Der grüne Tod

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von Hauptmann Rascaal Ohnedurst
Online seit 20. 05. 2001
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"Warum Abteilungen?"
"Deshalb!..."
(Der Protokoll-Dämon beginnt seine Schilderung... )

Dafür vergebene Note: 15

- 1 -

Mißmutig lauschte Hauptmann Rascaal Ohnedurst dem knirschenden Klang seiner Schritte im Schnee. Dicke Flocken umwirbelten seine Gestalt und verhinderten, daß er weiter als bis zur nächsten Hausecke schauen konnte.
Wozu auch...? Dort würde auch nur mehr Schnee sein...
Der Vampir zitterte demonstrativ, um dem Schnee und dem Frost seine Verachtung auszudrücken. Nicht, daß ihm wirklich kalt gewesen wäre...oder warm... nein, diese Empfindungen hatte er schon vor einem guten Jahrhundert hinter sich gelassen. Allerdings gab sich der Untote gerne ab und zu der Vorstellung hin, daß ihm kalt oder warm war (nur um nicht aus der Übung zu kommen) und er tat eben lieber so, als wäre ihm zu warm, davon mal abgesehen, daß die Stadt im Sonnenschein auch viel... nennen wir es mal in Ermangelung eines besseren Wortes... "ungefährlicher" aussah.
Außerhalb Ankh-Morporks blieb der Schnee weiß, wenn er auf den Boden auftraf. Nicht so in der Stadt. Schon nach kurzer Zeit bemächtigten der Dreck, der Unrat und die Luft sich des Schnees und färbten ihn gräulich.
Hauptmann Ohnedurst konzentrierte sich wieder auf den Klang seiner Schritte und versuchte das fröhliche und aufgeregte Geplapper auf seiner rechten Schulter zu ignorieren.
Die helle, glasklare Stimme kam von Venezia Knurblich, ihres Zeichens Wergnomin und Feldwebel in der Stadtwache von Ankh-Morpork.
"Ob es auch eine eigene Gnomenabteilung geben wird... es sollte zumindest aber ein Gnom in jeder Abteilung sein. Weißt du schon wieviel Abteilungen es geben wird, Ras? Nun sag schon..." plapperte die Gnomin munter und holte eine angebissene Hälfte von Schnappers Würstchen hervor. Sie waren die einzigen Gegenstände, die selbst in dieser Stadt nie ihre leuchtend ungesunde Farbe verloren und hartnäckige Gerüchte behaupteten, daß sie sogar im dunkeln leuchten würde und man in Notsituationen mit den einem Würstchen ein Feuer entfachen könnte.
Zu allem entschlossen, bahnte sich das Wort "Abteilungen" einen Weg durch Rascaals Ohren und setzte sich in seinem Gehirn fest, bevor er sich wieder auf den knirschenden Schnee konzentrieren konnte.
Abteilungen... sofort kamen wieder Bilder vom glücklichen Ende des Langeweilefalls in sein Bewußtsein. Rince hatte ihm eröffnet, daß es keine weiteren Wachhäuser mehr geben würde...also auch keine zusätzlichen Kommandeursposten, er aber schon eine andere V-I-S-I-O-N gehabt hätte. Der Vampir hatte zwar keine Ahnung gehabt, was das Wort bedeutet, spürte aber instinktiv, daß es mit viel nervenaufreibender Arbeit verbunden sein würde.
Nach einem angewiderten Seitenblick auf das fetttriefende Würstchen, welches Stück für Stück in Venezias kleinem Mund verschwand (was sie in keinster Weise in ihrem Redeschwall bremste), erinnerte sich Rascaal an die Sitzung, die Rince vor 2 Wochen einberufen hatte...

"WAAAAAS??? KEINE WEITEREN WACHHÄUSER???" erscholl Oberleutnant Daemons Ruf der Entrüstung durch Rince Büro, in dem sich dass mit Ausnahme von Tod das gesamte Offizierschor der Wache versammelt hatte.
"Keine weiteren Kommandeursposten? Das kannst du doch nicht machen...!"
"Ich kann und ich habe!" erwiderte der Kommandeur gelassen, legte seine Füße auf den Schreibtisch und lehnte sich genüßlich in seinem spezialgefertigten Bürostuhl zurück.
Sofort richteten sich die anderen Anwesende ruckartig auf und beobachteten aufmerksam den ächzenden Unterbau des Stuhls.
Stuff, einer der Melderöhrendämonen der Wache am Pseudopolisplatz war eines Tages zu Hauptmann Lewton gekommen und hatte ihm berichtet, daß der Kommandeur aufgrund seines Gewichtsproblems heimlich einen Schreiner hatte kommen lassen, um den Unterbau seines Chefsessels mit Holzstreben verstärken zu lassen.
Nach diesem Gespräch hatte Lewton den Schreiner unauffällig beiseite genommen und ihn mit seiner wölfischen Überredungskunst davon überzeugt, irgendwo eine Sollbruchstelle einzubauen. Seitdem liefen teilweise recht kostspielige Wetten zwischen den Wächtern, wann der Stuhl wo brechen würde.
Aber auch dieses Mal schien nichts zu passieren.
"Verdammt...!" flüsterte Ptracy und zerriß einen Wettschein hinter ihrem Rücken.

Daemon hatte in der Zwischenzeit eine Papierrolle hervorgekramt und schwenkte sie, einem Schwert gleich, vor der Nase seines Chefs herum.
"Rince, das kannst du mir nicht antun. Ich habe in mühsamer Kleinstarbeit schon einen detaillierten Plan für MEIN Wachhaus gezeichnet. Schau..."
Mit einer Bewegung aus dem Handgelenk entfaltete Dae die Papierrolle und eine Flut von Zeichnungen und Beschreibungen ergoß sich auf den Schreibtisch. Offensichtlicher Widerwillen stand Rince im Gesicht geschrieben, als er sich ein wenig nach vorne lehnte, was sein Chefsessel mit einem erleichterten Knacken quittierte.
"Oh ja... nett..." war der einzige Kommentar "REEEEEGGIIIIIEE...!"
Augenblicklich öffnete sich die runde Klappe in der Wand hinter Rince Schreibtisch. Und ein winziger muskelbepackter Dämon erschien im Eingang der Röhre, nur mit einem knappen Lendenschurz bekleidet. Im rechten Mundwinkel hing ein halbgerauchter Zigarettenstummel, von dem grünlicher Rauch aufstieg. Böse Zungen in der Wache behaupteten, daß sich Reggie seine Zigaretten aus den leicht entflammbaren Resten von Schnappers Würstchen drehte, mit denen die Dämonen ihr Röhrensystem einfetteten. Um seinen Hals baumelte eine Miniaturdienstmarke, die ihn als Wächter ehrenhalber auswies.
"Yo, Mann, was gibt's?" ertönte seine piepsige Stimme.
"Reggie, es heißt ,Herr Kommandeur' oder ,Rince' und nicht ,Yo, Mann'. Verstanden?"
"Yo, Mann Herr Kommandeur Rince, alles klar! War's das, Alter?" antwortete Reggie betont gelangweilt. Seufzend raffte Rince mit einer einzige Armbewegung Daemons Unterlagen zusammen und hielt sie in Reggies Richtung.
"Entsorge den Kram mal..."
Trotz seiner Größe schaffte es Reggie mühelos, den ganzen Stapel festzuhalten und verschwand mit einem letzten ,Yo, Mann!' in der Röhre... die Papiere mit einem reißenden Geräusch hinter sich herziehend.
"..." gab Oberleutnant Daemon fassungslos von sich, während die Luftfeuchtigkeit im Raum sprunghaft anstieg und sich die Wolke über Daes Kopf bedenklich verdunkelte.
"Schön, daß wir mal drüber geredet haben..." bemerkte Rince, vorsorglich die Wolke nicht aus den Augen lassend. "Aber nun zur Sache: Wir werden die Wache v-o-l-l-k-o-m-m-e-n verändern!!!"
Alle Blicke richteten sich gespannt auf den Kommandanten, nur Hauptmann Ohnedurst schaute besorgt zu Boden... wußte er doch schon, was jetzt kommen sollte.
Rince hatte sich in der Zwischenzeit erhoben und begann mit fuchtelnden Armen seine langgeprobte Rede.
"Offiziere der Wache!" begann er mit fuchtelnden Armen "Große Aufgaben stehen uns bevor... und damit meine ich nicht das nächste Betriebsfest... Wir müssen ÄFFITSCHIENTA werden! Bei jedem Fall treten wir uns gegenseitig auf den Füßen herum, Ermittlungen werden doppelt und dreifach gemacht und trotzdem nicht richtig. Das Stichwort heißt SCHPÄTSCHIALISCHIERUNG!!! Unser Ziel wird es sein, verschiedene Abteilungen zu gründen, wobei sich jede Abteilung nur mit einem bestimmten Teil der Ermittlungen befassen wird und sich darauf spezialisiert. Durch den Austausch der Ergebnisse zwischen den Abteilungen wird sich dann alles zu einem Gesamtbild fügen!" endete Rince mit seinen Vortrag mit stolzgeschwellter Brust.
Ungläubige Stille erfüllte den Raum und senkte sich wie eine Decke über die Anwesenden.
"Ähem..." räusperte sich Hauptmann Lewton nach einer Weile "Was für Abteilungen sollen denn das werden, Rince?"
"Er weiß es nicht!" drang Rascaals Stimme aus der Ecke des Büros und als der Werwolf sich umwandte, schaute ihm der Vampir starr in die Augen.
"...und innerhalb der Abteilungen?" setzte Lewton an.
"Er hat keine Ahnung! Er hatte nur die V-I-S-I-O-N... was er auch immer damit meint!"
"Aber wie soll diese Spezialisierung denn ablaufen?" fragte Ptracy.
Rascaal zuckte nur hilflos mit den Schultern.
"Wer teilt die Leute ein?" wollte Dae wissen.
"Alles sehr interessante und berechtigte Fragen, Leute!" schaltete sich Rince wieder ein "Ich hoffe, ihr habt bald ein paar Antworten. Wegtreten!"
Mit diesem Worten setzte sich Rince wieder an seinen Schreibtisch und begann bedeutungsvoll, die sich dort stapelnden Akten hin und herzuschieben.

Die nächsten 2 Wochen hatten sie PREIN-SCHTORMING, wie Rascaal es nannte, versucht. Nicht, daß der Vampir wußte, was das Wort bedeutete, aber es war ihm irgendwann an seinem Bürobalken hängend eingefallen und er fand, daß es paßte.
Leider kam trotz des tollen Namens nichts dabei heraus.
Oh, Ideen hatten die 4 Offiziere genug:
-Abteilung zur Koordinierung des abendlichen Umtrunks nach Dienstschluss.
-Transportabteilung für den abendlichen Snack vor Dienstschluss vom achaten Imbiß um die Ecke.
Außerdem schlug Dae vor, Rince hübsch zu verpacken und ihn den Überwalder Werwölfen zum Geschenk zu machen.
Der Vorschlag wurde dann aber mit 3:1 Stimmen abgelehnt, da die Überwalder doch so schlimm eigentlich gar nicht seien und den Kommandeur nun wirklich nicht verdient hätten.
Irgendwann in der Mitte der zweiten Woche materialisierte sich Kommandeur Tod in einer der täglichen Sitzungen und verkündete mit seiner alles durchdringenden Grabesstimme, dass er "die Neuen" haben wolle. Keiner wußte so recht etwas damit anzufangen, doch man versprach ihm, sein Anliegen ins Protokoll aufzunehmen und daraufhin verschwand er mit einem leisen "Plöpp".

"...und auch am heutigen Tag werden wir uns wieder auf die inzwischen recht abgenutzten Stühle in Lewtons Büro setzen... und kein Stück weiterkommen. Wir kommen einem Debattierklub schon recht nah. Nur der Tee fehlt noch!" murmelte Hauptmann Ohnedurst mehr zu sich selber und den fallenden Schneeflocken, als die Wache in Sichtweite kam.
Der Vampir griff in seinen Umhang, um sich mir dem Saft einer Rote-Bete Knolle aufzuheitern und zu stärken... und griff ins Leere. Er hatte vergessen, seinen Vorrat aufzufüllen.
Er haßte diesen Tag schon jetzt!

