Der Rattenkäfig oder: Tote trinken keinen Tee

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von Wächter Kolumbini (GRUND)
Online seit 13. 10. 2002
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"Du triffst als erster Wächter an einem Tatort ein- was tust du?" Eine einfache Frage, die Kolumbini in der Praxis beantworten muss... nun vielleicht wäre sie einfacher, wenn er wüsste, dass er sie beantworten muss...

Dafür vergebene Note: 12

Ein Gewitter raste über Ankh-Morpork hinweg als Kommandeur Rince an seinem Schreibtisch saß, um den Berg von Papierkram, der vor ihm aufragte, wenigstens etwas zu verkleinern. Erst gestern hatte sich ein neuer Rekrut bei ihm gemeldet. Rince hatte ihm zurückgeschrieben, er solle heute bei ihm im Büro vorbeischauen, um seinen Raum im Wachhaus zu erhalten und den genauen Zeitpunkt des Beginns seiner Ausbildung zu erfahren. Es waren noch ca. 2 Minuten bis zur vereinbarten Uhrzeit.
Mmh, wie war noch mal der Name? Dachte Kommandeur Rince. Hatte irgend etwas mit Eiern zu tun, glaube ich.
Rince lauschte dem Gewitter und sah dann auf seine Taschenuhr.
Noch zehn Sekunden...7...5...3..2...uund. Jemand klopfte zaghaft an die Tür.
Auf die Sekunde genau? Ungewöhnlich.
"Herein!", sagte er.
Die Tür öffnete sich mit dem charakteristischem Quietschen, bevor eine kleine Gestalt mit zerzaustem Haar eintrat.
"Hallo, Herr!" sagte die Gestalt, nachdem sie zackig salutiert hatte.
Rince salutierte mit etwas weniger Enthusiasmus.
"Hallo! Du bist der neue Rekrut, äh, Inspäctor Kolumbini, nicht wahr?"
"Ja, Herr! Das ist gennuanisch und bedeutet ungefähr, "der, der finster ist", falls du dich wunderst Herr. Inspäctor ist in Gennua nur ein gewöhnlicher Vorname, so wie euer Fred."
"Nun gut! Deine Zimmernummer weißt du schon, wie mir erzählt wurde."
"Ja Herr! Ich habe eben gerade nachgefragt."
"Gut! Melde dich morgen früh um neun in der Kröselstraße, um deine Ausbildung zu beginnen. Abgetreten!" Rince salutierte und wandte sich wieder seinem eigenen Berg zu. Er überlegte bereits, nach wem er ihn benennen sollte. Selbst nach fünf Minuten hatte er noch kein Quietschen gehört und blickte deshalb auf. Kolumbini hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
"Gibt es noch ein Problem Rekrut?"
"Nun, Herr, wegen dem Zimmer im Wachhaus", sagte Kolumbini immer nervöser werdend.
"Ja?"
Kolumbini sprang von einem Bein auf das andere.
"Nun Herr. Die Sache ist. Wir bräuchten noch ein weiteres Bett, Herr."
"Wir?"

Inspäctor "Fred" Kolumbini blickte sich in seinem neuen Zuhause um, als er sich daran erinnerte, dass dieses Gespräch nun einen halben Tag zurücklag. Es hatte ihn gewundert, dass der Kommandeur so gelassen darauf reagiert hatte, dass Kolumbini nicht alleine in seinem Zimmer leben würde, zumal er es nur indirekt in seinem Schreiben an Rince erwähnt hatte. Sein Vater war ein Professor aus Überwald gewesen und seine Mutter kam aus Gennua. Als sie beide bei einem Laborunfall starben - der junge Fred war damals gerade mal 14- erbte der Spross das Schloss mit dem gesamten Besitz und dazu gehörte auch ein Igor. Igor zog Kolumbini von da an auf und lehrte ihm alles was seine Eltern ihm noch nicht beigebracht hatten. Als Fred seinen zwanzigsten Geburtstag feierte beschloss er, dass Schloss mit allen Ländereien an einen Vampir zu verkaufen und zog von da an durch die Sto Ebene um etwas von der weiten Welt zu sehen. Er verkaufte nicht den gesamten Besitz. Er erlaubte es Igor, in seinen Diensten zu bleiben und behielt einige Andenken an seine Eltern. Eines seiner wertvollsten Erbstücke war ein alter, abgenutzter Ledermantel, den ihm sein Vater zum 12. Geburtstag geschenkt hatte. Kolumbini fragte sich immer wieder, was es mit dem MANTEL, wie er ihn immer nannte, auf sich hatte. Seine Taschen schienen nie voll zu werden und immer war irgendwo noch etwas Platz. Außerdem nutzte er einen weiteren magischen Vorteil des MANTELS: sobald er eine Teekanne hineinlegte und das nächste mal nachsah, war sie mit tadellosem schwarzem Tee gefüllt, der herrlich duftete. Fred verstaute außerdem Teetassen, Milchpötte und einen kleinen Topf mit Honig in der selben Tasche was dazu führte, dass Leute ihn immer etwas schief ansahen, wenn er meinte, ob sie einen Tee haben wollten und vor ihnen ein kleiner Mensch mit einem Ledermantel stand, der weder eine Tasche noch einen kleinen Herd für das Wasser noch sonst irgend etwas, dass für eine Zubereitung geschweige denn eine Transportierung nötig gewesen wäre, bei sich zu tragen schien. Auch eine Pfeife, die er nie säubern musste, gehörte zu Kolumbinis ständigem Inventar. Er hatte Igor mehrmals gefragt, was es mit dem MANTEL auf sich hatte, wobei sein Diener nur geantwortet hatte:
"Er ift daf Ergebniff einef magischen Experimentf ihref Vaterf und mehr darf ich dazu nicht fagen."
Das machte Fred natürlich nur noch neugieriger und er löcherte Igor immer und immer wieder mit dieser Frage. Was Igor anging, so lässt sich kaum etwas über ihn sagen: Er war ein fast vollkommen typischer Igor, wenn er auch einen sehr sarkastischen Humor an den Tag legte und oftmals Ironie mit Loyalität verwechselte. Aber ansonsten war er durch und durch ein Igor. Er humpelte, hatte einen Buckel, lispelte und sah aus wie eine Puppe, [1] die jemand aus vielen anderen Puppen zusammengenäht hatte. Mit anderen Worten, wenn jemand gesagt hätte, Igor sei etwas vernarbt, so käme dies der Aussage gleich, dass es in der Mitte etwas frisch wäre. Aber zurück zu Kolumbinis Geschichte: Nachdem er eine kurze Karriere als Schneider in Sto Lat durchlaufen hatte, beschloss Fred, sich auf den Weg nach Ankh-Morpork zu machen, um den Beruf zu ergreifen, den schon seine Mutter erlernt hatte...
Jetzt saß er zusammen mit Igor an seinem Tisch und versuchte sich die Gesetze und Verordnungen der Städte Ankh und Morpork einzuprägen. Er lebte seit nunmehr einem Jahr in Ankh-Mopork, weshalb er wenigstens das Gildensystem nicht mehr lernen musste.
"Alfo Herr," begann Igor. "Wenn du beobachteft, wie ein Bürger/ eine Bürgerin von einem nicht in der Gilde organifierten Dieb überfallen wird, waf tuft du dann?"
"Mmh." Kolumbini klopfte sich auf sein Glasauge, was er immer tat, wenn er aufgeregt war oder gründlich nachdenken musste. Die Sache mit dem Glasauge war eine der vielen merkwürdigen Eigenarten von Kolumbini. Er hatte sein linkes Auge vor einigen Jahren bei einem Unfall verloren, in den eine Fliegenklatsche verwickelt war. Sein Igor ersetzte es durch ein Glasauge und leistete dabei so gute Arbeit, dass man nicht feststellen konnte, dass Freds linkes Auge kein richtiges Auge war. Aber eben nur bis Kolumbini sich auf dasselbe klopfte, um sich zu konzentrieren, was bei manchen Leuten entweder Erstaunen oder puren Ekel hervorrief.
"Ich warte, bis er ihn/ sie ausgeraubt hat, folge ihm zu seinem Versteck und melde es der zuständigen Abteilung, natürlich solange ich noch in der Ausbildung bin." Sagte er schließlich.
"Faft, Herr."
"Bitte was ist denn die Antwort?"
"Hier fteht, daff man ihm die verdammte Kniefeibe abflagen foll, bevor er feine Tat vollenden kann."
"Zeig mal her." Igor reichte ihm das Buch.
"Tatsächlich." Er blickte auf das Deckblatt. "Igor du hast das falsche Buch. Dies hier heißt "Die Regeln und Verordnungen der Diebesgilde - Band 2 für unsere vertikal benachteiligten Mitstreiter". Sehe ich etwa aus wie ein zu groß geratener Zwergendieb, Igor?" sagte Kolumbini und bemerkte zu spät, dass er nur 1,50 groß war und gerade einen Wutausbruch hatte.
"Schon gut, ich weiß schon, was du antworten willst. Hol bitte das richtige Buch und dann beginnen wir noch einmal von vorne, ja?" sagte Kolumbini.
"In Ordnung, Herr." Sagte Igor und schlurfte los.
"Ach, und Igor?" fügte Kolumbini hinzu.
"Ja, Herr?", fragte Igor in der Tür stoppend.
"Würdest du bitte mit diesem bescheuerten Grinsen aufhören?"

