Von Keilern und Freunden

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von Gefreiter Menélaos Schmelz (SEALS)
Online seit 31. 10. 2011
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Feierabend ist in der Regel eine herrliche Sache - doch erstens kommt es anders und zweitens mit der Faust (Wichtelgeschichte)

Dafür vergebene Note: 13

"Wisst ihr, Kinder ..." Der alte Mann zog noch einmal kräftig an seiner Pfeife, "... immer wenn es so heftig schneit wie heute ...", nur um sie dann über dem flackernden Kamin auszuklopfen, "... dann denke ich an den Tag, an dem ich eure Großmutter kennen gelernt habe ..." und sie neu zu stopfen.
"Langweilig! Erzähl lieber, wie du den Zwerg in der Taverne verdroschen hast!"
Der alte Mann seufzte und schaute kopfschüttelnd in drei Paar neugierige, vorlaute Augen. Seine drei Enkelkinder, sie kamen so selten zu Besuch.
"Aber Kinder, ihr wisst doch, dass ...", er rückte sich schnaufend in seinem samtroten Ohrensessel zurecht, "... ihr noch zu jung seid, für so eine Geschichte."
Harscher Protest aus dem Publikum.
"Was würden eure Eltern sagen, wenn sie wüssten ..."
Abwinkende Gesten aus dem Publikum.
"Und wenn sich das weiter herum sprechen sollte ..."
Eidesstattliche Versicherungen aus dem Publikum.
Der alte Mann lachte in seinen Pfeifendunst hinein. "Na gut. Na gut. Es war vor über vierzig Jahren, als ich ..."


Es war einer dieser seltsamen Momente in Braggaschs Leben, der wohl niemals in das Bild seiner Vita passen wird. Eigentlich hatte er die Taverne nur betreten, weil der Schnee ihm mittlerweile bis zur Brust reichte. Außerdem hörte der - vermutlich von einem durstigen Troll angelegte - "Tunnel" an dieser Stelle auf, unmittelbar vor der Holztüre der Gaststätte "Zum lockigen Frosch". Unentschlossen stand er mit seinem Ganzkörperschal und seinem dicken Mantel vor der Pforte. Geselliges Treiben lockte, zusammen mit einer um 2 Uhr nachts beinahe vollkommen gewährleisteten Anonymität. Zwischen Braggasch und der gemütlichen Wärme eines Kamins mit heißen Getränken und einer Mahlzeit stand nur noch eine Tür. Er war nicht im Dienst, wieso also zögern? Es war furchtbar kalt, wieso also verdammt noch mal zögern?
Dennoch: Irgend etwas bereitete ihm Bauchweh.

Zven machte eine theatralische Pause und nahm einen Schluck aus dem Humpen. Über den Bierschaum hinweg konnte er die ungeduldigen Mienen der anderen Vereins-Freunde sehen. Blitzschnell setzte er den Humpen wieder ab.
"Plötzlich gab es einen Knall und die Türe sprang auf, Schnee und Wind stoben herein, es wurde mucksmäuschen still und ein stattlicher Zwerg kam langsam zum Vorschein ..."
"Oh Mann! War er das?"
"Ja ..." Zven stand nun auf und kletterte auf den Schemel, auf dem er eben noch saß. Alle sahen zu ihm auf und lauschten wie gebannt ihrem Vereins-Chef.
"Ja ... und er ging geradewegs zum Tresen und bestellte ... ein Bier."
Stille.
"Ein kochend heißes Bier!"
"Mann! Ein ganzer Kerl!" schrie einer und die übrigen Zuhörer jubelten ungehalten auf. "Hai-Faifs" und "Knöchel-Knutscher" wurden ausgetauscht.
Mit einer energischen Handbewegung versuchte Zven für Ruhe zu sorgen. Sofort wurde es still. "Er nahm also seinen Humpen, leerte ihn in einem Zug und suchte nach einem gemütlichen Platz ..."


Er fasste sich ein Herz und betrat die Kneipe. Bis auf ein "Türe zu!" reagierte niemand auf seine Ankunft. Während er zum Tresen stapfte und die Kälte in seinen Gliedern allmählich verschwand, schaute er sich vorsichtig um. Seine Speicheldrüsen kamen vor Staunen mit der Produktion kaum hinterher. Kein Gast war unter 1,90 groß und wenn er es doch war, war er wenigstens so breit wie hoch! Augenklappen, Narben, Zahnprothesen, Tattoos, Waffen, Muskeln und Haarfett. Zwei oder drei Gesichter waren ihm schon aus den Zellen im Wachhaus bekannt und er hoffte inständig, dass dieser Umstand nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Der Raum war sehr hoch; doppelt so hoch, wie viele andere Erdgeschossräume in Ankh-Morpork. Das Haus sah auch von innen urig und alt aus.
"Was soll's sein, Kumpel?"
"Äh...einen Tee, bitte."
Der haarlose Gastwirt hob die Brauen und ging ohne ein weiteres Wort in die Küche.
Braggasch kletterte auf den einzigen freien Hocker und starrte verkrampft auf die verspiegelte, schmutzige Wand hinter dem Tresen. Seine Sitznachbarn waren zwei gekrümmte Hünen, die sich murmelnd unterhielten, während die Stimmung im Schankraum immer ausgelassener wurde. Durch den Spiegel konnte er sich weitestgehend ungeniert umsehen. Ihm fiel auf, dass auf der linken Seite alle Gäste das gleiche Wimpel-Abzeichen am Gürtel trugen und auf der rechten Seite alle ein anderes. Hin und wieder flog ein Krug vom linken Flügel des Schankraums in den rechten, gefolgt von wüsten Drohungen oder einem Antwort-Krug, aber die Situation eskalierte überraschenderweise nicht, denn meistens wurde danach herzlich gelacht. Braggasch erkannte eine "freundschaftliche Rivalität zwischen zwei potentiell gewalttätigen Gruppen (wie Gängs, Banden, Vereine und Schrebergärtnern)". Hatte die Lektüre des von Sebulon empfohlenen Püschologie-Handbuchs wohl doch noch etwas gebracht.
"Dein Tee."
Der Wirt stellte ihm einen dampfenden Krug auf den Tisch. Der Tee entpuppte sich als kochend heißes Bier mit Gartenkräutern; ein geschmackliches Fiasko, wie sich herausstellte.
Braggasch beobachtete alles durch die Spiegelwand. An jeder der beiden Tischgruppen saß ein besonders großer Brocken. Bei der linken Gruppe, sie trugen allesamt rote Abzeichen am Gürtel, saß ein blonder Schrank, der unentwegt seinen Sitznachbarn auf die Schultern, sich auf die Beine oder mit der Faust auf den Tisch schlug. Auf der anderen Seite, bei denen mit blauem Abzeichen, saß ein kantiger Bursche mit schwarzem Bart, der gerade eindrucksvoll einen Bierhumpen mit der bloßen, linken Hand zerfetzte. Anerkennender Beifall aus den eigenen Reihen.
"Äh ... Entschuldigung, was ist das für eine, äh ... Veranstaltung hier?", fragte Braggasch den Wirt.
"Das is' hier das Stammlokal von den beiden Sportvereinen da."
"Äh ... Sport?"
"Ja, hast mich schon verstanden. Links sitzen die Fröhlichen Faustsport-Freunde Ankh e.V. und rechts die Morporker Keiler-Kumpel e.V." Der Wirt wirkte sichtlich stolz und schaute zufrieden durch den Schankraum.
Ein dicker Bauch schob sich zwischen Braggasch und seinen linken Sitznachbarn.
"Randolf! Nochmal zwei Krüge für uns!" Der blonde Schrank hatte sich an Braggaschs Seite begeben um seine Bestellung aufzugeben. Der Zwerg schaute vorsichtig an ihm hoch. Nicht vorsichtig genug. Die Blicke trafen sich.
Mehr Spucke!

Der alte Mann schaute sich sein verschlissenes Abzeichen über dem Kamin an und vergaß für einen kurzen Augenblick, dass seine Zeit schon lange vorbei war. Er war immer stolz auf seine Truppe gewesen.
"Weiter! Wann hast du ihn denn endlich verpackt?", keifte der jüngste der drei Enkel.
"Na na na, Kinder, eine Geschichte ist nun mal eine Geschichte mit allem drum und dran, und die erzähle noch immer ich. Also langsam mit den jungen Pferden."
Leichtes Murren im Publikum.
"Da saß also dieser Zwerg, ein eindrucksvoller Kerl, aber ohne Manieren, wie sich später raussstellte. Und euer Opa hat sich gleich gedacht, das muss ein sonderbarer Kerl sein, wenn er da alleine zu unserem Jahrestreffen kommt. Ohne Abzeichen."


Der blonde Kerl kniff die Augen zusammen und schien innerlich sein Gedächtnis nach Strich und Faden auszuquetschen, um zu erfahren, woher er verdammt noch mal diesen Burschen kannte.
"Äh..."
"Steck mich in ein Kleid und nenn' mich Marie! Du bist doch der Bruder von Schmitti?! Der Barde!? Na Zwerg!"
Braggaschs rechte Schulter schmeckte die Pranke des blonden Kerls. Er konnte sich gerade noch am Tresen festhalten. "Äh... n..."
"Schmitti's Bruder!" brüllte er. Sein ganzes Gesicht schien freudenstrahlend zu grinsen. Sogar die fingerlange Narbe am Hals lächelte Braggasch freundlich zu.
"Äh..."
"Wie war noch gleich dein Name?!"
"Äh ... Braggasch Goldwart, hier muss eine Verwechs..."
"Brags! Braggy Brags! Brag O'Braggers McBrag, klaaaar! Ich erinnere mich!"
Braggasch wusste nicht, wie ihm geschah. Die Hand auf seiner Schulter drehte ihn auf seinem Hocker erbarmungslos in Richtung Schankraum, linker Flügel.
"Jungs! Kennt ihr noch Schmittis Bruder!? Braggasch, der Barde!"
Es wurde still im linken Flügel. Alles starrte auf Braggasch, den unangefochtenen Weltrekordhalter für den trockensten Hals aller Zeiten.
Nachdenkliche Stille, dann tosender Beifall. Humpen wurden ihm zum Gruß gehoben und zwitschernde Pfiffe hallten durch den Raum. Hilfesuchend schaute er den Wirt an, der ihm wiederum einen debilen, verwunderten Blick schenkte.
'Wieso ich?', dachte er panisch, 'Was geht hier vor? Verdammt! Verdammt! Verda...'
"Komm mit zu uns rüber! Schmittis Bruder ist auch unser Bruder! Jungs, jetzt wird richtig gefeiert!"
Braggasch wurde von seinem Hocker gerissen und badete in jenem tosenden Beifall, der ihn völlig aus dem Konzept brachte. Die vielen freundlichen Augen, teilweise sogar Augen-Paare, die Zwinkergrüße, die Schulterklopfer auf dem Weg zu den Tischgruppen. Er konnte sich dieses überwältigte Lächeln, das man bekommt, wenn man mit einem Brett mehrfach viel zu heftig vor den Kopf geschlagen und dafür noch bejubelt wird, nicht verkneifen.
"Brag's! Altes Haus!"
"Na, immer noch unterwegs auf weiter Flur, Bursche?"
Anscheinend hielt ihn jeder für Schmittis Bruder, den Barden. Wer auch immer Schmittis Bruder oder Schmitti sein mochten. Er wusste es nicht.
"Setz' dich zu mir, Bruder." Der blonde Typ hämmerte mit seiner Rechten auf einen Schemel neben ihm ein.
Braggasch setzte sich vorsichtig. Der Wirt brachte ihm seinen "Tee" an den Tisch.
"Was'n das? Is' das Bier? Is' das ... heißes Bier? Mit Kräutern?!", argwöhnte der blonde Kerl.
Braggasch lächelte verlegen. Er hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit der gesamten Truppe. "Äh ... ja, aber ..."
"Du Teufelskerl! Du musst ja völlig schmerzfrei sein!!"
Der Zuspruch seiner "Vereins-Freunde" warf ihn fast vom Schemel. Es hagelte Schulter- und Rückenklatscher. Braggasch hatte Mühe, Haltung zu bewahren. Was ging hier nur vor?
"Randolf! Schnaps!"

"Es entwickelte sich zum vermutlich besten Fest, das ich je erlebt habe!" Zven atmete tief durch, seine Augen leuchteten verklärt und sein Schlafzimmerblick streifte durch sein Publikum.
"Oh Mann! Hat er auch gesungen?"
"Ob er gesungen hat? Nein ..."
Enttäuschung, jemand hörte auf mit seinem Braggasch-Wimpel zu winken, ein anderer schniefte sogar ein bisschen.
"... er hat gezaubert! Eine Stimme, im ersten Moment zerbrechlich und klar wie die eines Engels - dann wieder mächtig und mitreißend, der eines Kriegs-Gottes gleich!"
Die Zuhörer spähten sehnsüchtig über die Grenzen ihrer eigenen Fantasie hinweg, doch wussten sie alle, dass sie niemals die Magie dieses Momentes auch nur erahnen konnten. Zven war in seinem Element. Es war fast so, als säße er erneut am Tische der Faustsport-Freunde und lauschte dem Gesang dieses Barden.


"Trink! Trink! Trink! Trink!"
Zitternd hob Braggasch den Becher. Der Schnaps roch nach einer Hitparade aus dem miesesten Fusel von ganz Ankh-Morpork. Die erwartungsvollen Blicke und das Crescendo aus "Trink! Trink! Trink!" ließen ihn den Becher zitternd an den Mund führen.
Für Braggasch lief alles in Zeitlupe ab, er sah in das Gesicht des blonden Kerls, der ihm väterlich zunickte, die Vereins-Mitglieder der Keiler-Kumpel schauten ab und zu verstohlen herüber. Der Trubel war ihnen schließlich nicht entgangen. Zwischen zwei jubelnden Faustsport-Freunden hindurch sah er geradewegs in zwei ihm durchaus bekannte Augen. Aber wer war der Kerl? Er trug einen langen Rauschebart, war kräftig gebaut und sah aus, wie ein räudiger Bär. Ihr Blick wurde von zwei anstoßenden Humpen getrennt und Braggasch hatte den Becher nun an den Lippen. Mit einem Stoßgebet an sonst wen kippte er den Inhalt in seinen Hals. Tosender Applaus. In diesem Moment überschlugen sich die Ereignisse in Braggasch selbst:
Während er das Gefühl hatte, dass sein Magen von der Esse eines Hufschmieds liebkost wurde, verengte sich die frisch gerodete Speiseröhre anscheinend zu einem kümmerlichen Strohhalm. Der Wunsch den Ankh leer zu trinken wurde immer konkreter und er sehnte sich nach einer gnädigen Ohnmacht. Ob er sein Augenlicht behalten würde? 'Bei allen Höllen, du bist ein Zwerg, verdammt, jetzt reiß dich zusammen Braggasch!', schalt er sich. Braggasch hustete ungehalten und hielt sich am Tisch fest!
"So wird's gemacht, Braggo! Du hast ja nen Zug drauf!" Der Blonde lachte laut auf. Mittlerweile hatte der Alkohol ein jedes Gemüt völlig im Griff.
"Hey Gottlieb, sag ihm, er soll was zum Besten geben!" lallte jemand aus der Menge.
"Hervorragende Idee!", antwortete der blonde Gottlieb.
"Braggasch, ich, Gottlieb Schnallenmacher, Vereinsvorsitzender der Faustsport-Freunde, bitte dich im Namen unserer munteren Truppe: Singe uns was vor."
Gottlieb ratterte feierlich seine Ansprache runter und Braggasch versuchte, gegen die einsetzende Lethargie anzukämpfen. Als er begriffen hatte, dass diese Bande von ihm verlangte, ein Lied zum Besten zu geben, wurde sein Kopf wieder klarer: 'Singen?! Ich?! Bitte nicht!!'
"Also, Braggasch!" Gottlieb hob schwungvoll die Hand und blaffte seine Truppe zusammen. "Haltet ihr jetzt endlich die Schnauze! Braggasch, der Barde, Schmitti's Bruder, singt uns gleich etwas vor. Also hört, hört!" Es wurde absolut still. Der Wirt hörte damit auf, die Humpen zu spülen, sogar die Keiler-Kumpel waren verstummt und schauten neugierig in Richtung Zwerg.
Zitternd stand Braggasch auf, unentschlossen, ob er eine Erklärung wagen sollte, ob er einfach davon rennen sollte oder ob er tatsächlich ...
"Äh ..."
Erwartungsvolle Blicke.
"Äh ..."
Gottlieb räusperte sich leise. Braggasch war heillos überfordert, der Alkohol stieg ihm in den Kopf und mit ihm stieg die Aussicht auf die erwünschte Ohnmacht. Doch plötzlich kribbelte es in Braggaschs Nacken. Ein Funken Mut entfachte den Alkohol zu einem lebhaften Feuerchen.
"Mein Zwergen-Määäääädchen war ... eine Minen-Maaagd ..."
Mit zittriger Stimme, irgendwo zwischen Alt und Sopran, begann Braggasch ein altes Zwergenlied zu singen. Eigentlich war es nicht Braggasch, der dort sang, es war viel mehr ein Duett aus Angst und Alkohol, verkleidet als überforderter Zwerg, der eigentlich nur in Ruhe seinen Feierabend genießen wollte.
"... sie war so schhhööön ... doch ... an diesem Taaag ..." Zwei gestandenen Ex-Söldnern schossen die Tränen in die Augen. Niemand rührte sich.
Braggasch wurde lauter, seine Stimme überschlug sich immer häufiger.
"... da gaaaab's ein Grollen ... im Stollen. Und aaaach und weeeeh, mein Mägdlein adeeeee!"
Braggasch selbst hatte nun ob der rührenden Erinnerung einen gewissen Glanz in den Augen. Und auch Gottlieb hatte einen verträumten, feuchten Blick. Ein Zwerg am anderen Tischende brach hemmungslos in Tränen aus, nur der Wirt machte ein gequältes Gesicht.
Nach vier Strophen setzte sich Braggasch wortlos auf seinen Platz. Stille.

"Ja, ein rührendes Stimmchen hatte er wohl, aber ich hatte kaum etwas getrunken und dann fehlt einem nun mal das nötige Feingefühl für so eine Musik."
"Hast du ihn lang gemacht?"
"Nicht so voreilig, mein Lieber!"
Der Junge verdrehte die Augen und lehnte sich zurück auf seinen Arm. Ungeduldiger kleiner Bursche, dachte der alte Mann. Er überlegte, ob er noch weiter ausholen oder ob er sich einfach nur eine neue Pfeife stopfen sollte, bevor es weiter ging.
"Und dann? Erzähl schon Opa, was hat dieser Braggarsch dann gemacht?" fragte die Kleinste seiner drei Enkelkinder.
"Dann? Dann begann der Wettstreit ..."


"Danke, Braggi!" schniefte Gottlieb und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
"Das war 'n kleines Stückchen Heimat, für jeden von uns!"
Die Faustsport-Freunde kamen allmählich wieder zu sich und Hände hämmerten anerkennend auf die Tische, stinkende, wildfremde Zwergenmänner umarmten den fassungslosen Wächter und die beiden Ex-Söldner schüttelten ihm minutenlang die Hände.
"Da singt ja jeder kastrierte Straßenhund besser, als der da!"
Zwei Dutzend Köpfe drehten sich ruckartig in Richtung rechter Flügel, Keiler-Kumpel.

"Sag das noch mal! Sag das noch mal!"
"Wie ein kastrierter Straßenköter!"
"Pass auf, dass dir deine mickrigen Zahnstocher-Ärmchen nicht wegbrechen, wenn ..."
"Ach ja? Braggasch hier ist der beste Barde ..."
"Komm ruhig her, klären wir gleich hier!"
Der Tumult wurde immer größer, noch wurde niemand wirklich handgreiflich, aber der Wirt hatte bereits gekonnt und routiniert die Spiegel abgehangen und den teuren Schnaps aus den Regalen genommen. Er setzte sich einen Eimer auf den Kopf und wartete.
"Sind das deine Fäuste oder bloß zwei alte Kartoffeln?"
"Für die Bemerkung haue ich dir die Zähne raus!"
"Ein Keiler-Kumpel hat noch jeden Faustsport-Freund platt gemacht!"
"Keinen Zahn im Maul aber auf dem Marktplatz La Paloma pfeifen, hm?!"

Die ersten Kragen waren bereits gepackt, die ersten Augen blau und die ersten Krüge zerschollen, als auf einmal ein Horn erklang. Braggasch hatte die ganze Zeit reglos auf seinem Platz gesessen und begriff erst in diesem Moment, was hier wirklich vor sich ging. Dieses Gasthaus voller Profi-Schläger wurde gerade zum Austragungsort der vermutlich heftigste Tavernen-Schlägerei des Jahres. Doch da war ja dieser Hornstoß, welcher schlagartig bei der Hälfte der Gäste Kopfschmerzen verursachte und zumindest für einen Moment der Ruhe sorgte.
"Ich unterbreche die Festlichkeiten und weise auf den gemeinsamen Paragraphen 127 beider Vereins-Satzungen hin!"
Der seltsame Kerl mit dem Rauschebart, der Braggasch ohnehin schon aufgefallen war, stand auf einer Bank und hatte das Horn noch fast am Mund, als er laut und deutlich auf jenen Paragraphen hinwies. Und dann roch es plötzlich nach Himbeer.

"Oh man! Der Paragraph 127 ..."
Zven's Zuhörer nickten ehrfürchtig.
"Ja ... wir ihr alle wisst, tritt Nummer 127 in Kraft ...", Zven sprang von seinem Stuhl und rezitierte den Paragraphen, während er bedächtig durch die Reihen seiner Zuhörer wandelte, "... wenn es, außerhalb der gültigen Wettbewerbe, zwischen zwei oder mehr traditionellen, von der D.R.E.SCH. [1] anerkannten Vereinen zu einer Auseinandersetzung um Ehre und Ruhm kommt. Er beschreibt, wie in einer solchen Situation vorzugehen ist.
Es wird ein Drei-Kampf in den gängigen Disziplinen der D.R.E.SCH.-Vereinigung begonnen, die in Paragraph 12 der D.R.E.SCH.-Gesetze beschrieben sind. Jeder involvierte Verein hat das Recht, eine Disziplin festzulegen, in der ein oder mehrere Mitglieder eines jeden Vereins, abhängig von der Wahl der Disziplinen, seinen Verein vertritt. Die dritte Disziplin ist in jedem Falle "Schmeiß weg!". Bei mehr als zwei involvierten Vereinen findet, anstelle eines Drei-Kampfes, ein Turnier statt."


"Also wird ein kleiner Wettbewerb ausgerufen. Der Gewinner darf das Abzeichen des anderen Vereins am Gürtel tragen, unter dem eigenen. Ein großer Erfolg, für den anderen Verein jedoch eine schlimme Niederlage!" Der alte Mann blickte in die Vitrine am Ende des Wohnzimmers und sortierte seine Erinnerungen.
"Und wer hat gewonnen?"
"Ungeduldige halbe Portionen habe ich als Enkel!"


"... ist somit nach diesem Paragraphen zu erfüllen."
Erstaunte Blicke, Fäuste entspannten sich. Niemals zuvor in der Geschichte beider Vereine war es zu dieser sehr seltenen, riskanten, aber auch reizvollen Herausforderung gekommen. Jeder im Raum wusste, was auf dem Spiel stehen würde und alle schauten noch immer gebannt auf den seltsamen, bärtigen Hühnen, der bei den Keiler-Kumpeln auf einem Tisch stand und gerade den Paragraphen zitiert hatte.
Gottlieb löste seine Starre und arbeitete sich zu eben jenem Tisch vor.
"Na, da hat aber einer schon den Braten gerochen, hm? Ganz schön riskantes Manöver, Freundchen."
"Ich sage nur, was die D.R.E.SCH in einem solchen Falle vorsieht."
"Freundchen, das is' nicht das erste mal, dass wir die ganze Sache eher ... traditionell klären. Niemand muss so weit gehen und ..."
"Schiss?"
Der Vorsitzende der Keiler-Kumpel war aufgestanden und ging auf Gottlieb zu.
"Arnulf, alter Kumpel, sag bloß, das war von vornherein dein Plan?" Gottlieb wog einen Humpen in seiner Hand auf und ab und beäugte ihn von allen Seiten.
"Weißt du, Gottlieb, das war es nich', aber mein junger, ungestümer Keiler-Kumpel hier hat irgendwie Recht. Wozu gibt es sonst diese Regel? Und ja, es ist sicher riskant, aber der Gottlieb, den ich kenne, hat bisher noch jeder Herausforderung ins Gesicht geblickt."
Braggasch beobachtete das Szenario, während sein Geist langsam wieder zu sich fand und die Angst aus den Gliedern wich. Was war da los? Ein Turnier? Und woran erinnerte ihn dieser Geruch in der Luft? Das konnte doch nur ...
"Menélaos ..." flüsterte Braggasch vor sich hin. Jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Der Mann auf dem Tisch war niemand geringeres als Menélaos Schmelz, mit diesem albernen, falschen Rauschebart. Braggasch hatte seinen alten Freund seit Monaten nicht gesehen. Anfragen nach dem Verbleib des Gefreiten wurden von Rea konsequent mit "SEAL-interne Angelegenheit, Goldwart" beantwortet. Was machte der ausgerechnet hier? Hatte er sich in die Szene dieser Keiler-Kumpel eingelebt oder war gerade verdeckt unterwegs?
Gottlieb stellte den Humpen ab, atmete tief aus und drehte sich zu seinen Vereinsfreunden um.
"Jungs! Braggy! Was meint ihr: Versohlen wir heute ein paar Frischlinge zur Feier des Tages?"
"HEY JA!" ertönte es aus den Reihen der Faustsport-Freunde.
"Und was meint ihr?" rief Arnulf seinen Keilern zu, "Geben wir unseren Freunden eine kleine Nachhilfestunde?"
"HEY JA!" riefen die Kumpel.
Arnulf und Gottlieb gaben sich lautstark die Hand und nickten sich bedeutungsvoll zu. Unter Beifall von beiden Seiten wurde er beschlossen, der Dreikampf.

"Oh man, ein Turnier! Welche Disziplinen?", fragte ein recht neues Gesicht aus Zvens Publikum.
"Zwei der schwierigsten Disziplinen wurden gewählt. Und die dritte war natürlich die 'Schmeiß weg!'-Finalrunde."
"Was ist eigentlich, wenn ein Verein bereits die beiden ersten Runden gewonnen hat?"
"Das ..." Zven stockte und zuckte mit den Schultern. "... ist wohl egal. Wer Runde drei gewinnt, hat gewonnen. So steht es in den Regeln."
"Oh."


Braggaschs Arme waren zwischen einigen anderen Armen und Schultern eingeklemmt, seine Beine schwebten über dem Fußboden. Die Faustsport-Freunde hatten zur Tiehm-Besprechung einen Kreis gebildet und die Arme auf die Schultern des jeweiligen Nachbarn gelegt. Braggasch wollte nur noch nach Hause. Sein Kopf wurde wieder klarer und mit der Klarheit kam der Schmerz. Er wollte doch nur etwas trinken und eine große Schüssel Eintopf essen. Jetzt befand er sich stattdessen mitten in einer Art Tavernen-Olympiade um Ruhm und Ehre.
"Also Jungs! Braggi! Irgendwelche Vorschläge? Welche Disziplin wählen wir? Und wer tritt für uns in Runde eins an?"
"Äh ..."
"Steinkopf! Wir spielen Steinkopf!"
"Nein, Knöchel-Kniffel! Klonk ist super im Knöchel-Kniffel!"
"Ich bin für Nase platt!"
Eine bunte Diskussion über Sportarten, von denen Braggasch noch nie etwas gehört hatte, brach los und eine klang eindrucksvoller und brutaler als die andere.
"Pssscht! In Ordnung, wir klären das später. Bevor ich's vergesse." Gottlieb löst sich aus dem Knäuel-Kreis und kramte in einem Lederbeutel, der an seinem Gürtel hing.
"Hier Bragso, dein Abzeichen! Gehörst nun offiziell zu uns! Wir brauchen dich vielleicht!" Braggasch hing weiterhin hilflos in der Luft und sah zu, wie Gottlieb das Abzeichen an seinen Gürtel hing.
"Du wirst später standesgemäß begrüßt, Freund. Wir müssen nu' auslosen, welche Disziplin wir spielen wollen."
"Hey Braggasch soll entscheiden!"
"Ja Braggy!"
Alle waren sich einig, das Braggasch aussuchen sollte, wer und wie derjenige durch die Mangel genommen werden würde.
"Äh ... können wir das nicht anders, äh, klären?"
"Anders? Wie anders?" Gottlieb runzelte die Stirn und schaute den Wächter eindringlich an.
"Naja ... äh..."
"Braggy, hier steht unsere Ehre auf'm Spiel. Jahrelange Vereinstradition, Erfolge und Errungenschaften, das alles wird hier und heute verteidigt. Also, Schmittis Bruder, was soll's sein?"
"Äh ... Ich ..." Braggasch war in diesen Belangen hilflos wie ein verwundeter Welpe im Haifischbecken. Er hing zwischen zwei muskulösen Armen und den passenden Schultern eingeklemmt in der Luft und man hielt ihn noch immer für einen ausgemachten Kenner des Sports. Und obendrein für den Barden-Bruder dieses Schmitti-Typen.
"R..."
"...EISE NACH ANKH MORPORK!" schmetterten alle, wie aus einem Mund. Nur Braggasch, der eigentlich "Ringen" vorschlagen wollte, stand die Irritation mehr denn je an diesem Abend ins Gesicht geschrieben.
"Ha! Ich wusste du hast'n Riecher für sowas, Braggo!" Gottlieb löste sich aus dem Kreis, der sich darauf hin auflöste und ging zum Tresen.
"Randolf! Schreib alles auf die Vereinsrechnungen. Du hast ja gehört, was jetzt los is'."
Randolf hatte es gehört und bereits sämtliche Gläser, Steinhumpen und das Geschirr in die Küche gebracht. Er hatte die Türe zum Hinterzimmer ausgehebelt und sich bereits hinter Tür und Thresen in Sicherheit gebracht. Er nickte Gottlieb knapp zu und rückte seinen Eimer gerade.
Der Kreis der Keiler-Kumpel löste sich nun ebenfalls auf. Arnulf trat hervor und lehnte sich an die Theke.
"Und? Was soll es sein, Gottlieb? Aber denk dran: Wir sind der ältere Verein, wir haben den Vortritt."
"Tja, das stimmt, Arni, altes Haus." Gottlieb grinste. "Dann wirst du dich auf Runde zwei freuen, denn wir wählen die 'Reise nach Ankh Morpork'!"
"Uhhhhhhh..." ertönte es aus dem Keiler-Kumpel-Flügel. Damit hatten sie nicht gerechnet. Gottlieb kicherte.
"Tja, Arni, ich hoffe du hast nich' vergessen, wer die letzten drei Meisterschaften gewonnen hat."
Arnulf wirkte tatsächlich etwas angeknittert.
"Naja, dann wirst du dich sicher auf die erste Runde freuen. Wir haben uns nämlich für "Dreh die Scheibe" entschieden."
"Uhhhhhhh..." ertönte es diesmal von der anderen Seite. Braggasch verstand nur 'Marktplatz'. Er suchte den Blick von Menélaos und konnte es kaum erwarten, endlich mit einem normalen Menschen zu sprechen. Menélaos starrte geradewegs zurück und schüttelte die Hand in der Luft, als hätte er sich verbrannt: Das würde eine harte Nummer werden.
'Verrückte. Das sind doch alles Irre.', dachte der Zwerg.

"Dreh die Scheibe!"
Zvens Zuhörer unterhielten sich angeregt über eine der beliebtesten Disziplinen aus dem D.R.E.SCH.-Katalog.
"Pssscht! Ja, 'Dreh die Scheibe!" kennen wir alle, lieben wir alle, ein großer Sport! Standfestigkeit, Zähigkeit und Mut sind nötig, um zu bestehen." Zven erkämpfte sich das Wort zurück. "Aber noch ist die große Stunde unseres Helden nicht gekommen!"


Jakob stand angespannt in Hab-Acht-Stellung bereit und wartete. Er durfte nicht parieren und nicht ausweichen. Er musste es nehmen, wie es kam. Randolf hatte sich vor die Türe gewagt und sogar seine Tresen-Barrikade verlassen, um bei diesem eher gesitteten Sport als Unparteiischer zu fungieren. Er stand etwas versetzt zwischen den beiden Kontrahenten. Die beiden Fraktionen hatten es sich auf den Tischen und Stühlen an den Wänden des Gasthauses gemütlich gemacht und feuerten ihren jeweiligen Vertreter an. Wetten wurden angenommen, Bierhumpen verteilt.
Jakob atmete tief aus und nickte Randolf zu. Der Wirt bückte sich und drehte an dem kleinen Pfeil auf der Pappscheibe, die extra für diesen Sport erfunden wurde. Gebannt schaute das Publikum auf den kleinen Pfeil, bis er schließlich stehen blieb.
"Linke Faust auf rechtes Auge!"
Peng! Jakobs rechtes Auge schwoll augenblicklich zu, als die starke Linke seines Gegners unbarmherzig auf das Jochbein krachte. Er wankte, blieb jedoch stehen. Applaus aus den Reihen der Faustsport-Freunde.
"Was für ein Schlag! Das muss man diesem Kerl lassen." Gottlieb rieb sich am Kinn und schaute Jakob zu, der sich tapfer wieder in die Ausgangsposition brachte.
Sein Gegner, der Keiler-Kumpel Frennrich, war eine Naturgewalt aus Haaren und Muskeln. Zufrieden betrachtete er seine Faust und fummelte an den Bandagen herum.
"Jakob! Zeig's dem Frischling!"
Jakob war ein junger, athletischer Mann, mit rotem Schnurrbart und kurzen, stoppeligen Haaren auf dem Kopf.
Randolf drehte erneut. "Rechter Ellenbogen in den Magen!"
Zack! Wie aus einem Guss wirbelte Jakob herum und hämmerte seinen Ellenbogen tief in Frennrichs Bauch. Ächzend machte dieser zwei Schritte zurück und krümmte sich, ob der ungeahnten Kraft, die der Wall aus Bauchmuskeln und Fett nicht aufhalten konnte. Langsam richtete er sich wieder auf und trottete zurück auf seine Markierung. Jubel aus der Keiler-Fraktion!
Braggasch war fasziniert. Nein, er war vielmehr zugleich schockiert über diesen barbarischen Sport und gespannt, wie es weiter ging. Außerdem war er - scheiße nochmal - froh, dass es ihn nicht erwischt hatte. Er linste zur Tavernen-Türe. Wurde bewacht. Mist. Keine Chance seine "Kameraden" hängen zu lassen. Er suchte Menélaos, fand ihn auch in der Menge der Keiler, doch er steckte, genau wie Braggasch, bei seinen Leuten fest. Wenn sie doch nur miteinander reden könnten, ohne Argwohn zu ernten. Diese seltsamen Schläger waren irre und gefährlich.
"Kopf auf Kopf!"
Mit einem Krachen hämmerte Fennrich seine Stirn auf Jakobs Kopf. Der taumelte zurück und konnte gerade noch vermeiden, sich an einer Wand abzustützen, was zur Disqualifikation geführt hätte. Langsam torkelte er stöhnend zu seiner Markierung. Er hob unter Jubel der Faustsport-Freunde die Hand als Zeichen seiner Standhaftigkeit. Braggasch war erschüttert. Er selbst wäre vermutlich durch die Bodendielen in den Keller gekracht, mit gestauchtem Hals und gebrochenem Schädel. Blut tropfte aus aus einer Platzwunde auf Jakobs Stirn.
"Rechtes Knie ..." Randolf zögerte und schluckte.
Die Menge hielt den Atem an.
"In die Leiste!"
"Der Tschoker!" rief Gottlieb vor lauter Euphorie.
Ratosch! Jakob hatte mit Hilfe einer Volldrehung genug Schwung geholt und sein Knie in der Leiste des armen Frennrich versenkt. Gekrümmt und mit aufgerissenen Augen kippte dieser langsam, ganz langsam, nach hinten um und ergab sich der seligen Ruhe einer Ohnmacht.
Die Keiler-Kumpel waren fassungslos. Ein Tschoker, das kam wirklich sehr selten vor. Sie hatten in ihrer Parade-Disziplin eine bittere Niederlage eingesteckt. Jakob saß mittlerweile auf den Schultern seiner Vereins-Freunde und wurde frenetisch gefeiert.
"Bravo Jakob! Hab immer gewusst, dass du das packen kannst!" Gottlieb lehnte sich zufrieden zurück.
"Ahhh Braggasch, was für'n Triumph. Die Schweine-Kumpel da drüben tun mir fast 'n bisschen Leid."
Tatsächlich sahen die Kumpel-Keiler ziemlich traurig aus der Wäsche. Zwei von ihnen halfen dem stöhnenden Frennrich wieder auf die Beine.
"Braggo, alles in Ordnung?"
Braggasch ertappte sich dabei, wie er anscheinend im Moment des Aufpralls beide Hände schützend um die eigenen Kronjuwelen gelegt und sein Gesicht zu einer mitfühlenden, schmerzerfüllten Grimasse verzogen hatte. Langsam löste er seine erstarrte Haltung.
"Äh ja. Alles gut. Wo, äh, ist denn der Abort eigentlich hier?"
"Treppe runter, Braggy, kannste nicht verfehlen."
Endlich eine Möglichkeit, etwas Abstand zwischen sich und diese Irren zu bekommen.

Braggasch hatte das Ende der Treppe noch nicht erreicht, als er schwere Schritte hinter ihm hörte.
"Was beim schmelzenden Zuckerhut machst du denn hier?" Menélaos trat in den Schein des fahlen Kellerlichts und grinste Braggasch kopfschüttelnd an.
"Mené! Ich ... was ... äh, was geht hier eigentlich vor?" Braggasch atmete tief ein und versuchte die vielen Fragen in seinem Kopf zu sortieren.
"Ich brauche Informationen über die D.R.E.SCH.-Vereine in Ankh-Morpork. Wir haben kaum Informationen über Gepflogenheiten, Statuten, Mitgliederzahlen, Traditionen und Einstellungen, dabei gibt es diese Gruppierungen schon seit einer kleinen Ewigkeit. Sie bleiben viel unter sich, die Faustsportler. Sind ein bisschen wie fahrendes Volk. Nur nicht fahrend, eben." Menélaos erklärte schnell und kurz, dass er auf keinen Fall auffliegen durfte und dass Braggasch sich einfach zurückhalten sollte. Außerdem hatte er den Paragraphen nur ausgerufen, damit die Situation nicht völlig eskalierte und bei einem Auftritt der Stadtwache seine Tarnung vielleicht aufgeflogen wäre, was er nicht riskieren wollte.
"Kann ... kann ich nicht einfach gehen?" Braggasch wirkte ein wenig verzweifelt.
"Nein." Mené zeigte auf das rote Abzeichen an Braggaschs Gürtel. "Du gehörst jetzt zu ihnen. Jeder steht und fällt füreinander."

"Was ist die Reise nach Ankh Morpork, Opa?"
"Naja Kinder, das ist ebenfalls ein Sport für Erwachsene. Man nimmt einen Stuhl und stellt ihn in die Mitte von einem Raum."
"Und dann?" Die kleine Enkelin rutschte ungeduldig hin und her.
Der alte Mann stand auf und legte noch zwei Scheite Holz ins Feuer, bevor er nach seiner Tabakdose griff und sich wieder in seinen Sessel fallen ließ. "Dann, ja dann spielt jemand Musik oder singt, in der Regel ein Schiedsrichter. Und alle laufen um den Stuhl herum, bis die Musik ausgeht."
"Und dann?"
"Dann geht es richtig los ..."


Randolf der Wirt hatte gerade eine besonders krächzende Version von "Hopp springt das Wiesel" auf einer alten Bratsche angestimmt, als seine gesamte Kundschaft begann, sich um den einen Stuhl in der Mitte des Raumes zu bewegen. Lauernd, den Blick auf den Stuhl gerichtet, schlichen sie wie massive Raubkatzen um den armen, kleinen Stuhl, mit der ohnehin schon angeknacksten Rückenlehne, herum. Braggasch trottete ebenfalls im Kreise. Er würde einen Teufel tun sich darum zu schlagen, den Stuhl zu erobern.
Als Randolf gerade in Fahrt gekommen war, riss plötzlich eine Saite und er hörte auf zu spielen. Das Ergebnis war ein eindrucksvolles Spektakel und der vermutlich größte Schweinehaufen, den Braggasch je erlebt hatte. Wie von der Tarantel gestochen schossen sämtliche Keiler-Kumpel und Faustsport-Freunde auf den Stuhl zu[2]. Die ersten Brecher brandeten gnadenlos gegeneinander, Freund und Feind wurden begraben, einige flogen auch zur Seite oder nach oben hinweg, wenn denn Platz war. Braggasch hatte sich mit einem Satz nach hinten in Sicherheit gebracht. Menélaos gab sich Mühe, nicht zu energisch zu wirken; er prügelte sich etwas außerhalb mit einem Zwerg der Faustsport-Freunde. Doch da stand noch jemand Drittes, der ebenfalls keine Anstalten machte, sich ins Getümmel zu stürzen. Ein unauffälliger, eher hagerer Kerl mit schwarzen Haaren und einer ungesunden Bleiche. Verlegen lächelte er Braggasch zu, an seinem Gürtel hing das Zeichen der Keiler-Fraktion. Dann widmete er sich wieder dem Berg und machte ab und zu Anstalten, als wolle er seinen ganzen Mut zusammen nehmen und mitmischen.
Das Getümmel lichtete sich und die Schlägereien verteilten sich im Raum. Viele lagen abgekämpft auf dem Boden, einige auf dem Tresen, einer war sogar die Treppe in den Keller hinunter gepoltert und schlurfte gerade wieder hoch, als ihn die Reste des Stuhls trafen. Die Meute stürmte auf die Treppe zu und der Kampf verlagerte sich zeitweise in den Keller. Randolf hatte Position hinter Tür und Tresen eingenommen. Von dort aus verfolgte er in Ruhe das Geschehen.
Nach über zehn Minuten rangen noch ein Dutzend Leute um den kleinen Haufen groben Sägemehls, der es erneut aus dem Keller nach oben geschafft hatte. Niemand schien sich um Braggasch oder den hageren Kerl auf der anderen Seite zu kümmern. Sie waren viel zu sehr mit der Prügelei und dem Stuhl beschäftigt. Eben jener bestand nun tatsächlich nur noch aus der stark beschädigten Sitzfläche. Doch das hinderte Arnulf nicht daran, Gottlieb mit diesem Stück Holz endgültig auszuknocken. Ein dumpfer Schlag und der Vorsitzende der Faustsport-Freunde Ankh e.V. lag auf dem Rücken. Dann ging alles ganz schnell. Nachdem am Ende noch ganze zwei Keiler standen, setzte sich Arnulf auf den Rest des Stuhls. Randolf kam vorsichtig hervor und zählte bis zehn. Niemand war mehr in der Lage das wandelnde Hämatom in Form von Arnulf aufzuhalten, mit Ausnahme von Braggasch vielleicht, der sich jedoch vornehm zurück hielt. Sieg für die Keiler-Kumpel e.V.
Stöhnen, sonst Stille.
"Super gemacht, Pa!" Der blasse junge Mann sprang auf seinen vermeintlichen Vater zu und umarmte ihn.

"Whoaaa! Und Braggasch hat nichts unternommen?"
"Nein, er war viel zu weise, um seine Energie in einer Runde-zwei-Disziplin zu verschwenden." Zven nickte bekräftigend und sprang von seinem Stuhl. "Er wusste einfach, dass er seine Kräfte noch brauchen würde! Es stand also eins zu eins."
"Ist doch eh egal!" rief jemand.
"Naja, aber nur weil Runde drei zählt, heißt das noch lange nicht, dass ..."
"Blödsinn, die Regel! Wofür dann...au!"
"Danke, Bronko." Zven nickte seiner helfenden Hand zu. Der Zweifler war still, er konnte zum Finale ansetzen.
"Die letzte Disziplin war die wohl bedeutendste Turnier-Runde in der Geschichte der beiden Vereine: Schmeiß weg!"


Es war ein Bild des Jammerns. Auf provisorischen Krücken, auf Freund oder Feind gestützt, liegend oder sitzend versammelten sich die beiden Vereine in der Taverne um die Konditionen für die letzte Runde zu bereden. Menélaos hatte es übel erwischt. Völlig abgekämpft saß er auf einem Tisch, versprühte einen sanften Haselnussduft und kühlte seine geschwollenen Knie mit einem Steak. Auch Gottlieb kühlte die zahlreichen Beulen auf seinem Kopf. Es schien wie ein Wunder, dass niemand zu Tode gekommen war. Randolf versorgte gekonnt Platzwunden und Brüche. Nur die beiden Türwachen, Braggasch und Arnulfs Sohn konnten noch gerade stehen.
"Wir...wir..." begann Arnulf, war jedoch noch immer zu erschöpft, um einen halbwegs geraden Satz heraus zu bringen.
"Und...wir...wir..." Gottlieb stand ihm in nichts nach.
"Wir...mein Sohn...Norman...wird...muss..."
"Braggasch...muss...wird..."
Braggasch konnte nur erahnen, was das Gestammel zu bedeuten hatte. Er sah im Gesicht des jungen Mannes gegenüber, dass nicht nur er alleine entsetzt war, ob der Dinge die da kommen sollten.
"Braggo!" Gottlieb humpelte auf den Wächter zu.
"Du bist der Einzige ... der das hier ... einigermaßen ... überstanden hat ... wie es scheint." Er setzte sich auf einen Stuhl und verzog das Gesicht. "Du musst für uns ... ran, Brags!"
"Aber, äh, ich ..."
"Du bist einer von uns, Braggers ... einer für alle un'so ..."

"Und da stand ich nun, alleine gegen diesen Zwerg."
"Und dann hast du ihm die Prügel seines Lebens gegeben?"
"Wir haben uns nichts geschenkt!"


Wie auf dem Weg zum Schafott machten sich Braggasch und sein Gegner auf dem Weg in die "Luxus-Swiet"[3] der Taverne, um die finale Runde auszufechten, wie ganze Männer, eins gegen eins. Die Regeln waren, wie sollte es anders sein, denkbar einfach. Eine Schlägerei nach Herzenslust, Gewinner werde derjenige, der seinen Gegner über den Handlauf des Balkons nach draußen befördern konnte.[4]. Aus Erfahrung wurden seit Jahren keine Schiedsrichter mehr eingesetzt. Dauerte der Kampf ausgesprochen lange, wurde in regelmäßigen Abständen ein Unparteiischer hoch geschickt, der sich die Sache kurz ansaht, um dann wieder in Deckung zu gehen. Die rivalisierenden Vereine hatten sich einigermaßen berappelt und feuerten ihre beiden Kontrahenten an, während diese nervös die Treppe hinaufstiegen.
Braggasch hatte es befürchtet, er war mehr mitten drin, als jemand mitten drin sein konnte. Die ganze Sache hing nun irgendwie an ihm. Menélaos hatte nur die Finger für ihn kreuzen können, denn er selber war völlig abgekämpft. Doch es gab eben auch eine gute Nachricht: Wenn Braggasch es, rein physisch, mit irgendwem aus dem gesamten Haus aufnehmen konnte, dann war es wohl der junge, schmächtige Sohn von Arnulf. Braggasch beäugte den jungen Norman, wie er neben ihm die Treppe hoch schlich. Dieser wirkte ebenfalls nervös und schaute immer wieder über seine Schulter direkt in die Augen seines Vaters, der ausgesprochen ernst den Blick erwiderte und seine Stirn zweifelnd in Falten legte, ihm jedoch beide Daumen hoch hielt. Der Junge trottete weiter und schaute von nun an auf den Boden.
Um die Ecke gebogen hörten die beiden, wie die Tavernen-Tür heftig gegen die Wand knallte. Geschlossen hasteten sämtliche Mitglieder beider Vereine nach draußen, um sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen. Braggasch schluckte, als er vor der Türe der Swiet stehen blieb und vorsichtig zu Norman rüber blickte. Zwei paar nervöse Augen blickten sich an.
"Ich ... ich schließe auf", murmelte Norman und tat es. Gemeinsam gingen die beiden in ihre Arena. Norman zündete eine Kerze auf einem alten Nachttisch an. "Wir müssen jetzt auf den Balkon und uns die Hand geben", sagte er und begab sich ausdruckslos zur Balkontür. Lauter Jubel schlug ihm entgegen und ein eiskalter Wind pfiff durch das Zimmer, ließ die Kerze flackern.
Braggasch trottete zum Balkon. Er konnte gerade so über die Brüstung des kleinen Balkons schauen, als er durch den Rauch hindurch, der aus dem Nachbarhaus-Schornstein quoll, die Umrisse und Schemen der Zuschauer wahr nahm. Einige der wenigen Passanten waren stehen geblieben und schauten neugierig zu ihnen hoch. Die brüllende Meute würde früher oder später die Wache anziehen. Braggasch stellte sich vor, wie einige Wächter die ganze Veranstaltung, die ja sicher nicht als Solche ausgelegt war, auflösen und alle nach Hause schicken würden.
"Hey, Braggasch." Norman schaute gebannt über den Balkon und winkte zaghaft. "Sie jubeln uns zu. Sie jubeln mir zu." Norman drehte sich zu Braggasch um. Er schaute ihn eindringlich an. Er war kein Krieger oder Athlet. Er sah weder wie einer aus, noch gebärdete er sich wie einer. Er zitterte leicht, obwohl er sich, genau wie Braggasch, den Mantel übergezogen hatte.
"Auf einen ... fairen Kampf!" Er streckte seine schlotternde Hand aus und Braggasch nahm sie.
"Und, äh, jetzt?" fragte der Wächter und hustete, als ein Stoß Qualm ihn direkt einhüllte.
"Ich ... ich kann das nicht." Norman eilte durch die Türe zurück in die Swiet. Braggasch ging ihm hinterher. "Herzlichen Glückwunsch, du hast das große Los gezogen, den einzigen Feigling der Keiler-Kumpel. Mach es kurz, bitte." Norman hatte seinen klitsch-nassen Mantel auf den Boden gepfeffert, sich auf eine alte Kommode gesetzt und nun starrte er auf den Boden.
"Ähm, ehrlich gesagt habe ich auch keine große Lust, mich zu schlagen."

"Von allen Seiten kamen Zuschauer! Die Leute aus den umliegenden Häusern hatten die Fenster geöffnet und einige brachten Fackeln mit. Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin-Schnapper verkaufte Glühwein[5] und Würstchen im Schlafrock. Es war richtig was los! Braggasch ..."
"Ja! Braggasch!"
"Ja ... wie ich sagte, Braggasch ... begrüßte uns vom Balkon aus und reichte seinem Gegner die Hand, wie es nun einmal üblich ist. Durch den Qualm und den Schnee hindurch sah man das Blitzen in ihren Augen und jeder wusste: Das wird kein Blumenpflücken!"


Gottlieb versuchte durch den Qualm irgendetwas zu erkennen, doch das Zimmer war nur spärlich beleuchtet und aufgrund der murmelnden Zuschauer und des pfeifenden Windes konnte er nicht viel hören.
"Verdammt! Haben sie schon angefangen?"
"Keine Ahnung! Vielleicht haben sie noch eine währbahle Auseinandersetzung, bevor sie richtig los legen." meinte ein Keiler.
"Is' ja eigentlich verboten, währ... na, du weißt ja, was damals beim Donnerkopf e.V. während des letzten Rübenfeld-Sportfests passiert ist."
"Ja klar, war 'ne schlimme Sache. Gunnar hat fünf ganze Tage durchgeweint. Seine Mutter war außerdem gar nicht so ungla..."
"Da! Ich glaube, ich hab was gesehen! Ach nee, doch nicht."
"Was treiben die bloß?"
"Das ist doch gerade das Spannende!"
"Halt doch du die Klappe!"

"Und wenn wir den Kampf einfach absagen?" Braggasch hatte sich neben Norman gegen einen alten Sekretär gelehnt.
"Damit ich als die Schandes des Vereins und als schwarzes Schaf der Familie in die Geschichte eingehe?" Norman wirkte ratlos und schaute immer wieder nervös in Richtung Balkon. Plötzlich riss er die Augen auf und schaute Braggasch eindringlich an.
"Kann ich dich nicht einfach ... du weißt schon?" Er nickte in Richtung Balkon.
"Naja, hör mal, ich bin zwar kein, äh, Profi-Sportler, aber ich glaube, dass genau das dazu, äh, führen würde, dass ich letzten Endes die Entehrung des Vereins verschulde und ... äh ... naja, vermutlich die Wut mancher dieser mächtig betrunkenen Sportsfreunde zu spüren bekommen werde."
Norman nickte nur und winkte ab. Braggasch wollte dem armen Kerl wirklich gerne helfen, aber sein eigenes Leben zu riskieren, außer Dienst, für diesen bescheuerten Selbstmörder-Sport - überhaupt! 'Nein, Braggasch, nein, du denkst nicht mal im Traum daran, hast du verstanden? Die nehmen dich auseinander! Los, denk nach, na komm schon, dir fällt bestimmt etwas ...'
"Sag mal Norman, was passiert eigentlich, wenn ..."
In diesem Moment knallte die Türe auf und Randolf platzte ins Zimmer. Durch den Windstoß ging die Kerze aus und er tastete sich etwas vorsichtiger in den Raum.
"Jungs? Was macht ihr so lange? Man hört niiiiiiiiaaargh..."

Gottlieb und Arnulf wollten gerade Bier aus der Taverne holen gehen, als Randolf mit einem Krachen durch die Holztüre des Balkons brach und mit Wucht über den Handlauf flog, bis sein Sturz von einem Haufen Schnee gebremst wurde. Tosender Applaus für den anderthalbfachen Salto!
"Man, die scheinen sich da oben nichts zu schenken!"
"Weiter so! Das war bestimmt mein Junge!"
Die Zuschauer fingen nun richtig an, die beiden anzufeuern und mittlerweile war auch die Stadtwache eingetroffen. Gottlieb sah das und drängte sich durch die Masse zu den beiden Wächtern, die ein wenig perplex am Rande der Menschenmenge standen und sich unterhielten.
"He da! Wächter! Wir haben 'ne Genehmigung!"
"Hm?" Ruppert ag LochMoloch widmete sich dem blonden Riesen.
"Wir ham eine Geneeehmigung!", wiederholte Gottlieb langgezogen.
"Oh, ja, wir wissen Bescheid, wir sind nur ... zufällig hier." Ruppert lächelte und widmete sich wieder abwechselnd dem Balkon und seinem Kollegen Ettark Bergig, der ziemlich zufrieden aussah.
"Mal sehen, wie sich der Zwerg schlägt", kicherte er.
Gottlieb war etwas verdutzt, ob dem Mangel an Ärger und Diskussion, zuckte dann mit denn Schultern und begab sich zurück in die Menge.
"Hoffen wir das Beste! Mit den Jungs ist nicht besonders gut Kirschen essen, wenn es Probleme gibt. Weißt du, wer uns den Tipp gegeben hat?"
"Keine Ahnung, der Zettel landete direkt bei mir am Tresen. Irgendein ein Junge hat ihn vorbei gebracht und ist wieder abgezischt. Der Wisch roch irgendwie nach Marzipan."


"So, dann ist alles besprochen, hoffen wir das es klappt! Was für ein Stück Glück , dass dein nasser, äh, Mantel da lag. Hat uns das nötige Quentchen Zeit gegeben."
"Ja, hehe." Norman lächelte verlegen. "Jetzt denken sie, hier geht die Post ab."
Braggasch rüttelte an einem losen Bettpfosten. "Kann's losgehen?"
Norman grinste und nickte.

"Meine Damen und Herren! Liebe Kunden!", tönte es aus dem Trichter, den T.M.s.i.d.R.-Schnapper hervor gezaubert hatte. Eine Obstkiste diente ihm als Bühne, die er direkt neben dem Balkon am Fuße der Taverne aufgestellt hatte.
"Verpassen sie auf keinen Fall dieses Spektakel! Für alle, die neu dazu gekommen sind, noch einmal die Regeln: Sieger ist derjenige, der...Was ist das?! Sehen sie sich das an! Der Top-Kandidat der Faustsport-Freunde, Ragbasch, jagt mit einem...Wasauchimmer bewaffnet seinen Kontrahenten Norman von den Keiler-Kumpeln auf den Balkon! Ohhh! Das waren die Scheiben! Teuer, teuer für den lockigen Frosch, meine Damen und - da verpasst Norman dem Zwerg einen harten Tritt vor die Brust!" Schnapper reckte sich, um durch den dichten Qualm mehr erkennen zu können, doch Rauch und Schnee machten die ganze Vorstellung zu einer Art Schemen-Kabinett. Es wurde ruhiger, bis plötzlich ein ...
"Schrank! Achtung Schrank!" Krach! "Meine Daaaamen und Heeeerrren! Das war ein massiver Eichenschrank, der gerade die Brüstung des Balkons verlassen hatte. Ein Applaus für die beiden Kontrahenten!"
Die Menge war außer sich! Der Schrank war geradewegs vor die Menge gekracht und die Gegner prügelten sich scheinbar auf dem Balkon weiter, wechselten wieder in den Innenraum und zurück! Dem Schrank folgten eine Matratze, ein Tisch, und zwei Nachttöpfe. Immer wieder hörte man jemanden aufjaulen. Mittlerweile war Randolf wieder zur Besinnung gekommen und konnte sich an nichts erinnern.
"Dein Junge hält sich tapfer, Arnulf!" Gottlieb klopfte dem Keiler auf die Schultern. Dieser lächelte stolz und nickte ihm zu.

"Ich hab dem Kerl den Hintern aufgerissen!" Der alte Mann war überraschend fidel auf seinen Samtsessel gesprungen und begann mit den Fäusten die Hiebe nachzuspielen, bejubelt von seinen Enkeln. "Durch den ganzen Raum haben wir uns geprügelt. Er hat versucht, mich mit dem Schrank zu treffen! Das war kein sehr feiner Zug von ihm, also hab ich ihn mit dem Tischbein vermöbelt!"

"Plötzlich flog ein Leuchter direkt in die Menge und haute den Wirt erneut K.O.!"

"Ich brach also den wackeligen, morschen Stützpfosten aus der Wand und schwang ihn als Keule!"

"Doch dann, die beiden waren gerade wieder auf dem Balkon und prügelten sich um eine Art...Pfosten, als ..."

"Sowas haben sie noch nicht gesehen! So etwas haben sie noch nicht gesehen, meine Damen und Herren! Das müssen sie einfach mit einem Becher Glühwein runterspülen, sonst werden sie heute nicht mehr einschlafen!"
Ruppert reagierte sofort. Er hechtete an der Menge vorbei, bevor diese überhaupt erfassen konnte, was passiert war. Der Balkon war mitsamt Braggasch, Norman und der Front-Mauer aus dem ersten Stock runter gebrochen und hatte Schnee und Staub aufgewirbelt.
"Braggasch!" Der Vektor rief nach seinem Kollegen und Ettark begann die Trümmer auf Seite zu schaffen.
"Norman!" Arnulf's Stimme überschlug sich. Er eilte durch die Menge und tat es Ettark gleich.
Ein Husten. Ruppert kämpfte sich bis zu dem steinernen Balkon vor, der, wie eine Schale, umgedreht auf den Trümmern der Mauer lag. Er war in der Mitte gebrochen. Der Vektor befürchtete das schlimmste. "Ettark! Komm her und hilf mir!"
Ettark, gefolgt von Arnulf und Gottlieb, eilten zu ihm und gemeinsam konnte sie die beiden Hälften des Balkons vorsichtig auf Seite schaffen.
"Mein Gott..."
Norman und Braggasch lagen völlig K.O, gezeichnet von Schürf- und Platzwunden auf dem Boden.
"Unentschieden!", brüllte Randolf, der vor wenigen Sekunden wieder zu sich gekommen war und sich torkelnd auf das Trümmerfeld begeben hatte. "Das gab es noch nie!"