- 2 -


"Bring mir sofort die Einnahmenliste des letzten Quartals und zwar hurtig!" sagte die Stimme mit herrischem Tonfall, kicherte dann aber genußvoll. "Hier ist das unterschriebene Todesurteil für den Unlizensierten!"
Albernes Gelächter folgte und die Füße, die betont lässig auf der Schreibtischkante lagen, zuckten amüsiert.
Die Stimme gehörte Norbert, dem Hausdiener im Hause Boggis. Er war Diener in dritter Generation und hatte natürlich auch einen Nachnamen, doch da Diener in der Regel nur mit dem Vornamen angesprochen wurden, tendierten die männlichen Mitglieder seiner Familie dazu, ihren Zunamen zu vergessen.
Da Herr Boggis heute am frühen Morgen schon in wichtiger Angelegenheit in die Gilde gerufen worden war, konnte sich Norbert dem Hobby eines jeden Dieners widmen: Er schlüpfte in die Rolle seines Chefs, saß an seinem Schreibtisch und kommandierte imaginäre Untergebene.
Gerade als er weitere Anweisungen geben wollte, hörte er ein Rascheln hinter sich. Angestrengt schaute Norbert in das Halbdunkel des Raumes hinter ihm.
"Hallo? ist da jemand?" fragte er ohne rechte Hoffnung auf eine Antwort.
Wieder ein Rascheln, wie von einem Laubwald durch den der Wind fegte und plötzlich lag auch der Geruch von Moos und feuchter Baumrinde in der Luft.
"Was zum? "begann Norbert, doch dann legte sich blitzschnell etwas langes und ziemlich kraftvolles um seinen Hals, drückte zu und riß ihn nach hinten.
Innerhalb von Sekunden zog sein ganzes Leben wie ein Klicker an ihm vorbei. Sein ganzes Leben, jede Kleinigkeit bis auf seinen Nachnamen.
"Ich übernehme den Fall... meine Zuständigkeit... ganz eindeutig!" tönte Ptracy und schlang sich zum Schutz gegen die Kälte des Ankh-Morporkschen Winters ein gefüttertes Cape um ihren spärlich bekleideten Körper.
"Welche Zuständigkeit sollte das wohl sein?" fragte Daemon gehässig und versuchte sich seinerseits mit einem von Cassandra gehäkelten knallrotem Schal vor der zu erwartenden Kälte zu schützen.
"Hört auf, Leute... wenn jemand geht, dann ich!" warf Lewton beschwörerisch ein und zeigte mit seinen kräftigen Fingern auf die Rangabzeichen, die seine Schulter zierten.
Die beiden Obergefreiten, die hinter dem Tresen Dienst schoben und Feldwebel Harry, der die Treppe hinuntergekommen war, um zu sehen, warum so eine Aufregung im Wachsaal herrschte, rollten genervt mit den Augen. Seit zwei Wochen ging das nun so. Um das kleinste Verbrechen stritten sie sich und jetzt auch noch ein Mord...
In diesem Moment ging die Tür auf und mit einem mittleren Schneesturm kam Hauptmann Ohnedurst, Feldwebel Knurblich auf den schneebedeckten Schultern tragend, fluchend herein. Sofort verstummten die Streitereien der Anderen.
"Was?" fuhr sie der Vampir an, als er merkte, daß alle Blicke auf ihm ruhten.
"Och... nichts..."
"Nicht erwähnenswert...!"
"Kommt, wir müssen los..!"
Ohne Rascaal noch eines Blickes zu würdigen, drängten sich Lewton, Ptracy und Daemon an dem Vampir vorbei und in die Wand aus Schnee hinaus.

"Was sollte das denn?" fragte Rascaal verwirrt und blickte in die Runde. Sofort war das Tresenpersonal intensivst damit beschäftigt, irgendwelche Formulare zu ordnen, während Harry versuchte, sich so unauffällig wie möglich in den ersten Stock zurückzuziehen.
Venezia, die den Ärger roch, glitt mit fließenden Bewegungen von Rascaals Schulter (das Gleiten stellte ja sowieso kein Problem dar, da Rascaals Schulter von Würstchenfett nur so glänzte) und widmete sich dem Kaffeedämonen.
"Haaaarryyyyy???" rief Hauptmann Ohnedurst streng und der Gnom erstarrte in seinen Bewegungen. "Was ist hier los?"
"Äääääh... och, nichts schlimmes, Ras, nur eine klitzekleines Mördchen.. kaum der Rede wert!" antwortete Harry.
Überrascht verschluckte sich Rascaal an dem frisch aufgebrühten Kaffee, den er sich gerade genommen hatte und verteilte ihn in einem feinen Sprühnebel über den ganzen Kaffeedämonen (seitdem hatte der Kaffee an besonders verschneiten Tagen ein leichtes Rote-Bete Aroma) und Feldwebel Knurblich.
"Ein Mord?" ein Hauch von Panik vibrierte in seiner Stimme mit und verdrängte Venezias wüste Beschimpfungen, schließlich bedeutete das Verschwinden der Anderen, daß der Vampir die Sitzung mit Rince ganz alleine abhalten würde und diese Sitzungen waren in den letzten Tagen immer unerfreulicher geworden.. Rince war stinksauer über die mangelhaften Fähigkeiten seiner Offiziere, sich zu einem gemeinsamen Konzept durchzuringen. Außerdem war der Vampir frustriert darüber, daß der verdammte Bürostuhl seines Chefs noch immer nicht gebrochen war. Etliche Wettscheine hatte er schon verspielt.
"Hauptmann Ohnedurst?" ertönte Aaps piepsige Stimme aus dem Loch hinter ihm. "Der Chef möchte dich sehen."
"Jetzt schon?" fragte Rascaal verwundert. "Wie sagte er eben doch noch so in seiner unverwechselbaren Art:" begann der Meldedämon zu zitieren "'Sag diesem Klappergestell von einem blutleeren Vampir, daß er seinen nach Knollen stinkenden Kadaver schnellstens vor meinen Schreibtisch schaffen soll'. Ja, ich glaube, das könnte man als ,jetzt schon' auslegen."
Rascaal seufzte, drückte dem überraschten Aaps seine Kaffeetasse in die Hand und begann ohne jede weitere Zuversicht für diesen Tag die Treppe hochzusteigen.

- 3 -


Ankh-Morporks Touristenführer bietet einige Attraktionen: Den Ankh, den Kunstturm, die UU, die Schatten und den Patrizierpalast.
Trotzdem finden sich an dem Schauplatz eines Verbrechens innerhalb kürzester Zeit Scharen von kleinwüchsiger Touristen ein, mit gelben Mänteln aus seltsamen wasserabweisenden Stoff und Ikonografen, die aussahen, als wären sie zu heiß gekocht worden.
Vor längeren zeit schon hatten die Bürger der Stadt einen Schrieb mit vielen Unterschriften zum Patrizier geschickt ("Pätitschion" hatten sie es genannt) in dem verlangt worden war, den Touristen per Gesetz den Zugang zu Tatorten strengstens zu verbieten, da sie den Bürgern der Stadt die Sicht versperren würden.
Das Haus von Herrn Boggis, dem Oberhaupt der Diebesgilde, bildete da keine Ausnahme.
In vorderster Reihe stand eine Gruppe gelb gekleideter Männer und Frauen. Sie berührten aufgeregt die Fenster und versuchten sie hochzudrücken. In ihren Händen hielten sie die schon angesprochenen Miniaturikonografen mit einem runden Aufsatz. Von Zeit zu Zeit hob einer der Touristen seinen Apparat, drehte an einer Kurbel auf der hinteren Seite des Aufsatzes, was zur Folge hatte, daß die Leuchtkäfer im Inneren in Aufregung versetzt wurden und sie einmal aufblitzten.
In zweiter Reihe standen 20-30 Einwohner Ankh-Morporks und gingen den traditionellen Beschäftigungen der Stadt nach: Sie raubten sie aus (wo sie doch gerade so schön alle beisammen standen) oder schlugen sie nieder, um sich einen Platz in der ersten Reihe zu sichern (wo sie doch gerade so schön stillstanden).
Vom Rande der Szenerie konnte man schwach Schnappers Stimme hören, wie er seine Waren anpries.
Etwas abseits standen unschlüssig zwei Wächter an eine Hauswand gelehnt und blickten unbeteiligt in die Menge, als Ptracies Stimme wie eine Gerölllawine über sie hereinbrach...
"Obergefreiter Zupfgut, Hauptgefreiter Schmiedehammer, was glaubt ihr eigentlich, wozu ihr dieses sternförmige Ding an eurer Brust tragt?" donnerte sie und zeigte auf die Dienstmarken der Wache.
"Äääh... nun ja, wenn man sie poliert, sehen sie recht schick aus und man kann sich mit den Zacken prima den Dreck aus den Sohlen kratzen!" antwortete Schmiedehammer und versuchte Haltung anzunehmen, ohne gelangweilt zu wirken.
Oberleutnant Ptracy kämpfte um ihre Fassung... ein verbissener Kampf... aber ausnahmsweise gewann sie.
"Hört zu: Eure Dienstmarke verpflichtet euch dazu, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten und das beinhaltet auch, daß der Schauplatz eines Verbrechens nicht verwüstet wird!"
Lewton und Daemon standen ein paar Meter hinter ihr und betrachteten grinsend das Schauspiel, selbst der Werwolf konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen.
"Fröilain Oberleutnant, Obergefreiter Zupfgut und ich sind eben erst eingetroffen und verschaffen uns gerade einen Überblick von der Situation!" zitierte Schmiedehammer aus dem ,Handbuch für den streßfreien Umgang mit Offizieren' und hoffte, damit sich und seinen Kameraden aus der Schußlinie Ptracies Zorn geschafft zu haben.
Ptracy beugte sich vor, bis sie nur noch 10 cm von Schmiedehammers Gesicht entfernt war.
"So, so... soeben eingetroffen..." flüsterte sie drohend und deutet dann auf die Schulter des Wächters "Und warum haben sich dann schon die ersten Schneewehen auf eurer Schulter gebildet???"
Betroffen schauten die beiden Ertappten auf die Schneehaufen und wußten, daß sie verloren hatten.
"Jetzt, ihr Zwei, werdet ihr euren Allerwertesten dort zum Haus bewegen und dafür sorgen, daß sich im Umkreis von 5 Metern kein einziger Gaffer mehr befindet, damit wir in Ruhe arbeiten können." befahl sie.
Besorgt schauten die beiden zur wogenden Menge vor dem Haus.
"Wie sollen wir das..." begann Obergefreiter Zupfgut, der noch nicht oft mit Oberleutnant Ptracy zu tun gehabt hatte, wenn sie in dieser Stimmung war.
"Laßt euch gefälligst etwas einfallen... ihr seid Wächter! In 5 Minuten komme ich zur Kontrolle!"
Damit drehte sie um und erblickte Lewton und Daemon hinter sich, die sich verzweifelt um einen ernsthaften Gesichtsausdruck bemühten... was ihnen gründlich mißlang.
"Ignoranten..." fluchte sie, schlang ihr Cape noch enger um sich und verschwand mit energischen Schritten im Haus. Leise vor sich hin kichernd folgten Lewton und Daemon, um ihre Arbeit zu beginnen.

"Wo sind die anderen?" fragte Rince den eintretenden Rascaal ohne aufzublicken, schließlich war das Aroma des Vampirs unverkennbar (und manchmal auch unerträglich).
"Sie (eigentlich wollte er sagen: drücken sich im Gegensatz zu mir erfolgreich davor, den Vormittag mit dir verbringen zu müssen) sind mit einem Fall beschäftigt!" brachte Rascaal mühsam über die Lippen.
"Den Mordfall, nehme ich an??" hakte Rince nach.
"Ja, ja, aber woher weißt du, daß?!"
"Ich bin der Kommandeur, es ist mein Job alles zu wissen!" antwortete Rince und schaute Hauptmann Ohnedurst mit einem verschlagenen Lächeln ins Gesicht.
Es war also mal wieder Weisheitentag. Rascaal haßte es, wenn Rince in dieser Stimmung war und vorgab, die ganze Scheibe zu verstehen und ihm nichts zu nah kommen könnte. Und doch... es lag etwas sonderbar Wissendes in seinen Augen, ein Funkeln der Selbstsicherheit, dass auch an solchen Tagen nie in seinen Augen auftauchte. Dieses Funkeln erinnerte den Vampir an jemanden, er konnte bloß noch nicht den Finger drauflegen, allerdings hatte Rascaal das ziemlich unangenehme Gefühl, wie eine Marionette an Fäden zu laufen.
"Du wolltest mich doch noch wegen irgend etwas um Erlaubnis bitten, Rascaal." unterbrach der Kommandeur den Gedankengang seines Untergebenen.
"Wie bitte? ach so, ja, wo habe ich sie denn nur?" noch immer halb in Gedanken versunken, kramte der Vampir in den Innentaschen seines Umhangs "Ah? hier! Rince, ich hätte gerne die Wächter auf diese Liste zu meiner ständigen Verfügung"
"So, so, hättest du gerne?" sagte der Angesprochene, nahm die Liste und begann zu lesen "Eine sehr interessante Auswahl. Darf ich fragen, was du mit ihnen vorhast?"
"Nennen wir es doch der Einfachheit halber? ein Ertüchtigungsprogramm." erklärte Rascaal.
"Ertüchtigungsprogramm." Rince betrachtete die Liste "Na gut, ist genehmigt? aber halt mich auf dem laufenden, wie deine 'Turnstunden' verlaufen.
Rascaal lächelte kalt, nickte kurz und verschwand eiligen Schrittes aus dem Büro, froh, so glimpflich davon gekommen zu sein.

