Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen

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von Hauptmann Pismire (GRUND)
Online seit 10. 12. 2012
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Die Scheibenweltvariante einer bekannten Erzählung

Für diese Mission wurde keine Note vergeben.

"Den Schneevaterbaum stellen wir am besten in die Ecke links vor den Tresen - direkt an die Wand zum Stall. Er wird den Raum ein wenig, nun, heimeliger machen. Und der Aufenthaltsraum ist definitiv zu klein für einen Baum." Und den Geruch hoffentlich übertünchen, dachte der Schamane still bei sich.
Die junge Frau nickte und notiert sich etwas auf einem Klemmbrett. "Haben wir denn überhaupt irgendwelchen Baumschmuck, Sir?" Ihr Blick glitt skeptisch durch den Empfangsraum in der Kröselstraße.
"Nun, vermutlich ja. Wir haben beim Aufräumen auf dem Dachboden hinter den Klackern eine Kiste gefunden, auf der steht "Baumschmuck". Ich habe sie in mein Büro geschafft und werde sie nachher durchschauen. Und ich hoffe, dass Inhalt und Aufschrift übereinstimmen."
"Aber wenigstens einen klitzekleinen Blick hast du ... ähm Sir, Ihr habt sie noch nicht geöffnet. Oder?"
"Nein, Rekrutin, ich habe noch nicht reingeschaut. Es gäbe natürlich die Möglichkeit, ein Projekt daraus zu machen. Im Rahmen der Unterrichtseinheit: "Objekterkennung und Objektbeschreibung - Einführung in die Asservatenkunde."
Und als ein fassungsloser Blick ihn traf, holte Hauptmann Pismire weiter aus: "Man kann an allem etwas lernen. Denn die Kunst der präzisen Objektbeschreibung kann man an jeglichem Gegenstand üben, sei es Schneevaterbaumschmuck oder Mordwaffe - es kommt auf das Prinzip an. Wenn man das begriffen hat, kann man es auf alles anwenden. Wer also in der Lage ist, einen - sagen wir mal - Baumschmuck präzise", ein erhobener Zeigefinger unterstrich die Aussage, "zu beschreiben, der kann das Gelernte auch bei der Beschreibung - der präzisen Beschreibung einer - sagen wir mal: möglichen Tatwaffe - anwenden."
"Also gut. Ich notiere mal: Baumschmuck möglicherweise vorhanden, Sir!?"
Ein Nicken, vielleicht zustimmend.
"Kerzen?"
"Müssen noch besorgt werden."
Die Vorbereitungen zum Schneevater würden in diesem Jahr auch vor dem Wachhaus in der Kröselstraße nicht Halt machen.

Wie das Donnern einer in weiter Entfernung den Berg hinunter rutschenden Geröllhalde drang die Unterhaltung der Trolle durch das Wachhaus.
"Was du geben in Schneevatersack?"
"Speziell für Weichhäute - Thymiansträusschen."
"Ah, sehr persönliches Geschenk."
Ein polterndes Nicken. "Weichhäute schätzen persönliche Geschenke. Und du?"
Schulterzucken. "Ich noch nicht darüber ... " Kurze Pause. "Oh. Das. Harnischpolitur. Nach eigenem Rezept. Die Harnische hier alle Politur brauchen. Du?"
"Kleines Amulett von Anoia - nützlich wenn Schublade plötzlich klemmen. Mit echtem Gebet - von echtem Priester!", strahlte Opal zufrieden.

Vor dem Fenster des Ausbildungsleiters wirbelten die dichten Flocken durch die Nacht, im Raum selber war nur der Schreibtisch von flackerndem Kerzenlicht erhellt. Der Kräutertee dampfte - was auch an den arg niedrigen Temperaturen im Raum lag. Der alte Mann hatte sich in seinen Umhang gehüllt und ging noch einmal die Liste mit den noch vor der Scheevaterfeier zu erledigenden Arbeiten durch. Zu seinem Erstaunen hatten sich alle Rekruten freiwillig und ohne großes Murren an den Vorbereitungen für die Feier beteiligt - eine ihm einigermaßen neue Erfahrung. Als letzten Punkt waren morgen noch die Kerzen zu besorgen und die Speisen - wenn man das so nenne wollte - von Madam Pipenstengel abzuholen - eine Aufgabe, die er selbst mit dem alterschwachen Eselskarren zu erledigen gedachte. Nachdem dieser Punkt geklärt war, wandte er sich dem morgigen Dienstplan zu.

"Wir jetzt dort entlang streifen?", bemerkte Rekrut Opal fragend und wies in Richtung Hinterbackenstraße.
"Ja, warum nicht - wir könnten dann am Fluss entlang einen Bogen zurück zur Unbesonnenheitsstraße schlagen und wären nicht zu lange in der Kälte unterwegs," entgegnete Wolfgang von Reichenbach ein wenig abgelenkt.
"Was du geben für Schneevatersack?"
"Opal, wenn wir uns alle gegenseitig sagen, was wir in den Schneevatersack gelegt haben - dann ist das doch keine Überraschung mehr - oder? Und das war die Grundidee - alle legen etwas in den Sack, damit jeder ein Geschenk bekommt. Und zwar eines, von dem er vorher gar nicht weiß, was es ist. Eine Überraschung."
"Und was du nun geben?"
Ein resigniertes Seufzen. "Eine Überraschung. A pro pos - das ist das da in dem Hauseingang?"

"Wir sie gefunden in Hauseingang in Hinterbackenstraße. War ganz kalt und so ..."
Rekrut Opal trug ein kleines Bündel in den Armen, dicht gehüllt in den Umhang seines menschlichen Kollegen, während Rekrut von Reichenbach ihm blau gefroren die Tür aufhielt.
"Schnell, macht Platz. Wir bringen sie in den Aufenthaltsraum - da ist es am wärmsten. Und jemand muss dem Alten Bescheid sagen."
"Wieso? Ist sie etwa ...!?" Niemand mochte sich ausmalen, was dann wäre.
"Sie ist beinahe erfroren. Wir haben sie in der Nähe gefunden: sie hatte sich auf die oberste Treppenstufe vor eine Haustür gekauert, nur in ihre dünnen Lumpen gewickelt, und das da lag um sie herum." Mit einer heftigen Bewegung warf der junge Mann eine Handvoll abgebrannter Streichhölzer auf den Wachetresen.


"... und das eine Nacht vor dem Schneevaterfest." Der Halbvampir schüttelte missbilligend den Kopf.
"Und es besteht kein Zweifel?"
Eine ebenso kurze wie verneinende Geste: "Nein, offensichtlich arbeitet auch die andere Seite im Vollbewusstsein der Tradition und der narrativen Logik."
"Aber ein so junges Ding ... wie alt?" Sein Blick glitt zu dem anwesenden Experten.
"Äh, also, äh, geschätzt wurde sie", der Zwerg hüstelte ein wenig "von den meisten, die mit ihr zu tun hatten, auf acht oder neun Jahre. Allerdings geht das nun auch schon seit zwei, drei Jahren so," fügte Braggasch nach einem Blick auf seine Unterlagen - genauer genommen auf die Unterlagen, die die D.O.G. für ihren stellvertretenden Abteilungsleiter zusammengestellt hatte - hinzu. "Sie ist Waise, Name: Carmilla Ludd. Wurde am Schneevatertag vor 14 Jahren auf der Schwelle zum Gildengebäude am Drehwärtigen Breiten Weg abgelegt."
"Nun, von der werden wir vermutlich noch mehr hören! Und was fehlt alles?"
Der Hauptmann schob missmutig eine eindeutig vollständig ausgefüllte Gildenquittung über den Tisch.
Sein Vorgesetzter warf ein flüchtigen Blick auf den Zettel: "Dreiundfünfzig Dollar, vier Dolche, zwei Ringe und ein Diadem?" Kommandeut Breguyar sah erstaunt auf. "Melden sich neuerdings die Reichen und Schönen zum Dienst bei der Wache?"
Ein Grunzen quittierte den Scherz.
"Sie hat nur die leichten Dinge genommen - die, die man gut transportieren und zu Geld machen kann. Aus dem Grund fehlt kaum etwas von unserer Ausstattung. Was das Geld angeht: Das war die gemeinsame Kasse für das Schneevateressen sowie der Inhalt von sechs privaten Geldbörsen, daher auch die Ringe. Das Diadem ist das Erbstück einer Rekrutin, die vor einem Monat den Dient quittiert hat und es eigentlich noch abholen wollte, dann aber einen jungen Mann kennengelernt hat, mit dem sie nach Quirm ausgewandert ist - sie schrieb, dass wir das hässliche Ding behalten könnten, ihr Melville würde ihr ein viel schöneres zur Hochzeit schenken. Wo wir gerade beim Thema Schenken sind: Außerdem haben die Rekruten ihr noch erlaubt, sich aus dem gemeinsamen Schneevatersack was auszusuchen. Weil ja Schneevatertag war. Und das arme Mädchen noch nie ein Geschenk bekommen hatte. In seine ganzen Leben nicht. Die Sachen fehlen auf der Quittung - im Prinzip der ganze Sack nebst Inhalt. War ja auch ein Geschenk."
"Tja, und eine Lektion."
"Oh ja, und eine Lektion, Sir."



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