Was'n das? (Teil 1)

Bisher hat keiner bewertet.

von Hauptmann Pismire (SUSI)
Online seit 10. 12. 2013
PDF-Version

Der Schneevatertag im Jahr des zweiten Beginns - Pismires letzter Arbeitstag in der Kröselstraße bricht an. Der letzte Aktenzettel ist erledigt, die Sachen gepackt und alles ist gut, als eine aufgelöste Frau am Wachetresen erscheint und dem Hauptmann stumm den Inhalt ihrer Handtasche auf den Tresen kippt.


Für diese Mission wurde keine Note vergeben.

Leise kratzte eine Feder über das Papier, noch ein schwungvoller Schnörkel, Sand rieselte, ein Moment des Wartens, ein Pusten, ein Schließen der Akte - erledigt. Zufrieden lehnte Hauptmann Pismire sich zurück. Morgen war Schneevater, ab Mitternacht begann sein letzter Arbeitstag in der Kröselstraße und übermorgen ging es zurück zum Pseudopolisplatz, zurück in den Keller, zu Saugi und zu seinen stummen Klienten.

Nun, immerhin, allzu schlecht war es nicht gelaufen - oder? Vielleicht hatte der eine oder andere Rekrut irgendetwas gelernt - sicher sein konnte man da nicht. Die meisten waren eh sehr, sehr schnell zu dem Schluss gekommen, dass die Wache nichts für sie war. Andere brauchten etwas länger - manchmal auch zu lange - für diese Erkenntnis, nur die wenigsten waren aus dem Holz geschnitzt, aus dem richtige Wächter waren.
Doch der ein oder andere wertvolle Neuzugang waren schon darunter. Manchmal noch ein wenig ungeschliffen oder um es mal direkt zu sagen: roh, manchmal eifrig aber quitschenass hinter den grünen Löffeln - aber sie alle würden ihren Weg schon machen, da war er sich sicher.

"Morgen ziehen wir um, Händchen, dann lernst du was Neues kennen."
Das Eiskalte Händchen, dem seine Worte galten, kam eifrig hinter einem Stapel Papier, wo es sich aus einem alten Handtuch eine Art Nest gebaut hatte, hervor getrappelt und schmiegte sich Wärme suchend an die Teekanne mit dem Kräutertee. Wenn es eine Katze gewesen wäre, hätte es wahrscheinlich geschnurrt, so aber legte es sich einfach nur um die Wölbung der Kanne und strahlte Zufriedenheit aus.[1]
Er schaute neben die Tür, wo sich seine persönlichen Gegenstände in einer Kiste befanden, die die Rekruten morgen in die Pathologie schaffen würden. Da er selber noch nicht müde war beschloss er, die wachhaltenden Rekruten abzulösen und ihren Dienst höchstpersönlich zu übernehmen - die Vorschneevaternacht war in der Regel ein ruhiger Dienst, denn die Familienkräche, -feden und -kriege würden erst Morgen beginnen.

In der Tat lagen gegen Morgen einige ruhig verdösten Stunden hinter ihm, als mit einem Schwung die Tür sich öffnete und eine Frau sichtlich verstört auf den Tresen zuwankte. Pismire schreckte hoch und musterte sie, das Eiskalte Händchen hatte sich unauffällig in die geöffnete Schublade zurück gezogen. Der Hauptmann schätze sie auf wenig über fünfzig Jahre, ihre Frisur war erheblich zerrauft, der Hut saß schief. Sie hatte einen langen, grau-braunen Mantel an, solide Stiefel und Lederhandschuhe. Eine große Handtasche aus Leder, die offensichtlich neu war, hielt sie mit den Händen umklammert vor ihren Körper fest. Groß, schlank, grau-braunes Haar, knochiges Gesicht mit hochroten Flecken auf den Wangenknochen. Alles in allem wirkte sie - abgesehen von ihrer Verfassung - absolut unauffällig. Ihrer Kleidung nach war sie weder reich noch arm.
Zielstrebig ging sie auf den Wachtresen zu, fegte mit einer Handbewegung sämtliche dort ausliegenden Formulare, Faltblätter und Broschüren beiseite, verfehlte bei dieser Aktion Pismies Tee nur deswegen um Haaresbreite, weil dieser die Kanne nebst Tasse instinktiv an sich gerissen hatte, und kippte mit einer energischen Bewegung die Inhalt ihrer Handtasche dort aus. Eine hektische Geste unterbrach den Hauptmann, der gerade zum Protest ansetzen wollte. Mit einer fahrigen Bewegungen schob sie einen großen, leeren Stickrahmen in die Mitte der Holzfläche, und zwar so, dass der Inhalt der Handtasche außen um den Ring herum lag, dann legte sie die nunmehr leere Handtasche an den Rand des Tresens. Als sie damit fertig war, schloss sie die Augen und drehte das Gesicht mit geschlossenen Augen, die sie zusätzlich mit der rechten Hand bedeckte hatte, zur Decke, streckte den Zeigefinger der linken Hand aus und berührte mit ihm den Rahmen.

