Mitgift

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von Feldwebel Magane (SUSI)
Online seit 12. 02. 2023
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 04. 08. 2013 datiert
Dauer: Über eine Woche

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Ein geheimer Spezialauftrag im Ausland, der verdächtig nach einer Falle ausschaut...

Dafür vergebene Note: 13

Urlaub, von höchster Stelle angeordnet, was sollte das denn nun schon wieder bedeuten? Erst hetzte er ihm einen Inspektor auf den Hals und dann schickte er einfach so einen seiner Abteilungsleiter in den Urlaub. Er mochte nicht unbedingt ein Freund Maganes sein, aber sie hielt die Abteilung SuSi wenigstens in Schwung und da konnte ein Urlaub - noch dazu einer auf unbestimmte Zeit - vernichtende Auswirkungen haben. Andererseits war es ruhig in der Stadt und Pathologen hatten sie auch genug und SuSi war bei Pismire in guten fähigen Händen... möglicherweise sogar in besseren und fähigeren als Maganes. Was war an dem Feldwebel so besonders, dass nur sie für diesen geheimen Spezialeinsatz in Frage kam? Wer hatte sie angefordert? Warum gab es Wacheangelegenheiten, die den Kommandeur der Wache nichts angingen? Er nahm die Flasche aus der Schublade und unterschrieb den Urlaubsantrag, den er selbst aus dem Palast mitgebracht hatte. Sinnlose Bürokratie, die offenbar der Tarnung diente... hoffentlich hatten sie sich wenigstens die Mühe gemacht sie zu informieren. Normalerweise hätte er jetzt Reggie gerufen und diesem den Antrag zum Transport übergeben, aber es sollten so wenige wie möglich informiert werden und wenn die Rohrpostdämonen einmal etwas wussten, wusste das bald jeder. Er packte die Flasche ungeöffnet wieder weg und stand auf. Zeit die Hexe in den Urlaub zu schicken.
Maganes Tür stand weit offen und es wehte ihm ein aromatischer Kräuterduft entgegen. Araghast klopfte flüchtig an den Türrahmen und betrat dann das duftende Eckbüro. Der Feldwebel saß hinter ihrem Schreibtisch und las in einer Akte, die sie zügig zuklappte, bevor sie aufsah.
„Guten Morgen, Chef“, sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und zeigte auf die, unschwer als Duftquelle auszumachende, Teekanne, „wenn du auch einen Tee möchtest bring dir bitte eine Tasse aus dem Regal mit.“
Er nahm sich eine von den weniger omnianischen Tassen aus dem Regal und setzte sich auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch.
„Was führt dich her? Was hab ich diesmal ausgefressen... obwohl du mich dann vermutlich von der Würstchenfettbrigade hättest zu dir rauf zitieren lassen“, sie lächelte noch immer und schenkte dem Kommandeur Tee ein.
„Der Patrizier hat mir heute Morgen diesen Urlaubsantrag hier gegeben“, er reichte Mag den Zettel und sie nahm ihn zögernd entgegen. Der Antrag sah aus, als sei er von ihr ausgefüllt, die Handschrift sah ihrer recht ähnlich, aber es war nicht ihre. Außerdem hatte sie keinen Urlaub eingereicht und erst recht nicht auf unbestimmte Zeit.
„Dir ist klar, dass ich diesen Antrag nicht gestellt habe?“
„Ja, offensichtlich eine Fälschung, aber darum geht es nicht. Seine Lordschaft hat mir klar gemacht, dass es sich hierbei um einen Spezialauftrag unter strenger Geheimhaltung handelt, für den du zum einen speziell angefordert wurdest und zum anderen als einzige qualifiziert bist“, das passte ihm alles überhaupt nicht, es fühlte sich zu sehr nach einer Falle an. Er trank vorsichtig einen Schluck von dem Kräutertee, stellte dann aber fest, dass die Vorsicht unbegründet war. Maganes Tees waren besser als ihr Ruf.
„Hier steht 'Reise nach Omnien' und 'unbestimmte Zeit'. Wie soll das gehen? Was soll aus meinen Kindern werden? Die Beiden kann ich unmöglich dahin mitnehmen, da herrscht beinahe Bürgerkrieg.“
„Ich fürchte du hast keine Wahl als die Kinder in der Obhut deiner Familie zu lassen und ich hoffe alles Weitere findet dich hier in diesem versiegelten Umschlag“, er übergab ihr einen großen Umschlag und trank zügig den Tee aus, bevor er fortfuhr: „Den solltest du allerdings erst öffnen wenn du allein bist.“
„Aber ich will nicht nach Omnien...“
„Dir bleibt anscheinend keine Wahl. Vielen Dank für den Tee, hab eine gute Reise und sei vorsichtig da drüben“, er stand auf und ging. Magane sah sich noch einmal den Urlaubsantrag an; ab sofort... auf unbestimmte Zeit... äußerst merkwürdig. Sie betrachtete den Briefumschlag genauer, ein großer brauner Umschlag, versiegelt mit dem unverkennbaren Wappen Vetinaris. Sie hatte quasi nie direkt mit dem Patrizier zu tun gehabt und hatte es auch bisher nicht vermisst, für sie war das einer der entscheidenden Gründe nicht die Offizierslaufbahn einschlagen zu wollen. Trotzdem hatte er schon vor Jahren gezeigt, dass er zumindest wusste wer sie war, oder sich entsprechend informiert hatte, als es notwendig wurde. Sie öffnete den Briefumschlag unter großer Vorsicht um das Siegel nicht allzusehr zu beschädigen und schüttete den Inhalt auf den freien Flecken ihres Schreibtisches aus. Als erstes fiel ihr eine dechiffrierte Klackermeldung ins Auge: „Wegen Mordermittlung dringend Hilfe von außerhalb benötigt. Hierzu wird angefordert [aktueller Rang] Magane Schneyderin. Gez. 1. Sekr. d. Botschaft i. Omnien.“
So so, der 1. Sekretär der Botschaft in Omnien also, und der hatte sie persönlich angefordert. Aber wen kannte sie denn noch in der alten Heimat? Sie hatte nicht nur jeden Kontakt abgebrochen, sondern auch ihr Möglichstes getan um ihre alte Identität abzulegen.
Konnte David hinter all dem stecken? Sie hatten einander zwar regelmäßig einmal im Monat geschrieben, seit er vor Jahren nach Klatsch gegangen war, um von dort die religiösen Konflikte in der Heimat im Auge zu behalten, nur in den letzten beiden Monaten waren keine Briefe gekommen. Das hatte sie verletzt, mehr als sie hatte zugeben wollen. Die Regelmäßigkeit der Korrespondenz hatte die Fernbeziehung beinahe erträglich gemacht, aber es hatte sich bisher keine Gelegenheit ergeben intensiv per Klacker nachzuforschen. Konnte es sein, dass er nach Omnien versetzt worden war, ohne ihr davon zu schreiben? Oder waren seine Briefe nur nicht angekommen? Hätte er dann nicht über das Klackernetz nachgefragt... oder war er dazu zu beschäftigt? Immerhin forderte er ihre Hilfe an, wenn er es denn war...
Außer dieser relativ kleinen Klackermeldung enthielt der Umschlag einen Hefter, bei dem es sich offenbar um ein politisches Dossier handelte, einen Fahrschein für das Postschiff am kommenden Morgen und einen weiteren versiegelten Umschlag, diesmal mit dem Wappen von Ankh-Morpork gestempelt. Auf diesem Umschlag stand sonst nichts, er war deutlich kleiner und sah aus als hätte er einen weiten Weg hinter sich, was ungewöhnlich wirkte, weil er eben keine Beschriftung trug.
Magane beschloss sich das alles zu Hause nochmal genauer anzusehen und packte ihre Sachen zusammen. Dann nahm sie die Tafel von der Tür und beschriftete eine Seite mit „Urlaub, bei Fragen bitte an Pismire wenden“, hängte sie wieder auf, griff nach ihrer Tasche, verließ das Büro und schloss hinter sich ab. Da ihr Stellvertreter grade selber frei hatte war er vermutlich auch nicht in Haus, deswegen brachte sie ihren Büroschlüssel zum Kommandeur, wo sie geflissentlich den Rumgeruch ignorierte und sich abmeldete.

„Was soll das heißen? Du kannst doch nicht einfach gehen“, der Ärger ihrer Großmutter war nur zu verständlich, aber sie konnte ja nichts dagegen tun.
„Ich gehe nicht einfach, ich habe einen Befehl bekommen“, die Erklärung war bisher schon nicht leicht gewesen und würde noch mal schwieriger werden wenn Tom von der Schule heim kam.
„Schnickschnack, Befehle... Was heißt überhaupt, dass nur du dazu in der Lage bist? Du kannst doch nichts was andere nicht auch können.“
„Na, vielen Dank für die Blumen. Ich kann jede Menge und vermutlich ist es eine Kombination meiner Fähigkeiten die gefragt ist. Es geht jedenfalls um Mord.“
„Es geht doch immer um Mord.“
„Nein, nicht immer. Ich kann es nicht ändern. Hilfst du mir jetzt beim Packen oder nicht?“
„Was steht in dem Brief?“
„Schon mal was von strenger Geheimhaltung gehört?“
„Blödsinn, ich will wissen worauf du dich einlässt“, der stählerne Wille, den Magitt Wechter hier durchblicken ließ, würde nicht zulassen, dass Maggie irgendwelche Informationen zurückhielt. Sie konnte zwar auch so sein, aber ihre Großmutter hatte Jahrzehnte mehr Erfahrung darin. Magane öffnete auch diesen Umschlag möglichst vorsichtig, um das Siegel nicht zu beschädigen und nahm den Brief heraus.

„Meine liebe Magane,
Vermutlich konntest du dir schon denken, dass ich es war, dem du deinen Einsatz in diesem traurigen von Om verlassenen Land verdankst. Ich bin untröstlich, aber ich muss einen Profi aus der Stadt hinzuziehen, hier kann man keinem vertrauen, jeder verfolgt seine eigenen Interessen. Eigentlich müsste ich ein ganzes Team von Stadtwächtern anfordern, aber ich weiß, dass sowohl eure, als auch unsere Kapazitäten limitiert sind und daher fiel meine Wahl auf dich. Ermittler, Spurensicherer und Pathologe in einem, mit einer ausgezeichneten Kenntnis der Landessprache und der Kultur. Ich weiß natürlich, dass ich viel von dir verlange, aber du bist meine einzige Hoffnung diesen Fall überhaupt aufzuklären. Ich erwarte dich sehnlichst. Ausrüstung wird dir hier zur Verfügung gestellt. Bitte beachte die aktuellen omnianischen Kleidervorschriften, wir sollten am Hafen und in der Stadt möglichst wenig auffallen.
Dein David
PS. Bitte bringen deine Tanzschuhe mit, Gelegenheit zum Tanzen findet sich selbst im Krieg.“

Sie gab den Brief an ihre Großmutter weiter und klappte den Hefter auf, in der Hoffnung hier etwas zu den Kleidervorschriften zu finden. Es sah so aus, als habe momentan eine radikalere Gruppierung die Macht an sich gerissen. Und die schrieben doch tatsächlich Kopftücher und knöchellange Kleider vor. Sowas hatte sie gar nicht, zumindest nicht in ausreichender Menge.
„Sieht so aus als müsse ich auch noch einkaufen“, sie las weiter und schauderte, die Menschen, die jetzt an der Macht waren, verkörperten all das wogegen ihre Eltern gekämpft hatten.
„Ach was, wir finden genug lange Kleider und Kopftücher für dich“, mit diesen Worten stand die alte Frau auf und machte sich auf die Suche.

Magane hatte einen furchtbaren Abend hinter sich und eine Nacht, in der sie kaum Schlaf gefunden hatte, rundete das Gesamtbild ab. Das lange graue Kleid saß etwa so gut wie ein Kartoffelsack und unter dem, ebenfalls grauen, Kopftuch juckte jetzt schon alles. Das konnte nicht gut gehen, sie sah zwar jetzt aus wie eine ehrbare Omnianerin, die nach einem Besuch in der großen sündigen Stadt endlich nach Hause zurückkehrte, aber sie wusste, dass schon ein rebellischer Kommentar reichen würde, um dieses Bild zu zerstören.
In der Reisetasche, die sie dabei hatte, waren neben Wechselkleidung und den Unterlagen auch ihre Wachemarke und der kleine Dolch, den sie schon während ihrer ersten Einsätze als Rekrutin zu ihrem erklärt hatte. Seltsamerweise war es Tom gewesen, der auf der Mitnahme des Dolches bestanden hatte... Toms Verhältnis zu Waffen war manchmal etwas beängstigend, aber das war auch kaum verwunderlich, da er ja in einem Haus voller Waffen aufgewachsen war und auch sehr genau um die Gefahren des Lebens wusste. Ihr Sohn hatte sie wirklich überrascht, auch damit, dass er relativ geringe Schwierigkeiten damit zu haben schien, dass sie für eine unbestimmte Zeit nicht da sein würde. Er tat zumindest so als mache ihm das nichts aus. Er hatte argumentiert, dass ja der Rest der Familie da war und die Zeit sicher schnell vorbei gehen würde.

Passagiere auf dem Dampfpostschiff waren absolut nichts ungewöhnliches, seit diese Linie dauerhaft eingerichtet war, war es problemlos geworden das Runde Meer zu überqueren. Sie fiel nicht besonders auf - was sicherlich einer der Vorteile der sackartigen Kleidung war - suchte aber auch keinen Kontakt zu den anderen Passagieren oder der Besatzung.

***

„Du bist ihr sehr ähnlich“, er machte eine fahrige Bewegung in Richtung des Kleides, das sie bügelte.
„Wem, der Frau die du unablässig beschimpfst?“
„Ja, das Kleid ist für sie, der Trottel holt sie doch tatsächlich her... Du hättest seine Briefe lesen müssen, ekelhaft verliebt.“
„Wieso hast du die überhaupt abgefangen?“
„Ich konnte nicht widerstehen, sieben Jahre habe ich nichts von ihr gehört, von meiner Eni, meinem Mädchen... Sie hat mir gefehlt, sonst hätte ich dich nicht nach ihrem Bild geformt“, er strich über ihren Oberarm.
„Wäre es dann nicht sinnvoller gewesen ihre Briefe abzufangen?“
„Ihre konnte ich stehlen“, er fischte ihren Schlüssel aus der Schürzentasche und klimperte damit, „Sie ist mindestens genauso verliebt, schreibt aber nicht so viel widerlichen Kitsch.“
***


