Mord auf der Tanzfläche ( Dunkler Reigen, Teil II )

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von Feldwebel Kanndra (FROG)
Online seit 11. 11. 2005
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 Außerdem kommen vor: Araghast BreguyarKolumbiniValdimier van Varwald

Die merkwürdigen Entführungsfälle gehen weiter und FROG tappt im Dunkeln. Zudem verhält sich Kanndra ziemlich merkwürdig. Aber hat sie wirklich einen Mord begangen?

Dafür vergebene Note: 12


If you think, you're getting away
I will prove you wrong...
Sophie Ellis Bextor, Murder on the dancefloor


Was bisher geschah: Ein mächtiger Dämon wird aus Versehen von einem Mitglied der Dämonologengilde beschworen. Er bringt zwei Menschen um und verschwindet von der Bildfläche. Die Okkultismus-Experten Laiza Harmonie und Skilla werden beauftragt, den Dämon wieder einzufangen. Eine Entführung, bei dem das Opfer, Nora Reiz, am nächsten Morgen völlig apathisch wieder auftaucht, gibt Araghast Breguyar die Gelegenheit, ebenfalls Jagd auf den Dämon zu machen. Zu dem Zweck überredet er Kanndra, den Lockvogel bei einem magischen Ritual zu spielen.
Auch zwei Hexen, Krister Steingut und Kibia Dottergelb jagen Dämonen. Krister ist eine Halbdämonin, deren Mutter bei der Geburt von ihr und ihrer Zwillingsschwester starb. Deshalb hatten sich die Schwestern geschworen, einst ihren Vater zu töten. Kruela, Kristers Schwester, ist allerdings bereits ums Leben gekommen.
Die beiden Freundinnen kommen gerade noch rechtzeitig, um den Dämon zu vernichten, der versucht, Kanndra zu töten und ins Pandämonium mitzunehmen. Er stellt sich als Kanndras und Kristers Vater heraus.
Bei dem Kontakt mit ihrem Vater hat sich in Kanndra eine Art Sperre gelöst, die ihre dämonische Seite bisher unterdrückt hatte. Drei Monate später...