Wie von Geisterhand verschwanden einige der außen liegenden Gegenstände und manifestierten sich im Inneren des Holzkreises neu, während die anderen Gegenstände sich säuberlich um den Holzreifen legten. Der Schamane beobachtete das Geschehen fasziniert. Als die Gegenstände sich neu formiert hatten, wandte sich die Frau ihm wieder zu und schnitt ihm erneut gestisch das Wort ab.
"Aber ich hab doch ..."
Sie verdrehte enerviert die Augen - er brach ab.
Die Frau musterte die im Kreis liegenden Gegenstände mit kritischen Blicken, während Pismire das Sammelsurium auf dem Tisch ebenfalls musternd betrachtet. Es waren einige Spielzeuggegenstände darunter, wie sie in Kinderkaufläden oder Spielzeuglandschaften Verwendung finden: eine kleines Schweinchen, eine Plastikschere, eine winzige Banane, ein Brückenmodell, ein kleiner Troll, der ganz rot angemalt war, und das orangene Modell eines Sumpdrachens. Dann eine grüne Wäscheklammer, ein kleines, dunkelblaues Stoffstück, ein kleines Stück braunen Pelzes, eine rosafarbene Stoffblüte, ein Ehering, eine Fahrkarte für den Trollbus, eine Eintrittskarte für die Scheibe, ein Jeton der Spielbank, eine Metallscheibe, ein runder Spielstein aus Holz mit zwei gekreuzten Säbeln darauf, ein glattpolierter Kieselstein, außerdem noch ein blaues Holzdreieck, ein gebänderter Holzstab und ein einzelnes Puzzleteil.
Aus den zehn Teilen, die im Kreis lagen, wählte die Frau mit konzentrierter Miene einige aus, und begann dann damit, diese Teile auf einem freien Teil des Tresens aufzubauen. Sie nahm das Spielzeugschweinchen, legte es auf die Seite, bedeckte es mit dem blauen Stück Stoff, rollte vorsichtig einen Teil davon ein, faltete ihn um, klammerte das Ganze fest und sah Pismire eindringlich an.
"Möchtest du mir etwas mitteilen, meine Gute?"
Sie nickte.
"Aber du kannst nicht sprechen!?"
Wieder ein Nicken.
"Und diese Gegenstände haben eine Bedeutung, die ich erraten soll."
Nicken.
"Und wenn ich dich bitte, es einfach", er zog einen Zettel und einen Bleistift aus der Schublade und wedelte damit und mit einem verheißungsvollen Lächeln in der Luft herum, "es einfach aufzuschreiben?"
Kopfschütteln.
"Du kannst nicht schreiben?"
Sie sah ihn eindringlich an.
"Du willst nicht schreiben?"
Keine veränderte Reaktion.
"Du darfst nicht schreiben!?"
Ihr erhobener Daumen signalisierte: Treffer!
Angestrengt starrte der alte Mann auf das Schweinchen, das Tuch, das Gefaltete und die Klammer.
"Dein Schweinachtsbraten", er deutete auf das Schwein, "wurde im Schutze der Dunkelheit", sein Finger bewegte sich zu dem dunkelblauen Tuchstück, "entwendet, und du steckt jetzt in der", sein Finger glitt zur Klammer, "Klemme. Nein warte, warte ... Er wurde entführt und jetzt übt jemand Druck auf dich aus - du wirst also erpresst."
Kopfschütteln.
"Dein Hausschwein hat jemanden eingeklemmt?"
Keine Reaktion, nur ein Verdrehen der Augen.
"An deiner Wäscheleine hat jemand neben dem Bettlaken ein Schwein angehängt? Äh, ne, nein, das ... Vergiss das. Streich das einfach."
Beide starrten sich an. Die Frau schob das Ensemble näher zu ihm hin und fuhr mit dem Finger das Tuch entlang, immer an der Klammer beginnend bis zum liegenden Schwein.
"Das Schwein ist gar kein Schweinachtsbraten!?" Sie veränderte sich nicht, atmete aber deutlich aus. "Und das Tuch ist kein Tuch. Da wo es anfängt ist es umgeklappt. Verändert. Ein verändertes Tuch ... Der Anfang ist anders. Buch? Fluch? Auf dir armem Schwein liegt ein Fluch!"
Ein gehobener Daumen.
In diesem Augenblick kam Bewegung in die Teile auf der Holzplatte. Schwein, Klammer und Tuch bewegten sich zu den Gegenständen außerhalb des Stickrahmens wo drei weitere Gegenstände verschwanden und sich zeitgleich innerhalb des Rahmens materialisierten. Dort lagen nun die Brücke, die Banane, die Fahrkarte, der Drachen, das Fellstück, das Stäbchen, das Dreieck, der Ehering, der Jeton und die Metallscheibe.
"Lass mich raten: Der Fluch besteht darin, dass du dich nur mit Hilfe der Gegenstände ausdrücken kannst, die innerhalb des Kreises liegen?"
Die Frau nickte.
"Nun, ich bin Hauptmann Pismire, Stadtwache Ankh-Morpork, und dies hier ist G.R.U.N.D., die Abteilung, bei der die Rekruten ihre erste Ausbildung erhalten. Also nicht das Wachhaus am Pseudopolisplatz. Es wird einen Grund geben, warum du hier und nicht dort bist - oder?"
Keine Reaktion. Er musterte die Frau eindringlich, und griff dabei unbewusst nach nach dem kleinen Drachen.