Am nächsten Tag meldete sich Kolumbini wieder auf die Sekunde genau im Wachhaus an der Kröselstraße. Rince war noch etwas müde, weil er gestern Abend noch mit "Mount tedious form-filling" gekämpft hatte. Jetzt musterte er seinen neuen Rekruten das erste mal genau. Kolumbini war ungefähr 1,50 Meter groß [2], hatte dunkelblondes wuschliges Haar und grün/braune Augen. Außer seinem ihm mindestens zwei Nummern zu großem abgewetztem Ledermantel trug er ein weißes Hemd kombiniert mit einer schwarzen Krawatte aus alter Seide und einer schwarzen Hose, die schon wesentlich bessere Tage gesehen haben musste.
Er wäre der perfekte Undercoveragent, dachte Rince. Bei so einem Aussehen denkt NIEMAND an einen Vertreter des Gesetzes.
Was Kolumbinis Gesicht anging, so wies es die für einige Gennuaner typischen Merkmale auf. Er hatte eine spitze Nase, die in einem leicht gerundeten Gesicht, das durch einige Lachfalten etwas wie eine zusammengefallene Pastete aussah, saß. Durch seinen Dreitagebart, den er trug, sah er eher wie ein Mitglied der Bettlergilde aus, als wie ein Wächter. Rince konnte es sich nicht erklären, aber irgendwie glaubte er, dass Kolumbini einen glasigen Blick hatte.
"Also gut Rekrut. Hast du dir schon deine Ausrüstung geholt?", fragte er.
"Ja, Herr! Aber ich trage nicht gerne Rüstungen, Herr!", antwortete der Rekrut.
Rince blickte auf seine Uhr. Es war nun bereits 10:00 Uhr durch. Er hatte Kolumbini eingeschworen und dann zur Waffen- und Rüstungsausgabe geschickt.
"Und deine Waffen?"
"Ich habe einen Schlagstock erhalten und erbat noch eine Armbrust."
"Gut. Melde dich irgendwann diese Woche beim Übungsplatz, ja? Hast du eigentlich schon eine Idee, in welche Abteilung du nach deiner Ausbildung möchtest?"
"Nun, Herr. Ich interessiere mich sehr für Mord."
"Mord?"
"Ja, Herr, es liegt sozusagen in der Familie."
"Mütter- oder väterlicherseits?"
"Nun in, äh... beiden Teilen, Herr. Aber es war aus rein beruflichen Gründen, dass versichere ich dir. Meine Mutter war in der Mordabteilung der gennuanischen Wache. In der Comission de Muorte.", antwortete der Rekrut.
"Und dein Vater?". Der Kommandeur sprach diese Frage in einem Tonfall aus, den er normalerweise für Fragen wie "Wo waren sie am Tag x um y Uhr?" verwendete.
"Äh, nun Herr. Er hatte ein großes Schloss auf einem dunklen Hügel in Überwald. Und du weißt ja, dass mein Diener ein Igor ist."
Rince hatte ein Gespür dafür, wenn Leuten ein Thema unangenehm war, aber beschloss doch einmal etwas genauer nachzufragen.
"Der Beruf deines Vaters. Er hatte etwas mit Blitzen zu tun, oder?"
Fred Kolumbini zuckte unwillkürlich zusammen und sagte: "Mnhh!", bevor er sich wieder fasste.
"J- j- ja Herr. Wenn du das Wort Bl- l i-, das Wort, dass elektrische Entladungen bei Gewittern bezeichnet, in meiner Gegenwart nicht erwähnen würdest, wäre ich dir sehr dankbar. Meine Eltern...sie...nun ich spreche nicht gerne darüber.", stotterte er.
"Nun gut. Die Frage, warum du Wächter werden willst, hast du ja schon in deinem Schreiben beantwortet. Du hast geschrieben, du würdest gerne Wächter werden, weil dir das Talent des Kriminologenverstands mit in die Wiege gelegt wurde." Sagte der Kommandeur nach einer kurzen Pause.
"Ja, Herr. Meine Mutter hat ihre alten Verbrechensberichte in meinem Kinderbett aufbewahrt.", antwortete der Rekrut, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
"Ein guter Witz, Kolumbini. Endlich mal ein Wächter mit Humor."
"Witz, Herr? Das war mein Ernst. Ich hatte eine sehr harte Matratze. Ich habe Humor, Herr. Ich mache auch Scherze. Aber nicht bei offiziellen und formellen Anlässen."
"Du hast deinen Igor als Assistenten eingetragen. Meinst du etwa, er soll dir zur Hand gehen?"
"Nun, Herr, das habe ich in Erwähnung gezogen. Er ist wirklich ein brillanter äh Mensch, wenn auch etwas exzentrisch. Und du weißt ja, drei Augen sehen mehr als eins."
Rince bemerkte den Fehler in dem Satz nicht. Er war zu müde, um es zu wahrzunehmen.
"Ich notiere es mir. Wo hast du eigentlich deine Waffen hin?"
Kolumbini kramte in seinen Manteltaschen und murmelte etwas wie: "Mmmh. Wo habe ich sie nur hin? Eben hatte ich sie doch noch." Bis er schließlich sagte: "Ah da sind sie ja."
Er holte aus einer 20 cm großen Manteltasche die Armbrust und den Schlagstock hervor. Für kurze Zeit glaubte Rince, auch einen Köcher mit Bolzen in der gleichen Tasche zu sehen.
"Du bist ein Zauberer?", fragte Rince überrascht.
"Äh nein, Herr. Das liegt an meinem MANTEL. Hast du schon einmal etwas von intelligentem Birnbaumholz gehört?"
"Das ist eine sehr magische Pflanze, deren Hauptvorkommen im Achatenen Reich ist, nicht wahr?
"Ja, Herr. Der MANTEL hat ähnliche Eigenschaften. Mein Vater hat ihn mir geschenkt."
Der Kommandeur nickte langsam und blickte dabei auf die Taschen des MANTELS. Obwohl sie vollkommen flach waren, schien in ihrem Inneren ein eigenes Universum Platz zu haben.
Wenn ein Zauberer diesen Mantel sähe, dachte Rince, so würde er sich sicher verlieben. Dann ging er diesen Gedanken noch mal durch und berichtigte sich. Oder er würde vermutlich eher schreiend davonrennen, um nicht in die Taschen zu geraten.
Kolumbini beunruhigte Rince immer mehr.
Na gut, mal sehen, was er weiß.
"Wie verhältst du dich, wenn du Tresendienst hast, Rekrut?", fragte er.
In einem komplizierten Bewegungsmuster hob Fred die Hand zum Gesicht. Sein Zeigefinger hob sich über das linke Auge. Der Kommandeur war förmlich erstarrt.
Was macht der Kerl da?, fragte er sich.
Der Finger senkte sich wie in Zeitlupe. Die Augen des Kommandeurs gingen automatisch zu, um einen Schock zu vermeiden, der durch das Beobachten eines Irren, der sich das Auge aufklopfte, ausgelöst werden konnte. Doch das erwartete Quetschen blieb aus. Stattdessen ertönte ein mehrmaliges gläsernes Pling, bevor der Rekrut antwortete:
"Ich bleibe hinter dem Tresen und nehme Anzeigen entgegen, Herr. Ich rühre mich nicht von der Stelle, schreibe zu den einzelnen Anzeigen meinen Bericht und leite ihn an die entsprechende Abteilung weiter."
"E-e-e-xakt. Du hast ein Glasauge?"
"Ja, Herr. Seit einigen Jahren."
"Gut. Bereite dich schon mal auf Freitag vor, denn da wirst du zusammen mit deinem Igor und mir auf Patrouille gehen. Damit wird sich auch deine Ausbildung in dieser Woche beschäftigen."
Das wird eine lange Woche, dachte Rince.

Na, das war vielleicht eine kurze Woche, dachte Kolumbini am Tag vor seiner ersten Patrouille. Für ihn war die Zeit wie im Fluge vergangen. Als erstes hatte er sich im Waffenübungszentrum gemeldet. Kolumbini hatte sich nach einigen Anfangsschwierigkeiten [3] als recht geschickt mit der Armbrust erwiesen und auch mit dem Schlagstock konnte er einigermaßen gut umgehen. Aber trotzdem war er einfach niemand, der mit gezücktem Breitschwert (oder geladener Armbrust) in ein Haus stürmte, um jemanden SEHR unglücklich zu machen. Fred hatte eine nicht von der Hand zu weisende Beobachtungsgabe und außerdem konnte er oft aus dem Verhalten von Personen Schlüsse ziehen. Als ihm der Kommandeur von dem Patrouillengang erzählte, wusste er sofort, dass es sich dabei um den ersten großen Test handelte und er deswegen sehr vorsichtig und aufmerksam sein musste.
Er hatte so ein seltsames Glitzern in den Augen, als ich ihm davon erzählt habe, dass ich gerne in die Mordabteilung gehen würde, erinnerte sich Kolumbini.
Das weitere Wochentraining für ihn bestand aus einem Lehrgang, wie man richtig schlenderte, einem Übungsgang mit einem weiteren Rekruten und dem Kommandeur und sein Ausbilder hatte Kolumbini angewiesen, sich etwas näher über das Verhalten bei Patrouille zu informieren. Morgen rückte immer näher.
Fred dachte über die alten Zeiten nach.
"Igor?", sagte er nach einiger Zeit. Sein Diener materialisierte in einigen Millisekunden.
"Ja, Herr?", fragte Igor.
"Vermisst du manchmal die alte Heimat, Igor? Das Schloss meine ich." Kolumbini trat ans Fenster, er hatte ein Zimmer mit Blick über die Stadt erwischt. Leider regnete es stark und so konnte er nichts erkennen. Er seufzte leise.
"Nun, Herr. Manchmal ja. Aber immerhin find wir nie alleine. Ich bin froh weiterhin in deinen Dienften zu fein, Herr."
Die darauf folgende Stille wurde von dem Prasseln des Regens auf dem Kopfsteinpflaster untermalt. Schließlich unterbrach Igor den Regen und füllte den Raum wieder mit Worten. Er machte sich Sorgen um seinen Herrn.
"Ift allef mit dir in Ordnung, Herr?", fragte er.
" Was? Oh ja, ja. Es ist nur...weißt du, manchmal frage ich mich, was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich das Schloss nicht verkauft hätte. Manchmal überlege ich, ob es das Richtige war, was ich getan habe."
"Herr, fieh dich doch um. Wenn du daf Schloff nicht verkauft hätteft, fo würdeft du jetzt ficher verrückt Kichern und die Leute terorifieren. Hier haft du hingegen die Möglichkeit, die Welt zu einem etwaf fichereren Ort zu machen. Ef ift deine Entscheidung, waf du für löblicher hältft. Für unf Igorf, nun wenn man unf fragen würde, ob wir lieber Verbrecher jagen würden oder aber in einem Labor mit Tischen Klammern und Blitzen zu hantieren, fo werden die meiften nicht lange überlegen. Obwohl ich der Meinung bin, daff man beide Fachen miteinander verbinden könnte."
"Ach Igor, weißt du was? Ich bin froh, dass du bei mir bist und mir als eine Erinnerung an die alte Heimat erhalten bleibst. Ich glaube kaum, dass wir sie jemals wiedersehen werden."
"Man weif nie, Herr. Man weif nie."
Kolumbini klopfte Igor kameradschaftlich auf die Schulter, bevor sie zu Bett gingen. Draußen prasselte der Regen weiterhin auf das Kopfsteinpflaster und bildete große Pfützen in den Straßen. Erst wenn es ein permanentes Hintergrundgeräusch gibt, kann WIRKLICHE Stille eintreten. [4]
Und in dieser Stille hastete eine gegen den Regen abgeschirmte Gestalt von einem Haus zum anderen. Sie hatte es eilig, denn sie musste noch einen Mord vorbereiten.