- 4 -


"Was, bei allen Dünen meines Reiches ist denn hier passiert?" fragte Oberleutnant Ptracy angewidert.
Noch immer wütend über den Vorfall mit Schmiedehammer und Zupfgut, war sie laut fluchend an den im Hause wartenden Wächtern vorbei und direkt ins Büro marschiert. Dort angekommen schlug ihr sofort der Humusgeruch pflanzlicher Verwesung entgegen.
Was einst ein wohlsortiertes Büro gewesen war, machte nun den Eindruck eines vor Jahren aufgegeben Gewächshauses. Sämtliche Möbel und der Fußboden waren von einem Netz aus vertrockneten Ranken umgeben, die den Anschein machten, daß niemals Leben in ihnen gewesen sein konnte. Inmitten des Chaos lag Norbert, die Augen weit aufgerissen, den gebrochenen Blick starr zur Decke gerichtet.
"Wer ist das?" hörte Ptracy Lewtons wissensdurstige Stimme hinter sich.
"Und was ist das für Gestrüpp?" ließ sich auch Daemon vernehmen.
Oberleutnant Ptracy, die aus Erfahrung schon zu ahnen begann, daß hier gleich ein ermittlungstechnisches Chaos ausbrechen würde, sollte hier zu viele Offiziere rumtreiben, traf eine Entscheidung und drehte sich zu ihren Kollegen herum.
"Also, paßt mal auf! Ich weiß ja nicht, was IHR jetzt vorhabt, ICH werde jetzt eine profäschionölle Untersuchung des Tatortes durchführen... und zwar ohne EUCH!" predigte sie und wies ihren Kollegen die Tür "ich bin sicher, daß euch noch etwas anderes einfällt, was mit dem Fall zu tun hat... Hey, ihr Zwei!"
Sie deutete an den verdutzten Lewton und Daemon vorbei auf Lance-Korporal Gonzo und den Hauptgefreiten Angsthase, welchen der Schreck sofort in die Glieder fuhr.
"Ja, Ma'am." gab Angsthase reflexartig von sich und versuchte Aufmerksamkeit auszustrahlen.
"Herkommen... ihr werdet mir hier zur Hand gehen." befahl Ptracy und knallte den verdutzten Offizieren die Bürotür vor der Nase zu, nachdem Gonzo und Angsthase eingetreten waren.
"Und nun...?" fragte Daemon unbehaglich.
Lewton scharrte mit seinen Stiefeln nachdenklich auf dem blitzsauberen Dielenfußboden und hinterließ dabei schwarze Streifen.
"Na, was soll's, dann hör ich mich eben mal bei den anderen Bewohnern des Hauses um und werde versuchen, Herrn Boggis in der Gilde ein paar halbwegs intelligente Fragen zu stellen." entschloss sich der Werwolf.
"Okay... und ich werde mal bei den Assassinen meine Fühler austrecken... vielleicht liegt ja ein Inhumierungsauftrag vor.", sagte Dae und beobachtete die über ihm schwebende Regenwolke mit skeptischem Blick.
"Dieses... Aufgabenverteilungsabteilungsdingens macht mich echt fertig, Lew. Wo ich das Chaos doch so liebe. Schau Dir nur Wölkchen an... sie wirkt richtig ausgewrungen und gar nicht mehr tropfig! Paß auf, wenn du schnell zu Herrn Boggis vordringen willst, dann frag am besten nach Bonny, der wird dich hinbringen und wenn er Schwierigkeiten macht, dann sag ihm folgendes:..."

TSCHOCK... der pechschwarze Armbrustbolzen bohrte sich genau in die Mitte der Zielscheibe, die Hauptmann Ohnedurst auf einer Wiese außerhalb der Stadt in der Nähe des mittwärtigen Tores aufgestellt hatte.
"Nicht schlecht, Lance-Korporal Boschnigg." bemerkte Rascaal wohlwollend und schaute zu den vor ihm im Schnee liegende Zaddam hinunter. "Kannst du das auch mehrmals hintereinander?" Zaddam spannte die Armbrust, legte einen neuen Bolzen ein und schaute auf die 20 Schritt entfernt stehende Zielscheibe. Glücklicherweise haben Vampire nicht mehr dieses lästige Problem mit der Körpertemperatur und so lag Zaddam noch immer auf einer harten, geschlossenen Schneedecke und nicht in einem Loch aus Matsch.
Behutsam legte er an, zielte.. und zog den Abzug durch.
TSCHOCK... wieder in die Mitte.
"Sehr schön... und nun das Würstchen an dem Baum dort hinten!" befahl Rascaal.
Verwirrt schaute LK Boschnigg zu seinem Hauptmann hoch.
"Welches Würstchen?" fragte er.
"Dort hinten... ca 100 Schritt... dritter Baum von rechts... ich habe es extra rot angemalt!" lächelte Hauptmann Ohnedurst.
Angestrengt schaut der liegende Vampir in die angedeutete Richtung, überlegte einmal kurz, wo rechts war und zählte bis zum dritten Baum. Ganz schwach sah er etwas rotes an dem Baum schimmern. Zwar trieb der Wind den typisch beißenden Würstchengeruch zu ihnen hinüber, doch hatte es noch niemand versucht, nach Geruch zu zielen. Erneut legte er einen Bolzen ein, zielte mit dem Mut der Verzweiflung und schoß.
"Hey.." hörte man Malachits verärgerte Stimme von der Baumgruppe, der dort mit einem Beutel weiterer Würstchen stand, um weitere Ziele zu markieren "Du sollen abschießen stinkendes Würstchen am Baum und nicht in zarte Hände von armen Malachit!"
"Oh.. ääh.. nun ja, ich probier's noch mal!" sagte Zaddam ohne jede Zuversicht, dieses Mal einen Treffer zu landen.
"Warte, Zaddam!" stoppte Rascaal ihn und wühlte in dem Umhängebeutel herum, den er die ganze Zeit mit größter Vorsicht an seiner Schulter getragen hatte "Probier es mal damit!"
Mit diesen Worten holte Hauptmann Ohnedurst einen kleinen Zieldämonen heraus. Zaddam hatte zwar schon mal von ihnen gehört, allerdings nie richtig geglaubt, daß es sie wirklich gäbe.
"Hier, ich zeige dir, wie er funktioniert. Nur noch eine Wort der Warnung: Der Kleine hier ist ziemlich eigensinnig..."begann Rascaal, wurde dann aber von einem Ruf aus dem hinter ihnen gelegenen Waldrand unterbrochen.
"ICH SEH DICH, LILLY..." hörte man Feldwebel Venezias fröhliche (und von Wurststückchen gedämpfte) Stimme: " Drei Meter hinter dem Baum, von dem der Galgenstrick runterhängt."
"Nochmal von Anfang an, Lilly!" rief Hauptmann Ohnedurst, ohne sich umzudrehen.
Er hatte Lilly beauftragt, sich durch den Wald unbemerkt an sie heranzuschleichen und ihn aus nächster Nähe mit einer kleinen Farbkapsel zu bewerfen.
"Mistundverdammtichverstehedaseinfachnicht....!" hörte Rascaal die frühere Assassine, wie sie sich fluchend entfernte und drehte sich dann zu Feldwebel Knurblich um.
"Geh dieses mal ein wenig tiefer in den Wald und versuch sie früher abzufangen... setz dich am besten auf einen Baum, Veni." rief er.
Das war zwar ein wenig unfair, aber wenn es irgendwann drauf ankam (was er allerdings nicht hoffte), so zählten nur Topleistungen... denn es würde keine zweite Chance geben.

Hauptmann Lewton liebte es, Informationen zu sammeln und sie zu einem großen Gesamtbild zusammenzusetzen. In seiner Freizeit war er aktives Mitglied des Lo-kick-Klubs, der sich mit dem sinnvollen Aneinanderreihen von Buchstabenkolonnen in senkrechte und waagerechte Kästchen beschäftigte. Demnächst sollte sogar ein Name dafür gefunden wer, wie "Kreuzende Worte", oder so.
Kurz nachdem sich der Werwolf von Oberleutnant Daemon getrennt hatte, erschienen die Gefreite Ayami mit dem von größter Neugier geplagtem Feldwebel Harry auf der Bildfläche.
Harry hatte es nach Rascaals Abgang nicht mehr in der Wache ausgehalten und hatte Ayami befohlen, ihn zum Tatort zu begleiten. Nicht, daß Harry etwa Angst gehabt hätte, allein durch den Schnee zu gehen, aber warum sollte er, wenn es Untergebene gab, die einen tragen konnten.
Harry war eben potentieller Offizierskandidat.
"Na, ihr Zwei gebt ja nicht nur ein hübsches Gespann ab, sondern kommt mir auch wie gerufen..." bemerkte Lewton und ließ das für ihn so typische wölfische Grinsen aufblitzen.
Sofort läuteten bei Feldwebel Harry alle Alarmglocken und Ayami verfluchte die Luft, die Harry atmete... - Arbeit..., sie hätten es besser wissen sollen.
"Wir könnten uns jetzt so schön bei einer Partie Drachenpoker entspannen...!" zischte die Vampirin; "Aber nein, der Herr Feldwebel weiß natürlich wieder alles besser!"
"Hört zu, Leute, Ihr gehört jetzt erstmal bis auf weiteres zu mir." ordnete Hauptmann Lewton an und die beiden Wächter fragten sich, wie er das wohl meinte. "Ihr werdet jetzt die anderen Angestellten des Hauses ausquetschen... und damit meine ich nicht anzapfen, Ayami... Ich will wissen, ob irgendjemandem etwas aufgefallen ist, was dieser Norbert für ein Mensch war und vor allen Dingen will ich seinen Nachnamen wissen."
"Das sind aber eine Menge Fragen...!" murmelte Harry und überlegte, ob er sie vielleicht aufschreiben sollte.
"Sollen wir denn ALLEN die SELBEN Fragen stellen oder reicht es, wenn wir JEDEM nur EINE Stellen!" fragte Ayami.
Lewton heulte innerlich auf.
"Natürlich stellt ihr jedem alle Fragen!" antwortete er leicht gereizt.
"Das sind wirklich eine Menge Fragen, die..." wiederholte Harry, aber seine Stimme verlor sich, als er den Blick des Werwolfs sah.
"...Und die Antworten werdet ihr auch erstmal nur mir geben und zwar so schnell wie möglich. Ich gehe jetzt erstmal zur Diebesgilde. Schickt mir einfach eine Taube... und es wird nicht wieder drauf geritten, Feldwebel Harry... wenn ihr fertig seid."
Mit diesen Worten drehte sich Lewton um und strebte dem Ausgang zu. Auf halbem Wege kam ihm ein hochgewachsener Mann mit Vollbart und einem ziemlich teuer aussehenden dunkelgrünen Umhang, auf dem der Schnee schmolz, entgegen. Hauptmann Lewton, stets um einen guten Eindruck bemüht, deutete eine Verbeugung an, erntete aber nichts weiter als ein mürrisches Kopfnicken.
-Egal, dachte er sich, soll sich Ptracy doch drum kümmern. Ist schließlich ihr Tatort!
Bei diesem Gedanken fing er breit an zu grinsen und trat in den gelangweilt dahinrieselnden Schnee.

- 5 -


Klaus Rohrfrei war das Oberhaupt der Klemptnergilde... und todmüde. Diese Nachtschichten machten ihn einfach fertig. Herr Rohrfrei war zwar trotz seines fortgeschrittenen Alters noch Junggeselle (was zum Teil an dem Kanalisationsgeruch lag, den er einfach nicht mehr loswurde), hatte es sich aufgrund dieser Tatsache aber leider zur Angewohnheit gemacht, sich nach überstandener Nachtschicht erstmal in seinem Büro auszuschlafen. Zu diesem Zweck waren extra Fensterläden vor seinem Büro angebracht worden. Nun lag er auf seiner äußerst unbequemen und bei jeder Bewegung quietschenden Liege und wälzte sich in einem mürrischen Halbschlaf von einer Seite auf die andere.
Sein Bewußtsein glitt ab in einen Traum, in dem Rohre, Muttern und kleine Schweißdämonen die Hauptrollen spielten. Das war normal für Klaus Rohrfrei, denn schließlich war er Klemptner und Rohre verlegen war seine Passion. Nicht normal war es, daß in diesem Traum sämtliche Rohre nach Holz rochen und aus den Öffnungen buschiges Laubwerk wucherte. Er vermißte den typischen Geruch nach Ankh und Ausdünstungen. Klaus war in Ankh-Morpork geboren und aufgewachsen, war nie herumgereist und das einzige, daß er kannte, was einem Wald am nächsten kam, war der Gemüsegarten seiner Mutter. Richtige Baumgruppen waren ihm nur aus den Zeichnungen seines Sohnes vertraut.
Schweißgebadet fuhr Herr Rohrfrei aus dem Schlaf hoch, nur um mitzubekommen, wie sich etwas um seinen Hals legte und gnadenlos zudrückte. Schlagartig wich alle Müdigkeit von ihm und seine schwieligen Hände versuchten, der Bedrohung Herr zu werden. Trotz aller Kraft gelang es Klaus nicht, den Druck von seinem Hals zu entfernen. Lichter tanzten vor seinen Augen und er begann, um sich zu schlagen in der Hoffnung, irgendwelche Gegner zu treffen. Scharfer Torfgeruch stieg ihm in die Nase und er hörte das Rauschen von Blättern. In einem letzten Versuch mobilisierte er seine nicht unerheblichen Kraftreserven, bäumte sich nochmals auf, zerschlug mit dem Fuß das Fenster und trat den Fensterladen auf. Das (schmutzige) Licht des Tages drang ein und flutete zögerlich durch den Raum und wie durch ein Wunder ließ der Würgegriff schlagartig nach... nur leider merkte Herr Rohrfrei nichts mehr davon, da er sich bei der letzten Bewegung mit einem gewaltigen Krachen das Genick gebrochen hatte und nun mit starrem Blick die Beschaffenheit der Risse in der Decke begutachtete.