Donnerstag


Übrigens Gernegroß stapfte die Gnomenrutsche in den zweiten Stock herauf, wobei er etwas vor sich hin murmelte, was sich wie "Mal gerade vorbei bringen" und "Bin doch kein Bote" anhörte. Manchmal fragte er sich, warum er ausgerechnet eine Abteilung so hoch über dem Erdgeschoss ausgesucht hatte. Nun wurde er auch noch als Botenjunge missbraucht, nur weil die Rohrpostdämonen mal wieder beleidigt streikten und er zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Und natürlich war wieder kein "Großer" da, wenn man ihn brauchte. Er schüttelte kurz seine Beine aus und begann dann den Flur herunterzuschlendern. Bis hierher konnte er die streitenden Stimmen aus dem Büro seines Abteilungsleiters hören. Der Gnom seufzte. Seit den letzten Monaten war irgendwie der Wurm drin. Die Elitetruppe der Wache schien sich langsam aber sicher aufzulösen. Es kamen kaum Neuzugänge, aber mehrere Wächter hatten sich schon eine neue Abteilung gesucht. Und dann war der arme Ortbe auch noch ums Leben gekommen. Diejenigen, die noch immer die Stellung hielten, waren mit den Nerven runter. Dazu kam, das die stellvertretende Abteilungsleiterin, Feldwebel Kanndra Mambosamba, oder Xnndra, wie sie sich jetzt nennen ließ, seit Kurzem immer unzuverlässiger und streitsüchtiger geworden war. Selbst ihre besten Freunde sahen sie derzeit lieber von hinten. Das diese ebenfalls FROGs waren, machte die Situation fast unerträglich. Übrigens überlegte, ob er das Gespräch mit Oberfeldwebel Breguyar nicht lieber verschieben sollte, aber dann hätte er sich ganz umsonst die Treppe hinauf bemüht. Er klopfte zaghaft an.
"... du ganz genau. Wir werden sowieso nur noch belächelt von den anderen Abteilungen!", hörte er den Püschologen laut, aber gerade noch beherrscht sagen. Anscheinend war sein Anklopfen unbemerkt geblieben.
"ALS WENN DAS AN MIR LÄGE! FASS DIR MAL LIEBER AN DIE EIGENE NASE, STATT DAUERND AUF MIR HERUMZUHACKEN, HERR ACH-SO-KORREKT!!"
Übrigens holte tief Luft und klopfte noch einmal, sein Widerwillen, das Büro zu betreten und dadurch mitten in die schlechte Luft zu geraten, ließ es aber wiederum nicht besonders kräftig ausfallen.
"LENK NICHT AB. MEIN VERHALTEN STEHT HIER NICHT ZUR DEBATTE, SONDERN DEINS!"
"DANN MELDE MICH DOCH BEI IA. ABER VIELLEICHT HABE ICH DEM KOMMANDEUR JA AUCH SO EINIGES ZU SAGEN!", brüllte Xnndra.
"HÖR AUF MIR ZU DROHEN!"
Das Geschrei verstummte plötzlich und wich gedämpftem Gemurmel, das der Gnom nicht verstehen konnte. Er schöpfte neuen Mut und hob erneut die Hand, um an die Tür zu klopfen. In diesem Augenblick wurde sie jedoch von innen aufgerissen und Übrigens musste einen Hechtsprung machen, um nicht von der Späherin über den Haufen gerannt zu werden, weil sie zurück in den Raum schaute und dabei knurrte: "Und ich heiße jetzt Xnndra."
"Vorsicht, Mä'äm", schrie der Giga, als er sich in Sicherheit brachte.
"Was ist denn?", kam die unwirsche Antwort.
"Ich ähh... habe eine Nachricht für den Oberfeldwebel." Übrigens versuchte, so gut es ging, die Pfeifenasche von seinem Mantel zu entfernen.
"Du kannst sie mir geben."
Der Gefreite zögerte kurz. Doch der Gedanke an den Haufen Arbeit in seinem Labor sowie der Blick des Feldwebels machten ihm die Entscheidung leicht. Und schließlich war er nicht als Rohrpostdämon angestellt.
"Die SEALS haben den Dieb verhaftet, hinter dem Ortbe her war. Er sitzt in einer der Zellen unten."
Die Augen Xnndras wurden schmal. "Wirklich? Woher wollen sie wissen, dass es der richtige ist?"
"Er sieht seinem Phantombild ziemlich ähnlich und die Zeugin, also die Frau die überfallen wurde, hat ihn wiedererkannt."
"Dann haben sie also auch mal einen Glückstreffer gelandet, wie? Hat er schon gestanden?"
"Nein. Aber..."
Xnndra stürmte in Richtung der Treppe davon.
"Ähh, Mä'äm, können Sie mich vielleicht mitnehmen?" Doch der Feldwebel war schon verschwunden. Übrigens seufzte.