"Wo ... bin ich?"
"Halt's Maul." Ettark grinste, soviel konnte Braggasch durch den Schleier in den Augen erkennen.
"Was, äh, ist ... passiert?"
"Maul halten! Zweite Verwarnung!"
"Fo, if denke, ihm wird ef bald wieder gut gehen."
"Toll, dann kann ich ja gehen." Ettark verließ den Raum und Ruppert kam herein.
"Na Braggasch ..."
"Was ... schon gut, ich, äh, halte den Mund ..." Braggasch hustete. Sein ganzer Brustkorb fühlte sich an, als würde er brennen.
"Du hast da ein Spektakel erster Klasse abgehalten. Ihr seid mit dem gesamten Balkon und einem Teil der Mauer aus dem ersten Stock nach unten gefallen und habt eine schöne kleine Baustelle hinterlassen."
"Was?!" Braggasch hustete erneut, mit der gleichen Konsequenz, wie vor wenigen Sekunden.
"Ja. Keiner von euch beiden konnte einen Sieg davon tragen. Es gab ein Unentschieden. Schnapper hat, nachdem ihr versorgt wart, laut verkündet, dass nach Paragraph So-und-so ein Unentschieden dazu führt, dass beide Mannschaften ehrenhaft und soweiterundsofort die Abzeichen des jeweils anderen im Banner oder so tragen soll. Ein Symbol der Eintracht, bla bla ... sowas. Sehr dramatisch."
"Aber wie, aber was ... wir wollten doch nur ... äh. Eigentlich haben wir nur so ge...- und dann ... wieso warst du so schnell und ... was ist mit ... wie kam es, dass auf einmal ..."
"Ich weiß es nicht genau, weder was du sagen willst, noch wer uns da einen Tipp gegeben hat. Aber ich habe da so eine Idee, vielleicht solltest du bei Gelegenheit mit unserer kleinen Marzipan-Fee von den SEALS darüber sprechen."

"Also Leute! Auf Braggasch, Schmittis Bruder, Barde und Ehrenmitglied der Faustsport-Freunde!"
Zven hob seinen Becher und beendete seine Geschichte mit diesem Toast. Zufrieden schaute er in die Runde seiner Vereins-Kameraden. Er wusste, dass er ihnen eine etwas ... verklärte Variante der Geschehnisse dargeboten hatte, aber das Leuchten in den Augen vor allem der neuen Mitglieder sagte ihm, dass diese Geschichte eingeschlagen hatte.


Der alte Mann hatte gerade die Kinder zu Bett gebracht. Er ging zurück in die Stube und widmete sich dem Kamin. Lange noch saß er da und beobachtete die Flammen, wie sie kleiner wurden. "Danke, alter Kumpel. Aber du kannst echt nicht singen."
[1] Die 'Dienststelle für Rüpel-, Eskalations- und Schläger-Schpocht' ist die Anlaufstelle für eben jene populäre Sportarten, wie z.B."Schellen-Schach", "Guten Morgen, Stern!" oder "Klassischer Fausttanz"

[2] Mit Ausnahme der beiden Invaliden Frennrich und Jakob, die sich nach oben zurück gezogen hatten, um Kopf- und Leistenschmerzen zu kurieren

[3] Mit Balkon! Außerdem gab es zusätzlich eine Tagesdecke! Und zwei Nachttöpfe!

[4] Traditionell vor vielen Jahren von den Festspielen des lokalen fahrenden Volkes übernommen. Statt einem Balkon hatte man häufig eine Bühne auf der Höhe des ersten Stockes errichtet, von der "die Kontrahenten dann hinunter geworfen wurden".

[5] "Nach altem Familienrezept - Alles was gärt plus Zimt. Viel Zimt."

Zählt als Patch-Mission für den Szenekenner-Patch.



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Feedback:

Von Aglaranna

05.11.2011

Ein paar Dinge, die mir zu dieser Wichtel-Single einfallen:
- Lustige Story
- Kurzweiliger Erzählstil
- Der Perspektivenwechsel ist (entgegen meiner ersten Befürchtung) nicht verwirrend, sondern passt hervorragend.
- Wie in aller Welt kommt man auf die Idee, "altbekannte" Spiele so zu... nennen wir es mal INTERPRETIEREN?

Ich hatte beim Lesen sehr viel Spaß und habe diese Geschichte wirklich genossen.

Von Braggasch Goldwart

03.11.2011

Einfach geil!
Nicht nur, dass ich mich fast nassgemacht hab, endlich wieder was von dir zu lesen, es scheint auch, als wäre der Stil während der Abwesenheit gereift! Obwohl ich eigentlich wenig Zeit hatte, habe ich die Geschichte verschlungen - gut, es mag auch deshalb gewesen sein, das sie um mich ging, aber sowohl Plot, als auch stimmung und vor allem witz waren großartig! Ich hätte mir am Ende noch ein wenig mehr über oder mit Menélaos gewünscht - aber einen Abbruch hats dem ganzen nicht getan.
Vielen, vielen Dank - und schön, dich wieder dabei zu haben! :)

PS: Fast vergessen: Perfekte Darstellung von Brags. ;)

Von Cim Bürstenkinn

01.11.2011

my favorite: "Keinen Zahn im Maul aber auf dem Marktplatz La Paloma pfeifen, hm?"

sehr gute Braggasch - Darstellung, soweit ich das beurteilen kann.

Die Situationskomik in der Geschichte treibt einen weiter und man ist nie versucht die Geschichte wegzulegen.

Das dezente Einbringen von Menélaos und den Punkt seiner Abwesenheit finde ich ebenfalls gut gelungen.

Bravo! Schön Dich in der Multi zu haben!

Von Lilli Baum

03.11.2011

Wow! Die Geschichte wr wirklich fantastisch; vielen Dank, dass du für Reiner eingesprungen bist.

Von Rib

01.11.2011

Eine schöne SEALS-Alltagseschichte. Was dagegen, wenn ich mir ab und zu die Fröhlichen Faustsport-Freunde Ankh e.V. ausleihe?

Von Romulus von Grauhaar

04.11.2011

Eine sehr nette Episode. Dein Erzählstil gefällt mir echt gut, die Charaktere sind trotz der relativ kurz gehaltenen Geschichte sehr gut gezeichnet, und der Hintergrund mit den etwas anderen Sportvereinen war für den ein oder anderen Schmunzler gut. Das Scheibenwelt-Flair war an jeder Ecke zu spüren. Einziger leichter Kritikpunkt, den ich habe: Das Ende war recht früh abzusehen. Aber da es hier ja nicht direkt um einen Fall ging, aus dem so die Spannung genommen werden würde, kann ich das sehr gut verschmerzen ;)

Von Ruppert ag LochMoloch

07.11.2011

Der arme Braggasch! Wird zur Berühmtheit ohne zu verstehen warum. :-D
Das war eine spritzig erzählte, witzige Geschichte, deren einzige Ungereimtheit ein wenig das Auftauchen der beiden Wächter am Ende war.
Ansonsten: Hut ab - und vielen Dank. Möge Methodia Schlingel diesen Kampf verewigen.

Von Sebulon, Sohn des Samax

01.11.2011

Ein guter Schwank. Und ich find's schön, dass du jetzt wieder dabei bist, alter Knabe!

Von Menélaos Schmelz

07.11.2011 14:30

Boah! Vielen, vielen Dank für dieses tolle Feedback :) Und befördert wurde ich auch noch!! :)

Ich hatte auch viel Spaß zu schreiben und freue mich auf Multi und co. :)

@Rib: immer gerne und würde mich freuen, von den Jungs mal wieder was zu hören. Ich werde auch noch die Artikel von Sebulon zu den Spielen etc im Wache-Wiki ergänzen.

Danke!



Edit: Sehe ich das richtgi?! Ribbon?! Da freue ich mich gleich noch mehr!! *heftiger Salut*

Von Romulus von Grauhaar

07.11.2011 15:50

Ribbon, und der hochverdient :)



btw, würde mich freuen, wenn du ein wenig Hintergrundinfos, Charakterbeschreibungen und so zu den coolen, wiederverwendenswerten Personen und Vereinigungen ins WacheWiki übernehmen würdest! :D

Von Sebulon, Sohn des Samax

07.11.2011 22:01

*kichert grinsend*

*klopft dem Kondichemiker auf die Schulter*

*hebt den Daumen*

*geht kichernd wieder an die Arbeit*

Von Braggasch Goldwart

07.11.2011 23:19

Verdient. Eindeutig verdient. :)

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