Der Hafen von Kom war laut und bunt und man konnte in dem Gewimmel problemlos den Überblick verlieren, aber es war auch ein Hafen, dem man anmerkte, dass etwas faul war in dem Land. Hier waren außergewöhnlich viele Bewaffnete und es gab Spuren von Ausschreitungen und Explosionen an den Gebäuden. Magane vermied es dennoch sich zu genau umzusehen, sie wollte nicht auffallen und es war nie gut, wenn Hafengesindel bemerkte, dass man neu an dem Ort war, an dem man ihm begegnete. Es kostete sie viel Überwindung das Postschiff auch wirklich zu verlassen, sie fürchtete sich vor dem Getümmel und davor innerhalb kürzester Zeit verloren zu gehen. Aber dann sah sie David, der, obwohl er nicht den üblichen schwarzen Anzug trug, sondern etwas was man bei der Wache als klassische Zivilkleidung bezeichnet hätte, auffiel wie eine Rosenblüte in einem Dornengestrüpp. Er stand zu still und wirkte in seiner grauen Tuchhose und dem karierten Hemd seltsam deplatziert. Magane verließ das Schiff mit ihrer Reisetasche in der Linken und versuchte auf schnellstem Wege zu ihm zu kommen. Es dauerte nicht lange bis er sie bemerkt hatte und sich ebenfalls auf sie zu bewegte. Als sie einander erreicht hatten, schloss er sie stürmisch in die Arme und flüsterte „Spiel mit, wir werden wahrscheinlich beobachtet“ in ihr Ohr. Dann löste er die Umarmung und hielt sie auf Armlänge fest um sie genauer zu betrachten.
„Ich habe dich so vermisst, bin so froh dass du endlich bei mir bist, Liebste!“ Er sprach laut und Omnianisch, eine Begrüßung für die eventuellen Zuschauer, dann nahm er ihr die Reisetasche ab und geleitete sie zu einer bereitstehenden Kutsche.
„War deine Reise erträglich?“
„Ja, du weißt, ich reise nicht gern, aber hier bei dir zu sein macht die weite Reise verschmerzbar“, es passte ihr überhaupt nicht so dicht aufzutragen, aber wenn sie schon mitspielen musste...
Als sie in der Kutsche saßen entspannte sich David etwas, er lächelte ihr zu und es fühlte sich fast so an wie damals auf dem Ball. [1]
„Schönes Kleid, vorbildlich dezent und reizlos“, er zwinkerte ihr zu.
„Was ist hier los?“
„Nicht hier, warte, bis wir in der Botschaft sind.“
„Vielen Dank, dein Kompliment war ausgesprochen charmant, übrigens dieses Hemd sieht an dir total fremd aus.“
„Ja, finde ich auch...“
Die Kutsche ruckelte über das Pflaster, die Stadt vor den Scheiben wirkte so fremd, so anders. Kom war keineswegs schöner oder besser als Ankh-Morpork, kleiner und anders, etwas sauberer und durch den Mangel an Ankhwasser roch sie deutlich besser. Trotzdem hätte Magane alles gegeben, um wieder daheim zu sein. Das war ihr alles so fremd geworden, sie sah David fragend an, aber der schüttelte nur den Kopf.
Es dauerte nicht lange, bis die Kutsche an einem großen Tor zum stehen kam, erkannt und eingelassen wurde. David sah auf und lächelte.
„Willkommen in Ankh-Morpork!“
„Nicht komisch.“
„Nein, ist es nicht, aber innerhalb dieser Mauern hast du die gleichen Befugnisse wie zuhause und du kannst auch das Kopftuch abnehmen, ich kann sehen dass es dich stört.“
„Wem spielen wir etwas vor?“
„Dem Beobachter, mit dem wir jederzeit und überall rechnen müssen. Offiziell bist du als meine Braut hier.“
„Du weißt, was ich vom Heiraten halte“, Magane nahm das Kopftuch ab, er hatte recht, es störte sie unheimlich.
„Oh ja, das habe ich nicht vergessen, aber ich kann hier niemandem trauen, deswegen habe ich mir schnell eine Tarnung für dich einfallen lassen und die ist leider nicht sehr kreativ“, er schenkte ihr ein jungenhaftes entschuldigendes Lächeln.
„Nicht kreativ, aber auch nicht unglaubwürdig. David, ich werde natürlich mitspielen, schon allein, weil ich schlecht nein sagen kann, wenn ich offiziell genau deswegen angereist bin. Aber wir sollten trotzdem irgendwie eine Gelegenheit finden, um über unsere Beziehung zu reden.“
„Selbstverständlich, in unserem Quartier haben wir ausreichend Gelegenheit zu reden, aber lass uns erstmal reingehen“, er öffnete die Tür der Kutsche stieg aus und bot ihr seine Hand zum Ausstieg an. Mag stieg ebenfalls aus und er griff mit einem schiefen Grinsen nach ihrer Reisetasche.
„Unser Quartier?“
„Es ist ausgesprochen geräumig und schließlich spielen wir ein Brautpaar. Also wieso sollten wir uns nicht die Räume teilen?“
Er legte ihr den freien Arm um die Taille und führte sie in das etwas protzige Gebäude. Sie begegneten niemandem, aber sie konnten absolut sicher sein, dass sie beobachtet wurden, das war deutlich zu spüren. Sie gingen auf deiner der Treppen zwei Stockwerke nach oben und am Ende eines langen Flures schloss David eine Tür auf und schob Mag in den dahinterliegenden Raum. Es handelte sich um eine Art Wohnzimmer.
„Mein Reich“, er grinste sie an.
„Dann wohl unser Reich“, sie zwinkerte ihm zu, ging hinüber zu dem moosgrünen Sofa und setzte sich, „Also, was ist hier los?“
„Der Botschafter ist ermordet worden. Von jemandem hier in der Botschaft und allein kann ich das nicht aufklären. Hauptsächlich, weil mir keiner glauben würde, schließlich profitiere ich ebenfalls davon, dass die Stelle frei geworden ist“, er setzte sich neben sie.
„Tust du das?“
„Nein, nicht wenn man bedenkt, dass ich nicht hier sein möchte, sondern eigentlich nur wieder heim nach Ankh-Morpork möchte“, er sah auf einmal sehr traurig aus, „dort war ich glücklich, mit der kleinen Stelle im Palast, der Frau, die ich liebe und der ich nachstellen konnte...“, sie unterbrach ihn mit einem Zischen und einem scharfen Blick.
„Hast ja dein Ziel erreicht, jetzt muss ich dich heiraten, selbst wenn es nur zur Tarnung ist“, sie atmete tief durch und versuchte dann wieder zum Thema zurück zu kommen, „In wie fern profitierst du von seinem Tod?“
„Ich bin erster Sekretär, sowas wie ein Stellvertreter des Botschafters, im Moment leite ich den Laden hier und warte auf die Ernennung des nächsten Botschafters. Ich habe zwar seiner Lordschaft mitgeteilt, dass ich an der Stelle kein Interesse habe, aber für meine Wünsche hat sich seine Lordschaft in der Vergangenheit nicht sehr interessiert. In der aktuellen Lage wäre es klüger jemanden mit mehr diplomatischem Geschick zu ernennen. Aber wer weiß das schon?“
„Woran ist der Botschafter gestorben?“
„Ja, das ist der nächste Punkt. Er wurde vermutlich vergiftet.“
„Das wirft natürlich ein ganz schlechtes Licht auf dich. Wie viele Giftspezialisten gibt es hier noch?“
„Weiß nicht, bin noch nicht lange hier.“
„Nicht lange hier und trotzdem schon soweit oben?“
„Bin quasi ausgeliehen, auf eigenen Wunsch, habe eine Spur hierher verfolgt. Aber das ist nicht wichtig. Jedenfalls fand seine Lordschaft, dass ich die politische Entwicklung von hieraus vielleicht noch besser beobachten könne und hat ausnahmsweise meinem Wunsch entsprochen.“
„Dann sollten wir zügig anfangen den Fall zu untersuchen. Worauf warten wir noch?“
„Darauf, dass er auftaut, er liegt seit seinem Tod auf Eis. Morgen dürfte er wieder soweit sein und bis dahin können wir weiter an deiner Tarnung arbeiten.“
„Kann ich nicht einfach ganz offiziell ermitteln?“
„Nein, offiziell können wir diese Ermittlungen erst nach ihrem Abschluss machen.“
„Aber ist es nicht total auffällig, wenn wir direkt am ersten Tag an dem ich hier bin heiraten?“
„Du windest dich... ist der Gedanke so schrecklich?“
„Nein, überhaupt nicht. Aber ich hab kein Kleid, es ist nichts vorbereitet, ich muss zum Frisör und baden und...“
„Die Reihenfolge solltest du noch mal überdenken“, er grinste breit, stand auf und bot ihr eine Hand an. Magane sah ihn fragend an, ergriff dann aber die Hand und ließ sich in den Nachbarraum führen. Es handelte sich um ein Schlafzimmer, mit einem riesigen Bett in der Mitte und einem großen Kleiderschrank an der den Fenstern gegenüberliegenden Seite. Am Kleiderschrank hing ein traumhaft schönes Kleid aus veilchenblauer Seide.
„Das eine oder andere habe ich mir schon erlaubt vorzubereiten. Du hast allerdings recht mit dem Bad und der Frisur. Das Bad ist nebenan und die Frisörin schicke ich dir gleich rauf“, er sah auf seine Taschenuhr, „Wäre so in zwei Stunden für dich in Ordnung?“
Mag war sprachlos und nickte nur, die Situation war unwirklich und schön und wirkte dennoch, oder vielleicht grade deswegen, wie eine Falle.
„Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen, bis später“, er verabschiedete sich mit einem Kuss auf Maganes leicht gerunzelte Stirn und ließ sie allein.
Es musste ein Trick sein, ein ganz mieser Trick um sie endlich dazu zu bringen, ihn vollkommen in ihr Leben zu lassen. Konnte es sein, dass er nur zu diesem Zweck jemanden ermordet hatte? Nein, das hätte er sicher nicht getan, er war kein Mörder... er war Assassine und die waren schließlich keine Mörder in dem Sinne. Wenn sie sich das nur immer weiter einredete, gelang es ihr vielleicht irgendwann sich selbst davon zu überzeugen. Andererseits war das keine gute Methode in das Leben einer Wächterin zu gelangen, Mord war immerhin ein todeswürdiges Vergehen. So dumm war er nicht.
Sie inspizierte das Badezimmer, ließ sich an Bad ein und sah sich währenddessen weiter um. Das Bad war, genau wie das Schlafzimmer, der pure Luxus. Fließendes warmes Wasser - automatisch fragte sie sich wie das gemacht wurde - große Spiegel, glänzende Oberflächen, alles groß und hell. Hier ließ es sich sicher gut leben, wenn man das wollte. Sie zog sich die staubige, von der Überfahrt salzige Kleidung aus und stieg in die Wanne. So, viel besser... sie hörte auf nachzudenken und ließ sich treiben. Magane nickte kurz weg, konnte sich aber davon abhalten ganz einzuschlafen. Waschhaut wäre das letzte was sie jetzt brauchte, wenigstens einmal wollte sie die strahlende Braut sein. Aller guten Dinge seien drei, sagten die Leute.
Mathie... gezwungen und unglücklich, von einem blöden Korsett so eingeengt, dass sie kaum hatte atmen können. Pausenlos am Rande von Ohnmacht auf der einen Seite und einem Nervenzusammenbruch auf der Anderen. Kein Jahr hatte es gedauert, bis sie ihn hatte begraben müssen.
Ktrask... Liebe, Romantik und der ganze Schnickschnack, aber trotzdem hatten sie es nicht richtig gemacht. Eine hastige Zeremonie an einem gemeinsamen freien Tag um das Richtige zu tun, um dem gemeinsamen Sohn eine richtige Familie zu geben, eine Absicherung, falls einem von ihnen etwas geschah. Nicht einmal vier Monate hatte es gedauert, da war sie wieder Witwe, diesmal heimlich, weil sie die Hochzeit nicht an die große Glocke hatten hängen wollen.
Und jetzt David... eine Tarnehe mit demjenigen, der vielleicht der Richtige wäre, wenn er nicht hier im feindlichen Heimatland arbeiten und leben würde. Die endlosen Briefe hatten sie überzeugt, er könnte der Richtige sein. Nie war sie mit jemandem so ehrlich gewesen, alles hatte sie ihm geschrieben, die guten, wie auch die weniger guten Dinge. Er wusste von Rogis Tod, von Ophelias Situation... von einfach allem. Im Gegenzug hatte sie von ihm hauptsächlich Liebesbriefe bekommen, poetische lange Liebesbriefe, wie sie sie selbst niemals hätte schreiben können. Er hatte sich wirklich bemüht und auch wenn das hier alles etwas schnell ging, so wollte sie ihn dennoch nicht wegstoßen. Vielleicht war es mal wieder an der Zeit für ein bisschen Nähe.
Aber musste man deswegen gleich heiraten?
Immerhin war ihre gemeinsame fast zweijährige Tochter schon nicht Grund genug gewesen, zumindest nicht für das Gesamtpaket, bestehend aus Hochzeit und Umzug nach Klatsch.
Magane kletterte aus der Wanne und trocknete sich ab, dann ging sie ins Schlafzimmer und sah sich das Kleid genauer an. Es war noch zu früh, sie musste auf jeden Fall warten, bis ihre Haare fertig waren. Aber der Gedanke wie er es immer wieder schaffte ihre Größe zu schätzen war ihr ein Rätsel. Und dann hatte er auch noch genau die Farbe ihrer Augen getroffen, obwohl sie sich seit zweieinhalb Jahren nicht gesehen hatten. Das Kleid traf sehr genau ihren Geschmack, es war nicht mit Perlen oder Stickereien verziert, hatte keine Rüschen oder Spitzen nur zart schimmernde Seide. Der Schnitt war figurbetont, aber schlicht. Der Ausschnitt bei weitem nicht tief genug, dass er unzüchtig gewirkt hätte, aber vorhanden. Ein Kleid, das wunderschön und kostspielig war und er hatte es sicherlich nicht von heute auf morgen schneidern lassen. Wie lange plante er jetzt schon sie unter einem Vorwand herzulocken?
Sie öffnete den Kleiderschrank. Hinter der rechten Tür befanden sich Hemden und Anzüge und auch etwas Zivilkleidung, wie er sie am Morgen getragen hatte, genau das was zu erwarten gewesen war. Hinter der linken Tür erwartete sie allerdings eine Überraschung, zwei weitere Abendkleider, eins in bordeauxrot und eins in moosgrün, zwei Sets Arbeitskleidung, bestehend aus Hosenrock, Bluse und Kittel. Darüber hinaus schlichte Tageskleider, ganz ähnlich denen die sie selbst mitgebracht hatte, außerdem waren da noch Pantoffeln und bequem aussehende Halbschuhe. Sogar an ein Schrankfach mit Unterwäsche hatte er gedacht. Es fehlte hier wirklich an nichts. Mag suchte sich zum Kleid passende Unterwäsche und ein Unterkleid heraus, auch hier die richtigen Größen. Wie machte er das nur? Sie zog sich an, damit sie wenigstens vorzeigbar war, wenn gleich jemand wegen ihrer Haare kam. Sie hatte keine Ahnung wie viel Zeit von den zwei Stunden vergangen war und wollte sich eigentlich nicht beim Stöbern erwischen lassen, aber ihre Neugierde ließ sie trotzdem die Schubladen der Nachttischchen öffnen. Mag begann mit der linken Bettseite, wo sie in der obersten Schublade ein kleines in blaues Leinen gebundenes Buch Om vorfand, davon abgesehen war die Lade leer und die beiden darunter waren sogar noch leerer. Dann wechselte sie auf die rechte Bettseite, hier rumschnüffeln war nicht richtig, das war sein Privatkram, aber sie war Hexe genug um sich für solche Kleinigkeiten nicht weiter zu interessieren. Die oberste Schublade enthielt sehr normalen Männerkram, Kamm, Nagelfeile, einen Tiegel Handcreme, einen Briefblock und einen Füllfederhalter. Magane erkannte das neutrale, aber edle Briefpapier und die Tintenfarbe. Ob er alle seine Briefe im Bett schrieb, oder nur die an sie? Nein, vermutlich nur die privaten Briefe, irgendwo hatte er schließlich auch noch ein Büro. Ein Beutel mit Anisbonbons, das konnten unmöglich die gleichen sein wie die die er ihr einst geschickt hatte, aber anscheinend gab es hier ganz ähnliche. Eine Schachtel Streichhölzer rundete das Gesamtbild ab, Mag schob die oberste Lade zu und zog die zweite auf. Auch hier keine Schmuddelhefte oder Fesseln oder was man sonst so befürchten konnte, stattdessen fand sie hier ihre eigenen Briefe, einen Kriminalroman mit dem Titel „Das letzte Lachen“ und darunter eine ungeöffnete Schachtel Keinesorge. Ein unverbesserlicher Optimist... sie lachte leise und schon auch diese Schublade zu. In der untersten schließlich lagerte ein kleines Waffenarsenal, in einem Land mit bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen musste das vermutlich sein. Kein Buch Om auf seiner Seite, interessant. Genauso interessant, wie ihre Briefe in der zweiten Schublade. Seine Briefe lagen bei ihr Zuhause an beinahe genau der gleichen Stelle und sie schrieb auch im Bett... Vielleicht hatte das etwas zu bedeuten, vielleicht gab es ja sowas wie Seelenverwandtschaft. Aber vielleicht bedeutete es auch nur, dass er sie irgendwie beobachtete und genau wusste welche Knöpfe er drücken musste. Schließlich hatte sie ihm so viel über ihre Träume und Wünsche geschrieben und er war sicherlich klug genug um daraus den perfekten Mann zu formen. Ob er ehrlich antwortete, wenn sie ihn fragte?
Magane holte ihre Reisetasche aus dem Wohnzimmer und begann auszupacken. Sie verbannte das Buch Om in die zweite Schublade und füllte die erste mit ihnen Kleinigkeiten. Anisbonbons, Handcreme, ein Maniküreset, in dem sich aber auch etwas Garn, eine Nähnadel und ein paar Knöpfe verbargen, ein Haarband und eine Ikonographie ihrer Kinder. Danach brachte sie ihren Kosmetikbeutel ins Bad und machte sich daran ihre Kleidung in den Schrank zu räumen. Sie war grade fertig geworden, als es klopfte. Mag ging ins Wohnzimmer zurück und öffnete die Tür.
„Guten Tag Miss, Herr Schnitzer schickt mich, um Sie zu frisieren“, das junge Mädchen vor der Tür gehörte in die Kategorie einheimisches Dienstmädchen, jünger als gut für sie war und dabei vermutlich nicht mehr so unschuldig wie sie sein sollte. Komplett im vorschriftsmäßigen grauen Kleid, mit weißem Kopftuch und weißer Schürze und natürlich durfte auch der Schildkrötenanhänger nicht fehlen. Außerdem hatte sie einen Koffer in der Hand.
„Bitte komm doch herein und entschuldige meinen Aufzug.“
„Oh, das macht gar nichts, Miss, das wundervolle Kleid wird natürlich erst später angezogen. Darf ich Ihnen auch dabei assistieren?“
„Ähm, ja... Warum nicht?“
„Wie hätten Sie ihr wunderschönes Haar denn gerne für den großen Tag?“
„Zu festlichen Gelegenheiten hab ich es bisher immer hochgesteckt...“, Magane sah unsicher in den Spiegel, Hochsteckfrisuren waren so abartig viel Arbeit, zumindest wenn sie kunstvoll sein sollten, „reicht die Zeit dafür? Wann werde ich denn unten erwartet?“
„Zu dem Zeitpunkt an dem Sie fertig sind, es gibt keinen festen Zeitplan für heute“, das Dienstmädchen schob sie mit sanftem Nachdruck zu einem Stuhl, den sie vor dem großen Spiegel im Wohnzimmer, neben dem Kamin, aufgestellt hatte. Als erstes legte sie verschiedene Ondulierscheren auf den Rost im Kamin, achtete dabei aber darauf, dass sie nicht direkt mit den Flammen in Berührung kamen. Dann begann sie Mags langes glattes Haar zu kämmen und teilte dabei Strähne für Strähne ab und klammerte sie einzeln fest.
„Ich werde das Haar durchlocken, geschnitten werden muss nichts. Danach sehen wir dann, wie wir es hochstecken.“
„Ja, ist in Ordnung. Hab sie erst vor kurzem geschnitten“, durchlocken, das klang nicht nach Spaß, eigentlich mochte sie ihr Haar so glatt wie es war.
Der jungen Dienstbotin gelang es ihre Haare mit der Ondulierschere zu bearbeiten, ohne dabei ihrer Haut auch nur einmal zu nah zu kommen. Sie machte das sehr gut, routiniert und es ging sogar relativ schnell.
„Wie heißt du?“
„Mein Name ist Eni, Miss.“
„Kann nicht sein... Eni... von Enaga?“
„Ja, weiß auch nicht was sich meine Eltern dabei gedacht haben...“, über die Wangen des Dienstmädchens kullerten zwei Tränen, aber sie ließ sich nichts weiter anmerken, Mag hätte es nicht bemerkt, wenn sie nicht in dem Moment in den Spiegel gesehen hätte.
„Mir hat der Name auch nie gefallen, war das erste was ich geändert habe als ich in Ankh-Morpork angekommen bin“, sie schenkte dem Mädchen ein aufmunterndes Lächeln.
„Darauf kann ich wohl kaum hoffen, mich nimmt ja doch niemand mit in die Stadt“, sie nahm sich eine der anderen Lockenscheren aus dem Kamin und legte die kalte zurück, „aber ich will mich nicht beschweren, es geht mir gut hier, besser als ich es mir im Heim jemals vorgestellt hatte.“
Im Heim, eine Waise also. Eni hatte es demnach noch etwas schlechter getroffen als sie selbst damals. Sie hatte wenigstens etwas gehabt, wovor sie weglaufen konnte.
„Bist du denn glücklich hier?“
„Danke, ich habe alles was ich brauche.“ Eni lächelte tapfer in den Spiegel und Mag fühlte sich augenblicklich an sich selbst vor einigen Jahren erinnert. Die Andere sah ihr sogar ein wenig ähnlich, auch wenn ihr die meisten omnianischen Frauen wenigstens etwas ähnlich sahen. Diese großen traurigen Augen und die tapfere Ausstrahlung...
Nach einer gefühlten Ewigkeit legte Eni die Ondulierscheren weg und begann, das nun wahnsinnig üppige Haar zu einer locker wirkenden Hochsteckfrisur zu drapieren. Endlos viele geschwärzte Haarnadeln zähmten die wilden falschen Locken und ließen ein vergängliches Kunstwerk entstehen, aus dem sich sanft ein paar Strähnen, wie unbezwingbar, herauszustehlen schienen. Sie verzichtete vollkommen auf Zierrat, nichts Glitzerndes sollte das Gesamtbild stören. Als das Dienstmädchen die Frisur für fertig erklärte und alles bis auf die, noch heißen, Lockenscheren wieder in den Koffer packte, fiel es Mag, obwohl sie die ganze Zeit zugesehen hatte, schwer zu glauben, dass sie wirklich in ihr Spiegelbild sah.
„Es ist sehr schön geworden, du bist ein Künstlerin, Eni“, die Angesprochene senkten den Blick und errötete leicht. Sie war offenbar kein Lob gewöhnt.
„Danke Miss, darf ich jetzt noch bei dem Kleid helfen?“
„Selbstverständlich“, Magane stand auf, um ihre Tanzschuhe zu holen, dann fiel ihr aber ein, dass die ebenfalls im Schlafzimmer waren und sie sie auch später holen konnte. Nachdem sie das Kleid anhatte, mit dem Eni grade wieder zurück ins Wohnzimmer kam.
„Mir ist aufgefallen, dass Kleid im Rücken eine komplizierte Schnürung hat, die man allein kaum meistern kann.“
„Wann ist dir das aufgefallen?“
„Als ich es gebügelt habe.“
„Machst du hier alles?“
„Nein, ich habe nichts in der Küche zu suchen und bei den Herren dürfen wir Mädchen auch nicht alles machen und wir müssen den Raum verlassen, wenn geheime Gespräche geführt werden...“
„Wie viele seid ihr?“
„Wir Dienstmädchen sind zu dritt, aber es gibt auch noch Küchenhilfen, Wäscherinnen, Köche, Diener und natürlich die Jungs in den Ställen.“
„So groß...“, Magane kletterte in das Kleid, dass sie ohne es großartig zu verknittern versuchte anzuziehen. Die Schnürung, die sie bis zu diesen Zeitpunkt nicht gesehen hatte, war tatsächlich eindrucksvoll, sie reichte den ganzen Rücken hinunter bis zu den Hüften und bestand zum größeren Teil aus kleinen silbernen Häkchen durch die das Band geführt werden musste. Dieses Kleid konnte man allein weder an- noch ausziehen. Mag vermutete Hintergedanken, beschloss dann aber zu seinen Gunsten Gedankenlosigkeit anzunehmen. Mit Enis Hilfe gelang es ihr das Kleid knitterfrei anzuziehen und während die Dienstbotin es sorgfältig zuschnürte, fühlte sie sich umso mehr an ihre erste Heirat und das unsägliche Korsett damals erinnert. Wenigstens das blieb ihr heute erspart, die Schnürung war zwar umständlich, engte sie aber so gut wie nicht ein. Eni schloss ihre Bemühungen mit einer Schleife im Nacken ab, durch die Häkchen war das Band in einer Länge bei der man nicht endlos lange Restschlaufen verbergen musste. Magane sah in den Spiegel, es saß perfekt, wie maßgeschneidert. Wie konnte das sein? Sowas konnte man nicht schätzen und es war auch keineswegs so, als seinen die Jahre und die Schwangerschaft spurlos an ihr vorübergegangen.
„Was denkst du, kann man so heiraten?“
„Natürlich Miss, aber vielleicht wären Schuhe angemessen“, Eni trat einen Schritt zurück, vielleicht weil sie Strafe erwartete. Mag jedenfalls reagierte nur damit, dass sie ins Schlafzimmer ging, ihre glänzenden frisch geputzten Tanzschuhe holte und auch sofort anzog.
„Und du bringst mich jetzt hin, wo ich hin muss?“
„So ist es vorgesehen, die Trauung soll in Herrn Schnitzers Büro stattfinden.“
„Ist das nicht unüblich?“
„Nicht unbedingt, alle kleineren Amtsgeschäfte finden im Moment in seinem Büro statt.“
Sie verließen die Wohnung. Mag bemerkte, dass Eni die Tür hinter ihnen verschloss. Dienstmädchen mit Generalschlüssel also, freier Zugang zu allen Räumen und Wohnungen, sicherlich auch zu der des Botschafters. Eni ging nur einen halben Schritt vor, so dass es beinahe so aussah als würden sie nebeneinander herlaufen. Trotzdem gelang es ihr so Mag zielsicher zu Davids Büro zu führen. Dort angekommen klopfte Eni und trat nach einer leisen Aufforderung ein. Wenige Minuten vergingen, bevor sie die Tür wieder öffnete und Mag ihren Arm anbot, was diese ignorierte. Sie blieb noch einen Moment stehen und ließ sie Szene auf sich wirken, bevor sie zögerlich eintrat. David hatte die Zeit unter anderem ebenfalls zum Umziehen genutzt, er trug jetzt einen schwarzen Anzug, mit weißem Hemd und veilchenblauer Fliege. Neben ihm waren noch zwei weitere Männer im Raum. Ein älterer der den Platz hinter dem Schreibtisch eingenommen hatte und einer der etwa in ihrem Alter und scheinbar klatschianischer Herkunft war. Davids Augen leuchteten, als er geschäftsmäßig feststellte, dass sie ja nun alle da seien. Er stellte die beiden anderen Männer als den durchführenden Beamten Roland Schmitt und seinen Trauzeugen Karim Akbar vor und schlug Eni als Trauzeugin für Mag vor, damit sie die eigentliche Zeremonie im kleinen Kreis halten konnten.
David ging ihr zwei Schritte entgegen, legte ihr beiläufig den Arm um die Taille und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
„Du bist wunderschön, Täubchen.“
Mag lächelte und atmete tief durch. Heiraten war so ziemlich das letzte was sie wollte, aber wenn das zur Tarnung unbedingt notwendig war, dann sollte es auch endlich geschehen.
Die Zeremonie war kurz und relativ nüchtern, es wurden keine Ringe getauscht - ob das daran lag, dass er keine hatte besorgen können oder daran, dass er sich daran erinnerte, was sie ihm von dem einen Ring, den sie trug, erzählt hatte, vermochte sie nicht zu sagen - dafür dauerte das Unterschreiben länger als erwartet, weil Mag erst über ihren vollen rechtsverbindlichen Namen nachdenken und die Abkürzungen erfragen musste. Glücklicherweise war auf der Urkunde genügend Platz. Danach wurden sie offiziell zu Eheleuten erklärt und durften sich küssen. Die Trauzeugen unterschrieben ebenfalls und zumindest Eni hatte es danach recht einig zu ihren sonstigen Pflichten zurückzukommen. Die beiden Männer beeilten sich nicht besonders. Der Ältere räumte umständlich das Siegel der Stadt wieder in den Schreibtisch und verschloss ebenso umständlich das Tintenfass, bevor er die Urkunde mit einer Schicht Löschsand bedeckte. Der Jüngere warf David ein paar verschwörerische Blicke zu und sagte schließlich: „Dann genieß mal deinen freien Nachmittag, bis später“, und verschwand. Kurz darauf ließ auch der ältere sie endlich allein. Beide entspannten sich zusehends.
„Und, war es so schlimm wie du befürchtet hast?“
„Nein, aber mein Name nimmt langsam monströse Ausmaße an... Wie lange bereitest du das jetzt schon vor? Das Kleid und alles, das kann doch nicht erst in den letzten Tagen passiert sein.“
„Ist es auch nicht. Die veilchenblaue Seide habe ich vor zwei Jahren auf einem Markt in Al Khali gefunden, musste sofort an dich denken und habe den ganzen Ballen gekauft. Das Kleid selber habe ich in Auftrag gegeben als ich die Arbeit des hiesigen Schneiders gesehen hab, also vor zwei Monaten“, sie fiel ihm leise, aber bestimmt ins Wort: „Woher hast du meine aktuellen Maße?“
„Wusstest du, dass du einen geschickten kleinen Spion großziehst?“
„Tom?“
„Ja, wir schreiben uns gelegentlich über Klacker, ich habe allerdings keine Ahnung wie genau er an deine Maße gekommen ist.“
„Vermutlich hat er sie von meiner Schneiderpuppe abgenommen... Ihr schreibt euch? Wieso weiß ich davon nichts?“
„Ich hab gedacht, Tom hätte es dir gesagt. Ist auch nur gelegentlich.“
Mag beschloss das Thema vorerst ruhen zu lassen, stattdessen fragte sie lieber was für den Tag noch geplant war.
„Jetzt haben wir erstmal frei, in zwei Stunden beginnt dann die Dinnerparty.“
„Und was machen wir, während wir frei haben?“
„Was hältst du von 'im Garten rumturteln'?“
„Damit uns möglichst viele Leute sehen, die dann alle glauben, wir seien das perfekte Paar?“
„Ah, langsam verstehst du mich. Sie sollen glauben ich sei so beschäftigt mit unseren Flitterwochen, dass ich den Alten im Keller vergesse.“
„Das bekommen wir hin. Du hast nicht zufällig Schuhe in meiner Größe hier unten? sonst müsste ich noch mal rauf, in denen möchte ich nicht in den Garten.“
„Selbstverständlich Täubchen, sind zwar nur Sandalen, aber auch daran habe ich gedacht“, er öffnete einen der unscheinbaren Aktenschränke, der sich als Minikleiderschrank entpuppte, in dem die Zivilkleidung vom Vormittag ordentlich auf Bügeln hing. Anscheinend hatte er sich hier umgezogen, merkwürdig wieso hatte man Wechselkleidung in seinem Büro, wenn man nur ein Stockwerk höher wohnte. Andererseits wollte sie ja auch nicht rauf zum Schuhe wechseln. Er reichte ihr das Paar Sandalen an, das etwas verborgen hinter seinem klobigen Paar Lederschuhe gestanden hatte. Mag zog ihre Tanzschuhe aus und die Sandalen an und ließ sich dann von ihrem frisch Angetrauten in den Garten führen, wo sie die meiste Zeit damit zubrachten sich vollkommen unromantische Dinge zuzuflüstern und sich langsam wieder an die Gegenwart des anderen zu gewöhnen.
Die zwei Stunden vergingen wie im Flug, kaum hatten sie sich gegenseitig auf den neusten Stand gebracht, mussten die auch schon wieder rein und sich der Gesellschaft stellen. Sie machten einen schnellen Umweg über Davids Büro, damit Mag erneut die Schuhe wechseln konnte und gingen dann Arm in Arm in den großen Saal.
Dinnerpartys waren nicht unbedingt Maganes bevorzugte Feiern, aber andererseits hatte sie inzwischen großen Hunger. Vorher gab es allerdings eine ausgiebige Vorstellungsrunde, bei der sie endlos viele Hände schütteln und Glückwünsche entgegennehmen musste. Offiziell wurde sie dabei als Feldwebel der Stadtwache Ankh-Morporks und als Davids Braut vorgestellt, wobei allerdings der private Charakter ihres Besuchs besonders hervorgehoben wurde. Das Wort Flitterwochen fiel unglaublich oft, verbunden mit der Frage, ob es denn ein schöneres Plätzchen dafür geben konnte als Kom, die großartige Hauptstadt des Landes in dem Milch und Honig flossen. Magane hätte gewettet, dass das sarkastisch gemeint war, zumindest in einigen Fällen, aber da sie die Leute hier so gut wie gar nicht kannte beschränkte sie sich, bei diesen Bemerkungen, auf ein unverbindliches Lächeln. Der eine oder andere fragte nach ihrer Spezialisierung bei der Wache, da sie aber weder vom Untersuchen von Leichen noch von Mordermittlungen sprechen wollte, antwortete sie ausweichend, aber überprüfbar wahr, dass sie die Abteilung Suchen und Sichern leitete und damit hauptsächlich die Arbeit der Abteilungsmitglieder koordinierte. Dann endlich ebbten die Gespräche etwas ab und es wurde allgemein platzgenommen. David und Magane saßen als Brautpaar am Kopf der Tafel. Sie beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr, dass sie sich unmöglich alle Namen würde merken können. Er antwortete mit einem gehauchten: „Das erwartet auch keiner“.

***

„Wieso bist du nicht bei der Feier? Wir sind doch alle geladen.“
„Ich will ihr noch nicht begegnen, wenn ich sie jetzt treffe, dann ist sie vorgewarnt. Dann war der ganze Aufwand umsonst.“
„Schade... Sie sind so ein schönes Paar, ich hätte sie gerne tanzen gesehen.“
„Du musst nicht bei mir bleiben, komm nur nicht zu spät wieder und halt dich von dem klatschianischen Schürzenjäger fern“, er sortierte seine Stecknadeln, mischte die giftigen unter die ungiftigen. Er könnte sie einfach mit einem kleinen Stich zwingen bei ihm zu bleiben, nur eine Stunde wäre sie betäubt...
„Nein, ich denke ich bleibe bei dir, wir können uns ja auch amüsieren“, sie nahm das Kopftuch ab und schüttelte ihr Haar aus.
„Wann färbst du sie endlich schwarz?“
„Niemals“, sie lachte und begann ihr Kleid aufzuknöpfen.
***


Das Essen war offenbar als Symbiose der omnianischen und der morporkianischen Küche geplant. Der Versuch war nur teilweise geglückt, was aber vermutlich an der morporkianischen Küche lag, die sich nicht wirklich für feinere Gelegenheiten eignete, bestand sie doch traditionell hauptsächlich aus fettigen verkohlten Dingen, die vermutlich kein Gemüse waren. Jedenfalls verstand der Koch einiges von seinem Handwerk und das Essen schmeckte, auch wenn die Kombinationen teilweise abenteuerlich waren. Als der letzte Gang - mit Steinsirupsplittern bestreutes Obst - abgeräumt war, ging es für eine Umbaupause auf die Terrasse. Die Raucher nutzten die Gelegenheit, um sich eine Zigarette zu genehmigen, was sie allerdings nicht von neugierigen Fragen abhielt. Zwar störte sich niemand daran, dass die Hochzeit ohne große Öffentlichkeit stattgefunden hatte, aber trotzdem war ihre Beziehung von allgemeinem Interesse. Magane war froh, dass David meistens antwortete, er verwob die Lügen so geschickt mit der Wahrheit, dass sie, obwohl sie dabei war, schnell Schwierigkeiten hatte das eine von dem anderem zu unterscheiden. Auch das würde sie sich unmöglich alles merken können, sie war unbeschreiblich müde. Unter normalen Umständen wäre sie an diesem Punkt entweder in ihrer Küche oder im Büro verschwunden und hätte sich dort einen aufputschenden Tee gemacht. Aber das kam hier nicht in Frage. Sie musste ohne Hilfe durchhalten und immer brav lächeln, wenn es doch wenigstens Kaffee gegeben hätte. Vielleicht konnte sie ja irgendwie einen bekommen...
„Der Abend ist vermutlich noch lang?“, fragte sie Davids Trauzeugen, den sie kurz allein erwischte.
„Ja, ein paar Stunden müsst ihr schon noch durchhalten. Davids Planung lässt da kaum Spielraum“, er lächelte sie charmant an, „länger Tag für dich... Ich glaube, ich organisiere uns mal eine Runde Kaffee.“
Er verschwand und im gleichen Moment legte jemand von hinten einen Arm um ihre Taille und sie zuckte unwillkürlich zusammen.
„Entspann dich“, natürlich konnte das nur David sein, aber sie war diese Art Nähe nicht mehr gewöhnt, „Wo ist er hin verschwunden?“
„Er organisiert uns einen Kaffee.“
„Ah, hoffentlich bringt er mir auch einen mit“, er küsste sie, sanft und etwas zaghaft, als ob er eine Zurückweisung erwartete. Aber dafür bestand kein Grund, Mag konnte sich durchaus auf diese ungewohnte Nähe einlassen, wenn er sich nicht von hinten Anschlich.
„Wie gefällt dir der Abend, bisher?“
„Sehr gut, ich bin nur grade ein wenig müde.“
„Das gibt sich gleich, spätestens nach Karims Kaffee, ich glaube er spekuliert auf einen Tanz mit dir. Sei vorsichtig, man kann den Klatschianern nicht trauen“, er strahlte sie an und Mag war sich kurz sicher einen eifersüchtigen Zug an ihm zu entdecken.
„Ich mag ihn, kennt ihr euch schon lange?“
„Haben uns in Klatsch kennengelernt, aber er ist in der Stadt aufgewachsen, seine Leute haben zuhause eine Kaffeestube. Ursprünglich war er wohl mal nur zu Besuch in Al Khali, aber dann ist etwas Längeres daraus geworden. Jedenfalls ist er dann mit mir hergekommen, manchmal denke ich er möchte nur nicht wieder in die Stadt zurück“, David verstummte und lächelte über ihre Schulter.
„Ihr habt über mich gesprochen“, er wandte sich vertraulich an Mag, „glaub ihm nicht, er übertreibt maßlos.“
Karim hatte tatsächlich drei Kaffee organisiert, die sie schweigend tranken, während sie sich vielsagende Blicke zuwarfen. Wenige Minuten später machten sie sich wieder auf den Weg zurück in den großen Saal.
„Du hast Karim beeindruckt.“
„Inwiefern?“
„Du hast seinen Kaffee getrunken, ohne mit der Wimper zu zucken.“
„Ach... ist das was besonderes?“
„Ja, beim ersten Mal zucken die meisten wenigstens... na, gewarnt hab ich dich ja schon vor ihm, er ist ein unausstehlicher Frauenheld.“
„Nicht eifersüchtig werden, das schadet der Tarnung. Ich gehör nur dir und Karim war immerhin Trauzeuge, da wird er sich wohl beherrschen können.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher.“
Im Saal waren die Tische und Stühle inzwischen zur Seite geräumt und auf einer kleinen Bühne spielte ein Streichquartett. Mag fühlte sich zurückversetzt auf den Ball vor viereinhalb Jahren... viereinhalb Jahre schon, wie die Zeit verging... genau wie damals hatte er sie auch heute überrumpelt. Aber heute hatte sie nicht vor komplett nach seiner Pfeife zu tanzen. Spätestens wenn sie allein waren, würde sie zumindest nicht mehr so extrem turteln. Aber vorerst wurde noch getanzt, und zwar miteinander, auch wenn natürlich Karim ebenfalls seinen Tanz bekam. Nach und nach verschwanden die meisten und nur die ausdauerndsten Paare blieben noch bis spät in die Nacht. Karim hatte sich inzwischen eine eigene Partnerin organisiert, anscheinend eins von den Dienstmädchen, denn sie trug die gleiche Uniform wie Eni am Mittag. Zum Schluss blieben nur diese beiden Paare übrig und als Karim und das Dienstmädchen auch irgendwann verschwunden waren, hatte Mag ihren Vorsatz längst vergessen. Es war als wären sie nie getrennt gewesen, die Jahre der Fernbeziehung wie weggewischt. Während sie tanzten, zupfte David ihr die Haarnadeln aus der Frisur und langsam aber sicher löste sich das Kunstwerk in eine ungezähmte Lockenflut auf. Sie hatten nicht bemerkt, wann die Musiker aufgehört hatten zu spielen, sie waren total auf ihrer persönlichen kleinen Wolke gefangen, flüsterten sich Dinge zu, die von außen betrachtet furchtbar kitschig wären und genossen den Augenblick.