Was glaubte Bregs eigentlich? Ihr die Schuld an dem Dämonenstreik in die Schuhe zu schieben, nur weil sie den faulen Säcken mal ordentlich die Meinung gesagt hatte! Sie konnte sich schließlich nicht alles gefallen lassen von diesen Möchtegern-Machos. Und der Tritt in die vier Buchstaben hatte Reggie bestimmt nicht geschadet. Aber die Höhe war es, von jemandem der einfach mal spurlos verschwunden war, vorgeworfen zu bekommen, man sei unzuverlässig! Sie atmete tief durch, um ihre Wut unter Kontrolle zu bringen.Wenigstens gab es etwas zu tun, wo sie sich abreagieren konnte. Verdächtige zu befragen, machte ihr in letzter Zeit viel mehr Spaß als früher. Sie rannte in den Keller, grüßte flüchtig den wachhabenden Rekruten und ließ sich von ihm die Zelle aufschließen.
"Besorg mir einen Kaffee", wies sie ihn an und als er zögerte, zog sie ein finsteres Gesicht. "Na los, wirds bald?" Der Feldwebel nahm die Schlüssel an sich und betrat die Zelle, als der Rekrut davon eilte.
Der Mann darin saß zusammengesunken auf der Pritsche. Er wirkte dadurch kleiner als er war, hatte strohblondes Haar und einen melancholischen Gesichtsausdruck, wie die Wächterin erkannte, als er den Kopf hob. Seine Bewegungen dabei machten den Eindruck, als wäre ihm der Kopf fast zu schwer zum Tragen.
Xnndra grinste. Das würde einfacher werden, als sie gedacht hatte.
"Also gut, du Wurm. Du hast wohl gedacht, daß du damit durchkommst, wie?"
"Ich... ich habe den Wächter nicht getötet, ehrlich!" Eine Verzweiflung machte sich auf dem Gesicht des Mannes breit, die fast echt wirkte.
"Die Zeugin hat dich eindeutig wiedererkannt. Du hast ihr die Tasche gestohlen, Ortbe hat dich verfolgt und kurz darauf war er tot. Ein bisschen viel Zufall, oder? Also hör auf zu leugnen."
"Nein, nein! Also ja, die Tasche habe ich gestohlen, aber..."
"Kein Aber, du Missgeburt. Du hast ihn getötet und du wirst dafür büssen." Der Feldwebel lächelte erneut und dem Dieb lief ein Schauer über den Rücken. "Wo hast du die Armbrust versteckt?"
Diesmal wirkte er verblüfft. "Armbrust? Ich habe noch nie eine Armbrust besessen."
Xnndra beugte sich hinunter und packte den Gefangenen am Kragen. "Hör zu. Ich werde wiederkommen und wenn du mir dann nicht alles in allen Einzelheiten gestehst, dann mach dich auf eine sehr schmerzhafte Erfahrung gefasst." Sie ließ plötzlich los, so daß der Kopf des Mannes an die Wand schlug, machte auf dem Absatz kehrt und rauschte aus der Zellentür. Als sie diese abschloss, schenkte die Späherin dem Dieb noch einen Blick, der ihn schlucken ließ.
Eine Armbrust wurde zuvor noch nicht erwähnt. Also war der Wächter erschossen worden! Das Unterbewusstsein von Grobert Schnetzler begann zu arbeiten und während er der Wächterin hinterhersah begann sich ganz langsam eine Erinnerung aus den Tiefen seines Gehirns ans Licht zu schieben.

Es schien als hätten sich heute alle gegen sie verschworen. Nein, eigentlich war es seit jener Nacht auf dem Friedhof so. Bregs wurde immer pedantischer und warf ihr Streitlust und Unzuverlässigkeit vor. Valdimier schlug sich trotz ihres Streits auf seine Seite und auch Tania und Jovanni gingen ihr immer mehr aus dem Weg. Und jetzt noch dieser vermaledeite Dieb! Glaubte, er könnte durch sein Leugnen seiner Strafe entgehen. Aber wenn er erst ein wenig in seiner Zelle geschmort und über ihre Drohung nachgedacht hatte, dann würde er schon mit der Wahrheit herausrücken.
"Wenigstens gibt es noch Julian", dachte Xnndra, als sie ihre Bürotür öffnete. Der Raum hatte sich ebenfalls verändert. Ikonographien und Gemälde von Gennua zierten nun die Wände. An der einen Wand stand eine große, geschnitzte Holztruhe, in der sie ihre Voodoo-Sachen verwahrte. Die andere wurde durch ein Regal eingenommen, in dem Akten und Bücher sorgfältig verstaut waren. Sie würde sich vielleicht bald ein Büro mit Max teilen müssen, der Umbau war bereits im vollen Gange. Aber sie hatte sich trotzdem die Mühe gemacht. Vielleicht kam Julian mal öfter vorbei, wenn er sich in ihrem Büro heimisch fühlte. Überhaupt sah die Späherin ihn viel zu wenig nach ihrem Geschmack. Sie unterhielten zwar eine kleine, nette Affäre, aber Xnndra wollte mehr. Sie wollte ihn ganz für sich. Leider hatte er es noch nicht geschafft, sich von seiner Frau zu trennen. Ausserdem verschwieg er ihr irgendetwas. Und wenn sie genauer darüber nachdachte, fand er immer häufiger Ausreden, um sie nicht zu sehen.
Aber Xnndra wollte nicht genauer darüber nachdenken, er gehörte ihr und damit basta! Trübe Gedanken führten nur zu der unerklärlichen Verzweiflung, die sie manchmal spürte.
Viel lieber dachte sie an das Gespräch in der Pause ihrer gestrigen Tanzstunde zurück. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen bei der Erinnerung.