Ein altes Sprichwort in Ankh-Morpork besagt: Der Patrizier regiert die Stadt, die Gilden jedoch verwalten sie. Nicht, daß der Patrizier nichts zu sagen gehabt hätte, ganz im Gegenteil, er war der uneingeschränkte Herrscher und wenn er etwas sagte, dann war es meistens ziemlich gefährlich für den Angesprochenen, doch das tägliche Geschehen überließ er im allgemeinen den Gilden.
Eine ziemlich gefährliche Einstellung, wie Oberleutnant Daemon fand, da es den Gilden große Freiheiten gab. Schon seit längerem galt Daemons Hauptinteresse den Machtspielen der Gilden. Ein ziemlich gefährliches Spiel, denn die Gilden ließen sich nur sehr ungern in die Karten schauen.
Vor allem der letzte Punkt war ein Grund dafür, niemals unvorbereitet die Assassinengilde zu betreten. Manche stopften sich Unmengen Waffen in die Taschen und an den Gürtel, andere verstärkten ihre Rüstungen mit Metallplatten, um sich zu schützen. Oberleutnant Daemon allerdings fand, daß es immer noch der beste Schutz war, nicht selber hinzugehen, sondern einen Untergebenen zu schicken.
Aus diesem Grund war er in das Wachhaus am Pseudopolisplatz zurückgekehrt, um nach geeigneten "Kundschaftern" Ausschau zu halten. Interessiert stand er am schwarzen Brett hinter dem Tresen und schaute die Liste der anwesenden Wächter durch, als ihn eine rauhe Stimme ansprach.
"Suchen sie etwas bestimmtes, Sör?"
Daemon wandte sich um und sah den Gefreiten Tunnelkblick vor sich stehen. Seine Gedanken rasten... sollte er Tunnelblick nehmen? Er war noch nicht lange dabei und hatte eine ausgeprägten Hang zur Paranoia (es gab sonst keinen Wächter, der während der Mahlzeiten jedes Stück Fleisch auf seinem Teller nach versteckten Waffen untersuchte und jede Erbse beschuldigte, sie würde ihn anstarren). Auf der anderen Seite war es gerade Paranoia, die einem am Leben erhielt.
"Ja, Dich, Gefreiter!" antwortete Dae nach einem kurzem Zögern, nahm ihn beiseite und erklärte ihm seinen Auftrag.
"Sprich einen Assassinen am Tor an...;" erklärte Daemon, "laß es nicht zu offiziell aussehen, sonst erfährst du nichts."
"Kein Problem, Sör." Gab Tunnelblick zurück "In zwei Stunden wissen sie Bescheid, Sör!"
Mir stolzgeschwellter Brust wandte sich Tunnelblick dem Ausgang zu, beschimpfte den Garderobenständer im Vorbeigehen, er solle ihn nicht so bedrängen, befahl der Tür, sie solle im gefälligst Platz machen und verschwand im Schneetreiben.
Zurück blieb Oberleutnant Daemon, sich fragend, ob er gerade einen großen Fehler gemacht hatte.

"Hallo Bonny..." sagte Lewton ausgesprochen freundlich, als er das Vorzimmer zu Herrn Boggis Büro betrat.
Der Angesprochene brütete gerade fluchend über den Dienstplänen der nächsten Woche und hatte eigentlich vor gehabt, nur flüchtig aufzuschauen, doch als er den starkbehaarten Wächter vor sich sah, versteifte sich Bonny sofort.
Wächter in der Diebesgilde, das bedeutet meistens Ärger.
"Äh... ja, bitte?" stammelte der Dieb.
"Ich muß schnellstens deinen Chef sprechen! Sofort, jetzt, in diesem Augenblick." drängte Lewton.
"Das geht nicht. Er.." Bonny leckte sich über die spröden Lippen. Wahrheitsgemäß hätte die Antwort eigentlich ,schläft gerade' lauten müssen, doch das war wohl unangebracht. "...hat zu tun!"
"Ach...?" sagte Lewton und bei ihm klang das wie ,das glaubst du doch selber nicht, also denk dir gefälligst etwas besseres aus'.
Schweigen.
"Sag mal, du hast doch einen Freund, nicht wahr?" fragte Lewton unschuldig.
"Und...?"
"Er ist doch Wächter, oder? Und dazu noch Offizier..." hakte Lewton nach.
Bonny brach der Schweiß aus. Einen Freund zu haben war okay. Wenn man allerdings ein hauptberuflicher Dieb war und einen Wächter als gute Freund hatte, konnte das einem den Ruf gründlich versauen.
"Ok, machen wir es kurz!" beschloß der Werwolf; "Ein dir nicht unbekannter Oberleutnant Daemon läßt dich grüßen. Ich soll dir sagen, daß, falls du mir nicht hilfst, er dich mit Vergnügen jeden Tag öffentlich von der Arbeit abholen würde."
Bilder erschienen vor Bonnies Augen. Bilder eines grinsenden Daemon, der ihn vor den Augen seiner Kollegen in den Arm nahm und ihn wie einen verlorenen Sohn behandelte.
Genausogut hätte er gleich seine eigene Inhumierung in Auftrag geben können.
"Gib mir nur eine Minute...!" gab der Dieb gequält von sich, stand auf und klopfte leide an die Tür seines Chefs.
Erst 10 Minuten und 2 Tassen starken Kaffees später war Herr Boggis in der Lage, Hauptmann Lewton zu empfangen, da seine unerwartet frühe Anwesenheit in der Gilde im Laufe des Tages Tribut gefordert hatte und er an seinem Schreibtisch eingeschlafen war.
"Also, was gibt es denn so wichtiges?" fragte er und konnte nur mühsam ein Gähnen unterdrücken.
Hauptmann Lewton wurde ernst und stellte seine Fragen.

- 6 -


"Ich glaub, ich hab's jetzt... ja, ja, jetzt löst es sich endlich!" schnaufte Gonzo und riß sein Messer mit aller Kraft hoch. Schweiß lief ihm in Strömen die Wangen herunter und tropfte auf Norberts Leiche.
- SNAP-
Mit einem widerlich reißenden Geräusch trennte der Lance-Korporal die um Norberts Hals geschlungenen vertrockneten Kletterpfanzentriebe.
Oberleutnant Ptracy, die das andere Ende gehalten hatte, wurde durch den Raum geschleudert und landete unsanft auf Angsthases Rücken, welcher gerade dabei war, den Ursprung des Gewächses zu erkunden.
Eine ganze Weile schon waren die 3 Wächter dabei, die Geheimnisse des Raumes zu entschlüsseln und Beweise zu sammeln. Ein mühseliger Job, wie sie feststellen mußten.
Ihre erste Idee war gewesen, die Umrisse Norberts auf dem Boden aufzumalen, weil sie annahmen, dass das vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch nützlich sein könnte (davon mal abgesehen, dass die Kreidezeichnung auf den dunklen Holzdielen einfach spektakulär aussah). Danach dachten sie, dass auch der Standort der Möbel im Verhältnis zur Leiche gekennzeichnet werden müßte... der besseren Übersicht wegen.
Als sie damit fertig waren, war das ganze Büro von einer dünnen, weißen Kreideschicht überzogen und sie wurden von Hustenkrämpfen geschüttelt. Während Angsthase das Fenster zum Lüften öffnete, bemerkte er, das Zupfgut und Schmiedhammer begonnen hatten, Möbel aus dem restlichen Haus zu schaffen, damit eine Barriere zu errichten und so die Leute von Haus fernzuhalten. Angsthase spielte kurz mit dem Gedanken, ob er es vielleicht melden sollte, lauschte einen Moment Ptracies Schimpftirade wegen der Kreide und entschied sich dann nachdrücklich dagegen. Sollte es doch jemand anderes melden.

"Etwas Neues, Angsthase?" fragte Ptracy, nachdem sie sich von dem Sturz erholt hatte.
"Nur, dass die Pflanze anscheinend keine erkennbaren Wurzeln hat und anscheinend tot ist. Aufgrund des Wuchses kann man zwar erkennen, dass alles hier vor dem Schreibtisch begonnen hat, aber die Pflanze ist mit Sicherheit nicht durch den Boden gekommen... kein Loch, keine Wurzeln.", meldete Angsthase stolz.
"Auf alle Fälle ist es eine ziemlich kräftige Pflanze, wenn sie einen Menschen überwältigen kann!" murmelte Ptracy. "Weiß einer von euch, wie das Kraut heißt?"
"Strangulara Nocturnalis!" hörten sie eine abgestanden klingende Stimme von der Tür "Oder auch Gemeiner Überwaldischer Greifwürger."
Simultan drehten sich die drei Wächter zur Tür und erblickten den grün gekleideten Mann.
"Wer hat dich reingelassen?" schnauzte Ptracy ihn an.
"Niemand... ich habe den beiden freundlichen Wächtern, die draußen Möbel stapeln gesagt, ich hätte etwas hier drinnen vergessen und ob ich es eben kurz holen dürfte... da haben sie mich hergeschickt!" antwortete der Mann.
"... Stapeln Möbel?" fragte Gonzo verwundert.
Oberleutnant Ptracy strich Zupfguts und Schmiedehammers Namen auf ihrer mentalen Liste rot an.
"Und du bist Herr...?"verlangte sie zu wissen.
"Tanik ist mein Name, Bo Tanik." Sagte der Mann und fischte eine in Baumrinde geschnitzte Visitenkarte aus seiner Hosentasche. "Ich bin das Oberhaupt der Gärtnergilde."
In diesem Moment kam eine vollkommen überfütterte Taube durch das Fenster hineingeflogen, gewann durch hektische, von röchelnden Atemzügen begleiteten Flügelschläge die nötige Höhe und landete erschöpft auf Ptracies Schulter, wo sie sofort vor Erleichterung ihren Darm entleerte.
"So eine Sch...!!!" entfuhr es der Offizierin.
"Wie treffend bemerkt, meine Dame." schmunzelte Herr Tanik.
"Ich weiß nicht, wer deine Dame ist, Herr Tanik, aber ich bin es sicherlich nicht!" brauste Ptracy auf und zog die Nachricht aus der Schweinerei auf ihrer Schulter, schaute dann aber noch einmal auf. "Was suchst du nun eigentlich?"
"Ich hatte gestern einen Termin bei Herrn Boggis und habe anscheinend meine Brille hier irgendwo vergessen.", antwortete Herr Tanik und sah sich suchend um.
"Äääh... ist es vielleicht diese hier?" fragte Gonzo und zog aus dem Gestrüpp ein verbogenes Brillengestell ohne Gläser hervor. Vertrocknete Blätterreste hingen von dem Gestell herab und es sah so aus, als wäre es mit dem Fingerspitzengefühl eines Trolls entworfen worden.
Oh...äh... ja, jedenfalls das, was davon noch übrig ist." Seufzte Herr Tanik, nahm die Brille und steckte sie in seine Hosentasche. "Dann wünsche ich den Herren und Damen der Wache noch einen angenehmen Tag..."
Ptracy hatte die Nachricht inzwischen entziffert.
"Oh, Leute, es gibt noch mehr Arbeit für uns. Packt den ganzen gesammelten Kram zusammen und beschriftet... ihr könnt doch schreiben... alles einzeln. Beeilt euch.. ich seh euch dann vor dem Haus!" befahl sie "ich werde inzwischen nochmal das eine oder andere Wort mit unseren ,Möbelpackern' draußen wechseln."
Als Ptracy allerdings sah, das sich Herr Tanik zum Gehen abgewandt hatte, hielt sie ihn zurück.
"Ach, Herr Tanik... auf ein Wort." sprach sie ihn an "Du verstehst doch etwas von diesem Gemüse, oder?"
"Ich bin ein profeschionöller Gärtner, was glaubst du also, Froilain?" gab Tanik zurück.
Wut flammte für eine Sekunde in Ptracies Augen auf... sie haßte diese Anrede.
"Ich hätte noch ein paar Fragen für meinen Bericht über dieses Grünzeug!" sagte sie.
"Selbstverständlich, Froilain! Heute allerdings paßt es mir gar nicht... Termine, Termine. Komm morgen in unser Gildehaus!" Damit drehte sich Herr Tanik um und verschwand.
Ptracy wollte hinter ihm her, wurde allerdings von Frau Boggis gestoppt, die ihr mit wütender Miene einem Umschlag überreichte, auf dem mit großen Buchstaben das Wort "RÄCHNUNK" stand.

Als Hauptmann Ohnedurst die Bewegung sah, war es schon zu spät. Er spürte, wie die kleine Kugel aus Schleimolmdram seine Stirn traf, ordnungsgemäß zerplatzte und ihm die grüne Farbe über seinen sowieso sehr langen Nasenrücken lief.
Verwirrt schaute er zu Feldwebel Knurblich hinüber, der vor Lachen das Würstchen aus der Hand gefallen war.
"Hör auf zu Kichern und sag mir lieber wo sie ist, mistundverdammt!"
- PLATSCH - aus einer unerwarteten Richtung traf den Vampir eine weitere Kugel... dieses Mal an der rechten Schläfe und hinterließ eine gelbe Farbspur.
Venezia bekam ihren Lachanfall überhaupt nicht mehr in den Griff, verlor neben ihren Beherrschung auch noch das Gleichgewicht und purzelte kichernderweise in das Gebüsch unter ihrem Baum.
Rascaal wirbelte von einer Seite auf die andere und versuchte, einen Blick auf die ehemalige Assassine zu erhaschen.
Zaddam und Malachit, von Venezias lautstarkem Gelächter angelockt, standen am Rand der Lichtung, schirmten ihr Augen mit den Händen vor der untergehenden Sonne ab und bemühten sich, keine Miene zu verziehen.
"Ich seh dich, Lilly, direkt vor mir, hinter der tollwütigen Schlammkiefer.." tönte der Vampir siegessicher.
Die Antwort bestand aus einer Farbkugel mit roter Füllung an seiner linken Schläfe.
"HAR, HAR...!" hörte Hauptmann Ohnedurst Malachits dunkel grollende Stimme hinter sich "Der Sör jetzt sehen aus wie gemischter, fast toter Grillteller bei Imbiß von Hägar!"
Rascaal seufzte und gab auf.
"Okay Lilly, du hast gewonnen... komm raus!" rief Ohnedurst und keine 3 Meter von ihm entfernt erhob sich Lilly breit grinsend aus ihrem Versteck in den Büschen.
Der Vampir lächelte, griff in seinen Umhang, holte eine Rote-Bete Knolle hervor und warf sie lässig vor sich in die Luft.
"Obergefreite Lilly, ich glaube , wir können jetzt zum nächsten..."
Dann fiel ihm auf, das er zwar die Hand noch immer ausgestreckt vor sich hielt, die Knolle aber noch immer nicht wieder heruntergefallen war.
Er schaute nach rechts und sah sie in Augenhöhe an einem Baum stecken... von einem Armbrustbolzen durchbohrt.
"Oh... wie ich sehe, hast du dich endlich mit deinem Ferndämonen geeinigt, Lance-Korporal Boschnigg!" murmelte Rascaal und schaute zu seinem stolz lächelnden Triffinsziel hinüber.
Das Rumpeln eines Karrens lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Weg, der von Ankh-Morpork in den Wald führte. In einiger Entfernung konnte man Haufen-Hubert, den besten Leicheneinsammler der Stadt, sehen, der anscheinend unter erheblichen Mühen seinen Karren in ihre Richtung zog.
"Ah, pünktlich auf die Minute..., Lilly, du gehst jetzt mit deiner Miniarmbrust trainieren, Zaddam, du erklärst Malachit mal eben die einfachsten Grundbegriffe des Zielens!" befahl er.
"Womit ich denn sollen zielen, Sör? Alle Armbrüste doch seien viel zu klein für mich!" wunderte sich der Troll.
"Abwarten, mein Kleiner, abwarten... Veni, komm doch mal bitte mit!" sagte Rascaal und zusammen mit Feldwebel Knurblich ging er Haufen-Hubert entgegen.

- 7 -


Neugier kann ein sehr mächtiger Herrscher sein. Ein Wächter ist von Natur aus (rein theoretisch) neugierig mit einem bewiesenermaßen starken Hang zur Faulheit und Koffeinabhängigkeit. Wird die Neugier nun durch irgendeinen Faktor verstärkt, können äußerst seltsamen Dinge geschehen. Dinge, wie Wachoffiziere, die 10 Minuten vor der befohlenen Zeit im Besprechungsraum der Wache eintreffen, um ja nichts von den zu erwartenden Neuigkeiten zu verpassen.
Als Lewton Daemon und Ptracy ankamen, standen Teller mit dampfender Fleischpastete auf ihren Plätzen. Rince saß am Kopfende des Tisches und grinste sie breit an. Rascaals Platz war leer und auch kein Teller stand auf diesem Teil des Tisches.
"Was soll das?" wollte Lewton erstaunt wissen.
"Ich nenne es 'arbeitendes Essen' erwiderte Rince amüsiert über seinen eigenen Witz.
"Warum? Weil es sich langsam aber sicher durch den Teller und die Tischplatte arbeitet und dann auf den Boden tropft?" fragte Daemon spöttisch.
"Nicht ganz. Weil dann diese äußerst lästigen Essenspausen wegfallen... mehr ÄFFITSCHIÄNTSCH... wenn ihr versteht, was ich meine!"
Widerwillig setzten sich die 3 Offiziere auf ihre Plätze und beäugten skeptisch ihre Mahlzeit.
"Woher hast du diese Pasteten, Rince?" hakte Ptracy nach.
Keine Antwort... nur wissende Blicke.
"Meine Pastete hat sich gerade bewegt...", sagte er; "Also glaube ich die Antwort zu kennen."
Der Kommandeur zuckte nur unschuldig mit den Schultern.
"Ihr kennt ja das Büdschä der Wache.", war sein einziger Kommentar zu diesem Thema.
"Wie dem auch sei... eßt es oder laßt es stehen. Ist mir egal... aber kommt mir nicht, daß ihr nachher eine Pause haben wollt." schnauzte Rince und lehnte sich so wuchtig in seinem Stuhl zurück, daß alle Anwesenden erwartungsvoll ihre Wettscheine in ihren Taschen umfaßten.
"Okay, erschlagt eure Pasteten, dieses Zucken macht mich nervös und dann hat Ptracy das Wort... was haben deine Leute herausgefunden?"
"Meine...? Oh ja... natürlich: Meine Leute" der Oberleutnant holte tief Luft "Der ganze Boden an beiden Tatorten war mit vertrockneten Ranken bedeckt, die auch ansatzweise an den Wänden hochgewachsen waren, allerdings an keiner Stelle höher als bis zum Knie. Beide Opfer wurden am Hals attackiert, wobei der eine am Schreibtisch saß und der andere im Bett lag."
Ptracy räusperte sich, holte einen Notizblock aus der Tasche und schlug ihn auf.
"Obwohl anscheinend tot und vertrocknet, waren die einzelnen Äste nur mit größter Mühe von den Leichen zu entfernen. Angsthase fand heraus, daß der Wuchs in beiden Fällen von einem Punkt vor den Schreibtischen ausging, es aber keinerlei Wurzeln oder ein Loch im Boden gibt. Es ist nicht zu erkennen, wie das Kraut ins Zimmer gelangt ist."
"Was ist das für ein Gewächs?" fragte Lewton interessiert.
"Laut Herrn Tanik von der Gärtnergilde, der zufällig anwesend war, ist es gemeiner überwaldischer Greifefeu... ähh...den anderen Namen habe ich vergessen aufzuschreiben. Anscheinend ein ziemlich kräftiges Gewächs.
Herr Tanik kann uns bestimmt noch mehr darüber sagen - und Gonzo und Angsthase untersuchen eine Probe davon im Keller."
"Saubere Arbeit, Ptracy... Lewton, du hast das Wort.", ordnete Rince an, wurde dann aber von Ptracy unterbrochen.
"Äh, Schäff, da ist noch etwas..." sagte Ptracy seltsam kleinlaut und schob einen Umschlag über den Tisch, den Rince sofort öffnete.
"Siehst du, ich hatte zwei Leute abgestellt, um uns Platz zum arbeiten zu verschaffen. Leider nahmen sie meine Anweisungen etwas zu genau und haben aus mehreren... nun, eigentlich aus fast allen größeren Einrichtungsgegenständen der Hauses Boggis... eine Barriere um das Haus aufgebaut."
Lewton und Daemon unterdrückten ihr Lachen nur mit Mühe und ernteten dafür wütende Blicke von ihrer Kollegin.
"Durch den Schnee..." begann Ptracy wieder und wandte sich Rince zu "... sind die meisten Möbel ruiniert und der brauchbare Rest ist geklaut worden."
Rince lächelte. Ihn amüsierte die Vorstellung, daß das Oberhaupt der Diebesgilde bestohlen worden war und so versicherte er Ptracy ungewöhnlich verständnisvoll, daß er das schon regeln würde.
"Wo wir gerade von Boggis reden..." schaltete sich Lewton ein " Nachdem ich dann endlich zu ihm vorgedrungen war, schien er mir ziemlich erschüttert zu sein, als ich ihm die Nachricht von Norberts Tod brachte. Boggis schien seinen Hausdiener ehrlich zu mögen und kannte natürlich das geheime Hobby seines Angestellten. Das wichtigste allerdings ist, daß eigentlich Herr Boggis normalerweise statt Norbert am Schreibtisch gesessen hätte, aber durch einen glücklichen Zufall in die Gilde gerufen wurde.
Wir können also davon ausgehen, daß Herr Boggis das eigentliche Ziel... von wem auch immer... gewesen ist."
-KRACH - Ein Blitz schlug aus der Wolke über Daemons Kopf in die Fleischpastete vor ihm ein, nachdem diese vorsichtig versucht hatte, sich vom Teller zu schleichen.
Keine 10 Sekunden später wurde die Tür zum Besprechungsraum aufgerissen und Feldwebel Valeriaa stand mit weit aufgerissenen Augen im Türrahmen...
"Ist es endlich paß...?" begann sie, sah dann allerdings, dass Rince noch auf seinem Stuhl saß und die anderen versuchten, ihr Zeichen zu geben, damit sie die Klappe hielt.
"Was denn Feldwebel?" fragte der Kommandeur.
"Äh, nichts... ähem... Ich dachte, du hättest gerufen... okay, hast du nicht? mein Fehler.... bis denn dann" stammelte die Werwölfin und zog sich durch die Tür in den Flur zurück, aus dem einen Moment später ein lautes "Fehlalarm" zu hören war.
"Ähem..."räusperte sich Lewton und fuhr dann fort "Bei Herrn Rohrfrei liegt der Fall klar auf der Pfote... äh... Hand. Er schlief fast jede Nacht in seinem Büro, das war allgemein bekannt. Da, wie Ptracy schon sagte, auch dort kein Loch im Boden oder Wurzeln vorhanden waren, können wir davon ausgehen, dass es derselbe Täter war."
"Könnte es nicht auch die Pflanze selber sein?" fragte Rince.
"Außer den intelligenten Rote-Bete Knollen die Rascaal jagt, gibt es meines Wissens kein denkendes Grünzeug in der Stadt... - apropos Rascaal, ...wo ist er eigentlich und warum muß er diese Pastete nicht ertragen?"
"Er... äh... probiert ein paar Dinge aus. Auswärts!"

Wer schon einmal versucht hat, einem Troll einen komplizierten Bewegungsvorgang oder ein Konzept zu erklären, der konnte erahnen, was für Schwerstarbeit Venezia gerade leistete.
An Huberts Karren angekommen, hatten sie (außer Leichen) auch noch eine Belagerungsarmbrust ohne Untergestell vorgefunden.
Rascaal hatte ihr erklärt, dass er Malachit zum M.U.T.-Schütze ausbilden wollte, einen Mann fürs Grobe. Beim Anblick der geschälten Baumstämme, die der Waffe als Munition dienten, glaubte die Gnomin das sofort.
"Ein sehr ausgefallener Name. Was soll er bedeuten?" wollte sie wissen.
Der Vampir schaute sich um.
"Nichts besonderes... Mega-unhandliche Trümmerwaffe... aber MUT hört sich einfach dramatischer an."
Dann hatte Hauptmann Ohnedurst ihr erklärt, was sie machen sollte.
Feldwebel Knurblich war ein Genie darin, anderen etwas zu erklären oder von etwas zu überzeugen. Mit diesem Talent sollte sie Malachit das Prinzip des In-Stellung-Gehens und des Anschleichens nahe bringen.
1 Stunde später fiel der erste Baum in dem kleinen Waldstück.
"Nein, nein, nein, Mala... UM den Baum HERUM, nicht über ihn rüber und auch nicht durch ihn durch." schimpfte die Gnomin und hüpfte energisch auf dem Rücken des auf dem Boden liegenden Trolls auf und ab.
"Aber du doch sehen, dass es sein doch soooo viele. Ich doch nicht jedem können ausweichen." jammerte der Obergefreite.
"Laß es mich mal so sagen, mein Freund: Für jeden Baum, den du fällst hast du einmal Tresendienst zwischen 07:00 und 07:30 gut."
Venezia konnte gnadenlos sein, wenn sie wollte.
"Nein, nein!" grollte der Troll bedeutsam, wußte er doch ganz genau was das zu bedeuten hatte: Frau Willichnicht!
"Nicht die laute Meckerfrau. Ich bekommen Kopfschmerzen von ihr."
Während Malachits Ausbildung nun mit einem mal zügig voranschritt, holte Rascaal fünf Aufnäher hervor, die er während der langen Nachtschichtstunden selber entworfen hatte.
Sie zeigten den morporkschen Krustenbrecherfrosch. Diese gefährliche und hochgiftige Amphibie lebte in den oberen Schlammschichten des Ankhs und spürte es bis zu fünf Meter weit, wenn sich ein Insekt (oder ein unvorsichtiger Bewohner der Stadt) auf die Kruste setzte. Dann wühlte sie sich vorsichtig durch den Schlamm, bis er unter seinem Opfer war. Aus dieser Position heraus durchbrach er wie ein Geschoß die Kruste und schlug zu... hart und ohne Gnade.

"Und deshalb können wir davon ausgehen, dass es keinen Inhumierungsauftrag gegeben hat." schloss Daemon seinen Bericht, fügte dann jedoch hinzu: "Allerdings gibt es da noch einen Aspekt, den ich gerne überprüfen lassen würde."
"Und das wäre?" fragte Rince gespannt.
"Es war bestimmt kein Zufall, dass beide Anschläge Gildeoberhäuptern galten. Ich lasse gerade von meinem Spezialisten in puncto Gildegeschichte prüfen, ob es irgendwelche Entscheidungsfindungen gibt, bei denen die Meinung der Oberhäupter gefragt ist."
"Spezialisten???" horchte Ptracy auf.
"Feldwebel Steingesicht." erwiderte Daemon lässig.
"Macht Sinn." stimmte Rince zu "Außerdem werde ich zusätzliche Wächter auf Streife schicken. Sie sollen besonders auf die Häuser der Gildeoberhäupter achten."
Damit endete die Besprechung, die Pastetenreste wurden den Melderöhrendämonen gespendet, Wettscheine wurden enttäuscht zerknüllt und die Nacht begann...
Selten zuvor waren in einer Nacht so viele Wächter auf den Straßen gewesen. Wie Motten das Licht, so umschwärmten sie die Gildegebäude oder die Privathäuser der Oberhäupter der Gilde, je nachdem, wo sie sich aufhielten.
Es kam zu mehreren unangenehmen Vorfällen, als die Wächter in guter Absicht begannen, alle 10 Minuten 'Alles ist gut' zu den Fenstern hinaufzurufen. Standen gerade keine offenen Fenster zur Verfügung, riefen es sich die Wächter gegenseitig zu. Die patrouillierenden Wasserspeier beugten sich gefährlich weit von den Dächern runter, um in die Schlafzimmer zu schauen. Das natürliche Talent eines solchen Wesens zum stummen Anstarren einer Person hob den Schlafgenuß nicht gerade.
So kam es, dass sich nach und nach alle Fensterläden schlossen, um den neugierigen Blicken und dem Lärm zu entgehen.
Dann kam der Greifefeu...

Da Feldwebel Steingesicht ein Geist war, hatte er das Stadium des Schwitzen schon vor sehr langer Zeit überwunden. Trotzdem wünschte er sich in diesem Moment, daß er die Möglichkeiten noch hätte. Nicht, dass es ihm irgendeinen körperlichen Vorteil gebracht hätte (wie auch, ohne Körper), doch Angesichts der immens hohen Stapeln der verschiedensten Gildeunterlagen vor sich sollte man einfach schwitzen können.
Bedrohlich schwankte die Spitze des höchsten Stapels weit über seinem Kopf, während sich der Wachegeist systematisch durch die Unterlagen arbeitete.
- Hmm, das könnte etwas sein, dachte er und schaute sich nach den Erlässen der eventuellen Wahrscheinlichkeitsrechtsbarkeit um.
Als er sie fand, mußte Steingesicht feststellen, daß sie ganz unten im Stapel lagen und er versuchte, sie mit größter Vorsicht herauszuziehen.
Als die Bücher auf ihn herabstürzten, war der Feldwebel sehr froh, nicht an einen festen Körper gebunden zu sein.

Kein Mitglied der Truppe um Hauptmann Ohnedurst hatte noch Lust auf einen Schlummertrunk, als sie in des Wachhaus zurückkehrten.
Der Tag und der Abend waren lang, hart und schmutzig gewesen. Einer nach dem anderen fiel auf ein Bett im Schlafsaal des Kellergeschosses (Obergefreiter Malachit legte sich ganz vorsichtig auf den Boden, um nichts zu zerstören).
Am Ende des Tages hatte Rascaal ihnen alle befohlen, die Wächterrüstung auszuziehen und abzugeben. Ab jetzt würden sie nur noch einen grün-schwarzen Stoffanzug tragen, ganz in den Farben des Frosches. Nur Malachit wurde davon befreit, da der Stoff in so großen Mengen nicht in Ankh-Morpork zur Verfügung stand.
Nicht ohne Stolz ging der Vampir hoch in sein Büro, streichelte No-Name, den er momentan arg vernachlässigte und hängte sich danach zum Schlafen an seinen Balken.

Jede Frühschicht in diesem Multiversum hat besonders unbeliebte Jobs. Die Stadtwache von Ankh-Morpork hat gleich zwei davon. Der eine ist weitgehend bekannt und ist der Tresendienst, wenn Frau Willichnicht eintrifft. Der Andere ist der Taubendienst. Er beinhaltet das Säubern des Einflugbrettes und das Füttern der Tiere.
Heute morgen war es die Gefreite Majona, die schlurfenden Schrittes die Treppe in den ersten Stock bewältigte. Eimer, Schaufel, Putzlappen und eine Tüte Körner hatte sie sich über die Schulter gehängt und verfluchte alles was fliegen konnte.
Der Taubenraum lag in der hintersten Ecke und wurde alle 30 Minuten auf neue Nachrichten kontrolliert.
Als Majona die alte Holztür aufstieß, traf sie ein Geruch, der jeden Wasserspeier zum Sabbern gebracht hätte, einen wider deren Anatomie vorhandenen Geruchssinn vorausgesetzt. Seufzend machte sie sich an die Arbeit, als das gefiederte Chaos über sie hereinbrach.
Eine Taube, die darauf trainiert worden war, ihre Nachricht so schnell wie möglich an den Wächter zu bringen (und dabei ihren Darm zu entleeren), weil sie dann eine Belohnung bekam, war ärgerlich aber harmlos. Zehn Tauben, die froher Dinge nach Hause kommen, um ihre Nachricht abzuliefern (und ihren Darm zu entleeren), glichen einer Naturkatastrophe... zumindest für Majona.
Als sie mit der Gefreiten fertig waren, lag sie wie ein Häufchen Elend in der Ecke, der Körnersack war leer... und alle Därme auch. Außerdem hielt sie neun Nachrichten abzüglich einer in der Hand, die sie im Reflex ergattert hatte (2 Tauben waren ihren Wächtern entwischt). Mit letzter Kraft schleppte sie sich aus dem Taubenraum, vor dem sie schon von Hauptmann Lewton in Empfang genommen wurde.
"Was ist hier denn los?" fragte der Werwolf und deutet auf die Nachrichten.
"Eilzustellungen... hust... alle auf einmal... röchel... ich hatte keine Chance... meine schöne Uniform... heul!" jammerte die Gefreite und schaute voller Ekel auf ihre beka... (na, ihr wißt schon... leere Därme und so) Uniform.
"Zeig mal her..." sagte Lewton und nahm die Nachrichten an sich, sorgsam darauf bedacht, die Gefreite nicht zu berühren.
Vorsichtig öffnete der Werwolf die Nachrichten, eine nach der anderen und während er das tat, weiteten sich seine Augen.
"Riiince...!" rief er, korrigierte sich jedoch sofort "Quatsch, viel zu früh... ist ja noch nicht einmal hell... DAAAAEEE!"

Auf allen Meldungen hatte mehr oder weniger das Gleiche gestanden:

Haben verzweifelten Kampf gegen Greifefeu aufgenommen -STOP-
brauchen dringend Verstärkung -STOP-
bringt mehr Möbel gegen die Schaulustigen -STOP-
werden noch Wettscheine ausgestellt?
Schnell rafften Lewton und Dae ein paar Wächter zusammen und eilten mit ihnen zu den verschiedensten Schauplätzen, an denen es Gildeoberhäupter gerade noch geschafft hatten, sich aus ihren Häusern zu flüchten.

Rince wurde benachrichtigt (dreimal sogar, da ihn die ersten beiden Tauben nicht wach bekamen) und er begab sich schnellstens zum Wachhaus, um die Einsätze zu koordinieren. Kaum angekommen, traf dort eine Nachricht von Herr Tanik aus der Gärtnergilde ein:

Sähr geährta Kommanteur,
ich habe etwas ärschtaunliches über den Graifefeu herausgefunden.
Komment sie schnällstens här...
es hänget viel runter... äh... davon app.

Gez.
Bo Tanik, Gärtnergilde.
Nur zu gerne hätte der Kommandeur die Sache an irgendjemanden delegiert...aber leider war außer dem Tresenpersonal niemand mehr da und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich wieder in seine zu kleinen Stiefel zu zwängen und sich selber auf den Weg zu machen... und das noch vor Tagesanbruch, lange vor Frau Willichnicht.
Leicht genervt, aber auch neugierig sagte er den Wachhabenden am Tresen, wo er zu finden wäre, öffnete die Tür, verfluchte den Winter wegen des Schnees und der langen Dunkelheit und trat hinaus.

1 Stunde später:
Feldwebel Steingesicht aufgeregt aus seinem Arbeitszimmer im Keller des Wachhauses nach oben geschwebt. Endlich waren seine Kenntnisse der Jahrhunderte mal zur Geltung gekommen... und er hatte sogar etwas entdeckt.
Zu sehr in Gedanken, um auf die Treppe zu achten, geisterte er einfach durch die Decke in das Obergeschoß, um Meldung bei Oberleutnant Daemon zu machen.
Niemand da, nichts rührte sich... nur aus Hauptmann Ohnedurst Büro drang ein ziemlich gehaltvolles Schnarchen.
Seltsam..., dachte Steingesicht und segelte wieder in den Wachsaal im Erdgeschoß, um die Tresenschicht zu fragen, wohin sich der Rest denn so erfolgreich verdrückt hätte (und ob sie vielleicht Lust auf eine Runde Drachenpoker hätten). Als er seinen Kollegen gerade einen Schreck einjagen wollte (normales Ansprechen können Geister bekanntlich nicht), flog die Tür des Wachhauses auf und sowohl Lewton, als auch Daemon kamen ziemlich ramponiert zur Tür herein.
"Hat Frau Willichnicht euch in der Mangel gehabt oder müssen Offiziere neuerdings so zerlumpt aussehen?" fragte Steingesicht fassungslos.
"Wie GEIST-reich von Dir, Feldwebel... Nein, ob du es glaubst oder nicht, aber heute in den frühen Morgenstunden wurden auf sieben und ein verschiedene Gildeoberhäupter Mordanschläge verübt." berichtete Lewton. "Sechs konnten sich retten, doch die Lehrergilde braucht ein neues Oberhaupt..."
"Zuviel Bildung ist tödlich. Ich sage es immer wieder und hier ist der Beweis!" unterbrach der Feldwebel.
"...Und die Strippergilde auch." beendete Hauptmann Lewton den Satz.
Andächtiges Schweigen machte sich genußvoll im Raum breit und wich nur sehr widerwillig, als Oberleutnant Daemon den Mund öffnete.
"Warum ausgerechnet Frau Lotterleben... seufz... sie hatte nie jemandem etwas getan, es sei denn, er wollte es so... ach... es trifft immer die besten zuerst." murmelte Daemon bis er merkte, daß ihn alle anstarrten "Was denn?"
Ptracy tauchte mit einem Mal in Begleitung von Gonzo auf der Kellertreppe auf und wurde von ihren Kollegen auf den neuesten Stand gebracht.
"Steingesicht, was wolltest du eigentlich?" fragte Daemon, der ja den Wachegeist nun zu "seinen" Leuten zählte.
"Ich...? Ach so, ja, ich habe da wahrscheinlich etwas herausgefunden. Du wolltest doch wissen, Dae, was es alles gibt, das alle Gildeoberhäupter betrifft, nicht wahr?"
Der Angesprochene nickte.
"Nun," fuhr der Wachegeist fort, setzte sich auf einen imaginären Stuhl und genoß es, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. "So viele Dinge gibt es da nicht und es gibt auch nur eine einzige Sache, bei der eine einstimmige Entscheidung erforderlich ist..."
"Naja, eine Stimme zu bekommen kann ja nicht allzu schwer sein..." sagte der Gefreite Guhmi Änteh zu seinem Kollegen hinter dem Wachetresen.
Oberleutnant Ptracy drehte sich zu ihm um.
"Gefreiter, du meldest dich nachher bei mir im Keller und dann erkläre ich es dir... einstimmig!" sagte sie zuckersüß und gerade das wirkte besonders bedrohlich bei ihr.
"Wo war ich? Ach ja, einstimmig." setzte Steingesicht seine Rede fort "Also, diese eine Sache ist die Gründung einer neuen Gilde. Nur wenn alle zustimmen, gibt es eine neue Gilde in Ankh-Morpork und um das zu erreichen, bedarf es ziemlich viel Fingerspitzengefühl."
"Hmm..." brummte Lewton; "Mir sträuben sich die Nackenhaare und mein Instinkt sagt mir, daß das der Schlüssel zu allem ist, aber.... verdammt, ich komm einfach nicht drauf!"
"Wo ist eigentlich der Schäff?" fragte Dae und bekam nur allgemeines Schulterzucken als Antwort.
"Er ist vor einer Stunde zu Herrn Tanik in die Gärtnergilde aufgebrochen, nachdem er von ihm eine dringende Nachricht bekommen hatte!" melde Gefreiter Änteh pflichtbewußt und hoffte so, einem Teil von Ptracies Predigt entgehen zu können.
"Okay," sagte Lewton "wenn er zurückkommt, dann sag ihm, daß ich ihn dringend sprechen muß."
"Äääh, Leute..." stammelte Feldwebel Steingesicht und begann aufgeregt zu flattern.
"Was ist den?" wandte sich Lewton dem Wachegeist zu.
"Ich will ja nicht der ewige Schlaumeier sein,..." sagte Steingesicht mit einem Ausdruck von tiefer Sorge im Gesicht "...aber es gibt keine Gärtnergilde in Ankh-Morpork!"
Mit einem Ruck hatte er wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden, obwohl es ihm dieses Mal ziemliches Unbehagen bereitete.
Oberleutnant Daemon trat so dicht an Steingesicht heran, wie es dessen astrales Feld zuließ.
"Bist du da auch ganz sicher?" hauchte er.
Der Geist nickte.
"Es gab nie eine, es gibt jetzt keine und wie ich die Abneigung gegen frische und grüne Dinge der Bewohner dieser Stadt kenne, wird es wohl auch nie eine geben." sagte er unglücklich.
Alles schaute auf Steingesicht, als wäre er die fleischgewordene Erleuchtung.
Dann drehten Lewton und Daemon sich um und stürzten hastig aus dem Gebäude, so schnell, daß Daemons Wolke fast nicht hinterher gekommen wäre.

- 7b -


Als Rince die Augen wieder öffnete, drangen die ersten Sonnenstrahlen des frühen Morgens durch das klare Fenster am anderen Ende des Raumes. Das Licht schmerzte in seinen Augen und seinem Kopf, als hätte er in einem halbvollen Faß mit "Bärdrücker Bestem" übernachtet. Seine Arme taten ihm weh, doch als er sie strecken wollte, um ihnen Linderung zu verschaffen, konnte er sich nicht rühren.
Erstaunt öffnete er seine Augen nun ganz und schaute an sich herunter.
Rince saß auf einem Stuhl und war mit seinen Armen und Beinen an ihn gefesselt.
"Ah, du bist wach. Sehr schön. Ich fing schon an mir Sorgen zu machen.", drang eine unbekannte Stimme an sein Ohr; "Ganz schön hart, so ein Blumentopf, nicht wahr?"
Rince mußte sich schmerzhaft weit nach rechts drehen, um den Mann sehen zu können, der ihn angesprochen hatte.
"Wer bist du?" sagte der Komandeur der Wache mit rauher Stimme.
"Ach ja, ich habe mich noch nicht vorgestellt: Tanik ist mein Name, Bo Tanik, Oberhaupt der... äh... noch zu gründende Gärtnergilde."
Tanik deutete eine Verbeugung an :"Die du allerdings nicht mehr erleben wirst, mein Freund!"
"Werde ich nicht?", höhnte Rince, den so leicht nichts einschüchtern konnte, denn schließlich standen die Chancen, daß er heil aus allem herauskommen würde, noch immer eins zu einer Millionen... - also konnte nichts schiefgehen.

***


In der Wache plagte Guhmi Änteh immer noch sein schlechtes Gewissen und so beschloß er, sich aktiv an der Rettung des Kommandeurs zu beteiligen und eine Eiltaube loszuschicken, um ihn zu warnen. Seltsam, daß bisher noch niemand dran gedacht hatte.

***


"Siehst Du, es ist, wie so vieles im Leben alles nur eine Frage des Taiminks.", erklärte Herr Tanik, der sich inzwischen vor Rince gestellt hatte und eine faustgroße Tonflasche, welche mit einem Korken verschlossen worden war und an einem Lederband baumelte, vor dessen Gesicht hin und herschwenkte. "Je mehr man dieses Pflanzensubstrat verdünnt bevor man es verschüttet, desto länger dauert es, bis es seine Wirkung entfaltet und der Greifefeu zu sprießen beginnt."
In Rince Augen blitzte es.
"Du bist also einfach im Laufe des Tages in das Büro der Oberhäupter marschiert und hast ein paar Tropfen von dem Zeug vor ihren Schreibtischen verschüttet?" fragte er ungläubig.
"Nun, nicht gerade von diesem Zeug." antwortete Tanik und deutete auf das Fläschchen. "Denn da drin ist hochkonzentrierte Nährlösung. Die würde diesen Raum sofort in einen würgenden Dschungel verwandeln.
Aber im Prinzip hast du recht, ja. Natürlich kam es drauf an, ob die Betreffenden für oder gegen eine Gärtnergilde waren. In gewisser Hinsicht haben sie sich also selber verurteilt."
"Und warum ich?" verlangte Rince zu wissen.
"Ganz einfach... früher oder später werden mir deine neugierigen Leute natürlich auf die Spur kommen, aber es wird mit Sicherheit erheblich länger dauern, wenn sie ohne ihren ach so geliebten Kommandeur sind. Bis sie sich von dem Schock erholt haben, wird sich die Gärtnergilde schon vollständig etaibliert haben und ich kann mich in den Hintergrund begeben.", ließ sich Tanik stolz vernehmen.
"Natürlich kannst du deinem Kollegen Tod nicht hier in die Augen schauen, da du bestimmt hinterlassen hast, wo du hingegangen bist. Deswegen werden wir uns gleich an einen anderen Ort begeben, an dem du dahinscheiden ka..."
Ein leises Klopfen am Fenster riß Tanik aus seinen Erklärungen. Eine Taube saß auf dem Fensterbrett vor der Scheibe, entleerte stolz darüber, den Kommandeur endlich gefunden zu haben, ihren Darm und pickte immer wieder an das Fenster.
"Na, was haben wir denn da?" wunderte sich Tanik, als er das kleine Nachrichtenröhrchen am Bein der Taube sah. Vorsichtig öffnete er das Fenster und löste das Röhrchen...

***


Glücklicherweise hatte Ptracy noch die Visitenkarte, die ihr Tanik am Tag davor gegeben hatte und so dauerte es nicht lange, bis sie das Haus erreicht hatten. Dunkel lag der Bungalow vor ihnen. Kein Lichtschein war im Haus zu erkennen und die Sonne stand noch nicht hoch genug, um von Außen irgendetwas erkennen zu können.
"Sieht ziemlich verlassen aus, findest du nicht, Lewton?" fragte Dae.
"Zu verlassen, wenn du mich fragst!" brummte der Werwolf und richtete sich dann aber plötzlich kerzengerade auf.
"Was zum Teufel macht eine unserer Meldetauben denn hier?"
Mit Schrecken beobachteten die beiden Offiziere, wie das Fenster hochgeschoben wurde, Tanik sich aus dem Fenster lehnte und die Nachricht aus dem Röhrchen holte.

***


Noch immer am Fenster stehend, entrollte Bo Tanik die Nachricht.

Anne Kommanteur:
Der Gärtna warrs!

Gez.
Guhmi Änteh, Gefreiter.

Ps: Wieviel wiegst du nochmal?
Taniks Gesicht verdunkelte sich schlagartig. Sie wußten es schon. Das war viel zu früh.
Angestrengt schaute er aus dem Fenster.

***


"Hallo Herr Hauptmann, hallo Herr Oberleutnant, was machen die Sörs denn zu so früher Stunde schon hier?" hörte die zwei Offiziere den Ruf von der anderen Straßenseite.
Gefreiter Gernetod und Hauptgefreiter Wiewunderland Jim waren auf Streifgang und hatten ihre Kollegen an der Straßenecke lauernd entdeckt.
Nun kamen sie gemütlichen Schrittes auf die beiden zu und winkten.
"Mistundverdammt, sie werden noch alles ruinieren." fluchte Daemon und versuchte den Streifengängern durch Handzeichen zu verstehen zu geben, sich zu verstecken.
"Zu spät.." stöhnte Lewton und richtete sich zu seiner ganzen Größe auf.

***


Tanik sah wie die beiden Streifenwächter an seinem Haus vorbeigingen und die Hand zum Gruß erhoben hatten. Er folgte ihrer Blickrichtung und entdeckte die Offiziere. Verdammt, der Kerl mit den Zottelhaarschnitt war auch beim Boggishaus gewesen.
Nun stand er auch noch auf und kam auf ihn zu, während die anderen ausschwärmten. Er brauchte einen Alternativplan... und zwar schnell.

***


Langsam näherte sich Lewton dem Gebäude. Als er keine 10 Schritt mehr entfernt war, wurde eine Lampe in dem Zimmer vor ihm entzündet und er konnte Rince sehen, der, auf einem Stuhl gefesselt, rechts vom Fenster saß. Seltsamerweise war sein erster Gedanke, wie lange es wohl dauern würde, bis der Stuhl zusammenbräche. Herr Tanik trat hinter den Kommandeur und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"Hallo Wächter, oh, sogar ein Offizier... zuviel der Ehre!" sagte er zuckersüß und gefährlich ruhig.
"Laß den Quatsch und gib Rince frei... Gib auf. Widerstand ist zwecklos (das hatte Lewton mal in einem Klicker gehört). Wir haben das Haus umstellt. Zwing uns nicht, zu dir reinzukommen." befahl Lewton und trat weiter an das Fenster heran.
"Das ist mehr als nah genug, Freundchen." sagte Herr Tanik und hob den Arm mit der Flasche: "Sag deinen Leuten, daß wenn sie versuchen sollten in das Haus einzudringen, sich das Zimmer mit Hilfe meiner Mixtur sofort in einen... einen..., wie habe ich es vorhin noch genannt, Herr Kommandeur?"
"Einen würgenden Dschungel." preßte Rince zwischen seinen Zähnen hervor.
"Richtig, vielen Dank. Was für ein Beispiel an Kooperation du doch bist. Ich hoffe, dein Hauptmann ist genauso."
"Was willst du?" fragte Lewton.
"Oh, eine Menge, aber in meiner momentanen Situation kann ich nur wenig davon gebrauchen, also sei so freundlich und laß mich einen Moment allein, damit ich ein bißchen nachdenken kann."
Demonstrativ schwenkte er die Flasche.
Langsam entfernte sich Lewton, bemerkte jedoch, wie Rince stumm das Wort "Rascaal" mit seinen Lippen formte.

***


"RAAAAAAAAAAAS!"
Ptracy stieß die Tür zu Rascaal Büro mit soviel Schwung auf, daß sie lautstark an die Wand schlug. Zunächst orientierungslos öffnete Rascaal, der noch immer an schlafend an seinem Balken hing, die Augen... verlor das Gleichgewicht und schlug hart auf dem Boden auf.
Stöhnend richtete sich der Vampir auf und schaute seine Kollegin an, die hektisch mit einer nach Taube riechenden Nachricht vor seinem Gesicht herumwirbelte.
"Sooo, wichtig wird es ja wohl nicht sein." grummelte er und riß ihr die Nachricht aus der Hand.
"Nun zeig schon her... bei allen Flattermänner, das kann doch wohl nicht wahr sein!"
Rascaal sprang auf und holte eine Knolle aus dem Schrank.
"Ptracy, lauf sofort in den Keller und wecke Lilly, Zaddam und Malachit. Venezia findest du in ihrem Büro. Sag ihnen, daß sie in 10 Minuten abmarschbereit sein sollen." befahl er.
Als sie gegangen war, holte der Vampir seinen aktuellsten Wettschein aus der Tasche und fragte sich, ob der wohl nun wertlos war.

9


"Wird auch langsam mal Zeit, daß du deinen Kadaver herschaffst!" schimpfte Lewton, als der Vampir mit seinen Leuten und Oberleutnant Ptracy im Schlepptau am Tatort eintraf.
Der Werwolf schaute an Rascaal vorbei und blieb dann mit seinem Blick an dem Froschabzeichen auf dem Anzug des Vampirs hängen.
"Was soll das denn darstellen und warum sind deine Leute so seltsam angezogen?" fragte er verwundert.
"Erkläre ich dir ein anderes Mal... gibt es Neuigkeiten?" erklärte Rascaal knapp.
"Nun ja, von drinnen nichts weiter. Wir können nur von Glück sagen, daß noch niemand von den Passanten etwas mitbekommen hat." seufzte Lewton "Bei dieser Situation gäbe es in der ganzen Stadt nicht genug Möbel, um die Touristen fernzuhalten."
"Möbel? Ich versteh kein Wort." staunte der Vampir, der ja bei der letzten Besprechung nicht dabeigewesen war.
Schnell war Rascaal auf den neuesten Stand gebracht.
"Gärtnergilde... interessante Idee." murmelte Hauptmann Ohnedurst.
Venezia war inzwischen auf Rascaals Schulter geklettert und runzelte die Stirn.
"Sagt mal, dieser Greifefeu... der soll doch aus Überwald sein, oder?" fragte sie.
Ptracy nickte zustimmend.
"Der andere Name war...äähh..." sagte sie.
"Strangulara Nocturnalis?"
"Genau, Veni, das war's!"
"Dann blufft er...!" schlußfolgerte die Wergnomin.
Alle Blicke richteten sich auf die Gnomin.
"Seht mal, Nocturnalis heißt..." begann sie.
"In den Stunden der Nacht. Mensch Veni, du könntest tatsächlich Recht haben. Das Zeug ist nachtaktiv und kann bei Tage nicht wachsen und sich nicht bewegen." unterbrach Rascaal seine Partnerin.
"Deswegen waren die Pflanzen an den Tatorten auch alle vertrocknet... kein Loch, keine Möglichkeit, sich in den Boden zurückziehen zu können." sagte Ptracy.
"Und wenn wir uns irren oder er etwas anderes in dieser Flasche hat?" fragte Lewton "Ich meine, ich möchte nur sehr ungern meine Wettscheine verlieren."
"Ääääh..." brachte der Vampir nur mühsam hervor und leckte sich die Rote-Bete Reste von den Lippen. "Okay, wir gehen kein Risiko ein."
Er drehte sich um und trat zu seinen Leuten.
"Lilly, du wirst dich unbemerkt zu dem Haus begeben und versuchen ein wenig über das Innere herauszufinden. Räume, Lage der Türe usw. Und laß dich nicht erwischen!" befahl Hauptmann Ohnedurst.
"Soll ich ihn auch mit Farbkugeln bewerfen?" fragte Lilly grinsend. "Ab mit dir!" antwortete Rascaal.
"Zaddam, ich möchte, daß du dir Zugang zu dem Haus dort drüben verschaffst. Es liegt dem Fenster an dem Rince sitzt genau gegenüber und du hast ein freies Schußfeld. Fang aber nicht wieder mit dem Ferndämonen an, über irgendwelche Zielfragen zu diskutieren und du schießt erst auf mein Zeichen.
Malachit, zu dir komme ich gleich, aber zuerst möchte ich mit das Ganze mal von oben ansehen.
Veni, du kommst mit." Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kletterte Rascaal mit Venezia auf den Schulter das Regenrohr hoch und erklomm vorsichtig das Dach.
"Was meinst du?" fragte er die Wergnomin, als sie das Haus erblickten.
"Das wir keine zweite Chance bekommen werden." sagte Venezia bedrückt "Wenn ich unrecht haben sollte und der Typ läßt die Flasche fallen... naja, dann ist wohl Schluß mit lustig."
"Das denke ich auch und deswegen möchte ich, daß du das Folgende machst, wenn Lilly zurückkommt..." und der Vampir fing an zu erklären.

