwissenschaftler wie mich gibt es keine Tätigkeit in einer Stadt wie dieser, auch wenn es Gerüchte gibt, dass es bald anders sein könnte."
"Sie meinen?"
"Haben Sie noch nicht davon gehört, dass einige Leute ein naturwissenschaftliches Museum einrichten wollen? So wie die große Kunstgalerie nur eben statt Kunst würde es dort verschiedene Ausstellungsstücke, die etwas mit Biologie zu tun hätten geben. Aber bisher finden sich keine Sponsoren die solch ein wagemutiges Projekt unterstützen würden."
"Verzeihen Sie, wenn ich es so frei sage, aber ich glaube nicht, dass sich der Durchschnittsbürger für Biologie interessiert."
"Oh diese Idee ist uns auch schon gekommen und deshalb dachten wir..."
"Uns?"
"Ja einige Naturwissenschaftler kamen auf die Idee über die Times eine Anzeige aufzugeben für eine Gemeinschaft der Biologen, die wir dann als Gilde eintragen lassen könnten."
"Und ist dem Antrag stattgegeben worden?"
"Bisher sind wir noch zu wenige, aber wenn es erst einmal voran geht steht einer Gilde der Naturhistoriker nichts mehr im Wege."
Genau das was Ankh-Morpork noch braucht. Eine Bande von Verrückten, die irgendwelche Tierarten für interessant halten oder in irgendwelchen Löchern nach Steinen buddeln.
"Auf jeden Fall wollten wir das Museum ansprechend gestalten, sodaß jeder Bürger und auch die Kinder daran Interesse hätten. Dadurch könnten wir dann mehr Geld machen und vielleicht sogar mal eine Forschungsreise in ein fernes Land finanzieren und uns nicht mehr nur mit Fauna und Flora der Sto-Ebene beschäftigen. Ach wäre das schön." Bei den letzten Worten verwandelte sich die sachliche Stimme des Zwerges in ein träumerisches sehnsüchtiges Seufzen. "Aber nunja, wo waren wir stehen geblieben?"
"Äh, bei Ihrer Meinung über die heutige Jugend."
"Ach ja genau. Ähm was sagen Sie dazu?"
"Zu dieser Schule hier? Ich habe ja schon viele Leute kennen gelernt, aber ein solch unhöfliches, respektloses, inkompetentes, beschränktes und arrogantes Verhalten ist mir noch nicht untergekommen."
"Sie haben noch vergessen, dass fast alle Jugendlichen sich in ihrer freien Zeit mehr Gehirnzellen wegsaufen als sie eigentlich besitzen dürften."
"Tun sie das?"
"Jup das tun sie und ich kann Ihnen sagen, dass es keine Freude ist wenn nur zwei Personen am Montag Morgen in der Klasse sitzen, die keinen Kater haben. Die Leute wissen einfach nicht wo ihre Grenzen liegen."
"Ich bezweifle, dass sie wissen, wo überhaupt irgendwelche Grenzen liegen, Herr Oflo. Zwei Personen sagten Sie?"
"Ja. Herr Schmitz und Fräulein Gutherr trinken beide keinen Alkohol."
"Aha. Nunja das hilft mir bei meinem Fall auch nicht weiter. Wissen Sie, es ist wirklich zu vertrackt. Aber wem sage ich das?"
Die Unterhaltung der beiden wurde unterbrochen, als jemand dem Hauptgefreiten auf die Schulter tippte.
Als er sich umdrehte blickte der halbe Brindisianer in das Gesicht von Kornelius Bauer.
"Sie wünschen, Herr Bauer?"
"Guuden Tach! Mer wollte se heut Abend zum Trinke einlade. Im Cafe."
"Wer?"
"Ei de ganze Haafe."
"Welcher Hafen?"
"Ei, de ganz Bagage. Die Klass, se verstehn?"
Es dauerte einige Sekunden, bis die Übersetzungsmaschine in Freds Kopf die Nachricht entschlüsselt hatte.
"Ah, ich verstehe. Ich nehme die Einladung gerne an. Was gibt es denn zu feiern?"
Der Ausdruck des Nicht-Verstehens in Kornelius' Blick sprach mehr als tausend Bände.
"Hä?"
"Na wenn Sie heute Abend feiern wollen, muss es doch einen besonderen Anlass, wie den Geburtstag von jemandem geben."
Wieder dauerte die Antwort mehrere Sekunden.
"Hä? Was meine Se dann?"
"Vergessen Sie's, Herr Bauer."
"Ei, jo. Um acht Uhr am Haapteingang, de Herr."
"Ich werde da sein."
Eine gewisse Freude, die sich in dem Ermittler ausbreitete, als er sah, wie Kornelius sich entfernte, war nicht zu leugnen.
"Herr Kolumbini, die Jugend heutzutage braucht doch keinen Grund, um sich zu besaufen", erklärte Oflo, als sie weitergingen. "Also ich hätte diese Einladung nicht angenommen."
"Wir werden sehen, Herr Oflo. Ich kann mir das ganz lustig vorstellen und außerdem sind betrunkene Leute geschwätziger als nüchterne. Vielleicht bekomme ich so ja einen entscheidenden Hinweis."
Bis acht Uhr waren es noch einige Stunden. Araghast war erneut im Gespräch mit Fräulein Gutherr, also konnte er dort keine neuen Informationen bekommen.
Es blieb nur noch eine Sache, die er auf Hinweise überprüfen konnte. Sozusagen seine letzte Hoffnung...ironischerweise war die Farbe des Gegenstandes grün.

Blatt für Blatt wurde umgedreht, Thema für Thema abgehakt.
Es mochte eine Tat der Verzweiflung sein, aber den Ordner von Fräulein Gutherr komplett durchzusehen, war die einzige Idee, die dem Wächter noch gekommen war.
Ich geb's auf. Hier werde ich nichts finden. Ich hab dieses verfluchte Ding bis zur Hälfte durchgelesen und jetzt reicht's mir. Da ist ja Tresendienst an einem regnerischen Herbsttag, wenn selbst die Verbrecher zu Hause bleiben, interessanter und geradezu ein Nervenkitzel.
Ein Seufzer entwich der Kehle des R.U.M.-Mitglieds und der letzte Schluck der inzwischen dreimal nachgefüllten Teetasse verschwand in seinem Magen.
Diese Schule raubte ihm wahrlich den letzten Nerv.
Mein Gott es gibt in manchen feuchten Kellerecken Geschöpfe, die intelligenter sind, als der durchschnittliche Schüler hier. Es wundert mich, dass Fräulein Gutherr oder Herr Schmitz ihren Mitschülern nicht mal eins ausgewischt haben...Wahrscheinlich gehören sie einfach zu den Leuten, die an existierenden Missständen nichts ändern wollen, sofern dies zu hohen Arbeitsaufwand bedeuten würde.
Zwar mochte der halbe Überwaldianer nicht das beste Beispiel für einen Märtyrer sein, aber er versuchte wenigstens, die Probleme zu lösen.
Auch wenn das bedeutete, bis zum Abschlussball an diesem vermaledeiten Internat bleiben zu müssen.
Er beschloss, noch einmal mit Herrn Oflo zu reden und zu fragen, ob es nicht irgendwo eine Jahresübersicht der im Unterricht behandelten Themen einzusehen gäbe.
"Ja", murmelte der Ermittler in seinen Drei-Tage-Bart, als er in Richtung des Lehrerzimmers ging, "das ist es, wo dich Freundlichkeit hinbringt."

"Lassen Sie mich raten, Herr Kolumbini", begrüßte Oflo den Wächter, als dieser in das Lehrerzimmer trat, "Sie hätten da noch ein paar Kleinigkeiten die geklärt werden müssen?"
"Äh, in der Tat, Herr Oflo gäbe es da noch eine Sache, bei der ich Ihre Hilfe gebrauchen könnte", gab der Hauptgefreite zurück.
"Ich höre."
"Sagen Sie, gibt es nicht irgendwo eine Art Plan, wo man sämtliche Themen des Schuljahres nachschauen kann?"
"Bitte was? Welchen Zweck sollte das erfüllen? Demnächst meinen Sie vielleicht noch es wäre sinnvoll, wenn alle Klassen die selben Arbeiten schreiben würden."
Der Zwerg lachte verächtlich, als er diesen Gedankengang noch einmal durchging.
"Nein bei solchen Fragen müssen Sie schon den zuständigen Fachlehrer fragen. Über welches Fach brauchen Sie denn Informationen?"
"Das ist es ja gerade, Herr Oflo; ich weiß nicht, wo ich vielleicht einen Hinweis bekommen könnte und ich hatte gehofft, dass ich irgendwo eine Auflistung der verschiedenen Unterrichtsfächer und den Inhalten der einzelnen Stunden erhalten könnte. Aber nunja, wenn es eben keine gibt, kann man nichts machen. Einen schönen Abend noch, Herr Oflo."
"Ihnen ein fröhliches Besäufnis, Herr Kolumbini."

"S-seid ihr bbekloppt?", schrie Marcus Schmitz den restlichen Club der tötenden Dichter an, nachdem sie ihm erzählt hatten was sie heute Abend vorhatten. "W-wie könnt ihr dden zum S-saufen einladen?"
"Bruder Stutz hat anscheinend Schiss, Brüder. Mein Gott du kommst doch sowieso nicht mit, oder glaubst du, irgendjemand würde dich auf einer Feier dulden?" gab Bruder Cheffe mit scharfer Stimme als Antwort. "Du kannst froh sein, dass wir dich dulden und dich nicht wie Callowdeck ins Jenseits befördern. Ich kann mit Kolumbini umgehen, keine Angst. Er weiß rein gar nichts, Brüder, glaubt mir. Und selbst wenn er nicht zu vergesslich wäre, um eine Theorie länger als zwei Sekunden zu behalten, so hätte er keinerlei Beweise gegen uns, das ist euch doch klar, oder? Wie soll er Beweise gegen uns bekommen? Wir haben den perfekten Mord begangen!" Er lachte laut.
"Nun ich kann die extrem große Unwahrscheinlichkeit einer korrekten Aufklärung dieses Falles definitiv nicht leugnen", pflichtete Bruder Schwafel bei.
Cheffe nickte und verließ den Raum zusammen mit Schwafel und Stutz.
Babbel blieb noch einige Minuten sitzen und starrte in die Leere.
"Höhö Mord begangen", lachte er und legte eine kurze Pause ein. "Den raff ich net", fügte der Jugendliche hinzu, bevor er bemerkte, dass er bereits alleine war.

"Einen wunderschönen guten Abend, die jungen Damen und Herren", begrüßte der Ober des Cafe' Richie die Gruppe der Halbwüchsigen, als diese in das Lokal traten.
Der Mann schaute ein wenig erstaunt, als er Kolumbini erblickte, welcher das Schlusslicht der Menschenkette darstellte.
"Guten Abend, der Herr", grüßte der Hauptgefreite.
"Guten Abend, Herr Wächter! Was tun Sie hier?"
"Oh ich wurde von den jungen Leuten hier eingeladen. Zu einer kleinen Feier, Sie verstehen."
"Ah, natürlich, das wöchentliche Trinkgelage."
Alle Individuen der Gruppe hatten bereits an einem großen Tisch Platz genommen und nur Fred blieb bei den Worten des Dieners stehen.
"Moment...sagten Sie wöchentlich?"
"Oui, der Herr Wächter. Mindestens einmal pro Woche kommen die jungen Herrschaften hierher um sich, wie sagt man so schön, um den Verstand zu saufen."
Komisch ich dachte, um sich um den Verstand saufen zu können, müsste man erst einmal einen solchen haben.
"Interessant. Nunja ich werde mich wohl besser zu meinen Gastgebern begeben."
Es war nicht unbedingt so, dass die darauffolgenden Gespräche uninteressant waren; sie waren Zweifelsohne interessant, allerdings aus einem objektiven, analytischen Blickwinkel gesehen. Aus dem eben genannten Winkel gesehen konnte man sie sogar definitiv als amüsant bezeichnen. Diese...Personen waren unbeschwert und vom Leben und von den Problemen desselbigen nicht mehr beeindruckt, wie ein Schaf von einer großen Gewitterwolke am Horizont.
Ich wäre zu gerne dabei, wenn ein Blitz das Schaf mit einem einzigen Schlag grillt.
Leute, die einfach so in den Tag hineinlebten stellten früher oder später fest, dass der Tag sie definitiv überleben würde(was die meisten nicht verkrafteten und deshalb direkt in den Tod hineinsprangen).
Die Stunden vergingen und Flasche um Flasche, Glas um Glas wurde geleert.
Niemand bemerkte, dass der halbe Überwaldianer seine Gläser bei weitem nicht so oft leerte, wie alle anderen und auch keine großen Pötte bestellte, sondern stets das Wort klein bei seiner Order betonte.
"Wissen Sie, Herr Wächter", suchte eine der jungen Damen, deren Name ihm bereits wieder entfallen war, das Gespräch mit dem Hauptgefreiten, "Sie sollten wirklich nich so viel trinken, nich. Das passt doch gar nich su Ihnen. Aber ich finds schön, dass Sie sich hier mit uns vergnügen."
"Ja", war die knappe Antwort des Ermittlers, wobei er einen Tonfall gewählt hatte, der zeigte, dass er keine Lust hatte, mit irgendeiner betrunkenen Halbwüchsigen sich einen Drink zu genehmigen.
"Ach wissen Sie was, Sie pissen mich an."
"Wirklich? Ich habe nicht gemerkt, mich erleichtert zu haben", meinte der halbe Brindisianer kühl.
Sie wandte sich erzürnt ab und drehte sich wieder zu ihren unterbelichteten Freundinnen um.
Innerlich lachte Inspäctor über diese alberne Szenerie.
Glauben die wirklich, ich würde denen abkaufen, dass sie sich plötzlich für mich interessieren. Mein Gott Alkohol macht selbst die dümmsten Idioten noch dümmer.
Wobei vermutlich selbst manche Affenarten mehr Gehirn aufweisen, als manche dieser Personen.

"Ach kommen Sie schon, Herr Wächter, was tun Sie hier Trübsal blasen. Feiern Sie mit uns."
Kolumbini blickte von seinem Notizblock auf und erspähte die Gesichter von drei jungen Damen.
"Was schreiben Se da eigendlich immer?"
Na was wohl? Ich bin ein Ermittler...ich male mit Sicherheit Bildchen.
"Notizen, die Damen."
"Oh, dürfen wir mal sehn?"
"Sehn, sehn", stimmten die anderen Beiden mit ein.
"Nein das dürfen Sie nicht. Das sind meine persönlichen Gedanken zu einem Mordfall."
"Naja zumindest den Bauer können Se ja net verdächtigen, denn der kann ja nur wergeln."
Es dauerte eine Zeit, bis der Hauptgefreite aus dem undeutlich gesprochenen Satz die Information herausgefischt hatte.
"Werkeln?"
"Na Wergunterricht. Ach nun kommen Se schon. Zeigen Se uns die Nodizen. Wir singen auch was schönes für Se."
Wie auf ein Kommando begannen die drei jungen Damen irgendein Lied einer neumodischen Musikergruppe zu grölen.[7]
Mit einem Blick der Verzweiflung wandte sich der halbe Überwaldianer von dieser Szenerie des Grauens ab.
Ein Königreich für ein Pf...nein Schwert. Definitiv Schwert.

Zu seiner großen Verwunderung hatte Inspäctor "Fred" Kolumbini am nächsten Morgen keinen Kater. Leider hatte er keinen Unterricht an diesem Tage und somit konnte er keinen Blick auf die ausgelaugten, schmerzverzerrten Gesichter der sich so exzessiv verhaltenden Jugend sehen.
Wieder lag der grüne Ordner Oktarina Gutherrs vor ihm und wieder schlug er ihn vorsichtig auf.
Nachdenklich trommelte er auf den Innendeckel des mit Zetteln vollgestopften Aufbewahrungsutensils.
Es klopfte an seiner Tür und das R.U.M.-Mitglied ließ verlauten, dass ein Eintreten erwünscht war.
"Hallo, Kolumbini, gibt es was Neues über den Fall?" fragte Korporal Araghast Breguyar, nachdem er den Raum betreten hatte.
"Nichts interessantes, nein. Ich wollte gerade den Ordner von Fräulein Gutherr noch einmal überprüfen, da ich hoffe, im Unterrichtsstoff auf Hinweise zu stoßen."
"Hm. Darf ich mal sehen?"
Resignierend schob der Ermittler das Pappgebilde zu seinem Kollegen. Dieser betrachtete den Innendeckel nachdenklich.
"Hast du bemerkt, dass eine Stelle hier etwas heller ist, als die anderen?" fragte der Püschologe.
"Bitte?"
"Na hier", er zeigte auf den entsprechenden Teil. "Außerdem sind da ganz kleine Löcher, wie von Reißnägeln."
Die Hand des halben Überwaldianers wanderte zu seinem Gesicht.
Einen kurzen Augenblick später durchwühlte er die Schublade, in der er den Ordner gefunden hatte, auf deren Inhalt. Einen weiteren kurzen Augenblick später stürmte der kleine Mann eiligst mit einem Zettel in der Hand in Richtung Lehrerzimmer.

"Guten Morgen, Herr Kolumbini", grüßte der Zwerg Oflo den Wächter, als dieser im Lehreraufenthaltsraum auftauchte.
"Wo befindet sich der Lehrer für den sogenannten Werkunterricht, Herr Oflo? Für die Klasse von Herrn Callowdeck."
"Das müsste Herr Brielax sein. Er dürfte gerade Unterricht haben. Sie müssen schon Herrn Fade fragen, wo er sich gerade befindet."
"Danke sehr", winkte der Hauptgefreit über seine linke Schulter und klopfte hastig an die Bürotür des Internatsleiters.

Ronald Fade war einer jener Personen, deren Lebensinhalt aus einem so ruhigen Arbeitstag wie nur irgend möglich, Essen und Unmengen an Tee bestanden.
Wie alle solche Leute hatte er die Kunst entwickelt, seine Mahlzeit in Windeseile zu beenden, sobald es Anzeichen dafür gab, dass jemand den Raum betrat. (Deshalb sind Direktoren und ähnliche...wollen wir Sie mal als Menschen bezeichnen, auch so erpicht auf Anklopfen.)
Aus diesem Grunde war er nicht gerade erfreut, als es zwanzig Minuten, nachdem dieser seltsame Herr Kolumbini an seine Tür geklopft hatte, wieder jemand diese Tätigkeit ausübte.
"Herein", rief er und begrüßte den eintretenden Ermittler äußerst höflich.
"Ihnen auch einen schönen Tag, Herr Fade. Ich bräuchte Ihre Hilfe."
"Wobei denn, Herr Kolumbini?"
Der Hauptgefreite legte einen abgerissenen Notizblockzettel vor den Leiter auf den Schreibtisch.
"Könnten Sie diese Sachen für mich herrichten lassen?"
"Äh, natürlich. Ich weiß zwar nicht wozu sie das brauchen, aber ich werde den zuständigen Herren Bescheid geben."
"Vielen Dank."
Und wenn alles hergerichtet ist, wird er Zeit für eine kleine Show.

Es war der Tag des Abschlussballs und somit standen für einige Schüler des Lord Winder Internats die letzten Unterrichtsstunden unmittelbar bevor.
Laut Plan sollte eigentlich eine Latatianisch-Stunde stattfinden, jedoch war der seltsame Vertretungslehrer noch nicht eingetroffen.
Zwar war Marcus Schmitz nicht anwesend, aber niemand machte sich die Mühe, dies zu bemerken oder gar über die Bedeutung dieses Fakts nachzudenken.
Langsam und unaufhaltsam, wie ein Gletscher, der in ein Tal kroch, vergingen die Minuten.
Es wirkte wie eine Geräuscheexplosion, als sich plötzlich die Tür öffnete und ein keuchender Marcus Schmitz den Raum betrat und seinen Klassenkameraden klarmachte, dass sie sich im Stall einfinden sollten.
"Weshalb?" fragte Hyronimus ungläubig.
Der dürre Junge konnte ein hämisches Grinsen nur schwer unterdrücken, als er seltsamerweise ohne Stottern sagte: "Herr Kolumbini hat eine Überraschung für euch."