Der Morgen kam mit gleißend hellem Sonnenlicht, wie es Ankh-Morpork dank seiner Dunstglocke nicht kannte. Mag war sofort hellwach, Licht hatte sie von je her schnell munter gemacht, weil sie immer gleich glaubte zu spät zu kommen. Aber heute hatte sie Zeit, hier gab es keine festen Termine. Sie streckte sich und wurde sich der Tatsache bewusst, dass sie allein war. Schade, das Schönste an einer gemeinsamen Nacht war doch, dass man beim Erwachen nicht allein war. Aber der Betrieb lief weiter, David hatte sicherlich zu arbeiten. Magane sah sich um, das veilchenblaue Kleid hing auf einem Bügel am Schrank, etwas angeknittert zwar, aber immerhin hatten sie die Umsicht besessen es aufzuhängen. Sein Anzug hatte es wohl ebenfalls auf einen Bügel geschafft, allerdings konnte das erst am Morgen geschehen sein. Unterwäsche, Hemd und Schuhe waren gleichmäßig über den Raum verteilt. Kurz fragte sie sich, was aus dem Vorsatz ihn zappeln zu lassen geworden war. Aber waren nicht zweieinhalb Jahre Liebesbriefe genug Gezappel?
Mag stand auf, machte sich frisch, verwandte einige Mühe darauf, die inzwischen sehr widerspenstigen, Locken in einen strengen Flechtzopf zu zwingen, suchte sich angemessene Kleidung aus und machte sich nach dem Anziehen auf die Suche nach einem Frühstück. Das fand sich schon im Nebenzimmer, wo sie duftender Kaffee, auf einem Stövchen stehend, erwartete. Zusammen mit dem Kaffee warteten dort auch ein Brötchen, etwas Butter und Marmelade auf sie, aber die waren Nebensache. Ein Zettel lugte unter dem Teller mit dem Brötchen hervor. Sie goss sich erst einen Kaffee ein und zog dann an dem Zettel.
„Guten Morgen, Täubchen!
Komm doch bitte in mein Büro, wenn du soweit bist. - D.“
Sie lächelte trank vom Kaffee und kümmerte sich dann um das Brötchen.
Die Kaffeekanne hatte drei Tassen enthalten und war somit ein guter Start in den Tag gewesen. Die Marmelade hatte sich als Kirschmarmelade herausgestellt und Mag hatte das Frühstück weit über ein für sie normales Maß ausgedehnt und genossen. Aber sie war ja nicht zu ihrem Vergnügen hier, auch wenn das alle anderen glauben sollten. Sie stand auf und verließ die Wohnung, um den Weg zu Davids Büro nachzuvollziehen.
Ihr Orientierungssinn ließ sie nicht im Stich, auch wenn dieses Gebäude mindestens so verwinkelt wie das Wachhaus war und sie gestern ganz andere Dinge im Kopf gehabt hatte. Die Tür stand offen, so wie sie es daheim auch immer handhabte, wieder eine Gemeinsamkeit... oder lag das nur daran, dass er auf sie wartete? Sie trat ein und obwohl sie nichts sagte und auch sonst kein Geräusch gemacht hatte, sah er augenblicklich von seinen Papieren auf.
„Gut geschlafen?“
„Wie ein Stein, wie lange bist du schon auf?“
Er sah auf seine Taschenuhr und antwortete grinsend: „Vier Stunden, aber so habe ich noch was gearbeitet bekommen... du weißt ja wie das ist, Papierkram, ist ja bei der Wache nicht anders. Setz dich doch, ich schätze Karim kommt auch gleich mit Kaffee vorbei. Der hat noch was gut zu machen.“
„Will ich wissen was?“
„Ach nichts, nur ein harmloser Streich und der ist ihm auch noch misslungen, aber er hatte mir versprochen auf sowas zu verzichten.“
„Jetzt bin ich erst recht neugierig.“
Er beantwortete das nur mit einem Lächeln und klopfte auf den Aktenstapel auf seiner linken Schreibtischseite.
„Dann richten wir deine natürliche Neugier mal auf den Fall, wie würdest du vorgehen?“
„Der erste Schritt ist immer den Tatort absperren und untersuchen, danach werden das Opfer und die gesicherten Beweise untersucht, dann, oder zur gleichen Zeit, beginnen die Ermittlungen im persönlichen Umfeld.“
„Gut, dann solltest du dir also gleich als erstes sein Quartier ansehen“, er sah zur geöffneten Tür, „Ah, da kommt Karim.“
Und tatsächlich trat einen Augenblick später der junge Klatschianer ein und stellte mit breitem Grinsen ein Tablett mit drei Tassen, einem Kännchen und Zucker auf den Aktenstapel. Dann wünschte er Mag einen guten Morgen und begann Kaffee einzuschenken, bevor er sich auf den dritten Stuhl setzte und zurücklehnte.
„Liegt die Schachtel wieder an ihrem Platz?“ Davids Frage war wie ein drohendes Grollen am Horizont.
„Klar, ich kann doch nicht zulassen, dass dir die Munition ausgeht... Verrätst du mir, wann du den Inhalt der Schachteln vertauscht hast?“
„Vorgestern.“
Magane sah fragend zwischen den beiden Freunden hin und her, um was auch immer es ging, es schien die beiden nicht zu stören, dass sie zuhörte, aber was los war wusste sie dennoch noch immer nicht.
„Karim hat irgendwann gestern Abend die Keinesorgeschachtel geklaut, aber ich hatte vorher den Inhalt gegen die Blasrohrpfeile ausgetauscht.“
„Warum Blasrohrpfeile?“
„Schachtelgröße und Gewicht stimmten.“
Karim lachte, er fand das Ganze offensichtlich deutlich lustiger als David.
„Na warte, irgendwann wirst du eine Frau finden die dich länger als drei Nächte erträgt und dann werde ich mich rächen“, damit war das Thema für ihn beendet und er kehrte zum eigentlichen Kern des Gesprächs zurück, „Jedenfalls habe ich persönlich sein Quartier versiegelt, nachdem wir die Leiche auf Eis gepackt hatten, da hat also keiner was verändert.“
Magane sah Karim an und zog die Augenbrauen hoch, sie musste auf jeden Fall mehr über ihn wissen.
„Kann ich davon ausgehen, dass du komplett eingeweiht bist?“
„Davon gehe ich nicht selbst nicht aus“, antwortete er mit einem breiten Grinsen, „aber ich weiß, dass du nicht zum Urlaub machen hier bist, sondern hauptsächlich dazu Davids Arsch aus der Pfanne zu ziehen, indem du den Tod des Chefs aufklärst.“
„Karim weiß über so gut wie alles Bescheid und bevor du fragst, er ist auch mein Alibi. Wir waren den ganzen Tag zusammen unterwegs als der Chef gestorben ist.“
„Wo wart ihr?“
„Bei Kontaktpersonen in der Stadt, die müssen wir aber raushalten, sonst würden sie in Gefahr geraten.“
„Paar von denen sind jetzt schon so gut wie tot.“
„Und deswegen können wir das auch nicht an die große Glocke hängen“, schloss David die geteilte Erklärung ab.
„Was genau ist deine Aufgabe hier, Karim?“
„Ich bin wohl am ehesten sowas wie ein Bote.“
„Das trifft es nicht ganz.“
„Eigentlich habe ich keine offizielle Funktion hier“, er sah David an, „vielleicht dein persönlicher Assistent?“
„Schon eher. Hab ihn aus Klatsch mitgebracht. Dort war er natürlich nützlicher, weil er Al Khali kannte wie seine Westentasche, aber hier ist er ein brauchbarer Vertrauter und gute Zusatzaugen und -ohren.“
„Vielen Dank für die Blumen.“
David zog spöttisch die Mundwinkel nach oben und versuchte dann das Gespräch wieder unter seine Kontrolle zu bringen.
„Was brauchst du für die Tatortuntersuchung?“
„Fundort, solange wir nicht weiter sind. Eigentlich bräuchte ich ein STAUB, aber ein paar Keinesorgehandschuhe reichen fürs erste... und vielleicht Probenröhrchen, Beweisbeutel und ganz bestimmt was zu schreiben... und einen Ikonographen.“
„Sollst du alles bekommen.“
Karim erhob sich lautlos und verließ den Raum. Magane konnte nicht erkennen, ob dem ein Zeichen vorangegangen war oder ob die beiden einfach perfekt zusammenarbeiteten.
„Maggie, es tut mir Leid, dass es zu der kleinen Szene eben kommen musste, aber das musste einfach gesagt werden.“
„Kein Problem... gut, dass du sie ausgetauscht hattest...“
„Ich mag ein unverbesserlicher Optimist sein, aber deswegen würde ich Karim trotzdem bei harmlosen Dingen nie trauen, erst recht nicht wenn es um Frauen geht.“
„Also traust du ihm nicht wirklich.“
„Mein Leben würde ich ihm anvertrauen und deins ebenfalls, aber es würde mich verrückt machen, wenn ich euch allein lassen müsste.“
„Eifersucht? Oder traust du mir nicht?“
„Liebste, wie könnte ich dir misstrauen... natürlich wäre ich eifersüchtig, schon allein weil er alles versuchen würde um mir Grund dazu zu geben“, er stand auf, umrundete seinen Schreibtisch und hockte sich vor sie hin, „hab ich dir eigentlich schon gesagt, wie sehr du mir gefehlt hast?“
„Ein oder zwei Mal“, sie ergriff seine Hände und sie standen gemeinsam auf.
Mag legte etwas den Kopf in den Nacken, um ihm richtig in die Augen sehen zu können. Es waren diese tiefbraunen Augen, in denen sie sich immer wieder verlieren konnte. Dunkles warmes schokoladenbraun, das zusammen mit seiner weichen tiefen Stimme alles Böse der Welt vertreiben konnte. Könnte sie doch nur für immer in seine Augen schauen und seiner Stimme lauschen...
David küsste sie und es wurde ein langer intensiver Kuss, sie vergaßen für eine Zeit, wo sie waren und warum. Sie bekamen auch nichts von Karims Rückkehr mit, der sich an ihnen vorbei auf Davids Platz stahl und von dort zusah.
„Ein Glaubwürdigkeitsproblem habt ihr jedenfalls nicht“, kommentierte er lachend den perfekten Moment und machte ihn damit zunichte, „Trotzdem haben wir einen Mord zu untersuchen, da muss euer Geturtel nun wirklich warten, bis ihr wieder allein seid.“
„Wir waren allein“, wieder das warnende Grollen.
„Sollte ich Magane vielleicht nach oben geleiten? Damit ihr nicht im falschen Schlafzimmer landet...“
„Wie umsichtig von dir, aber das wird nicht nötig sein“, David trat einen kleinen Schritt zurück, griff nach Mags Hand und sie verließen wortlos das Büro. Karim hatte Recht, sie hatten eine Aufgabe zu bewältigen und auch wenn diese Aufgabe nicht weglief, so musste sie dennoch angegangen werden. Sie gingen die Treppen hinauf, als ob sie tatsächlich wieder zurück in Davids Wohnung gehen wollten, aber dann wandte er sich doch einer anderen Tür zu. Das Siegel, welches die Tür sicherte, war so unauffällig, dass sie es nicht bemerkt hätte, wenn sie nicht gewusst hätte, dass es da war. Auf den ersten Blick war diese Tür wie jede andere hier, nichts besonderes, keine Zeichen, kein Namensschild, nichts was einem Eindringling von außen den Weg gewiesen hätte.
„Die Tür ist nicht aufgebrochen worden?“
„Nein, der Täter wurde eingelassen oder hatte einen Schlüssel. Aber wie du gesehen hast, heißt das hier nicht viel, man muss nur eins der Mädchen verführen und schon kommt man überall rein.“
„Also vermutest du eins der Dienstmädchen als Komplizin?“
„Nicht ernsthaft... ich bin immer noch etwas wütend auf Karim, aber immerhin tut er wenigstens teilweise was man ihm sagt“, er deutete auf eine hölzerne Kiste die am Fuße der Tür auf sie wartete, „ich trage sie dir rein und lass dich dann erstmal in Ruhe arbeiten.“
Er schnitt mit einem kleinen Messer, das zuvor in seiner Kleidung verborgen gewesen war, das Siegel auf und ließ Magane ein, bevor er die Kiste aufhob und mit ihr ebenfalls eintrat.
„Seh ich das richtig, dass du hier auch überall rein kommst?“
„Erst seit seinem Tod, vorher hatte er die Schlüsselgewalt“, er küsste sie nochmal und verließ dann den Raum. Bewusst keine weiteren Informationen gebend, um ihre Untersuchung nicht zu beeinflussen. Mag wartete bis die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war und begann dann sich umzusehen. Dieses Quartier war auf den ersten Blick dem sehr ähnlich, in dem sie am Morgen erwacht war. Die Einrichtung und der Raumschnitt waren nahezu identisch, auch wenn die Farbgebung etwas dunklere Töne aufwies. Es waren die Kleinigkeiten, die von der anderen Persönlichkeit des Bewohners kündeten. Während bei David Bücher eine große Rolle spielten, standen hier Flaschen und Aschenbecher herum, die auf ganz andere Genüsse hindeuteten. Der Geruch, der vermutlich bis zum Ende aller Tage in diesen Räumen erhalten bleiben würde, rührte von Zigarren her, die hier plantagenweise in Rauch und Asche aufgegangen waren. Die Flaschen gehörten ausnahmslos zu hochprozentigen und hochpreisigen Getränken und waren in den verschiedenen Stadien der Leerung. Auf dem Tisch neben der Couch standen zwei Whiskeygläser mit den Resten einer honigfarbenen Flüssigkeit. Ein Gast beim letzten Drink, aber nur ein Opfer, also war nicht die Flasche, sondern wenn überhaupt nur der Drink des Opfers vergiftet. Wenn es denn Gift war, noch konnte und durfte sie sich dessen nicht sicher sein. Und selbst wenn es Gift war, musste es auch nicht unbedingt über das Getränk eingenommen worden sein. Der einzelne Stummel im Aschenbecher neben den leeren Gläsern zeugte von nur einem Raucher. Mag zog sich die Handschuhe an - auch wenn sie sicher sein konnte, dass ihre Fingerabdrücke durch die Narben schnell ausgeschlossen werden konnten - und ging dann weiter in den Nebenraum, der sich auch hier als Schlafzimmer entpuppte. Hier wurden die Unterschiede augenfälliger. Der Genussmensch hatte offensichtlich auch weiteren Lastern gefrönt. Das zerwühlte Bett sah nicht nach Todesqualen aus, sondern vielmehr nach einer wilden Nacht. Die an Kopf- und Fußende befestigten Tücher hätten natürlich auch dazu dienen können ihn seinem Mörder gegenüber wehrlos zu machen, aber das glaubte Magane nicht. Sie zweifelte überhaupt daran, dass es sich hierbei um den Tatort handelte, aber auch hier standen Gläser, Weingläser in diesem Fall, beide leer, eins mit Lippenstiftspur. Auf dem Boden lagen zwei leere Rotweinflaschen, wobei eine vor dem Umfallen noch nicht ganz leer gewesen war und einen unschönen Flecken im hellen Teppich hinterlassen hatte. In unmittelbarer Nähe zu den Flaschen fand sich eindeutig weibliche Unterwäsche. Sie öffnete den Kleiderschrank, er war voller Herrenkleidung. Im Badezimmer gab es ebenfalls keine Hinweise auf weibliche Bewohner, keine Schminke, kein Parfüm. Sie ging ins Wohnzimmer zurück und holte sich den Ikonographen. Als erstes machte sie Aufnahmen von den Spuren der Ausschweifungen im Schlafzimmer. Auch wenn hier nichts unmittelbar tödliches stattgefunden hatte, war es möglicherweise dennoch interessant den letzten Tag des Botschafters zu rekonstruieren. Danach kehrte sie zum wahrscheinlicheren Tatort zurück und machte auch hier Bilder aus allen möglichen und unmöglichen Perspektiven. Die Zeit als Tatortwächterin lag zwar inzwischen einige Zeit zurück, aber es schien ihr als könne man sowas nicht verlernen. Sie war in ihrem Element, diese Arbeit war so viel angenehmer, wenn keine Leiche herumlag, bei der man dauernd Gefahr lief darüber zu stolpern. Plötzlich sah sie im Blitzlicht des erschöpft wirkenden Salamanders etwas im Teppich aufblinken. Mag legte den Ikonographen beiseite und kniete sich so hin, dass sie die Stelle, an der sie das Blinken gesehen hatte, genauer untersuchen konnte. Sie suchte äußerst vorsichtig den Teppich ab und fand eine Stecknadel mit grünem Glaskopf, die mit der Spitze nach oben im im hohen Flor steckte. Kein großer Fund, aber dennoch ein Rätsel, die Nadel landete in einem Pergamenttütchen und dann suchte Mag, wo sie schon mal am Boden war, diesen auch noch gleich weiter ab. Es fanden sich noch zwei weitere Stecknadeln, allerdings mit normalen Metallköpfen, die ebenfalls in einem Tütchen landeten.
Irgendwann klopfte es und David kam rein.
„Kommst du voran?“
„Bin gleich fertig, muss nur noch eben...“, der Rest der Antwort war ein unverständliches Gemurmel und wurde durch herzhaftes Fluchen beendet.
„Ist dir was passiert?“
„Ich hab mir nur den Kopf gestoßen. Kann ich irgendwas für dich tun?“
„Nein, ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass es in unserem Quartier eine Kleinigkeit zu essen gäbe, wenn du soweit wärst.“
„Ich bin gleich da, lass mich das hier nur eben beenden, damit möchte ich nicht nochmal von vorn anfangen.“
Nachdem die Tür wieder ins Schloss gefallen war, kroch Mag wieder zurück unters Bett, wo sie ein langes Haar entdeckt hatte, welches sie mit denen aus dem Bett vergleichen wollte. Es war wie die anderen sehr lang, dunkelbraun und leicht gewellt, was den Kreis der verdächtigen Frauen in Omnien kaum eingrenzte, aber immerhin war es eine Spur. Sie kam wieder unter dem Bett hervorgekrochen und vermied es diesmal sich dabei den Kopf zu stoßen. Dann nahm sie die gefüllten Indizienbeutel und verließ das Schlafzimmer. Sie hatte nicht übertrieben, sie war wirklich so gut wie fertig, nur noch die Reste zusammenräumen und in die Kiste packen, die nun deutlich voller war. Aber was sollte dann mit der Kiste geschehen, konnte sie sie einfach hier stehen lassen? Sollte sie David bitten sie einzuschließen? Das war vielleicht die Lösung, Beweismittel, oder besser Indizien erst einmal wegschließen und sich nach dem Essen mit der Leiche zu befassen.
Nach dem Essen... Das war etwas was sie normalerweise vermied, Leichen direkt nach dem Essen waren nicht gut, aber unmittelbar vorher auch nicht. Genaugenommen waren Leichen nur dann erträglich, wenn man genau zwischen zwei Mahlzeiten war, etwa mit sechs Stunden Abstand zu beiden Seiten. Magane ließ ein letztes Mal ihren Blick über das Wohnzimmer schweifen und verließ dann den Tatort.
Zu ihrer Überraschung hatte David vor der Tür auf sie gewartet, schloss die Tür sofort hinter ihr ab und klebte ein neues Siegel auf.
„Nur zur Sicherheit. Hunger?“
„Ich esse mittags eigentlich nie etwas.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage“, er öffnete die Tür zu ihrem gemeinsamen Quartier und ein verlockender Duft von Lammeintopf strömte ihr entgegen. Sie wusste sofort, dass sie es später bereuen würde, aber ja, sie hatte Hunger und brauchte außerdem Informationen.
„Warum isst du mittags nicht?“
„Liegt am Beruf, man geht nicht zwischen zwei Kunden in die Kantine, wenn man in den toten Kunden rumwühlt.“
„Das macht dir immer noch zu schaffen?“
„Ja, aber es ist besser geworden, ich hab nicht mehr das Bedürfnis mich in Anisschnaps einzulegen.“
„Gut, wenigstens etwas“, sie setzten sich und begannen zu essen. Der Lammeintopf war sehr gut, besser als er je bei ihrer Tante gewesen war. Magane hielt sich trotzdem zurück und suchte nach einem Weg ihre Fragen möglichst geschickt zu stellen. Sie war schon so lange aus der echten Ermittlungsarbeit heraus, dass es ihr jetzt auf einmal schwer fiel, wieder zum Ermittler zurück zu finden.
„Hatte der Botschafter eine Frau?“
„Nein, er war unverheiratet, aber er hatte einen gewissen Ruf.“
„Schürzenjäger?“
„Ja, er war da recht... besitzergreifend“, der geborene Diplomat. Drumrumreden zur Kunstform perfektioniert.
„Wie sieht es mit eifersüchtigen Ehemännern aus?“
„Keine, aber wieso sollte der Mörder dann versuchen es mir anzuhängen? Dir ist der Chef nie begegnet, bei mir schiede Eifersucht als Motiv aus“, er lächelte ihr über den Tisch hinweg zu und sie vergaß für einen winzigen Moment, warum sie diese Fragen überhaupt stellte. Dann traf sie die Erkenntnis wie mit einem Hammer, wenn einem ein Verbrechen angehängt wurde, ging es meistens nicht um das Verbrechen selbst, sondern um demjenigen dem es angehängt wurde. Ihr hatte auch einmal jemand versucht einen Giftmord anzuhängen...
„Wenn ich sagen würde, dass dein Chef ein exzessiver Genussmensch war“, griff sie einen anderen Gedanken wieder auf, „träfe das zu?“
„Ziemlich treffend.“
„Könnte eine der Frauen, denen er nachjagte, ihn getötet haben?“
„Vielleicht, eins der Dienstmädchen hätte immerhin die Chance gehabt sich das Gift bei mir zu besorgen, aber auch da stellt sich wieder die Frage: Warum sollte mich eins der Mädels belasten?“
„Nicht unbedingt, wenn sie zufällig, bei Putzen das Gift hier gefunden hat, könnte sie das erst auf den Gedanken gebracht haben, sich von den Zudringlichkeiten des Chefs zu befreien. Dann wärst du nur zufällig verdächtig.“
„Auch möglich“, nachdenklich schweigend aß er einen Moment weiter, dann fragte er: „Wie kommst du eigentlich auf eine Frau?“
„Ich habe Spuren von Damenbesuch in seinem Quartier gefunden.“
„Und du meinst, wenn die älter als von seinem Todestag wären, hätte sie jemand weggeputzt.“
„Genau. Würdest du mir verraten, wo ihr ihn gefunden habt?“
„Im Wohnzimmer auf dem dicken Teppich.“
„Gibt es Ikonographien von der Auffindesituation?“
„Klar, aber die wollte ich dir erst geben, wenn du den Tatort untersucht hast“, er griff in die Innentasche seines Jacketts und zog einen Umschlag heraus, den er ihr reichte. Magane nahm ihn entgegen, öffnete ihn und sah sich kurz die Aufnahmen an, hauptsächlich um sich die Liegeposition einzuprägen. Danach steckte sie sie zurück in den Umschlag und beendete das Mittagessen.

Der Botschafter war inzwischen aufgetaut. David hatte sie zu ihm geführt und dann allein gelassen. Der tote Chef war offenbar kein Problem für seine Eifersucht, mit einem leisen Lachen streifte sie die Keinesorgehandschuhe über und packte das chirurgische Besteck von der Krankenstation aus. Sogar einen Diktierdämon hatten sie ihr zur Verfügung gestellt. Sie klopfte auf die Schachtel und erntete einen Schwall Beschimpfungen, ein Stück Heimat, sie musste erneut lachen. Dann räusperte sie sich und wandte sich dem Opfer zu.
„Gut, was haben wir hier? Eine männliche menschliche Leiche, etwa sechzigjährig zum Zeitpunkt seines Ablebens, praktischer Weise bereits unbekleidet. Liegezeit ist unwichtig, da das Opfer nach dem Tod bis zu meinem Eintreffen eingefroren war. Der Körper weist keinerlei größere Verletzungen auf, zeigt aber deutliche Spuren eines ausschweifenden Lebenswandels“, sie nahm eine Lupe zur Hand und begann die Haut des Toten nach Dingen abzusuchen, die nicht waren, wie sie sein sollten.
„Die Totenflecken deuten nicht daraufhin, dass der Körper umgelagert wurde, das stimmt soweit mit den Ikonographien der Auffindesituation überein“, Magane zögerte einen Augenblick und warf eine mentale Münze, bevor sie mit dem Kopf begann.
„Das Opfer weist punktförmige Einblutungen in der Augenpartie auf, das deutet auf Ersticken hin, demnach muss ich mir später die Atemwege genauer ansehen. Der Hals ist unauffällig, die Arme ebenso... Wie kamen sie nur darauf, dass er vergiftet worden sein könnte?“ Bisher hatte sie kein Indiz gefunden was dafürgesprochen hätte. Auch der Torso war auf der Vorderseite unauffällig, wie sie dem Dämon im Kästchen erzählte. Magane sparte sich Kommentare bezüglich der Beziehung zwischen Macht und sexueller Anziehung und enthielt sich auch sonst wertender Bemerkungen, während sie mit äußerster Sorgfalt die äußere Leichenschau der Vorderseite beendete. Nachdem sie den schweren Körper herumgedreht hatte, beschäftigte sie sich mit der Rückseite in umgekehrter Reihenfolge. Beginnend mit den Füßen und Beinen über Po und Rücken, bis sie schließlich an der Schulter fündig wurde. Ein unscheinbarer Einstich, vielleicht von einem Insekt, mit einer geröteten leichten Schwellung von der ungefähren Größe eines Ankh-Morpork-Centstück drumherum. Die Reaktion war zum Zeitpunkt des Todes sicherlich noch sehr frisch gewesen. Er schien nicht daran gekratzt zu haben, dabei juckten solche Quatteln furchtbar. Das würde sie später genauer untersuchen müssen, nachdem sie die Leichenschau beendet hatte. Nacken und Kopf waren wieder unauffällig, sie fand auch keine weiteren Einstiche. Nicht sehr ergiebig und vor allem nicht eindeutig, mit Sicherheit konnte sie bisher nur sagen, dass der Kerl tot war. Magane entnahm das Gewebe rund um den Einstich und drehte den Toten danach wieder zurück auf den Rücken.
„Äußere Leichenschau abgeschlossen, ich beginne nun mit der Untersuchung der Atemwege.“ Sie öffnete den Mund des Toten und überprüfte, ob irgendwelche Fremdkörper die Luftröhre verlegt hatten. Danach nahm sie Schleimhautabstriche aus Mund und Nase, legte diese zu Seite und nahm das Skalpell zur Hand.