"Was ist, warum grinst du so?" Julian musterte mich.
"Ich... ich musste nur gerade daran denken, wie wir früher immer diese Ochsenfrösche gefangen haben, weisst du noch?"
"Ja, und ich will gar nicht wissen, was deine Mutter damit gemacht hat", lachte Juli.
Luisa verzog das Gesicht. "Ihr habt Frösche gefangen? Wie... eklig."
"Wir waren Kinder, Schatz."
Ich schenkte ihr ein hintergründiges Lächeln. "Kennst du den Morporkschen Krustenbrecherfrosch, Luisa?"
"Nein, ich beschäftige mich nicht mit niederen Kriechtieren." Ihr Tonfall lag zwischen Verachtung und Entsetzen.
"Du solltest ihn nicht unterschätzen. Lege dich nie mit einem an."
Die Blondine hob verwundert eine Augenbraue. "Ich werde deinen Rat beherzigen, sollte ich jemals Gelegenheit dazu haben."
"Oh, manchmal ergeben sich Gelegenheiten schneller als man glaubt."


Sie hatte sich über das ratlose Gesicht Luisas amüsiert, in dem Wissen, das die blonde Frau sicher bald die versteckte Drohung erkennen würde.
Heute abend musste Xnndra jedoch Dienst schieben. Sie musste einen Verdächtigen im Fall der rätselhaften Entführungen, die sie immer noch nicht hatten aufklären können, observieren. Seufzend griff sie zu der Akte. Zur Erinnerung las sie noch einmal die bisher bekannten Fakten durch:
Inzwischen waren drei Frauen auf offener Straße entführt worden, immer am frühen Abend, und über Nacht verschwunden. Wenn sie am anderen Morgen wieder auftauchten, waren sie nicht mehr ansprechbar und völlig apathisch. Das Einzige, worauf sie reagierten, war Musik - und darauf mit Panik. Was die Frauen sonst noch verband waren Alter und Aussehen. Alle waren zwischen vierzig und sechzig, hatten dünnes, graues bis mausblondes Haar und einige Falten. Alle waren eher schmächtig als korpulent und eher klein als groß. Die Entführungen fanden alle bei Vollmond statt. Und heute Nacht war es wieder soweit.
Der Verdächtige hieß Ditmar Kohlputz und war schon öfter von älteren Damen wegen seines auffälligen Interesses an ihrer im Garten aufgehängten Unterwäsche und anderen Auffälligkeiten angezeigt worden - und er war ein Werwolf. Bisher war er allerdings mit Verwarnungen davongekommen und der Mangel an durchbissenen Kehlen ließ ihn in Xnndras Augen auch eher unschuldig erscheinen. Es war im Grunde nur ein Stochern im Nebel, denn von einer heißen Spur war weit und breit nichts zu sehen. So war Ditmar auch nicht der einzige Verdächtige, der überprüft wurde. Xnndra notierte sich die Adresse, die sie nachher aufsuchen musste und klappte die Akte wieder zu.

Er musste sich beeilen. Heute war es später geworden, als er geplant hatte, aber es war wichtig, dass er tat, was er tun musste. Sorgfältig bereitete er die Spritze vor. Sie durfte sich nicht aufregen, nicht so wie damals. Aufregung war nicht gut für sie. Ausserdem lockte sie wohlmöglich die Wächter an, obwohl sie es natürlich nicht wollte. Sie wusste schließlich, dass Wächter böse waren. Sie würden sie holen kommen, ohja. Und das durfte er nicht zulassen. So, nun war er vorbereitet. Leise verließ er die Wohnung. "Ich komme, Mutter!"

Die Glocke der Lehrergilde schlug die sechste Abendstunde, als Xnndra an eine Tür in der Siebenschläferstraße klopfte. Nach und nach fielen die anderen Glocken der Stadt ein. Als die Assassinenglocke begann, öffnete sich die Tür.
"Feldwebel Xnndra Mambosamba von der Stadtwache. Sie stellen ihre Wohnung für die Observierung eines Verdächtigen zur Verfügung?"
Die rundliche alte Dame musterte die Wächterin kurz, um dann auszurufen: "Meine Güte , bist du dürr , Kindchen! Na, dann komm erst mal rein." Sie schob den leicht befremdeten Feldwebel in ihren Hausflur. "Ich habe gerade ein paar leckere [...] gekocht, davon kriegst du jetzt erst mal eine ordentliche Portion!" Durch den Schlag des Alten Tom hatte Xnndra nicht verstanden, um welche Köstlichkeit es genau ging, aber das war ihr auch egal. Schließlich war sie nicht zum Essen hier.
"Frau Grosskopf, es geht hier wirklich um eine [...] Sache. Zeigen Sie mir das Fenster, dass zum Haus ihres Nachb[...]"
"Natürlich, Kindchen. Aber erst musst du meine [...]bieren. Setz dich doch!" Lilia Grosskopf war eine einsame alte Frau, die sich über jeden Besuch freute, und wenn er auch von der Stadtwache kam. Sie kochte für ihr Leben gern und nahm jede Gelegenheit wahr, ihre Gerichte an den Mann oder die Frau zu bringen. Leider hielt sich das Vergnügen der so bedachten in den meisten Fällen in engen Grenzen.
Xnndra starrte kurz auf den Teller, den sie trotz ihrer Proteste serviert bekommen hatte und fragte sich immer noch, was das wohl sein sollte. Abwesend führte sie die Gabel zum Mund und nahm einen kleinen Bissen, immer darauf bedacht, Ditmar im Haus gegenüber nicht zu verpassen.
"Und?", fragte Lilia gespannt.
"Gmm gmm, das ist ja fu... gmm lecker. Könnte ich wohl ein Glas Wasser gmm bekommen?"
Die alte Frau sprang auf. "Ich habe etwas viel besseres! Selbstgemachten Holundersaft. Ich hole eine Flasche aus dem Keller. Bin gleich wieder da!"
Erleichtert ließ die Späherin die Gabel fallen. Sie hätte der alten Schachtel ja gern an den Kopf geworfen, wie scheußlich die... das... Wasauchimmer schmeckte, aber sie wollte ja nicht gleich wieder aus der Wohnung fliegen. Eigentlich war es ganz gemütlich in Frau Grosskopfs Wohnzimmer, gemütlicher als in einem anderen Schlupfwinkel draussen jedenfalls. Und einfach gehen konnte sie auch nicht. Nicht noch einmal, sonst würde Bregs richtig sauer werden und das wollte sie dann doch nicht riskieren...
"So, da bin ich wieder. Aber du hast ja noch gar nicht aufgegessen, Kindchen!"

Regina Wollreich fühlte sich gut. Sie hatte heute nachmittag die Gärten ihrer Konkurrenten um den Titel der Miss Schrebergarten besichtigt, zusammen mit den anderen Teilnehmern des Wettbewerbs und der Jury. Und nun hatte sie das deutliche Gefühl, daß ihr der Sieg sicher war. Meine Güte, Elfie Dasel hatte sogar orange Gerbera neben rote Rosen gepflanzt! Und der Rasen von Norma hatte nun wirklich schon bessere Tage gesehen. So lächelte sie vergnügt vor sich hin, als sie in ihrer Tasche nach dem Schlüssel zu ihrer Wohnung kramte. Gut, der Alkohol, den sie bei der anschließenden kleinen Feier zu sich genommen hatte, hatte sicher auch einen kleinen Anteil an der guten Laune der Fünfzigjährigen, wie sie sich eingestehen musste. Aber die neidischen Blicke der anderen hatte sie sich bestimmt nicht bloss eingebildet und Henry Klitze von der Jury hatte eindeutig anerkennend genickt! Jawohl!
"Endlich habe ich dich gefunden", zischte jemand in ihr Ohr. "Du musst mit mir kommen, Mutter."
Erstaunt drehte Regina sich zu dem zierlichen Mann um. Er war bestimmt fast so alt wie sie selbst.
"Ich bin nicht Ihre Mutter. Wie kommen Sie auf die Idee?"
Doch der Mann hatte sie bereits mit einem erstaunlich festen Griff gepackt und flüsterte immer wieder mit einer seltsam heiseren Stimme: "Du musst mir kommen, schnell! Sie dürfen uns nicht finden."
Frau Wollreich ging das zu weit. Ärgerlich versuchte sie, die Hand abzuschütteln und rief: "Lassen Sie mich gefälligst los oder ich rufe die Wache!"
Der Mann kicherte. "Sie können dich nicht hören. Ausserdem willst du sicher nicht, daß sie uns kriegen, oder? Die Wache arbeitet mit denen zusammen, das weißt du doch." Plötzlich zog er eine Spritze aus der Tasche und rammte sie der Gartenfreundin in den Arm.
"Aua! Was sollll..."
Der Entführer lächelte beruhigend und zog den Pfeil wieder heraus. "Keine Angst, es wird dir gefallen. Du hast es doch immer gern getan." Einige Bluttropfen lösten sich aus der winzigen Wunde und tropften auf das Pflaster.

"Und dann habich gesacht, da *hicks* das man sich nich mit eim anlegen soll", kicherte Xnndra. "Die hat vielleich blöd ausser Wäsche geguckt, sach ich dir! Hatte keine Ahnung, wasich meinte."
Die Späherin und ihre Gastgeberin hatten dem vermeintlichen Holundersaft bereits kräftig zugesprochen, da dieser wirklich sehr lecker schmeckte.
"Ich glaube, ich habdie Flaschn verwechslt", nuschelte Frau Grosskopf und goß beiden noch mal einen großzügigen Schluck ein. Dann drehte sie das Behältnis auf den Kopf und zuckte bedauernd mit den Achseln. "Leer."
"Mach nix. Ich find schon noch eine, lass mich ma machn. Schließlich bin ich Schpäherin, da entgeht eim nix." Die Aussage wurde durch einen weiten Armschwung unterstrichen, dann stand Xnndra ein wenig wackelig auf und wankte in Richtung Keller.
"Warte, ich komm mit."

Freitag


"Bisher haben wir noch keine Vermisstenmeldung. Vielleicht schlägt er erst morgen zu." Mindorah Giandorrrh pustete in ihren Kaffee, um ihn auf einigermaßen trinkbare Temperatur zu bringen. Die morgendliche Einsatzbesprechung konnte man nur mit einem kräftigen Schuss Koffein überstehen, vor allem nach einer arbeitsreichen, aber ereignislosen Nacht wie dieser.
Oberfeldwebel Breguyar nickte düster. "Hoffen wir es. Sonst heißt das, er ist keiner von unseren Verdächtigen. Oder er hat seine Taktik geändert."
In diesem Moment brüllte jemand aus der Wand: "Post, Einauge!" Anscheinend hatte die Überzeugungskraft des Kommandeurs die Dämonen wieder an die Arbeit gebracht.
Geschickt duckte sich Araghast und hob die von der Wand abgeprallte Rohrpost anschließend seelenruhig vom Boden auf. Er kannte inzwischen alle fiesen Tricks von Reggie. Dann las er die kurze Nachricht, blickte auf und musterte seine Mannschaft.
"FROGs, wir haben ein Problem. In der Eingangshalle steht ein aufgeregter Mann, der eine Frau heute morgen durch die Stadt irrend gefunden hat. Sie ist nicht ansprechbar."
"Dann kann es nur Kanndras Mann gewesen sein. Wo ist die überhaupt?", warf Sidney ein.
"Wenn etwas passiert wäre, hätte sie Hilfe angefordert", wich der Püschologe der Antwort aus, die er auch nicht wusste.
"Da wäre ich mir nicht so sicher", brummelte Valdimier. "So wie sie in letzter Zeit drauf war."
"Genau. 'Ich heiße Xnndra'", äffte Tyros den Feldwebel nach. Der Blick seines Abteilungsleiters ließ ihn verstummen.
"Es nützt nichts, uns gegenseitig irgendwelche Verdächtigungen an den Kopf zu werfen. Du und Sidney, ihr schaut euch mal den Fundort an. Ich befrage den Zeugen. Die anderen haben frei." Leise fügte er an: "Und um Kanndra kümmere ich mich schon, keine Sorge."