Es war nicht nur Kolumbini anwesend, sondern auch ein Herr mit langem schwarzen Haar, ein Bärtiger, ein zwei Meter großer farbiger Riese, ein Zombie, Herr Oflo, Herr Fade, Herr Hübschmaul, sowie der Kellner aus dem Cafe' Richie.
Doch die meiste Aufmerksamkeit der Klasse galt einer Person, die in Abwesenheit von Handschellen, neben der Gruppe von Wächtern stand.
"Was macht diese Verbrecherin hier?" rief Hyronimus Rust laut aus.
"Oh, alles zu seiner Zeit, Herr Rust. Vorerst will ich...", kam es von Fred.
"...ein paar Kleinigkeiten klären?" bemerkte Hyronimus sarkastisch.
"Exakt, Sir."
Der Hauptgefreite drehte sich zu der versammelten Menge um und blickte auf seine Taschenuhr. Es war 13:30 Uhr.
"Wissen Sie, meine werten jungen Damen und Herren, dieser Fall hat mir einige Rätsel aufgegeben", begann er seine Rede, wurde jedoch wieder von dem empörten Adelssohn unterbrochen.
"Wieso, Inspektor? Sie hatten doch ihre Täterin von Anfang an und dazu auch noch Beweise, um sie hinter Gitter zu bringen. Was sollen wir hier?"
"Beruhigen Sie sich, Herr Rust. Alles zu seiner Zeit. Wissen Sie, noch so viele Beweise nützen nichts, wenn man kein Motiv hat. Ich hätte natürlich diesen Fall einem Gericht vorlegen können und sicher wäre ein Urteil gefallen, aber meine Abteilungsleitung legt viel Wert auf einen bis in alle Kleinigkeiten ausgearbeiteten Bericht und deshalb kann ich auf so einen wichtigen Teil, wie das Motiv nicht verzichten. Außerdem gibt es Gegenbeweise..."
"...wie nicht vorhandene schmutzige Klamotten?"
"Oh, es gibt noch mehr als das. Der Winkel, in dem der Bolzen im Kopf des Ermordeten steckte, weist darauf hin, dass der Schuss aus einiger Entfernung und aus niedriger Höhe abgegeben wurde...und unterbrechen Sie mich nicht mit der Bemerkung, man könne kaum niedriger am Boden sein, als Fräulein Gutherr es durch ihre Körpergröße ist, Herr Rust."
Bauer und Schmatze staunten nicht schlecht, als ihr Mitbruder den Mund zuklappte, jedoch seinen erstaunten Gesichtsausdruck nach wenigen Millisekunden wieder verschwinden ließ.
"Fräulein Gutherr hätte unter die Kutsche in dieser Box", öffnete der Ermittler eine Tür, "kriechen müssen. Übrigens habe ich das von meinem Kollegen Korporal Breguyar mathematisch beweisen lassen. Ich komme ja mit diesem Rechenkram überhaupt nicht zurecht. Da können Sie meinen Diener fragen, der kann Ihnen Geschichten erzählen."
Der halbe Überwaldianer lächelte und winkte dann ab.
"Aber zurück zu dieser Kutsche hier. Dieses Gefährt ist sehr nah am Boden. Ich habe es probiert und ich passe auf keinen Fall hinunter, da ich die Unart habe, gerne zu essen, müssen Sie wissen. Aber auch Fräulein Gutherr passt aufgrund...gewisser femininer Merkmale nicht hinunter. Also schließt das schon mal eine Frau als Täter aus. Ein dünner junger Herr, würde jedoch hinunterpassen."
Er blickte zu Marcus Schmitz, der regungslos bei der Gruppe von Wächtern stand.
"Nur zu dumm, dass kein dünner junger Herr zur Tatzeit hier gewesen sein kann, Inspektor."
"Wissen Sie, Herr Rust, genau das war mein Problem. Ich würde deshalb die Ereignisse des Mordtages gerne nachstellen. Wir haben nun 13:40 Uhr. Wenn Sie, Herr Rust die Güte hätten, den Weg, den ich mit dem Absperrband markiert habe abzulaufen und dort, wo die Kreidemarkierungen sind, stehen zu bleiben? Sie dürften ungefähr die gleiche Größe, wie der Ermordete haben. Um Punkt 13:42 Uhr müssen Sie vor der Kutsche stehen."
Die Worte wirkten wie die Unschuld in Person, das musste man Kolumbini lassen. Er schaffte es, einen offensichtlichen Verdacht so auszusprechen, dass es wie das Gefasel eines verwirrten Mannes klang.
Ohne Zögern stellte sich Rust auf den besagten Punkt, denn dieser vertrottelte Typ in dem zerschlissenen Trenchcoat konnte gar nicht auf ihre Mordmethode gekommen sein.
Sie hatten den perfekten Mord begangen, das musste er sich immer wieder vor Augen halten.
Die Zeit schien unendlich langsam dahinzukriechen, bis Hyronimus plötzlich den Ermittler sagen hörte: "Ach, Herr Hübschmaul bitte schließen Sie doch die Boxentür. Ich habe vergessen, sie zuzumachen."
Der Schüler grinste innerlich.
Wieder holte der halbe Brindisianer seine Taschenuhr aus seinem MANTEL, deren mechanisches Ticken nun den Raum füllte.
Man stelle sich eine Kamerafahrt an den einzelnen Gesichtern vorbei vor.
Der nachdenkliche, amüsierte Gesichtsausdruck Kolumbinis, der freundliche, interessierte Ausdruck Oktarinas, das äußerst hämische Grinsen Marcus Schmitz', die erwartenden Blicke der Lehrer, Wächter und mancher Schüler, das Desinteresse von Fräulein von Plotz und ihrer Clique und die entsetzten Gesichter von Kornelius Bauer und Franziskus Schmatze.
Letztere begannen urplötzlich loszustürmen und sprangen. Im Flug rissen sie Hyronimus zu Boden; kurz bevor sich ein Armbrustbolzen aus einer nicht sichtbaren Waffe löste und sich in Holz bohrte.
"Ihr absoluten Vollidioten, was habt ihr..."
Der junge Herr unterbrach sich, als er sah, wie ein Armbrustbolzen, der im Holz der Kutsche steckte, aufgrund der Wucht des Schusses immer noch leicht vibrierte.
"Das ist wirklich höchst erstaunlich, die Herren", waren die ersten Worte, welche die Stille unterbrachen.
"Hören sie gefälligst auf, Sie Dreckswächter!" schrie Hyronimus. "Sie mit Ihrer verfluchten Art!! Ich hätte SIE gleich umbringen sollen!!!"
Es fehlt nur noch der Schaum vorm Mund.
"Beruhigen Sie sich erst einmal, Sir."
"Na los, In-spektooooor!!!!" Urplötzlich schien sich der Adelssohn wieder unter Kontrolle zu haben, als er in ruhigem Tonfall sagte: "Wie haben Sie es herausgefunden?"
Die anderen Anwesenden schauten etwas überrascht drein. Anscheinend war bereits eine wortlose Konversation zwischen Ermittler und Schüler geführt worden und ein großer Teil, für ein Verständnis schien zu fehlen.
"Sie meinen, wie ich herausgefunden habe, dass Sie, Herr Schmatze und Herr Bauer den Mord begangen haben? Kleinigkeiten, Herr Rust, Kleinigkeiten. Da war die Sache mit dem Cafe' Richie, das Sie jeden Montag, nur eben nicht am Montag des Mordes besuchten. Das Bild dieser seltsam niedrigen Kutsche blieb mir in Erinnerung, müssen Sie wissen. Dann war da die Sache mit der offenen Boxentür...Herr Hübschmaul versicherte mir, er schließe die Türen stets, allerdings hatte ich mich an besagtem Montag an einem offenen Tore angestoßen, was ja irgendeinen Grund haben musste. Und dann die Sache mit dem Gedicht...erstens schien es mir etwas seltsam, dass ein Mörder ein Gedicht in seine Mordwaffe einbauen ließ und, wie Untersuchungen ergaben, war es zweitens von einer linkshändigen Person geschrieben worden, was Fräulein Gutherr nicht ist. Ich wusste vor allem mit den ersten Sachen nichts anzufangen. Mir schien es nicht wahrscheinlich, dass Sie wegen des Mordes nicht Essen gegangen waren, denn getrauert hatten Sie keinesfalls. Ich tappte also lange Zeit im Dunkeln, bis ich herausfand, was sie in diesem Jahr in ihrem handwerklichen Unterricht als Thema behandelt hatten."
Er ließ die Worte kurz wirken und machte eine dramatische Pause.
"Uhrwerke."
Anscheinend war der Aushilfslehrer der Meinung, diese Worte würden alles erklären.
"Ja und?" fragte Oflo schließlich.
"Nun, dann muss ich wohl alles erklären", seufzte das R.U.M.-Mitglied. "Es ging in der Schule stets der Spruch umher, dass Herr Callowdeck wie ein Uhrwerk funktioniere. Als ich es einmal in der Mensa aufschnappte tat ich es als dummen Scherz ab, jedoch war es genau dieser Scherz, der mich zum Schluss auf die Lösung brachte. Sozusagen der Kieselstein, der die Lawine der Erkenntnis ausgelöst hat. Der Ermordete war immer zum gleichen Zeitpunkt an einem bestimmten Ort. Man konnte ihm also ohne Probleme auflauern, wenn man die verschiedenen Orte genau kannte. Doch jeder Verdächtige hatte ein Alibi, abgesehen von Fräulein Gutherr, die, wie die püschologische Untersuchung meines Kollegen Korporal Breguyar ergab, nicht zu einem Mord fähig ist. Also musste es noch andere Verdächtige geben. Ich dachte einige Zeit, ein Lehrer habe die Tat begangen. Doch auch hier fiel mir keine Möglichkeit für ein Motiv ein. Doch welchen Grund mochte ein Schüler für einen Mord an seinem Lehrer haben? Ich zog diese Möglichkeit natürlich von Beginn meiner Ermittlungen an in Betracht, doch dachte ich, dass nur ein absoluter Verrückter auf solch eine Idee, seine Noten durch den Tod der Lehrkraft zu retten, kommt."
Er schien eine wütende Unterbrechung von Hyronimus zu erwarten, welche jedoch ausblieb.
"Auf einen Teil des Nachweises, dass Sie die Tat begangen hatten, Herr Rust, kam ich durch eine Ihrer Mathematikaufgaben. In dieser sollte man den Winkel errechnen, aus dem man mit einem Bogen schießen muss, um ein zwei Meter hohes Ziel zu treffen, oder so etwas in der Art. Natürlich bestätigte das nur den Verdacht Herrn Oflos und meiner Wenigkeit, ein Schüler habe die Tat begangen und ich brauchte noch das "wer" und "wie", um den Fall aufklären zu können. Dann stellte ich durch die Hilfe von Korporal Breguyar fest, dass ein Thema des handwerklichen Unterrichts Uhrwerke waren und da kam mir eine Idee. Wenn der Lehrer wirklich immer zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort war und man eine Apparatur bauen konnte, die einen Armbrustabzug an eben diesem Zeitpunkt an eben diesem bestimmten Ort betätigt, dann würde ich so auch meinen Mörder oder sollte ich besser sagen meine Mörder finden. Ich erkundigte mich also beim zuständigen Fachlehrer nach einem solchen Apparat und ließ ihn für mich bauen. Weiterhin bat ich Herrn Hübschmaul unter die Kutsche in jener Box zu schauen, die seltsamerweise am Montag nicht geschlossen war. Und zwar, weil einer von Ihrer Truppe, Herr Rust, vergessen hat, sie zuzumachen und außerdem haben Sie vergessen, das Loch, welches die Schraube hinterlassen hatte, die verhindern sollte, dass sich die Tür von alleine schließt, abzudecken und, dass sie das Gestell für das Uhrwerk entfernen hätten sollen. Sie haben wohl nicht damit gerechnet, dass die Wache so auf Kleinigkeiten achtet, wie?"
Der Ermittler wartete keine Antwort ab sondern redete gleich weiter.
"Herr Callowdeck wollte Ihnen und Ihren Freunden den Abschluss vermasseln und deshalb haben Sie ihn umgebracht. Ich konnte es Ihnen aber nur nachweisen, indem ich ein Geständnis aus Ihnen herauslocke, denn welche Beweise hätte ich schon gehabt? Ein seltsames Gestell, aber weder Armbrust noch Uhrwerk. Aber wissen Sie, ich war in Mathematik nie gut und ich habe die Winkelberechnungen bei meiner Apparatur wohl falsch gemacht." Kolumbini grinste schelmisch und fügte dann hinzu: "Der Bolzen ist mindestens 30 Zentimeter über Ihrem Kopf eingeschlagen."
Es dauerte eine Weile, bis jemand nach der Erklärung des Wächters wieder etwas sagte.
"Hyronimus?" fragte Franziskus mit bitterem Tonfall.
"Ja????" brachte der Adelssohn zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Lass mich zum Ausdruck bringen, dass ich, wenn wir hier jemals heile herauskommen, ich dir die Trauringe für dich und Frau Dominart spendieren werde."

"Wieder ein Fall erfolgreich abgeschlossen", meinte der Hauptgefreite Inspäctor "Fred" Kolumbini erleichtert, lehnte sich in dem Stuhl in seinem Zimmer im Lord Winder Internat zurück und zündete sich eine Pfeife an.
Oflo und Bregs hatten ihn begleitet.
"Wisst ihr was? Zur Feier des Tages lade ich euch in das Cafe' Richie hier in der Nähe ein."
Die beiden anderen Denker nahmen die Einladung dankend an und nach einer Stunde brachen sie langsam auf.

"Wissen Se, Herr Kolumbini das war wirglich ein sehr schöner Abend. Ich muss mich wirglich bedangen", lallte Oflo mehrere Stunden später.
"Ich glaub, nach dem heutigen Tag ist ein "du" eher angebracht, oder?" fragte der Ermittler.
Die beiden anderen nickten und hoben die Gläser an.
"Nennt mich ruhig Araghast", meinte Bregs.
"Und mich ruhig Kolumbini", ließ der Hauptgefreite verlauten.
"Hä? Du mussd doch einen richdigen Vornamen haben", erkundigte sich der Lehrer.
"Äh, ja."
"Und?"
"Inspäctor."
"Was? Das war doch dein Rang? Ach, egal."
"Und dein Name?"
"Oflo, was sonst."
"Und der Vorname?"
"Muss das sein?"
"Und ob", kam es von Bregs und Fred wie aus einem Mund.
"Na, gud...Turgor is er."
"Also, Turgor und Araghast, auf lange Freundschaft."
Die Gläser knallten aneinander und wurden alsbald geleert.
Einige Tische weiter saß Ronald Fade an einem Einzeltisch und genoss ein großes Festmahl.
Oflo blickte den Herren düster an.
"Dieser arrogande Misdgerl. Ich hab jedz schon vier Indernadsleider erlebd und der is garandierd der Schlimmsde von allen."
"Wie lange bist du denn schon an der Schule?" fragte Inspäctor.
"Seit hunderd Jahren, Kolumbini. Und glaub mir wenn ich dir sag, dass es gein Zuggerschleggen war. Manchmal würd ich den gandzen Mischd am liebschden hinschmeißen."
"Kann ich gut verstehen."
Mit einem Ruck erhob sich der Zwerg von seinem Stuhl und wäre, aufgrund seines übermäßigen Alkoholgenusses, beinahe hingefallen.
Er ging in einer Art entschlossenem Wanken auf den Leiter zu, nahm einen Teller vom Tisch und knallte ihn in den restlichen Festschmaus und somit in das Gesicht des Essenden.
Der darauffolgende Blick Fades war dafür verantwortlich, dass zwei Wächter lachend am Boden lagen und sich die Bäuche hielten.
"Sie verfluchder Basdard ich kündige Ihre verfluchde Schdelle."
"Bitte? Herr Oflo, Sie haben getrunken und sind nicht bei Sinnen."
"Ich bin mehr bei Sinnen als ich es je war, Sie spießiger Misdgerl. Ich bin nun schon seid hunderd verfluchden Jahren an diesem vermalledeidem Indernad aber so ein eingebildeder selbsdgefälliger Emporgömmling is mir nie undergegommen."
Wie jede Person, die ganz genau, weiß, dass man gerade die Wahrheit gesagt hat, diese Wahrheit aber nicht wahrhaben will, öffnete und schloss sich Ronald Fades Mund immer wieder, was ihn wie einen Kabeljau aussehen ließ.
Die drei Denker verließen das Lokal und ließen einen äußerst belustigten Kellner und einen verstörten Kabeljau, der große Ähnlichkeit mit einem Internatsleiter hatte, zurück.
"Wohin jetzt?" fragte Korporal Breguyar.
"Zum Abschlussball", schlug Fred vor.
"Wäre eine Idee, ja."
"Ich bin ja mal gespannt, ob die Feier schon in vollem Gange is."
"Wahrscheinlich liegen sie alle schon im Delirium", scherzte Araghast und folgte den beiden anderen durch die neblige Nacht.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die kleine Gruppe durch den recht dicken Nebel bis zum Internatsgebäude gewankt war. Sofern die Informationsquellen Kolumbinis korrekt waren, sollte der große Abschlussball in der Aula stattfinden.
Die drei Gefährten blickten in den Saal.
Es dauerte ungefähr zehn Minuten, bis sie aufgehört hatten, zu lachen.
Der Grund dieser übermäßigen Erheiterung lag in dem Bild, welches sich ihnen darbot.
Vollkommen regungslose Personen bedeckten den Saalboden und nur gelegentliches Stöhnen wies darauf hin, dass die Wesen noch am Leben waren.
Dass es sich um den Abschlussjahrgang handelte konnte man ohne Zweifel an bestimmten Merkmalen feststellen.
Viele lagen in ihrem eigenen Erbrochenen oder...anderen menschlichen Abfallprodukten, was dazu führte, dass es fürchterlich gestunken hätte, wäre nicht irgendjemand intelligent genug gewesen, die Fenster rechtzeitig zu öffnen, um der abartigen Szenerie zumindest teilweise den Gestank zu nehmen.
In einer Ecke stand eine demotiviert dreinschauende Band, die das Spielen schon vor einigen Stunden aufgegeben zu haben schien.
Das absurdeste an dieser Szenerie war jedoch sicherlich, dass zwei Personen in diesem Chaos seelenruhig an der Theke saßen und sich angeregt unterhielten.
Es waren Marcus Schmitz und Oktarina Gutherr.
Letztere grüßte die drei Saufkumpanen freundlich, als sie selbige erblickte.
Die Angesprochenen verbeugten sich wie auf ein Kommando und erwiderten den Gruß.
"Was ist hier passiert?" fragte Araghast neugierig.
"Ich weiß auch nicht, Herr Breguyar", kam die Antwort von Oktarina. "Die Leute hier hatten gerade mal ein oder zwei Gläser von der Bowle getrunken und schon schienen sie so betrunken zu sein, dass sie nicht mehr wussten, was sie taten. Sie tranken noch einige weitere Gläser und dann begannen einige von ihnen zu schreien, dass sie nichts mehr sähen und...übergaben sich. Das löste dann eine Kettenreaktion aus und schließlich lagen alle auf dem Boden und konnten nicht mehr aufstehen. Ich kenne mich ja nicht so mit Alkohol aus...ist das normal?"
"Eigentlich nicht", meinte Bregs. "Es ist ein wenig merkwürdig, da es sich so anhört, als hätten sie eine gnadenlose Überdosis Alkohol genommen und in so einer Bowle dürfte ja nicht viel enthalten sein."
Inspäctor zuckte unschuldig mit den Schultern.
"Vielleicht", meinte er.
"Momend mal", mischte sich Oflo plötzlich ein. "Heude wurde mir ne ganze Flasche mid siebzig prodzendigem Algohol schdiebidzd."
Kolumbini und Marcus versuchten wie die Unschuld selbst dreinzublicken, als sie gen Decke starrten und jene Melodie pfiffen, die man überall im Multiversum pfeift, wenn man vergebens versucht, die Schuld von sich abzulenken.
Der Püschologe blickte von den besoffenen Jugendlichen zu seinem Kollegen und lächelte äußerst zynisch.
"Ich würde vorschlagen, wir vergessen die ganze Sache und lassen diese Leute hier ihre verdiente Lektion genießen."
Ein zustimmendes Nicken war die Antwort der anderen Herren.
"Herr Kolumbini?" ertönte die Stimme einer wohlbekannten Arzttochter.
"Was gibt es, Fräulein Gutherr?"
Eine kurze Pause folgte diesen Worten.
"Ich wollte mich vielmals bei Ihnen bedanken."
"Keine Ursache, Fräulein."
Als hätten sie die nun folgende Frage erahnt begann die Band ihr letztes Lied anzukündigen.
"Würden Sie mir diesen Tanz schenken?"
Es war einer dieser Sätze, wo Geschichten anfingen kitschig, unglaubwürdig und schnulzig zu werden.
"Oh, nein, nein, Fräulein Gutherr", wehrte der Ermittler heftigst ab. "Ich kann überhaupt nicht tanzen. Habe es noch nie gekonnt."
"Ach kommen Sie, Herr Kolumbini. Wenigstens probieren. Irgendwie muss ich mich doch bedanken."
"Also gut. Versuchen kann ich?s ja. Aber auf deine Verantwortung."
Es ist ein oft verwendetes Klischee, dass bei solchen Szenen selbst Personen, die in ihrem Leben weder etwas von Tanzflächen noch von feinen Schuhen etwas gehört haben, urplötzlich zu verflucht guten Tänzern mutieren. (meist wird es in kitschigen Tanz- oder [pseudohumorvollen] Teeniefilmen verwendet) Glücklicherweise war die Klickerindustrie auf der Scheibenwelt rechtzeitig untergegangen, bevor die Macher aufgrund von Ideenmangel auf solche Filme zurückgreifen mussten.
Der Auto hat beschlossen, diese Szene aus bestimmten Gründen nicht so zu gestalten.
Erstens wäre es eine Verfälschung des Verhältnisses Oktarina Gutherrs zu Kolumbini, zweitens würde es die Natur dieses sarkastischen, zynischen Machwerks zerstören und drittens schreibt er keinen verfluchten kitschigen Teeniemüll.
Die wahren Ereignisse können so geschildert werden:
Der Wächter trat der ehemaligen Internatsschülerin immerzu auf die Füße und stolperte mit ihr mehrmals beinahe über einige der "Alkoholleichen".
Es erfolgte keine übernatürliche Tanzmutation.
Sie tanzten auch nicht Arm in Arm bis in den Morgen.
Nach dem fünften Versuch gab selbst Fräulein Gutherr es fluchend auf.

Kolumbini wäre gerne in der Aula gewesen, wenn Argus Michel die große Schulglocke zum Weckruf geläutet hätte, um die Gesichter der dort liegenden Jugendlichen zu Gesicht zu bekommen.
Was ihn davon abhielt war sein Versprechen Oflo, Oktarina und Marcus gegenüber, sich persönlich von ihnen zu verabschieden. Araghast hatte den Abend über in einem der leeren Zimmer im Internat verbracht und stand nun mit seinem Kollegen auf dem großen Innenhof der Schule. Die Glocke läutete gerade sieben Uhr.
Als sie verklungen war herrschte eine gespenstische Stille in dem Hof, die vom Pfeifen des Windes durch das große Tor untermalt, ja gar wirklich gemacht wurde.
Es war ein Moment perfekter Stille. Einer dieser Augenblicke wo Inspirationspartikel die Luft erfüllen wie Pollen es im Frühjahr tun. Doch auch Abschiedsstimmung war so präsent, wie das Zwitschern von Vögeln in einem Wald.
Wenn man sich konzentrierte konnte man alle Nuancen wahrnehmen und es wurde zu einer großen Symphonie. Das Rauschen und Pfeifen des Windes, die Eichelhäher, die vorbeiflogen, das Rascheln des MANTELS, das Auf- und Zuklappen eines defekten Fensterladens und all die anderen kleinen Geräusche, die von einer erwachenden Welt ausgingen.
Zugegebenermaßen musste Inspäctor sich beherrschen, um nicht eine kleine Freudenträne zu vergießen.
Die beiden Wächter schwiegen und genossen die Stille, bis schließlich die drei ehemaligen Internatsbewohner mit einigem Gepäck auf sie zukamen. Oflo trug keine eigenen Koffer. Anscheinend hatte er sie noch in seinem Heim.
Kurz darauf kam zu dem Orchester der Stille ein weiteres Instrument hinzu: das Rattern einer Kutsche über den langen Kiesweg, der zum Lord Winder Internat führte. Es wurde stetig lauter und schließlich kam das Gefährt auf den Hof gefahren.
Der Kutscher war recht groß und in der üblichen Berufskutschertracht gekleidet.
"Wer von Ihnen ist Herr Oflo?" fragte er in einer Stimme, die brummend und tief klang.
"Ich, der Herr", antwortete der Zwerg.
"Wir holen Ihr Gepäck dann wie verlangt bei Ihrem Haus ab, bevor wir aufbrechen."
"Ausgezeichnet."
Dann bemerkte Kolumbini zum ersten Mal, was Oktarina Gutherr zu ihrem Abschied angezogen hatte. Es war ein bildhübsches rosa Kleid, das der Hauptgefreite nur zu gut kannte. Immerhin hatte er es vor einigen Jahren hergestellt.
"Du weißt es also", meinte der halbe Brindisianer.
"Ja, Herr Schneider. Ich habe es beim Packen entdeckt und habe mal auf das Etikett geschaut. Es war immer eines meiner Lieblingskleider, müssen Sie...musst du wissen."
"Freut mich. War, soweit ich mich noch recht erinnere sogar meine letzte Arbeit."
Die junge Dame nickte und daraufhin wandte sich der Wächter dem ehemaligen Lehrer zu.
"Wohin willst du eigentlich, Oflo?"
"Na dahin, wo wir alle hinwollen. Sto Lat. Von dort aus will ich dann nach Gennua weiterreisen. Die weite Scheibe entdecken, du verstehst."
Ein anerkennendes Nicken war die Antwort des R.U.M.-Mitglieds, das sich danach zu Marcus Schmitz umwandte.
"Mach's gut, Marcus. Ich wünsche dir bei deinem weiteren Lebensweg viel Erfolg", schüttelte er ihm die Hand.
"Danke, Herr Kolumbini. Wissen Sie jetzt wo ich hier weg komme, geht es mir gleich viel besser."
"Das merkt man. Du stotterst nicht einmal mehr."
"Wirklich? Oh, das ist...schön. Ich begleite Oktarina zu ihren Eltern müssen Sie wissen."
Oktarina und Marcus tauschten kurz zwei verliebte Blicke aus, die der Wächter mit einem erfreuten Lächeln kommentierte.
"Freut mich für euch."
"Und danke auch noch mal, dass Sie mich aus der ganzen Sache rausgehauen haben, Inspäctor."
"Es lagen keine Beweise vor, außer die Aussagen von einigen verrückten Mördern."
Die Arzttochter lächelte Fred an und umarmte ihn heftigst.
"Vielen Dank, tapferes Schneiderlein."
Diesmal war es der Wächter der freudig Lachen musste.
"Keine Ursache", löste er die junge Dame vorsichtig und leicht verlegen von sich.
"Ich habe da etwas für dich."
Sie gab ihm ein kleines in Papier eingewickeltes Paket, das der Ermittler sofort öffnete.
Es enthielt eine Ikonographie von Marcus Schmitz und Oktarina Gutherr, wie sie Arm in Arm im Park der Schule standen und ein Buch das den Titel trug Die Fauna und Flora der Sto-Ebene von Turgor Oflo.
"Das Buch ist von mir", erläuterte der Zwerg.
"Ich danke euch."
"Du hast doch noch gar nicht gesehen, was ich hinten auf die Ikonographie draufgeschrieben habe, Inspäctor", meinte Oktarina.
In fein säuberlicher Schrift stand dort: Die Dunkelheit muss Licht nun weichen
Und Liebe
kann auf ewig reichen.
Damit du nie vergisst, dass auch ein Zyniker zwei Menschen glücklich machen kann.

Erneut zeigte sich ein Lächeln auf den Lippen Kolumbinis, als er sich tief verbeugte.
"Mach's gut, Oktarina, und pass gut auf dich auf. Sag deiner Familie liebe Grüße von mir und habe eine gute und sichere Reise. Und wenn ihr mal wieder in Ankh-Morpork seid, kommt mich doch bitte besuchen, ja? Zum Teetrinken. Ich gebe euch meine Adresse."
Er tat, wie gesagt und die junge Arzttochter umarmte ihn noch ein letztes Mal, bevor sie auch Bregs dankte und ihn umarmte, darauf ihren Freund bei der Hand nahm und zusammen mit ihm in die Kutsche stieg.
"Irgendwie glaube ich, dass sich die ganze Arbeit bei diesem Anblick wirklich gelohnt hat, was meinst du Araghast?"
"Ich meine, dass ich nicht gedacht hätte, dass du sentimental werden kannst."
"Manchmal tut es gut, wenn man den Zyniker in sich für kurze Zeit wegsperrt. Auf jeden Fall hat es mich gefreut, wieder mit dir zusammenarbeiten zu können."
"Dito."
Dann wandte sich Fred dem letzten Abreisenden zu.
"Vielen Dank für deine Hilfe, Oflo und auch für das Buch."
"Keine Ursache, Kolumbini. Ich muss dir danken, weil du mir die Augen geöffnet hast. Man sollte immer das tun, wozu man Lust hat und einen Beruf ergreifen, der einem Freude bereitet. Ich habe genug Geld angehäuft, um mir eine lange Forschungsreise zu finanzieren. Und wer weiß...wenn ich wiederkomme gibt es vielleicht schon eine Gilde der Naturhistoriker. Ich schreibe dir auf jeden Fall. Jetzt werde ich mein Leben genießen. Vielleicht entdecke ich sogar eine neue Tierart."
Der ehemalige Lehrer strahlte förmlich.
Fred und Bregs mussten sich bücken, als sie ihm nacheinander die Hand geben wollten. Stattdessen umarmte sie der Zwerg.
"Macht's gut, ihr beiden und pass gut auf euch auf. Möget ihr alle Fälle lösen, die ihr bearbeiten müsst."
"Auch dir alles Glück, was man jemandem wünschen kann, Oflo", sagten die beiden Wächter gleichzeitig.
Kolumbini ging in die Hocke und nahm die Hände des Biologieexperten in seine.
"Lebewohl, Oflo. Bis zu unserem nächsten Treffen."
Die Kutsche rollte in Richtung Stadt hinfort. Auf dem Kiesweg und schließlich auf einer Straße mit Richtung Sto Lat. Was die Zukunft bringen würde war so ungewiss, wie der nächste Gegenstand, gegen den man bei einer Wanderung im Dunkeln stoßen würde.
Und als die Kutsche zu einem immer kleineren Punkt wurde murmelte der Hauptgefreite Inspäctor "Fred" Kolumbini in seinen Drei-Tage-Bart: "Wann immer das auch sein mag."

[1]  Im Lord Winder Internat ging man der, von Seiten der Lehrer, allseits beliebten Tätigkeit nach, bösen Schülern mit einem Rohrstock auf die ausgebreiteten Hände zu schlagen.

[2]  Nun eigentlich bemerkte er, wie der Eselskarrenkonvoi seines Lebens langsam aber sicher auf die falsche Spur wechselte, aber der Vergleich mit dem Zug hört sich einfach dramatischer an.

[3]  Überall im Multiversum fragen sich Schüler, welche Aufgabe eigentlich der Leiter hat, da sämtliche öffentlichen Arbeiten eigentlich von seinem Stellvertreter erledigt werden.

[4] Die Holzdose hatte sie einem gewissen Kapitän Scrupper auf dem Hier-gibt's-alles-Platz abgekauft. Er nannte es Scrupper-Ware. Die Dose bestand aus einem Unterteil und einem Deckel, an dessen Seiten Rillen angebracht worden waren, um ein luftdichtes Verschließen zu ermöglichen. Natürlich hatte der Seemann Löcher in den Unterteil gebohrt, damit die Nahrung "auch Luft bekam", wie er es auszudrücken beliebte.

[5] Siehe den englischen Ergänzungsband zu GURPS Scheibenwelt, GURPS Discworld Also. (Anm. d. Autors)

[6]  Natürlich ging sie nicht wirklich ins Land, es ist eine einfache Redensart. Normalerweise sind Zeitabschnitte nicht unbedingt etwas, von dem man erwartet, dass sie sich Stock und Hut schnappen und eine lustige Wanderung beginnen.

[7]  Tja...Krähen sind auch Singvögel.

Zählt als Patch-Mission.



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