„Die gute Nachricht ist, dass er nicht an Gift gestorben ist“, David war omseidank allein in seinem Büro als sie reinkam. Wie schon am Morgen hatte seine Tür offen gestanden, aber diesmal konnte er sie nicht direkt erwartet haben, also waren sie wohl doch verwandte Seelen.
Er sah von seiner Arbeit auf und fragte: „Und was wäre dann die schlechte Nachricht?“
„Ich habe eine Einstichstelle gefunden, eine merkwürdige Einstichstelle“, sie setzte sich zu ihm an den Schreibtisch, „der Stich stammt nicht von einer Kanüle, sondern von einer massiven Nadel und da ist eine Reizung wie bei einem Insektenstich, aber es ist keiner.“
„Ja, ich weiß, das ist einer der Gründe, warum du hier bist. Mir war nur entgangen, dass ihn das nicht umgebracht hat. Was war es stattdessen?“
„Er wurde erstickt.“
„Interessant. Ist es dir möglich das Gift in dem Einstich zu untersuchen?“
„Ich wüsste nicht wie, bekomme es ja nicht heraus. Außerdem muss es sich um eine sehr geringe Dosis handeln. Aber es riecht speziell, wahrscheinlich würde ich es an seinem Duft wiedererkennen.“
Er schlug die Akte, die vor ihm lag zu und stand auf.
„Dann gehen wir mal an Giften schnuppern.“
Auf dem Weg nach oben sprachen sie nicht, trotzdem spürte Magane wie Puzzleteile ihren Platz im Bild suchten und sie war auch keineswegs überrascht, als sie wieder vor der Tür zu ihrem Quartier standen. Blasrohrpfeile ging es ihr durch den Kopf, Davids Munition, sie ging geistig die Waffen in seinem Nachttisch durch. Ja, da war auch ein Blasrohr gewesen und mehrere kleine verkorkte Fläschchen in einem Ständer, der wohl verhindern sollte, dass sie umfielen. David hatte inzwischen aufgeschlossen und machte eine einladende Geste.
„Kommst du? Lass uns die Zeit nutzen, bis wieder eine gesellschaftliche Verpflichtung dazwischenkommt.“
Plötzlich schrien wieder alle ihre Instinkte, dass das nur eine Falle sein konnte, wollte sie wirklich mit einem dringend Tatverdächtigen nach dem Tatmittel suchen... allein? Doch dann riss sie sich zusammen und folgte der Aufforderung. Ohne Umschweife ging er ins Schlafzimmer voran, setzte sich auf seine Bettkante und zog die unterste Schublade auf. Magane setzte sich neben ihn und vergaß überrascht zu sein, beim Anblick des kleinen Arsenals.
„Du hast also rumgeschnüffelt?“
Sie wurde rot und flüsterte: „Nur ein bisschen.“
„Nicht nett...“, er grinste und küsste sie dann, bevor er hinzufügte: „Meine Waffen sind auch deine Waffen, keine Geheimnisse, du darfst hier so viel herumschnüffeln wie du willst!“
„Keine Leichen unterm Sofa?“
„Nicht als ich zuletzt nachgesehen hab.“
David nahm die noch immer in der falschen Schachtel befindlichen Blasrohrpfeile aus der zweiten Schublade und tauschte sie gegen die gleich große Schachtel aus der dritten Lade. Danach nahm er den Holzständer mit den mutmaßlichen Giftröhrchen heraus und stellte ihn oben auf das Nachttischchen.
„Ich habe mir während meiner Ausbildung angewöhnt meine Gifte mit Duftstoffen zu versetzen, zumindest diejenigen die sich fürs Blasrohr eigenen. Es wäre ungünstig jemanden zu töten, den man nur betäuben wollte, nur weil man im Dunkeln die Pfeile nicht auseinanderhalten kann.“
„Und deswegen bist du dir von vornherein sicher gewesen, dass es eins von deinen war.“
„Genau“, er öffnete das erste Fläschchen und hielt es ihr hin. Magane roch vorsichtig an dem Flacon und lächelte dann.
„Maiglöckchen, das kenn ich nur zu gut, ist auch Maiglöckchengift darin?“
„Ja, auch. Das ist das einzige tödliche Gift, das ich hier habe, aber es duftet schön“, er zwinkerte ihr zu.
„Aber das war nicht das was der Botschafter abbekommen hat“, Maiglöckchengift... Mathie war daran gestorben, damals vor einer halben Ewigkeit...
Das nächste Fläschchen roch nach Rosen, das war es ebenfalls nicht. David erklärte, dass es sich dabei und bei dem letzten um unterschiedliche Betäubungsmittel handelte, dann öffnete er das letzte Röhrchen und ließ Magane auch daran riechen. Lavendel, das war's, das war der Geruch an dem Einstich gewesen.
„Worin genau unterscheiden sich die Betäubungsmittel?“
„Hauptsächlich in der Wirkdauer, das Letzte legt einen nur sehr kurz auf Eis, das Mittlere für eine Stunde oder so und das Erste ist, wie gesagt, tödlich.“
„Aber das erklärst du normalerweise niemandem?“
„Nein, an meinen Waffen hat keiner was zu suchen, deswegen wird auch nichts erklärt. Du bist die erste, der ich überhaupt was erkläre. Karim weiß nur, dass es sich um das Gift für die Blasrohrpfeile handelt, weil er mal dabei war, als ich Pfeile präpariert habe, in Klatsch vor Monaten. Sonst habe ich bisher nie drüber geredet.“
„Und es gibt nichts Schriftliches?“
„Nicht hier, in der Stadt gibt es meine Abschlussarbeit, aber da kommen nur Assassinen dran, die Arbeiten der Absolventen sind nicht öffentlich. Und warum sollte ein Assassine so stümperhaft töten? Ein Profil hätte sicher nicht das schwächste Gift genommen.“
Magane nahm die Schachtel mit den Pfeilen zur Hand und entnahm ihr einen, um ihn sich genauer anzusehen. Die Nadel war sehr spitz und massiv, passte aber vom Durchmesser her nicht zu dem Einstich in der Schulter des Botschafters.
„Nein, mit diesen Pfeilen wurde die Tat nicht begangen. Hast du noch andere?“
„Nur die. Ich benutze sie auch eigentlich nie, nur gelegentlich für Zielübungen, aber dann natürlich ohne Gift. Ich laufe nicht rum und betäube Leute...“
„Sehr beruhigend. Gut, Gift gefunden, Waffe noch nicht. Aber der Duft müsste doch der Nadel noch anhaften, oder?“
„Klar, das hält einige Zeit.“
„Wo hast du die Kiste von heute Morgen eingeschlossen? Ich müsste da nochmal dran.“
„Gehen wir ins Wohnzimmer, da hab ich die Kiste in den Schrank geschlossen, ohne dass jeder ran kann“, er stand nicht gleich auf, sondern packte erst die Gifte und die Pfeile zurück in die Schublade. Dann ging er ins Wohnzimmer voraus, Mag folgte ihm zügig und konnte so beobachten wie er einen Schlüssel aus der Westentasche zog und damit einen Schrank aufschloss, der aussah wie alle anderen.
Es dauerte ein paar Minuten, bis sie die Tütchen mit den Stecknadeln gefunden hatte. Sie nahm die beiden Beutel und ging damit zum Tisch.
„Stecknadeln? Wo hast du die denn gefunden?“
„Auf dem Boden im Wohnzimmer.“
„Merkwürdig... Wenn die...“, er verstummte und sah Magane beim Öffnen der Tüten und reinschnuppern zu. Die Nadeln mit den Metallköpfen rochen unauffällig, nach Metall und Zigarrenrauch, aber die Nadel mit dem grünen Glaskopf roch schwach nach Lavendel. Sie nickte, das war also Tatwaffe Nummer eins. Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wer hier Stecknadeln benutzte und dann musste sie noch die Textilie finden, deren Fasern sie in Mund und Nase des Opfers entdeckt hatte und dann herausfinden wer diese benutzt hatte, um ihn zu ersticken... Der Fall war also so gut wie gelöst, so in ein paar Wochen.
„Liebste, ich muss schnell was aus dem Büro holen, wärst du so lieb hier oben zu bleiben?“
„Warum? Angst, dass ich weglaufe?“
„Nein, es ist nur grade eine Spur gefährlicher geworden. Ich möchte einfach nicht, dass du allein herumläufst und möglicherweise den falschen Leuten begegnest“, er sah ernsthaft besorgt aus, also gab Mag den Widerstand auf und lehnte sich zurück.
Sie brauchte nicht lange auf Davids Rückkehr warten, knappe zehn Minuten später war er wieder da und legte einen Terminkalender auf den Tisch.
„Ein Terminkalender? Warum hast du mir den nicht früher gegeben?“
„Weil ich nicht davon ausgegangen bin, dass er einen Termin mit seinem Mörder hatte. Außerdem stehen da geheime Informationen drin, eigentlich zu geheim für die Wache“, diese Aussage, oder war es die zurückgehaltene Information, war ihm sichtlich peinlich.
„Wegen der Geheimhaltung brauchst du dir bei mir keine Sorgen zu machen. Erstens kenne ich sowieso niemanden der sich dafür interessiert und nicht viel besser informiert ist als ich und zweitens rede ich nicht über solche Dinge. Also, mit wem hatte er denn nun einen Termin an seinem Todestag?“
„Mit dem Schneider“, er schlug den Kalender auf und deutete auf den Eintrag „Anprobe“.
„Dann muss ich mit dem Schneider reden!“
„Aber auf keinen Fall allein.“
„Warum? Ist doch nichts dabei“, sie sah ihn verständnislos an, bekam aber keine Erklärung, zumindest nicht sofort.
„Machen wir Schluss für heute, morgen überlegen wir uns, wie wir mit dem Schneider reden können, unauffällig und ohne, dass er gleich mit der Schere auf uns losgeht“, er lächelte ihr zu und führte sie dann zurück ins Schlafzimmer, „Heute Abend findet im Garten ein kleines Konzert statt, die Musiker sollen ausgezeichnet sein. Würdest du mir die Ehre erweisen mich dort hinzubegleiten?“
„Selbstverständlich, ich bin schließlich im Urlaub“, Mag öffnete den Kleiderschrank und stemmte die Hände in die Seiten.
„Was ziehe ich dazu an?“

Magane verstand sehr wohl, dass es für die Tarnung von entscheidender Wichtigkeit war sich öffentlich als verliebtes Paar zu zeigen, vor allem da man sie den ganzen Tag über nicht gemeinsam gesehen hatte. Aber ihr wäre es lieber gewesen, wenn sie den Abend mit Reden hätten verbringen können. Stattdessen saßen sie relativ weit vorn im Konzertpublikum und hörten im Hintergrund das Getuschel der Anderen. Vermutlich war es Einbildung, dass es sich anfühlte, als würden alle nur über sie reden, aber das Gefühl war scheußlich. David hatte demonstrativ besitzergreifend den Arm um ihre Schultern gelegt und spielte gedankenverloren mit einer Strähne, die sich dem Hochstecken entzogen hatte. Ihm schien das Getuschel nichts auszumachen, er strahlte seine omgegebene Selbstsicherheit aus und spielte die Rolle des Verliebten, als sei dies sein natürlicher Zustand. Wahrscheinlich war genau das der Punkt, es war nicht gespielt. Bei ihr ebenfalls nicht, nur konnte sie sich nicht so fallen lassen, irgendwas stand im Weg...

Das erste was sie am nächsten Morgen wahrnahm war wieder dieses gleißend helle Licht. Aber diesmal schreckte sie nicht sofort hoch, sondern nahm sich die Zeit in aller Ruhe nach Leben in ihrer Umgebung zu tasten. Schon seit einigen Monaten trainierte sie ihre mentalen Fähigkeiten wann immer sich die Gelegenheit bot, auch wenn sie nur ein schwacher Empath war, konnte sie doch einige interessante Informationen auf diesem Wege gewinnen. Magane streckte also ihre mentalen Finger aus und stellte als erstes fest, dass sie diesmal nicht allein war und dass das andere Bewusstsein genauso wenig schlief wie sie. Davon abgesehen befand sich niemand in unmittelbarer Nähe, also ein ungestörter Morgen. Warme Wellen von Liebe strömten von ihm aus, er schien sich vollkommen auf sie zu konzentrieren. Wenn sie jetzt die Augen aufschlug, würde sie vermutlich direkt in seine blicken. Ob er bemerkt hatte, dass sie wach war? Wahrscheinlich... sie reckte sich und eine weitere Welle der Zuneigung schwappte über sie hinweg.
„Heute nutzt du die Zeit nicht zum Arbeiten?“
„Auch ich kann nicht immer nur arbeiten, außerdem müssen wir unser weiteres Vorgehen besprechen und du bist bezaubernd, wenn du wach wirst“, er strich ihr das Haar zur Seite und fragte: „Was war das grade?“
„Was denn?“ Sie öffnete erst jetzt die Augen und sah tatsächlich direkt in das tiefe Braun der seinen.
„War das dieses mentale Tasten, wovon du geschrieben hast?“
„Du hast das gespürt?“
„Ja, wie eine federleichte Berührung.“
„Faszinierend... ja, ich habe die Umgebung erkundet, aber ich hatte keine Ahnung, dass die Umgebung davon etwas mitbekommt.“
„Wahrscheinlich nur wenn die Umgebung dich dabei beobachtet“, er lächelte und stand auf, anscheinend war er nicht grade erst wach geworden, denn dazu war er zu nah an vollständig angezogen. Mag zögerte noch einen Moment, dann passte sie den Augenblick ab, als er sich herumdrehte und die Manschettenknöpfe zuknöpfte, um ins Bad zu huschen. Diese Befangenheit war albern, aber sie wurde sie wohl so leicht nicht los, vielleicht wäre es anders, wenn sie die letzten Jahre mit Verabredungen statt mit Briefen verbracht hätten, dann hätte sie sich vielleicht inzwischen an ihn gewöhnt.
David erwartete sie am Frühstückstisch und goss in dem Moment als sie den Raum betrat den Kaffee ein. Er kommentierte weder ihren albernen Abgang noch machte er sie darauf aufmerksam, dass die Nacktheit sie nachts weniger gestört hatte. Die Kombination aus Hosenrock und Bluse quittierte er mit einem Nicken, bevor er lächelnd den Kaffee herüberreichte.
„Also, warum darf ich nicht allein mit dem Schneider reden?“
„Er ist gefährlich und extrem misstrauisch, mit ihm werden wir zusammen reden, später.“
„Was ist dann unser nächster Schritt? Die toten Dinge werden jedenfalls nicht mehr preisgeben“, sie war mit der Erklärung bezüglich des Schneiders nicht zufrieden und ließ ihn das deutlich spüren.
„Du hast mich gestern Mittag nach Frauen gefragt, was hast du da für Indizien gefunden?“
„Haare, Lippenstift an einem der Gläser im Schlafzimmer und...“, sie zögerte und sah ihn mit großen Augen an, dann entschied sie sich nicht weiter ins Detail zu gehen, „verschiedene andere Spuren.“
Wenn er ihr Zögern bemerkt hatte, ging er dennoch nicht darauf ein, irgendwie beruhigte sie das.
„Dann sollten wir Haarproben aller Frauen im Haus organisieren, um herauszufinden wer dem Chef in seiner letzten Nacht Gesellschaft geleistet hat. und parallel bestellen wir... einen neuen Mantel für mich, oder hast du noch Wünsche, ein weiteres Kleid vielleicht?“
„Ich bin mit Kleidern vorerst bedient, danke. Außerdem hat dieser gefährliche Schneider meine Maße.“
„Ja, da hast du natürlich recht. Ich denke die Haarproben sind eine schöne Aufgabe für Karim. Welche Farbe haben die Haare, die du gefunden hast?“
„Sie sind dunkelbraun und leicht gewellt.“
„Gut, ich sags ihm, er wäre beleidigt, wenn die Aufgabe nicht an ihn delegiert würde.“
„Und was mache ich den ganzen Tag?“
„Geh doch ein wenig in den Garten und wir treffen uns dann später dort“, kurz drängte sich Magane der Verdacht auf, im Garten abgestellt zu werden, damit sie nicht weiter herumschnüffelte, aber dann besann sie sich den Urlaub doch etwas genießen zu wollen. Der parkartige Botschaftsgarten eignete sich dafür sicherlich ausgezeichnet. Sie frühstückten ein paar Minuten schweigend, bevor Mag fragte: „Stehst du immer so früh auf?“
„Meistens, ich arbeite gerne, solange es noch kühl ist und habe lieber die Nachmittage und Abende frei. Und in der Stadt hatte das den Vorteil, dass ich meiner Zimmerwirtin aus dem Weg gehen konnte.“
„Wieso hast du dir eigentlich nie eine richtige Wohnung gesucht?“
„Für mich allein hat sich das einfach nicht gelohnt, da war das möblierte Zimmer genau richtig.“
„Und wenn du morgen wieder in die Stadt zurückversetzt würdest?“
„Dann würde ich mir vermutlich wieder eine arme alte Witwe suchen, die meinem Charme nicht widerstehen kann und mich durchfüttert... irgendwo findet sich immer ein Bett...“, er zwinkerte ihr schelmisch zu und sie bewarf ihn mit einem halben Brötchen, gnädiger weise ohne Butter und Marmelade.
„Schuft!“
„Nein, ich plane den Erwerb einer Immobilie, ist aber schwierig, wenn man sich nicht umsehen kann, deswegen würde mir nichts anderes übrigbleiben als mir wieder ein Zimmer zu suchen. Du hättest nicht zufällig ein Gästezimmer frei?“
„Nein, aber Platz genug.“
„Und die Kinder?“
„Was soll mit denen sein?“
„Wie reagieren die, wenn du mich mit nach Hause bringst?“
„Tom vermutlich positiv, mit dem bekomme ich wohl erst Ärger, wenn du wieder gehst. Elisas Reaktion lässt sich nicht vorhersagen, aber sie hält sich normalerweise sehr an ihren Bruder.“
„Also brauche ich kein Zimmer bei Fremden zu suchen, dann kann ich dich ja auch heimbringen, wenn wir den Mist hinter uns haben.“
„Aber du darfst doch nicht weg.“
„Urlaub steht mir zu... genaugenommen der Urlaub von über zwei Jahren, aber das wären Monate, die werden sie mir nicht genehmigen.“
„Das kenn ich. Also sind wir auch daheim noch ein Paar?“
„Außer du willst das nicht...“, er fixierte seinen Kaffee, als habe dieser anstalten gemacht sich aus eigener Kraft zu bewegen und wartete auf die Antwort.
„Doch schon...“, Mag räusperte sich, „ich möchte mit dir zusammen sein, aber eben auch zusammen und nicht auf unterschiedlichen Kontinenten.“
„Wird schon. Lass uns jetzt erstmal den Fall lösen, vielleicht überzeugt das seine Lordschaft... oder ich kündige...“
„Das wäre extrem. Lass es uns vorerst mit etwas Zeit versuchen und mit noch mehr Briefen.“
„Noch mehr Briefe“, er lachte und trank von seinem Kaffee, „unsere Beziehung besteht beinahe ausschließlich auf dem Papier.“
„Aber jetzt mit den offiziellen Papieren“, sie trank ihren letzten Schluck Kaffee und stand auf, um sich die Schuhe zu holen. David war ebenfalls mit dem Frühstück fertig und zog sich das Jackett über, mit weniger als einem dreiteiligen Anzug fühlte er sich scheinbar nicht wohl.
„Ich werde dann mal rausfinden wo sich Karim grade rumtreibt“, sie verabschiedeten sich mit einem Kuss und David ging als erster, während Magane noch ein paar Minuten herum trödelte.

Karim war von der Aufgabe, die sie für ihn hatten, hell auf begeistert gewesen und hatte sich sofort ans Werk gemacht. Beflügelt von dem bisher recht angenehmen Morgen, ging David in Richtung der etwas weniger repräsentativen Räumlichkeiten, um den Schneider aufzusuchen. Er konnte den Kerl nicht leiden und das lag nicht daran, dass er um seine Geheimnisse wusste, sondern ganz schlicht an seinem scheußlichen Charakter. Der Schneider mochte ein Künstler sein und sein Handwerk beherrschen, aber er war ein Scheusal, verachtete Frauen bis ins Mark und ließ keine Gelegenheit aus über ihre Fehler zu lamentieren. In seinen Augen taugten Frauen maximal als Kleiderpuppen und Männer waren in allen Belangen besser. Der Widerling konnte einem allein mit seiner Abwesenheit den Tag verderben, deswegen war es gut, dass der Tag so gut begonnen hatte, David konnte jeden positiven Impuls gebrauchen.
„Was kann ich für Sie tun?“
Der Schneider tat unterwürfig, aber David wusste, dass es sich dabei nur um eine sorgfältig eingeübte Rolle handelte.
„Ah, Herr Schnitzer, hat Ihrer Braut„, er spieh das Wort Braut regelrecht aus, als sei es pures Gift, „das Kleid gefallen?“
„Ja, sie war begeistert und es hat entzückend an ihr ausgesehen. Ein wahres Meisterwerk!“ Es war nie falsch jemandem zu schmeicheln, den man nicht leiden konnte, „für den zweiten Teil unserer Hochzeitsreise bräuchte ich einen Reisemantel, wäre das möglich?“
„Selbstverständlich, wann möchten Sie die Reise antreten?“
„Sobald wie möglich, frühestens allerdings wenn der neue Botschafter ernannt wurde, denn vorher kann ich nicht weg.“
„Gut, das sollte machbar sein. Haben Sie besondere Wünsche bezüglich der Farbgebung?“
„Wenn ich mich recht entsinne, ist der Reisemantel meiner Frau dunkelgrau, dazu sollte meiner passen, vielleicht noch etwas dunkler, beinahe schwarz...“, er sah den Schneider mit gespielter Hilflosigkeit an und lächelte, „ich denke, ich kann mich da vollkommen auf Ihre Expertise verlassen.“
„Das Vertrauen ehrt mich, wollen wir jetzt gleich die fehlenden Maße nehmen?“
„Ah... jetzt im Moment passt es mir nicht wirklich, vielleicht gegen Abend in meinem Quartier?“
„Um sieben, wäre das recht?“
„Ausgezeichnet!“
David grinste dem Schneider zu und verließ dann den Raum. Vor der Tür atmete er dreimal tief durch und ging dann zunächst in sein Büro, ein paar Minuten Kraft schöpfen, bevor er ebenfalls in den Garten ging.
Magane saß auf einer Bank im Rosengarten und sprach mit den Bienen, die um die nächststehende Rose schwirrten. Ob sie eine Antwort bekam, konnte David nicht feststellen, aber sie bot einen bezaubernden Anblick, so selbstvergessen. Er hatte eine Hexe geheiratet, das wurde ihm erst jetzt, wo er sie mit Bienen sprechen sah, richtig bewusst. Wie wohl das alltägliche Leben mit einer Hexe aussah? Der kleine Vorgeschmack am Morgen war sicher nur die Spitze des Eisberges. Ihre anderen Fähigkeiten konnte er noch nicht einmal erahnen und geschrieben hatte sie auch nie darüber, wahrscheinlich empfand sie sie als nicht der Rede wert. Es entsprach nicht ihrem Charakter mit ihren Kräften zu prahlen. Eigentlich schrieb sie immer nur von den Dingen, die sie nicht konnte, wie zum Beispiel dem Borgen, oder den klassischen Zaubertränken, oder von Feuerzaubern. Nur, dass sie ihre empathischen Fähigkeiten trainierte, weil sie sie bei ihrer Arbeit mit dem Mädchen, das von dem Feuerdämon besessen war, brauchte, hatte sie in aller Ausführlichkeit beschrieben. Das würde jedenfalls spannend werden, wenn es ihnen jemals gelang ein ganz normales gemeinsames Leben zu leben.
„Der Schneider kommt heute Abend zu uns ins Quartier, er wird dann Maßnehmen für einen neuen Mantel“, er setzt sich neben sie auf die Bank und legte ihr ganz selbstverständlich den Arm um die Schultern, der Rosengarten war gut vom Gebäude aus zu sehen.
„Wo möchtest du das ich in der Zeit bin?“
„Ich bin mir sehr unsicher. Am liebsten ganz weit weg, aber ich wüsste gerne was du denkst“, er sah sie einen Moment nachdenklich an, „Du könntest dich im Schlafzimmer aufhalten und lauschen.“
„Wenn es unbedingt sein muss...“, sie schwieg eine Weile, während eine Hummel auf ihrer Hand landete und sie sich von ihr nach einer kurzen Erholungspause auf eine nahe Blüte setzen ließ.
„Ich habe dir damals nicht die Wahrheit gesagt.“
„Wann?“
„Als du nach Klatsch gingst und mich gefragt hast ob ich dich begleite.“
„Und du nicht aus der Stadt weg wolltest...“
„Ja, das ist auch immer noch so und das ist auch nicht das was ich meine, es geht mir mehr darum, dass ich damals versucht habe dich auf Abstand zu halten, weil ich Angst hatte dir könne das gleiche geschehen wie meinen ersten beiden Ehemännern. Ihr Mörder läuft noch immer frei herum und er hat mir damals geschworen, dass ich niemals wieder mit jemandem glücklich werden werde, weil er immer wissen wird, wo ich bin, was ich tue und vor allem mit wem.“
„Danke. Ich habe mich schon länger gefragt, wann du mir das endlich erzählst. Keine Angst, ich pass schon auf.“
„Du wusstest davon?“
„Ich hab dir damals auch nicht die volle Wahrheit gesagt“, er räusperte sich leicht und setzte dann zu der lange überfälligen Erklärung an: „Es ist sehr selten das ein Kontrakt mit ausführlichen Hintergrundinformationen abgeschlossen wird. Ohne den Inhumierungsauftrag bezüglich des Mörders deiner beiden Ehemänner hätten wir uns vermutlich nie kennengelernt.“
Magane starrte ihn an, es war logisch, sie spürte, dass es wahr war, aber sie wollte es dennoch nicht glauben. Seit über sieben Jahren bestand dieser Kontrakt und ja, sie hatte damals eine Mappe mit ausführlichen Informationen hinterlegt, um demjenigen der den Auftrag annahm seine Arbeit zu erleichtern. Aber erstens war das inzwischen lange her und es war immer noch scheinbar nichts passiert und zweitens hatte sie längst geglaubt, dass der Kontrakt für aussichtslos befunden und geschlossen worden wäre.
„Die meisten Kollegen fanden, dass das zu viel zu lesen sei und dass die Summe nicht hoch genug sei, um deswegen einen verschwundenen Typen zu suchen. Aber ich habe die Akte aus Interesse gelesen und weiter nachgeforscht...“
„… und jetzt willst du mir erklären, dass du dich in meine Aufzeichnungen verliebt hast und mich deswegen kennenlernen wolltest. Und das soll ich dir glauben?“
„Ja, aber lass dir ruhig Zeit, ich weiß wie das klingt“, er sah sie einen Augenblick flehend an, dann senkte er den Blick und räusperte sich, „jedenfalls fand ich heraus, dass er damals nach Klatsch geflohen und dort untergetaucht war und als ich dann nach Al Khali versetzt wurde, sah ich eine realistische Chance ihn zu finden.“
„Du hast ihn gefunden“, plötzlich wurde Magane klar, warum er ihr all das ausgerechnet jetzt erzählte. Er hatte ihn gefunden, nach über sieben Jahren wurden wieder Morde begangen und Unschuldigen angehängt, Morde bei denen gestohlenes Gift verwendet wurde...
„Ja.“
„Deswegen sollte ich nicht allein mit ihm reden, ihm sogar gar nicht begegnen.“
„Ja, ich wollte dich vor ihm beschützen.“
„Wieso suchen wir dann überhaupt noch nach der Frau?“
„Er arbeitet nicht allein, ich will wissen, wer in mein Quartier eingebrochen ist.“
„Dann ist die Hochzeit nur nicht meine Tarnung, sie macht dich zum Köder. Du willst, dass er dich angreift.“
„Und ich will dich als meine Rückendeckung dabei.“
„Gefährliches Spiel“, gefährlich, aber reizvoll, ihre Augen funkelten, aber sie versuchte ihre Abenteuerlust zu zügeln.
„Aber du bist dabei?“
„Ja, solange du mir hinterher haarklein erzählst, seit wann du mir nachstellst. Keine Geheimnisse mehr. Keine Überraschungen mehr!“
„Versprochen.“
„Und du hast den Kram einfach gelesen, weil er dich interessierte?“
„Gelesen, alles Fremdsprachige übersetzt, in die richtige Reihenfolge gebracht, nachdem ich die Verschlüsselung geknackt hatte...“, er sah sie eine Zeit forschend an, neugierig mehr zu erfahren auf der einen Seite und gleichzeitig fürchtend sie könne das Gespräch mit einem Wutausbruch beenden, „Warst du wirklich überall dort wo Mathie nach dir gesucht hat?“
„Nein, ich bin zwar nicht auf direktem Weg nach Ankh-Morpork gekommen, aber beinahe. Und in der Stadt bin ich dann an jemanden geraten, der das perfekte Versteck bot, eben weil er selbst im Untergrund lebte.“
„Eine zehn Jahre andauernde Suche, beinahe bewundernswert, diese Ausdauer.“
„Die hatte er mit seinem Bruder gemeinsam... ich weiß noch immer nicht wie Mathie mich damals gefunden hat.“
„Zufall, er hatte aufgegeben und wollte in der Stadt ein neues Leben anfangen, aber dann hat er dich in Uniform gesehen und sofort wiedererkannt.“
„Also war meine Entscheidung zur Wache zu gehen und anständig zu werden der Anfang vom Verderben“, Magane stiegen die Tränen in die Augen, nach all den Jahren waren der Schmerz, die Angst und das Gefühl von Verlorenheit auf einmal wieder sehr präsent. Nie wieder hatte sie sich zu etwas zwingen lassen wollen und was hatte ihr das gebracht? Sie hatte aus Angst sich wieder zu binden die Kinder allein erzogen. Hatte sich in Arbeit vergraben, um kein Privatleben zu vermissen. Und letztendlich war sie doch wieder zu etwas gezwungen worden, nicht so hart wie damals, aber dennoch alternativlos. Sie war unglaublich wütend, aber es wäre in diesem Augenblick nicht klug gewesen die Wut an David auszulassen, auch wenn er bei weitem nicht unschuldig war. Sie fühlte sich verraten. Wenn er doch die ganze Zeit alles gewusst hatte, wieso hatte er dann nicht früher etwas sagen können? Die ganze Geheimniskrämerei hatte sie Jahre gekostet und die würden sie nie wieder zurückbekommen. Wenn das alles hier tatsächlich hauptsächlich dazu diente Tad Schneyder, dem Mistkerl, eine Falle zu stellen, warum konnten sie das dann nicht zuhause tun?
Weil sowas zuhause nicht planbar gewesen wäre. Hätten sie in der Stadt die, sich langsam anbahnende, Beziehung weitergeführt, hätten sie nicht wissen können ob und wann Tad davon erfahren hätte und wären demnach nicht in der Lage gewesen sich vorzubereiten. Hier gab es nur einen begrenzten Zeitraum, in dem er handeln konnte, um sie erneut unglücklich zu machen und außerdem waren die Kinder außerhalb seiner Reichweite.
„Denkst du, dass er dich direkt heute Abend angreift?“
„Wahrscheinlich nicht, aber man kann nicht sicher sein“, wenn sich David über den Themenwechsel nach der Gesprächspause wunderte, zeigte er das nicht.
„Vielleicht sollten wir noch ein paar Dinge vorbereiten, bevor er kommt.“
„Du möchtest dich bewaffnen?“
„Auch. Ich möchte aber auch etwas Unordnung herstellen, ein paar Spuren verteilen, ihn ärgern...“
„Wie viel Zeit hättest du dafür gerne?“
„Wenigstens eine Stunde. Warum?“
„Weil ich eigentlich vorhatte dich ein wenig zu entführen.“
„Schlechte Wortwahl. Wohin?“
„Wo immer du hinwillst, an den Strand, in die Wüste, oder in die Stadt zum Markt... ein bisschen raus halt“, er sah sie etwas hilflos an, eigentlich war es eine gute Idee gewesen, aber jetzt war er sich nicht mehr sicher, ob sie das auch so sehen würde.
„Dann möchte ich gern in die Wüste.“
„Hätte ich mir doch denken können... gut, dass es nicht so heiß ist. Also Wüste“, gedanklich ging er die Vorbereitungen noch mal durch. „Dann triff deine Vorbereitungen und ich hole dich in einer Stunde ab, zu unserem Ausflug.“

Als er eine Stunde später vor der Tür zu ihren gemeinsamen Räumen ankam, wartete sie schon auf ihn, strahlend schön und offensichtlich kampfbereit.
„Brauchst du noch etwas, oder können wir gleich los?“
„Wir können los, ich brauche nichts, du hast vermutlich an alles gedacht...“, seine Pläne wiesen für gewöhnlich keine ernsteren Lücken auf, da war sie sicher, alles was ihr einfallen konnte war bereits bedacht.
Deswegen wunderte sie sich auch nicht über die gepackte Kutsche, die auf sie wartete als sie in den Stall kamen. Damit würden sie zwar nicht weit in die Wüste hineinfahren können, aber sie konnte nicht auf Kamelen reiten und zu Fuß waren sie zu lange unterwegs. Hatte sie ihm erzählt, dass Kamele ihr unheimlich waren? Vielleicht hatte er das auch einfach aus der Tatsache geschlossen, dass sie daheim auch immer zu Fuß ging. Pferde waren ihrer Meinung nach schon schlimm, aber Kamele... es passte einfach nicht zu ihrem Selbstverständnis, sich nicht auf ihren eigenen Füßen zu bewegen.
Davids Planung enthielt nicht nur einen ausgekundschafteten Picknickplatz und ein üppiges vorbereitete Picknick, sondern auch eine Decke, teuren eisgekühlten Schaumwein, frisches Obst und andere luxuriöse Dinge an die Magane vermutlich nie gedacht hätte. Es war perfekt, ein weiterer perfekter Moment, der zu schön war, um uneingeschränkt wahr zu sein. Irgendwann begann er zu erzählen, dass er damals schon hauptsächlich Übersetzungsarbeit geleistet hatte, sowohl im Palast als auch für die Gilde und dass die Akte deswegen auf seinem Tisch gelandet war. Er hatte nur die vielen omnianischen Schriftstücke übersetzen sollen. Dann hatte er aber aus Interesse alles gelesen und war von der Geschichte dahinter so gefesselt, dass er beschlossen hatte den Kontrakt exklusiv zu übernehmen und dafür eine Auslandslizenz beantragt. Womit er damals nicht gerechnet hatte war, dass es so lange dauern würde. Es war eine ganz allmähliche Entwicklung gewesen, die damit begonnen hatte, dass er die Akte mit heimgenommen hatte, um sich in Ruhe darin zu vertiefen. Vertiefen hatte in diesem Fall nachvollziehen geheißen. Schritt für Schritt war er zuerst die offiziellen Ermittlungen der Wache durchgegangen, die sie mit ihrer ordentlichen sehr kleinen Handschrift abgeschrieben hatte. Danach hatte er sich ausgiebig mit ihren privat fortgesetzten Ermittlungen beschäftigt, die zwar nicht so ordentlich geschrieben waren, aber dafür voller Persönlichkeit steckten. Hier hatte er Hartnäckigkeit und Kampfgeist gefunden, den unbezähmbaren Willen nicht aufzugeben. Dann hatte er dezent angefangen sie zu beobachten, hatte über Palastkontakte alles Mögliche über sie in Erfahrung gebracht. Aber auf diesem Weg hatte er nur Fakten sammeln können. Sicher war es interessant den Weg eines Wächters durch die Abteilungen zu verfolgen, aber das war kein guter Weg, um die Person kennenzulernen, selbst wenn er Einblick in ihre Personalakte gehabt hätte.
Also war er wieder zum Beobachten zurückgekommen. Das war in ihrer Zeit als Ausbilderin am einfachsten gewesen, feste Arbeitszeiten, Wachhaus in den Schatten, sowas war leicht zu beobachten. Beim Wechsel zurück ins Hauptwachhaus hatte er sie kurzzeitig aus den Augen verloren, wie hatte er auch ahnen können, dass sie nicht zu RUM zurück ging, sondern gleich etwas ganz Neues machte. Mit bedauern musste er dann feststellen, dass sie in ihrer neuen Spezialisierung nie allein unterwegs war, keine Gelegenheit sie anzusprechen. Deswegen hatte er angefangen sich auf ihre Aktivitäten nach Dienstschluss zu konzentrieren und so hatte er sie schließlich im Kamel angesprochen.
„Und ich hab die ganze Zeit nichts bemerkt...“
„Du warst halt sehr beschäftigt, ich habe in den ganzen Jahren nie einen Wächter getroffen, der trotz Familie und Nebenjob so viele Überstunden machte.“
„Ich hätte trotzdem bemerken müssen, dass ich beobachtet wurde“, die Antwort fiel etwas trotzig aus, aber das war ihr im Moment egal, schließlich ging es ums Prinzip. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie nichts bemerkt hatte, eigentlich hatte sie immer geglaubt, sie würde auf ihre Umgebung achten.
„Mach dir nichts draus, Assassinen bemerkt man im Idealfall erst wenn es zu spät ist“, er grinste unverschämt und warf ihr eine Weintraube zu, die sie geschickt auffing und in der Hand hielt.
„Bist du mir noch böse?“
„Darum geht es nicht“, sie grinste und aß die Traube, „ich habe gedacht wir hätten keine Geheimnisse mehr, zumindest ich war in den Briefen immer sehr offen und du hast mir so viel verschwiegen...“
„Das musste ich, sonst hätte ich ihn nie erwischt. Lass uns das von nun an so halten“, er seufzte und begann die Lebensmittel zusammenzupacken, „Wir müssen leider jetzt gleich schon zurück, wir haben noch einen Termin mit einem Mörder.“
Mag half ihm beim Zusammenräumen und stibitzte dabei noch ein paar Trauben. Langsam beschlich sie der Verdacht, dass sie unter Davids Obhut bald nicht mehr in ihre hübschen Kleider passen würde, er hatte einfach zu viel Spaß daran sie zu füttern. Und sie fühlte sich wohl dabei. Zum ersten Mal seit Jahren hatte sie das Gefühl, dass alles gut war. Selbst das widerliche Leichenschnibbeln war mit ihm weniger furchtbar, auch wenn er natürlich nicht dabei gewesen war. Wenn sie ganz ehrlich zu sich war, war es ihr sogar egal, dass er nicht ehrlich zu ihr gewesen war, es war egal, weil er ihr gut tat. In den vergangenen Jahren hatte sie seinen Briefen entgegengefiebert, auch wenn sie für die Antworten teilweise etwas länger gebraucht hatte, die Briefe hatten ihre Tage erhellt.
Sie nahmen die mitgebrachten Sachen und packten sie zurück in die Kutsche. Mag bedauerte, dass der Ausflug so kurz gewesen war und sie nicht bis Sonnenuntergang bleiben konnten. Auf der Rückfahrt waren sie beide merkwürdig still. David suchte immer wieder Maganes Blick, wie sie aus den Augenwinkeln wahrnahm, aber sie konnte sich nicht von der Landschaft vor dem Fenster lösen. Angst stieg in ihr auf, als sie sich der Stadt und damit ihrem Ziel näherten. Was, wenn sie nicht mit ihm fertig wurden? Er hatte schon mindestens dreimal gemordet und Davids einzige Rückendeckung war sie. Damit hatte er mehr Rückendeckung als die drei Anderen, aber es konnte so unheimlich viel schief gehen. Schon, dass sie unbewaffnet im Schlafzimmer lauschen sollte, war unsicher. Er hatte sein letztes Opfer mit einem Nadelstich betäubt. Was brachte da lauschen? Überhaupt passte ihr das ganze Konzept des Unbewaffnetseins nicht, nicht in dieser Situation, aber David glaubte, er müsse erst tatsächlich angreifen, bevor sie ihn überwältigen durften. Sie verzichtete darauf auf den bestehenden Kontrakt hinzuweisen, er war der Assassine, er wusste vermutlich was er tat. Das war sein Fachgebiet, nicht ihrs.
Die Kutsche rollte wieder auf den Hof der Botschaft und sie stiegen zügig aus als der Wagen zum Stehen gekommen war. David sah auf seine Taschenuhr und fluchte leise.
„Wir sind zu spät, er wird schon warten.“
„Wenn er wirklich oben vor der Tür steht, komme ich nicht ungesehen rein“, flüsterte sie und schmiegte sich an ihn.
„Nur durchs Fenster...“, seine Stimme drang fast unhörbar gedämpft durch ihr Haar.
„Ich werde nicht von außen durchs Fenster in unser Schlafzimmer klettern.“
„Dann sollten wir uns schnell etwas einfallen lassen.“
„Lass mich mal machen.“
Arm in Arm gingen sie die Treppen hinauf und mussten oben angekommen feststellen, dass der Schneider tatsächlich schon auf sie wartete und demonstrativ auf seine Uhr sah.
„Meister Schneyder, wir sind untröstlich, aber Ihr wisst sicher wie das ist, wenn die Zeit nur so dahin fliegt“, mit einem charmanten Lächeln schloss er die Tür auf und bedeutete dem Schneider vorzugehen.
„Liebling, möchtest du mich dabei haben? Sonst würde ich mich gern etwas hinlegen. Ich bin die Sonne nicht mehr gewöhnt“, wenn sie schon nicht unbemerkt ins Schlafzimmer kam, dann sollte er wenigstens was zu knacken haben.
„Mein Täubchen, geh du nur vor. Ich komme nach, sobald wir fertig sind“, er küsste sie auf die Stirn und sie huschte ins Schlafzimmer.
„So, das ist sie also. Das Kleid hat in ihren Augen Gnade gefunden?“
„Ja, sie findet es wundervoll“, er sah über die Schulter des Schneiders und stellte beruhigt fest, dass die Tür zum Nebenzimmer einen winzigen Spalt offen stand. Sie war da und sollte etwas geschehen, würde sie sich sicher rechtzeitig an die Waffenschublade erinnern und dann wäre der von ihr beklagte unfaire Nachteil aufgehoben. Der Schneider nahm ohne großartige Gespräche die fehlenden Maße, aber als sie dann zur Stoffauswahl schreiten wollten und er die Stoffmuster ausbreitete, ergaben sich dann doch Fragen.
„Hat die frisch Angetraute ihren Mantel dabei?“
„Oh, ja natürlich. Aber der ist nebenan... ich müsste ihn eben holen. Hoffentlich wecke ich sie nicht auf“, er ging betont leise zur Schlafzimmertür, drückte theatralisch langsam die Klinke herunter und trat ein.
Magane stand außerhalb des Blickfeldes des Schneiders nah bei der Tür und lächelte gefährlich. Es konnte kein Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen diesen dritten Ehemann nicht auch an den Mörder im Nebenzimmer zu verlieren. David nahm den Reiseumhang vom Kleiderbügel, lächelte ihr zu und ging zurück ins Wohnzimmer. Die Tür ließ er wieder angelehnt und er bewegte sich weiterhin sehr leise.
„Schläft wie ein Murmeltier, meine Süße“, er grinste anzüglich und fügte hinzu: „War vielleicht doch alles ein bisschen viel und ein bisschen zu wenig Schlaf.“
„Und die viele Sonne kann einem so zarten Wesen auch zusetzen, wenn sie sie nicht gewöhnt ist. In Ankh-Morpork ist die Sonneneinstrahlung ja nie so stark.“
„Ach Ankh-Morpork, furchtbare, wunderbare Stadt. Ich freue mich sehr darauf möglichst bald dorthin zurückkehren zu können, auch wenn es nur für eine kurze Reise sein wird, vorerst.“
„Wieso macht man seine Hochzeitsreise nach Ankh-Morpork?“ Der Schneider besah den Reiseumhang kritisch, wenn er die Arbeit seines Bruders erkannte, ließ er es sich nicht anmerken.
„Die Umstände zwingen uns. Maggie hat Familie dort, die sollten irgendwie eingebunden werden, außerdem müssen wir auch noch einiges in der Stadt regeln.“
„Also ein Antrittsbesuch bei den Schwiegereltern... dunkler als dieses dunkle Grau, in ähnlich hoher Qualität... schwarz kommt nicht in Frage?“
„Nein, schwarz steht außer Konkurrenz“, er verzichtete darauf den Schneider über die Familienverhältnisse, die er sehr wohl kannte, aufzuklären. Er wollte ihn aus der Reserve locken und das würde so nicht gelingen, da musste er sich schon etwas Besseres einfallen lassen.
„Wie wäre es mit einem solchen dunklen Anthrazit, dieser edle feste Wollstoff wäre perfekt für einen Mantel und ein dunkleres Grau wird nur schwerlich zu finden sein.“
David nickte, dieser Stoff war wirklich schön und auch wenn er von Textilien keinerlei Ahnung hatte, bedauerte er trotzdem, dass es zu diesem Mantel nicht kommen würde.
„Den habe ich sogar vorrätig, und ein passendes Futter in der entsprechenden Menge ebenfalls. Die Maße sind nun ebenfalls vollständig... Sie wissen noch nicht wann es losgehen soll?“
„Nein, nicht genau, nur sobald wie möglich.“
„Dann werde ich mich beeilen. Wollen wir es so handhaben, dass ich zu den Anproben einfach hochkomme, oder kommen Sie zu mir herunter?“
„Nein, wir machen das hier, aber kündigen Sie sich vorher an“, er zwinkerte dem Schneider verschwörerisch zu und nickte in Richtung Schlafzimmertür. Es war ihm zutiefst zuwider auf diese Weise anzüglich zu werden, aber er hielt es für notwendig, um sein Gegenüber weiter zu provozieren. Glücklicherweise begann der Schneider aber nun seine Sachen zusammenzupacken und trat somit den Rückzug an.
Magane hatte sich extrem zusammenreißen müssen, um den vermutlich sorgfältig ausgeklügelten Plan nicht doch noch zu sprengen. Sie wollte den Kerl eigentlich nur noch zum Schweigen bringen, final. Aber das war nicht der Sinn der Sache. Die gestellte Falle war nicht dazu gedacht ihre Zukunft und ihre Karriere zu gefährden. Letztere wäre mit einem Tötungsdelikt im Dienst mit Sicherheit beendet und ihre Zukunft stünde dann nicht mehr nur auf der Kippe, sondern ginge mit rasanter Geschwindigkeit den Bach herunter. Also hatte sie zähneknirschend an der Tür gelauscht und ständig den Dolch wurfbereit gehalten. Sie konnte sich sogar beherrschen, dem entschuldigend grinsenden David die Hölle heiß zu machen, weil er mit dem Feind vertraulich geworden war. Früher wäre sie bei weitem nicht so beherrscht gewesen.
„Offenbar warst du heute noch nicht dran mit umgebracht werden“, Magane öffnete ihren Flechtzopf, während sie ins Wohnzimmer kam und schüttelte schwungvoll ihr Haar aus, „was machen wir nun mit dem restlichen Abend?“
„Weiß nicht“, er kam auf sie zu und strich ihr eine widerspenstige Strähne hinters Ohr, „schlag was vor.“

***

„Kaum zu glauben, der Trottel redet vom zweiten Teil ihrer Hochzeitsreise... Fast hätte ich ihm gesagt, dass er den Mantel sowieso nicht braucht.“
„Du bist zu impulsiv, lass sie ihr Glück doch noch ein oder zwei Tage genießen, warum tötest du ihn nicht einfach bei der Überfahrt?“
„Weil ich dann in Ankh-Morpork ankäme und dann wäre ich wieder in Reichweite der Assassinengilde.“
„Also kannst du gar nicht mehr in die Stadt zurück? Aber du hattest mir doch versprochen mich mitzunehmen, wenn du gehst“, sie sah ihn zutiefst verletzt an, „ich habe doch keine Zukunft hier ohne dich.“
„Es gibt so viele schöne Orte auf der Scheibe“, er griff nach seinem Nadelkissen, das Mädchen wurde ihm langsam lästig... Außerdem würde er jetzt endlich das Original erobern, wozu brauchte er dann noch die Kopie?
„Wir könnten nach Quirm gehen, da ist es sehr schön und es riecht viel besser als in Ankh-Morpork.“
Sie sah kurz zu Seite, lange genug für ihn, um eine der grünen Nadeln auszusuchen. Er verbarg sie geschickt zwischen den Fingern seiner rechten Hand und schob ihr mit dem Fuß einen Stuhl zurecht.
„Eni, bitte setz dich, du hast mir in den vergangenen Jahren große Dienste erwiesen, da lasse ich dich doch jetzt nicht im Stich“, er umschloss ihre gefalteten Hände mit den seinen und ritzte mit der vergifteten Nadel die Haut auf ihrem Handrücken auf. Für eine dermaßen zarte Person würde eine so kleine Verletzung reichen.
Sie zuckte leicht zusammen und sah ihn mit riesigen Augen an. Das Mädchen verstand augenblicklich was geschah und noch während sie fragend den Mund öffnete, sackte sie bewusstlos zusammen. Das musste man dem Tottel lassen: Er kochte sehr gutes Gift. Wie sehr er sich darauf freute ihn mit seinen eigenen Waffen zu töten. Aber vorher... sein Blick wanderte zu der zarten Gestalt vor ihm. Sie hier zu töten wäre nicht klug, wahrscheinlich wäre es das Beste es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen, in ihrem Zimmer. Unpraktisch, dass ihm dieser Gedanke erst jetzt gekommen war. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sie rüber zutragen. Wenigstens waren es nur ein paar Schritte auf derselben Etage.
Vorsichtig spähte er in den Flur. Die Luft war rein, um die Zeit war hier unten nur selten etwas los. Der Schneider ging zu dem Dienstmädchen zurück und fischte ihren Schlüssel aus der Schürzentasche. Den Generalschlüssel würde er behalten, das würde wohl kaum rechtzeitig auffallen. Mit schnellen Schritten ging er den Flur hinauf, schloss ihre Kammer auf und ließ die Tür anstehen, dann kam er zurück zur bewusstlosen Eni, hob sie auf und trug sie in ihre Kammer. Der nun kommende Teil war so nicht geplant. Der Zeitpunkt sie zu töten war ungünstig, dem eigentlichen Plan zufolge hatte er sie zuletzt beseitigen wollen, nach dem Trottel und wenn er sie unter Kontrolle hatte. Aber noch schnüffelte sie herum und der andere beschützte sie dabei. Und vermutlich hatten sie ihn sowieso bereits im Verdacht... blieb nur eine Option: Angriff! Die Flucht nach vorn. Er verwarf seine erste Idee ihr die Pulsadern zu öffnen und wählte einen ungleich unblutigeren Weg, der allerdings von der Bildwirkung her noch eindrucksvoller sein würde.
***


Er hatte nicht erwartet, dass diese Flitterwochen unter diesen Umständen voller rosa Wölkchen und Säuseleien stecken würden. Und ihm war auch nicht entgangen, dass Maggie mit ihrer Geschichte wohl kaum ein folgsames Eheweib darstellen würde. Aber er wollte wenigstens etwas Flitterwochenstimmung erschaffen. Dazu hatte er vor allem die Mahlzeiten vorgesehen. Sehr detaillierte Planung hatten stattgefunden und klare Anweisungen waren dazu gegeben worden. Das Picknick in der Wüste war hervorragend gelaufen und mit dem heutigen Frühstück sollte dieser Erfolg noch übertroffen werden. Er hoffte, dass ihre Beziehung, die von Anfang an von Mord geprägt war, irgendwann auch mal einige ganz normale Tage, ohne Mörder und Ermittlungen haben würde. Auch wenn diese Tage aus heutiger Sicht noch in weiter Ferne liegen mochten, so sollten es wenigstens zwischendurch normale Stunden sein. David stand leise auf, zog sich den Morgenmantel über und schlich ins Wohnzimmer. Die Anweisung lautete „Brötchen hochbringen und auf keinen Fall stören“, alles andere wollte er selbst vorbereiten und im Idealfall wurde Maggie vom Kaffeeduft wach. Er stellte den Wasserkessel auf den kleinen Ofen und nahm Geschirr aus dem Schrank, da klopfte es an der Tür.
Sorgsam alles Zerbrechliche abstellend, ging er hinüber, um den morgendlichen Störer in die Schranken zu weisen, öffnete die Wohnungstür und trat hinaus.
„Tut mir leid, dich so früh stören zu müssen“, Karim sah keineswegs so aus als entspräche diese Aussage der Wahrheit, „aber es ist etwas passiert.“
„Was?“
„Es ist schon wieder jemand gestorben.“
„Na toll, ich zieh mir was an und wecke Maggie.“
„Warum?“
„Weil ich nicht vorhatte im Morgenmantel runter zu gehen.“
„Nein, warum willst du Maggie deswegen wecken?“
„Weil Tote nun einmal zu ihrem Aufgabenbereich gehören.“
„Aber es ist Selbstmord und kein besonders ästhetischer Anblick.“
„Selbstmord ist es erst wenn die anderen Möglichkeiten ausgeschlossen sind und wenn es schon statt Frühstück eine Leiche gibt, ist die Schönheit der Leiche nicht mehr von Bedeutung“, David drehte sich um und ging wieder rein, ließ dabei allerdings die Tür einen Spalt offen.
Karim zuckte mit den Schultern und beschloss wenigstens schnell die Brötchen reinzubringen, damit die nicht weiter auf dem Flur rumstanden. Außerdem wartete es sich drinnen auf einem Sofa deutlich angenehmer.

„Guten Morgen, Liebste. Tut mir leid dich wecken zu müssen, aber es gibt Arbeit statt Frühstück.“
„Oh nein. Was ist passiert?“
„Das werden wir herausfinden, sobald wir unten sind.“
Schweigend machten sie sich frisch und zogen sich an, so war der Morgen sicherlich nicht geplant, aber das war nun nicht mehr wichtig.
„Bereit der Welt entgegenzutreten?“
„So bereit, wie ich ohne Kaffee sein kann“, mit routinierten Handgriffen steckte sie ihr Haar hoch und ging ins Wohnzimmer, „Guten Morgen, Karim!“
„Äh, guten Morgen, Schönheit“, Karim hatte die Zeit und das inzwischen heiße Wasser genutzt, um Kaffee zu machen, von dem er ihr nun eine Tasse in die Hand drückte.
Magane bedankte sich lächelnd und sah sich dann nach David um und fragte: „Können wir die Materialkiste für die Spurensicherung gleich mit runternehmen?“
„Sollten wir uns nicht erst ansehen was genau passiert ist?“
„Die Kiste brauchen wir in jedem Fall. Auch wenn es nur Selbstmord sein sollte.“
„Gut“, er sah Karim an, der wortlos die Hand nach dem Schrankschlüssel ausstreckte, den David im Tausch gegen seinen Kaffee herausgab.
Zu dritt machten sie sich wenige Minuten später auf den Weg nach unten, wobei Karim sich das Gewicht der Kiste nicht anmerken ließ. Mag ließ die beiden Männer vorausgehen. Sie waren vollkommen unterschiedlich und arbeiteten dennoch in perfekter Harmonie zusammen, als hätten sie nie etwas anderes getan. Ein leichter Anflug von Neid keimte in ihr auf, in ein paar Tagen würde sie wieder nach Hause fahren und die beiden würden hier weitermachen wie bisher. Vielleicht sollte sie doch die Kinder herholen und den Posten bei der Palastwache annehmen, den er ihr vor Jahren schon angeboten hatte zu organisieren. Ankh-Morpork brauchte sie nicht, die Wache war vielleicht ohne sie besser dran und Freunde... Freundschaften ließen sich besser postalisch führen als Beziehungen...
Bei den Personalunterkünften angekommen, war zunächst nichts Auffälliges zu bemerken. Wer hier wohnte und nicht tot war, war um diese Zeit im Haus oder für das Haus unterwegs. Dann kamen sie allerdings zu einer Tür, die diskret von einem der hiesigen Palastwächter bewacht wurde, der auf ein Nicken von David hin zur Seite trat. Eigentlich war es ein Unding, dass der Hauptverdächtige in Mord Nummer 1 beim nächsten verdächtigen Todesfall ganz selbstverständlich das Kommando hatte. Aber genaugenommen war er längst entlastet, schließlich wussten sie wer der wahre Mörder war. Außerdem war das nicht ihr Problem, sie wollte diese Stelle nicht. David schloss die Tür auf und trat als erster ein, kam aber sofort wieder zurück.
„Das war kein Selbstmord“, er sah Magane betroffen an und hielt die Tür zu, als könne er damit ungeschehen machen was er dahinter passiert war.
„Machst du jetzt schon meinen Job?“
„Nein, meinen.“ Er suchte einen Augenblick nach den richtigen Worten und ergänzte dann: „Ich habe sowas schon mal gesehen.“
„Lass mich einfach reingehen und mir selbst ein Urteil bilden.“
Er trat zur Seite und ließ sie in den kleinen Wohnraum des Dienstmädchens. Magane erstarrte augenblicklich, auf alles war sie vorbereitet gewesen, auf Seen von Blut, aufgeschlitzte Körperteile, Erbrochenes und alle anderen unappetitlichen Dinge, die Menschen einander oder sich selbst antaten. Aber damit hatte sie nicht gerechnet. Sie ging langsam rückwärts, den Blick dabei starr auf die Tote gerichtet.
„Kein Selbstmord, ich stimme dir zu“, flüsternd ergänzte sie: „Wir hätten sie genauso gut selbst töten können, wir haben zu lange gezögert.“
„Hältst du das durch?“
„Natürlich, es ist lange her und ich bin ein Profi. Ich mache ein paar Ikonographien und dann brauche ich deine Hilfe beim Abnehmen.“
„Möchtest du, dass ich bei dir bleibe?“
„Nicht unbedingt... Hast du die Ermittlungsakte von damals mit hier?“
„Alles, ich habe alles mitgenommen, in Ankh-Morpork ließ ich nur dich zurück.“
Sie warf ihm einen nachdenklichen Blick zu, räusperte sich dann und griff ihren Gedanken wieder auf: „Ich hätte gerne die Bilder und den Obduktionsbericht aus Ktrasks Akte“, sie sah seinen skeptischen Blick und setzte hinzu: „Bitte, diskutier das nicht mit mir.“
David nickte stumm und ging leicht gekränkt in Richtung seines Büros davon. Magane sah im noch kurz hinterher, zuckte dann mit den Schultern und suchte den Ikonographen aus der Kiste, die die Spurensicherungsmaterialien enthielt. Das war nicht der richtige Augenblick für Sentimentalitäten. Dies hier war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es war ein Fehler sie auf diese Art zu reizen. Dieses Mal würde sie den Mistkerl nicht entkommen lassen. Dieser sinnlose Mord war einfach zu viel. Die Bilder und der Obduktionsbericht aus der Akte wären natürlich nicht nötig gewesen, sie erinnerte sich an jedes Detail. Schließlich hatte sie sehr viel Zeit mit diesen Beweisen verbracht, bevor sie sie aufgegeben hatte. Nein, nicht aufgegeben – abgegeben – sie hatte diese Akte und alles was damit zusammenhing an die Assassinengilde abgegeben... und nun stand sie hier, Jahre später, an einem vollkommen anderen Ort und wurde verspottet. Ein neues Opfer so herzurichten, dass augenblicklich Erinnerungen an eine frühere Tat geweckt wurden, war schon dreist. Die junge Eni hing, am Hals aufgehängt, an einer Vorhangstange. Um den Hals eine Vorhangkordel, zu ihren Füßen ein umgestoßener Schemel. Das alles wäre nicht weiter ungewöhnlich gewesen, auf den ersten Blick sogar glaubwürdig, aber dass sie über ihrem Dienstmädchenkleid einen roten Bademantel trug, war schon ungewöhnlich. Dazu kam, dass sich ihr Körper leicht im Luftzug drehte, er hatte das Fenster wohl extra für diesen Effekt geöffnet. Damals auf dem Dachboden war das nicht nötig gewesen, auf dem Dachboden zog es immer, sonst hätten sich die Eulen dort kaum einquartieren können. Magane machte einige Ikonographien und versuchte krampfhaft das flaue Gefühl im Magen zu ignorieren. Der Bademantel schien der zierlichen jungen Frau einige Nummern zu groß zu sein und als Mag sich genauer umsah fand sie einen kleineren weißen Bademantel gemeinsam mit einem ebenfalls weißen Handtuch am Waschtisch hängen. Demnach war der Rote nicht ihrer. Außerdem sah es aus, als sei ihr der Mantel erst nach dem Aufhängen angezogen worden, er saß nicht so als hätte sie ihn selbst angezogen und die Ärmel waren überlang, so dass nur die Fingerspitzen hervorschauten. Die Kapuze, die wegen der Vorhangkordel nicht nachträglich über ihren Kopf hätte gezogen werden können, hing nutzlos herunter und brach somit mit dem Vorbild. Ktrask hatte die Kapuze aufgehabt... sie schluckte schwer und machte ein paar weitere Ikonographien. Magane musste sich zusammenreißen, sich heulend in einer Ecke verkriechen kam keineswegs in Frage. Sie durfte sich auch nicht die Schuld an dem Tod des Mädchens geben. Wäre das Dienstmädchen noch am Leben, wenn sie ihr weniger ähnlich wäre? Vermutlich. Hätte sie den Tod der jungen Frau verhindern können? Vielleicht. Aber war es ihre Schuld? Nein! Bei einem Mord trifft die Schuld nur den Mörder.
Es klopfte leise an der Tür, Mag wandte sich ab vom Anblick der Toten und ging die wenigen Schritte zur Tür, um zu öffnen. Sie war sich der Tränen in ihren Augen und des Zitterns ihrer Hände schmerzlich bewusst und schalt sich selbst für diese offenkundigen Zeichen der Schwäche.
„Darf ich dir jetzt helfen?“ David zeigte sich zerknirscht und wirkte dabei wie ein Kind, dass sich widerwillig entschuldigt, um wieder mitspielen zu dürfen.
„Ja, komm rein, allein kann ich sie nicht abnehmen“, sie zögerte etwas bevor sie hinzufügte: „Und vielleicht ist es auch besser dabei nicht allein zu sein.“
David trat ein und legte die mitgebrachte Mappe auf das schmale Bett, dann sah er zu der Toten hinüber und stutze.
„Ob ihm der Bademantel erst eingefallen ist, als sie schon hing?“
„Möglich. Freiwillig hat sie ihn sicher nicht angezogen.“
„Ich dachte nur, dass das Bild nicht perfekt arrangiert ist, einerseits gibt er sich viel Mühe, andererseits der Fehler mit der Kapuze.“
„Ja, verstehe was du meinst, kann ja sein, dass der Bademantel nicht zum Plan gehörte, aber das ist nicht weiter wichtig. Sie hat ihn an und der Mantel gehört nicht hier her.“
Schweigend nahmen sie die Tote ab und legten sie vorerst auf den Boden, dann begann Mag mit der systematischen Untersuchung des Tatortes, während David sich im Hintergrund hielt. Er stellte keine Fragen, sondern ließ sie arbeiten. Wenn sie schon mehrere Aufgaben gleichzeitig erfüllen musste, dann sollte sie es wenigstens so tun wie sie es für richtig hielt. Schließlich hatte sie all das gelernt und wusste was sie tat. Alle Wächter, die für eine Mordermittlung gebraucht wurden, in einer Person. Er wollte sie nicht allein lassen mit dieser Situation, wollte ihr beistehen, aber er kam sich gleichzeitig so deplatziert vor, ohne Aufgabe in einem Raum, in dem er sich nicht traute, etwas zu berühren. Ihm blieb nichts anderes übrig als ihr zuzusehen. Er beobachtete ihre Suche nach Fingerabdrücken und die genaue Inaugenscheinnahme der Vorhangstange und -kordel.
„Ihr müsst hier mit sehr schweren Vorhängen rechnen...“
„Die Vorhänge sind ziemlich schwer“, er grinste ihr zu, lehnte sich an den Türpfosten und fischte ein Anisbonbon aus seiner Anzugtasche.
Mit routinierten Handgriffen tütete sie Indizien ein und übertrug gefundene Fingerabdrücke auf klebriges Pergamentpapier. Dann beschriftete sie alles sorgfältig und räumte es in die Kiste.
„Ich glaube nicht, dass die Tat komplett hier stattgefunden hat, es gibt noch einen weiteren Tatort“, Magane hatte sich inzwischen der Toten zugewandt und untersuchte den Körper und die Kleidung, „aber sie hat noch gelebt, als sie sie her gebracht wurde, wahrscheinlich war sie betäubt... würde mich nicht wundern, wenn ich einen Einstich fände.“
Sie suchte mit größter Sorgfalt auf Knien um die Tote herumkriechend jeden freien Zentimeter Haut ab und wurde, kurz bevor sie entnervt aufgeben wollte, doch noch fündig. Auf dem Handrücken der linken Hand war zwar kein Einstich, aber eine kleine Risswunde, vielleicht fünf Millimeter lang. Der Riss war nicht tief und wäre an sich sowohl unscheinbar als auch unverdächtig gewesen, wäre da nicht die von dem Gift verursachte gerötete Schwellung gewesen.
„Hab ich dich! Warum hast du ihn nur so nah an dich herankommen lassen? Oh, bitte sag mir, dass du nicht auf ihn reingefallen bist. Ausgerechnet auf diesen Mistkerl... Dabei hätte doch was Vernünftiges aus dir werden können. Warst du nur sein Spielzeug, oder auch seine Komplizin?“
„Ich finde es sehr interessant, dass du mit den Toten redest. Warum machst du das?“
„Hauptsächlich, um mich davon abzulenken, dass sie nicht mehr antworten können. Ich mache das nicht gern, mit ihnen reden hilft... ein wenig“, sie sah kurz auf und lächelte, „mach dich nützlich und schau noch mal in den Autopsie-Bericht von Ktrask und sag mir, ob da andere Verletzungen beschrieben sind, außer den offensichtlichen Strangmarken.“
David nahm die Akte vom Bett, blätterte sie auf und las einen Moment, bevor er den Kopf schüttelte.
„Nein, sieht nicht so aus, als hätte dein Kollege damals etwas anderes gefunden. Allerdings wurde auch nicht sehr gründlich gesucht, es wurde als Selbstmord behandelt.“
„Ja, dagegen habe ich gekämpft“, Magane blinzelte eine Träne weg und versuchte zu ignorieren, dass sie nichts hatte tun können.
„Und du hast verloren, sonst hätten wir uns nie kennen gelernt. Was zählt ist das Jetzt. Also, der Bericht gibt nicht viel her, ich seh mir noch einmal die Ikonographien an.“
Mag nickte stumm, inzwischen weinte sie zwar still, aber haltlos. Sie hatte mit der Untersuchung der Leiche der jungen Frau aufgehört und kramte in ihren Taschen nach einem Taschentuch. Es vergingen einige Minuten schweigend, dann hockte sich David mit einer Ikonographie neben Magane und legte den Arm um sie. Erst als sie ihn ansah sagte er leise: „Ich habe etwas gefunden, eine kleine Blutspur, die darauf hindeutet, dass er niedergeschlagen worden ist, bevor er aufgehängt wurde.“
„Zeig es mir.“
„Willst du das wirklich?“
„Ja, wenn der Beweis die ganzen Jahre dort war, will ich ihn auch sehen.“
Er reichte ihr eine Ikonographie und zeigte auf eine kleine Stelle unter dem linken Ohr.
„Das könnte auch nichts sein... aber es ist das Beste was wir haben. Hätte ich diese Blutspur damals gesehen – Nein, damals nicht – würde ich heute eine solche Blutspur sehen, würde ich den Kopf genauer untersuchen. Aber damals ist das wohl übersehen worden.“
„Damit beweist du nichts.“
„Nein, aber ich weiß jetzt sicher, dass er jedes Mal das Opfer vorher betäubt hat, kein offener Kampf.“
„Was bringt uns das?“
„Weiß ich noch nicht, vielleicht finden wir es heraus. Hoffentlich ohne dabei draufzugehen.“
„Meine wunderschöne, optimistische, kluge Frau“, er lachte und nickte dann in Richtung des toten Dienstmädchens, „Glaubst du, sie kann uns noch mehr verraten?“
„Nein, nichts was im Moment von Belang wäre. Es ist jetzt was Persönliches.“
„War es das nicht vorher auch schon?“
„Doch, ja... aber jetzt ist es noch persönlicher.“
„Dann lass uns frühstücken gehen“, David half ihr auf und geleitete sie aus dem Zimmer. Mit ein paar kurzen Kommandos wies er die Wachen an nur ihn oder Karim durchzulassen und dann gingen sie zu zweit die Treppen hinauf.

Mag schüttelte beim Anblick des Frühstücks nur den Kopf und ging direkt durch ins Bad. Sie konnte jetzt nicht essen, konnte nicht zur Tagesordnung übergehen. Sie wollte Gräber besuchen, allein, wollte nur dort sein und weinen. Aber die Gräber waren in Ankh-Morpork und sie war so weit weg von Zuhause. Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und sah dann einen Moment in den Spiegel. Betrachtete ihre geröteten Augen als sähe sie sie zum ersten Mal. Zählte die Fältchen und fragte sich wo die Jahre geblieben waren und wie der Schmerz noch so frisch sein konnte, trotz der vergangenen Zeit.
Als sie sich soweit wieder gefasst hatte, dass sie den Gedanken an Kaffee und etwas Brot wieder ertragen konnte, trat sie auf dem Bad und schritt zügig durch das Schlafzimmer. Die Türen standen offen, so wie sie sie zurückgelassen hatte, das war nicht ungewöhnlich, es waren ja nur wenige Minuten vergangen, aber es war so still im Wohnzimmer... totenstill. Das ungute Gefühl zu spät gekommen zu sein beschlich sie, aber dann musste sie grinsen. Er hatte sie nicht erwischt. Magane holte ihren Dolch aus der Schublade, sie wusste nicht wie viel Zeit ihr bleiben würde, aber trotzdem nahm sie sich die Zeit die Spitze der Klinge mit dem Lavendelgift zu benetzen. Sie würde ihn mit den von ihm bevorzugten gestohlenen Waffen schlagen. So bewaffnet und auf das Schlimmste gefasst schlich sie ins Wohnzimmer. David hing, wie erwartet, zusammengesackt in seinem Stuhl, die Kaffeetasse war ihm aus der Hand gerutscht. Auf dem Tisch stand ein üppiger Strauß stark duftender Rosen direkt neben der Kaffeekanne, der Rosenduft mischte sich mit dem des Kaffees zu einer betörenden Komposition, beinahe ein Kunstwerk. Sie beugte sich zu ihrem leblosen Mann herunter um dessen Puls zu überprüfen – ruhig, aber vorhanden und regelmäßig. Dann nahm sie die Kaffeekanne zur Hand und ging einige Schritte von den Rosen weg, bevor sie den Deckel hob. Ganz schwach, neben dem dominanten Kaffeearoma kaum auszumachen, war eine Rosennote erkennbar. Rose, Wirkdauer etwa eine Stunde, eine Stunde in der sie mit Tad allein klarkommen musste. Mag atmete tief durch und stellte die Kanne zurück aufs Stövchen. Dann präparierte sie ihre Kaffeetasse so, dass es aussah als habe sie daraus getrunken. Schüttete sie voll, goss dann mehr als die Hälfte wieder in die Kanne zurück und achtete dabei darauf, dass links vom Henkel am Rand ein kleiner Tropfen stehen blieb. Zum Schluss goss sie einen Schluck Milch dazu und tropfte auch eine Winzigkeit Milch in den Tropfen am Rand.
Als nächstes brauchte sie eine glaubwürdige Sitzposition mit Blick auf die Tür und auf David, in der sie außerdem den Dolch verbergen konnte. Das gestaltete sich als deutlich schwieriger als erwartet, aber schließlich fand sie eine Haltung in der sie mit der Rechten den Dolch, unter einer Rockfalte verborgen, im Schoß halten konnte, während sie durch einen Vorhang aus ihrem Haar mit beinahe geschlossenen Augen wenigstens etwas sehen konnte. Die spitze Haarforke als Notfallwaffe in der Rocktasche verbergend, blieb ihr gerade noch genügend Zeit die linke Hand erschlafft baumeln zu lassen, als auch schon ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Magane konzentrierte sich auf flache Atmung und möglichst ruhigen Puls. Die Tür öffnete sich beinahe lautlos. In ihrem stark eingeschränkten Blickfeld waren zunächst nur Beine zu sehen, die an ihr vorbei ins Schlafzimmer gingen. Sie hörte wie eine Schublade geöffnet wurde, dann noch eine und noch eine weitere, schließlich kehrte er leise fluchend zurück. Offenbar war er gezwungen seinen Plan zu ändern, weil irgendetwas nicht dort war, wo er es erwartet hatte. Er zog ein paar Handschellen aus der Hosentasche und fesselte damit David die Hände auf den Rücken. Im Anschluss rollte er die Stoffservietten zusammen und knebelte zunächst David und dann auch sie, bevor er sich an Davids Füßen zu schaffen machte. Durch das Knebeln hatte Mag nun ihren tarnenden Haarvorhang vor den Augen festgebunden, was ihr die Möglichkeit gab ein kleines Bisschen besser zu sehen, wenn sie dadurch auch deutlich schlechter atmen konnte. Sie gab sich große Mühe die Betäubte zu spielen und hoffte dabei inständig auf eine Chance ihren Dolch einzusetzen, bevor er auf die Idee kam ihre Hände ebenfalls auf den Rücken zu fesseln. Diese Gelegenheit kam, als er sich aufrichtete und einen kleinen Schritt rückwärts in ihre Richtung machte, so dass er mit dem Rücken in ihre Reichweite gelangte. Zwar hörte er Stoff rascheln und drehte sich in dem Augenblick, als Mag zustach, zu ihr um, aber es gelang ihr dennoch mit der Dolchspitze seinen Unterarm aufzuschlitzen. Das Gift wirkte schnell, aber nicht schnell genug, um sie vor dem Schlag zu bewahren, zu dem der Feind ausholte als ihm klar wurde, dass sie nicht friedlich schlafend auf ihrem Teller lag. Von dem Schlag zu Boden geworfen befreite sich Magane so schnell sie konnte von dem Knebel. Sie rappelte sich auf und schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. Dann verband sie mit der Serviette notdürftig den Schnitt, damit das Gift nicht zu schnell herausblutete. Etwas ratlos, ob der mangelnden Möglichkeiten, wie sie mit dem betäubten Angreifer nun weiter verfahren sollte, sah sie sich um. Ihr Blick fiel auf die Vorhangkordeln, die nicht nur das Einzige waren, was zum Fesseln in Frage kam, sondern außerdem auch ein herrlich ironisches Zitat seiner eigenen Schandtat darstellten. Wenn sie doch nur genauer nachgefragt hätte als David ihr die Wirkdauer der Gifte erklärte. Zur Sicherheit beeilte sie sich sehr mit dem Abnehmen der Vorhangkordeln und dem Fesseln und gönnte sich erst eine Pause als Tad wie ein Paket verschnürt auf einem der Stühle saß. Ihn nicht aus den Augen lassend, begann sie sich um David zu kümmern, befreite ihn von seinem Knebel und von dem dünnen Draht mit dem seine Füße an den Stuhl gefesselt waren. Für die Handschellen brauchte sie einen Moment länger, auch wenn es sich dabei um eine einfache Ausführung handelte, war auch diese ohne das richtige Werkzeug kaum zu knacken. Das richtige Werkzeug wäre vielleicht eine Haarnadel, oder eine Büroklammer, aber sicherlich nicht dieser dünne Draht. Der war nicht dazu da in Schlössern herumzustochern, sondern um Käse zu schneiden, oder Fleisch, wenn man damit gefesselt wurde. Das musste warten. Wenn er wenigstens wach wäre, dann könnte er den Mistkerl im Auge behalten, während sie eine der Haarnadeln aus dem Bad holte. Aber der der Feind konnte jeden Moment wieder wach werden und David war noch mindestens eine halbe Stunde außer Gefecht. Solange er stillhielt, brauchte er auch keine freien Hände, es gab dringendere Probleme.
Magane schüttete den vergifteten Kaffee weg und nahm sich ein Glas absolut geruchloses Wasser. Sie durfte ihn auf keinen Fall töten und festnehmen konnte sie ihn ebenfalls nicht, dazu fehlte ihr hier die Verfügungsgewalt. Sowas hätte sie vielleicht gedurft, wenn sie sich damals von David für die Palastwache hätte abwerben lassen, aber das war Vergangenheit. Als Feldwebel der Stadtwache durfte sie hier nur das was man ihr erlaubte, die Stadtwache hatte hier keine echten Befugnisse. Für einen Offizier wäre das vielleicht anders gewesen, die machten die Regeln. Die Mannschaftsdienstgrade befolgten die Regeln... aber Feldwebel bogen die Regeln zu Schleifen, ohne sie zu brechen. Nur gab es hier keine Regeln zu brechen. Sie konnte dem mindestens vierfachen Mörder direkt vor ihrer Nase nichts tun. Vielleicht könnte sie ihn foltern, aber dazu war sie nicht bereit, sie quälte niemanden, auch ihn nicht. Also blieb nur abwarten bis beide Männer wieder wach waren. David hatte noch immer einen gültigen Kontrakt auf den Mistkerl und die rechtmäßige Erfüllung dieses Kontraktes war sie bereit abzuwarten. Der Mörder von Mathie, Ktrask, dem Botschafter und auch Eni würde diesen Raum nicht lebend verlassen und sie würde es bezeugen und wenn nötig dabei assistieren. Sie überlegte, ob sie ihn knebeln sollte, entschied sich dann aber vorerst dagegen.
Eigentlich war Mag viel zu aufgeregt, um etwas zu essen, aber sie war vernünftig genug um sich ein Brötchen und ein weiteres Glas Wasser zu nehmen und sich wieder hinzusetzen. Langsam kauend rang sie die leichte Übelkeit nieder. Dieser Tag war jetzt schon zu viel und es war nicht einmal Mittag. Sie war solche stressigen Tage nicht mehr gewöhnt, Leichen gab es normalerweise nur während der Arbeitszeiten und nach dem Leben hatte ihr schon lange niemand mehr getrachtet. Außerdem vermisste sie die Kinder. Die knappen Erzählungen aus der Schule von Tom, die aufmerksamen Kulleraugen mit denen Elisa alles sehr genau beobachtete, die Gute-Nacht-Geschichten... Bald, sagte sie sich, bald würde sie wieder nach Hause kommen und sich dann innerhalb weniger Tage wieder nach David, dem Licht und der Wüste sehnen. Während sie den Feind weiterhin aus dem Augenwinkel beobachtete, sah sich Mag noch mal genauer im Raum um. Sie war sich sicher, dass von den unzähligen Haarnadeln, mit denen ihre Locken bei der Hochzeit hochgesteckt gewesen waren, auch welche heruntergefallen sein mussten. Bedauerlicherweise hatte sie sich nicht sonderlich auf zu Boden fallende Dinge konzentriert, aber es gelang ihr dennoch wenigstens in etwa den in der Nacht zurückgelegten Weg nachzuvollziehen und tatsächlich, kurz vor der Schlafzimmertür steckte etwas Schwarzes im Teppich. Wenigstens waren schwarze Haarnadeln in hellen Teppichen gut zu sehen, erleichtert hob sie die Nadel auf und machte sich dann wieder daran das Schloss der Handschellen zu knacken. Es fehlte ihr an Übung, zu Hause würde sie anfangen zu Trainingszwecken Bürotüren und Schreibtischschlösser zu knacken. Vielleicht fand sich ja auch eine Ausrede und ein oder zwei Kollegen, die das ganze weniger kriminell aussehen ließen. „Stadtwache, wir kommen, um die Sicherheit ihrer Türschlösser zu überprüfen!“ Sie musste kurz grinsen, wurde aber gleich wieder ernst, dieses Schloss war zwar von relativ simpler Bauart, widersetzte sich aber standhaft. Das war lächerlich, früher hätte sie ein solches einfaches Schlösschen mit verbundenen Augen und gefesselten Händen – mit den fraglichen Handschellen gefesselten Händen – geknackt. Magane fluchte leise, auch wenn ihr nicht ganz klar war, warum sie flüsterte. Schließlich waren die einzigen beiden Personen in Reichweite nicht in der Lage etwas zu hören, warum sollte sie also die damenhafte Fassade aufrechterhalten. Mit einem weiteren, etwas lauterem, Fluch gab das Schloss endlich nach.
„Du steckst voller interessanter Facetten“, sie hatte nicht bemerkt, dass er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, aber nun hatte sie wenigstens einen Gesprächspartner, wenn auch einen schlechten.
„Ich nehme das als Kompliment.“
„So war es gedacht... Du weißt sicher, dass ich dich immer geliebt habe.“
„Und ich habe deine Liebesbekundungen und Beweise immer verabscheut. Zu denken ich könne nach den Morden mehr Zuneigung zu dir empfinden ist absurd.“
„Aber dennoch bist du hier, nach all der Zeit.“
„Hier, ja. Aber nicht um zu dir zu kommen und in deine Arme zu sinken.“
„Nein, du sinkst lieber in die Arme des nächstbesten Trottels. Klatschianische Liebeslyrik, ekelhaft und dann auch noch in mehrere Sprachen übersetzt, so kitschig“, er schüttelte angewidert den Kopf und zog die Nase kraus.
„Wie lange liest du unsere Briefe schon?“
„Och, sicherlich schon ein paar Monate. Es war abartig süßlich und kaum auszuhalten.“
„Du hättest es lassen können.“
„Wohl kaum. Ist das mit den Anisbonbons zwischen euch eigentlich ein Witz oder ein Code?“
„Das werde ich dir sicher nicht verraten.“
„Gut, reden wir über etwas anderes. Was denkst du über den roten Bademantel?“
„Das war dein letzter Fehler, sie so zu drapieren...“
„Brilliant, nicht wahr? Sie war so niedlich als ich sie fand, zart und unschuldig und sie war dir so ähnlich. Nicht so wie du jetzt bist, so wie du früher warst, bevor du meinem Bruder weggelaufen bist.“
„Ja, diese Ähnlichkeit ist mir ebenfalls aufgefallen, ich wollte ihr helfen...“
„Genau wie ich.“
„Sie umbringen zählt wohl kaum als Hilfe.“
„Das ist Interpretationssache. Ich habe ihr immerhin diesen Arbeitsplatz besorgt und sie damit aus dem Waisenhaus befreit.“
„Du hast sie zu deinem Spielzeug gemacht.“
„Nein. Ich habe sie zu einer Kopie von dir gemacht. Ich habe ihr sogar deinen Namen verpasst“, Magane hatte genug davon, sie wollte nicht länger hören, wie toll er sich und sein Werk fand. Die Serviette mit der er David geknebelt gewesen war, würde nun auch Tads Redefluss stoppen. Sie griff nach dem Damasttuch und faltete es sorgfältig neu.
„Wie, heute kein Interesse an Geständnissen?“
„Nein, die Zeit der Geständnisse ist vorbei.“
„Aber früher wolltest du doch immer Details.“
„Früher wollte ich dich als Wächterin überführen, strengstens nach Vorschrift, heute warte ich nur darauf, dass der Assassine wach wird.“
„Also hast du... habt ihr vor mich als Gefangenen nach Ankh-Morpork zu bringen, um mich dann dort zu töten?“
„Das wird nicht nötig sein.“
„Aber die Gilde hat hier keine Befugnisse, wir sind in Omnien.“
„Da irrst du dich sogar gleich doppelt. Erstens: Dein Kontrakt ist nicht auf die Grenzen der Stadt beschränkt, das kostet zwar extra, das war´s mir aber wert“, sie trat hinter ihn und knebelte ihn, „Zweitens: Sind wir hier nicht in Omnien, dies ist Ankh-Morpork. Die Botschaft gehört zum Staatsgebiet.“
„Sehr elegant, hätte ich nicht besser erklären können“, David grinste schief, stand auf und schüttelte sich.
„Wie lange bist du schon wach?“
„Ein paar Minuten, hab nur eine sehr kleine Dosis erwischt.“
„Hättest trotzdem tot sein können...“
„Wenigstens hat er dich nicht erwischt.“
„Ja... wenigstens das. Wie geht es jetzt weiter?“
„Das hängt ein bisschen davon ab, ob du dabei sein möchtest, wenn...“
„Ich bleibe dabei! Die Jahre in Angst vor ihm müssen ein vernünftiges Ende finden.“
„Gut, wenn du darauf bestehst. Das ist höchst ungewöhnlich, wir arbeiten normalerweise im Verborgenen.“
„Jetzt sag bitte nicht, du könntest nicht arbeiten, wenn dir jemand zusieht.“
„Doch... natürlich.“
„Oder hältst du mich für zu zart?“
„Gib mir ein paar Minuten, es ist Jahre her und im Gegensatz zu ihm bin ich kein Mörder.“
„Entschuldige. Ich wollte dich nicht unter Druck setzen.“
„Es hat seine Gründe, dass ich nur noch als Übersetzer arbeiten wollte.“
„Morgen wieder“, Mag steckte sich beiläufig die Haare hoch und setzte dann den Wasserkessel wieder auf. Währenddessen ging David ins Schlafzimmer, um einen Blick in seine Waffenschublade zu werfen. So schwierig hatte sie sich das Ende diese langen Reise nicht vorgestellt. Aber auf ein paar Minuten kam es nicht mehr an. Abwesend wickelte sie die Enden des Drahtes mit dem Davids Füße gefesselt gewesen waren um die Messerbänkchen und prüfte dann die entstandene Waffe auf ihre Zugfestigkeit. Zum ersten Mal zeigte sich in Tads Blick so etwas wie Angst. Sie könnte es jetzt beenden...
„David?“
Er kam mit leeren Händen aus dem Schlafzimmer zurück und sah sie fragend an. Mag drückte im wortlos die gebastelte Garotte in die Hand und machte sich dann an Zubereitung eines Tees, um ihren Magen zu beruhigen.
„Schnell und sauber, wie du wünschst“, während sich süßer Fenchelgeruch im Raum ausbreitete, legte David den Draht um den Hals des mehrfachen Mörders und zog die Schlinge zu. Keine letzten Worte, keine weiteren Verzögerungen. Mit versteinerter Miene stand er minutenlang absolut still, nur die Muskeln in seinen Oberarmen verrieten mit leichtem Zucken die eingesetzte Kraft. Unverwandt starrte er dabei auf einen Punkt an der Wand und bemerkte weder das Blut, das aus dem Schnitt rann, noch, wie das Leben verlosch.
„Er wird den Kopf noch verlieren und das wäre doch eine ziemliche Sauerei“, sie legte von hinten ihre vom Teekochen warmen Hände auf seine Arme. David zuckte zusammen und erwachte aus seiner Starre.
„Hast du auch einen Fencheltee für mich?“
„Klar, aber können wir den woanders trinken?“
„In meinem Büro?“
„Von mir aus, Hauptsache ich muss ihn nicht mehr sehen“, sie stellte die Teekanne und zwei saubere Tassen auf ein Tablett und überlegte kurz es David in die Hände zu drücken, entschied sich dann aber dagegen, weil ihr ihre Hände doch ruhiger erschienen.
Sie verließen den Schauplatz ihrer Tat, schlossen hinter sich ab und gingen still die Treppen hinunter. Mag überlegte, hätte sie überprüfen sollen, ob er wirklich tot war. Aber der Schnitt des Drahtes war tief gewesen, sie schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf das Jetzt.
„Das ist gar nicht so gelaufen, wie es sollte.“
„Wieso? Mistkerl tot, wir am Leben, ideal.“
„Genau, wenn man die peinlichen Details weglässt...“, er schloss seine Bürotür auf, trat ein und hielt ihr dann galant die Tür auf, um sie hinter Mag zuzuschlagen und dann in seinem Schreibtischstuhl zu versinken.
„Von den Details wissen nur wir beide“, Magane goss Tee in die Tassen und schob eine davon zu David hinüber, der immer tiefer zusammensackte und den Kopf auf den Tisch legte.
„Jämmerliche Vorstellung hab ich da abgeliefert...“
„Blödsinn. Ist doch alles gut gegangen.“
„Was musst du nur von mir halten?“
„Ich liebe dich und es beruhigt mich ungemein, dass du zwar vielleicht der größte Giftexperte unserer Generation sein magst, aber eben kein kaltblütiger Mörder bist. Außerdem habe ich eine Menge Geld für diese Inhumierung gezahlt und ich bin froh, dass das nicht an so einen schnöseligen Anzugträger geht.“
„Ich will das Geld nicht.“
„Quatsch. Du nimmst das Geld. Hör auf das zu diskutieren. Schreib die Quittung, am besten gleich in dreifacher Ausfertigung und dann Schluss mit dem Gejammer. Niemand weiß was da oben passiert ist.“
„Ich weiß es...“
„Nach all den Jahren willst du jetzt die Sache nicht endgültig beenden?“
„Ich könnte dir das Geld einfach zurückgeben“, Magane schüttelte entschieden den Kopf, das kam unter keinen Umständen in Frage, „… oder Tom, ist schließlich sein Erbe.“
Das war tatsächlich eine gute Möglichkeit, er brauchte das Geld nicht und wenn Mag es nicht wollte, dann konnte er es auch auf ein Konto für Tom legen, um seine Zukunft abzusichern. Da konnte niemand etwas gegen haben, schließlich war es seine Entscheidung, wenn er mit dem Geld Witwen und Waisen unterstützte. Er lächelte und begann dann in seinem Schreibtisch zu kramen. Mag beobachtete ihn und trank ihren Tee. Sie hatte nie darüber gesprochen, warum David zur Assassinengilde gegangen war, nur, dass seine Eltern dagegen gewesen waren und er deswegen seit Jahren kaum Kontakt zu ihnen hatte. Wenn er es also so hasste Assassine zu sein, wieso hatte er sich dann überhaupt darauf eingelassen? Wieso hatte er mit seinen zahlreichen Talenten nicht etwas anderes gelernt? Nach einigem Suchen fand er eine schwarze, mit dem Wappen der Gilde geprägte, lederne Aktenmappe, die er aufklappte. Magane erkannte die offiziellen Gildenquittungen, die zwar nicht mehr ganz aktuell waren, aber dennoch unzweifelhaft echt. Während er ein Glas mit tiefschwarzer Tinte entkorkte und eine zuvor blitzsaubere goldene Feder hineintauchte, dachte sie darüber nach, wie leichtsinnig es war offizielle Dokumente und Geheimnisse in Schreibtischschubladen zu verwahren. Nach einem kurzen Zögern begann David mit dem Ausstellen der Quittungen und wurde mit jedem Wort, das er schrieb, selbstsicherer. Papierkram, so nervig er auch manchmal sein mochte, gab doch immer wieder Sicherheit. Sie musste unwillkürlich lächeln, für sie war das inzwischen auch so, Papierkram war sicher.
Es klopfte. „Seid ihr angezogen?“
„Komm schon rein!“
„Keine Antwort auf meine Frage.“
„Das wäre fast ein Grund etwas auszuziehen“, lachte Mag und stand auf, um die Tür zu öffnen um Karim die Antwort zu ersparen.
„Ernsthaft, ihr arbeitet zu viel, das kann doch nicht gut sein.“
„Nein, ist es nicht, da hast du vollkommen recht“, sie lotste Karim zu dem Stuhl, auf dem sie bis eben gesessen hatte, „deswegen müssen wir dringend die Arbeit auf andere Schultern verteilen und da habe ich an deine gedacht.“
„Süße, das kannst du nicht machen!“
„Doch, kann ich“, sie setzte sich auf die Ecke des Schreibtisches und sah ihn ernst an, „wir haben da eine Leiche im Wohnzimmer. Es wäre schön, wenn du dich darum kümmern könntest, ihn wenigstens wegräumen und vielleicht einen Bestatter bestellen. Das gleiche gilt für das Dienstmädchen Eni, für deren Bestattung kommen wir auf. Aber den Mistkerl im Wohnzimmer würde ich gerne in einer Urne an seine Familie schicken, mit einer Ausfertigung der Quittung. Soll mein erstes Schwiegermonster doch vor Wut schäumen.“
Karim sah David fragend an, der ihm beinahe unmerklich zunickte. Magane quittierte diesen Blickkontakt mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Also wenn euch nichts Besseres für eure gemeinsame Zeit einfällt, als Leute umzubringen, dann fürchte ich, eure Ehe wird von Toten überschwemmt.“
„Ich denke, wir werden es fortan vermeiden Arbeit mit nach Hause zu bringen“, sie lächelte den charmanten Klatschianer angriffslustig an, dieser nahm dieses Lächeln zum Anlass ihrer Aufforderung nachzukommen und ging.
„Du hättest ihn nicht so rumkommandieren müssen.“
„Nein, aber so haben wir etwas Zeit für uns, jetzt wo alles vorbei ist“, sie beobachtete wie David sorgfältig die Feder reinigte und alles außer den ausgefüllten Quittungen wieder wegräumte. Dann stand er auf und kam zu ihr auf die andere Seite des Schreibtisches.
„Und was stellst du dir mit dieser gemeinsamen Zeit vor?“
„Ich weiß nicht“, sie lockerte seine Krawatte und senkte den Blick. Eine schwere Last war von ihr genommen und sie wollte die neue Freiheit feiern. Endlich, zum ersten Mal seit über sieben Jahren lag nicht der Schatten eines Mörders über ihrem Leben und ihrer Liebe.
„Hast du heute noch viel zu tun?“
„Nein, für heute habe ich genug getan.“
„Dann könnten wir doch einige Zeit in den Garten gehen.“
„Ich könnte dir den Pavillon zeigen... allerdings würde ich vorher noch einige Dinge zusammenpacken. Möchtest du vielleicht hier warten? Falls du dich nach dem Morgen umziehen möchtest, könntest du vielleicht etwas Angemessenes im Schrank finden...“
Er küsste sie auf die Stirn und verließ das Büro. Magane sah einen Augenblick die geschlossene Tür an und dann an sich herab. Der Morgen hatte an ihrer Garderobe kaum Spuren hinterlassen, aber umziehen war trotzdem eine gute Idee, schon um die vergangenen Stunden abzuschütteln. Sie stand von der Schreibtischecke auf, um einen Blick in den Schrank zu werfen. Das konnte unmöglich sein Ernst sein, ein geblümtes ärmelloses Sommerkleid, ohne eine Möglichkeit die Arme zu bedecken... aber andererseits hatte sie nichts zu verbergen. Sie zog sich schnell um und hatte augenblicklich das Gefühl endlich im Urlaub angekommen zu sein. Auch wenn es natürlich kein Urlaub war, aber die Aufgabe war erfüllt... und sie hatte nicht vor gleich wieder heimzufahren. Dann konnte sie auch noch ein paar Tage die Füße hochlegen und es genießen. Sie sah in den Spiegel im Schrank, betrachtete die Spuren der Jahre. Gestohlene Jahre, verschwendet auf die Jagd nach einem Mörder... Sie hätte schon vor Jahren mit David glücklich werden können, wenn sie ihn nur damals nicht hätte laufen lassen. Sie war schuld an den gestohlenen Jahren, ihre eigene Unfähigkeit hatte dem Mistkerl zur Flucht verholfen. Eine Träne kullerte aus ihrem linken Augenwinkel und betonte unangenehm die Falten unter ihren Augen.
„Süße, nicht weinen. Tränen passen nicht zu diesem Kleid“, vollkommen lautlos war David zurückgekehrt und hatte natürlich die Träne sehen müssen. „Lass uns in den Garten gehen, es waren harte Tage, wir brauchen Erholung. Die bekämen wir zuhause vielleicht am besten, aber wir können nicht nach Hause solange der neue Botschafter nicht hier ist“, er drehte sie sanft zu sich herum und schob sie zur Tür. „Ich habe uns ein bisschen was zum Essen eingepackt und Karim gesagt, dass er, wenn er mich braucht, das Problem allein lösen soll“, außerdem hatte er sich ebenfalls umgezogen, auch wenn bei ihm leger offenbar etwas anderes bedeutete, immerhin hatte er Krawatte und Jackett abgelegt und sogar einen Hemdknopf geöffnet. Magane musste schmunzeln, liebend gern würde sie den Rest ihrer Tage mit diesem Anzugträger verbringen. Gemeinsam gingen sie in den Garten, David trug dabei einen Picknickkorb und führte sie sanft mit der linken Hand auf seinem Rücken. Sie gingen unbehelligt durch die Flure und begegneten niemandem. Das Gebäude summte leicht vor Betriebsamkeit, aber die Leute hatten Aufgaben in Büros, Küchen und anderen Räumen. Ähnlich leer wie die Flure erschien der Garten, auch wenn dieser sicherlich täglicher Aufmerksamkeit durch die Gärtner bedurfte, so waren diese jetzt in der heißesten Zeit des Tages nicht hier, sondern kümmerten sich um die Pflanzen in den Innenräumen.
Sie gingen einen gewundenen Kiesweg entlang und Magane bewunderte die Schönheit der vielgestaltigen Rosen rechts und links des Weges als sähe sie sie zum ersten Mal. Doch die Rosen waren nicht ihr Ziel und schnell wurde ihr klar, warum David sie immer weiterschob: Er wollte außer Sichtweite sein, unbeobachtet.
„Wir können nicht ganz durch bis zu den Kräutern, weil die zu nah am Küchengarten sind, und da ist um die Zeit zu viel los, aber am Pavillon duftet es... ach, siehst du ja dann.“
Sie folgten einer Biegung und durchschritten einen mächtigen Rosenbogen, der den Blick auf ein seltsam unfertig anmutendes Gebäude freigab. Vollkommen mit verschiedenen Schlingpflanzen bewachsen stand hier eine Art metallenes Gerüst. Scheinbar nur als Rankhilfe für die Pflanzen aufgestellt, war ihm sonst kein praktischer Nutzen anzusehen. Es gab auch eigentlich keinen Eingang in dem Sinne, früher, bevor sich die Pflanzen so breit gemacht hatten, da war vielleicht ein klarer Eingang am Ende des Weges gewesen.
David nahm die Hand von Mags Rücken, schob sie an einer bestimmten Stelle in die wuchernden Pflanzen und zog sie zur Seite wie einen grünen blühenden Vorhang. Sie spähte durch den freigegebenen Einlass und staunte: „Das ist wunderschön, wieso wurde dieser Ort geschaffen?“
„Für diskrete Besprechungen natürlich und um möglichst viele Leute zu beeindrucken.“
„Das funktioniert“, sie streifte die Schuhe ab und trat ein in das Zwielicht im Innern des oktogonalen Pavillons, „was möchtest du mit mir besprechen?“
„Wer sagt, dass ich dich nicht nur beeindrucken möchte?“ Mit einem leicht unverschämten Grinsen zog er ebenfalls die Schuhe aus und schlenderte ihr hinterher. „Und du bist beeindruckt.“
Im Innern war es deutlich kühler war es deutlich kühler als draußen in der Sonne, die Pflanzen ließen nur einen Bruchteil des Lichtes und der Wärme durch. Daher war es auch möglich, dass der Boden mit einem üppigen Moosteppich bewachsen war, der weich unter ihren Füßen federte. Die Luft war erfüllt von dem betörenden schweren Duft des Geißblattes. Magane stand tief atmend mit geschlossenen Augen in der Mitte und konzentrierte sich auf diesen wunderbaren mit leise summendem Leben erfüllten Raum. Sie spürte den Energien der Pflanzen nach und zählte die Bienen an den Blüten. Dann schlug sie die Augen auf und sah David an.
„Dieser Ort könnte als magischer Fokus fungieren, mit ausreichend Macht könnte hier alles gelingen. Das ist faszinierend...“
„Ja, das ist Teil seiner Besonderheit. Aber deswegen sind wir nicht hier.“
„Du hast also doch etwas vor?“
„Ja, aber dazu später. Hunger?“ Er begann den Picknickkorb auszupacken und ihr Magen knurrte bestätigend. Sie setzte sich und lächelte etwas unsicher. Was hatte er nun wieder vor?
Sie aßen langsam und genussvoll, zum ersten Mal seit Tagen gab es keine drohende Leiche, keine Arbeit, die ernsthaft den Appetit beeinträchtigte und auch keine unangenehmen Zuschauer, denen sie irgendetwas vorspielen mussten. Es verging vielleicht eine halbe Stunde, in der sie einträchtig zusammensaßen, dann hielt Mag es nicht mehr aus und fragte: „Warum sind wir hier?“
„Ich vermute, dass der neue Botschafter meiner Versetzung in die Heimat nicht zustimmen wird“, er sah sie nicht an, sondern betrachtete intensiv eine Erdbeere.
„Wir bleiben also bei der Fernbeziehung.“
„Davon müssen wir wohl ausgehen...“
„Also hast du mich an diesen wunderschönen Ort verschleppt, um mir zu sagen, dass du mich wieder abschiebst.“
„Nein. Sollte das der Fall sein, werde ich jeden Tag ein Versetzungsgesuch stellen, ein Jahr lang. Wenn das nicht zum Erfolg führt, quittiere ich den Dienst, seine Lordschaft kann mich nicht zwingen hier zu bleiben, wenn ich nicht mehr für ihn arbeite.“
„Ein ganzes Jahr. Warum so lange?“
„Diplomatie. Ich muss zeigen, dass ich es ernst meine.“
„Vielleicht kommt es jetzt auf ein weiteres Jahr auch nicht mehr an...“
„Magane Schnitzer, ich schwöre dir hier an diesem magischen Ort, dass ich zu Elisas Geburtstag im nächsten Jahr bei dir bin und dann nicht wieder gehe!“
„Kann ich irgendetwas tun um den Prozess zu beschleunigen?“
„Wenn mir etwas einfällt, werde ich dir das schreiben“, er hatte eigentlich auf eine etwas feierlichere Stimmung gehofft, aber so ging es auch, „ich möchte endlich etwas richtig machen. Meinen Heiratsantrag damals vor meiner Abreise hab ich vermasselt und das hier hat einen so unromantischen Hintergrund...“
„Ist schon gut, wer braucht schon Romantik?“
„Um brauchen geht es dabei nicht, sondern ums Verdienen. Du hättest Romantik verdient“, zärtlich strich er über ihr Gesicht, was nur dazu führte, dass sie zusammenzuckte. „Was hast du?“
„Widerstand gegen die Staatsgewalt.“
„Er hat dich geschlagen?“
„Ja, er war nicht sofort betäubt und hat mich mit einem Schwinger erwischt.“
„Das wird blau werden... tut es sehr weh?“
„Hab schon schlimmeres erlebt, nur anfassen sollte man es nicht“, sie zwinkerte ihm zu, „jedenfalls brauche ich keine Romantik. Kannst mir das ruhig glauben. Nur versprich mir eins: Keine Fallen mehr mit uns als Köder.“
„Versprochen!“
„Gut, dann lass uns das vergessen. Tun wir so als sei ich in den Plan eingeweiht gewesen und ich hätte aus Überzeugung Ja gesagt, wie ich es vielleicht getan hätte, wenn du mich eingeweiht hättest. Dann lass uns diesen magischen Ort nutzen und feiern, dass wir noch am Leben sind“, sie begann kichernd sein Hemd aufzuknöpfen.

Gegen Abend, als es kühl wurde, schlichen sie auf den gleichen Wegen zurück, fanden die Botschaft allerdings in heller Aufregung vor. Überall wuselten Leute umher, plötzlich schien es viel mehr Personal zu geben und es waren auch beinahe nur Fremde auf den Gängen.
„Das kann eigentlich nur eins bedeuten“, David schlug den Weg zu seinem Büro ein und fand seine Tür offen vor, Karim saß am Schreibtisch und wirkte ganz schrecklich beschäftigt. Mit einem lauten Räuspern machte David auf sich aufmerksam, Karim sah auf und lächelte.
„Da seid ihr ja endlich wieder. Kaum wart ihr verschwunden, kam ein Bote, um den neuen Chef für morgen früh anzukündigen und du wolltest ja unter keinen Umständen gestört werden, deswegen habe ich mir gedacht: Den Laden auf Vordermann bringen schaffe ich auch allein. Hab ein paar Leute aus der Stadt eingestellt, nur für heute natürlich, und die Arbeiten koordiniert. Schließlich mussten diese Dinge ja gemacht werden und ihr Turteltäubchen würdet nicht ewig im Garten bleiben. Übrigens sind die beiden Probleme von heute Morgen beim Bestatter und euer Quartier ist auch wieder sauber.“
„Ich bezahle dich zu schlecht. Danke. Wie heißt der Neue denn?“ Er angelte die Ankündigung vom Schreibtisch und las. „Fliemoe? Marcus Fliemoe, bei dem Namen schwant mir Böses.“
„Natürlich hast du von ihm schon gehört... kennst du eigentlich jeden in der Stadt?“
„Ich kenne ihn nicht, ich kenne nur den Nachnamen, es gab ein paar Assassinen in der Familie und ein oder zwei davon waren berüchtigt... Na, vielleicht gibt es ja auch eine angenehme Überraschung. Hast du das Festmahl schon geplant?“
„Ein bisschen was musst du ja auch noch machen“, Karim stand auf und murmelte etwas von Kaffee, während er ging.
„Festessen planen, nicht gerade mein Spezialgebiet, vorallem nicht wenn der Ehrengast ein vollkommen Fremder ist. Klassisch, morporkianisch, omnianisch...“
„Klassisch, nicht zu viel von der einen Seite und nicht zu viel von der anderen. Lass uns das zusammen planen, ich hab zwar keine Erfahrung damit, aber meine Aufgabe hier ist erfüllt und schließlich helfen Ehefrauen ihren Ehemännern“, sie setzte sich ebenfalls und gemeinsam vertieften sie sich in Speisefolge und Abendprogramm als hätten sie nie etwas anderes getan. Zwischendurch kam Karim mit Kaffee zurück und nahm Aufträge entgegen. Sie arbeiteten zusammen wie eine gut geölte Maschine, trotzdem war es lange nach Mitternacht als sie endlich ans Schlafengehen denken konnten. Und der nächste Morgen kam mit erschreckender Brutalität scheinbar nur Minuten später. Schweigend machten sie sich für den langen Tag, der vor ihnen lag, kampfbereit. Im wahrsten Sinne des Wortes kampfbereit, denn beide bewaffneten sich, nur verborgene Waffen zwar, aber dennoch im Ernstfall äußerst wirksam. Wie dieser Ernstfall allerdings aussehen könnte, ließ David im Dunkeln. Er trug perfektes Assassinenschwarz, vorschriftsmäßig und vorbildlich, für Magane wäre die passende Antwort die Uniform... sogar die Galauniform gewesen, aber die lagen sicher in ihrer Kleidertruhe daheim, daher entschied sie sich für ein schickes weinrotes Tageskleid, das David mit einem Nicken goutierte.
„Als würden wir in den Krieg ziehen.“
„Nicht Krieg, Diplomatie. Das dient zum Schutz auf der einen Seite, signalisiert aber auch Bereitschaft. Es hat seine Gründe, warum die meisten Palastangestellten Absolventen der Gildenschule der Assassinengilde sind.“
„Da fühlt man sich doch gleich viel wohler.“
Er lächelte geheimnisvoll und reichte ihr den, inzwischen gründlich gesäuberten, versilberten Dolch, den sie in der, an ihrem rechten Unterschenkel befestigten, Dolchscheide verstaute. Danach sah er ihr zu wie sie ihre Haare zu einem kunstvollen Knoten hochsteckte, den sie mit zwei sehr spitzen Haarstäben fixierte.
„Jetzt müsste nur noch das Kleid schwarz sein, dann gäbst du mit zwei Stiletten an den Seiten eine glaubhafte Gildenschülerin ab.“
„Dafür wäre ich dann doch ein bisschen zu alt. Marke offen anstecken?“
„Warum nicht. Soll der Neue ruhig gleich wissen, dass die Wache ihn beobachtet.“
„Für ein paar Tage, dann gibt’s hier nur noch weichgespülte Palastwächter.“
„Du könntest sie befehligen und auf Vordermann bringen.“
„Ich gehöre nicht hierher. Ende der Diskussion.“
Schmunzelnd gab er fürs erste auf, nicht weil er eingesehen hätte, dass er nicht gewinnen konnte, sondern weil er einsah, dass er heute nichts erreichen würde.
„Bereit für den Kampf?“
„Immer. Kein Frühstück?“
„Kaffee gibt’s unten, hoffentlich auch ein Häppchen zu essen. Karim wird sich darum gekümmert haben. Er ist wirklich gut in sowas, der geborene Gastronom.“
Gemeinsam warfen sie einen letzten kritischen Blick in den Spiegel und verließen dann die Sicherheit ihres Quartiers.
Die Botschaft war inzwischen etwas zur Ruhe gekommen, es wurde nur noch dezent gehuscht, nicht mehr gewuselt. Eine seltsame bleierne Schwere lag auf dem großen Gebäude, drückend, wie die Luft an einem heißen Tag, die sich unbedingt in einem Gewitter entladen musste. Scheinbar wartete alles auf den großen Knall, darauf, dass die Eltern heimkamen und mit den Kindern schimpften, weil sie heimlich Partys gefeiert hatten. David machte einen Kontrollgang, um die Vorbereitungen zu inspizieren, Magane wich dabei nicht von seiner Seite, lernte und bewunderte. Irgendwann als sie in der Küche angekommen waren, wo wirklich niemand Zeit für sie hatte, stibitzten sie ein Frühstück und wurden daraufhin von den Köchen fortgejagt. Lachend zogen sie sich in den großen Saal zurück und trafen dort auf Karim, der ebenfalls in seine organisatorischen Aufgaben vertieft zu sein schien. Diese Aufgaben erfüllte er mit einem Lächeln, schäkerte nebenbei mit einem der silberputzenden Dienstmädchen und wirkte dabei unglaublich jung. Drei Tassen dampfenden Kaffees standen bereit, genau zum perfekten Zeitpunkt. Wie machte er das nur?
„Ist das eigentlich eine besondere Gabe von dir, oder hast du ein Geheimnis?“
„Das, meine Liebe, könnte ich dir verraten, aber“, er senkte seine Stimme zu einem Rauen, „dann müsste ich dich umbringen.“ Lachend fügte er nach einer kurzen Pause hinzu: „Nein, nun es ist eine Gabe, wenn du so willst, eine Art sechster Sinn. Bei meinen Vorfahren spielt Kaffee eine große Rolle. Bei denen galt das Geräusch des Kaffeemörsers als Einladung, vielleicht habe ich das deswegen im Blut. Oder es kommt daher, dass ich im Lokal meiner Eltern aufgewachsen bin.“ Danach griff er in die Innentasche seines Sakkos und angelte einen, winzig klein beschriebenen, Zettel heraus, den er schweigend David in die Hand drückte. Dieser las den Zettel gründlich und steckte ihn dann ebenfalls in die Innentasche, wenn auch sehr vorsichtig, da sich dort auch andere Dinge befanden.
„Sowas hatte ich befürchtet, er scheint nicht zur besseren Sorte zu gehören“, David sah zu Karim, der mit einem Nicken deutlich machte, dass er sehr genau wusste, was sein Freund meinte. Magane fühlte sich außen vor gelassen, war sich aber auch unsicher, ob sie diese Information wirklich wollte.
„Da kommen harte Zeiten auf uns zu.“
„Unter solchen Bedingungen werde ich nie nach Ankh-Morpork zurückversetzt.“
„Hoffentlich lässt er überhaupt den Urlaub zu.“
„Kann er kaum verwehren. Der Urlaub steht mir zu, hab seit Jahren keinen gemacht.“
Magane wanderte, an ihrem Kaffee nippend, durch den Saal und beobachtete, wie das Besteck für das Bankett auf Hochglanz gebracht wurde. Eigentlich gab es für sie kaum etwas zu tun, wenn sie nicht den Dienstmädchen helfen wollte. Daheim hatte sie immer eine Aufgabe zu erfüllen, meistens sogar mehrere zugleich, hier war sie nur schmückendes Beiwerk. Zudem wusste sie nichts von Politik und Gildenangelegenheiten, oder Personalien. Ihr sagte der Name des neuen Botschafters nichts, aber das hatte nichts zu bedeuten, ihr hatte auch der Name Flanellfuß nichts gesagt, bis sie einen kennengelernt hatte. Sie befürchtete sich am Abend bei Gesprächen lächerlich zu machen. Konversation zählte nicht zu ihren Stärken, aber als Zierweibchen musste sie das beherrschen. Ob es ihr gelang in den paar verbleibenden Stunden noch etwas dazu zu lernen? Sie ging zu den beiden Männern zurück und lächelte sie unsicher an.
„Was sollte ich vor heute Abend unbedingt wissen?“
„Der Kerl ist ein Anwalt, und kein netter. Lass dich nicht von ihm provozieren, lächle und sei höflich, dann passiert dir nichts“, er sah sich schnell im Raum um und fügte dann sehr viel leiser hinzu: „und denk daran, wenn er nervt nur nicht tödliche Waffen zu benutzen, sonst kommen wir aus der Nummer nicht mehr raus.“
Karim lachte leise und wandte sich dann wieder seinen Aufgaben zu. Mag beschloss die Bemerkung als Scherz zu betrachten und versuchte ihre Bedenken zu verbergen. Still trank sie die letzten Schlucke des inzwischen kalten Kaffees und bemühte sich sanft zu lächeln.

Ein Fanfarenstoß beendete die scheinbare Ruhe um sie herum. Das Personal wurde wieder hektisch und alle Arbeiten wurden mit Hochdruck beendet. David strich sich nervös den Anzug glatt und bot Magane dann seinen rechten Arm zum Unterhaken an. Eine Geste, die ihr vollkommen absurd vorkam, sie war weder unsicher auf den Beinen noch musste sie als Eigentum markiert werden. Dennoch hakte sie sich ein und gemeinsam gingen sie zum Haupteingang, um das Empfangskomitee zu vervollständigen. Am großen Portal sah sich Mag neugierig um, viele der hier stehenden hatte sie bisher nur im dämmerigen Abendlicht gesehen, Beamte mit ihren Ehefrauen, alle nett zurechtgemacht, aber nicht herausgeputzt. Von dem Personal war nichts zu sehen und auch von Karim, der ja kein offizielles Amt innehatte, fehlte jede Spur. Sie wunderte sich ein wenig über diesen Umstand, allerdings blieb ihr keine Zeit danach zu fragen, denn in diesem Augenblick fuhr eine protzige Kutsche mit dem Wappen Ankh-Morporks auf den Türen vor. Sanft befreite David seinen Arm, trat einen Schritt vor und nahm Haltung an. Ein junger Mann in lächerlich wirkender Livree sprang vom Bock und öffnete die Tür der Kutsche, dabei verbeugte er sich sehr tief. Davids Verbeugung hingegen war maximal angedeutet, er hielt nichts von solcherlei Dingen, das hatte er schon öfters zum Ausdruck gebracht. Sie hoffte nur, dass er sich damit nicht in Schwierigkeiten bringen würde, oder sich schon gebracht hatte, denn der neue Botschafter hob mit deutlicher Missbilligung die Augenbrauen.
„Willkommen in Ankh-Morpork, Herr!“
„Danke“, der neue Boss sah sich um und schien den Empfang als so grade noch annehmbar zu betrachten, „mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Erster Sekretär David Schnitzer, Herr, ich habe nach dem überraschenden Tod Eures Vorgängers die Geschäfte weitergeführt…“
„Und hoffentlich für die Aufklärung dieses überraschenden Todes gesorgt?“
„Selbstverständlich“, er mochte es nicht unterbrochen zu werden, Vorgesetzter hin oder her.
„Ich hörte Sie hatten dafür eigens einen Feldwebel der Stadtwache herbeordert.“
„Ja, Herr.“
„Kein Vertrauen in die hiesigen Wächter?“
„Nun, ich habe mehr Vertrauen in diesen speziellen Feldwebel“, er drehte sich zu Mag um und winkte sie näher, „darf ich Euch meine Ehefrau vorstellen, Herr? Feldwebel Magane Schnitzer, Leiterin der Abteilung Suchen und Sichern der Stadtwache und erfahrene Mordermittlerin.“
Für einen kurzen Moment war sie hin und hergerissen zwischen Salutieren und Knicksen, entschied sich dann aber für den Knicks, da ihr Gegenüber auf diese Dinge wertzulegen schien. Und mit dieser Entscheidung lag sie goldrichtig, der neue Botschafter machte zwei Schritte auf sie zu, nahm ihre rechte Hand und führte sie an seine Lippen.
„Meine Verehrung, Feldwebel. Bedauerlicherweise waren meine Informationen dich betreffend wohl sehr unvollständig. Aber das lässt sich sicherlich ausräumen. Du musst mir alles über die Ermittlungen erzählen, offizielle Berichte sind immer so trocken… Vielleicht heute Abend beim Essen?“
„Wie Ihr wünscht, Herr“, sie versuchte charmant zu lächeln und dabei möglichst dezent im Boden zu versinken. Der Neue wandte sich den anderen zu und Magane nutzte die Gelegenheit, um unauffällig näher an Davids Seite zu rücken und sich wieder bei ihm unterzuhaken. Er reagierte auf die Nähe mit spürbarer Entspannung, dann neigte er den Kopf leicht in ihre Richtung und flüsterte kaum hörbar: „Dich scheint er zu mögen, wir werden an der Sitzordnung noch ein paar kleine Änderungen vornehmen müssen.“
„Muss das sein?“
„Hast ihn doch gehört, mir würde ja auch dein Bericht reichen, du schreibst tolle Berichte“, aufmerksam beobachtete er seinen neuen Vorgesetzten um herauszufinden, wann dieser mit der unplanmäßigen Begrüßungsrunde durch war und sie zum Sektempfang hineingehen konnten.
Die Begrüßung zog sich ewig hin, David wurde sichtlich nervös, das war nicht gut, er musste ruhig bleiben. Magane stellte unauffällig Hautkontakt her und versuchte ihre mühsam erarbeitete Ruhe auf ihn zu übertragen. Sie hasste es diese Fähigkeit ohne Vorwarnung und heimlich einzusetzen, aber die Alternative gefiel ihr in diesem Fall auch nicht. Trotzdem war sie nicht ganz sicher, ob sie Erfolg hatte, selbst wenn der andere sich beruhigte konnte sie nicht wissen, ob sie dies mit Magie oder mit der bloßen Berührung erreicht hatte. Auch jetzt war sie nicht sicher, vielleicht mit mehr Übung oder einer Vergleichsstudie… ihre Oma sagte immer, dass sie dringend ihre Fähigkeiten trainieren musste, weil sie sonst verkümmerten. Oma war es auch, die sie regelmäßig auf irgendwelche Treffen schickte, damit sie dort etwas lernte. Insgeheim, wusste Mag, bedauerte ihre Großmutter, dass sie sie nicht für zwei Jahre in die berge schicken konnte, damit sie dort eine vernünftige Ausbildung erhielt. Aber dazu war sie nun wirklich zu alt und sie wollte es auch nicht, schließlich hatte sie Arbeit. David drückte sanft ihre Hand und sie kehrte ins Geschehen zurück, genau zum richtigen Zeitpunkt, denn sonst hätte sie womöglich schnell allein draußen gestanden. Die Gesellschaft bewegte sich nun endlich nach drinnen zu dem vorbereiteten Sektempfang.
Im Nachhinein war es schwierig zu sagen wer wie lange mit wem über welches Thema geredet hatte, wer über wessen Scherz gelacht hatte und welche Klippen der Konversation umschifft worden waren. Nach dem Sektempfang ging es zu einer Führung über das Gelände und durch das Gebäude, welche sich nicht mehr in der kompletten Gruppe abspielte. Ganz zum Schluss der Führung waren nur noch der Botschafter, David und Mag übrig, sie standen im 2. Stock vor den zukünftigen Privaträumen des Neuen. Magane hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass der Tatort so bald neu bezogen werden würde, sie musste schlucken, hoffentlich waren alle Spuren beseitigt worden. Was wenn sie eine Nadel übersehen hatte, womöglich sogar eine giftige? Leicht panisch sah sie zu wie David die Tür aufschloss und dann mit einer einladenden Geste öffnete.
„Wir konnten leider erst sehr kurzfristig das Quartier für Euch herrichten, Herr. Ich hoffe die Räume entsprechen dennoch Euren Erwartungen.“
„Was haben Sie denn die ganze Zeit damit gemacht?“
„Versiegelt und untersucht“, mischte sich Mag ein, „das machen wir so mit Tatorten.“
„Und was wäre geschehen, wenn ich vor dem zauberhaften Feldwebel aus Ankh-Morpork eingetroffen wäre?“
„Dann hätten wir Euch im Gästetrakt untergebracht, aber dazu kam es ja nicht“, mich seinem charmanten Lächeln gelang es David beinahe seine Ungeduld zu überspielen, aber auch nur beinahe. Der neue Botschafter sah sich um und strich dabei beiläufig über die Möbel.
„Wie ist mein Vorgänger gestorben?“
„Er wurde betäubt und dann erstickt.“
„Also weitgehend schmerzlos. Ich nehme das als gutes Omen“, er öffnete die Tür zum Schlafzimmer und machte einige Schritte in Richtung des Bettes, „Ja, hier lässt es sich leben. Ich denke etwas Ruhe wird uns allen guttun, ich möchte Sie beide nicht länger aufhalten.“
Glücklicherweise sah er in dem Moment in eine andere Richtung, so dass er Davids ungläubigen Blick nicht sehen konnte. Magane griff nach seinem Arm und zog ihn nachdrücklich zum Ausgang.
„Danke, Herr. Wir ziehen uns zurück“, sie komplementierte ihn aus dem Raum, bevor er noch etwas falsch machen konnte. Leise zog sie die Tür hinter sich zu und schob ihn weiter zur Tür ihres gemeinsamen Quartiers, öffnete diese und stieß ihn hinein, erst als sie auch diese Tür geschlossen hatte flüsterte sie: „Der Typ hat Vetinaris Spruch geklaut, du darfst dich nicht so gehen lassen, deine Aggression war beinahe greifbar.“
„Das wir eine harte Zeit, ich bin Selbstbeherrschung auf dieser Ebene nicht mehr gewöhnt. Gut dass du bei mir bist“, er ließ sich auf das Sofa fallen und schloss die Augen, „muss mich ab heute Abend besser konzentrieren. Es wäre zu schön gewesen, wenn wir mal zur Abwechslung jemand Kompetenten in dem Amt gehabt hätten.“
„Du hattest auf jemanden gehofft, den du guten Gewissens allein hättest lassen können?“
„Ja, jemanden der keinen Übersetzer braucht und über ein gewisses diplomatisches Geschick verfügt.“
„Vielleicht steckt das ja in ihm, ich würde ihn nicht gleich aufgeben. Du musst ja nicht jeden mögen, er kann trotzdem was können“, sie begann damit das Kleid aufzuknöpfen und zog beiläufig die Haarnadeln aus dem Knoten.
„Verrätst du mir was du vorhast?“
„Etwas Ruhe wird uns gut tun…“, sie zwinkerte ihm zu und ging nach nebenan.

„Galadinner heißt wieder Abendkleid, oder?“
„Ja, natürlich… gut, dass du mehr als eins hier hast.“
Magane nahm das moosgrüne Samtkleid aus dem Schrank und hielt es vor sich. „Kann ich dazu die Haare offen tragen?“
„Selbstverständlich, muss ja nicht jeder dauernd auf deinen Hals starren, der gehört jetzt mir allein“, er strich ihr Haar zur Seite und küsste ihren Hals, „alles meins!“
„Wir müssen uns anziehen und wieder runter gehen.“
„Ja, leider. Vergiss nicht dich wieder zu bewaffnen.“
„Hm, dann sollte ich vielleicht doch wieder die Haare hochstecken, die Haarnadeln haben einen exzellenten Nahkampfwert.“
„Aber beim Dinner gibt es Messer und Gabeln…“
„Und vielleicht sogar den einen oder anderen scharfen Löffel“, sie grinste schelmisch, „hast recht, da können die Haare auch offen bleiben, Besteckkämpfe sind auch viele stilvoller als solche mit spitzen Stöckchen, außer es geht gegen Vampire. Wir erwarten doch keinen Vampirangriff heute Abend?“
Er grinste sie im Spiegel an und band dabei seine Fliege, die im grün perfekt auf das Kleid abgestimmt war. Hatte er zu jedem der Kleider auch ein passendes Accessoire machen lassen? Er musste sich ihrer sehr sicher gewesen sein.
„Man kann nie wissen, aber Vampire erwarte ich hier eigentlich nicht… Mumien vielleicht.“
Mag ging einen kurzen Moment verschiedene Optionen im Kampf gegen Mumien durch und räumte den Gedanken dann beiseite, gegen Mumien war nur Feuer wirklich effektiv und damit konnte und damit konnte und wollte sie nicht hantieren.
„Wieso bewaffnen wir uns überhaupt zu einem Dinner?“
„Berufsehre, im Falle eines Angriffs wollen wir nicht erklären müssen, warum eine Wächterin und ein Assassine unbewaffnet sind“, er wurde augenblicklich sehr ernst, „Attentate auf neue Amtsträger sind in diesen unsicheren Zeiten leider an der Tagesordnung.“
Sie nickte schweigend und stellte den rechten Fuß aufs Bett um sich die Dolchscheide wieder an die Wade zu binden, die Gefahr, die mit der Arbeit hier einherging, war ihr so bisher nicht klar gewesen. Sicher es hatte Morde gegeben, aber dies waren die Taten eines Einzeltäters und keine terroristischen Anschläge… mit einem Mal verspürte Magane den dringenden Wunsch ihren Kram zu packen und noch heute das Land zu verlassen. Weglaufen, wie damals. Alle Brücken abbrechen und niemals wieder zurückkehren in dieses verfluchte öde Land. Ob David dabei mitkommen würde, oder konnte, war ihr dabei in diesem Moment beinahe gleichgültig, er war schon groß und konnte selbst auf sich aufpassen. Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf erinnerte sie an die prekäre Situation am Vortag und daran wie wenig er sich dabei hatte selbst helfen können, trotz seiner Ausbildung. Wobei er sie natürlich auch begleiten konnte, sie würde ihn sicher nicht davon abhalten, auch wenn es dann sehr eng werden würde in ihrer Wohnung. Allein die Schlafzimmersituation barg ein gewisses Problempotential… allerdings ließen sich Probleme dieser Art leichter lösen, als solche, die den Vitalstatus oder die Anzahl der Gliedmaßen betrafen.
„Ich will nach Hause.“
„Sobald wie möglich.“
„Was meinst du wieviel er über die Ermittlungen wissen will?“
„Alles, hat er doch gesagt.“
„Alles… will ich vielleicht nicht erzählen.“
„Dann bleib in den Punkten, die du nicht erzählen willst unspezifisch“, beiläufig steckte er ein silbernes Zigarettenetui und einen dazu passenden Stift in die Innentasche seines Sakkos, bevor er den Sitz diverser Messer überprüfte und final die ebenfalls silbernen Manschettenknöpfe anlegte.
„Zigaretten?“
Sie bekam ein schiefes Grinsen zur Antwort.
„Aber du rauchst doch nicht, oder?“
„Nein, aber man könnte ja mal in die Verlegenheit kommen jemandem etwas anbieten zu wollen.“
„Vergiftete Zigaretten?“
Er schüttelte den Kopf und zog das Etui wieder aus der Sakkotasche, drückte in einer bestimmten Reihenfolge mehr Knöpfe als auf den ersten Blick zu sehen waren und öffnete so die von ihm aus rechte Seite.
„Ganz normale Zigaretten, nicht die billigsten, trotzdem widerlich.“
„Die Trennwand ist nicht normal, oder?“
„Nein, ist sie nicht, das eingelegte Blatt ist für Notizen, aber die wichtigste Funktion liegt darin die Schauseite von der anderen Seite zu trennen“, auf einen erneuten Knopfdruckcode hin sprang der andere Deckel auf und gab die linke Seite frei in der sorgfältig aufgereiht zwei Reihen kurzer Blasrohrpfeile steckte, farbcodiert in weiß, rot und violett.
„Das zugehörige Blasrohr ist demnach als Stift getarnt?“
„Genau… sind wir damit fertig?“
„Ja“, sie straffte die Schultern, „bringen wir es hinter uns.“
Sie gingen Arm in Arm die Treppen hinunter und schlenderten Richtung Saal.

Der Abend wurde wie erwartet unangenehm. Mag versuchte die von ihr als zu heikel klassifizierten Informationen zu umschiffen, ohne dass dem neuen Botschafter auffiel, dass sie ihm nicht alles sagte. Das entpuppte sich als äußerst schwierig, da er zwar wie ein Idiot wirkte, aber dennoch eine sehr genaue Beobachtungsgabe besaß. Dazu kam, dass er scheinbar mit niemand anderem reden wollte. Schließlich fragte er David: „Also haben sie den Mörder von Ankh-Morpork nach Al Khali verfolgt?“
„Das ist korrekt.“
„Und dann weiter hierher?“
„Nein, hierher ist er mir gefolgt. Ich habe mich als Köder in einer Falle für ihn eingesetzt. Und die Falle schnappte zu, als Maggie zugestimmt hat herzukommen.“
„Demnach hätten Sie verhindern können, dass er hier noch einmal mordet?“
„In Al Khali kam ich nicht an ihn heran, meine Gildenbefugnisse gelten leider nur auf ankh-morporker Boden, dort hat er die Botschaft nie. Hier wiederum hat er den Mord begangen, um ihn mir anzuhängen, damit habe ich nicht gerechnet, das widersprach seinem vorherigen Verhalten.“
„Seine früheren Morde hat er versucht mir anzuhängen, beziehungsweise als Selbstmord getarnt.“
„Genau, wer konnte damit rechnen, dass er unprovoziert sein Muster ändert?“
„Lassen wir das, diese Gefahr ist ja nun ausgeräumt, noch mehr Wahnsinnige haben sie doch hoffentlich nicht im Schlepptau“, er lachte und Mag sah David für einen kurzen Moment an und schüttelte beinahe unmerklich den Kopf, um ihm zu bedeuten nicht auf die Provokation einzugehen.
„Soweit wir wissen war das der einzige aktuelle Wahnsinnige, aber man sieht ja immer nur die die sich nicht mehr verbergen können. Ich versuche mir jedenfalls keine Feinde zu machen und David hat hier auch kaum eine Gelegenheit dazu. Gemeinsame Feinde haben wir jetzt keine mehr.“
„Außer vielleicht seine Familie“, warf David ein.
„Um die kümmere ich mich schon, das Pack hatte es nicht nötig zur Beerdigung ihres zweiten Sohnes zu kommen, dann brauchen sie sich auch keine Probleme zu machen, wenn der ältere seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Die bekommen ein Paket mit seiner Asche, einer Quittung und einem langen Brief, aber das hat Zeit, bis ich wieder zuhause bin.“
"Dann bleiben Sie nicht hier, als Glanz in unserem grauen Alltag?"
"Nein, ich muss wieder heim zu meinen Kindern, ich bin schon wieder viel zu lange fort."
"Warum holen Sie sie nicht her?"
"Wir leben in Ankh-Morpork, der Große geht dort zur Schule, ich habe dort meine Arbeit. Vielleicht gelingt es uns eines Tages wieder auf Dauer an einem Ort zusammen zu leben, aber das wird nicht hier sein", sie lächelte noch immer, aber ihr Ton war etwas kälter geworden, sie hatte keine Lust auf diese Diskussion. Sie hatte sie mit David geführt und wenn der es nicht geschafft hatte sie umzustimmen würde es sicherlich auch nicht sein neuer Boss können.
"Das klingt sehr endgültig."
"Ist es!"
"Wie alt sind Ihre Kinder?"
"Mein Großer ist im April acht geworden und unsere Tochter wird übermorgen zwei", ihr Blick schweifte in die Ferne, sie bedauerte nicht zuhause zu sein, "Sie sind das Licht meines Lebens."
"Umso merkwürdiger erscheint es, dass Sie sie daheim gelassen haben...", er schien nicht locker lassen zu wollen, vermutlich musste sie deutlicher werden.
"Herr, bei allem Respekt, es ist allein meine Entscheidung, ob ich meine Kinder der Gefahr einer solchen Reise aussetzen möchte, oder sie lieber bei meinen Großeltern in Sicherheit lasse", sich hatte leise gesprochen und auch sonst kein Zeichen ihres sonst so leicht aufbrausenden Gemüts aufkommen lassen, aber ihre Worte waren anscheinend ausreichend.
"Natürlich, das wollte ich auch nicht anzweifeln. Schade, ich verliere ungern gute Leute, wenn Sie schnell wieder zurück in die Stadt wollen werde ich Ihren Mann ebenfalls nicht lange hierhalten können", er beschäftigte sich einige Momente mit seinem Bratenstück, bevor er lauter hinzufügte: "Herr Schnitzer, wenn Sie nach Ihrem wohlverdienten Urlaub zurückkehren, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihren Nachfolger auswählen und einarbeiten würden."
"Ja, Herr, natürlich."


[1] Die gemeinsame Geschichte der Beiden beginnt mit einer flüchtigen Begegnung im „weißen Kamel“, steigert sich zu einem gemeinsamen Besuch des Silvesterballs der Assassinengilde 2009 (mit Leiche) und endete bisher mit der Bemerkung, dass sie einige Male miteinander aus waren. Soweit das bisher veröffentlichte, aber es ist selbstverständlich mehr gesehen, dass muss nur noch erzählt werden.

Zählt als Patch-Mission für den AL SUSI / Gerichtsmedizinerin-Patch.



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Feedback:

Von Jargon Schneidgut

26.4.2023

Nicht wirklich mein Stil, aber ich hab alles am Stück gelesen und habe mich gut unterhalten gefühlt. Interessante moralische Implikation bzgl. die verhasste Person töten oder nicht.
Es sind viele schöne Bilder beim Lesen entstanden, das mochte ich sehr.

Von Rabbe Schraubenndrehr

12.3.2023

Aaaalso…

Erstmal freue ich mich einfach über das Wortspiel des Titels. Hehe. Schön getroffen! Es folgen meine Vereinzelten Gedanken während des lesens:


...Schöner Aufhänger das der Patrizier Magane mit einem auch noch offensichtliche gefälschten Urlaubsantrag abkommandiert. Sehr in-character. Das muss man sich merken...

...Irgendwie mag ich Plots um ermordete Botschafter immer, weiß nicht genau warum. Vielleicht die politischen Implikationen?

...Die Hochzeit fühlt sich etwas konstruiert an aber ich habe doch schmunzeln müssen als Magane überlegt ob David am Ende jemanden getötet hat nur um sie heiraten zu können XD So ein wenig habe ich zwischendurch auch überlegt ob er nicht doch selbst der Mörder ist...

...Die berüchtigte Morporkianische verkohlt-verfettete Küche ist für mich immer wieder amüsant, warum auch immer. Vielleicht weil es soo typisch Ankh Morpork ist.

...Ich mag die Idee, die Gifte mit Gerüchen zu versehen. Zugleich ist es aber natürlich in genau so einer Situation potenziell auch verräterisch. Ich stelle mir den Geruch bei offiziellen Auftragsmorden fast schon wie eine Signierung der Arbeit vor…

...Man kann Magane’s stetiges Gefühl des Unbehagens sehr gut verstehen. Unter diesen Umständen wäre es komisch, wenn sie das nicht hätte…

...Ooooh, persönlicher Aufhänger. Das ist eine nette Sache, das so die Morde an Maganes ehemaligen Ehemännern behandelt werden. Interessant! Gefühlt hat die Chemie zwischen den beiden sich ein gutes Stück verbessert nachdem sie dieses Gespräch hatten. Aber diese Spannung bei dem abendlichen Schneidertermin! Aaargh!


Schöne Geschichte! Es hat etwas gedauert bis ich mich eingelesen hatte, vielleicht bis zur Hälfte, der Rest ließ sich dann aber recht schnell weglesen. Ich mag die allgemeine Atmosphäre, das Setting dieser Geschichte sehr. Etwas mehr Farbe über das Dampfschiff und die Eindrücke im so fremden Land hätten es mehr ausgeschmückt, aber so war es vor allem auf das zwischenmenschliche fokussiert, was auch in Ordnung war. Das ganze gibt ein schönes Übersichtsgefühl über Magane’s persönliche Angelegenheiten soweit es das familiäre betrifft, das finde ich ganz gut. Mich hat überrascht das der Mörder jetzt tatsächlich ohne allzu lange Endverhöre o.ä erledigt wurde, es war aber auch irgendwie ganz gut so. Schöne Geschichte!

Von Rogi Feinstich

31.3.2023

Habe die Geschichte erst nach längerer Pause nun in einem Rutsch zu Ende gelesen. Die erste Hälfte hat sich etwas gezogen und war in meinen Augen sehr Detailreich, wo es nicht nötig gewesen wäre. Dafür war die zweite Hälfte umso spannender :)
Ich hatte die alten Geschichten und Zusammenhänge nicht im Kopf und konnte dem Geschehen gut folgen. Ein oder zwei mal bin ich aber dennoch ins Stocken gekommen, zum Beispiel ganz am Ende kam plötzlich der Name Tad ohne dass ich diesen vorher mit dem Schneider in Verbindung gebracht hätte.

Rach und David haben ja doch ein paar Gemeinsamkeiten, wie mir aufgefallen ist :D Da David älter ist vielleicht sogar jemand den Rach sich zum Vorbild genommen hatte in der Gilde ;)

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