Am nächsten Tag hatte es zwar aufgehört zu regnen, aber trotzdem glichen die Straßen von Ankh-Morpork mehr einer Seenlandschaft oder einem Moor, als den Adern einer geschäftigen Metropole. Dicker Herbstnebel hielt die Stadt nun im Griff. Der Wind pfiff durch die Schluchten zwischen den Häusern. Bei solch einem Wetter wollten selbst die Ankh-Morporkianer nicht gerne vor die Tür, weshalb es, für Ankh-Morpork, sehr still war. In der Nähe der Kröselstraße konnte ein aufmerksamer Zuhörer ein leises Gespräch hören.
"Herr, du weift, daff ef verdammt kalt ift, oder? Bei fo einem Wetter auf Patrouille gehen. Dein Herr Kommandeur hat einen ganz schönen Fprung in der Schüffel, wenn du mich fragft.", sagte eine dumpfe Stimme.
"Igor sei still. Der Herr Kommandeur ist ein lobenswerter Mensch.", sagte die etwas hellere Stimme. Wenn der Nebel nicht gewesen wäre, hätte der imaginäre Beobachter sehen können, wie sich eine kleine Gestalt zu einer buckligen Gestalt beugte, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern.
"Du meinft alfo, daff dief allef nur ein Teft ift und wir die ganze Zeit beobachtet werden?", flüsterte Igor seinem Herrn zu.
Kolumbini nickte, erinnerte sich an den dicken Nebel und flüsterte: "Ja. Außerdem ist der Kommandeur ja nur mal kurz weggegangen, um sich einen Kaffee zu holen. Er könnte jeden Augenblick zurückkommen und ich will mir nicht gleich Minuspunkte bei ihm einsammeln."
Stille schloss sich an, nur von einem gelegentlichen, kurzen Schrei unterbrochen, der darauf hindeutete, dass zumindest einige Bürger auf den Straßen waren und wesentlich mehr Verbrecher. Die restlichen Geräusche von Marktschreiern und Verkäufern wurden vom Nebel verschluckt. Sie kamen noch einige Meter weit, bis er sie von hinten ansprang und genüsslich verspeiste.
Kolumbini und Igor hatten von Rince den Auftrag erhalten, schon mal etwas weiter zu gehen.
"Ich hole euch schon noch ein. Und wenn irgend ein Verbrechen anliegt, dann wartet auf mich ja?" hatte er ihnen gesagt, bevor er ging um sich einen kleinen Wachmacher zu holen.
Jetzt schlenderten bzw. humpelten sie durch die Straßen. Beide hatten die Ohren gespitzt und lauschten aufmerksam jedem verdächtigen Geräusch. Plötzlich blieb Kolumbini stehen und wies seinen Diener an, das gleiche zu tun. Sie vernahmen ein leises Wimmern und gedämpfte Hilferufe, die von jemandem, der ganz in der Nähe zu verweilen schien, erzeugt wurden. Plötzlich teilte sich der Nebel und enthüllte die Ursache der Geräusche. Eine schluchzende Gestalt stand direkt vor den Patrouillierenden. Der Mensch [5]
trug einen Kapuzenumhang aus schwarzer Baumwolle und tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht, das unter der Kapuze verborgen blieb.
"B-bitte helfen sie mir!" brachte die Gestalt heraus. Sie musste weiblichen Geschlechts sein, da kaum ein Mann so heulen kann.
"Was gibt es denn, gnä Frau?", fragte Kolumbini.
"S-sie müssen die Wache rufen. M-m-mein M-mann wurde ermordet!", stotterte die Frau.
"Meine gute Frau, da haben fie ja Glück. Mein Herr befindet fich gerade in der Aufbildung zum Wächter. Wir...". Igor empfing einen sanften Stoß in die Magengegend.
"Wir sind erst in der Ausbildung, gnä Frau und das bedeutet, dass ich meinem Ausbilder Bescheid geben muss und der holt sich gerade einen Kaffee und vermutlich noch einen Imbiss.", beendete Fred den Satz. Er sprach es so aus, als würde er aus einem Regelbuch zitieren.
"A-aber bitte! H-haben sie doch ein Herz, Herr...!" Der Tonfall der Frau hätte selbst den Patrizier dazu veranlasst, einmal die Regeln zu ignorieren und Gnade walten zu lassen.
"Kolumbini, gnä Frau! Na gut. Igor? Du bleibst hier und wartest auf den Kommandeur, ja? Kommt dann nach, wenn er da ist!"
"In Ordnung, Herr. Aber wo follen wir denn hinkommen?"
"I-in die Ankertaugasse 24, Herr. D-dort ist nämlich meine Wohnung."
"Also gut. Igor, ich werde mit Frau, äh, wie war noch mal ihr Name?"
"Maiher. Gärlinde Maiher."
"Ich werde mit Frau Meier..."
"Nein nicht Meier. Maiher."
"Also gut, mit Frau Maiher zu dem Tatort gehen und du wartest hier auf Rince und sagst ihm dann Bescheid, ja?"
"Fehr wohl, Herr."
"D-das ist s-sehr nett, Herr, ach wie war noch gleich ihr Name, ich habe ihn vergessen."
"Kolumbini, gnä Frau."
Die Lippen von Frau Maiher bewegten sich lautlos, als sie den Namen in Gedanken wiederholte und tiefe Furchen bildeten sich auf ihrer Stirn, als sie versuchte, diesen Namen irgendwo einzuordnen.
"K-kolumbini.", sagte sie, "mmmh, das hat nichts mit Eiern zu tun, oder?"