"Sie mag einen Gund haben, das kann schon sein, aber ist das wirklich von Bedeutung? Vielleicht wohnt sie ja nur in der Nähe." Ein Stimme in seinem Kopf, die eindeutig nicht ihm gehörte. Der Schamane zuckte zusammen. Keine freundliche Stimme. Sie klang ein wenig herrisch, ungeduldig und unterschwellig grausam amüsiert. "Aber nun zu etwas ganz anderem: Wer die Teile berührt, wird Teil des Spiels. Wie überaus unterhaltsam - ein neuer Spieler, und der alte Spieler darf gehen."
Pismire öffnete den Mund um etwas zu erwidern, er spürte auch, wie er die Worte bildete, aber kein Laut war zu hören.
"Nun - ich kann es hören. Aber nur ich. Amüsant, Sterblicher, nicht wahr? Und nein, dahin werde ich mir meinen Humor nicht stecken, Hauptmann. Und mein Name ist - ach was, der geht dich gar nichts an! Mein Spiel - meine Regeln!"

"Ich bin ja so froh, dass es vorbei ist!" Mit diesen Worten richtete die Frau sich auf und strich ihre Haare ein wenig ordentlicher zurück. Pismire hätte gerne etwas darauf erwidert, sah sich aber zu einer sprachlichen Äußerung außerstande. Er deutete auf seinen Mund und zuckte mit den Achseln.
"Na, na, na, das ist gegen die Regeln - nur mit den Gegenständen im Kreis, Hauptmann. Aber du musst das Spiel ja noch lernen." Die Stimme gab sich jovial.
Abwartend blickte die Frau den alten Mann an. "Wenn du keine weiteren Fragen hast, Wächter, dann gehe ich mal wieder. Und danke, dass du mich befreit hast!"
An der Tür drehte sie sich um: "Such dir doch einfach jemanden, dem du das Ding unterschieben kannst."
"So wie du", dachte Pismire bitter bei sich, als sie in den frühen Morgen verschwand.

"Soll ich dir jetzt die Regeln erklären, alter Mann?"
Einen kurzen Moment überlegte Pismire, ob er einfach einen Rekruten aus dem Schlafsaal holen und ihm das Ding unterjubeln sollte ("Was für ein niveauloser Plan!" - wobei er sich in diesem einen Punkt mit seinem namenlosen Peiniger einig war), verwarf das dann aber wieder.
"Dann erkläre mir die Regeln", dachte er resigniert.
"Was ist nun? Du musst schon ein wenig deutlicher denken - ich kann immerhin nicht in deinen Kopf hineinsehen"
Innerlich spitze der Schamane die Ohren. Möglichst ohne einen Muskel auch nur zu regen dachte er: "Der Vollkoffer kann also keine Gedanken lesen"
Zehn Sekunden später dachte er erleichtert: "Stimmt!"
Dann formulierte er seinen Satz erneut - diesmal mit Hilfe von Zunge und Stimmbändern, und er wurde verstanden.

Die Regeln waren einfach. Eine davon war die, dass Tricks nicht erlaubt waren. Tricks waren: Teile der Fragen vorspielen, der Einsatz von Fingersprache, der Versuch, Anfangsbuchstaben der Gegenstände zu Wörtern zu legen und Scharaden mit Gegenständen. Tricks wurden mit so genannten Auszeiten bestraft: 10 bis 15 Sekunden absoluter Bewegungsunfähigkeit - inklusive Augen und Atmung. Das auszuprobieren hatte er nun gar keine Lust.
Er würde sich zum Pseudopolisplatz begeben müssen, dort war Hilfe eher zu erwarten. Aber vorher musste er für Ablösung am Tresen sorgen - und einfach einen Zettel zu schreiben wäre ja gegen die Regeln.
"Mist und verflucht", dachte Pismire. Da kann ja heiter werden.
[1] Das eiskalte Händchen hatte Pismire während der Operation "Operation Frühjahrsputz" hinter den Papieren in seinem Büro gefunden. Der Schamane vermutete, dass es irgendwie mit seiner Vorgängerin auf diesem Posten, Rogi Feinstich, zu tun hatte, war sich aber nicht sicher, in wie weit ihn dabei die Details wirklich interessieren würden. Das Händchen war zahm, in einigen Situationen sehr nützlich und folgte ihm eifrig. Er hatte beschlossen, es zu behalten.

(Fortsetzung folgt am 20. Dezember)



Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung