Vincent oder: Sie nannten ihn Schere

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von Lance-Korporal Kolumbini (RUM)
Online seit 02. 01. 2006
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Zwei Tote, zwei Ermittler, ein Scherenmann und eine alte Bekannte in einer Geschichte über Freundschaft, Liebe...und einen abscheulichen Mord.

Dafür vergebene Note: 14

Gewidmet: Rosa Bennemann für die Grundinspiration zu dieser Geschichte und Danjal "Damien" Waziri für die geniale Zeit und Gespräche.

Auf viele weitere Jahre!

Zu dieser Geschichte: Der geneigte Leser mag einige Parallelen zu einem gewissen Film eines gewissen amerikanischen Regisseurs erkennen...;-)

Ein gemütliches Kaminfeuer prasselte vor sich hin und die Röstkastanien, welche in selbigem schmorten, verbreiteten ihren köstlichen Duft im gesamten Raum. Draußen tobte ein fürchterlicher Schneesturm, was um diese Jahreszeit sehr häufig war, soweit Emma sich recht entsann. Sie lag in ihrem Bett und hatte sich in die Decke eingekuschelt. Auf einem Stuhl bei ihr saß ihre Großmutter und lächelte das Mädchen freundlich an. Zwar war Emmas Großmutter sehr alt, aber dennoch leuchtete in ihren Augen ein jugendliches Feuer, das nie erloschen war. Emmas Großmutter war in ihrer Seele immer jung geblieben, für ihr gesamtes Leben. Doch nicht nur das war geheimnisvoll an der alten Dame, denn wann immer jemand in der Familie ein Wehwehchen hatte, so kam Oma und richtete alles wieder mit ihren Salben und Tees. Für Emma war sie eine Art Weise und Wunderheilerin. Niemanden hatte sie lieber, als ihre Großmutter. Vielleicht war es deshalb, weil sie immer einen Rat wusste, ganz gleich in welcher Lebenslage man sich befand. Wenn man traurig war, so gelang es Großmutter immer wieder Freude und Heiterkeit zu verbreiten. Doch was Emma und alle anderen Kinder an ihr am liebsten mochten waren ihre Geschichten. Oh, welch wunderschöne Geschichten sie zu erzählen wusste, Oma Gutherr. Denn sie hatte viel erlebt und wusste alles zu berichten, als sei es erst gestern geschehen. Und dies nicht als eine einfache Wiedergabe von Fakten... oh, nein, ihre Geschichten waren witzig und spannend, gruselig und romantisch, verspielt und doch lehrreich. Deshalb sah es auch Emmas Mutter sehr gerne, wenn Großmutter Gutherr Emma eine Geschichte erzählte. Oft saß die gesamte Familie um ein Kaminfeuer im Wohnzimmer, oder in einem der Kinderzimmer, wo alle gespannt den Erzählungen der alten Dame lauschten.
Derzeit waren Emma und Oma Gutherr alleine in dem geräumigen Kinderzimmer und knabberten an ihren Esskastanien. Verträumt blickte das Mädchen aus dem Fenster.
"Ist das nicht schön, Oma?" fragte sie leise.
"Oh, ja, Liebes, das ist wirklich schön."
Eine Weile schauten beide aus dem Fenster und schienen in ferne Zeiten zu blicken. Eine Träne rann Oma Gutherrs Wange herunter und fiel auf den Fußboden. Besorgt blickte die kleine Emma auf.
"Was ist denn, Oma?"
Die alte Dame lächelte bittersüß und wischte sich eine weitere Träne aus dem Gesicht.
"Weißt du immer wenn ich Schneestürme sehe, dann...denke ich an ihn zurück."
"Wen meinst du, Oma?"
Wieder folgte ein bittersüßes Lächeln auf diese Frage.
"Jemanden...mit dem ich manchen Weg im Leben gegangen bin."
"Ist das eine Geschichte?"
"Ja", die alte Dame musste lachen. "Es ist eine Geschichte, aber ich weiß nicht, ob ich sie dir heute Abend noch erzählen soll. Es ist nämlich eine sehr lange Geschichte..."
"Oh, bitte, bitte, bitte, erzähl sie mir. Es ist doch eine schöne Geschichte, oder?"
Oktarina Gutherr ließ wieder ein zartbitteres Lächeln über ihr gealtertes Gesicht huschen.
"Oh, ja", murmelte sie. "Das ist sie in der Tat. Eine Geschichte über Freundschaft und Liebe...und einen abscheulichen Mord." Dann begann sie zu erzählen.

Die Erzählung begann an einem kalten Dezembertage, an dem ein eisiger Wind durch die Straßen Ankh-Morporks pfiff und die meisten Leute deshalb in ihren Häusern blieben. Jedoch herrschte in einem kleinen Vorort der Stadt in einem bestimmten Haus trotz der späten Abendstunde reges Treiben. Denn der Erfinder Ed Prinz hatte gerade sein neuestes Werk beinahe fertig gestellt. Zufrieden betrachtete er es.
"Und, was sagst du, Vincent?", murmelte der alte Mann.
Seine Erfindung blickte ihn an...und dann sah sie auf die Hände.

Ein Jahr später...der Herbst wollte nicht so recht weichen und bescherte denjenigen Personen, die es sich leisten konnten, in den gemütlichen Vororten der Metropole Ankh-Morpork Spazieren zu gehen, einige Tage angenehmen Klimas. In der Villa von Edward Prinz herrschte erneut eine rege Aktivität, jedoch war es diesmal nicht der Erfinder selber, der diese verursachte. Nein, im Garten und im Gebäude wuselten Stadtwächter hin und her. Die Kutsche eines bestimmten Stadtwächters fuhr gerade auf den Hof der auf einem Hügel gelegenen Villa und kam mit einem Ruck auf dem Kies zum Stehen. Ein Buckliger stieg vom Kutschbock hinab und öffnete die Tür mit einem Ehrerbietendem "Wir find da, Herr!". Er wartete gebückt, doch nichts passierte; niemand ging an ihm vorbei, wie er es erwartet hatte. Erstaunt blickte der bucklige Kutscher in das Gefährt, welches grau gestrichen war und bemerkte, dass niemand mehr drinnen saß. Dann ertönte eine Stimme hinter ihm: "Na los, Igor. Willst du etwa Wurzeln schlagen?"
Langsam drehte sich der Diener namens Igor um und betrachtete seinen Herren argwöhnisch. Letzterer war klein und hatte dunkelblondes, zerzaustes, lockiges Haar. Seinen alten Mantel, den er trug, schien er seit geraumer Zeit nicht mehr gewaschen zu haben und er war aus einem hellbeigen weichen Stoff gewoben. Unter dem Mantel trug der kleine Mann ein weißes Hemd und dazu eine weinrote Weste. Eine Krawatte zierte, wenn gleich auch schief gebunden, seinen Hals und die schwarzen Baumwollhosen, sowie die edel anmutenden schwarzen brindisianischen Lederschuhe komplettierten sein Aussehen. In seinem Blick lag etwas schelmisches, aber das war quasi immer der Fall.
"Ich bin auf der anderen Seite ausgestiegen. Und sieh mich nicht so vorwurfsvoll an, du weißt, dass ich von diesen melodramatischen Auftritten rein gar nichts halte. Also komm schon mit und höre bitte auf zu schmollen."
Inspäctor "Fred" Kolumbini lächelte seinen Diener freundlich an und ging dann in den Garten hinein. Seit nunmehr vier Jahren war der inzwischen 31 Jahre alte Mann, der Sohn einer brindisianischen Mutter und eines überwaldianischen Vaters war, in Ankh-Morpork, doch so etwas wie der Garten der düsteren Villa auf dem Hügel war ihm nie zu Gesicht gekommen. In dieser Anlage fanden sich die atemberaubendsten Heckenskulpturen die der Stadtwächter - denn das war der kleine Mann von Beruf - jemals gesehen hatte. Hier waren Sumpfdrachen, Noble Drachen, Schildkröten, Werwölfe und alles mögliche andere Getier in Hecken geschnitten worden. Eine besondere Skulptur zeigte sogar einen Schwarm Fledermäuse.
"Höchst interessant", murmelte sich Kolumbini in seinen Drei-Tage-Bart.
"Da feint jemand ein Talent fu haben", erwiderte Igor voller Erstaunen.
Ein leichtes Kopfnicken war alles, was sein Herr dazu hervorbringen konnte, so überwältigt war er von den Heckentieren.
"Wer die wohl gemacht hat?" fragte er sich.
"Kolumbini? Bist du das?" die Stimme kam aus einem großen zerbrochenen Fenster, dass im obersten Stockwerk an der Hausfront prangte. Es war zerbrochen und als Fred bestätigt hatte, dass es sich um ihn handele und er etwas näher zur Tür kam, sah er, warum man ihn gerufen hatte und warum das runde Fenster zerbrochen war. Auf dem Boden vor dem Eingang lag die Leiche eines jungen Mannes. Sein Körper war grausam entstellt und wies schier unendlich viele Schnittwunden auf. Der Mann hatte die Kleidung eines omnianischen Priesters an und sein "Buch Om" lag zerfleddert neben seinen Überresten. Einige SUSI-Wächter taten ihr Bestes, die bestehenden Spuren zu sichern.
"Würdest du bitte hinaufkommen?" rief erneut die Stimme aus dem obersten Stockwerk zu dem kleinen Wächter hinunter. Wie sich herausstellte gehörte sie zu seinem Kollegen Sillybos, der in dem oberen Raum zusammen mit seinem Sklaven Hegelkant eine Art Labor observierte. Auf dem Boden lag ein weiterer Korpus und auch dieser wies mehrere Schnittwunden auf, die jedoch nicht sehr tief in das Fleisch geritzt waren.
"Das scheint Herr Prinz, der Besitzer der Villa, gewesen zu sein", erläuterte Sillybos. "Er war Erfinder. Zumindest hat uns das der...Zeuge bedeutet." Der Philosoph holte eine Auszeichnung der Gilde für "Forscher, Erfinder und andere Wissenschaftler", die seit einiger Zeit in der Stadt existierte, hervor.
"Zeuge?" kam es sogleich von Kolumbini, der sich im Raum umgesehen hatte. Alles war vollgestopft mit seltsamen, abstrakt wirkenden Apparaturen, deren Verwendungszweck der Wächter lieber nicht erraten, geschweige denn erfahren wollte. Geistesabwesend betrachtete er die Auszeichnung, während er den Ausführungen des Ephebianers folgte.
"Ja, wir haben einen Zeugen, oder so etwas in der Art." Antwortete der Ephebianer mit bedrücktem Tonfall.
"Hm?"
"Nun Bregs ist bereits mit ihm beschäftigt."
Bei diesem Namen horchte Inspäctor Kolumbini auf. Das man seinen Freund und Kollegen Araghast Breguyar als Püschologen hinzugezogen hatte, obgleich er längst Abteilungsleiter der Abteilung FROG war, ließ ihn vermuten, dass der Zeuge ein schwerer Fall war.
"Es scheint so, als ob der Zeuge...nun vielleicht solltest du dir selber ein Bild machen", die Stimme des Philosophen klang ernst und sachlich. Fred wunderte sich, was diese seltsame Geheimnistuerei sollte.
"Was hat er euch denn bisher erzählt?" erkundigte er sich bei seinem Kollegen.
"Nun...er hat uns gedeutet, dass er es nicht war."
"Das sollte doch nicht so schwer zu überprüfen sein, oder? Die Leichen sehen noch nicht alt aus und ich bezweifle, dass er die Möglichkeit gehabt hätte, eine Klinge, die bei dem Priester so einen Eindruck hinterlassen hat, schnell und ohne Hinweise zu verstecken."
"Du solltest...ihn dir wirklich ansehen."
Sillybos hatte vor dem "ihn" und dem "er" gezögert, als ob er nicht sicher war, ob es sich bei dem Betreffenden um ein menschliches Wesen handele. Nachdem ihn Kolumbini nach dem Aufenthaltsort des Zeugen gefragt hatte, zeigte der Ephebianer auf eine Tür. Langsam ging Inspäctor auf das Portal zu und klopfte höflich an.
"Herein", hörte er die Stimme von Araghast nach außen schallen. Der halbe Brindisianer öffnete die Tür und blickte in den Raum dahinter. Es war nicht mehr als eine Abstellkammer, aber Bregs hatte zwei Stühle herbeibringen lassen, damit er ungestört war mit dem...Kolumbini konnte sich kaum davon abhalten das Etwas, dass dem Püschologen gegenüber auf dem Stuhl saß, anzustarren.
Es war definitiv humanoid, aber statt Händen hatte er riesige Klauen, die aus vielen Scheren bestanden, manche groß, manche mittel und manche klein. Als sich der Blick des Lance-Korporals langsam zum Gesicht des Wesens wandte, bemerkte er, dass es sich hier ganz offensichtlich um einen jungen Mann handelte. Ein weißes Gesicht, dass mit einigen Narben versehen war wurde von schwarzem, wild abstehendem krausem Haar bedeckt. Es war kein hässliches Gesicht, aber das Gesicht einer Person, die mit der Welt im Hader war. Dieses Gesicht sollte Kolumbini nie vergessen.
"Guten Tag", erinnerte sich der Wächter seiner Manieren und salutierte. Ein Händeschütteln mit den beiden Anderen stand außer Frage. "Sie sind der Zeuge?"
Der junge Mann mit den Scherenhänden nickte. Danach blickte Kolumbini fragend zu Bregs, der lediglich mit den Schultern zuckte und seufzte.
"Es scheint, als ob er nicht mit uns reden will. Zumindest hat er immer nur genickt, oder den Kopf geschüttelt. Er scheint mir nicht einmal seinen Namen verraten zu wollen", seufzte der Püschologe.
Kolumbini verkniff sich ein "wie wäre es mit Schere" und lächelte das...den jungen Mann freundlich an.
"Wie ist dein Name, Kamerad?" ließ sich der kleine Wächter freundlich vernehmen.
Es folgte keine Antwort. Stattdessen blickte der Scherenmann verlegen auf den Boden.
"Kannst du nicht sprechen?" fragte Kolumbini.
Nur ein weiterer Blick auf den Fußboden folgte als Antwort.
"Willst du uns nicht erzählen, was vorgefallen ist?"
Ein Kopfschütteln folgte auf diese Frage und ließ die beiden Wächter aufseufzen. Inspäctor ging wieder in den Werkstattraum und blickte sich um.
"Feint faft tfu klar tfu fein, waf Herr?" meinte Igor. Trotz des plötzlichen Erscheinen des Dieners zuckte sein Herr nicht einmal mit einer Wimper. Man gewöhnte sich mit der Zeit an den "speziellen Weg der Igors". Man wunderte sich irgendwann nicht mehr darüber, dass im Keller eine kleine Schachtel mit dressierten Spinnen lag, die Scharniere der Türen immer quietschten und der Diener stets unerwartet hinter seinem Herrn oder anderen Leuten auftauchte.
"Ja, das stimmt, Igor. Es scheint ziemlich klar zu sein, dass der Scherenmann beide Personen ermordet hat. Den Sinn müsste man erst noch überprüfen."
"Allerdings, Kolumbini", hörte der kleine Mann plötzlich eine vertraute Stimme vom Türeingang. In Letzterem stand Romulus von Grauhaar, der zwar ebenfalls im Spezialgebiet der Ermittlungen tätig war, sich jedoch einige Dienstgrade über Inspäctor befand. Er trug über seiner Uniform einen Mantel und um den Hals hatte er ein beiges Halstuch geschlungen, das er immer dann einsetzte, wenn er sich in seine Wolfsform verwandelte. Der junge Mann mit dem dichten Haar und der mondförmigen Narbe auf der Wange gehörte nämlich zur Gattung der Werwölfe, war jedoch Vegetarier aus Überzeugung und brauchte deshalb stets etwas, um den Blutgeruch an Tatorten zu mildern, wenn seine Wolfsnase zum Einsatz kam.
"Zwei Morde, zwei Ermittler", erläuterte er, als er den erstaunten Blick seines Kollegen sah.
"Ich muss ehrlich sagen, dass wir hier sicher genug zu tun haben werden. Vielleicht solltest du erst einmal in den Nebenraum gehen und dir unseren Hauptverdächtigen ansehen."
Romulus nickte knapp und folgte dann der Empfehlung seines Kollegen und Freundes.
Währenddessen sah Kolumbini sich den Tatort noch etwas genauer an. Die Leiche des Erfinders lag in der Mitte des Raumes und einige Meter zu dem zerbrochenen Fenster hin waren Blutspuren zu sehen, die jedoch von dem Priester zu stammen schienen. Seltsamerweise schien der alte Mann kaum Blut verloren zu haben. Seine Wunden waren bei Weitem nicht so tief, wie diejenigen des Herren in der Priesterkleidung.
"Hm", murmelte Kolumbini und klopfte sich auf sein Glasauge, wie immer, wenn er intensiv über Etwas nachdachte. "Wenn die Leichen untersucht wurden, schickt bitte das Ergebnis in mein Büro, ja Sillybos?"
"Selbstverständlich", nickte der Philosoph, der seine Ausrüstung wieder eingepackt hatte und mit seinem Sklaven nun gen Wachehauptquartier gehen wollte, um seinen Bericht zu verfassen. Eins musste man den Wachemethoden lassen: sie gingen wirklich schnell voran. Inspäctor nahm seinen Notizblock aus dem MANTEL und kritzelte in einer unleserlichen Handschrift mehrere Notizen hinein. Kurz darauf betrat Romulus erneut den Raum und nickte seinem Kollegen zu. Es schien keine Neuerung mit dem Scherenmann zu geben.
"Bregs hält es für eine schlechte Idee, ihn zu verhaften und in irgendeine kleine Zelle zu sperren, weil er dann noch schwieriger zum Reden zu Bringen sein wird", erläuterte Romulus.
"Igor?" rief Inspäctor nach einer kurzen Denkpause.
"Ja, Herr?"
"Kannst du bitte eine Brieftaube zu Ivonne schicken? Dich, Igor, brauchen wir, um mit der Kutsche in wenig rumzufahren. "
"Felbftverfreilif, Herr."
"Sie soll sich bitte um den jungen Mann kümmern, bis du wieder zu Hause bist. Sie soll ihn erst einmal mit nach Hause nehmen, am Besten von Bregs begleitet und ihm was gescheites zum Anziehen und was gutes zu Essen geben. Der Typ sieht total abgemagert aus. Vielleicht redet er dann mit uns. Sollte er irgend etwas versuchen, wandert er sofort in eine Zelle."
Romulus runzelte die Stirn.
"Er tut mir einfach Leid, der arme Kerl. So und nun sollten wir erst einmal Informationen über diesen Prinz einholen."
"In der Umgebung?" meinte von Grauhaar.
"Jipp", antwortete der kleine Wächter noch während er aus dem Raum und in den schönen Herbstmorgen hinausmarschierte.

Es stellt sich bereits nach kurzer Zeit heraus, dass niemand der Nachbarn etwas über den alten Mann zu wissen schien. Überall hörten die beiden Wächter Sätze wie "Verzeihung darüber wissen wir nichts" oder "Wir haben ihn nicht gekannt". Edward Prinz schien ein unglaublich abgeschotteter Mensch zu sein. Manche erkannten ihn nicht einmal auf der Ikonographie. Noch kurz bevor die beiden Ermittler gegangen waren hatte ihnen Charlie Holm Ikonographien der Leichen mitgegeben, damit ihre Ermittlungen leichter von Statten gehen würden. Allerdings hätte sich Holm diese Mühe auch sparen können.
"Wenn du mich fragst, Romulus sollten wir zuerst einmal den Tempel von Om aufsuchen und dann dieser Forschergilde einen Besuch abstatten", sprach Kolumbini resignierend.
"Ganz deiner Meinung, Fred", pflichtete ihm sein Kollege bei.
Sie trotteten langsam wieder in Richtung der Villa, wo sie in Inspäctors lädierte Kutsche stiegen und losfuhren.
"Meinst du nicht, dass du das Ding langsam mal reparieren lassen solltest?" fragte Romulus, als sie bereits einige Minuten schweigend gefahren waren.
"Warum? Das hindert Igor daran, in hoher Geschwindigkeit durch die Stadt zu fahren."
"Es hindert ihn aber auch daran, so zu fahren, dass die Fahrgäste nicht durchgeschüttelt werden."
"Nicht so extrem durchgeschüttelt, wie bei einer zu schnellen Fahrt."
Romulus schüttelte den Kopf. In gewissen Dingen war Fred einfach wirklich etwas stur und nunja exzentrisch beschrieb es wohl am Besten. Die Kutsche war nur eines von vielen Beispielen. Er wollte partout keine Dienstwaffe bei sich tragen, außer einem hölzernen Schlagstock und selbst da war sich Romulus nicht sicher. Zwar besaß Inspäctor wie alle Wächter auch weitere Waffen, aber war er nie bereit, ein Kurzschwert, oder gar eine Armbrust mit sich zu führen.
"Warum trägst du eigentlich keine richtige Waffe mit dir herum, Fred. Ich meine, es ist doch sehr gefährlich, so etwas."
"Sobald ich die Waffe für mich gefunden habe, Romulus, werde ich sie auch bei mir tragen, aber bisher muss mir der Schlagstock ausreichen. Für Waffen haben wir die FROGS und ich werde mich davor hüten, zu dieser Abteilung zu wechseln. Waffen sind einfach nicht mein Ding."
Und das war es auch größtenteils, was sie sprachen. Der restliche Teil der Unterhaltung verlief eintönig und öde. Es war Romulus aufgefallen, dass Kolumbini oft etwas...abwesend war. Er sprach weniger, aber das Seltsame war, dass er, sofern er redete, nicht anders war wie sonst. Irgend etwas beschäftigte den kleinen Mann, aber Romulus hielt es für unnötig, zu fragen. Wenn es etwas gab, das Fred beunruhigte, oder beschäftigte, würde er es wohl am ehesten unter Alkoholeinfluss erzählen und dazu war derzeit nicht gerade der richtige Zeitpunkt gekommen. Seltsam war auch, dass Kolumbini lange keinen Fall mehr bearbeitet hatte. Hier und da ein kleiner Diebstahl, ja, aber nichts, was Erzählenswert gewesen wäre. Nichts...Besonderes. Vermutlich hatte Daemon ihm auch deshalb diesen Auftrag zugeteilt. Kolumbini hatte sich in letzter Zeit etwas zu rar gemacht.
Doch bevor Romulus seinen Freund fragen konnte, ob ihn nicht vielleicht doch irgend etwas bedrücke, hielt die Kutsche an und Igor öffnete die Tür.
"Wir find da", verkündete er majestätisch und verbeugte sich tief.
Der Werwolf stieg zuerst aus und ihm folgte der halbe Brindisianer. Als sie ausgestiegen waren, betrachteten sie sich den Tempel.
Er war groß, jedoch in der letzten Zeit erst vergrößert worden, nachdem die omnianische "Reformation", wie sie es nannten die Scheibe langsam eroberte, oder besser gesagt: nachdem die omnianischen Reformatoren mit Pamphleten, freundlichen Lächeln und kurzen Gesprächen, die ganz im Ernst wirklich nur eine Minute dauern würden, die Scheibe erobern wollten.
Soweit die beiden Ermittler wussten, hatte die omnianische Religion recht viel Zuspruch in Ankh-Morpork oder zumindest befanden sich in vielen Haushalten die Broschüren der Missionare und ein Exemplar des Buches Om. Allerdings war dies noch kein Garant dafür, dass man der Religion angehörte, zumindest nicht offiziell. In den Statistiken der Kirche Oms jedoch wurde jeder als Gläubiger aufgeführt, der ein Exemplar des Buches Om bei sich trug. Denn wie konnte man sich der "Botschaft Oms" entziehen, wenn man sie in seinen vier Wänden trug? Nun die meisten Leute schienen damit kein Problem zu haben und deshalb war Ankh-Morpork statistisch gesehen von Omnianern nur so überwuchert, allerdings waren faktisch wenige Leute richtige Anhänger des Gottes. Allerdings bedeutete dies keinen großen Unterschied, denn der Eifer, ja man möchte sagen der Fanatismus, mit dem die Priester zu Werke gingen, war so groß, dass ein gläubiger Missionar vermutlich mehrere Dutzend Nicht-Glaubende aufwog.
Was den beiden Ermittlern sofort auffiel war, dass die Fassade des Tempels wesentlich schmuckvoller war, als das Innere des Gebäudes. Außerhalb waren marmorne Verzierungen angebracht, die teilweise sogar aus Finara-Mamor waren, einem Stein, der aus Brindisi kam und so exklusiv war, dass er in Ankh-Morpork so selten war, wie Intelligenz in einem politischen Kabinett. Dass sich der Tempel so etwas leisten konnte bedeutete zwei Dinge: erstens war der Ertrag des Bücherverkaufes wohl sehr groß und zweitens mussten die Ermittler vorsichtig sein, wem sie hier auf die Füße traten. In Ankh-Morpork hatte die Gleichung "Geld = Macht" einen nicht von der Hand zu weisenden Wahrheitsgehalt.
Trotz dieser Tatsache schritten Romulus und Kolumbini frohen Mutes in den Tempel und wurden von der Stille, die in Selbigem herrschte, förmlich erschlagen. Graue Steinblöcke waren das Material, aus dem das Gebäude wirklich bestand und Verzierungen gab es hier drinnen so gut wie keine. Vermutlich sollten die Zeremonieteilnehmer keine Möglichkeit besitzen, sich mit irgend etwas abzulenken. Schlichte und unbequem aussehende Holzbänke standen Reihe in Reihe vor dem Altar. Ein Gang war dazwischen, doch derzeit war, außer einigen hektisch umherwuselnden jungen Herren, die vermutlich Novizen waren, niemand hier. Sie schienen keine Notiz von den beiden Ermittlern zu nehmen. Letztere entschieden sich dafür, auf eigene Faust nach dem Oberpriester zu suchen. Von dem Hauptteil führten einige Türen in weitere Räume. Kolumbini öffnete die erstbeste Tür, die er sah und blickte in den Raum dahinter.
Mehrere Novizen blickten ihn vorwurfsvoll an. In diesem Raum befanden sich mehrere kleinen Druckerpressen, die von mehreren jungen Männern bedient wurden. Andere waren mit Papierfalten und Stapeln der fertigen Pamphlete beschäftigt.
"Oberpriester?" war Alles, was Fred herausbringen konnte.
Auch die Novizen schienen wortkarg zu sein und sagten nur knapp: "Drei Türen weiter", bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandten. Kolumbini hingegen machte sich entschlossen daran, herauszufinden, wer der ominöse Omnianer, wie er ihn in Gedanken inzwischen getitelt hatte, war und was er in der Villa des Erfinders zu suchen hatte. Romulus und er waren einer Meinung darin, dass der Oberpriester für so etwas die beste Anlaufstelle war. Deshalb ruhte in dem Klopfen, mit dem Fred ihr Ankommen dem Leiter ankündigen wollte, eine gewisse nicht von der Hand zu weisende Entschlossenheit. Es folgte allerdings kein "Herein". Selbst einige weitere Entschlossenheitsklopfer sorgten für kein Zeichen dafür, dass ein Hereinkommen des Gastes gewünscht oder besser gesagt erlaubt war. Die beiden Wächter blickten sich fragend an und Kolumbini öffnete die Tür erst einen Spalt breit, um hineinsehen zu können, und öffnete sie dann ganz, nachdem er den Grund der fehlenden Antwort erkannt hatte. In einem mit Leder gepolstertem Stuhl hinter einem riesigen, aus Eichenholz bestehendem Schreibtisch saß ein alter, dürrer Mann, der leise schnarchte. Nun eigentlich konnte man das seltsame Pfeifen, das aus seinem Munde drang nicht wirklich als Schnarchen bezeichnen, aber es war zumindest ein Geräusch, welches durch eine schlafende Person zu Gehör gebracht wurde.
Ein hämisches Grinsen umspielte die Lippen des halben Überwaldianers und er räusperte sich demonstrativ, um daraufhin ein kurzes "Verzeihung" zu murmeln. Überraschenderweise schienen diese Geräusche eine Art Hebel in dem alten Mann in der Priestergewandung auszulösen, denn er wachte auf, setzte sich aufrecht hin und lächelte die beiden Neuankömmlinge freundlich an.
"Guten Tag, der Herr", ergriff Romulus das Wort.
"Einen wunderschönen guten Tag, auch Ihnen, werte Herren, Pater Populi mein Name, was kann ich für Sie tun?" erwiderte der Alte freundlich.
"Wir sind von der Stadtwache, Pater, dies ist mein Kollege Kolumbini und ich bin Romulus von Grauhaar", erläuterte der Chief-Korporal und zeigte, gleichzeitig mit Fred, seine Dienstmarke. "Sind Sie der Oberpriester?"
"Ja. Was gibt es denn?"
"Wir haben die traurige Pflicht, Ihnen mitteilen zu müssen, dass einer Ihrer Priester tot aufgefunden wurde."
"Wie bitte? Das kann nicht sein! Wer denn, um Oms Willen?"
"Das wissen wir leider selber nicht", erläuterte Fred. "Wir haben gehofft, Sie könnten uns das sagen." Nach diesen Worten förderte er die Ikonographie des Mannes in Priesterkleidung aus seinem MANTEL zu Tage und reichte sie dem Pater. Der alte Mann betrachtete das Bild eine lange Zeit und wendete es mehrmals.
"Es tut mir Leid, Ihnen das sagen zu müssen, die Herren, aber ich kenne diesen Mann nicht."
"Bitte?" kam es von beiden Wächtern gleichzeitig.
"Sind Sie sich sicher?" hakte Romulus nach.
"Absolut sicher. Aber wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen, so befragen sie auch noch die anderen Priester. Allerdings glaube ich nicht, dass es hier einen Priester gibt, dessen Gesicht ich nicht kenne."
Darauf folgte Schweigen der beiden Ermittler, die sich gegenseitig kurz einen verzweifelten Blick zuwarfen und dann in Posen der Nachdenklichkeit verfielen.
"Ist vielleicht in letzter Zeit Priesterkleidung verschwunden?" erkundigte sich Kolumbini nach einer kurzen Denkpause.
"Soweit ich weiß nicht, aber fragen sie bei so etwas lieber bei Fräulein Reingut nach, sie verwaltet die Wäscheabteilung."
"Gab es vielleicht irgendwelche seltsamen Vorkommnisse?" fragte Romulus, als sie bereits in der Tür standen.
"Nichts, die Herren Wächter. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte."
"Oh, Sie haben uns weitergeholfen, Pater", wehrte Kolumbini ab. "Wir wissen nun mit großer Sicherheit, dass der Mann nicht in diesem Tempel tätig war."
"Dafür garantiere ich", sagte der Priester, stand auf und verbeugte sich vor den Wächtern. "Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, bei Ihrer Suche. Ich hoffe nur, der Mann hat keine Familie zurückgelassen."
"Das wird sich bald zeigen, Sir", sagte Fred und ging dann mit Romulus aus der Tür, um sich geradewegs umzudrehen und wieder in das Büro zu gehen.
"Ach, Pater noch eine Frage!" rief er hinein.
"Ja?" antwortete der Angesprochene freundlich.
"Kannten Sie zufällig den Erfinder Edward Prinz?"
"Der Name sagt mir irgend etwas, aber ich kann ihn nicht verbinden, tut mir Leid."
"Macht nichts", erwiderte der kleine Mann, ging ohne ein weiteres Wort endgültig aus dem Raum und suchte mit von Grauhaar zusammen die Wäscheabteilung.

Fräulein Reingut war alt...sehr alt und ihr Gesicht glich mehr einer Backpflaume, als einem menschlichen Antlitz. Allerdings befanden sich in diesem zerfallenen Gesicht zwei scharfe Augen, die hervorstachen, wie Schokoladenflecken auf einem weißen Tischtuch.
"Guten Tag, Madame", übernahm Romulus erneut die Begrüßung. Kolumbini nickte ihr nur freundlich zu. "Wir sind von der Stadtwache und hätten einige Fragen an Sie."
"Was gibt's? Hab Viel zu tun! Die vermaledeiten Novizen verdrecken sich immer ihre Nachthemden."
Diesen letzten Kommentar ignorierten die Ermittler pflichtbewusst und beschlossen stattdessen, die Alte genauer auszuhorchen. Erneut fischte Inspäctor die Ikonographie aus der Tasche.
"Herr Wächter, ich seh jeden Tag was weiß ich wie viele von diesen Fuzzis und da merk ich mir doch nicht ein Gesicht!"
Zugegebenermaßen, war das Gesicht des Toten auch nicht besonders markant. Es war eines dieser Tausendgesichter, die einem jeden Kriminellen und Trickbetrüger optimale Berufsvoraussetzungen boten.
"Das ist verständlich", pflichtete Fred der Reinigungsfachkraft bei. "Ist vielleicht in letzter Zeit irgend eine Priestergewandung abhanden gekommen?"
"Sie meinen gestohlen?"
"Genau", ergriff Romulus das Wort.
"Nein", antwortete Fräulein Reingut knapp und somit wurden die Wächter gewahr, dass es sich auch bei diesem Strohalm, nach dem sie gegriffen hatten nur um ein schnödes Holzstäbchen handelte.
"Und sonst ist auch nichts Besonderes geschehen?" hakte der Chief-Korporal nach.
Die Reinemachefrau schüttelte den Kopf und nahm ihre Arbeit wieder auf. Resignierend verabschiedeten sich die beiden Ermittler und befragten noch weitere Priester nach seltsamen Vorkommnissen, oder dem toten Mann auf der Ikonographie. Wie erwartet schien niemand etwas von ihm zu wissen. Nachdenklich stiegen Romulus und Kolumbini wieder in die Kutsche. Hoffentlich würden sie bei der Gilde der Forscher, Erfinder und anderer Wissenschaftler mehr herausfinden.

APPELARUNT MEO INSANO!!!!! war das Motto, welches über dem schlichten Eingang der Gilde für Forscher, Erfinder und anderer Wissenschaftler(oder "...und anderer Verrückter", wie sie der Volksmund bereits lieblich getitelt hatte) prangte.
Das Wappen war schwarz und von zwei Blitzen durchzogen, die in eine Antenne einschlugen. Soweit Kolumbini wusste, war die Gilde nach einem größeren Auswanderungsschub aus Überwald entstanden, hatte sich aber in der jüngsten Zeit zu einer respektablen Größe in Sachen Forschung entwickelt. Da man jedoch auf der Scheibenwelt von biologischen und chemischen Vorgängen ungefähr so viel Ahnung hatte, wie ein Grottenolm von hochwertiger Literatur, [1]blieb dieser Zweig des städtischen Lebens von der Bevölkerung recht unbeachtet. Dem durchschnittlichen Morporkianer war es egal, wie denn nun die Dinger hießen, die ein Kohlblatt grün machten, oder aus welchen unterschiedlichen Stoffen das Wasser des Flusses Ankh zusammengesetzt war.
Kolumbini musste nicht klopfen, um zu wissen, dass hinter diesem Gildenportal ein buckliger, lispelnder Diener mit Nähten im Gesicht, einem alten Frack und "Traditfion" auftauchen würde und sicherlich musste er dessen Namen nicht erst erraten.
Hinter den beiden Wächtern stand Inspäctors Diener Igor, den Fred mitgenommen hatte, für den Fall, dass sie nicht in das Gildengebäude kämen, wenn sie ihre Dienstmarken zeigen würden. Igors hatten bei Igors immer einen Stein im Brett. Denn irgendwo waren alle Igors miteinander verwandt, auch wenn niemand das "wie" genau verstand, geschweige denn, dass jemand wusste, wie viele es von ihnen gab, oder wie sie sich auseinanderhalten konnten.
"Ja? Waf wünfen Fie?" kam eine typisch alt und dumpf klingende Stimme aus der kleinen Schiebetür, die in das Holzportal eingelassen war.
"Wir würden gerne einige Dinge über Edward Prinz wissen."
"Wer find Fie?"
"Wir sind von der Stadtwache", erläuterte Fred.
"Dann kommt ef gar nift in Frage, daff..."
"Igor? Bift du daf?" kam plötzlich die Stimme, von Kolumbinis Diener hinter den beiden Wächtern. "If wuffte ja gar nift, daff du auch in Ankh-Morpork bift."
Die Tür öffnete sich und Igor kam heraus. "Igor? Du!? Menf wir haben unf ja eine Ewigkeit nift mehr gefehen. If glaube daf letfte mal haben wir unf auf Igorf Geburtftag getroffen, weift du den wo Igor...",der Bucklige kicherte , "...na du weift ficher noch, waf er mit der Tochter vom Grafen angeftellt hat."
Igor lachte schallend: "Oh ja natürlif. Junge, ef hat Ewigkeiten gedauert, bif wir wieder alle feine Teile fufammen hatten. Aber wir können gleif weiterplaudern, Igor. Mein Herr hier möfte gerne mit deinem Herren plaudern und daf geht doch fifer klar, oder?"
Der Gildenigor beäugte Fred und Romulus misstrauisch.
"Der Menf oder der Werwolf?" fragte er.
"Erfteref. Daf geht doch, oder?"
"Ja, aber der Werwolf muff draufen bleiben."
Kolumbini blickte seinen Kollegen fragend an, der daraufhin sagte, dass es schon ok sei und er der Meinung war, man solle nicht zu viel Aufhebens darum machen. Immerhin hätten die beiden sonst noch wohlmöglich Ärger mit DOG bekommen, der Gildenabteilung der Stadtwache.
Die beiden Igors und Inspäctor verschwanden in der Gilde und Romulus beschloss, wieder in die Kutsche zu gehen.
Obgleich das zweistöckige Gebäude von Außen wie ein gewöhnliches morporkianisches Fachwerkhaus ausgesehen hatte, war es von Innen durchaus interessant anzusehen. Man hatte die Wände mit schwarzen überwaldianischen Schieferplatten ausgekleidet und überall hingen Fackeln und Spinnweben. Dass die Gilde erst ein gutes halbes Jahr dieses Gebäude hatte, schien nicht von Bedeutung dafür zu sein, dass sie bereits Unmengen von Porträts, ihrer "berühmten" Mitglieder aufgehängt hatte. Edward Prinz war selbstverständlich unter ihnen, doch was Kolumbini verwunderte war, dass sich sogar ein Bild seines Bekannten Oflo in der Reihe fand. Er hatte mit dem Zwerg bei dem Fall im Lord Winder Internat zu tun gehabt und hatte ihn seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Ehrlich gesagt wusste Kolumbini genau, dass er die damals geschlossenen Freunde seit nun zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Schnell verscheuchte er diesen Gedanken wieder und bemühte sich, mit Igor Schritt zu halten. Die Familie der Igors hatte das Hochgeschwindigkeitshumpeln bis zur Perfektion entwickelt. Sie gingen in den zweiten Stock, vorbei an einigen Türen und an einem Portal, welches in den Keller zu führen schien. Unter mancher Pforte kam ein bläulicher Schimmer hervor und ein gelegentliches irres Kichern ließ die beiden Neuankömmlinge sofort verstehen, in was für einer Gilde sie sich hier befanden. Andere Türen wiederum schienen sehr normal zu sein und weder Dampf noch ein Gekicher, das auch sehr gut von einem Massenmörder auf Lachgas kommen konnte, drang hinter ihnen hervor. Kolumbini führte dies auf das Faktum zurück, dass in letzter Zeit wohl immer mehr "seriöse Forscher" der Gilde beigetreten waren.
"Wir find da", zeigte Igor auf eine große Doppeltür am Ende des Ganges, die er öffnete und kurz in dem Raum dahinter verschwand. Als er wieder zum Vorschein kam, wandte er sich an Inspäctor. "Herr Jellief ift bereit, dif tfu empfangen", erläuterte der Diener und begann dann mit Igor über die Heimat zu plaudern.
Verlegen trat Kolumbini in das Büro, in dem wider Erwarten tatsächlich gearbeitet wurde. Zwei Männer in weißen Kitteln beäugten eine Art Miniaturkatapult. Einer der beiden fuhr hoch und begrüßte den Stadtwächter.
"Guten Tag, Herr Kolumbini", streckte er ihm die Hand entgegen. Seine Stimme war alt, aber sehr freundlich. In seinem Gesicht spiegelten sich Erfahrung und eine nicht unbedeutende Portion Fanatismus wider, von diesem Fanatismus hatte sein Haar anscheinend nicht viel mit auf den Weg bekommen, es sah aus, als sei es schon vor Ewigkeiten ausgefallen. "Mein Name ist Marius Jellief, ich bin Oberhaupt dieser Gilde. Was kann ich für die Stadtwache tun?"
Inspäctor streckte dem Alten die Hand entgegen. Seltsam...irgendwie war er heute hauptsächlich alten Menschen begegnet und er fragte sich, wie der Altersdurchschnitt der befragten Zeugen wohl im Endeffekt ausfallen würde. Lediglich einige junge omnianische Priester würden die Statistik verfälschen. Der Ermittler ging nicht darauf ein, weshalb Jellief seinen Namen bereits wusste, vermutlich waren hinter den Gemälden der berühmten Mitglieder irgendwelche "Beobachter"...oder Igor hatte ihn einfach erwähnt.
"Es geht um das frühzeitige Ableben von Edward Prinz. Einer Ihrer Mitarbeiter hat seine Leiche gefunden, wenn ich richtig informiert bin?"
"Exakt. Das war Herr Franken hier", erläuterte das Oberhaupt und der zweite Mann im Raum richtete sich auf. Auch ihm war das Haar teilweise ausgegangen, doch die braunen Reste desselbigen standen wild in alle Richtungen ab, was ihm ein äußerst merkwürdiges Aussehen verlieh.
"Ja?" sprach er mit einer überraschend normal und tief klingenden Stimme. "Oh, ja! Das stimmt. Armer alter Kerl. War einer unserer Fähigsten! Und ich habe ihm gerade seine Auszeichnung überbringen wollen."
Kolumbini hatte seinen Notizblock herausgeholt und begann darauf zu schreiben.
"Für was war denn diese Auszeichnung?" hakte der Lance-Korporal pflichtbewusst nach.
"Na für seine Arbeit an seinem künstlichen Menschen."
"Sie meinen diesen unseligen Kerl mit den Scherenhänden."
"Ja. Er hatte sie leider nicht mehr ersetzen können. Er meinte stets, die Hände seien das Schwierigste, doch er müsse bald soweit sein. Doch nun ist er tot...ich muss sagen, dass es erstaunlich schnell ging, dass sie bei uns aufgetaucht sind", sprach Franken und in seiner Stimme lag eine gewisse Bewunderung. "Aber wie sind sie an Igor vorbeigekommen?"
"Ich habe das Glück ebenfalls einen Igor in meinen Diensten zu wissen, Herr Franken. Sagen Sie die Herren, wissen Sie, ob Prinz irgendwelche Feinde hatte. Ich meine wenn er wirklich bekannt und erfolgreich war, so traten doch bestimmt einige Neider auf den Plan, nicht wahr?"
"Da müssen wir Sie leider enttäuschen, Inspäctor", ergriff Jellief wieder das Wort. "In unserer Branche bekommt man keine öffentliche Aufmerksamkeit wir sind eher ein kleiner eingeschworener Kreis. Prinz war der einzige, der nicht im Gildenhaus arbeitete. Ansonsten reicht dieses bescheidene Heim völlig aus, um all unsere Mitglieder zu beherbergen. Auch wenn manch eines unserer Mitglieder prophezeit, dass wir eines Tages "ganz groß rauskommen werden", [2] so ist es derzeit bei uns eher tote Hose, was Aufmerksamkeit angeht und somit ist es auch extrem unwahrscheinlich, dass einer unserer Männer einen anderen umbringt, weil er eine Erfindung gemacht hat. Zumal Ed seinen Vincent schon seit beinahe einem Jahr fertig hat, mal abgesehen von den Händen."
"Vincent?"
"Ja so ist sein Name. Hat er Ihnen das denn nicht gesagt?"
"Er hat kein einziges Wort gesprochen."
"Nun das ist nicht verwunderlich, immerhin ist sein Schöpfer umgebracht worden."
"Und wir vermuten, von ihm."
"Was?" kam es wie aus der Pistole geschossen von den beiden Wissenschaftlern.
"Nunja, seine Leiche wies Schnittwunden auf und..."
"Glauben Sie mir, Herr Kolumbini", unterbrach Franken den Wächter. "Vincent könnte seinem Herren nie etwas antun. Er war sein Vater...sein einziger Halt im Leben. Aber was ist mit diesem Priester, wissen Sie da etwas Genaueres?"
Inspäctor schüttelte nachdenklich den Kopf und schrieb Etwas in seinen Notizblock.
"In der omnianischen Kirche kannte ihn niemand und es scheint auch keine Priesterkleidung aus dem Tempel gestohlen worden zu sein, mit der sich ein Außenstehender als Priester hätte ausgeben können."
"Haben Sie eine Ikonographie?" erkundigte sich Jellief, schüttelte jedoch den Kopf, als er sie sich genau ansah. "Nie gesehen, Herr Kolumbini. Auch wenn er irgendwie einfältig wirkt."
"Hm?"
"Nunja er wirkt irgendwie einfältig von seinen Gesichtszügen her, auch wenn sich das bei einem Toten schwer sagen lässt."
"Wie auch immer. Ich danke Ihnen, die Herren. Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, können Sie mich ja kontaktieren. Schicken sie einfach eine Semaphorennachricht an das Wachhaus adressiert an Lance-Korporal Kolumbini."
"Möchten Sie vielleicht Edwards Akte mitnehmen, Herr Kolumbini?" fragte Jellief und holte von seinem Schreibtisch, der vor einem großen runden Fenster stand und mit Papierkram überladen war, eine kleine Mappe hervor. "Da ist so eine Art Lebenslauf drinne."
"Oh, das ist zu freundlich. Aber eine Frage noch, wieso haben Sie Igor die Anweisung gegeben, er solle keine Wächter hereinlassen?"
"Nun wenn Sie diese Aufgabe nicht hätten lösen können, wäre das Gespräch wohl kaum die Zeit wert gewesen, die wir Ihnen geopfert haben, oder?"
Kolumbini bedachte die beiden Wissenschaftler mit einem verwirrten aber freundlichen Grinsen und verabschiedete sich von Ihnen. Sie wandten sich wieder dem Minikatapult zu.
"Herr Franken, den Stein bitte", war das Letzte, was Kolumbini hörte, bevor er mit Igor das Gildengebäude verließ.

Edward Prinz...ein angesehenes Mitglied einer unbedeutenden Gilde, die im Auge der Öffentlichkeit ungefähr so viel Platz einnahm, wie all die Bettler, die auf der Straße lungerten, oder jedes andere Elend, vor dem die Morporkianer ihre Augen verschlossen. Was ohne Nutzen für sie war, war es somit auch nicht wert, beachtet zu werden. Ein nicht-fangbarer Fisch war, nach ihrem Denken, ohne Nutzen für sie.
Entweder hatte man Prinz nicht gekannt, oder man hatte keinen Gräuel gegen ihn. Kein Motiv dafür und doch war er ermordet worden. Vielleicht doch von seinem Vincent? Allerdings, wenn die Wissenschaftler wirklich sicher waren, dass er seinem Erfinder nichts hätte antun können...sie mussten sich geirrt haben, schloss Kolumbini.

Als die beiden Ermittler in der Villa Kolumbinis im Bachlosen Weg 12 angekommen waren, schien eine warme Spätmittagssonne auf die Scheibe herab. Hier im besseren Teil der Stadt hätte man tatsächlich von einem "schönen Tag" sprechen können, zumal der abscheuliche Geruch der Metropole hier nicht so stark war und weniger Verkehr auf den Straßen herrschte. Herbstlaub wehte durch die Straßen...gelbe und rote Tupfer von Farbe im monochromen Netzwerk der Millionenstadt. Die Villa lag von inzwischen rotem Efeu teilweise überzogen, wie ein Landhaus aus einem Fotoband dar. Durch das goldene Licht der Herbstsonne bekam die Szenerie eine wunderbar romantische Atmosphäre. Einige der Hecken waren jedoch das gesamte Jahr über grün und bildeten einen perfekten Kontrast zum restlichen Bild. Manch ein Künstler wäre für solch eine Vorlage gestorben. Eigentlich fehlte nur noch ein alter Mann, der pfeiferauchend in einem Schaukelstuhl vor dem Haus säße, um dem Klischee eines morporkianischen Landsitzes vollkommen zu entsprechen.
Im Inneren der Villa herrschte leider keine solch große Idylle. Keine Minute nachdem die Drei das Anwesen betreten hatten, kam Ivonne Kolumbini, Inspäctors Cousine, auf sie zu und begann mit ihrer verrauchten und kratzigen Stimme (die zwar zu ihrem Beruf des privaten Ermittlers passte, jedoch eher zu der männlichen Sorte) sich lauthals über den armen Vincent auszulassen.
"Was für einen Freak hast du denn da angeschleppt, Cousin?" fragte sie nicht gerade freundlich.
"Er heißt Vincent und ist kein "Freak", wie du es beliebst auszudrücken, sondern ein Mensch, wie du und ich, nur eben mit Scheren statt Händen."
"Egal, wie er heißt und was er ist. Schere wäre ohnehin ein viel passender Name. Jedenfalls hat er die Kleidung, die ich ihm gegeben habe zerschnitten und die Spaghetti hat er nicht angerührt", sprach die gutaussehende junge Dame in sarkastischem Tonfall weiter.
"Du hättest ihn ja auch füttern können", warf Inspäctor seiner Cousine vor.
"Bitte? Hast du nen Knall, Fred? Ich füttere doch keinen Freak durch, den du angeschleppt hast."
Über dieses Kommentar konnte der kleine Mann nur den Kopf schütteln.
"Hast du denn kein Mitleid mit dem armen Kerl?"
"Nein", erwiderte die Detektivin kalt. "Meinst du irgendeiner der verfluchten Schläger von Calzone hätte mit mir Mitleid gehabt, als ich drei Wochen ununterbrochen von ihnen gefoltert wurde?"
Wohlwissend, dass dies nur eines der vielen Lügenmärchen seiner Cousine war unterbrach Kolumbini seinen Kollegen in dem Unternehmen, genauer nachzufragen und schenkte selber dieser Bemerkung keinerlei Aufmerksamkeit.
"Am Besten ist es wohl, Igor kümmert sich um ihn. Wo ist er?"
"Er ist derzeit mit dem Püschologen oben in deinem Zimmer."
Aha. Bregs war also noch da, was entweder hieß, dass die Wacheleitung Vincents Aufenthalt hier billigte, oder noch nicht von ihm erfahren hatte. Inspäctor beschloss, nach Oben zu gehen und herauszufinden, wie weit Araghast schon gekommen war.
Wie sich herausstellte war der Püschologe keinen Schritt weiter. Allerdings hatte er den Anstand, mit Kolumbini vor der Tür des Zimmers zu reden, in dem sich Vincent derzeit noch aufhielt.
"Soso sein Name ist also Vincent", murmelte Araghast vor sich hin.
"Ja. Hat er schon irgend etwas gesagt?" erkundigte sich Fred.
"Nein, nicht das Geringste. Entweder will er nichts sagen, weil er den Mord begangen hat und es selber nicht fassen kann, oder er sagt uns nichts, weil er noch unter Schock steht. Vielleicht kann er auch gar nicht reden."
Nachdenklich öffnete der halbe Brindisianer die Tür zu seinem Büro und blickte die Erfindung nachdenklich an. Ein künstlicher Mensch...es erschien so...seltsam, selbst für einen halben Überwaldianer. Immerhin sahen die überwaldianischen Entwicklungen auch künstlich aus. Aber dieser junge Herr hier wirkte, mal abgesehen von den Scherenhänden und der unmenschlichen Frisur, wirklich echt. Seine Kleidung bestand lediglich aus schwarzem Leder und schien am Körper selber festgenäht zu sein.
"Aber natürlich", fiel es Kolumbini ein. "Seine Kleidung muss ihm direkt an den Leib geschneidert worden sein."
"Du meinst sicher auf den Leib, was Fred?" meinte Araghast mit scherzhaftem Tonfall.
"Nein, nein. Ich meine, dass man ihm seine Klamotten direkt am Körper zusammengenäht hat, da er ja keine Hemden und so anziehen kann. Stimmt's nicht?
Mit dem letzten Satz hatte er sich an den jungen Mann gewandt, der daraufhin nur mit bedauernswertem Blick nickte.
"Nunja, das sollte für Igor kein Problem sein."
Diesmal lag noch mehr Angst in der Mimik des Scherenmannes und er betrachtete die beiden Wächter eingehendst.
"Keine Angst, Vincent. Wir werden dir nichts tun", erläuterte Kolumbini mit seiner freundlichsten Stimme. "Du musst uns nur sagen, was vorgefallen ist. Du weißt doch sicher, was passiert ist und wenn du irgend etwas getan hast, so hattest du sicher deine Gründe dafür, nicht wahr?"
Er wusste nicht, was er erwartet hatte, nachdem diese Sätze seine Lippen verlassen hatten. Insgeheim vielleicht einen plötzlich aus dem Scherenmann heraussprudelnder Wortschwall, oder so etwas in der Art, oder auch nur einige wenige Worte, die das "wie" erklären würden. Ganz gleich, was der kleine Mann erwartet hatte, es blieb aus, denn Vincent blieb abermals stumm und blickte die beiden Stadtwächter nur mit trauriger Miene an.
"Ich geb's auf, Fred", meinte Araghast und ging aus der Tür, woraufhin ihm sein Kollege folgte. "Ich habe eine Abteilung, um die ich mich kümmern muss. Soll sich einer von euren Püschologen damit befassen. Ich muss nun gehen. Hoffentlich zeigt Ras für die ganze Aktion Verständnis, sonst hast du ein ziemliches Problem."
"Was meinst du?"
"Nunja du gewährst einem dringend Tatverdächtigen Unterschlupf und willst partou nicht, dass er eingesperrt wird. Ich kann zwar vom püschologischen Standpunkt aus dafür plädieren, aber wenn die ganze Sache publik wird, könnte eine Menge Ärger auf dich zukommen."
Bregs Worte hatten etwas prophetisches, eine Warnung vor den Dingen, die da harrten zu geschehen. Ein leises Seufzen war alles, was Inspäctor dazu hervorbringen konnte.
"Ich weiß, ich weiß. Es ist nicht das erste mal, dass so etwas passiert, oder?"
"Du meinst den Fall im Lord-Winder Internat?"
"Jip."
"Damals hattest du eine gute Nase...ich hoffe, dass es dieses mal auch so ist."
Für diesen Kommentar erhielt Araghast einen fragenden Blick von seinem Kollegen.
"Was meinst du damit?"
"Beim Fall Callowdeck war es etwas anderes. Damals konnte ich immerhin ein Profil der Verdächtigen erstellen. Diesmal hast du rein gar nichts außer deiner Nase, die, versteh mich nicht falsch, in letzter Zeit nicht gerade viel Übung hatte."
Fred wusste, dass dieser Kommentar nur gut gemeint war, doch es stimmte ihn depressiv, dass nicht einmal seine Kameraden ihm vertrauten.
"Ich habe einen Beweis."
"Der da wäre?"
"Nunja die Burschen von der Forschergilde meinten, dass Vincent Niemandem etwas zu Leide tun könnte, erst recht nicht seinem Erfinder. Er hat ihn geliebt wie einen Vater."
"Was für ein Beweis, heh? Eine Aussage von Leuten, die die meiste Zeit in dunklen Kammern verbringen und irre Kichern."
In der Stimme des Feldwebels lag tiefster Sarkasmus. "Du weißt, wie ich es meine", fügte er hinzu, als er Inspäctors verletzten Gesichtsausdruck sah.
"Ja", murmelte der Angesprochene nur.
Was war nur mit dem kleinen Kauz los? In letzter Zeit zog er sich mehr und mehr zurück und reagierte auf Sachen empfindlich, die ihm nie etwas ausgemacht hatten. Überarbeitet konnte er wohl kaum sein. Bregs beschloss, diese Sache später genauer zu erörtern und ging aus dem Haus der Kolumbinis in Richtung Pseudopolisplatz.
Inspäctor hingegen blickte kurz nachdenklich drein, schüttelte den Kopf und rief nach seinem Diener, um den Tee in Auftrag zu geben.

Teezeit! Dieses Ritual war der Familie Kolumbini stets heilig und Fred ließ sich seinen Fünf-Uhr-Tee von Nichts und Niemandem vermasseln. Es war nun wenige Minuten vor Fünf und die Vorbereitungen waren in vollem Gange. Kurzbrot [3] wurde vorbereitet und zusammen mit der Teekanne auf den großen Tisch im Speisesaal gestellt.
Romulus von Grauhaar war natürlich eingeladen worden und saß bereits am Tisch, von dem aus er das Gewusel der Familie Kolumbini interessiert und mit gewissem Amüsement beobachtete. Nach kurzer Zeit starb die Hektik ab und Ivonne und Kolumbini setzten sich zu ihrem Gast. Igor setzte sich vorerst nicht hin, sondern stand in typischer Dienermanier bei dem Tisch, um für weitere Dinge zur Verfügung zu stehen.
"Igor setz dich ruhig und trink einen Tee mit uns", schlug Fred vor und der Diener folgte dem Aufruf. "Und ruh dich mal aus, ok?"
Rötlich goldener Tee befand sich in der gläsernen Teekanne und schimmerte im Herbstlicht. Unter der Kanne befand sich ein Glasbehälter, auf dem eine Metallplatte ruhte. Ein Teelicht, welches sich in dem Glasbehälter befand sollte für eine Erwärmung der Eisenplatte sorgen und somit einer Abkühlung des Heißgetränkes entgegenwirken.
Gemütlich nahm Inspäctor die Teekanne auf und goss seinen Gästen nach und nach ein. Daraufhin verwies er mit einem freundlichen Lächeln auf die Plätzchen auf dem Teller. Vincent starrte verlegen auf seine Tasse, bis Kolumbini ihm einen Strohalm gab. Der Geruch des Tees schien dem Lance-Korporal eine gewisse Art von Beruhigung zu verschaffen, doch Romulus bemerkte, dass sie nur oberflächlich schien.
Gerade wollte der halbe Überwaldianer seine Tasse, in die er neben dem Tee schon etwas Milch und einen Schuss Honig hineingetan hatte, an den Mund heben, als es an der Tür klopfte. Verwundert hob Fred die Augenbrauen und fragte in die Runde ob noch ein Gast fehle.
"Sicher Bregs, der sich anders entschieden hat", murmelte er und ging in die Empfangshalle. Schritt für Schritt näherte er sich dem Portal, öffnete sie und blickte auf einen spitz zulaufenden schwarzen Hexenhut; dann glitt sein Blick zu dem dazugehörenden Gesicht.
Es gehörte definitiv einer jungen Dame, die nicht jünger als achtzehn und nicht älter als einundzwanzig sein mochte, doch es ließ sich schwer feststellen, denn in ihren Augen spiegelten sich Jugend und Lebensfreude, gepaart mit einem nicht unbeträchtlichem Anteil von Schläue wider. Ihre kleine Nase wurde von Sommersprossen geziert und überhaupt weckten ihre Züge einen zärtlichen Eindruck. Ihr schulterlanges braunes Haar hatte sie mittels eines roten Samtbandes zu einem lockeren Zopf zusammengebunden. Sie war nur minder größer als der kleine Wächter und trug die für Hexen typische schwarze Kleidung, die allerdings von roten Schuhen ergänzt wurde. In der rechten Hand trug sie einen roten Reisekoffer aus Leder und in ihrem Gesicht das freundlichste Lächeln, welches Kolumbini jemals gesehen hatte. Er kannte dieses Lächeln.
"Fräulein Gutherr?" kam es ungläubig aus seinem Munde.
"Mai ouis, Kolumbini", antwortete die junge Dame auf Quirmianisch und umarmte den kleinen Ermittler herzlich.
"Du hier?" war alles, was der nicht nur leicht perplexe Lance-Korporal hervorzubringen in der Lage war.
"Jip. Erinnerst du dich nicht mehr, was du damals gesagt hast? Wann immer ich in der Stadt sei, solle ich mal zum Tee vorbeischauen", lächelte ihn Oktarina an, woraufhin Fred wieder nur einen verwirrten Blick als Antwort gab. Dann begann er zu lachen.
"Nun...das nenne ich wahrlich eine freudige Überraschung. Dass du dich nach all der Zeit noch an diese Einladung erinnerst. Aber du wirst mir verzeihen, wenn ich dich frage, was mit Marcus passiert ist, oder? Aber komm erst einmal rein...du hast sicher viel zu erzählen, so wie du aussiehst."
In den Augen der jungen Dame blitzte es kurz auf: "Oh ja, das habe ich."

"Nachdem Marcus und ich einige Wochen bei meinen Eltern in Sto Lat verbracht hatten, beschlossen wir, mehr von der Scheibe zu sehen. Es war ein heller Tag mitten im Winter, als wir beschlossen, aufzubrechen. Krähen zogen über die Kohlfelder, wie ein Zeichen eines heraufziehenden Unheils. Wenn man bedenkt, was auf uns wartete, so mögen sie dies vielleicht auch gewesen sein. Denn kaum waren wir einige Tage unterwegs in Richtung nach Lancre, wo wir kurz bleiben wollten, um die Spitzhornberge zu bewundern, da überfielen uns Straßenräuber. Es waren drei hässliche Gesellen, denen das Leben übel mitgespielt haben musste. Sie wollten kein Erbarmen zeigen und uns nicht nur all unser Geld sondern auch unser Leben nehmen. Doch Marcus wollte mich verteidigen und so griff er nach dem kleinen Schwert, das er mit sich trug und griff die Räuber furchtlos an...natürlich brachten sie ihn um...er hatte keine Chance, der Arme."
"Das ist traurig, Oma", bemitleidete Emma ihre Großmutter mit Augen voller Tränen. Sie hatte von Marcus aus einer Geschichte gehört, die zu der Zeit in Sto Lat spielte.
"Weißt du, genau das sagte Kolumbini damals auch. Obwohl er mich natürlich mit "Fräulein Gutherr" anredete und nicht mit "Oma", wie du." Sie lächelte.
"Und genauso wie damals, ja nun wohl noch mehr, bin ich über diese Geschichte hinweg. Aber ich habe ihn nie vergessen, weißt du. Und das ist wohl das Wichtigste, wenn man einen geliebten Menschen verliert...dass man ihn stets in liebevoller Erinnerung behält.
Ich hatte damals jedoch großes Glück. Denn kaum hatten die Räuber einen Schritt auf mich zu gemacht, da hörte ich einen wütenden Schrei aus der Luft und ehe ich es mich versah, stand eine Hexe mit einem roten Lederkoffer und einem Besen neben mir und verscheuchte die Banditen. Denn obgleich sie groß und nicht gerade helle waren, so wussten sie doch, dass man sich mit einer alten Hexe nicht anlegen sollte. Darum nahmen sie ihre Beine in die Hand und rannten so schnell sie nur konnten davon. Die alte Dame, ihr Name war übrigens Frau Knugut, versuchte alles ihr Mögliche, um Marcus zu helfen, doch es war bereits zu spät.
Weil sie Mitleid mit mir hatte, bot sie mir an, in ihre Dienste zu treten und die Grundzüge der Hexerei zu erlernen, denn dass ich ein Naturtalent sei, sehe sie auf den ersten Blick. Sie meinte, es würde nicht lange dauern, bis ich die Grundkenntnisse erworben hätte und somit beschloss ich, mit ihr zu fliegen, womit ein neuer Teil meines Lebens begann.
Frau Knugut erzählte mir auf dem Flug, dass sie gerade geschäftlich in Ankh-Morpork unterwegs gewesen sei und dass sie nun auf dem Heimweg in die Spitzhornberge sei und dann mich gesehen habe. Je länger wir reisten, desto mehr wuchsen wir uns gegenseitig ans Herz und als wir schließlich in ihrer kleinen windschiefen Hütte am Rande der Spitzhornberge angekommen waren, hatte ich ein neues zu Hause gefunden, auch wenn ich nicht lange bleiben sollte. Anderthalb glückliche und lehrreiche Jahre verbrachte ich bei Frau Knugut, bis sie schließlich sagte, dass ich nun genug Wissen hätte, um in die Welt hinauszuziehen.
Sie könne mir ohnehin nur noch Dinge beibringen, die ich schon noch erlernen würde, also meinte sie, ich solle hinausziehen und dort hingehen, wo ich nun gerne sein wolle. Als Abschiedsgeschenk gab sie mir nicht nur eine richtige Hexenkluft, sondern auch einen wahrhaftig fliegenden Besen und ihren roten Reisekoffer."
"Besaß der ebenfalls magische Kräfte, Großmutter?" ließ sich Emma aufgeregt vernehmen.
"Nicht das ich es wüsste, Emma, aber die Wäsche die man darin unterbringt, ist seltsamerweise bei der Ankunft immer verknittert. Nunja auf jeden Fall, nachdem ich den Anwesenden diese Geschichte erzählt hatte, sagte Kolumbini..."

"Moment mal, Oma!"

"Ähm, nein das sagte er nicht, Emma, was ist denn?" ließ sich Oma Gutherr verschmitzt vernehmen.
"Du hast gar nicht gesagt, wie das war, als du in den Raum kamst und so...ich meine da muss doch noch etwas gewesen sein."
"Das willst du wirklich hören?"
"Ja", meinte Emma protestierend.
"Nun gut", lachte Oktarina und nahm den Erzählfaden wieder auf.

Als Oktarina Gutherr den Raum betrat, wurde sie mit fragenden und erstaunten Blicken begrüßt. Nun wenn man von dem Fall eines kurzen Blickes und dann einer raschen Abwendung des Antlitzes absah. Letzteres tat Vincent, als er die junge Dame sah.
"Möchtest du uns die junge..." Kolumbini blickte seine Cousine, die, wie er vermutete "Hexe" sagen wollte, böse an. "Dame nicht vorstellen, Fred ?" schloss sie den Satz.
"Fred?" kam es amüsiert von Fräulein Gutherr.
"Das ist so eine Art Spitzname von mir", erläuterte ihr der halbe Überwaldianer, bevor er sich zu den Anderen wandte. "Dies ist Fräulein Oktarina Gutherr. Sie war in einen Fall verstrickt, den ich vor zwei Jahren bearbeitet habe."
"Das kann man wohl sagen", meinte die junge Dame und lachte. "Er hat mich damals vor dem Galgen bewahrt und mich vom Mordverdacht reingewaschen."
"Man tut was man kann, ey? Nunja erlaube mir, dass ich dir die Anderen vorstelle: das ist meine Cousine Ivonne, mein Diener Igor und das ist mein Kollege Romulus von Grauhaar, der mit mir derzeit an einem Fall arbeitet. Oh, das hätte ich fast vergessen. Dieser junge Herr dort heißt Vincent und ist in eben diesen Fall verwickelt."
Alle Angesprochenen standen kurz auf, oder winkten Fräulein Gutherr kurz zu. Vincent brachte lediglich ein kurzes Nicken zu Stande. Die junge Dame begrüßte einen jeden mit einem höflichen Knicks und einem strahlenden Lächeln.
"Was ist das für ein Fall, an dem du arbeitest?" erkundigte sie sich mit offenkundigem Interesse in der Stimme.
"Oh, das erzählen wir dir gleich. Du bist zuerst mit Erzählen dran, Fräulein Gutherr."
"Eigentlich ist es doch eine Schande, dass wir bei so einem schönen Wetter hier drinnen sitzen, oder?"
Und da sie nicht nur in gewisser Weise recht hatte, beschloss man, die Sachen schnell nach Draußen zu bringen. Es war bereits Ende des Monats Asche, doch das Wetter war schöner, als man es sich wünschen konnte. Denn vielmehr frühlingshafte Temperaturen herrschten in der Stadt und die letzten Strahlen der kleinen Sonne der Scheibenwelt spendeten immer noch eine ausreichende Wärme.
Der Himmel wirkte, als habe man ihn gemalt, denn die roten Wolken wirkten vielmehr wie Farbtupfer auf einem blauen Hintergrund eines besonders romantisch veranlagten Malers. Die Stimmung hätte wahrlich nicht schöner sein können, um etwas Tee zu trinken, Kurzbrot zu knabbern und dabei den Erzählungen von Fräulein Gutherr zu lauschen. Inspäctor und Romulus pafften genüsslich an ihren Tabakspfeifen und bliesen Rauchringe in die Luft. Als sie ihre Erzählungen beendet hatte ergriff zuerst Kolumbini das Wort.
"Das war wahrlich eine schöne Geschichte, Madame", lobte er und hatte zumindest das Gefühl, für Alle zu sprechen. "Auch wenn mir das mit Marcus wirklich Leid tut."
"Danke, Kolumbini. Und nun bist du dran. Was ist das für ein Fall?"
"Nun der Erfinder von Vincent hier wurde ermordet aufgefunden und zwar zusammen mit einem omnianischen Priester oder besser gesagt: einem Mann, der die Kleidung eines omnianischen Priesters trug, denn niemand im Tempel des Om scheint ihn gekannt zu haben. Vielleicht wissen wir morgen früh mehr, wenn die Obduktion fertig ist."
"Was wäre, wenn sie jetzt schon fertig sind, Fred?" erkundigte sich Romulus bei seinem Kollegen. "Ich meine wir waren heute den ganzen Tag unterwegs."
"Hm. Nun ich bin eher dafür, dass wir als erstes morgen früh mal nachschauen, was bei der Obduktion rauskam. Heute möchte ich ehrlich gesagt nicht mehr aus dem Haus gehen."
"Gibt es denn sonst nichts mehr in diesem Fall?" fragte Oktarina neugierig.
"Was, oh, nein nichts Besonderes. Nur, dass wir wissen, dass Vincent seinen alten Herren laut den Wissenschaftlern unmöglich umgebracht haben kann."
Bei diesen Worten blickte Vincent auf und nickte heftig, was die erste richtige Emotion auf eine Bemerkung des Ermittlers war, die er bisher gezeigt hatte. Deshalb war es wohl recht verständlich, dass alle Versammelten, außer Fräulein Gutherr den jungen Mann erstaunt anblickten.
"Warum fragt ihr ihn nicht einfach?" erkundigte sich Oktarina erstaunt.
"Haben wir ja, aber keine Antwort erhalten", gab Inspäctor zur Antwort und der Scherenmann blickte wieder beschämt zu Boden. Keiner bemerkte den misstrauischen Blick, den Romulus Oktarina zuwarf.
"Nun wir sollten besser reingehen, langsam wird es frisch", meinte Fred und bat Igor, die Sachen reinzubringen. Ivonne hatte sie schon verlassen, als es dunkel wurde und Vincent ging nun zusammen mit Igor zuerst hinein. Ihnen folgte Fräulein Gutherr, die etwas Geschirr mit hineintrug. Romulus hielt Inspäctor an, als er ebenfalls in das Haus hineingehen wollte.
"Sag mal findest du das Verhalten von Fräulein Gutherr nicht etwas seltsam?" murmelte er seinem Ermittlerkollegen zu.
"Ich weiß nicht so genau, was du meinst, Romulus."
"Nun sie hat Vincent kein einziges mal komisch angesehen oder so etwas wie "was ist das denn?" gesagt. Mir scheint das etwas..."
Kolumbini unterbrach den Werwolf mit einem Lachen.
"Man merkt, dass du der jungen Dame zum aller ersten mal begegnest. Wenn ich eines über sie in Erfahrung gebracht habe in der Zeit im Lord Winder Internat, dann dass sie Leute niemals dem Äußeren nach beurteilt. Nein aus ihrer Sicht ist jeder Mensch gut, außer er beweist ihr das Gegenteil."
Romulus blickte Inspäctor fragend an. "Ziemlich naive, oder?"
"Nunja Zynismus ist bei uns wohl eine Berufskrankheit, Kollege. Ich meine man kann wohl kaum von uns erwarten, dass wir an das Gute im Menschen glauben, wenn uns alle paar Tage ein Ermordeter vorgeführt wird, oder? Und das andere Menschen andere Weltanschauungen haben ist nicht nur legitim, sondern notwendig."
Kolumbini paffte an seiner Pfeife. "Aber Eines muss ich schon sagen: Fräulein Gutherr scheint sich schon irgendwie verändert zu haben..."
"Inwiefern?" meinte von Grauhaar neugierig.
"Keine Ahnung. Das gilt es noch herauszufinden...aber vorerst haben wir genug mit diesem nebulösen Fall zu tun, was?"
"Das kannst du laut sagen, Fred."

Als hätten die Wettergötter den Satz des kleinen Ermittlers gehört, war Ankh-Morpork am nächsten Tag von dichtem Nebel erobert worden und es war schwer, überhaupt die Hand vor Augen zu sehen. Auf Kolumbinis Schreibtisch befand sich bereits der Tatortbericht von Sillybos und weiterhin eine Nachricht von Jack Narrator, dass er die beiden Ermittler umgehend in der Obduktionshalle von SUSI erwarte.
"Gut, dass ihr endlich da seid", meinte Jack, der gerade ein Schinken-Käse-Sandwich verzehrte, als die beiden Ermittler den Raum betraten.
"Ich habe beide Leichen grundlegendst untersucht und habe Neuigkeiten für euch."
"Die da wären?" fragten beide RUM-Mitglieder quasi gleichzeitig.
Nach diesen Worten zog Jack die Tücher von den zwei Leichen und biss erneut in sein Sandwich hinein. Woher er seinen Appetit nahm, angesichts der beiden Leichen, war beiden Ermittlern ein Rätsel.
"Nun also der Typ mit der Priesterkleidung wurde definitiv durch die vielen Schnittwunden und den Sturz aus dem Fenster umgebracht. Wir haben ihn gründlichst untersucht, konnten jedoch sonst nichts besonderes feststellen. Ich habe hier einige Ikonographien von dem Kerl gemacht aus verschiedenen Winkeln."
Mit diesen Worten reichte er Kolumbini einige Bilder des toten Mannes. Inspäctor gab sie Romulus, nachdem er sie sich kurz angeschaut hatte. Dann sah er sich die Leiche des ominösen Omnianers genauer an.
"Wo habt ihr seine Kleidung hin gebracht?" erkundigte sich der kleine Ermittler, denn derzeit trug die Leiche ein Leichentuch und sonst nichts.
"Einen Moment", meinte Narrator und holte die geforderten Dinge. Er übergab die Kleidungsstücke, ein Paar lederner Stiefel und eine kleine Tüte, Inspäctor und blickte ihn fragend an. "Wofür brauchst du das?"
"Ich will nur mal nachschauen, ob sich an der Kleidung was feststellen lässt."
Nachdenklich fummelte der Lance-Korporal an dem Stoff herum, der erstaunlich dünn zu sein schien für die Robe eines Priesters.
"Nur etwas dünner als normal."
"Ja. Er trug aber noch einen Pullover und eine Baumwollhose darunter."
"Hatte er nicht auch einen dieser Schildkrötenanhänger bei sich?"
Jack zeigte auf die Tüte, die der halbe Brindisianer immer noch in der Hand hielt, aber nicht geöffnet hatte.
"Da sind seine Wertsachen drinne", erläuterte der SUSI-Wächter. "Nur seine Fingerabdrücke, sonst nichts. Wir haben auch in der Kartei nachgeschaut, ihn aber nicht gefunden. Er scheint keine sonderlichen Straftaten begangen zu haben, oder neu hier zu sein."
"Hm", murmelte Kolumbini und nahm Romulus die Ikonographien wieder ab, um ihm die zerfetzte Robe zu geben. Daraufhin warf Fred einen Blick in die Tüte. Darin waren lediglich eine Packung selbstgedrehter Zigaretten, ein Flachmann mit billigem Schnaps gefüllt, ein Geldsäckel mit einigen Dollar und ein Schildkrötenanhänger aus Silber. Erneut brummte Inspäctor nachdenklich und steckte die Sachen wieder in die Tüte.
"Ich darf sie doch mal mitnehmen, oder?" erkundigte er sich bei dem Leichenbeschauer.
"Natürlich", antwortete Jack. "Sein Buch von Om war zu zerfleddert, um noch irgend etwas daran zu erkennen. Anscheinend hat er es schützend vor sich gehalten."
"Hm", war Alles, was von dem kleinen Wächter kam. Er besah sich das Schuhwerk genauer. "Scheinen neu zu sein", stellte er fest.
"Jip. Soweit wir das beurteilen können sind sie erst gestern oder vorgestern gekauft worden. Ansonsten haben wir nichts über ihn."
"Und was ist mit Prinz?" erkundigte sich Romulus.
"Nun er war der interessantere Fall. Er ist nicht an den Schnittwunden gestorben...sondern an einer Vergiftung."
"Na das nenne ich Neuigkeiten, was Fred?" meinte von Grauhaar verschmitzt.
"Allerdings", antwortete Kolumbini und klopfte sich auf sein Glasauge. "An was für einem Gift?"
"Wir wissen nicht genau, was es ist, aber wir arbeiten daran. Allerdings ist der Tod nicht sofort eingetreten. Es hat wohl einige Minuten gedauert, bis das Gift zu wirken begonnen hat. Er ist endgültig an einem Herzstillstand gestorben...nunja eigentlich ist sein Herz...nennen wir es mal explodiert."
"Explodiert?" wiederholte Inspäctor entsetzt.
"Ja, es sieht so aus. Es haben sich mehrere Wunden gebildet, als wenn eine kleine Sprengung..."
"Ok, wir können es uns vorstellen, Jack", meinte Kolumbini, der es äußerst abartig fand, dass der SUSI-Wächter immer noch an seinem Sandwich nagte. Fred blickte zu seinem Ermittlerkollegen und nickte ihm zu. Jetzt konnten sie beide eine Pause vertragen.

In ihrem Büro pafften die beiden Ermittler gemütlich an ihren Pfeifen und tranken im Falle Kolumbinis' eine Tasse Tee, im Falle Romulus' eine Dose Superbulle.
"Also wir können nun wohl davon ausgehen, dass Vincent nicht der Täter war, was den Mord an seinem Herren angeht. Denn wie sollte er a) an Gift rankommen und wie sollte er es ihm b) einflößen", schloss Inspäctor aus den bestehenden Fakten.
"Scheint so, ja. Das solltest du am besten auch mal Rascaal und Daemon erklären, denn wenn ich die Nachrichten richtig interpretiere, sind sie nicht gerade begeistert davon, dass Vincent bei dir wohnt."
Romulus bezog sich damit auf die beiden Rohrpostnachrichten, die am morgen in ihrem Büro gelegen hatten. Auf beiden hieß es, dass sich Fred bitte bei den entsprechenden Leuten melden solle. Inspäctor beschloss also, seinen Chefs Bescheid zu geben.
Es dauerte eine Weile, bis der halbe Brindisianer Daemon überzeugt hatte, aber schließlich willigte der Abteilungsleiter ein.
"Aber nur unter einer Bedingung, Kolumbini", fügte er hinzu.
"Ja, Sir?"
"Er ist stets unter der Aufsicht eines Wächters, ist das klar?"
"Aber das könnte recht hinderlich bei den Ermittlungen sein, Sir", warf Inspäctor ein.
"So, oder gar nicht. Er hat mit Sicherheit den Omnianer auf dem Gewissen und egal aus welchem Grund er das getan hat, er bleibt somit gefährlich. Entweder du oder ein anderer Wächter überwachen ihn ständig, oder er wandert in eine Zelle. Und sollte es irgendwelche Probleme jedweder Art geben, wird er ebenfalls eingesperrt, ist das klar, Kolumbini?"
"Jawohl, Sir. Vielen Dank. Vielleicht kriegen wir ja doch noch etwas aus ihm raus."
"Das will ich hoffen." Nach diesen Worten wandte sich der Abteilungsleiter wieder seinem Papierkram zu. Vermutlich überlegte er gerade, was er davon Romulus aufhalsen würde. Als er bereits die Tür geöffnet hatte, wurde Kolumbini von einem weiteren Nachsatz Daemons aufgehalten.
"Ach und Kolumbini?"
"Ja?"
"Trödel bei diesem Fall nicht herum. Wenn die Presse Wind davon bekommt, dass die Stadtwache derzeit Tatverdächtige frei herumlaufen lässt, könnte es Ärger geben. Wer passt derzeit auf ihn auf?"
"Mein Diener."
"Ah, nun gut. Lass diesen...Vincent besser hier herschaffen. Ich werde versuchen, dem Kommandeur die Sache schonend beizubringen, dann kannst du dich voll und ganz auf deine Ermittlungen konzentrieren."
"Danke, Sir."
Daemon nickte nur und daraufhin verließ Fred endgültig das Büro, um wieder zu Romulus zurückzugehen. Zur Überraschung des Ermittlers befand sich Fräulein Gutherr in dem Büro und redete ein wenig mit Romulus.
"Und woher kommst du?" richtete sie gerade eine Frage an den Werwolf, der kurz und knapp mit "Überwald" antwortete und seinen Kollegen wiederum fragend anblickte.
"Vorerst soll er nicht eingesperrt werden, aber wir müssen ihn ständig beobachten. Wir oder ein anderer Wächter. Außerdem sollen wir ihn so schnell wie möglich herschaffen", erläuterte der kleine Ermittler und begrüßte dann Fräulein Gutherr mit einem freundlichen Nicken und einem "Guten Morgen".
"Morgen, Kolumbini", grüßte Oktarina zurück. "Was gibt's Neues im Fall?"
Inspäctor konnte sich einen verwunderten Blick nicht verkneifen. Die junge Dame hatte es so ausgesprochen, als gehöre sie quasi schon die ganze Zeit zum Inventar. Sie trug noch immer ihre Hexentracht, was sie vermutlich auf den Straßen Ankh-Morporks vor unbeliebten Zwischenfällen schützte.
"Ähm, nunja wir haben die Vermutung, dass Vincent wohl seinen Erfinder nicht getötet hat, aber das lässt sich erst sagen, wenn wir den endgültigen Bericht haben. Prinz wurde auf jeden Fall vergiftet und es gilt nun herauszufinden, was für ein Gift es war und wo man an so etwas drankommt. Was den Omnianer betrifft: wir haben weder genauere Angaben zu seiner Person, noch haben wir eine Ahnung, ob er den Erfinder umgebracht hat. Wir haben kein Motiv dafür gefunden, denn immerhin kennen wir diesen jungen Herren nicht einmal. Was mich beschäftigt ist dieser dünne Stoff der Robe."
"Hm?" meinte Oktarina.
"Nun der Stoff der Priesterrobe war zu dünn, um es als ein richtiges Kleidungsstück zu bezeichnen. Für die derzeitigen Temperaturen mag das tagsüber in Ordnung sein, aber nichts für einen Priester, der den ganzen Tag unterwegs ist", erklärte Fred.
"Aha. Nun das ist wirklich etwas...seltsam", pflichtete ihm die junge Hexe bei.
"Und was hast du bisher so gemacht?" beschloss Kolumbini etwas Small-Talk zu betreiben.
"Oh, ich war heute schon viel unterwegs. War bei der Diebesgilde und habe mir eine Plakette besorgt, damit mir nichts mehr gestohlen wird und habe mich mal hier und da ein wenig umgesehen."
"Aha...weise Entscheidung. Nun, Romulus, hast du eine Idee, was wir machen können?"
"Ehrlich gesagt keinen blassen Schimmer, Fred. Wenn es keine richtige Priesterkleidung ist, könnten wir die Schneidereien abklappern, aber das ist wie ne Nadel im Heuhaufen zu suchen."
"Wohl eher die Nadel in der Güllegrube, in Ankh-Morpork", meinte Inspäctor und erntete ein verschmitztes Lächeln von Romulus für diesen Kommentar.
"Wie auch immer. Auf jeden Fall ist es eine Sache der Unmöglichkeit, da er sich das Ding auch selber genäht haben könnte."
"Ich glaube nicht, dass es von einem richtigen Schneider stammt", meinte Kolumbini.
"Warum nicht?" erkundigte sich von Grauhaar.
"Nunja hast du die Nähte gesehen? Die waren extrem unsauber. Also muss er sich das Ding selber genäht haben. Es wirkte so, als sei es eher nunja ein..."
"Kostüm?" warf Oktarina ein.
Beide Wächter blickten sie an.
"Äh, ja, genau so", sagte Fred.
"Nun dann wissen wir ja, was wir zu tun haben, oder?" kam es von Romulus.
"Wohl oder übel die Kostümverleihe Ankh-Morporks abklappern", meinte Fred voller Resignation. "Ich rufe besser Igor, dann kann Vincent stets in der Kutsche bleiben. Wir sollten uns besser aufteilen, dann geht es schneller. Aber erst einmal müssen wir alle Kostümverleihe finden. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung von so etwas."
"Einen kenne ich. Am Platz der Gebrochenen Monde ist ein kleiner Laden für Ramsch und die verleihen, sofern ich weiß auch Kostüme. Den Besitzer könnten wir fragen, ob er mehr Adressen hat", sagte der Chief-Korporal.
"Ok, auf geht's."
"Und was ist mit mir?" erkundigte sich Oktarina.
"Ähm, nun", suchte Kolumbini nach einer Antwort. "Kann sie mitkommen?" Mit den letzten Worten wandte er sich an seinen Kollegen, der mit den Schulter zuckte und "von mir aus" murmelte. Dann schickte Inspäctor eine Brieftaube zu Igor.

Auf dem Ladenschild über dem Kostümladen am Platz der Gebrochenen Monde stand irgend etwas Quirmianisches, das weder Romulus noch Kolumbini zu entziffern in der Lage waren, da die Schrift bereits sehr verblichen war. Fräulein Gutherr hatte sich für kurze Zeit verabschiedet, als sie eine nette kleine Boutique in der Nähe entdeckt hatte. Sie meinte, dass die Hexentracht für Ankh-Morpork etwas unangemessen sei und deshalb neue Kleidung benötige. Vincent trottete hinter den beiden Ermittlern her. Sie hatten ihm einen weiten Kapuzenumhang gegeben, mit dem er sich in der Öffentlichkeit verhüllen konnte.
Das obligatorische kleine Ladenglöckchen über der Tür bimmelte, als die Ermittler und Vincent den Kostümverleih betraten.
"Ah, bonjour monsieurs! Wie kann isch Ihnen 'elfen?" fragte ein dürrer Mann mit weißem Haar hinter einer Theke, die mit allem möglichen Krimskrams überfüllt war. Überhaupt war dies ein seltsamer Laden. Die verschiedensten Verkleidungen hingen herum; von Clowns bis hin zu allem möglichem Getier war quasi alles dabei. Doch ein Omnianerkostüm schien nicht in der Auslage vorhanden.
"Wir suchen ein Kostüm, Sir", erläuterte Fred. "Wir sind von der Stadtwache. Dies ist mein Kollege Chief-Korporal von Grauhaar und mein Name ist Kolumbini. Und dieser junge Herr hier ist ein Gast von uns."
"Welsch eine Freude, Eschde Stadwäschder 'ier begrüßen zu dürfen. Was suchen Sie denn?" verbeugte sich der dürre Mann. Er schien um die vierzig Jahre alt, doch alles andere an ihm schien überproportional verlängert worden zu sein. Nase, Gesicht, Arme, Beine ja einfach alles wirkte so, als habe man es einzeln auf eine Streckbank gelegt und bis an die Grenze gezdehnt. Seine Nase war im Übrigen rot und in seinen Augen blitzte stets ein kleiner Schelm auf, der nur auf eine günstige Gelegenheit für einen Schabernack wartete.
"Wir suchen ein Omnianerkostüm."
"Ah, Monsieurs, da werden Sie aber auf den Kosdümpartys nischt sehr willkommen sein."
"Bitte?" fragte Romulus neugierig und voller Unverständnis.
"Na die meisten Leute lei'en die Kosdüme, weil sie auf Kosdümpartys ge'en wollen. Und die Omnianer sind nischt gerade sehr angese'en, oder?"
"Nunja das könnte sein...", stimmte von Grauhaar zu.
"Aber es ist komisch, dass Sie misch danach fragen, denn vor einigen Tagen 'at bereits jemand nach solsch einem Kosdüm gefragt."
Hierbei horchten die beiden Ermittler auf.
"Wer war das, Monsieur...?"
"Tudelu. Es war ein nun isch würde sagen älterer 'err vielleischt um die fünsig oder seschzig oder so? Er bräuschte es für eine Überraschung sagte er mir."
Die beiden Ermittler sackten ein. Soviel also zu der vermeintlich heißen Spur.
"Und was haben Sie ihm gesagt?" versuchte Inspäctor vielleicht doch noch etwas herauszufinden.
"Dass isch so etwas nischt 'abe und er zu eine andere Kosdümverleih ge'en müsse. Isch kann Ihnen gerne die Adressen geben."
Kolumbini holte die Ikonographie des toten Priesters aus der Tasche.
"War das der Herr?"
"Ah, no. Der Mann der gefragt 'at war viel älter. Er trug eine feine Kordansüg."
"Nun das bringt uns nicht weiter", stellte Romulus fest. "Hätten Sie vielleicht die Adressen von anderen Kostümverleihen, Monsieur Tüdelü?"
"Mai vouiz, Monsieur von Grau'aar. Isch 'abe sie 'ier."
Der dürre Mann fischte unter seiner Ladentheke einen Zettel hervor auf dem gerade einmal fünf weitere Adressen standen. "Wenn einer von uns ein Kosdüm nischt vorrätig 'at, so schiggt er seine Kunden su den anderen."
"Vielen Dank, Monsieur", sagte Romulus und streckte dem Ladenbesitzer die Hand entgegen.
Letzterer schüttelte sie heftig. Urplötzlich bemerkte Romulus, wie ein seltsamer Schock durch seine Adern floss und er davon durchgeschüttelt wurde. In seiner Hand war ein Stechen zu spüren und er zuckte schnell zurück.
"Was bei allen Göttern war das?" schrie er den Quirmianer an, der sich darüber amüsierte, wie entsetzt der Wächter war.
"Aber, Monsieur, das war nur ein sogenannter Schocker. Er baut ein kleines magisches Feld auf, wenn man ihn in die 'and legt und Jemandem die 'and schüttelt."
"Haben Sie eigentlich noch alle Tassen im Schrank? So ein Ding auf normale Menschen anzuwenden? Sie können froh sein, wenn wir Ihnen keine Klage an den Hals hetzen."
"Verste'en Sie keinen Spaß, Monsieur?" Der Quirmianer klang ernsthaft gekränkt.
"Ich halte nichts von Späßen, mit denen man Menschen umbringen kann. Und von diesen bescheuerten Verkleidungen halte ich erst recht nichts."
Kolumbini hatte seinen Kollegen niemals so schlecht gelaunt gesehen.
"Monsieur, das meinen Sie doch nischt ernst, oder? Als nächstes wollen Sie mir wohl ersählen, dass Sie nie die Unterwäsche Ihrer Schwester getragen 'aben, ouiz?"
Romulus und Inspäctor blickten den Ladenbesitzer angewidert an.
"Sie haben was getan??" kam es von beiden gleichzeitig.
"Na 'aben Sie das nie getan?"
"Wir haben beide keine Schwestern und außerdem zwei funktionierende Gehirne, Monsieur", erläuterte Fred voller Verachtung. Daraufhin verließen sie den Laden und versuchten Fräulein Gutherr zu finden, damit sie die anderen Adressen aufsuchen konnten.
Monsieur Tudelu blickte entsetzt drein.
"Diese Morporgianer", murmelte er, bevor er wieder in den hinteren Teil des Ladens ging.

Wie sich herausstellte war Fräulein Gutherr noch mitten in der Kleiderauswahl.
"Nun das dürfte nicht mehr lange dauern, Kolumbini", erläuterte sie dem Wächter über ihre Schulter, während sie sich eingehendst einen purpurroten Mantel betrachtete und den Kopf schüttelte. Zu dem Mantel gehörte ein schwarze Zylinder mit lilafarbenem Band, eine seltsame purpurrote Kordhose und ein weißes Hemd mit schwarzer Weste. Nein in einem solchen Outfit würde sie sicher wie eine Verrückte aussehen. Erst als sie auf die Bezeichnung sah, bemerkte sie, dass es eigentlich ein Männeranzug war. Sie blickte erst auf den Anzug und dann auf Kolumbini und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als sie sich den kleinen Mann in dieser lächerlichen Kleidung vorstellte.
"Was ist, Fräulein Gutherr?" meinte Fred misstrauisch.
"Och, nichts", grinste die junge Dame.
Inspäctor schüttelte nur den Kopf. "Ähm was hältst du davon, wenn wir schon einmal die restlichen Verleihe abklappern und du hier in Ruhe einkaufst, dann kommen wir dich später hier wieder abholen?" schlug der kleine Ermittler vor.
"In Ordnung", meinte die junge Dame und widmete sich wieder voll und ganz der Auslage der Boutique.
Ein Schulterzucken war alles, was Fred dazu vorbringen konnte, bevor er wieder in die Kutsche stieg und er sich mit Romulus auf einen langen Fragenachmittag einstellte.

Vier von fünf Verleihen waren ein einziger Reinfall doch bei dem Verleih "Die Goldschneiderei" hatten die Ermittler zumindest etwas Glück, so dachten sie jedenfalls, als der Besitzer Harry Gries ihnen bestätigte, dass er Omnianerkostüme habe.
"Jip, ich hab en paar von den Dingern auf Lager", war der genaue Wortlaut gewesen. Gries war ein fetter, schleimiger Geselle und sowohl Romulus, als auch Kolumbini waren sich absolut sicher, dass er für gewisse Tendenzen von Monsieur Tudelu nichts übrig hatte. Besser gesagt: nicht einmal die Vorstellungskraft der beiden Ermittler brachte es fertig sich solch ein grausames Bild vorzustellen.
Der Laden war nicht besser, als sein Besitzer. Überall lag Dreck und in den hinteren Räumen lieferten sich Ratten, Kakerlaken und Silberfische ein spannendes Wettrennen auf dem alten Holzboden.
"Ich lege immer großen Wert auf eine natürliche Umgebung", erläuterte Gries die schnelle Bewegung von gewissen Tieren, als der Lichtkegel seiner Lampe in den hinteren Lagerraum fiel.
"Gut zu wissen", meinte Kolumbini, bemüht, seiner Stimme wenigstens etwas Sarkasmus zu nehmen.
"Also in letzter Zeit hat kein Typ nach nem Omnianerkostüm gefragt. Ich hab se ganz hier hinten."
In einem entfernten Regal lagen unordentlich aufgereiht einige Säcke, die allesamt mit einem Omnianerhut bedeckt waren. Gries öffnete jeden Sack und zeigte den Wächtern den Robenstoff flüchtig.
"Sehen Sie, die Herren Wächter? Alles da, wo es sein soll."
"Wie viele von den Kostümen haben Sie auf Lager?" erkundigte sich Kolumbini pfeiferauchend.
"Fünf Stück. Es is kein beliebtes Kostüm."
"Könnten wir uns mal eines davon ausleihen?" fragte Inspäctor.
Harry Gries nickte und blickte den anderen Wächter sorgsam an. Denn der bärtige Mann hatte kein Wort gesagt, aber immerzu geschnüffelt.
"Möchten Sie vielleicht was von meiner Schnupfenmedizin?" fragte Gries. Seiner Meinung nach konnte es nie schaden, sich mit einem Stadtwächter gut zu stellen.
"Oh, nein danke, es geht schon."
"Aber es macht doch wirklich keine Umstände", fummelte er in einer seiner Hosentaschen rum und holte ein kleines Fläschchen hervor, das er ungeschickter Weise fallen ließ, woraufhin es am Boden zerbrach und sich ein penetranter Pfefferminzgeruch breit machte.
Blitzschnell zog Romulus sein Tuch vor seine Nase, um dem scharfen Gestank zu entgehen.
"Oh, das tut mir unendlich Leid, die Herren", meinte Gries. "Ich wollt das nicht."
"Schon gut", murmelte Romulus durch sein beiges Halstuch. "Geben sie uns einfach ein Kostüm mit und wir verschwinden wieder."
Harry's schmierige Hände griffen nach einem Sack und einem Hut, die er beide Romulus überreichte. Endlich Draußen atmete Romulus mehrfach die Luft Ankh-Morporks ein, um den penetranten Pfefferminzgestank loszuwerden.
"Und?" meinte Kolumbini, der langsam aus dem Haus trottete.
"Ich habe nur seine Geruchsspur erkannt, also wenn jemand in Kürze da war, so nur er. Wenn wir nach einer älteren Geruchsspur suchen würden, müsste ich mich in einen Wolf verwandeln und das ist mit dieser Stinkbombe nun endgültig geplatzt."
"Wirklich ein dummer Zufall, was?"
"Wenn es ein Zufall war, Kolumbini."
Der kleine Mann musste gestehen, dass er diesen Gedanken ebenfalls gehabt hatte. Wenn man als Stadtwächter lange genug unterwegs war, so wusste man zwar, dass Zufälle jeden Tag geschahen, was jedoch noch lange nicht bedeutete, dass man ihnen auch trauen musste.
Sie stiegen wieder zu Vincent in die Kutsche und fuhren zurück zum Platz der Gebrochenen Monde.

Sie fanden Oktarina Gutherr in der Nähe der Boutique in einem kleinen Cafe, wo sie eine heiße Schokolade trank und eine Ausgabe der Times las.
"ERFINDER ERMORDET" titelte die Zeitung in großen Lettern. Jetzt erhielt Edward Prinz doch noch etwas Aufmerksamkeit, doch Kolumbini fragte sich, weshalb. Die Times beschrieb den Tatort genau und erwähnte den anderen Toten als "mysteriösen omnianischen Priester, der der hiesigen Gemeinde jedoch nicht bekannt ist".
Dabei fiel den Ermittlern auf, dass sie die Möglichkeit, der Mann könne einfach von Außerhalb stammen, nicht in Betracht gezogen hatten und sie beschlossen, den Torwachen einen Besuch abzustatten und später die Postkutschendienste zu befragen. Doch vorerst galt es, Fräulein Gutherr mitzunehmen.
Sie hatte sich offensichtlich für einige Sachen entschieden. Zwei mittlere Tüten standen neben ihrem Platz, zusammen mit einer Hutschachtel, die offensichtlich ihren Hexenhut enthielt. Außerdem trug sie nun eine etwas andere Tracht, wie zuvor. Sie bestand aus neuen roten Schuhen, einer blauen Hose, sowie einer weißen Bluse. Die Jacke war ebenfalls blau und bestand aus einer Art Kordstoff. Das Haupt der jungen Dame zierte ein flacher blauer Hut mit rotem Band und weiter Krempe.
"Fesch", meinte Kolumbini anerkennend und bedeutete Fräulein Gutherr mit in die Kutsche zu kommen.
Sie legte einige Dollar auf den Tisch, nahm ihre Sachen und folgte Inspäctor, der sich kurz darauf einer kurzen Lektion in angemessenem Benehmen von seinem alten Freund Phillippe Poiret zu erinnern schien und der jungen Dame beim Tragen behilflich war.

Im Büro der Ermittler angekommen überlegten sie das weitere Vorgehen.
"Also wir sollten mehrere Wege einleiten, herauszufinden, wer dieser ominöse Omnianer war", schlug Kolumbini vor und nippte an einem frisch eingeschenkten Tee.
"Mein Reden", pflichtete Romulus bei. "Wir sollten auf jeden Fall die Torwachen befragen. Aber in was für eine andere Richtung?"
"Nun wenn unser Ermordeter wirklich nur verkleidet war, um in das Haus zu kommen, so muss er Prinz ermordet haben und ein Motiv besitzen. In der Forschergilde werden wir nicht mehr erfahren, aber vielleicht kann D.O.G. da mehr herausfinden. Und weiterhin würde ich gerne überprüfen, ob der Ermordete vielleicht etwas mit den kriminellen Kreisen dieser Stadt zu tun hatte."
"Was recht wahrscheinlich ist, da so gut wie jeder Bürger etwas mit kriminellen Kreisen zu tun hat", sagte Romulus leise.
"Nun auf jeden Fall sollten wir einmal einen Szenekenner auf die ganze Geschichte ansetzen. Ich habe bereits eine Nachricht an Atera geschickt und sie meinte, dass sie jemanden vorbeischicken würde. Also müssen wir erst einmal warten."
Vincent saß noch immer vollkommen stumm in einer Ecke des Büros, während Fräulein Gutherr ihn interessiert betrachtete und den Erläuterungen der Wächter lauschte.
"Euer Beruf ist sehr spannend, oder? Ich meine diese Mörderjagd scheint mir sehr aufregend. Alle Möglichkeiten in Betracht ziehen."
Die beiden Ermittler blickten sie an.
"Eigentlich ist es eher nervtötend", meinte Romulus und blickte auf den Berg von Papierkram, den ihm Daemon heute zugesandt hatte. "Während wir warten kann ich genauso gut das hier erledigen", seufzte er und begann sich durchzukämpfen.
Es dauerte eine Weile, bis jemand klopfte und Kolumbini von seinem Mittagsschläfchen am Schreibtisch aufschreckte. "Äh, herein", murmelte er.
Fräulein Gutherr schmökerte gerade in einem kleinen Buch und Vincent versuchte wohl seit geraumer Zeit unauffällig den Buchtitel zu erkennen. Als Kolumbini auf seine Taschenuhr blickte, bemerkte er, dass er eine gute halbe Stunde gedöst hatte, doch ein brillanter Einfall zur Lösung der Morde war ihm nicht gekommen.
Der junge Mann, der nun das Büro betrat jagte den Anwesenden einen Schauer über den Rücken. Er war quasi die Personifizierung der Redewendung "Kreidebleich". Sein Gesicht war ohne jede Regung und die dunklen Augenringe wiesen auf ein lang andauerndes Schlafdefizit hin. Ehrlich gesagt wirkten sie so, als hätten sich sämtliche Schlafdefizite der gesamten Scheibe in diesen Augenringen manifestiert.
"Obergefreiter Bleicht?" fragte Kolumbini.
Damien Gerald Bleicht salutierte und sprach ein knappes "Ja".
"Nun wir bräuchten deine Hilfe bei der Auffindung eines Unbekannten."
"Aha", meinte Damien ebenso kurz angebunden wie vorher.
In seinem Gesicht regte sich so viel wie in einem Gletscherkadaver. Selbst eine Wachsfigur strahlte mehr Vitalität aus.
"Ähm, verzeih mir eine Zwischenfrage bist du...?" begann Kolumbini.
"Nein ich bin kein Untoter", antwortete Damien, bevor Inspäctor die Frage zu Ende formuliert hatte. "Wen sucht ihr?"
Fred blickte den jungen Mann erstaunt an und reichte ihm eine Ikonographie der Leiche.
"Meinst du, du schaffst das?"
Ein Schulterzucken war alles, was der Obergefreite dazu hervorbrachte. "Wenn er krumme Geschäfte gedreht hat."
"Ähm, nun gut. Bitte erstatte mir Bericht, wenn du Genaueres weißt, ok? Ich wohne im Bachlosen Weg 12, falls ich hier nicht sein sollte."
Damien G. Bleicht nickte kurz, bevor er den Raum wieder verließ.

Zu der mehr als nur großen Frustration der beiden R.U.M.-Ermittler ergab die Befragung der Torwachen und dem Postkutschenzuständigen im Postamt rein gar nichts. Keiner gab an, ihn gesehen zu haben, aber vollkommen ausschließen konnten die Ermittler trotzdem nicht, dass der Mann nicht doch außerhalb Ankh-Morporks kam.
Romulus beschloss, seinen Papierkram zu erledigen, zumal er dann auch für Damien gut ansprechbar war und Kolumbini wollte mit Vincent und Fräulein Gutherr wieder in seine Villa fahren, um dort genauer nachzudenken. Das Kostüm nahm der Chief-Korporal mit und übergab es SUSI, auch wenn es bereits auf den ersten Blick recht wahrscheinlich schien, dass der Stoff von dem Kostüm und der Kleidung des Ermordeten der Gleiche war.
Der Tag war die ganze Zeit über wolkenverhangen gewesen, sah man einmal von den wenigen Momenten ab, an denen die Sonne kurz durchgebrochen war. Allerdings waren die Temperaturen immer noch äußerst angenehm. Nichtsdestotrotz nahm Kolumbini seinen Fünf-Uhr-Tee dieses mal im Haus ein. Fräulein Gutherr erzählte einige kleine Anekdoten aus ihrer Ausbildungszeit und Inspäctor musste oftmals herzhaft lachen.
"Nun einmal habe ich aus Versehen das falsche Kraut für den Tee verwendet und Frau Knugut hat daraufhin den gesamten nächsten Tag auf dem Abort verbracht", meinte die junge Dame mit einem herzhaften Lachen. "Und ein anderes Mal, haben wir eine alte Hexe in Lancre besucht. Eine Frau Ogg, ja so war ihr Name glaube ich. Sie hat mir einige sehr witzige Lieder beigebracht. Es ging um einen Igel und um Zauberstäbe."
"Du kennst das Igellied?" kam es ungläubig von Kolumbini.
"Natürlich. Es ist sehr witzig. Wobei ich "Des Zauberers Stab hat nen Knauf am Ende" viel besser finde."
Wieder kam nur ein etwas ungläubiger Blick von Fred. Dass Fräulein Gutherr dieses Liedgut kannte und als witzig empfand, zeigte eine ganz neue Seite an der jungen Dame. Vermutlich war es eine Art "Hexending", beschloss Kolumbini.
Mit langsamen Schritten kam Hund herbeigetrabt und legte sich mit trübem Blicke neben sein Herrchen auf den Boden. Anscheinend war der Hund mit den Schlappohren gerade im Garten gewesen.
"Was ist das denn für ein Süßer?" meinte Oktarina und richtete sich an das Tier.
"Das ist Hund."
"Und hat er auch einen Namen?" fragte Oktarina, woraufhin Kolumbini verwirrt dreinblickte.
"Ähm, er heißt Hund."
"Das ist nicht besonders einfallsreich, oder? Aber na ja er ist irgendwie niedlich."
Hund bedachte das junge Fräulein mit einem Blick der äußerst bedächtig war und wirkte, als wolle der Hund sagen, dass ihn dies keinen Meter interessiere. Das Ticken der alten Standuhr wurde in der darauffolgenden Stille beinahe unendlich laut und Inspäctor beschloss, in sein Büro zu gehen, um den Fall zu überdenken.

Betrübt über seinem Notizblock gebeugt, rauchte Inspäctor eine "Nachdenkpfeife", als es gegen halb Zwölf an seiner Bürotür klopfte. Fräulein Gutherr trat ohne eine weitere Antwort abzuwarten einfach herein und begrüßte den Wächter mit einem ihrer naiv-freundlichen Gesichtsausdrücke.
"Kannst du auch nicht schlafen?" fragte sie. Kolumbini hatte ihr im Gästezimmer ein altmodisches Bett hergerichtet. Er war bei weitem nicht Gentleman genug, ihr sein Bett zu überlassen.
"Oh, doch, ich schlafe nur gerade mit offenen Augen", murmelte der Wächter.
"Was?" fragte die junge Hexe.
"Ach, nichts, Fräulein Gutherr. Nein ich kann auch nicht schlafen. Warum?"
Dieser Fall nervte ihn und so nett die junge Dame auch sein mochte, so konnte er derzeit niemanden gebrauchen, der ihm dumme Fragen stellte.
"Nun ich dachte, dass wir vielleicht einen Spaziergang machen könnten", schlug Oktarina vor.
Inspäctor bedachte sie mit einem verwirrten Blick.
"Nunja, warum nicht?" Wer bei einer solchen Freundlichkeit eiskalt nein sagte, trat vermutlich auch kleine Welpen tot.
"Es hilft dir bestimmt auch bei deinem Fall."
"Warum das?"
"Nun die Ephebianer zum Beispiel laufen stets, wenn sie philosophieren. Sie sagen, dass dadurch ihre Gedanken angeregt werden."
"Deswegen spricht man auch von Gedankengängen, was?" meinte Kolumbini mit einem verschmitzten Lächeln, doch in dem Bewusstsein, dass dieses Wortspiel äußerst dumm war.
"Hä?" meinte Oktarina nur und murmelte, dass sie dies nicht verstanden habe. Fred zuckte mit den Schultern, nahm seinen MANTEL und ging mit der jungen Dame in die Nacht hinaus.