Eine gute Viertelstunde und ein langweiliges Gespräch voller Gestotter später trafen Frau Maiher und Fred Kolumbini in der Ankertaugasse 24 ein. Das erste, was Kolumbini bemerkte als er den Raum betrat, waren die extrem vielen Blutspuren, die in eines der drei Zimmer führten. Auf dem Boden dieses Zimmer lag ein Mann im mittleren Alter in einer Blutlache. Wenn ihn der Messerstich ins Herz nicht getötet hätte, so wäre dieser Zustand sicherlich von den anderen 10 oder 11 herbeigeführt worden. Wenn die Angaben von Frau Maiher stimmten, so war ihr Mann bereits seit über einer Stunde tot. Das war aber eigentlich auch das einzige, was sie ihm bisher erzählt hatte. Die Wohnung war stark verwüstet. Ein Bücherregal war umgeschmissen worden und jemand hatte es auch für seine Pflicht gehalten, eine Vase auf dem Boden zu zerschmettern. Der Raum war ungefähr 30 Meter im Quadrat groß, schätzte Fred. Er sah sich etwas genauer um.
"N-normalerweise sieht es hier nicht so aus. Ich halte sonst einen s-sehr ordentlichem Haushalt", stotterte Frau Maiher. Sie stand offenbar noch immer unter Schock und sagte dies im Tonfall einer gewissenhaften Hausfrau, die nicht wollte, dass man irgendwelche Gerüchte in der Stadt über sie verbreitete.
"Ach wirklich?", fragte der Rekrut sie etwas geistesabwesend.
Das einzige, was noch im Raum stand, war ein größerer Schrank. Irgendwie fröstelte es ihn genau in diesem Moment.
"Ist dort oben ein Fenster, gnä Frau?"
"J-ja. S-soll ich ihnen einen Stuhl holen?"
"Ja gerne."
Sie ging aus dem Raum.
"Also, wenn das hier kein Test ist, fresse ich einen Besen", dachte Kolumbini. Diese Tarnung durchschaut doch jeder Idiot.
Frau Maiher kam mit einem Stuhl zurück, durch den Fred gerade so auf den Schrank sehen konnte. Auf dem Schrank lag eine extrem dicke Staubschicht und ein kleines Bullauge, das an dem kleinen Teil der Wand war, der noch zwischen dem Schrank und der Zimmerdecke frei war, stand sperrangelweit offen. Im Staub zeigten sich keinerlei Spuren, die darauf hingedeutet hätten, dass der Mörder auf diesem Weg gekommen war. Kolumbini klopfte sich auf sein Glasauge.
"H-haben sie etwas gefunden, Herr?"
"Nein, gnä Frau," antwortete Fred etwas nachdenklich und musterte Frau Maiher vom Stuhl aus genau.
Sie mochte vielleicht die vierzig gerade hinter sich haben, hatte aber dennoch einen gekrümmten Rücken und leicht angegrautes Haar, was auf eine häufige körperliche Aktivität hinwies.
Kolumbini holte seine Pfeife aus seinem Mantel.
"Stört es sie, wenn ich rauche, gnä Frau?"
"I-ich vertrage keinen R-rauch. I-ich w-wäre ihnen sehr dankbar, wenn sie darauf verzichten könnten."
"Nun gut. Haben sie auch etwas gegen Tee?"
"Oh nein. Ich gehe schnell und setze ein Kännchen auf, wenn sie sich dann besser fühlen."
"Nicht nötig. Moment...wo waren sie noch? Ach da!"
Er holte zwei Tassen aus der Innentasche des Mantels, ignorierte die erstaunten Blicke der Frau und nahm weiterhin einen Milchpott, einen kleinen Topf auf dem "Honig" geschrieben stand und eine Teekanne, die herrlich nach schwarzem Tee duftete, aus derselben Tasche heraus bevor er fragte:
"Mit Milch oder mit Honig?"
"Äh m-mit M-milch, bitte."
Kolumbini goss bis Frau Maiher "S-stopp!" sagte.
Sie probierte den Tee. Er schmeckte hervorragend.
"E-e-er ist sehr gut!"
"Also Frau Maiher. Eigentlich bin ich ja noch Rekrut und dürfte mich mit solchen richtigen Fällen noch gar nicht befassen, aber es steht ohnehin eine Tatortbesichtigung auf dem Ausbildungsplan und ich denke, wenn ich einfach nur den Bericht schreibe und ihn dann an die Kollegen von R.U.M. weiterleite, kann mir diese Übung auch sicher helfen."
"Ü-übung? M-mein Mann liegt dort tot auf dem Boden!", kreischte die Frau hysterisch.
"Ganz ruhig gnä Frau! Es ist mir nur so rausgerutscht!"
"Ach und sie meinen, dass sie ja den Fall dann auch abschließen können, denn das Messer ist dem Mörder ja vermutlich auch nur aus der Hand rausgerutscht?!", sie hörte einmal auf zu stottern.
"Das habe ich nie behauptet! Beruhigen sie sich erst einmal. Trinken sie ein Schlückchen Tee, dass hilft mir immer beim Beruhigen."
"Deinen Tee kannst du dir dort hinschieben, wo die Sonne nicht scheint, Herr Kolumbini!"
"BERUHIGEN SIE SICH GEFÄLLIGST!", schrie Fred aus vollem Hals. Es war nicht sehr eindrucksvoll, wenn er schrie, aber bei einem nervlichen Wrack wie Frau Maiher erzielte es die gewünschte Wirkung. Die Frau zitterte und gab keinen Ton mehr von sich, bis sie sagte:
"E-entschuldigen sie. M-meine Nerven sind wohl mit mir durchgegangen."
"Nun gut, fangen wir an. Gehen wir systematisch vor und genau nach den Regeln, dann ist es für meine Kollegen sicher einfacher, den Fall zu bearbeiten und der Mörder ihres Mannes wird schneller gefunden", sagte der frisch gebackene Wächter. "Also wann haben sie ihren Mann zum letzten mal gesehen?"
"I-ich bin heute Morgen um 7:00 Uhr noch zu Herrn Manni Richters Gemischtwarenladen gegangen, um die Einkäufe zu erledigen. Daheim musste ich noch die typischen Hausarbeiten machen", sagte sie etwas beruhigter und fügte in einem bitteren Tonfall, der ganz und gar nicht zu einer gewissenhaften Hausfrau passte, "wie jeden Tag. Und deshalb beeilte ich mich nicht sehr und machte noch einen kleinen Spaziergang, bis ich hier so gegen halb zehn eintraf."
Kolumbini zückte seinen Notizblock und schrieb das auf.
"Und Herr Richter kann ihre Anwesenheit bestätigen?"
"J-ja!"
"Nun gut, wir haben nun 10:00 Uhr. Das Blut ist noch nicht geronnen, also können wir mit Sicherheit sagen, dass ihr Mann heute ermordet wurde. Die genaue Uhrzeit, nun ich kenne mich damit nicht so aus. Nie ist Igor da, wenn man ihn mal wirklich braucht. Geben sie mir erst einmal ihre Personalien und auch die ihres Mannes. Danach können wir richtig loslegen."
"M-mein N-name ist Gärlinde Maiher und mein M-mann heißt Härbärt. Wir w-wohnen hier in der Ankertaugasse 24 seit n-nunmehr 25 J-jahren. Mein Mann besitzt ein Geschäft für Dolche in der Fleißigen Straße 7. M-mit den eigenen Waffen umgebracht. W-welch eine Ironie."
"Ja allerdings. Nun von meiner Mutter habe ich gelernt, dass jeder Mörder einen gewaltigen Sprung in der Schüssel hat. Jedenfalls fast jeder. Also, sie waren heute morgen die ganze Zeit über außer Haus? Und sie haben für die gesamte Zeit ein Alibi und regen sie sich nicht auf, laut dem Handbuch MUSS ich diese Fragen stellen?"
"J-ja, ich w-war den ganzen Morgen unterwegs. Z-zuerst tätigte ich die Einkäufe und dann ging ich noch ein w-wenig im Hide Park spazieren. Allerdings war außer mir niemand da, bis auf einige Bettler, die wohl im Park übernachtet haben."
Fred schrieb etwas auf seinen Notizblock. Nur er und Igor konnten diese Schrift lesen. Er hatte sich eine so grässliche Handschrift zugelegt, dass sie inzwischen mit einer Geheimsprache gleichzusetzen war, da nur Igor im Lesen dieser Zeichen geschult war. [6]

"Wissen sie etwas darüber, dass ihr Mann irgendwelche Feinde gehabt haben könnte?"
"W-wie kommen sie darauf? E-er war immer sehr nett zu allen. Nun zu fast allen. Er mochte seine Arbeit nicht und machte Daheim auch keinen Hehl daraus."
"Nun, Frau Maiher, ich komme darauf, weil ihr Mann mit elf Messerstichen, von denen mindestens drei tödlich waren, auf dem Boden liegt. Wer so oft auf einen Menschen einsticht, muss eine extreme Wut auf die entsprechende Person haben. Das Werk eines Assassinen ist es also auf keinen Fall. Es liegt ja auch keine Nachricht vor, oder?"
"N-nein. A-aber wer glauben sie, könnte denn so eine Wut auf meinen Mann g-gehabt haben, dass er ihn so zurichtet?"
"Das herauszufinden wird die Aufgabe meiner Kollegen in R.U.M. sein. So was habe ich denn nun? Tatort? Ja. Tatzeit? Ja. Tatwaffe? Nein. Haben sie sie gefunden?"
"N-nein. Ich habe ihnen doch g-gesagt, dass ich ihn g-genau so gefunden habe."
Jetzt wird die Sache wirklich zu offensichtlich. Und ich dachte, dass in der Wache Herausforderungen warten.
"Ihre Personalien habe ich auch. Ihr Alibi muss noch überprüft werden und Tatverdächtige gibt es sonst keine mehr. Oder?"
"M-mir würde sonst n-niemand einfallen. V-vielleicht sollten sie mal seinen Freund Glodbert fragen. Er ist ein Zwerg und wohnt direkt neben dem Geschäft meines Mannes. Er ist der einzige Freund von uns. V-vielleicht weiß er mehr darüber, ob mein Mann Feinde hatte."
Das wird sicher nicht nötig sein. Wenn das ein echter Mord wäre, hätte ich sie schon längst mitgenommen, aber ich muss noch auf den Kommandeur warten. Wo bleibt Igor überhaupt?

"Wie meinst du das "Ein Mord ift geschehen"?", fragte Rince, als er mit einem dampfenden Kaffeebecher in der Hand auf den Ort zuschritt, wo er die zwei neuen Rekruten vermutet hatte. Zu seiner Überraschung war nur Igor dort aufzufinden.
"Alf wir langfam weitergingen, kam eine Geftalt auf unf zu und bat unf um Hilfe, da ihr Mann umgebracht worden fei. Ich blieb hier, um ihnen bescheid zu fagen. Mein Dienftherr ift schon mit der Frau mitgegangen, um fich den Tatort genauer anzufehen. Wir follten unf ein wenig beeilen, ich warte schon eine ganze Weile auf fie, Herr.
"Er weis doch, dass er noch keine richtigen Fälle annehmen darf."
"Ja, Herr. Aber die Frau schien fehr hyfterisch zu fein und wir wollten keine weiteren Todeffälle rifkieren. Laffen fie unf nun gehen. Die Frau wohnt in der Ankertaugaffe 24."
"Wenigstens hat er daran gedacht, dich hier zu lassen. Wir sollten uns ein wenig beeilen. Wer weiß, was Kolumbini anstellt."
"Daf ift ef, waf ich die ganze Zeit über betone, Herr."
"Was? Oh, ja. Stimmt. Also los. Bewegung."
Der Herr hatte doch Recht. Ef ift wirklich ein verdammter Teft.

Kolumbini schloss sein Notizbuch.
"So jetzt dürften wir alles haben," sagte er.
"M-meinen sie?", brachte Frau Maiher hervor.
"Ja, und ich glaube, dass ich auch draußen auf den Kommandeur und Igor warten kann."
Er machte Anstalten zu gehen und als er gerade in den Flur schritt, klopfte er sich an seine Stirn und sagte:
"Ach noch eine Frage, Herr!"
"Was? Meinen sie nicht, gnä Frau?"
"Mmh? Ach ja. Warten sie, ich muss mir noch einmal etwas an ihrem Mann angucken. Darf ich?"
"J-ja," sagte Frau Maiher. Die Sache mit dem "Herr" schien sie sichtlich verunsichert zu haben.
Kolumbini beugte sich über die Leiche des ehemaligen Dolchhändlers.
Genau in diesem Moment klopfte jemand an die Tür, öffnete sie und Rince trat in den Flur, dicht gefolgt von Igor.
"W-wer sind sie?"
"Ich bin Kommandeur Rince von der Stadtwache", antwortete das Oberhaupt der Wache sofort. "Ich bin wegen des Mordes gekommen."
"I-ihr Herr Kolumbini hat bereits Informationen gesammelt."
"Na bitte, ein pflichtbewusster Wächter. Den Weg zur Leiche brauchen sie mir nicht zu zeigen, bei dem ganzen Blut hier ist es wirklich nicht schwer, den Weg zu finden."
Rince schritt an der Blutspur entlang und sah dann, wie sich sein neuester Rekrut über eine Leiche mit mindestens zehn Messerstichen beugte.
"Was machst du da?", fragte er ihn.
"Oh, Herr. Gut, dass du da bist. Dieser Fall hier ist nicht wirklich schwer, weißt du. Die Kollegen von R.U.M. werden ihn dann in einigen Stunden sicher gelöst haben", antwortete Kolumbini in einem Atemzug.
"Stunden?"
"Ftunden?"
"S-stunden?"
"Ja Stunden. Vielleicht müssen sie ihn auch gar nicht mehr bearbeiten. Vielleicht sollte ich es mal erklären... Ich habe den Mörder bereits gefunden."
"Na gut, sag ihn mir und wir werden ihn in Gewahrsam nehmen bis wir deine Aussage überprüft haben. Also wer ist denn deiner Meinung nach der Mörder?"
"Niemand."
"Niemand?"
"Niemand, Herr?"
"N-niemand?"
Kolumbini richtete sich wieder auf, dachte allerdings nicht daran, dass er noch eine Tasse mit ziemlich heißem Tee in der Hand hielt. Die braune Flüssigkeit floss dem Boden entgegen. Leider war zwischen dem Boden und dem Tee auch noch eine Leiche. Und wenn die Person weiblichen Geschlechts gewesen wäre, so hätte der doch SEHR heiße Tee auch eine recht unempfindliche Stelle getroffen, aber es ist eben nicht immer alles so wie man es sich wünscht.

"Nimm es ihm nicht übel", sagte Rince einige Stunden später zu einem doch recht wütenden Schauspieler des Theaters Scheibe.
"Nicht übel nehmen? Der verdammte Bastard wusste es."
"Es war ein Versehen, dass hat er mir versichert. Ich werde aber trotzdem noch mal ein Wörtchen mit ihm reden."
"Na, das will ich aber auch mal hoffen. Wir helfen gerne einmal. Vor allem, wenn wir dabei für unser kommendes Theaterstück üben können. "Der Rattenkäfig" wie du weißt."
"Ich hätte ja Wächter genommen, aber niemand kann hier so gut einen Toten mimen wie du. Nun außer vielleicht unseren Zombies, aber er hätte die Nähte mit Sicherheit bemerkt. Ich werde mit Kolumbini noch mal ein Wort reden. Er sollte eigentlich schon vor der Tür sein."
"Ich meine, es ist ja schön und gut der Wache zu helfen - ihr beschützt uns ja immerhin - aber niemand hat mir gesagt, dass ich besser dicke Unterwäsche tragen sollte, wenn ich das tue."
"Also gut, du kannst dann gehen. Danke nochmals für deine Hilfe."
Der Schauspieler verließ in einer merkwürdigen Gangart das Büro des Kommandeurs. Draußen warteten schon Kolumbini und Igor, die beide finstere Blicke ernteten, bevor sie in das Büro gerufen wurden.
"Es tut mir Leid, Herr. Es war ein Versehen", sagte Fred und brach damit die Stille, die sich eingestellt hatte.
"Ja, ja. Das glaube ich dir. Ich glaube kaum, dass du einem Mann aus Absicht so etwas antust. Wann hast du bemerkt, dass es sich um einen Test handelt?"
"Nun, Herr ich dachte es von Anfang an, aber wirklich sicher war ich mir erst nach meinem eintreten in das Haus."
"Was? Sofort?"
"Nun nicht sofort. Es ist mir erst später klargeworden, dass kein Mörder egal wie dumm er ist, sich so offensichtlich belastet."
"Offensichtlich? Jetzt erkläre mir das mal alles haargenau."
"Gut, Herr. Mein erster Verdacht regte sich in mir, als ich einen Blick auf die Leiche warf. Es war einfach zu theatralisch. Aber absolut sicher war ich mir, als ich auf den Schrank sah. Frau Maiher erschien mir wie eine fleißige Hausfrau, die von ihrem Mann allerdings immer herumkommandiert wurde und deshalb fand ich es sehr merkwürdig, dass sie erstens so entsetzt über den Tod ihres Mannes war, doch was mir dann alles erklärte war eben dieser Blick auf den Schrank. Da oben lag eine Zentimeterdicke Staubschicht und glaubt mir, Herr, keine Hausfrau, wie Frau Maiher lässt irgendwo in ihrem Haus eine Staubschicht zurück, es sei denn, sie wäre nicht ganz echt. Meine Fragen an sie gaben mir dann letzte Sicherheit. Eigentlich wollte ich dem Schauspieler nur die Nase zuhalten, damit er aufsteht. Er hat es wirklich vortrefflich gespielt. Man hat ihn wirklich nicht atmen sehen. Das Blut hätte noch etwas echter sein können. Als ich ganz nah rangegangen bin, habe ich auch bemerkt, dass es zwar richtige Messerstiche waren, aber der Bauch künstlich war. Ein fast perfektes Schauspiel. Ich werde mir die Premiere des Stückes sicher ansehen."
"Also gut, Kolumbini, ich werde dich nicht bestrafen. Und du scheinst wirklich einen kriminalistischen Verstand zu haben. So und Igor? Jetzt möchte ich mit deinem Dienstherrn gerne noch einmal unter v...äh drei Augen reden. Geh du nach draußen."
"Fehr wohl, Herr Kommandeur!", sagte Igor, bevor er etwas unglücklich salutierte und aus dem Büro schlurfte.
"Eigentlich wollte ich dich nur noch einmal loben und dir sagen, dass du das Wochenende frei hast. Am Montag um 10:00 Uhr ist Beginn. Wir werden uns mal etwas näher mit dem Tresendienst beschäftigen. Ach, und Kolumbini?"
"Ja, Herr?"
"Also diese Sache mit dem Tee...ich habe mich wirklich köstlich amüsiert."

Jetzt war es Mitternacht und für Kolumbini war fast alles gut. Bis auf die Tatsache, dass er nicht wirklich einschlafen konnte. Igor lag schon in seinem Bett und schnarchte ein wenig.
Er hat mich gelobt, dachte Fred. Das war das erste mal, dass jemand meine Arbeiten gelobt hat.
Jetzt wusste Kolumbini, wo er hingehörte. Noch nie zuvor hatte er sich seit seinem Entschluss, Überwald zu verlassen, so gut gefühlt. Er freute sich bereits auf die weitere Ausbildung. Das Fenster, vor dem er stand, offenbarte Kolumbini einen Blick über das nächtliche Ankh-Morpork. Schon Hunderte Male bot sich ihm dieser Anblick dar, aber nie hatte er ihm Beachtung geschenkt. Es war ein atemberaubendes Bild, obwohl das Fenster nur einen kleinen Ausschnitt zeigte. Hunderte von Lampen und ein seltsames Glühen, dass er sich nicht erklären konnte, erhellten die Stadt und am Himmel zeigten sich die Sterne. Vorhin hatte Fred eine tote Maus in seinem Zimmer gefunden und er hatte geglaubt, dass gerade in diesem Moment sich etwas kleines schwarzes in den Schatten des Raumes bewegte. Er erklärte sich das damit, er sei einfach ein wenig zu aufgeregt gewesen. Er lies es dabei beruhen und verdrängte den Gedanken, um sich wieder seiner momentanen Fröhlichkeit hinzugeben. Eine Weile stand er noch da, bis er allmählich müde wurde und sich bereit machte, ins Bett zu gehen. Nachdem er sich Schlaffertig gemacht hatte, trat er noch einmal ans Fenster, blickte über Ankh-Morpork und sagte:
"Gute Nacht, Bürger Ankh-Morporks." Dann ging er diesen Satz noch mal durch, erinnerte sich, in welcher Stadt er sich befand und fügte hinzu:
"Was immer ihr auch sein möget."

[1] nicht wie eine Puppe, die man kleinen Mädchen zum Geburtstag schenkte sondern vielmehr eine, mit der man ein Kind für den Rest seines Lebens traumatisieren konnte

[2] was für einen Gennuaner nicht ungewöhnlich war; alle Gennuaner waren, im Vergleich mit den Bürgern Ankh-Morporks Winzlinge

[3] Ich glaube es reicht, wenn der Autor darauf hinweist, dass Igor an diesem Tag ein neues Glasauge besorgen musste um den Fehler zu vertuschen.

[4] WIRKLICHE Stille ist nicht einfach nur Abwesenheit von Geräuschen, nein WIRKLICHE Stille sorgt dafür, dass nur ein Geräusch existiert, das alle anderen auflauert und sie dann plötzlich anfällt. Gute Beispiele für WIRKLICHE Stille sind ein bis auf zwei Personen leeres Zugabteil, ein Platz bei Nacht, an dessen Ecken Bäume stehen, durch deren Äste der Wind pfeift oder eben eine gepflasterte Straße bei Regen. Sie können auch einen einfachen Versuch machen. Holen sie einfach die alte Standuhr der Großmutter vom Dachboden und bringen sie sie zum Funktionieren. Danach setzen sie sich mit einem guten Buch in denselben Raum, wo die Uhr steht und warten etwas. Na? Geben sie nun dem Autor Recht?

[5] es MUSSTE ein Mensch sein, denn kein anderes Wesen im Multiversum kann so hingebungsvoll schluchzen wie ein Mensch (und wenn doch so haben wir es noch nicht entdeckt- was vielleicht auch besser so ist)

[6] Es hatte mehrere Monate gedauert, bis Igor sie auch nur etwas verstand, aber inzwischen konnte er sie sogar schreiben. Kolumbini konnte auch in einer leserlichen Schrift schreiben, aber für Notizen, die nur für sein Auge bestimmt sein sollten, verwendete er lieber die Geheimschrift.




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