Nach gut 15 Minuten kehrte Lilly verschwitzt zurück. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und der ganze Schnee war schon fast weggetaut.
"Das ganze Haus besteht im Prinzip aus einem großen Raum mit einem kurzen und geraden Zwischenflur auf der Rückseite. Fast alle anderen Fenster sind mit einer schwarzen Substanz verschmiert und nicht einsehbar." berichtete sie.
"Gute Arbeit." lobte Rascaal.
"Du kehrst jetzt mit Veni auf das Dach des Hauses zurück und gibst dort meine Anweisungen an Mala und Zaddam weiter. Abmarsch."
Schnell begab er sich zu Zaddam und bat ihn um einen seiner Armbrustbolzen.
"Und? Bist du dir mit deinem Ferndämonen einig geworden?" fragte Rascaal.
"Naja, zumindest in den wesentlichen Punkten..." seufzte Zaddam.
Rascaal nahm den Armbrustbolzen und bohrte einen Nagel durch das hintere Ende.
"Wenn du Lilly auf dem Dach winken siehst, dann mach dich bereit zu schießen. Wenn sie ihre Arme wieder runternimmt schießt du und zwar genau so..." erklärte der Vampir und veranschaulichte, was er meinte.
"Das meinst du wirklich ernst, nicht wahr?" fragte Zaddam.
Hauptmann Ohnedurst nickte kurz und verschwand wieder. Zurück blieb ein etwas unsicherer Vampir mit einer sehr teuren Armbrust und einem sehr außergewöhnlichen Bolzen.
Als nächstes war der Obergefreite Malachit an der Reihe. Gemeinsam mit Hauptmann Ohnedurst und zwei weiteren Wächtern erreichte die Gruppe nach einem kleinen Umweg ein Stelle, an der sie die Rückseite des Hauses einsehen konnten.
"Okay mein Großer, dann paß mal gut auf!" setze Rascaal zu einer langsamen und vor allen Dingen möglichst einfachen Erklärung an.
"Siehst du Lilly dort oben auf dem Dach sitzen?"
"Ja... ich sie sollen runterschießen?" gab der Troll zurück und hob seine M.U.T., auf der schon ein geschälter Baumstamm lag.
Hastig ergriff Rascaal den Arm des Trolls und versuchte ihn herunterzudrücken, was genau die gleichen Erfolgschancen hatte, als würde man versuchen, Feldwebel Knurblich ihre Würstchen zu entwenden.
"Nein, Mala, entspann dich!" sagte der Vampir "Schießen sollst du nachher auf die Hintertür... NICHT JETZT, OBERGEFREITER... erst, wenn du ein Zeichen bekommst."
"Was du denn nun wollen? Du mich machen ganz verwirrt! Schießen, nicht schießen, dann doch wieder schießen, aber nur wenn gezeichnet wird." maulte Malachit.
"Hör einfach nur zu: Wenn Lilly den Arm hebt, dann zielst du gerade auf die Hintertür und wenn Lilly den Arm runternimmt, schießt du die Tür auf und am besten die dahinter auch gleich noch. Verstanden?"
Die steinernen Lippen des Trolls bewegten sich stumm und fast konnte man hören, wie die Siliziumströme träge ineinanderflossen.
"Ähhh... nein!" gestand Malachit mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck.
Rascaal seufzte und erklärte seinen Plan erneut.
"...Und wenn Malachit die Tür aufgeschossen hat, stürmt ihr zwei hinein und schafft Rince nach draußen, egal wie. Kümmert euch um NICHTS anderes!" mahnte er die hinter dem Troll wartenden Wächter.
Hauptmann Ohnedurst streckte sich kräftig und klopfte Malachit auf die Schulter.
"Denk immer dran, was Zaddam dir über das Zielen beigebracht hat: Immer über die Kimme direkt ins Korn!" sagte er und verschwand um die nächste Hausecke.

Feldwebel Knurblich haßte Dachböden. Sie hatten immer so etwas staubiges und deprimierendes. Dieser hier hatte noch etwas anderes: Einen hauchdünnen Fußboden.
Lilly hatte ihr geholfen, ein paar Dachschindeln beiseite zu räumen, um ihr Zugang zu verschaffen und als sie hindurchgeglitten war, merkte sie, wie sich der Boden unter ihr leicht durchbog... und dabei wog sie nicht mehr als ein halbes Dutzend Würstchen.
Während Lilly die Öffnung im Dach vergrößerte, begann die Gnomin äußerst vorsichtig mit ihren Vorbereitungen.
"Sorg nur dafür, daß er die Flasche hochhält.. schön hoch!" hatte Rascaal ihr befohlen.
"Wie soll ich das denn bitte machen? Ich kann ja schlecht reingehen und ihn darum bitten, weil er dann attraktiver aussieht!"
Der Vampir hatte nur mit der Schulter gezuckt und sie angegrinst.
"Du bist doch das Plappermaul!"
Und nun saß die kleine Wergnomin hier auf den Dachboden und versuchte unbemerkt zwei kleine Löcher in die Decke zu bohren. Eines davon benutzte sie als Guckloch, um sich ein Bild von der Situation unten zu machen, während sie aus ihrer kleinen (und zum Glück luftdichten) Umhängebeutel eines von Schnappers (grünlich leuchtenden) Würstchen holte und anfing, es aus der Pelle zu schälen.
Nun muß man wissen, daß es sich nicht um normale Wurstpelle handelte. Schnappers Pellen hatten eine eigene Härte und Zähigkeit, die bei den speziellen Zutaten auch nötig waren. Böse Zungen (und in Ankh-Morpork waren fast alle Zungen böse) behaupteten, seine Wurstpelle wären wegen der Zutaten, die sie umschlossen, ausbruchssicher.
Venezia konnte Tanik im Raum unter ihr sehen. Unruhig lief er auf und ab, hatte das Fläschchen fest umklammert und murmelte für die Gnomin unverständliches Zeug.
Schnell schlang sie das Innenleben des Würstchens hinunter und formte ein kleines Sprachrohr aus der übriggebliebenen Pelle.

***


"Wie zum Teufel hatten diese verdammten Wächter alles so schnell herausbekommen? Sie waren doch sonst auch nicht so elendig effizient?" murmelte er vor sich hin.
Bo Tanik war zutiefst verwirrt. Alle seine Pläne waren nutzlos. Wie sollte er nur hier wieder heil rauskommen? Wie sollte er vorgehen? Sollte er sie einschüchtern oder sollte er versuchen sich einzuschleimen? Wo sollte er nun hin? Doch vor allen Dingen drängte sich seltsamerweise bei ihm besonders eine Frage in den Vordergrund: Wie lange wird der Stuhl diesen übergewichtigen Wächter wohl noch aushalten?

***


Venezia schaute nach oben, sah, daß Lilly die Öffnung des Daches mehr als verdoppelt hatte, nun auf dem höchsten Punkte des Daches stand und angestrengt zu ihr runterstarrte. Auch Hauptmann Ohnedurst war inzwischen eingetroffen und beobachtete sie.

***


Tanik schnupperte. Der Hauch eines eigenartigen Geruches lag mit einem Mal in der Luft. Er kannte diesen Geruch von Ansammlungen auf der Straße und verband ihn mit dem Ausruf: Fast heiße Würstchen, die praktisch tot sind!!! Eines Mannes mit einem Bauchladen.
"PSSSSST... hey, hey du da draußen!!" ertönte mit einem Mal eine leise Stimme, doch es war Tanik unmöglich zu sagen woher, da sie seltsam gedämpft klang.
Auch Rince hatte die Stimme gehört und sie erkannt, ließ sich allerdings nichts anmerken.
"PSSSSSSSSSST... hey du, kannst du mich hören?"
"J-j-j-j-jaa...!" antwortete Tanik zaghaft "W-w-w-w-wo bist du und wer bist du?"
"Ich bin dein Ego und ich bin in deinem Kopf!"
Der Gärtner schluckte.
"W-w-w-was gibt es denn? I-i-i-ich bin gerade ziemlich beschäftigt!" startete er einen zögerlichen Versuch.
"Genau darüber wollte ich mit dir reden. Was glaubst du eigentlich, was du hier machst?" fragte die Stimme.
"Ich versuche meine Haut zu retten." antwortet Tanik nun etwas sicherer "Muß ein Ego eigentlich so riechen? Ist ziemlich unappetitlich."
"Äääh... weiß nicht, ich bin noch keinem andern Ego begegnet. Wie dem auch sei: Du meinst also so deine Haut retten zu können? Dann werde ich mir wohl bald einen neuen Job suchen müssen!"
"Was sollte ich denn deiner Meinung nach machen?" fragte Tanik neugierig.
"Du mußt Stärke zeigen... schüchter sie ein... zeig ihnen deine Waffe.. droh mit ihr und sie werden klein beigeben."
Tanik schaute auf die kleine Flasche am Lederband.
"Also ich weiß nicht... besonders imposant sieht sie ja nicht aus."
"Es kommt auf den Inhalt an, Mensch. Nun sei ein Mann. Reiß sie hoch und zeig ihnen, was sie fürchten müssen und sie werden dir geben, was du verlangst."
Feldwebel Knurblich hob ihren kleinen Arm.
Lilly hob auf dem Dach beide Arme.
Zaddam schaute skeptisch auf den Bolzen mit dem quergesteckten Nagel am Ende, legte ihn aber trotzdem ein, weckte den Ferndämonen und suchte sein Ziel.
Malachit spannt die mächtige Armbrust und legte an.
Die hinter dem Troll stehenden Kamikhan und Sidarrtha machten sich laufbereit.
Rascaal auf dem Dach machte sich sprungbereit.
Ein Moment der übernatürlichen Ruhe und Spannung breitete sich aus und genoß es, so im Mittelpunkt zu stehen.
"Aber was, wenn es nicht klappt? Ich meine, was, wenn sie lachen? Außerdem wird mir von diesem Geruch langsam schwindelig... ich muß mich mal hinsetzen.. ach, das geht ja nicht..." zweifelte Tanik.
Venezia verlor die Geduld... außerdem schlief ihr erhobener Arm ein.
"Sie werden nicht lachen, das weiß ich ganz genau... UND NUN STRECK ENDLICH DIESE VERFLUCHTE FLASCHE NACH OBEN; DU SCHLAPPSCHWANZ; MISTUNDVERDAMMT!!!" rief sie.
Mehr aus purem Reflex, als aus echter Überzeugung riß Tanik die Flasche hoch über seinem Kopf und im gleichen Moment ließ die Wergnomin ihrem Arm fallen.
Ruhe und Spannung wichen unmittelbar den sich überschlagenden Ereignissen.
Lilly auf dem Dach senkte ruckartig ihre Arme und sofort schleuderten zwei unterschiedlich große Armbrustsehnen ihre Fracht den anvisierten Zielen entgegen.
Zaddams Bolzen sauste schnurgerade durch die Luft und flog mitten durch die Lederschlinge, an der Tanik die Flasche hielt. Der Nagel am Ende des Bolzens wurde traf das Leder und riß das Gefäß aus der Hand des Gärtners. Dekorativ bohrte sich der Bolzen nun samt Flasche in die schräg hinter Tanik liegende Wand und war außer Reichweite.
Fast gleichzeitig durchschlug Malachits Geschoß nicht nur die Hintertür, sondern verwandelte auch noch die Zimmertür in mittelgroße Holzspäne. Sidarrtha und Kamikhan sprinteten zu allem entschlossen los und legte die kurze Strecke in Rekordzeit zurück.
Rascaals Plan war es, sich von oben durch das Dach fallen zu lassen, doch als er sich abgestoßen hatte, merkte er, daß er ein winziges Detail übersehen hatte: Venezia, die noch immer unter ihm lag und durch die Wurstpelle sprach.

***


Alles geschah so schnell, daß Taniks Gehirn die Ereignisse erst einmal ordnen mußte. Nachdem ihm seine Flasche ziemlich schmerzhaft aus der Hand gerissen worden war, verwandelte sich die Tür hinter ihm in Staub und kurz darauf kamen zwei Wächter hereingestürmt, die ihn seltsamerweise komplett ignorierten und auf den gefesselten Kommandeur zuliefen. Dort angekommen, schienen sie einen Moment lang nicht sicher zu sein, was sie nun tun sollten, packten dann aber der Einfachheit halber Rince samt Stuhl und kippten ihn aus dem Fenster.
Zu allem Übel zerbarst die Decke dann auch noch über ihm und es gesellte sich ein neuer Geruch zu dem Alten... etwas, daß ihm als Gärtner nicht unbekannt war... Rote-Bete.
Das war auch schon so ziemlich der letzte Gedanke, den Herr Tanik zustande brachte, da ihn die fallende Gestalt durch ihr Gewicht wie einen Baumstamm fällte.
Gnädige Dunkelheit umfing ihn....


EPILOG:
2 Tage später:
Wieder einmal saßen sämtliche Offiziere um Rince Schreibtisch versammelt.
Der Kommandeur war zwar hochzufrieden, aber er hatte auch einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Eine Stützverband zierte seinen Hals, eine Arm war gebrochen und seine gestauchten Rippen schmerzten bei jedem Bissen, den er zu sich nahm. Alles folgen seines Sturzes (oder Sidarrthas und Kamikhans Wurfes, je nach Sichtweise) aus dem Fenster. Feldwebel Knurblich hatte da wesentlich mehr Glück gehabt, als Rascaal sie (und Bo Tanik) unter sich begraben hatte, denn sie war ja untot und deswegen wesentlich widerstandsfähiger.
"Also ich fasse nochmal zusammen." sagte Rince und blickte in die Runde "Ihr seid von dem Konzept zwar noch immer nicht überzeugt, seid aber bereit, es wenigstens mal auszuprobieren...?"
Einstimmiges Nicken.
"Okay, dann macht mir mal Listen, mit euren Vorstellungen und dem was ihr braucht. Ich brauche jetzt mein Schläfchen... wegtreten!", befahl der Kommandeur und beugte sich vor um seinen Worten mit einem Fausthieb auf den Schreibtisch Nachdruck zu verleihen.

Als man den Lärm unten hörte, wendeten sich alle Gesichter dem hoffnungsvoll dem Obergeschoß zu.
Grinsend erschien Hauptmann Lewton am Kopf der Treppen.
"Wer hat auf 11:45 Uhr gewettet? Vortreten...!" rief er ausgelassen in die Runde.


ANMERKUNG:
Alle Einteilungen zu den Abteilungen sind nur für diese Geschichte geschehen und sind in keinster Weise bindend.
Selbstverständlich stehen euch noch immer alle Wege offen.... bloß keiner mehr zurück ;o)
Hauptmann Rascaal Ohnedurst


ENDE



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