Es war ein Abend, der irgendwo zwischen mild und kühl lag und ein sanfter Nieselregen benetzte die beiden Spaziergänger.
"Und so bist du nach Sto Lat gekommen?" meinte Oktarina und blickte Inspäctor dabei an.
"Ja, Madame. Das war die gesamte Geschichte", pflichtete ihr Fred bei. Sie waren seit geraumer Zeit nun durch die Straßen Ankh-Morporks gelaufen und waren langsam in die Vororte vorgedrungen, wo des Nachts die Leute wirklich in ihren Betten schliefen. Das Kopfsteinpflaster glänzte im Licht der Straßenlaternen und ein kleiner Brunnen auf einem Markplatz plätscherte gemütlich vor sich hin.
"Könnten wir uns kurz setzen?" sagte Kolumbini und steuerte auf eine der Sitzbänke zu, nachdem sie genickt hatte.
"Das tut gut", seufzte der Wächter erleichtert auf.
"Ein schöner Abend, was Kolumbini?" sagte Oktarina und betrachtete das bewässerte Kopfsteinpflaster. Das reflektierte Licht verlieh dem Ort eine beinahe magische Atmosphäre und eine sanfte Brise, die über den Platz pfiff, trug ihren eigenen Part zu der besonderen Wirkung bei. Inspäctor beantwortete dies mit einem geseufzten "Ja" und holte seine Pfeife hervor.
"Ähm, ich wäre dir dankbar, wenn du das nicht machen würdest, Kolumbini", bat Fräulein Gutherr. "Ich hasse diese verpestete Luft."
Fred schaute die junge Dame nicht zum ersten Mal verwundert an.
"Nun gut", gab er als Antwort, auch wenn er ein wenig eingeschnappt klang. Dann goss er sich einen Tee als Ersatzbefriedigung ein.
So saßen sie eine ganze Weile und Fräulein Gutherr erzählte verschiedenste Dinge, denen Fred aufmerksam lauschte.
"Nunja und dann ist meine Schwester nach Quirm gezogen. Weil dort ein Onkel dritten Grades von mir wohnt."
Im Laufe der Erzählungen hatte Kolumbini erfahren, dass die Familie Gutherr anscheinend ÜBERALL auf der Scheibe vertreten war. Ein Onkel von Oktarina hatte zum Beispiel eine ganze Weile in Bes Pelargic gelebt, bis er wieder nach Hause kam...seltsamerweise nicht in Einzelteilen verpackt, wie es bei vielen anderen Ausreisenden zu Zeiten des alten Reiches der Fall war.
"Meine Füße bringen mich fast um", warf sie ein. "Ich hätte nicht meine neuen Schuhe anziehen sollen."
Gerade als sie etwas sagen wollte, hob Kolumbini die Hand.
"Moment, was war das?"
"Häh? Oh meine neuen Schuhe, meinst du, die habe ich heute..."
"Nein ich meine mit den Füßen."
"Nun ich habe mir in meinen neuen Tretern Blasen gelaufen."
Fred holte schnell eine Ikonographie aus seinem MANTEL und betrachtete sie im Licht der Laterne.
"Heureka!!" schrie er laut. "Ich hab's Fräulein Gutherr. Ich weiß, was nicht stimmt. Oh, das ist super. Ich könnte dich glatt knuddeln", meinte der Wächter und rannte jedoch los. Fräulein Gutherr blickte etwas perplex drein.
"Bei alle Götter nochemol!! Wer macht dann hier so e Rabazz?!" kam eine wütende Stimme aus einem nahen Gebäude. "Hilde wo is dann mei Armbrust?!"
An diesem Punkte zog Fräulein Gutherr ein rasches Verschwinden ebenfalls vor.

Die graue Kutsche erreichte sie bereits nach wenigen Minuten. Ohne zu zögern stieg sie ein, nachdem sie Igor einen guten Abend gewünscht hatte und zog ihre Schuhe aus. Langsam polterte die Kutsche über das Kopfsteinpflaster.
"Hallo", sagte eine schüchterne Stimme aus den Tiefen der Dunkelheit.
Oktarina schreckte auf und stieß einen kurzen, spitzen Schrei aus. Offensichtlich hatte Igor dies nicht mitbekommen, oder hielt es für unwichtig, denn die Kutsche hielt nicht an.
"W-wer ist da?" fragte die junge Hexe unsicher, obgleich sie nicht sicher war, ob sie die Antwort wissen wollte.
"Ich", sprach die Stimme. Es war eine vermutlich männliche Stimme. Sie war hell und zart, schien zu jemandem zu gehören, der selten Konversation betrieb. Vorsichtig holte Oktarina ein Streichholz aus einer ihrer Taschen und entzündete es mit großer Sorgfalt.
Die gelbe Flamme erleuchtete die Kutsche schwach und Fräulein Gutherr erkannte, dass Vincent ihr gegenüber saß.
"Du? Ich dachte du kannst nicht sprechen", war das Erste, was der jungen Dame nach dieser Überraschung einfiel.
"Oh, doch. Kann ich. Er hat mir viel beigebracht. Ich wollte nicht sprechen, weil sie mir nicht glauben würden."
"Mit sie meinst du die Wache, oder?"
Das Zündholz erlosch wieder.
"Ja", antwortete Vincent. "Glaubst du mir?"
"Ich kenne dich doch gar nicht", meinte Fräulein Gutherr.
"Oh", murmelte der Scherenmann.
"Aber ich würde dich gerne kennen lernen." Oktarina lächelte freundlich bei diesen Worten, auch wenn sie wusste, dass Vincent ihr Gesicht nicht sehen konnte.

Romulus von Grauhaar war mies gelaunt. Die gesamte Nacht hatte er kein Auge zu getan, da sein überwaldianischer Nachbar Strawinskowitsch wieder auf seiner Arschgeige geübt hatte und dann war auch noch sein Kollege Fred um zwei Uhr Nachts vor seiner Tür gestanden und hatte ihm irgend etwas von neuen Schuhen und weiten Wegen zu Fuß und fehlenden Blasen an den Füßen des Toten in Priesterkleidung erzählt.
Romulus hatte diese Dinge zwar zur Kenntnis genommen, aber beschlossen, erst am morgen im Büro nach einigen Dosen Superbulle, genauer darüber nachzudenken.

Auch der Obergefreite Damien G. Bleicht war in dieser Nacht sehr aktiv...aber eigentlich war er ohnehin ein Nachtmensch.

"Wie alt bist du eigentlich?" fragte Oktarina Vincent, während sie immer noch in der Kutsche durch die Straßen polterten. Sie hatte Igor gebeten, doch bitte eine kleine Spazierfahrt durch die Stadt zu machen. Hier waren die Straßen wenigstens etwas beleuchtet und somit konnte Fräulein Gutherr ihr Gegenüber erblicken und umgekehrt.
Ab und an blickten sie aus dem Fenster und betrachteten das morporkianische Nachtleben.
Der Scherenmann schien an dieser Frage etwas überlegen zu müssen.
"Nun ihr würdet wohl sagen, dass ich um die zwanzig bin", sagte er schließlich.
"Aber du bist doch im letzten Winter erschaffen worden. Wie kannst du in Jahren älter sein, als deine Existenz andauert?"
Wieder eine lange Denkpause.
"Das ist kompliziert. Ich existiere seit einem Jahr, aber ich bin so, als wäre ich ein...Heranwachsender war glaube ich das Wort. Ungefähr zwanzig. Vater meinte, es sei ein interessantes Alter."
Er hat ihn Vater genannt, dachte Fräulein Gutherr. Seinen Erfinder nennt er Vater...und niemand kann seinen Vater umbringen, oder?
"Das ist es in der Tat", stimmte Oktarina zu. "Was ist passiert, an dem Tag, an dem...nun dein...Vater starb?"
Vincent schwieg eine ganze Weile. Es mussten bestimmt zehn Minuten gewesen sein, doch der jungen Dame kam es vor, als habe sie eine Ewigkeit gewartet.
"Ich weiß es nicht", ließ sich der Scherenmann schließlich vernehmen.
Daraufhin schwiegen beide und die Kutsche hielt im Bachlosen Weg 12.

Es war ein Uhr nachmittags, als Damien, Romulus, Vincent und Kolumbini vor dem großen und unheilvollen Lagerhaus standen.
"Und du bist sicher, dass der Typ hier gewohnt hat?" wandte sich Inspäctor skeptisch an den Szenekenner, der ihn mit einem emotionslosen Blick bedachte.
"Ja. Andernfalls hätte ich euch beide wohl kaum hier hergeführt."
Damien war gute zwanzig Minuten zuvor im Büro der beiden Ermittler aufgetaucht und hatte berichtet, dass er die Wohnung des Verdächtigen ausgemacht hatte.
"Sein Name war Winston Eisen und er war erst seit kurzem in der Stadt. Es ist jedoch fraglich, ob dies sein richtiger Name war. Auf jeden Fall habe ich aus gut unterrichteter Quelle erfahren, dass er hier gewohnt hat. Die entsprechende Person wusste jedoch nur, dass er recht große Mengen von gepanschtem Whisky gekauft hat. Nichts weiter. Weder Beruf noch den Grund, warum er hier nach Ankh-Morpork kam."
"Du meinst sicher verschnittenen Whisky, oder?" meinte Fred.
"Nein. Gepanschten. Kein Verschnitt, sondern eine Mischung aus Bärdrücker-Whisky und irgend 'nem gepressten Pilzsaft. Ist in der Unterwelt stellenweise sehr beliebt."
Die beiden Ermittler sahen sich an und kamen zur optischen Übereinkunft, dass dieses Zeug wohl nicht nur in der Unterwelt beliebt war.
"Also gut, gehen wir rein", öffnete Romulus das morsche, halb vermoderte Tor der alten Lagerhalle.
Durch die gebrochenen Fensterscheiben drang goldenes Scheibenweltlicht in den Raum, der sich den Wächtern offenbarte. Eckige Stützpfeiler hielten die Decke in ihrer von Dunkelheit umschlossenen Höhe. An den Wänden offenbarte sich die wahre Natur des Raumes.
"Interessant", murmelte Kolumbini. "Hier scheint so etwas wie ein Unternehmen gewesen zu sein."
An den Wänden hingen alte, halb verblichene Plakate, die mal Firmenbilanzen, mal den Kaffeedienst für diese Woche und mal eine wichtige Nachricht des Aufseher enthielten. Die Fabrik schien jedoch seit Ewigkeiten verlassen, denn manche der Plakate wiesen Daten aus dem vorigen Jahrhundert auf. Vincent blickte sich interessiert um und beförderte eine alte Laterne zu Boden, als er aus purer Neugierde ein altes Seil mit seinen Scheren berührte und es dabei durchschnitt.
"Pass auf, Vincent", herrschte ihn Kolumbini an. "Wir wollen nicht, dass wichtige Beweise vernichtet werden, weil einer von uns unvorsichtig ist."
"Hast du eine Ahnung, was hier hergestellt wurde, Damien", erkundigte sich Romulus, nachdem er sich von dem kurzen Schock erholt hatte.
"Mir wurde es als Lagerhaus genannt, aber auf dem Plakat dort drüben steht irgend etwas von Stoffmustern. Scheint eine alte Kleiderfabrik zu sein."
"Nunja auf jeden Fall hat dieser Eisen nicht in diesem Raum gewohnt", meinte Fred und ging weiter in die ehemalige Produktionsstätte hinein.
Ein weiter Gang zweigte von dem großen Hauptraum ab und große Fenster zeigten in einen Innenhof, in dem einige Bäume und Sträucher wuchsen. Hier und da ragte ein kompletter Ast in eine der Öffnungen in der Wand, die man nur minder als richtige Fenster bezeichnen konnte. Die Wächter schritten voran und kamen schließlich vor eine recht intakt wirkende Tür.
"Die scheint neuer zu sein", murmelte sich Kolumbini in seinen nicht vorhandenen Bart.
Romulus zog vorsichtshalber sein Kurzschwert, zumal sie alle vier nicht wussten, was sie hinter dieser Tür erwarten würde. Sorgsam trat der Werwolf gegen die Tür, die daraufhin nach innen aufschwang. Dahinter herrschte Dunkelheit.
Kolumbini zog eine erleuchtete Lampe aus seinem MANTEL und hielt sie vor sich, sodass der Raum mit Licht geflutet wurde.
Das Wort Unordnung wäre eine maßlose Untertreibung für das Bild gewesen, welches sich den Wächtern darbot. Apparaturen und Werkzeuge jetmöglicher Form und Größe lagen, standen und hingen in dem ungefähr zehn Quadratmeter großen Raum herum und nur die kleine Matratze, die in einer Ecke am Boden lag, wies darauf hin, dass hier bis vor Kurzem ein Mensch gelebt hatte. Von anderen Lebewesen gab es genügend Anzeichen, doch die angesprochenen Kreaturen liefen auf mindestens vier Beinen durchs Leben.
"Dagegen ist sogar unser Büro ordentlich, Fred", meinte Romulus schelmisch und schlug vor, eine Nachricht per Brieftaube an die SUSI-Wächter zu schicken, damit sie einen kleinen Trupp hierher beordern könnten.
"Hm, gute Idee", meinte Inspäctor und holte aus seinem MANTEL eine Brieftaube, die er dem Chief-Korporal anvertraute, hervor. "Ich werde mich hier schon einmal umschauen."
Dann begann der kleine Ermittler mit seinem Flickentaschentuch in der Hand, das Zimmer zu durchsuchen.

"Warum ziehst du nur so ein Gesicht, Fred?" meinte Romulus von Grauhaar, als die beiden Ermittler zusammen mit Araghast Breguyar, Fräulein Gutherr, Vincent und Igor des Abends im Pferdestall saßen. Kolumbini starrte deprimiert in seinen Bierkrug, der seine Lieblings-Biermischung aus Pils, Ale und Zitronenlimonade, ein sogenanntes Kutscherbier, enthielt.
"Wir haben den Fall gelöst und Vincent muss noch nicht einmal eingesperrt werden."
Auf diese Feststellung zuckte Inspäctor lediglich mit den Schultern.
"Es ist doch offensichtlich, dass dieser Herr Eisen eine Art Erfinder war, der erst seit kurzem in der Stadt war und Herrn Prinz deshalb umgebracht hat, weil dieser ihm einige Erfindungen geklaut hat. Es steht alles in dem Tagebuch von diesem Eisen. Er hat es alles festgehalten."
"Genau das ist es ja. Es ist zu offenkundig. Welcher Mörder schreibt in ein offen herumliegendes Tagebuch, dass er jemanden umbringen will? Und komm mir nicht damit, dass er beschränkt aussah, denn immerhin hat er diese ganzen Erfindungen gebaut, die wir gesehen haben, oder zumindest sollten wir den Eindruck bekommen, dass es so sein sollte."
Romulus und Bregs schüttelten gleichzeitig den Kopf. "Du hängst dich zu sehr an Kleinigkeiten auf, Fred", meinte Araghast.
"Bregs wird dich doch wohl nicht mit seiner Paranoia angesteckt haben, oder?" scherzte Romulus, doch Kolumbini beachtete die beiden überhaupt nicht.
"Der Mann war vorher nie da", sagte Vincent schließlich. "Ich habe ihn nie gesehen."
"Seht ihr! Ich hab's euch ja gesa..." Der halbe Brindisianer unterbrach sich und starrte Vincent an. "Hast du gerade gesprochen?"
"Ja", antwortete Vincent wahrheitsgemäß. Fräulein Gutherr lächelte zuerst Vincent und dann den Wächter an, während die drei Gesetzeshüter den Scherenmann perplex ansahen. Igor hingegen schien dieses Theater für sinnlos zu halten und beschloss, sich einen doppelten Whisky an der Theke zu genehmigen und derweil ein wenig mit Humbertolini, dem Wirt der Kneipe, zu reden.
"Aber gestern hat er noch nicht geredet und vorhin auch nicht."
"Wir haben gestern in der Kutsche ein nettes Gespräch geführt", warf Fräulein Gutherr ein.
"Aha", kam es von den drei Wächtern quasi gleichzeitig. Araghast und Romulus grinsten schelmisch, denn in Oktarinas Tonfall spiegelte sich voll und ganz wider welches Verhältnis die junge Dame zu Vincent hatte. Kolumbini blickte jedoch äußerst nachdenklich drein, schien aber auch begriffen zu haben, was sich zwischen den beiden Personen anbahnte.
"Ah, verstehe", murmelte er schließlich. "Nun, Vincent möchtest du uns vielleicht nun erzählen, was am Tag der Ermordung von Herrn Prinz vorgefallen ist?"
"Ich...weiß es nicht mehr", gestand der Scherenmann ein. "Das einzige was ich noch weiß ist, dass ich Vater gestreichelt habe, als er Tod war."
"Daher also die nicht so tiefen Schnittwunden", meinte Kolumbini leise.
"Hm, scheint ein typischer Fall von Verdrängung zu sein", schloss Araghast, als eine kurze Zeit Stille geherrscht hatte.
"Würdest du es schaffen, die Sachen hervorzuholen?" erkundigte sich Fred.
"Keine Ahnung. So kurz danach könnte das mehr Schaden, als Nutzen bringen."
Die beiden anderen Wächter nickten kurz. "In Ordnung", schloss Kolumbini dieses Thema ab.
Von Draußen hallte die Stimme eines Zeitungsverkäufers herein.
"EXTRAAUSGABE!!! ERFINDER EDWARD PRINZ VON EIFERSÜCHTIGEM KOLLEGEN UMGEBRACHT!!!!" schrie er durch die Straßen.
"Es scheint mir einfach seltsam", murmelte Kolumbini in seinen Bierkrug. "Wir haben immerhin heute noch ein zweites Mal bei der Gilde angefragt und sie haben uns versichert, dass niemand dort diesen Herrn Eisen kannte."
"Was ist, wenn sie gelogen haben?", meinte Romulus.
"Warum sollten die das tun? Außerdem haben wir jeden anderen im Gildengebäude ansässigen Forscher auch gefragt und niemand kannte ihn. Ich halte es für ein wenig unwahrscheinlich, dass eine gesamte Gilde so dicht hält und niemandem auch nur der kleinste Hinweis rausrutscht. Außerdem haben wir immer noch nicht die Sache mit der Mietkutsche überprüft. Er muss mit einem Gefährt in den Vorort gekommen sein, denn so weit wie er weggewohnt hat, hätte er sich auf jeden Fall Blasen gelaufen in seinen neuen Stiefeln."
Romulus seufzte. "Also gut, wenn es dich beruhigt können wir ja morgen noch einmal nachfragen."
Doch auch dies schien den kleinen Wächter nicht aufheitern zu können.
"Nun gut", brachte er leise hervor und kippte den nicht unbedeutenden Rest des Bierkruges in einem Zug herunter.
"Ist Alles in Ordnung?" meinte Oktarina mit Sorge in der Stimme.
Ob er diese Frage nicht gehört hatte oder nicht antworten wollte blieb für die kleine Trinkgruppe im Dunkeln, aber gleich was es war, Kolumbini antwortete nicht, sondern bestellte ein weiteres Kutscherbier.
Und damit war dieses Thema für den Abend erledigt. Die kleine Gruppe trank noch ein wenig und schließlich brachte Igor sie Alle wieder zum entsprechenden Wohnort.

Am nächsten Morgen sah Kolumbini noch wesentlich elender aus, als er es am Abend zuvor getan hatte. Zum Frühstück trank er noch nicht einmal einen Tee, geschweige denn, dass er etwas aß.
"Ist alles in Ordnung?" erkundigte sich Fräulein Gutherr höflichst.
"Ich glaube, dass war ein Kutscher zu viel gestern", brachte Fred leise hervor. Die junge Hexe schaute den Wächter kurz an und verschwand für einige Minuten im Garten, woraufhin sie mit einigen Kräutern in der Hand wiederkam.
"Es weiß so gut wie niemand, aber diese Kräuter hier in Wasser aufgelöst sind ein hervorragendes Mittel gegen alkoholbedingte Wehwehchen", reichte sie dem Ermittler die entsprechende Gewächse.
Kolumbini tat, wie ihm geheißen und musste wahrlich zugestehen, dass es ihm danach wieder gut ging.
"Danach sollte man sich noch ein wenig an der frischen Luft bewegen", erläuterte die junge Dame. "Warte noch kurz dann zieh ich mir schnell etwas passendes an und komme mit."
Mit diesen Worten verschwand die, noch in einen altmodischen Morgenmantel gekleidete Hexe nach oben, wo sie das Gästezimmer bezogen hatte.
Schnell schrieb Kolumbini auf einen Zettel, dass Vincent sofort ins Wachhaus zu befördern sei, setzte nach kurzem Nachdenken ein "bitte" dazu und adressierte den Zettel an Igor, woraufhin er ihn auf dem Tisch zurückließ. Nachdem der Bucklige das Frühstück gemacht hatte, wollte er sich der Aufgabe zuwenden, angemessene Kleidung für Vincent zu entwerfen und dabei wollte ihn Fred ganz sicher nicht stören, wenn es nicht unbedingt nötig gewesen wäre.
"Fertig?" kam es von Fräulein Gutherr, die bereits in ihrer blauen Kleidung im Türrahmen stand.
"Das ging aber schnell", bemerkte der Wächter verwundert, denn bisher waren ihm stets Gerüchte zu Ohr gekommen, dass Damen generell Ewigkeiten im Bad verbringen würden. Aber auf der anderen Seite konnten Hexen es sich vermutlich nicht leisten, irgendwelchen Klischees zu viel Zeit zu gewähren, geschweige denn "gewöhnlich" zu sein.
Da sich der kleine Ermittler bereits vor dem Frühstück salonfähig gemacht hatte, gingen die beiden in den recht warmen Herbstmorgen hinaus.

Kolumbini hinkte etwas hinterher, denn Oktarina war wesentlich besser zu Fuß, als der halbe Überwaldianer. Von einem Stadtwächter in der Abteilung RUM mit der Spezialisierung des Ermittlers waren viele Dinge gefragt, doch eine gute körperliche Verfassung gehörte sicherlich nicht dazu. Sport war für Inspäctor immer etwas gewesen, das anderen Leuten zustieß. Derzeit rannten sie den Hügel am mittwärtig-drehseitigen Teil der Stadt hinauf. Unter den Einwohnern Ankh-Morporks war er auch als "Haufen" bekannt, doch wie so oft wusste niemand mehr so genau, warum eigentlich. Auf dem Hügel stand eine alte Ruine von der ebenfalls niemand mehr genau wusste, was sie eigentlich darstellte. Manche sagten, es sei ein alter druidischer Steinkreis, mit dem man das Wetter bestimmen könne, ferner man seine Funktionsweise kenne. Andere sagten, es sei ein Schlummerplatz eines Königs von Ankh, der sich dort mit seinen Rittern zurückgezogen hatte und eines Tages wieder auferstehen würde, um die Stadt zu alten Glanzzeiten zurückzubringen. Die meisten Bürger waren jedoch der Ansicht, dass es einfach Bauabfälle aus vorherigen Zeiten waren. Manche Menschen haben einfach nichts für Mystik übrig.
Oben angekommen keuchte Inspäctor hingebungsvoll.
"Junge, junge, du hältst einen alten Wächter ganz schön auf trab", brachte er hervor, während er nach Luft schnappte.
"Alt?" meinte Oktarina lachend. "Du bist doch noch nicht alt. Du solltest eher aufhören, zu rauchen."
Vollkommen ohne Anmut ließ sich Fred ins Gras plumpsen und legte sich rücklings hin.
"Humbug", keuchte er, aber man erkannte in seiner Stimme, dass er durchaus wusste, dass an dem Argument von Fräulein Gutherr durchaus etwas dran war. "Ich bin einfach nichts mehr gewohnt. Warum hast du eigentlich urplötzlich angefangen zu rennen?"
"Nunja, manchmal muss man sich eben abreagieren, nicht wahr?"
Fred blickte die junge Hexe skeptisch an, nickte aber schließlich. Sicher manche Menschen mussten sich mit großer Wahrscheinlichkeit "abreagieren", aber er bevorzugte lieber eine etwas sanftere Form. Einen doppelten Whisky zum Beispiel.
"Warum glaubst du, dass dieser Eisen kein Erfinder war?"
"Weil mir mein Gefühl sagt, dass da etwas nicht stimmt. Es sind diese Kleinigkeiten, weißt du. Wie kam er zum Beispiel zur Villa? Das muss zuerst geklärt werden. Es sind uns keine Diebstähle von Kutschen gemeldet worden und es bleiben somit noch zwei andere Möglichkeiten: entweder hat er eine Mietkutsche oder so etwas genommen, oder er wurde von jemand anderem mitgenommen. Wir haben in seiner Wohnung keine Anzeichen für den Besitz einer Kutsche bekommen, also ist es unwahrscheinlich, dass er eine besaß. Bleicht hat bereits gestern alle Mietställe überprüft und wir wissen ergo, dass Eisen dort keine Kutsche untergebracht hatte. Bleicht hat jeweils mit Foto und Namen nachgefragt, das sollte recht sicher sein."
Daraufhin schwiegen beide einige Minuten, bevor Oktarina erneut das Wort ergriff.
"Ich finde es hört sich ziemlich an den Haaren herbeigezogen an."
"Fang du nicht auch noch damit an!" gab Fred beleidigt zurück.
"Bitte?"
"Mir zu misstrauen. Alle meinen, ich würde mich zu sehr an Kleinigkeiten aufhängen, nur weil ich in letzter Zeit so wenige Fälle bearbeitet habe."
Es war schwer zu sagen, aber Fräulein Gutherr schien so etwas wie Mitleid mit dem kleinen Ermittler zu haben.
"Und warum nicht?" fragte sie.
"Weil..." Ja warum eigentlich? Er hatte sich nie genau Gedanken darüber gemacht und er war auch in einigen Ermittlungstruppen unterwegs gewesen, aber bei den meisten anderen Fällen versuchte er sich irgendwie rauszuhalten und wenn es etwas zu Arbeiten gab, erledigte er es meist nur halbherzig. "...ich weiß es selber nicht genau. Irgendwie komm ich mir...dünn vor...als habe man Butter auf zu viel Brot verstrichen...und auf seltsame Art und Weise leer...ohne das ich weiß, was mir fehlt."
Er lächelte die junge Dame gequält an, die ihm einen Blick voller Mitleid zuwarf.
"Lass uns besser wieder gehen", meinte sie nach einer kurzen Pause.
Sie gingen langsam und schweigend in die Stadt hinunter, die wie in goldenes Licht getaucht da lag. Wäre es nicht unbedingt Ankh-Morpork gewesen, so hätte man sicher von einem schönen Anblick reden können. Am Reitweg stoppte Inspäctor und sagte, dass er nun schnellstmöglich zum Wachhaus gehen müsse. Fräulein Gutherr nickte und umarmte ihn herzlichst.
"Danke für Alles", sagte sie und lächelte den kleinen Ermittler an.
"Keine Ursache", antwortete er ein wenig perplex und blickte der jungen Dame nach, als sie in Richtung Bachloser Weg verschwand.
Es dauerte eine Weile, bis er schließlich aus seinen Gedanken erwachte, den Kopf schüttelte und in Richtung Pseudopolisplatz eilte.

In weiter Entfernung braute sich in der Mitte der Scheibenwelt ein fürchterlicher Schneesturm zusammen. Die Götter, mit dem Zuständigkeitsgebiet Wetter waren erwacht. Zusammen mit dem Gott der zeitgemäß eingesetzten Dramatik.

PRINZ HAT ERSTEN KÜNSTLICHEN MENSCHEN GESCHAFFEN!!!
Die Schlagzeile sprang Kolumbini entgegen, als er sie von einem Zeitungsjungen am Pseudopolisplatz hörte. Vor dem Wachhaus hatten sich einige Bürger eingefunden, die derzeit noch friedlich wirkten, jedoch jederzeit losgehen konnten.
"Was bei allen Göttern ist da draußen los?" erkundigte sich der Lance-Korporal, als er im Wachhaus angekommen war.
"Keine Ahnung, Sir", sprach der diensthabende Tresenwächter.
Wütend stapfte Fred die Treppe hoch und knallte die Bürotür hinter sich zu.
"Wo bleibst du, Kollege?" erkundigte sich Romulus.
"Ich war noch unterwegs, woher soll ich denn wissen, dass hier plötzlich die Hölle losbricht."
Von Grauhaar hatte eine Kopie der Times auf seinem Schreibtisch liegen. In dem Artikel wurde lang und breit über Vincent berichtet, auch wenn ein Foto fehlte. Doch einige Zeichner hatten es sich nicht nehmen lassen, den mysteriösen Scherenmann auf Papier zu bannen.
Es wurden Vermutungen angestellt, weshalb er überhaupt geschaffen worden war und vor allem wie und weiterhin wurde von der Stadtwache verlangt, ihn für ein öffentliches Gespräch freizustellen.
"Ras ist ziemlich sauer, das kann ich dir sagen", meinte Romulus. "Ich habe ihm versichert, dass niemand von uns die Informationen an die Times weitergegeben hat, aber so richtig zufrieden war er nicht. Er hat Vincent vorerst in Schutzgewahrsam genommen. Außerdem meint er, dass wir an diesem öffentlichen Gespräch wohl nicht mehr vorbeikommen, ohne, dass das gesamte Wachhaus von der Meute vor der Tür zerlegt wird."
"Und was wird mit dem Fall?"
"Nach Ras' Ansicht ist der abgeschlossen, er hält deine Zweifel für unbegründet. Und er sagte du sollest dich um das öffentliche Gespräch bemühen. Es soll heute Abend im Eimer stattfinden."
"Wieso gerade im Eimer?"
"Nun weil dort die Times-Leute wohl den geringsten Weg zur Druckerpresse haben. Sie wollen alles wortwörtlich abdrucken. Herr de Worde ist gerade bei Ras im Büro."
"Kannst du mir nicht den Gefallen tun und dich ein wenig darum kümmern. Ich MUSS einfach einige Sachen wissen."
Romulus blickte von dem Berg von Papierkram zu seinem Kollegen und wieder zurück. Dann seufzte der Werwolf und nickte.
"Nun, gut. Ich werde mich bemühen und wenn jemand fragt, dann bist du plötzlich krank geworden."
Kolumbini strahlte förmlich. "Ich danke dir vielmals. Dafür schulde ich dir mehr als ein Bier."
Ein kurzes Lachen folgte auf diese Worte und der Lance-Korporal begann aus dem Raum zu verschwinden.
"Ach, Fred!" wurde der halbe Brindisianer von seinem Kollegen angehalten.
"Ja?"
"SUSI kann das Gift nicht genau bestimmen. Sie wissen nur, dass es etwas Exotisches und Außergewöhnliches sein muss. Nicht aus diesen Gefilden."
"Gut, das behalte ich im Hinterkopf."
"Was willst du jetzt machen?"
"Alle Mietkutscher der Stadt überprüfen."
"Das schaffst du doch nie."
"Alleine nicht, das stimmt."
Daraufhin rief er nach seinem Diener.

"Esch dud mir äußersd Leid, de Herr, aber den Mann hann isch noch nie gesehn!" antwortete der Kutsche, als Kolumbini ihm die Ikonographie von "Herrn Eisen" oder wie auch immer er hieß, vorhielt. Sein Diener und er hatten nun schon drei große Mietkutschenverleihe abgeklappert, doch keinerlei Glück gehabt. Damien G. Bleicht hatte Fred angewiesen, sich nach mehr Informationen über Herrn Eisen umzuschauen, auch wenn der Obergefreite das nicht sonderlich gut fand. Denn die Temperaturen waren im Laufe des Tages stetig gesunken und es würde eine sehr kalte Nacht werden.
Stellen wir uns die folgenden Szenen als Teile eines Filmes vor. Die imaginäre Linse der Kamera zeigt uns verschiedenste Kutschen und ihre Fahrer, die allesamt den Kopf schütteln, wenn Kolumbini oder Igor ihnen eine Ikonographie vor die Nase halten.
Dies dauert ungefähr eine Minute lang, bis wir sehen, dass Diener und Herr auf den Treppenstufen eines Gebäudes sitzen. Die graue Kutsche in der Nähe.
"Fo werden wir nie fertig, Herr. Die öffentlife Befragung von Vintfent ift bereitf in drei Ftunden und wir find keinen Fritt weitergekommen", meinte Igor betrübt.
"Du hast Recht, Igor. Aber was können wir tun?"
"Vielleift haben wir die gantfe Feit die falfen Fragen geftellt, Herr?"
"Hm...", antwortete Kolumbini lediglich und paffte an seiner Pfeife. "Da fällt mir ein...wir haben die Nachbarn von Prinz nie genau danach gefragt, ob an diesem Tag irgendwo eine Kutsche oder so gehalten hat, die sie nicht kannten."
Schnell stieg Inspäctor in die Kutsche und Igor ließ die Peitsche knallen, woraufhin die Pferde wieherten und in einen ungewissen Abend galoppierten.

Romulus von Grauhaar betrachtete derzeit interessiert die Vorbereitungen der Times-Reporter. William de Worde, der Chef der Zeitung, wies alle möglichen Leute an, wo sie sich hinsetzen beziehungsweise, wo sie irgendwelche Dinge aufstellen sollten.
"Nein, nein, Otto. Platziere dich lieber dort drüben, da hast du einen besseren Blick wir wollen doch, dass du gute Bilder von unserem Herren Vincent machst. Die Stühle für das Publikum kommen dort hin, Gunilla."
Überall wuselten Zwerge umher, die Stühle trugen, die so groß waren, wie sie selbst. Herr Käse stellte sich neben den Chief-Korporal und schüttelte den Kopf.
"So viel Aufwand...das scheint mir etwas merkwürdig."
"Dito", stimmte Romulus zu. "Morgen spricht wahrscheinlich niemand mehr von ihm."
"Tja, so ist es nun einmal."
"Achtung; Boddony du läufst gerade auf..."Klirr. "Die Vitrine mit dem zwergischen Whisky zu", beendete William den Satz. "Wir zahlen das natürlich, Herr Käse."

Entschlossen pochte Kolumbini an die Pforte der Hausnummer fünf in der Buntton-Straße, in der sich auch die Villa von Edward Prinz befand. Das Haus befand sich direkt gegenüber. Wenn irgend jemand etwas bemerkt hatte, dann diese Person. Kolumbini erinnerte sich, dass die Dame, die in diesem Haus wohnhaft war, stark alkoholabhängig gewesen zu sein schien. Sie hatte nichts über ihre Nachbarn gewusst, außer, dass er ihr mal einen Abmessmechanismus für Schnaps gebaut hatte, den man auch im betrunkenen Zustand bedienen konnte. Entweder war Prinz naiv und freundlich zu seinen Nachbarn gewesen, oder hatte gehofft, dass die alte Schnapsdrossel daraufhin an einer Alkoholvergiftung sterben würde.
Das Haus war bunt gestrichen...nun zumindest war es bunt gestrichen worden...irgendwann einmal, aber derzeit blätterte die knallrosa Farbe ein wenig ab.
"Jaaa?" kam eine weibliche Stimme, die nach Alkohol und Zigaretten klang aus dem Türrahmen. "Ach Sie sind das. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nichts über den Typen weiß. Er hat mir nur einmal dieses Ding gebaut zum Eingießen von meiner Medizin, wissen Sie."
"Ähm, Madame Avon, es gibt einige neue Ergebnisse, die mich veranlassen, sie noch einmal zu belästigen."
"Aber Sie belästigen mich doch nicht, Spätzchen." Es zeigte wahrlich, wie wenig Hirn diese Dame noch haben musste, dass sie Kolumbini als "Spätzchen" bezeichnete und nicht zurückwich bei dem Blick, den er ihr darauf zuwarf. Wären Blicke tödlich gewesen, hätte man vermutlich noch Jahre nach den Einzelteilen von Frau Avon suchen können. Gerade wollte sie dem kleinen Wächter in die Wange zwicken, als sich ihr Überlebensinstinkt zu Wort meldete und die Hand auf halbem Wege stoppte.
"Warum so griesgrämig? Kommen Sie rein, ich geb Ihnen nen Drink."
Die Hand der Frau zitterte stark, als sie in ihrem unordentlichen Wohnzimmer, zu dem sie durch einen unordentlichen Flur und einen noch unordentlicheren undefinierbaren Vorraum gehen musste, eine Flasche Brandy zur Hand nahm und sich selbst ein halb volles Bierglas eingoss und dem Wächter doch immerhin einen guten Doppelten gönnte.
Wann diese Gläser das letzte mal Säuberungsmittel gesehen hatten, wollte Fred lieber nicht erörtern.
"Also was wollen Sie fragen?" meinte die Dame und nahm einen großen Schluck von ihrem vierfachen Brandy.
"Ich wollte wissen, ob Sie vielleicht am Tag des Mordes eine Kutsche oder sonst ein Gefährt bemerkt haben, das neu hier war und angehalten hat."
Frau Avon blickte in ihr Glas und nahm einen weiteren Schluck, der jeden normalen Menschen ins Jenseits befördert hätte.
"Kommt drauf an", meinte sie und blickte unschuldig zur Decke.
Kolumbini seufzte. Eigentlich hatte er keine Zeit dafür, mit einer Vorstadtalkoholikerin über den Preis von Informationen zu handeln, aber es schien die einzige Möglichkeit. Er holte eine zehn Dollar Note aus seiner Geldbörse und reichte sie der Dame. Ihr Blick ließ weitere zehn Dollar folgen.
"Ich glaube so langsam erinnere ich mich."
"Jetzt hören Sie mal zu, Frau Avon!" herrschte Kolumbini die Alkoholikerin an, die daraufhin zurückschreckte. "Ich muss mich mit der Lösung dieses Falles beeilen und ich habe nicht vor, mich von einer Dame, die gepanschte Alkoholika trinkt, davon aufhalten zu lassen. Sie wissen so gut wie ich, dass dieses Zeug illegal ist, aber ich bin gerne bereit, darüber hinweg zusehen, verstanden?"
Es war zugegebenermaßen ein Schuss ins Blaue gewesen, aber Fred schien zumindest diesmal Glück zu haben. Frau Avon blickte ihn betrübt an und starrte dann auf ihr Brandy-Glas, das sie daraufhin in einem großen Zug leerte.
"Also gut, da hat ne weiße Kutsche gehalten. Aber nur ganz kurz. Dann ist sie weitergefahren und nich mehr wiedergekommen. Da waren zwei Personen drin, glaub' ich zumindest. Und bevor Sie fragen ich hab mir die Nummer nich notiert. Woher soll ich wissen, dass das Ding wichtig ist?"
"Haben Sie gesehen wer ausstieg?"
"Irgend so en Typ in Schwarz, aber sein Gesicht konnte ich nich erkennen."
Kolumbini klatschte in die Hände und schüttelte der Frau die Hand. "Vielen herzlichen Dank", meinte er eifrig. "Sie haben mir sehr weitergeholfen. Würden Sie die Kutsche erkennen, wenn ich sie Ihnen zeige?"
"Vielleicht", antwortete Frau Avon wahrheitsgemäß.
Daraufhin verließ Fred die Dame und stieg in seine graue Kutsche.
Frau Avon blieb alleine in ihrer Wohnung zurück und starrte auf das Glas, das sie dem Wächter eingeschenkt hatte. Nicht einmal berührt hatte er es und da sie eine praktische Frau war, trank sie es in einem Zug aus, damit nichts verkommen würde. Dann blickte sie zu ihrem Schnapsschrank.
"Wer hätte gedacht, dass verschnittener Whisky illegal ist", murmelte sie, bevor sie in einen von Alkohol umnachteten Schlaf auf dem Fußboden glitt.

Als Kolumbini, Igor und Oktarina den Eimer betraten, hatte die "öffentliche Besprechung" bereits angefangen. Vincent blickte auf und sah die drei Neuankömmlinge, woraufhin er sanft lächelte.
"Also, Vincent, was ist an diesem Tag passiert, als Herr Prinz umgebracht wurde?" fragte William de Worde freundlich.
Der Scherenmann saß zusammen mit dem Reporter an einem Tisch und einige Bürger der Stadt hatten sich eingefunden, denn die Bürger Ankh-Morporks witterten eine gute Show, wenn sie sich ankündigte. Und ein Krüppel, der Scheren statt Händen besaß, versprach ein besonders interessantes oder gar blutiges Ereignis zu werden, was von den meisten Morporkianern gleichgesetzt wurde.
"Ich weiß es nicht, Herr de Worde", antwortete Vincent schließlich nach einer Überlegungspause. "Es ist alles verschwommen."
Bregs sollte nun unbedingt mal mit ihm reden. Fräulein von Grantick würde die ganze Sache sicherlich versauen, dachte Kolumbini, während er das besorgte Gesicht des Scherenmannes erblickte.
"Die Leser des Sto-Lat-Kurier würden gerne wissen, was du gedenkst zu tun, nun da du auf dich alleine gestellt bist?"
"Er kann ja einen Frisörsalon aufmachen", rief ein Mann aus der Menge spöttisch.
Vincent ignorierte diesen Kommentar anscheinend, oder hatte ihn nicht vernommen, denn er antwortete, dass er keinerlei Ahnung habe, was er tun solle.
"Derzeit bin ich bei Herrn Kolumbini und Herrn Igor untergebracht, die dort hinten stehen."
Oh, vielen Dank.
"Ah, die beiden Herren dort, die gerade gekommen sind, ja? Das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen. Ach sind Sie der gleiche Kolumbini, der den Fall in der Stadtwache bearbeitet hat?"
Oh nein, es gibt sicher hundert Leute dieses Namens in dieser Stadt, dachte sich Fred, entschied sich aber für ein "exakt", das er an den Reporter richtete.
"Gute Arbeit", lobte de Worde, aber Inspäctor vermutete, dass sich dahinter irgendeine List verbarg.
Der kleine Ermittler erspähte Romulus, der in der ersten Reihe saß und drei Plätze hatte reservieren lassen. Sie setzten sich hin und lauschten dem Gespräch, das in einem recht langweiligen Trott weiterlief. Zum Schluss saßen nur noch die Leute der Times, Herr Käse, sowie Oktarina, Igor, Kolumbini und Romulus in der Kneipe und lauschten Vincent und de Worde. Dann gab auch der Reporter auf, zu versuchen, etwas Interessantes aus dem Scherenmann herauszubekommen.
"Nun, gut. Das war wohl nichts", murmelte er. "Wenn du dich bitte für eine Ikonographie aufstellen würdest. OTTO WACH AUF!"
Die letzten Worte richtete er an den Vampirikonographen der Times.
"Ich bin wach!! Ich habe überrrrhaupt nicht geschlafen!" wehrte Otto Chriek ab, als er von seinem Stuhl aufschreckte.
"Mach doch bitte ein Bild von Vincent, ja?" bat William.
"Aberr natürrlich!"
Vincent hatte von Igor ein weißes Hemd angenäht bekommen und eine Hose, die er mit einem schwarzen Ledergürtel befestigt hatte angezogen. Ein Jackett hatte der Scherenmann nicht gewollt.
"Sind wir dann fertig?" meinte er, nachdem Otto das Bild gemacht und sich aufgrund des starken Lichtblitzes in eine kleine Staubwolke verwandelt hatte.
"Oh, ja", antwortete William.
Die restlichen Zuschauer beobachteten erstaunt, wie die kleine Phiole, die langsam zu Boden gesegelt war, zerbrach und Otto Chriek sich vor ihren Augen wieder entfaltete.
"Notfall B-Worrrt", erläuterte der Vampir und lächelte ein beunruhigendes Lächeln.
"Ah, ja", meinte Kolumbini mit einem Tonfall des Verständnisses, der jenen Leuten eigen war, die verhindern wollten, dass jemand einen Amoklauf beging.
Bereits nach wenigen Minuten waren die Times-Leute verschwunden und überließen den Anderen das Aufräumen des "öffentlichen Gespräches".
"Wahrfeinlif wird morgen nift einmal eine Notitf in dem verdammten Fmierblatt ftehen", beschwerte sich Igor.
"Tja, sie haben sich anscheinend mehr erhofft", vermutete Romulus, während er einige Stühle wieder an die Tische stellte.
"Wenigstens ist nichts passiert", versuchte Oktarina die guten Seiten an dem Abend zu sehen.
"Das stimmt allerdings", pflichtete ihr Kolumbini bei. "Es hätte schlimmer kommen können."
"Entschuldigung?"
Die Stimme klang klein und unschuldig, doch später wusste Kolumbini, was so eine Stimme anrichten konnte. Sie gehörte zu einem kleinen Jungen, der sich an Vincent gerichtet und ihn angestupst hatte. Der Scherenmann schreckte auf und drehte sich rasch um...zu rasch, denn mit seinen riesigen Klingen fügte er dem Jungen eine kleine Verletzung am Arm zu.
Der Kleine begann in Null Komma Nichts zu weinen und beschuldigte den armen Vincent, dass er ihn habe umbringen wollen. Vincent hingegen entschuldigte sich tausendfach und wollte auf den Jungen zugehen, der sich jedoch mit wutverzerrtem Gesicht abwandte und aus der Taverne rannte.
"Was war denn das?" meinte Fred nach einer Weile verdutzten Staunens.
"Keine Ahnung", gestand Vincent ein.
Daraufhin berichtete Kolumbini seinem Kollegen die neuesten Informationen.
"Am Tag des Mordes hielt eine unbekannte weiße Kutsche vor der Villa von Prinz und ein Herr in schwarzer Kleidung stieg aus. Das könnte gut und gerne unser ominöser Omnianer sein. Und weiße Kutschen sollten nicht zu schwer zu finden sein. Und irgendein Kerl saß noch mit unserem Herrn Eisen in der Kutsche. Allerdings..."
"Allerdings was?"
"Die Kutsche ist gleich weggefahren und nicht mehr wiedergekommen...als hätte der Kutscher gewusst, dass es Niemanden abzuholen gab."
Einer der Fensterläden beschloss, um die Dramatik dieser Feststellung zu unterstreichen, im Wind zu klappern. Herr Käse ging zu der Geräuschquelle und machte den Fensterladen wieder fest.
"Ein kalter Wind zieht auf", bemerkte er trocken und fröstelte kurz.
"Kaum zu glauben, dass bald Schneevaterfest ist", sagte Fräulein Gutherr, um der Stimmung etwas an Kälte zu nehmen.
"Ja", murmelte Fred. "Kaum zu glauben." Dann erhob er die Stimme. "Ich weiß nicht, wie es mit euch aussieht, aber ich könnte nun eine ordentliche Mütze Schlaf gebrauchen."
Die anderen nickten und dann gingen sie in die kalte Nacht hinaus.

Der Morgen brachte keine Besserung. Weder hatte sich Fred über Nacht eine bahnbrechende Lösung für den Fall dargeboten, noch waren die Temperaturen wieder nach oben geklettert. Der Winter hatte Einzug gehalten und so schnell würde er wohl nicht wieder gehen wollen. Am Horizont zeigten sich dunkle Wolken, die langsam über die Ebene krochen.
"Meinst du, dass das ein schlimmer Sturm wird, Kolumbini?" erkundigte sich Oktarina am Frühstückstisch.
"Nun wir können wohl davon ausgehen, dass, wenn es ein schlimmer Sturm wird, wir von den anderen Städten durch das Semaphorennetzwerk rechtzeitig gewarnt werden", sagte Fred voller Zuversicht.
"Natürlif nur, wenn die Türme nift vom Fturm tferftört werden", warf Igor schwarzseherisch ein.
"Oh, danke, Igor. Solche warmen Worte lassen einen wirklich zuversichtlich auf diesen Tag blicken", gab Kolumbini zurück.
"Warum?" mischte sich Fräulein Gutherr ein. "Er hat doch Recht."
Diener und Herr blickten sich an, woraufhin beiden nickten. Anscheinend hatte Fräulein Gutherr keinen der beiden Kommentare hinsichtlich des darin enthaltenen Sarkasmus untersucht.
"Ist ja auch egal", meinte Inspäctor schließlich und wandte sich wieder seinem Tee und seinem Notizblock zu.
Entweder war Fräulein Gutherr gerade in "Small-Talk"-Stimmung und wusste nicht, was sie sonst fragen sollte, oder aber sie hatte gestern unbemerkt einige Biere zu viel getrunken. Anders konnten sich Igor und Fred die Frage "sagt mal wenn ihr eine Tafel Schokolade wäret, was wärt ihr dann?" nicht erklären.
"Bitte?"
"Stellt ihr euch nie die Frage, was ihr geworden wäret, wenn ihr nicht gerade ein Mensch geworden wärt?"
Diener und Herr hielten es eigentlich zu früh für magische Diskussionen, aber die junge Hexe, die sich derzeit an Vincent lehnte, schien da anderer Meinung zu sein.
"Du meinst was passieren würde, wenn sich unser morphisches Feld beruhend auf unseren Eigenschaften ändern würde, zum Beispiel zu einer Tafel Schokolade?" erkundigte sich Inspäctor.
"Ähm, wenn man es kompliziert ausdrücken will, ja!"
"Nun, Igor wäre bestimmt eine bunte Pralinenmischung", grinste Fred breit. Die Miene des Dieners blieb vollkommen ausdruckslos.
"Ein fehr guter Witf, Herr", antwortete der Bucklige monoton.
Fred zuckte mit den Schultern. "Frau Knugut hat einmal festgestellt, dass ich wohl eine Tafel Zartbitter Schokolade werden würde", teilte Oktarina mit.
"Nun Bitter wäre der Herr ficher auch", frotzelte Igor. "Allerdingf eher Hartbitter."
"Sehr witzig, Igor", meinte Kolumbini, auch wenn er wusste, dass Igor durchaus Recht hatte. Dabei beließen sie es dann auch, denn Fred blickte die ganze Zeit auf seinen Notizblock.
"Kann man irgendwie helfen?" meinte Oktarina schließlich.
"Ich gehe gerade noch einmal die Fakten durch, aber das bringt nichts. Es sind einfach zu viele unbekannte Faktoren."
"Waf denn?" sprach Oktarina mit vollem Mund.
"Ach, der Unbekannte in der Kutsche, das Priesterkostüm, das nirgends ausgeliehen wurde und dann natürlich das unbekannte Gift."
"Gift?" horchte Fräulein Gutherr auf und ein Brotkrümel flog dabei auf den Teller, woraufhin sie sich die Hand vor den Mund hielt und ein kurzes "Entfuldigung" murmelte.
"Irgendein exotisches Gift, das das Herz quasi explodieren lässt."
Fräulein Gutherr schien angestrengt zu überlegen, schluckte schließlich den Brotbissen hinunter und verschwand mit einem "vielleicht kann ich dir helfen" nach oben.
Verdutzt schauten Igor und Kolumbini der jungen Hexe hinterher.
"Ne Ahnung, was sie im Schilde führt?" wandte sich Fred erst an Igor und dann an Vincent, die jedoch beide mit den Schultern zuckten.
"Fie kam geftern morgen übrigenf nift fofort nach Haufe", flüsterte Igor zu seinem Herrn, der als Antwort nur verwundert dreinblickte.
"Aber ich habe doch gesehen, wie sie nach unserem Spaziergang in den Bachlosen Weg gegangen ist."
"Mag fein, Herr, aber fie war nift tfu Haufe, bif if mit der Kutfe lofgefahren bin."
"Nunja sie kann hingehen, wohin sie möchte, oder? Sie ist hier ja nur zu Gast und darf ansonsten tun und lassen, was sie gerne möchte."
"Wie du meinft, Herr. If finde ef nur ein wenig feltfam, daff fie anfonften alle möglifen Kleinifkeiten erwähnt, aber diefe Fache vollkommen unbeachtet läfft."
Kolumbini versuchte die Worte seines Dieners zu ignorieren, aber man war nicht über drei Jahre Stadtwächter, ohne ein gewisses, meist ungesundes Maß an Paranoia zu entwickeln.
"Hast du gestern wenigstens die Vorbereitungen für...nun du weißt schon was getroffen?" meinte Inspäctor nach kurzer Pause.
"Aber natürlif, Herr. Heute Abend bin if foweit."
"Gut", nickte Kolumbini und widmete sich wieder seinem Notizblock. Er schrieb auf eine Seite "Motiv" und kringelte das Wort ein. Dann setzte er ein Fragezeichen dahinter.
"Ich habe es ", rief plötzlich Fräulein Gutherr von oben herunter und kam mit einem Buch herbeigerannt, das in schwarzes Leder gebunden war.
Sie legte es freudestrahlend auf den Tisch und deutete auf die von ihr aufgeschlagene Seite. Auf der linken Seite war eine Art Kaktus abgebildet.
"Auf der rechten Seite ist eine Beschreibung des Giftes Cardialis Kawummotoxis. Es wird aus dem Kawumm-Kaktus gewonnen, der nur in den entlegenen Wüsten Omniens wächst. Das Opfer, dem eine geringe Menge des Giftes verabreicht wurde merkt erst nichts und stirbt dann innerhalb einer viertel Stunde, weil das Kawummotoxin eine Reaktion auslöst, die das Herz schließlich zerreißt, wodurch es aussieht, als habe man das Herz gesprengt", las die junge Dame vor. "Das Gift wird hauptsächlich in Omnien verwendet und ist außerhalb der Grenzen des Landes verboten, jedoch meist nicht bekannt."
"In Omnien? Das wirft ein ganz neues Licht auf den Fall."
Kolumbini strahlte förmlich, stand auf und drückte die junge Dame von ganzem Herzen.
"Vielen lieben Dank, Oktarina. Ich bin sicher, dass mir das weiterhilft, denn jetzt weiß ich, wonach ich suchen muss."
"Keine Ursache, Kolumbini. Ich helfe, wo ich kann."
Gerade wollte er gehen, da klopfte er sich gegen die Stirn.
"Ach, eine Frage noch, Fräulein Gutherr. Woher hast du dieses Buch?"
Anscheinend hatte die junge Dame diese Frage befürchtet, denn sie wand sich auf ihrem Stuhl hin und her.
"Ähm, das ist eine...lange Geschichte..." murmelte sie.
"Woher, Fräulein Gutherr?" fragte Kolumbini scharf, denn er roch, wenn etwas faul war bei einer "langen Geschichte".
"Aus der Assassinengilde", sagte die junge Dame schließlich. Sie wusste nicht, womit sie gerechnet hatte, aber seltsamerweise schrie der Stadtwächter sie nicht einmal an. Er blieb vollkommen ruhig, als er sich nach weiteren Ausführungen erkundigte, jedoch erst, nachdem alle drei Herren ein wenig dumm aus der Wäsche geschaut hatten.
"Ähm, nun, ich sollte dieses Buch für Frau Knugut beschaffen...dieses Buch über seltene exotische Gift- und Heilpflanzen und es hieß, dass eines der wenigen existenten Exemplare in der Assassinengilde Ankh-Morpork sei."
"Und warum hat sie das nicht selbst geholt, wenn du doch nicht mehr in ihrer Lehre bist?"
"Ähm, nun, eigentlich bin ich noch bei ihr in der Lehre...aber ich hatte Angst, dass du mich daran hättest hindern wollen, das Buch zu holen, wenn ich dir meinen wahren Plan verraten hätte."
"Du bist in die Assassinengilde eingebrochen? In die Gilde der käuflichen Mörder? Natürlich hätte ich das verhindert. Es ist Diebstahl, Oktarina. Wenn du das Buch jetzt zurückbringst, dann passiert vielleicht nichts."
"Nein." Die Stimme der jungen Hexe war äußerst fest und schien keine Widerrede zuzulassen.
"Willst du die Assassinengilde etwa auf dem Hals haben?" meinte Kolumbini mit einem Tonfall, der irgendwo zwischen Wut und Unverständnis lag, zwei Dinge, die im Übrigen sehr Nahe zusammen liegen.
"Nein, aber was sie machen ist nicht richtig und deshalb wird es ihnen wohl kaum weh tun, wenn ich dieses Buch behalte."
"Es ist egal, ob das, was sie machen richtig ist, es ist legal; ganz im Gegensatz zu deiner kleinen Aktion hier. Wie bist du da überhaupt reingekommen."
"Das ist ein Geheimnis."
"Mit Geheimnissen hast du es anscheinend, was?" antwortete Fred barsch. "Von wegen zurückkommen, um einen alten Freund zu sehen...pah...du bist nur deshalb hier hergekommen, weil dich die Unterkunft hier nichts gekostet hat."
Bei diesen Worten, in denen mehr Bitterkeit lag, als in jeder Grapefruit, sprang Oktarina von ihrem Stuhl auf.
"Das ist nicht wahr und das weißt du auch, Fred", meinte sie zornig und den Tränen nah.
Doch Fred schien nicht mehr zuzuhören. Seine Bitterkeit schien sich in eine tiefe Depression gewandelt zu haben.
"Ich bitte dich hiermit, dieses Haus zu verlassen, Fräulein Gutherr. Du hast bis heute Abend Zeit und dann will ich hier nichts mehr von dir sehen. Du hast, wofür du gekommen bist und nun kannst du wieder gehen und dich deiner Ausbildung widmen. Lebwohl."
Nach diesen Worten drehte sich der Ermittler um und trabte mit gesenktem Kopf in Richtung Pseudopolisplatz davon.
"Kannst du ihn nicht zur Vernunft bringen, Igor?" meinte Oktarina verzweifelt zu dem Buckligen.
"Tut mir Leid, Madame. Wenn der Herr eine feiner Launen hat ift da niftf mehr tfu machen. Er war in letfter Tfeit ohnehin nift gut drauf. Diefe Fache hier...war dann wohl der letfte Ftrohhalm."
"Wie meinst du das?"
Igor schüttelte nur den Kopf und begann das Frühstück abzuräumen.
"Du verftehft ef nift, oder? Die gantfe Tfeit über war er deprimiert...da kommt ein alter Freund vorbei und allef ift fo, wie in alten Tfeiten und noch beffer...tja und dann belügt einen diefer alte Freund...auf welchen Gründen auch immer. Kein Wunder, daff er fo reagiert."
Fräulein Gutherr setzte einen bereuenden Blick auf und seufzte.
"Wenn ich das gewusst hätte. Ich schicke ihm das Buch zu, wenn ich damit fertig bin."
"Adreffiere ef lieber an mif, wenn du nift feinen ewig währenden Tforn empfangen möfteft", schlug Igor vor. "Glaube mir, if kenne ihn lange genug, um tfu wiffen, daff diefe Laune wieder vorbeigehen wird, aber nur, wenn er eine Tfeit lang nift daran erinnert wird."
Oktarina nickte und begann ihre Sachen zu packen.

Eiskalter Wind wehte Kolumbini ins Gesicht.
Was denkt sie sich eigentlich? Wenn die Meuchler plötzlich vor der Tür gestanden hätten, um mit mir zu reden, was hätte ich dann tun sollen? Natürlich ist diese Gilde ein fragwürdiges Zeichen für Zivilisation, aber sie gehört zu dieser Stadt wie alles andere auch.
Sein innerer Monolog ging noch eine ganze Weile weiter, doch schließlich wandelte sich seine betrübte Fratze in ein verbittertes und entschlossenes Gesicht. Dann legte er einen Zahn zu.

Das Lagerhaus wirkte auch bei einem zweiten Besuch nicht wirklich einladender, fand Romulus von Grauhaar, als er es betrat. In der Nachricht hatte nur gestanden, dass er so schnell wie möglich zu Eisens Wohnung kommen und ein Brecheisen mitnehmen solle.
Der Werwolf trat in das Haus und ging zielgerichtet zu dem kleinen Zimmer, aus dem bereits das Licht von Kolumbinis alter Laterne drang. Gerade rechtzeitig duckte sich der Werwolf, als eine kleine schwarze Apparatur aus dem Raum flog.
"Es muss hier irgendwo sein", hörte Romulus Freds Stimme aus dem Zimmer.
"Alles in Ordnung?" fragte er vorsichtshalber, bevor er eintrat.
"Ah, Romulus. Endlich bist du auch da", ignorierte Kolumbini die Frage des Werwolfs. "Hast du das Brecheisen?"
"Ähm, ja, aber wozu brauchst du es?"
"Es ist herausgekommen, dass das Gift aus Omnien stammt und nun suche ich eine Art Versteck von diesem Eisen. Und da unter den Dielen der einzige Ort ist, den wir nicht ohnehin schon auf den Kopf gestellt haben, muss dort unten etwas sein..."
"Wenn da überhaupt etwas ist. Nur weil er ein omnianisches Gift verwendet hat, muss das noch lange nicht bedeuten, dass er kein Erfinder war und unsere Theorie falsch ist. Woher weißt du das mit dem Gift überhaupt?"
Inspäctor winkte ab und nahm dem Chief-Korporal das Brecheisen aus der Hand. Dann stemmte er etwas unbeholfen den Bretterboden nach oben.
"Stimmt irgend etwas nicht?" fragte Romulus, der nun einen Blick auf Freds Gesichtsausdruck geworfen hatte. Man konnte dem kleinen Ermittler stets ansehen, wenn etwas nicht stimmte und heute war ihm wohl eine ganze Lausherde über die Leber gelaufen.
Auch auf diese Frage antwortete er nicht, sondern stemmte sich mit größerer Kraft gegen die Bretter. Irgend etwas brodelte in dem halben Überwaldianer, das war sicher, aber wenn er damit nicht rausrücken wollte, so konnte von Grauhaar daran auch nichts ändern.
Heftig rammte Fred das Brecheisen in den Boden und die beiden Ermittler hörten ein dumpfes Pochen. Daraufhin grinste Fred humorlos.
"Na bitte", meinte er, hob die Planke an und holte einen Sack und eine Holzschachtel hervor.
Aus dem Sack beförderte er einige seltsame Kleidung, die keiner von beiden richtig kannte.
"Vermutlich irgend etwas omnianisches", vermutete Inspäctor. Dann versuchte er die Schachtel zu öffnen. "Verdammt", fluchte der kleine Ermittler, als sich herausstellte, dass die Schachtel verschlossen war. Er ging aus dem Zimmer und legte die Schachtel seitwärts auf den Boden im Gang. Dann zielte er mit dem Brecheisen auf den kleinen Schlitz zwischen Deckel und Boden und schlug zu. Die kleine Schachtel zerbarst sofort.
Ein altes in Leder gebundenes Buch, sowie ein kleiner Beutel fielen heraus. In dem Beutel befand sich eine billige omnianische Schildkröte und etwas Geld.
In dem Buch waren mehrere Lesezeichen und es wirkte so, als habe die entsprechende Person, der es gehörte im ganzen Leben keine andere Lektüre zur Hand genommen.
"Na bitte", murmele Inspäctor und schlug hastig das Buch auf. "Bring mir doch mal die Laterne, Romulus", sagte er zu seinem Kollegen.
"Ähm, gut", brachte der Angesprochene hervor, auch wenn er ein wenig verdutzt dreinblickte.
Im Schein der Lampe lasen die beiden Ermittler die Stellen, die sich der Lesende, der vermutlich Herr Eisen war, markiert hatten.
"Das ist das Buch Om", erkannte Romulus. "Aber...das sind seltsame Stellen."
"Und so sprach der große Prophet Zaranthrunsta: Nur Leben, welches von Om, dem ainzig wahren Gott gegebigt isset, isset ein Leben. Alles andere Leben mussig ausgelöschigt werdigen! Denn so sprach Om zu mir: Es gebiget kaine anderen Goetter neben mir! Und ein jeder der diesiges Gesetz nicht beachtigt, soll bestrafet werdigen!" las Kolumbini entsetzt vor.
Die anderen Stellen sagten im Prinzip das Gleiche. Das Wissen, welches nicht von Om gegeben war, sollte vernichtet werden.
"Man sollte meinen, er hätte sich ein besseres Versteck dafür aussuchen können. Oder am besten hätte er es vernichtet", sagte Romulus.
"Ich glaube nicht, dass er als gläubiger Omnianer irgend etwas vernichten könnte, das auch nur annähernd mit seinem Gott zu tun hat. Auf jeden Fall ist nun sicher, dass unser Freund hier nicht aus eigenen Stücken gehandelt hat."
"Hm? Wie kommst du zu dem Schluss?"
"Weil dies ein altes Buch Om ist, dass gedruckt wurde, bevor die Kirche "reformiert" wurde, wie sie es nennen. Dieses Geschwätz ist heute nicht mehr in der Kirche vertreten. Zumindest offiziell."
"Das heißt wir suchen nach einem durchgeknallten Priester, der der "alten Ordnung" noch immer anhängt."
"Ja und ich glaube ich weiß, wer uns den Weg weisen kann."
"Hm, erschien dir einer dieser omnianischen Priester merkwürdig?" fragte Romulus und erntete einen zynischen Blick von seinem Kollegen.
"Die haben alle einen an der Waffel, aber wir suchen einen, der im Geheimen dieser alten Ideologie anhängt."
"Und wie sollen wir ihn finden? Wenn er sich offenkundig bekennen würde, so hätte uns doch bestimmt jemand im Tempel darauf hingewiesen, oder?"
"Ich meinte nicht den Tempel, als ich sagte, wo wir Informationen bekommen. Ist dir an dem Anhänger nichts aufgefallen?"
"Nunja ziemlich schlicht im Vergleich zu dem, den Eisen um den Hals hatte, als er..." Romulus stockte. "Aber so Anhänger sind bei den Kostümen...dabei...gewesen." Die Erkenntnis kroch über seinen geistigen Horizont wie eine kleine Sonne, die Licht ins Dunkle brachte.
"Herr Gries ist zwar sicher nicht der Kopf der Sache, aber mit genügend Druck könnten wir ihn vielleicht dazu bringen, dass er uns sagt, wer es war."
Etwas bewegte sich in den Schatten.
"Was war das?" meinte Fred. "Eine Ratte?"
Romulus schüttelte den Kopf und zog sich schnell sein Halstuch über die Nase.
"Warum so sicher?"
"Ratten lassen keine Pfefferminzbomben fallen, wenn sie rasch das Gebäude verlassen."
Schnell verfassten die Ermittler eine Nachricht für die FROGS, damit die Spezialtruppe so bald wie möglich zu dem Kostümverleih von Harry Gries kommen würden.
"Ich würde sagen, wir vertrauen darauf, dass die Taube und die FROGS schnell genug sind, dass sie uns noch Rückendeckung geben können", schlug Romulus vor.
Kolumbini nickte und zog seinen Schlagstock.
Sie waren zu beschäftigt um auf das leise Gerede der Leute auf den Straßen zu lauschen...ein Gerücht ging durch die Stadt und es breitete sich aus, wie ein Lauffeuer.

Der Obergefreite Damien G. Bleicht hörte das Gerücht und auch seine Phasen. Als die Woge schon kurz vor ihrem Höhepunkt war, schnappte er etwas auf, das ihn aufhorchen ließ. Gerade schob er den alten Lester Laufgut in dessen Rollstuhl durch die Straßen, als er eine alte Dame eine Sache von der Sorte "habt ihr schon gehört" sagen hörte. Ob er davon auch wusste? Hm...nun wenn Damien es aufschnappte, so hatte er es mit Sicherheit auch gehört, allerdings konnte man ja nie sicher sein und die Sachen, die er gehört hatte, waren nicht gerade nett.
"Lester?" meinte der Bleiche.
"Ja?" antwortete der alte beinlose Zombie mürrisch.
"Wir machen einen Umweg."
"Umweg? Was soll der Scheiß, Junge? Wo geht's hin?"
"In den Bachlosen Weg", meinte Damien und beeilte sich.

Die Sturmwolken hatten bereits einen guten Weg zurückgelegt. Phillipe Poiret seines Zeichens berühmtester Detektiv der Scheibenwelt (zumindest glaubte er das) befand sich gerade in Sto Lat, als das Unwetter zuschlug. Schnell rannte er durch die Straßen auf sein Ziel zu. Er achtete nicht auf das Ladenschild, sondern ging einfach hinein.
"Mon divinites, was für eine Schturm", sprach er, als er den Laden betreten hatte. "Oh, Sie sind ja gar nischt, mein alter Freund?"
"Was?" fragte die alte Dame, die hinter dem Tresen saß.
"Isch dachte, isch würde meinen alten Freund, Monsieur Kolumbini 'ier antreffen, Mademoiselle."
"Wen?"
"Er 'at dieses Geschäft einmal besessen, aber er muss definitiv weitergesogen sein. Ein fürschderlisches Wetter nischt wahr, Mademoiselle?"
"Ha, das ist noch gar nichts! Im letzten Winter sind sogar die Semaphorentürme teilweise eingestürz-"
Draußen ertönte ein unheimliches Poltern.
"Sie wollten sagen, Mademoiselle?" meinte Poiret sarkastisch.
"Ha! Im Großen Winter von '65 kamen sogar Wölfe in die Ebene", meinte die Alte.
Poiret war glücklich, als wenigstens das Wolfsgeheule ausblieb. Er war auf dem Weg in wärmere Gefilde. Solch ein Schneesturm war nicht normal. Erst recht nicht, nachdem es kurz vorher noch so schön gewesen war. [4]

Kolumbini und Romulus kamen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Harry Gries an seiner Schusswunde erlag und einige letzte Worte sprach.
"Es tut mir leid", brabbelte er immer wieder. Er hatte sein "Buch Om" anscheinend als eine Art Schutz vor sich gehalten, allerdings hatte der Bolzen nicht nur das Buch, sondern auch seinen Bauch durchbohrt. "Bringt den Mistkerl um", sagte er verbittert, während ihm Blut aus dem Mund lief. "Er hat gesagt, es sei ein kleiner Scherz und wenn die Wache...käme...solle ich ruhig...bleiben und...die Pfefferminz...bombe...fallen...lassen. Es...tut...mir...Leid."
"Warum können diese dem Tod nahen nicht sagen: "bevor ich sterbe gebe ich euch die Lösung des Falles: es war der Gärtner" oder zumindest so etwas in der Art. Nein sie brabbeln immer irgendein unverständliches sinnloses Zeug", empörte sich Fred.
Romulus befürchtete, dass der kleine Ermittler gleich die Leiche treten würde, aber das blieb zum Glück aus.
"So nun brauchen wir noch SUSI. Mal schauen ob ich noch eine Taube dabei habe."
Schnell kramte er in seinem MANTEL, doch genau in diesem Moment öffnete sich die Tür und Bregs kam zusammen mit Valdimier van Varwald und einigen anderen FROGS in den Raum.
"Ah gut, dass ihr da seid", bemerkte Kolumbini. "Könnte jemand von euch bitte zum Wachhaus gehen, oder sonst wie bescheid sagen, dass wir ein paar SUSI Leute hier brauchen?"
Glücklicherweise hatte Bregs auch Rogi Feinstich in der kleinen Truppe, die eine ihrer Tauben losschickte.
"Was ist hier passiert?" fragte Araghast schließlich und sah verwundert von der Leiche zu den beiden RUM-Ermittlern.
"Der Typ, der hinter der ganzen Sache mit Vincent steckt hat einen Mitwissenden ermordet, der wahrscheinlich nicht mehr dicht gehalten hätte."
"Er hat uns vermutlich in der ehemaligen Behausung von Eisen belauscht und ist dann hier hergeeilt", erläuterte Romulus die offenkundige Theorie.
"Meint ihr, er ist noch hier?"
Die beiden Ermittler schauten sich an. "Im Lagerhaus?" meinten beide gleichzeitig.
"Wir sollten besser nachschauen", schlug Valdimier vor und zog seine Armbrüste.
Dunkelheit herrschte in dem alten von Staub heimgesuchten Lagerhaus, doch außer Staub und alten Säcken mit Kostümen ließ sich nichts finden.
Kolumbini ging zielgerichtet auf die Säcke mit den Omnianerkostümen zu und nahm sie allesamt heraus, schleppte sie in den Vorraum und entleerte ihren Inhalt auf dem Boden.
Als Romulus wieder zu seinem Kollegen kam, hielt ihm dieser eine Kutte hin.
"Fühl den Stoff mal. Ist viel dicker, als der der anderen. Jemand wollte uns unbedingt glauben machen, dass dieser Fall rein gar nichts mit Omnianern zu tun hat und nun, da wir die Sache herausgefunden haben scheint er durchzudrehen. Anscheinend hat er die Kostüme mit einer echten Priesterkleidung getauscht, damit wir keinen Verdacht schöpfen, wenn wir im Lagerhaus die Säcke durchsuchen. Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass wir nach solchen Kleinigkeiten wie der Stoffdicke Ausschau halten. Eisen trug eine Kostümrobe, damit wir glauben würden, dass es sich um eine Kostümierung handelte. Aber er wollte nicht den schäbigen Anhänger tragen, wenn er seine Mission für Om, den unsäglichen Erfinder umzubringen, erfüllen würde. Bei diesem Sack fehlt nämlich auch der schäbige Anhänger, den Eisen anscheinend zurück behalten hat. Wir wissen also nun das wie und das warum...jetzt fehlt uns nur noch der Kopf der ganzen Sache."
"Das, ähm, warum ist mir noch nicht so wirklich klar, Fred", meinte Bregs, der nur die halbe Erklärung mitbekommen hatte.
"Im alten Buch von Om ist die Wissenschaft und jedes Leben, das nicht von Om gegeben wurde verurteilt. Unser Mörder wurde wohl von irgendwem angestachelt und in der alten Lehre erzogen. Dann wurde er auf Prinz losgelassen. Und ich bin mir sicher, dass der Kopf der Gruppe wusste, dass Eisen dabei umkommen würde. Der Kerl muss ein absolut durchgeknallter, aber berechnender Typ sein. Er ist gleich mit seiner Kutsche weitergefahren, damit ihn niemand bemerkt und er ist nicht zurückgekommen, auch wenn er Eisen das vermutlich versprochen hatte."
Bregs und Romulus schauten sich an. Wenn Kolumbini erst einmal angefangen hatte, Lösung auszuplaudern, war er nicht mehr zu stoppen. Es war, als würde man einen kleinen Schneeball in den Bergen fallen lassen, der zu einer Lawine wurde.
Doch bevor er weiter machen konnte, landete eine Brieftaube im offenen Türrahmen und gurrte freundlich vor sich hin.
"Das ist eine von Igors", murmelte Kolumbini und entnahm die Nachricht aus der Kapsel an ihrem Bein.
"Was gibt es?"
"Igor schreibt, dass wir sofort nach Hause kommen sollen. Es gäbe große Probleme. Und er schreibt irgend etwas von einem, ähm, Mob."
"Macht er gerade Hausputz?" Romulus konnte sich dieses miese Wortspiel einfach nicht verkneifen, woraufhin er einen bösen Blick von Inspäctor erntete.
"Ich glaube, er meint eher einen Mob von Personen. Mit Mistgabeln und Fackeln und so. Bregs und Romulus, würdet ihr bitte mitkommen? Ähm, Herr van Varwald könnte vielleicht recht nützlich sein, wenn es etwas rauer zugeht, oder? Nun wir müssen uns beeilen. Seid ihr mit eurer Kutsche hier?"
Draußen begann es heftig zu schneien.

Das Wort Mob umschrieb die Menge eigentlich recht gut, auch wenn die Beschreibung "riesige wütende Meute" vielleicht etwas besser gepasst hätte. Es waren bestimmt über hundert Menschen, die sich vor dem Tor zu Kolumbinis Villa versammelt hatten. Bisher hatte Kolumbini es immer als Unsinn empfunden, dass Igor ein riesiges stabiles Eisentor hatte anbringen lassen, aber jetzt erwies es sich als äußerst nützlich. Leise schlichen die vier Wächter durch den Garten von Kolumbinis Anwesen und gingen durch die Hintertür.
"Was bei allen Göttern hat das zu bedeuten Fred?" war die Begrüßungsformel, die Ivonne Kolumbini an sie richtete. "Kaum ermittelt man einmal einige Tage in einem Fall und muss untertauchen, steht eine wütende Meute vor der Tür, wenn man wiederkommt. Was ist passiert?"
"Wenn ich das wüsste, Ivonne, hätte ich sicher mit der Meute selber gesprochen."
"Und dann ist da dieser unheimliche Zombie mit seinem Opa im Rollstuhl in der Vorhalle und begafft alles. Ich glaube, er hat sich einige Wertgegenstände in die Manteltasche gesteckt."
"Unheimlicher Zombie?"
"Ja so ein total bleicher Kerl."
Romulus und Kolumbini antworteten quasi gleichzeitig mit: "Obergefreiter Bleicht?"
Die Sache wurde immer komplizierter. Schnell gingen die Fünf in die Empfangshalle, wo Damien G. Bleicht in Begleitung eines Zombies in einem Rollstuhl stand.
"Hallo! Nettes Haus, Lance-Korporal. Woher hast du das Geld?"
"Damien, das erzähle ich dir ein ander mal. Warum bist du hier?"
"Eigentlich wollte ich dir sagen, dass sich was zusammenbraut. Habe so ein paar Sachen gehört, als ich auf der Straße unterwegs war und dachte, das könnte dich vielleicht interessieren."
"Was für Sachen?" fragte Kolumbini hektisch.
Damiens Gesichtzüge veränderten sich, als er eine alte Dame nachmachte.
"Hast du schon gehört, was dieser Krüppel mit dem armen kleinen Jungen gemacht hat? Er hat ihm den kompletten Arm abgetrennt und ihn danach gezwungen zuzusehen, wie er ihn verspeist."
Seine Mimik und der Tonfall änderten sich zu einer jüngeren Dame.
"Wen meinst du? Schere?"
Wieder die Alte.
"Ja, den, den sie Schere nennen. Er ist wider die Natur, das sage ich dir. Man müsste etwas gegen solche Dinge unternehmen."
Es folgte ein alter Herr.
"Ja, ja. Früher wäre so etwas nicht vorgekommen...Menschen mit Scherenhänden, das ist unhygienisch."
Ein junger Herr.
"Vater hat Recht, lasst uns um diesen Typen kümmern. Wer weiß, wessen Arme er als nächstes verspeist. Wo wohnt er?"
Die alte Dame folgte.
"In der Times stand, dass er bei einem Wächter namens Kolumbini wohnt."
Die junge Dame.
"Seht ihr, selbst die Wache steht auf seiner Seite. Sie beschützen ein Monster, das Kinder frisst."
Die Alte.
"Ich glaube, er wohnt im Bachlosen Weg oder so. Das stand auch in der Times."
Damiens Vortrag endete und Kolumbini bereute es, dass er Herrn de Worde gestern seine Adresse gegeben hatte.
"Aber wir haben gesehen, was passiert ist. Vincent hat diesen Jungen nur sanft geschnitten."
Damien zuckte mit den Schultern.
"Die Wahrheit ist den meisten Leuten zu banal und langweilig", warf Bregs ein.
Die Wächter nickten.
"Wo ist Igor?" meinte Fred.
"Der ist draußen und versucht den Mob zu beruhigen", erläuterte Ivonne.
In diesem Moment öffnete sich die Tür und Igor trat vom Schnee bedeckt in das Haus hinein.
"Feifwetter", murmelte er. "Ah, Herr! Du haft meine Nachrift alfo bekommen, ja?"
Kolumbini nickte lediglich.
"Gut. Der Mob verfwindet."
"Gute Arbeit, Igor. Wo ist Vincent?"
Igor schaute seinen Herrn an, als habe er gerade etwas vollkommen Unmögliches gefragt.
"Er ift nift mehr hier, Herr."
"Was?"
"Er ift mit Fräulein Gutherr durfgebrannt. Waf glaubft du denn, waf if der Meute da draufen ertfählt habe? If habe gefagt, daff fie nift mehr hier find, daraufhin haben fie gefagt, daff fie fich felber verarfen können. Aber fo ein Typ, der gantf vorne ftand, hat gefagt, daff er fpüre, daff Vintfent wirklif nift mehr hier fei und fie nun dorthin gehen müfften, wo daf gantfe Unheil begonnen habe."
"Zu der Villa von Prinz", murmelte Fred. "Mach die Kutsche startklar Igor. Wir müssen so schnell wie möglich zu dieser Villa."
"Warum?", meinte Araghast.
"Weil Fräulein Gutherr für Vincent ein zu Hause suchen wird und auf die Idee kommen wird, dass er am besten in sein altes Heim zurückkehren sollte."
"Glaubst du wirklich, dass sie so denkt?"
Kolumbini nickte und sagte kaum hörbar.
"Die Geschichte endet dort wo sie begann..."

Die graue Kutsche raste über das Kopfsteinpflaster und in die dunkle Nacht davon.
Damien schob Lester Laufgut durch die stürmische Nacht zurück in die Blass-Straße. Er hatte nicht eingesehen, warum er bei dieser seltsamen Kutschenfahrt hätte dabei sein sollen und die komische Blonde war im Haus zurückgeblieben, weshalb er sich dort auch nicht weiter hätte "umsehen" können.
"Gabs irgendwas Wichtiges, während ich gepennt hab, Jungchen?" erkundigte sich Lester, der gerade aus einem tiefen Schauschlummer erwachte. Zombies mussten nicht schlafen, aber Lester tat des öfteren so als ob, damit er Sachen mitbekam, die wohl nicht gesagt würden, wäre er wach.
"Nein, eigentlich nicht. Aber ich habe jetzt endlich nen gescheiten Kerzenständer."

Die Villa in der Bunttonstraße 13 lag bereits verschneit dar. In ihren Gärten war das Wasser in den Springbrunnen gefroren. Oktarina bestaunte die verschneiten Baumstatuen.
"Hast du die alle selber gemacht?" fragte sie.
"Ja", antwortete Vincent wahrheitsgemäß und betrachtete angestrengt einen der Eisblöcke. Der Schnee hatte kurzzeitig ausgesetzt und somit wunderte sich Oktarina, als er plötzlich wieder begann. Als sie sich umdrehte bemerkte sie Vincent, der gerade einen Eisblock mit seinen Scheren bearbeitete und dadurch kleine Schneeflocken erzeugte.
Oktarina lachte und drehte sich im Kreis. Sie trug zur Reise ihr blaues Kleid und einen schwarzen Umhang, hatte jedoch auf ihrem Kopf den schwarzen Hexenhut, den sie abnahm und ihr Haar von dem Samtband befreite.
Sie begann im Rhythmus einer nicht hörbaren Musik zu tanzen und lächelte, während ihr die kleinen Schneeflocken in ihr zartes Gesicht flogen. Langsam tanzte sie auf Vincent zu und bat ihn, herunterzukommen. Sorgsam kletterte der Scherenmann von dem kleinen Podest, auf dem er bis eben gestanden hatte, herunter und die kleine Dame umarmte ihn.
Sie stellten fest, dass es immer noch schneite.
"Es hat wieder angefangen", bemerkte Fräulein Gutherr, während sie sich an ihn schmiegte.
"Ja", meinte Vincent lediglich und versuchte, seine Scheren so weit wie möglich von ihr zu entfernen und gleichzeitig ihr nah zu sein. Jeder Außenstehende wäre vermutlich zwischen einem romantischen "Ach" oder einem kleinen Lacher über die Nicht von der Hand zu weisende Merkwürdigkeit dieser Szene hin- und hergeschwankt.
"Wir bleiben einfach hier", meinte Oktarina. "Es weiß niemand das wir hier sind. Wir können in deinem zu Hause bleiben...für immer."
Sie hörten Schritte und dann ein Geräusch eines aus den Angeln gerissenen Tores.
"Ob das Kolumbini ist?" vermutete die junge Hexe, doch in ihrer Stimme spiegelte sich wider, dass sie eigentlich wusste, wie unwahrscheinlich dies war.
"Dort hinten ist er" rief eine Stimme, deren Sprecher im nun dichten Schneetreiben nicht auszumachen war. Eine Laterne blendete die beiden.
"Passt auf, er hat eine Geisel!" rief eine andere Stimme.
"Geht es dir gut, mein Kind?" fragte eine andere Stimme, die offensichtlich zu einer alten Dame gehörte. "Hat er dir auch nichts getan?"
Keiner der beiden Angesprochenen wusste, was hier vor sich ging.
"Was sollte er mir tun? Wir lieben uns."
"Oh, bei Om! Er hat sie behext", schrie eine weitere Stimme und schließlich erkannten die Beiden, was auf sie zukam. Eine Menschenmenge, die aus mindestens fünfzig Personen bestand näherte sich ihnen. Es waren sicherlich noch mehr irgendwo dort, aber der dichte Schnee verdeckte die Sicht. Die Meute trug Fackeln und Laternen, sowie einige primitive Waffen, wie Keulen und Heugabeln. Selbst in einer riesigen Metropole wie Ankh-Morpork musste sich eine wütende Meute gewissen Gesetzmäßigkeiten beugen.
"Erledigen wir ihn!" schrie jemand.
"Nein, er muss zuerst das Mädchen frei geben, dann können wir ihn erledigen."
"Hey, Krüppel! Lass das Mädchen frei und gehe einige Schritte zurück, dann machen wir deinen Tod schnell und schmerzlos."
"Tod?" kam es entsetzt von Oktarinas Lippen. "Was hat er euch denn getan?"
"Er hat meinem Kind den Arm abgeschnitten und ihn dann gegessen", rief eine besorgte Mutter.
"Was? Ich habe es gesehen, er hat ihm lediglich eine leichte Schnittwunde zugefügt."
"Habt ihr das gehört? Dieses Mädchen sympathisiert mit dem Dämon!!" Diese Stimme hatte Oktarina nun schon öfters ausgemacht. Sie gehörte zu einem Mann und dieser Mann schien das Hauptreden und nun wir wollen es in Ermangelung eines besseren Ausdrucks als Denken der Gruppe bezeichnen.
Schnell ging Fräulein Gutherr zu ihren Sachen und zog ihren spitzen Hexenhut auf.
"Ich bin kein einfaches Mädchen", erhob sie ihre Stimme, was bei ihr eindrucksvoller wirkte, als man vielleicht annehmen mochte. "Ich bin eine Hexe."
Die Meute ging einige Schritte vor Entsetzen zurück und kam dann aber näher, als die männliche Stimme rief: "Habt ihr gehört?? Sie ist mit den Mächten der Finsternis im Bunde!!! Wir MÜSSEN sie ausmerzen!!!!"
"Ups", meinte Oktarina nur. "Der Schuss ging wohl nach hinten los."
Die Meute kam näher und die junge Dame sah, zu wem die Stimme gehörte. Es handelte sich um einen omnianischen Priester, der eine riesige Armbrust in seiner rechten Hand und einen ebenfalls übergroßen Schildkrötenanhänger in der Linken hielt.
"Wir müssen das Böse ausmerzen!!!!" schrie er und lachte irre.
Oktarina schloss die Augen, weil sie in jedem Moment mit einem Schuss rechnete, doch stattdessen ertönte eine vertraute Stimme: "Versuchen Sie's Pater und Herr van Varwald durchlöchert Sie, wie einen quirmianischen Käse."
"Kolumbini?" brachte Oktarina überrascht hervor, doch der Wächter antwortete nicht. Er stand einfach vor ihnen mit seinem alten Trenchcoat und dem schwarzen Wollschal, der im Wind flatterte.
"Warum tun Sie das Pater Populi?" fragte Kolumbini.
"Aaahh, du willst ein "der Bösewicht verrät seinen üblen Plan Gespräch", was? Nun du wirst es nicht bekommen."
Er drückte ab. Der Bolzen flog träge durch die Luft und prallte an einer unsichtbaren Wand ab, flog in eine andere Richtung und traf einen Mann aus der Meute.
"Seht ihr", ertönte Bregs Stimme hinter der Meute. "Er hat einen von uns getötet, der Kerl. Er wird uns noch alle umbringen, also lasst uns verschwinden."
Die Meute wusste nicht so recht, was sie tun sollte, aber die Leiche des Mannes sprach Bände und langsam zogen sie sich zurück. Pater Populi starrte auf seine Armbrust, dann auf den kleinen Wächter und schließlich auf die sich zurückziehende Meute.
"Wie könnt ihr es wagen? DER ZORN OMS SOLL EUCH TREFFEN!!!!!" schrie er den Leuten hinterher, doch es hatte eher eine gegenteilige Wirkung, als jemand fragte. "So wie den armen Wilhelm da unten?"
Die Saat des Misstrauens trug meist sehr schnell Früchte.
"Das war nicht meine Schuld!!"
"Das sagen sie immer", rief Bregs herein und beließ es dann dabei. Das sollte nach seiner Meinung ausreichen.
Mit wutentbranntem Blick richtete sich der Pater an Kolumbini.
"Du warst das!! Du hast diese Mistgeburt in deinen Schutz genommen!!! DU hast wider das Gesetz Oms gehandelt!!!!"
Kolumbini wich gekonnt einige Schritte zurück und lockte den Pater weiter von seinen Leuten weg.
"Wie lief es ab, Pater? Haben Sie Herrn Eisen dazu gebracht, ihren Humbug zu glauben. Er war ja sicher leicht zu überzeugen, so einfältig, wie er aussah. Sie haben ihn wahrscheinlich in Ihrer Heimat kennen gelernt. War er vielleicht sogar mit Ihnen verwandt? Sie haben ihn manipuliert und ihm eine Fähre nach Ankh-Morpork bezahlt. Und dann haben Sie ihm das Gift gegeben und ihn hier hergeschickt. Wie ging es dann weiter? Sie haben doch alles geplant. Von Eisen ging rein gar nichts aus. Er war nur das Mittel zum Zweck. Er hat so getan, als sei er ein ganz normaler Omnianer, der nur mal gerne ein Gespräch bei einer Tasse Tee haben wolle, nicht wahr? Dann sollte er das Gift in die Tasse tun und danach Vincent umbringen, nicht wahr? Doch er wusste nicht, was er töten sollte. Er wusste nur, dass es eine Mistgeburt in den Augen Oms war." Kolumbini sprach die Worte voller Verachtung aus. "Und Sie wussten, dass Vincent ihn töten würde...Sie wussten, dass Vincent rot sehen würde, wenn er seinen Erfinder tot auffinden würde...Sie wussten es. Und Sie haben Harry Gries erschossen, damit er nichts ausplaudert. Aber jetzt ist es raus, Pater. Was wird ihr Gott wohl dazu sagen?"
Der Pater sprang. Schnell wich Kolumbini aus, indem er sich auf den Boden schmiss und sich drehte. Der ehemals so freundlich wirkende Omnianer raste und sein Alter schien vergessen. In seinen Augen spiegelte sich der pure Wahnsinn wider. Er zog aus seiner weiten Priesterrobe einen Degen und Kolumbini beunruhigte es ein wenig, dass er anscheinend verstand, damit umzugehen. Der Wächter war kein Held und das wusste er nur zu gut. Niemand, der freiwillig Wächter wurde war ein Held. Dafür war der Job viel zu undankbar.
Deshalb stand Kolumbini schnell auf und rannte zur Villa. Er schlidderte ein wenig auf dem Boden, aber erkannte sehr wohl, dass er dem alten Omnianer um einige Schritte voraus war.
Der Schnee wurde heftiger und Fred konnte plötzlich nicht mehr sehen, wohin er lief. Auf Valdimiers Hilfe konnte er nun nicht mehr vertrauen.
Als er mit dem Kopf gegen die Eingangstür der Villa stieß, wusste er, dass er den richtigen Weg gewählt hatte. Die Chancen, dass Pater Populi den gleichen Weg finden würde, waren vermutlich eins zu einer Million- Und mit einem dumpfen Pochen bohrte sich der Degen des Pater in das Holz neben Inspäctors Kopf.
Schnell riss der Wächter die Tür auf, knallte sie hinter sich zu und rannte die Treppe hinauf in Edwards Werkstatt. Oben angekommen merkte er, dass er völlig außer Puste war.
Wie ein Jäger schien dies der alte Pater zu spüren, denn er stapfte langsam die Stufen hinauf, mit wutentbranntem Schnaufen.
"Du bist auch nur eine Nichtswürdige Missgeburt der Natur, du Wächter!!! Du musst genau wie dieser Scherenkrüppel von dem Angesicht der Scheibe getilgt werden!!! Om wird mich gebührend empfangen, dafür dass ich ihm so gut diene."
Dann war er oben und ging langsamen Schrittes auf den Ermittler zu, der inzwischen am Boden lag. Es kam einem Wunder gleich als, zusammen mit den Schneeflocken auch eine Fledermaus durch das immer noch zerbrochene Fenster kam.
Nach einem kurzen Plop stand Valdimier van Varwald im Raum.
"Ein Vampir!" schrie Populi und holte seine Schildkröte hervor. "Weiche, du Unhold!!!"
Valdimier betrachtete den Anhänger kühl und zog seine Armbrust.
"Dein Weg ist hier zu Ende!"
"Ach, ja?" Es schien als sei der Pater auf alle Unlänglichkeiten des Lebens vorbereitet, denn er zog einen kleinen Salamander aus der Tasche und sagte "Buh", woraufhin sich ein starker Blitz entlud, der Valdimier in ein kleines Häufchen Asche verwandelte.
"Na, Herr Wächter? Immer noch so sicher?"
Langsam schritt der Pater an den Ermittler heran. Kolumbini wusste nur zu gut, dass das magische Feld seines MANTELS ihn vor einem Geschoss bewahren konnte, aber bei einem zweiten war er sich nicht so sicher.
Unbeholfen nahm er eine kleine Erfindung Edwards zur Hand und warf. Natürlich traf er nicht. Im Gegensatz zu Vincents Schere, die dem Priester eine tiefe Wunde in den Schwertarm zufügte.
"Lass ihn zu Frieden!" meinte der Scherenmann und beförderte mit einem Tritt die Waffe aus Reichweite des Priesters.
Leider hatte Vincent nicht damit gerechnet, dass der Alte noch eine Waffe bei sich trug. Deshalb blickte er überrascht drein, als ein Dolch in seiner Magengegend steckte.
"Ich bin ein Nachfolger der Exquisitoren!!!" schrie Populi. "Glaubt ihr im Ernst, ihr könntet MICH überlisten???"
Er wankte zurück und auf das offene Fenster zu. Sein Blick war gen Himmel gerichtet.
"Ich komme nun, oh Om!!! Auf dass du mich gebührend empfangen mögest."
Dann tat er den absolut letzten Schritt in seinem Leben. Kolumbini hörte einen dumpfen Aufprall und rief "Igor", bevor er sich aufgrund der Anstrengung übergab.

Als der kleine Wächter wieder aufstand bemerkte er, dass der Schneefall bereits nachgelassen hatte und dass Igor bereits nach Vincents Wunde sah.
"Nift flimm", meinte er mit der typischen Fachkenntnis eines Igors. "Ein paar Ftiche und du bift fo gut wie neu. Ef wird vermutlif nift einmal eine Narbe tfurückbleiben."
Valdimier war wieder auf den Füßen und unterhielt sich mit Araghast.
"Wie lange war ich weg?" fragte Kolumbini.
"Nicht lange", meinte Bregs. "Vielleicht eine viertel Stunde oder so. Wir haben SUSI bereits benachrichtigt."
Fräulein Gutherr stand bei Vincent und Igor und ging dem Buckligen ein wenig zur Hand.
"Igor?" rief Inspäctor und sein Diener blickte auf.
"Ja, Herr?"
"Hast du alle Vorbereitungen getroffen?"
"Oh, ja, Herr."
"Gibt es Verzögerungen durch die Wunde?"
"Nein follte ef eigentlif nift geben, Herr."
"Was für Vorbereitungen?" meinte Vincent ängstlich.
"Du bekommst von Igor ein paar Hände verpasst...das heißt nur wenn du willst natürlich."
Vincent und Oktarina sahen sich an und der Scherenmann lächelte schließlich.
"Was habt ihr der Meute erzählt? Sind sie einfach so weggegangen?" fragte Kolumbini.
"Valdimier hat ihnen erzählt, dass Vincent nun tot sei. Populi habe zuerst ihn und dann sich umgebracht."
Inspäctor nickte anerkennend. "Ja, das ist eine gute Geschichte, die werden sie glauben. Sehr...melodramatisch und so. Das ist es, was die Leute hören wollen."
"Aber es ist eine Lüge!" meldete sich Fräulein Gutherr zu Wort, woraufhin Inspäctor sie mit einem kühlen Blick bedachte.
"Es ist eine Geschichte, Fräulein Gutherr. Ein mögliches Ende, das plausibel erscheinen wird, wenn man nicht die gesamte Geschichte kennt."
"Es bleibt eine Lüge! Er ist nicht tot!"
"Und was soll er tun, wenn er offiziell lebt? Er würde immer der Scherenmann bleiben, der kleine Kinder frisst", entgegnete Kolumbini scharf. "So ist das eben im Leben. Manche Geschichten gefallen uns nicht, auch wenn sie notwendig sind."
Fräulein Gutherr blickte den Ermittler verständnislos an. "Und warum tust du das dann? Das du ihm neue Hände verpassen lässt?"
"Ich habe nie gesagt, dass mir der Lauf der Dinge gefällt, Fräulein Gutherr. Die Tatsache, dass man erkennt, wie schlecht die Welt ist, heißt noch lange nicht, dass man dies einfach so hinnimmt, wenn man anders kann."
Die junge Hexe schüttelte den Kopf und Fred wandte sich wieder an Vincent.
"Wenn Igor mit dir fertig ist, solltest du dir eine neue Identität zulegen und für eine Weile aus Ankh-Morpork verschwinden. Ich bezweifle, dass diese Geschichte in anderen Städten stark bekannt gemacht wird. Am besten du gehst vorerst nach Quirm, zumindest so lange, bis Gras über diese Sache gewachsen ist."
"Vielen Dank, Kolumbini", sagte Vincent, bevor Igor zusammen mit ihm und Fräulein Gutherr verschwand.
"Eine Hand wäscht die andere, nicht wahr?" rief Kolumbini den Dreien aus dem Fenster von Oben hinterher.
"Ähm, müssen wir jetzt zurücklaufen?" meinte Araghast schließlich.
"Ich fliege vor und hole euch ne Kutsche", schlug Valdimier vor, was die anderen drei Wächter dankend annahmen.
"Wir können ja wenigstens ein Stück gehen, wenn die Tatortwächter hier eingetroffen sind", sagte Fred. Es dauerte nicht lange, bis Hegelkant und Sillybos mit einem kleinen Eselskarren angefahren kamen.
"Der Rest ist noch unterwegs. Die Straßen sind total verschneit", meinte der Philosoph. Sein Sklave war in dicke Schichten aus Pullovern gekleidet, da er normalerweise wärmere Gefilde gewohnt war.
Die drei anderen Wächter gingen durch den Garten auf die Straße zu. Sie hielten an einer Eisstatue, die eine tanzende junge Dame zeigte.
"Sie hatte sich wirklich verändert", meinte Inspäctor nachdenklich. "Sie hat endlich herausgefunden, wie man lügt."
In seinem Tonfall klang eine Mischung aus Traurigkeit und purer Verbitterung mit.
"Eine wichtige Lektion", fügte Bregs mit beißendem Zynismus hinzu.
Die drei Wächter nickten.
"Aber mit einer Sache hatte sie recht", murmelte Fred.
"Womit?"
"Ich brauche dringend Urlaub."
Sie gingen auf die Straße und der frische Schnee knirschte unter ihren Schuhen.
"Was wohl aus den beiden wird?" überlegte Bregs.
Die Ermittler zuckten lediglich mit ihren Schultern. Solche persönlichen Fragen schienen sie nicht zu interessieren.
"Wo soll es denn hingehen?" erkundigte sich Romulus bei seinem RUM-Kollegen.
"Ach, weißt du ich habe da so einen törichten Traum von einer Schiffsfahrt auf dem Djel."
Eine Kutsche rollte heran und Valdimier schaute aus dem Fenster.
"Der Kerl hat am Stadtrand gestanden und mir seine Dienste angeboten. Steigt ein."
Doch Kolumbini wehrte ab. "Fahrt ihr nur mal. Ich laufe noch ein wenig bis nach Hause."
Seine Kollegen blickten ihn ein wenig besorgt und ein wenig verwundert an.
"Nun gut, Fred", sagte Bregs. "Du weißt, wo mein Büro ist...komm jederzeit vorbei, wenn es etwas gibt."
Der kleine Ermittler nickte und lächelte halbherzig. "Schon ok, Bregs." Die Kutsche verschwand in der Nacht und Inspäctor blickte nachdenklich auf die verschneite Villa zurück.
Durch eine Lücke in der Hecke konnte er noch immer die Eisstatue erkennen, die offensichtlich Fräulein Gutherr darstellen sollte. Wie ein stummer Engel, der im Tanz gefroren war stand die Skulptur da und einige Schneeflocken schwebten um sie herum.
"Lebtwohl...bis zu unserem nächsten Treffen."

Sand, der so schwarz war, wie die Nacht und doch seltsam glitzerte zeigte sich unter Pater Populis Füßen. Vor ihm lag eine endlos wirkende Wüste und niemand schien bei ihm zu sein.
"Hallo? Ist da wer? Om? Wo bist du?"
HALLO.
Die Begrüßung erschien direkt in Populis Kopf und er warf sich sofort zu Boden.
"Oh, großer Gott Om. Sprich zu mir."
ICH BIN NICHT OM.
Die Stimme klang nach einer Steinplatte, die in einem alten Hügelgrab fallen gelassen wurde und nach Bestattungsgeläut. Doch ihr Hauptmerkmal war, dass sie tiefer als die tiefsten Abgründe der See oder gar der menschlichen Seele war.
"Wer bist du dann?"
DREH DICH UM.
Der ehemalige Pater drehte sich um und erblickte eine hochgewachsene Gestalt in einer schwarzen Robe, die eine Sense in der knöchernen Hand trug.
"Warum du? Wo ist mein Gott?"
GOTT? fragte Tod.
"Er sollte mich doch nun gebührend empfangen, weil ich seine Botschaft gelebt habe und das unwerte Leben ausgelöscht habe."
OH DU MEINST, DASS DU DAS BEKOMMST, WAS DIR ZUSTEHT...NUN DA BIN ICH MIR
SICHER. DIE GÖTTER SIND IN DIESER BEZIEHUNG SEHR EINFALLSREICH.
Tod verschwand und Populi blieb alleine zurück...so glaubte er zumindest. Als er sich umdrehte erblickte er eine riesige Menschenmenge. In der vordersten Reihe stand Edward Prinz und hielt ein sehr unschön wirkendes Instrument in der Hand. Er grinste.
"Los geht's!"


"Und so war das damals mit Vincent und Kolumbini", beendete Oma Gutherr die Geschichte.
Emma lächelte freudig über die vollendete Erzählung.
"Danke, Oma. Aber wieso sagtest du mir, dass es eine schöne Geschichte ist, wo du und Kolumbini euch doch zerstritten habt?"
"Liebe Emma, eine Geschichte ist doch nicht schön, nur weil sie ein schönes Ende hat oder nur schöne Teile enthält. So ist es im Leben nun einmal, du wirst nicht immer nur schöne Zeiten erleben. Freude ist mit dem Leid verbunden, wie das Leben mit dem Tod."
"Du, Oma? Der Priester hat doch zu dir gesagt, dass die Hexen mit Dämonen einen äh Pakt haben. Was heißt das?"
"Nun die alten Omnianer haben geglaubt, dass Hexen ein...Bündnis geschlossen haben mit bösen Mächten."
"Wie so ein Vertrag mit Siegel und so?"
"Äh, nein eher ein anderes Bündnis."
"Und was ist das für ein Bündnis?"
Oktarina rang nach Worten, beschloss aber, diese Erklärung auf einen Zeitpunkt zu verlegen, an dem Emma etwas älter sein würde.
"Aber Oma?"
"Ja, Liebes?"
"Woher weißt du diese ganzen Dinge noch so genau? All die Einzelheiten und auch, was Kolumbini wohl gedacht hatte und so."
Oktarina lächelte und winkte Emma aus dem Bett.
"Komm mit mir mit, ich zeige dir etwas."
Schnell warf sich das Mädchen einen Morgenmantel über und Oma und Enkelin schlichen so leise wie Mäuschen durch die Flure des alten Hauses. Schließlich kamen sie an das Zimmer, in dem Oktarina schlief. Es war ein gemütlich eingerichteter Raum und die alte Dame ging zielstrebig auf eine alte Truhe zu, die neben einem Schreibtisch stand. Sie holte einen Schlüssel aus ihrer Geldbörse, öffnete die Truhe und förderte ein Buch zu Tage, dass sie in ein Leinentuch eingewickelt hatte.
Sie überreichte Emma das Bündel und das Mädchen wickelte das Buch aus. Es war in wunderschönes weinrotes Leder eingebunden, trug jedoch keinen Titel auf dem Deckblatt. Erst auf der ersten Seite hatte jemand in ordentlicher Handschrift, mit anscheinend recht großer Anstrengung die Worte "Kolumbinis Memoiren: Part 3" geschrieben. Emma bekam große Augen, als sie die Geschichte, die ihr Oma Gutherr gerade erzählt hatte noch einmal las und zwar in dem Wortlaut, wie der Wächter sie einmal aufgeschrieben hatte.
Einzelne Szenen flogen an ihrem inneren Auge vorbei.
"Er hat sie mir einmal geschenkt", erläuterte Oktarina.
"Warum hast du ihn damals belogen?" blickte Emma kurz von dem Buch auf.
"Weil ich nicht wusste, wie er die Wahrheit annehmen würde."
Die Enkelin nickte kurz und blätterte weiter. "Hier sind ja noch andere Geschichten meinte sie und las eine Stelle, die sie blindlings aufgeschlagen hatte."
"Eigentlich ist das ganze Leben wie eine Geschichte", sagte ich. "Oder besser gesagt wie Geschichten. Ein jeder Tag ist ein neues Kapitel, doch meist ist es das Selbe wie zuvor. Neue Charaktere kommen und manche alte müssen gehen. Manchmal geschieht es gar, dass alte Charaktere wieder auftauchen, auch wenn man nicht mehr mit ihnen gerechnet hat. Und meistens steht am Schluss kein fröhliches Ende...das ist niemals so im richtigen Leben. Leid gehört zur Freude hinzu, wie der Tod zum Leben. Aber am Ende läuft alles auf das eine Ende hinaus. Manche Geschichten sind epische Romane, andere wiederum bleiben stets öde Fragmente. Ein einziges Thema gibt es ohnehin nicht. Mal wird es romantisch und mal traurig, mal schön, mal spannend, mal grausam, mal witzig und fröhlich , mal schaurig, mal herzerwärmend, mal tragisch und düster...bittersüß eben...das sind sie...die Geschichten des Lebens."
"Das gefällt mir", sagte sie, auch wenn sie es erst später verstehen würde. "Gehen wir zum Bett?"
Langsam und schweigend kehrten sie in Emmas Raum zurück.
"Sag mal, war Vincent nicht traurig, als er seine Scheren nicht mehr hatte? Dann war er doch nichts Besonderes mehr."
Oktarina musste lachen. "Meine liebe Emma. Man muss doch keine Scherenhände haben, um etwas Besonderes zu sein. Jeder Mensch ist etwas Besonders und Einzigartiges...auf seine ganz eigene Art und Weise."
Emma stieg ins Bett und Oma Gutherr deckte sie zu.
"Du hast dich aber doch wieder mit Kolumbini vertragen, oder? Sonst hätte er dir doch nicht die Bücher geschenkt. Es sind ja seine Bücher...seine Geschichten."
Oma Gutherr lächelte und das war mehr wert, als eine Antwort in Worten.
"Und wie ging das Alles weiter? Was war mit Vincent und dir und wie habt ihr euch wieder vertragen, du und Kolumbini? Und was hat Vincent gemacht, nachdem er seine Hände hatte? Er hat sie doch bekommen? Oh, es sind so viele Fragen...sagst du mir, was noch alles passiert ist?"
"Das, liebe Emma, ist eine andere Geschichte."
Beide Damen blickten aus dem Fenster in den nächtlichen Schneefall hinaus.
"Ich kann es mir richtig vorstellen, wie du damals im Schnee getanzt hast."
Wieder lächelte die alte Dame und eine Träne rann ihr über die Wange. Sie küsste Emma auf die Stirn. Dann blies sie die Kerze aus und legte einen Holzscheit nach, damit es über Nacht nicht zu kalt werden würde.
Oktarina zog sich ihren Mantel über und ging einige Schritte aus der Tür. Der Schnee fiel noch immer in dicken Flocken herunter und verwandelte die Welt in eine weiße Zauberlandschaft.
Oktarina Gutherr schloss die Augen...sie dachte an die Leute von denen sie immer wieder erzählte. "Wo immer ihr auch seid, liebe Freunde, ich hoffe es geht euch gut", flüsterte sie gen Himmel...und dann tanzte sie im Schnee.



[1] Im Gegensatz zum weit verbreitetem Glauben, der Grottenolm sei ein unzivilisiertes Wesen, das keinerlei Kultur besitze, ist seriösen Wissenschaftlern folgendes bekannt: der Grottenolm steht kulturell und evolutionär nicht nur eine Stufe über den Lesern gewisser "Informationspapiere". BILDlich gesprochen natürlich.

[2] Der genaue Wortlaut war übrigens dieser: "Oh ja, JETZT lachen Sie noch über uns!!!! AHIIHIIIIHIII!!! Aber eines Tages eines TAGES werden WIR LACHEN!!!!! Ahaaahaaaaahaaaa!!!!!!"

[3] Bei Kurzbrot handelte es sich um eine Morporkianische Spezialität. Es war eine Koproduktion von Menschen und Zwergen gewesen, die ein schmackhaftes, aber magenfüllendes Gebäck für den Tee entwickeln wollten. Zwar gab es viele Varianten, aber ein normales Kurzbrot-Plätzchen war klein und bestand zum größten Teil aus Butter. Man nannte sie auch "Kurzbrot-Butter-Finger", was nicht nur Geschmack und Aussehen der Plätzchen, sondern auch das fettige Gefühl an den Fingern, welches man nach ihrem Verzehr hatte, treffend beschrieb.

[4] Der Autor ist sich durchaus bewusst, dass dieser Absatz rein gar nichts zur Handlung beiträgt und keinen Sinn hat...ja er ist nur zur Zeitschindung und Verwirrung des Lesers geschrieben worden, na und? Wen kümmert's? (selbiges gilt übrigens für diese Fußnote...und für diesen Kommentar...und für...ok ich höre ja schon auf!)

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