Wieder läutete die Glocke der Lehrergilde, doch heute morgen schien sie viel aufdringlicher zu sein. Und warum bimmelte sie so oft? Plötzlich war Xnndra wach und setzte sich mit einem Ruck auf. Sofort reagierte ihr Kopf mit einem unangenehmen Hämmern, das sie zurück auf das Sofa fallen ließ. Sofa? Wo war sie überhaupt? Langsam kam die Erinnerung an die vergangene Nacht zurück. Ohje, das hatte sie wohl gründlich vermasselt. Vielleicht hatte sie aber auch Glück, und es war nichts passiert. Zugeben würde sie auf jeden Fall nichts. Und wenn dieser Ditmar letzte Nacht drei Frauen entführt hatte, was ging das sie an? Vorsichtig rappelte die Späherin sich auf, schlich aus der Wohnung und machte sich auf den Weg zum Pseudopolisplatz.

"Ja, es war völlig richtig die Wache zu benachrichtigen", sagte Araghast wohl zum hundersten Mal.
Der Mann vor ihm nickte eifrig. "Man hat ja schon so viel darüber in der Zeitung gelesen, da dachte ich: Der Verrückte hat wieder zugeschlagen. Das ist ein Fall für die Wache." Auch dieser Satz war schon etliche Male an diesem Morgen wiederholt worden. Der Zeuge schien eher erfreut über die Tatsache, dass ihm auch mal etwas aufregendes passierte, als traurig oder schockiert über das Schicksal der unbekannten Frau zu sein. Besonders hilfreich war er zudem auch nicht gewesen. Wenn Kanndras Observation nicht erfolgreich gewesen war , tappten sie weiterhin in meterdickem Nebel. Sie wussten ja noch nicht mal, wer das Opfer war oder wo sie entführt wurde. Der Püschologe verabschiedete den Zeugen und ging in den Aufenthaltsraum, wo er auf seine Stellvertreterin traf, die in einen Streit mit dem Kaffeedämonen verwickelt war.
"Hör zu, du mieser kleiner Bohnenquäler, ich trete dir gleich so in den..."
"Wo warst du?", zischte Araghast. "Wir haben uns schon Sorgen gemacht."
"Ach hallo Bregs", begrüßte ihn Xnndra lässig.
"Du kommst mit in mein Büro und zwar sofort!"
"Ja, Schäff." Verstohlen griff sie sich ob der Lautstärke der Aufforderung an den Kopf.
"Also, was hat die Observation ergeben?", erkundigte sich der Oberfeldwebel, kaum dass sie in seinem Büro eingetroffen waren.
"Nichts." Die Späherin zuckte die Schultern.
"Was soll das heißen, nichts? Und warum bist du so spät?"
"Nichts heißt nichts. Absolut nichts passiert."
"Und du bist sicher, dass dir da nichts entgangen ist, Kanndra?" Der Püschologe kniff sein Auge zusammen. Früher hätte er ihre Aussage nicht in Zweifel gezogen.
"Nenn mich Xnndra!"
"Gesundheit. Also, ich warte." Bregs war fest entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen. Er wollte diesen Fall endlich vom Tisch haben.
Xnndra verdrehte die Augen. "Nein, mir ist nichts entgangen. Kohlputz hat das Haus nicht verlassen."
Eine Weile starrten sich beide an, dann atmete Araghast tief ein. "Ok, dann müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Es gibt ein neues Opfer."
"Tragisch", antwortete der Feldwebel, aber es hörte sich nicht besonders erschüttert an. "Also keine Observationen mehr?"
Als der Araghast den Kopf schüttelte, grinste Xnndra. "Gut, ich hätte sowieso nicht gekonnt. Meine Schwester ist krank."
"Was hat sie denn?"
"Hohes Fieber. Ich muss mich heute abend um sie kümmern."
Wenig überzeugt sah der Abteilungsleiter sie an. "Du könntest wenigstens besser lügen, wenn du es schon tust. Ich weiss ganz genau, dass du auf Krister nicht gut zu sprechen bist, weil sie deinen Vater getötet hat. Dabei solltest du lieber froh sein, dass du ihn los bist. Ausserdem kennt Kibia bestimmt genug Mittel gegen Fieber."
"Es steht eben nicht jeder seinen Freunden so gleichgültig gegenüber wie du."
"Wenn das eine Anspielung auf die Sache zwischen mir und Valdimier sein soll, da hältst du dich besser raus, klar?" [1]
Die Späherin zuckte die Schultern und machte Anstalten zu gehen, doch Araghast hielt sie zurück.
"Moment, da ist noch etwas. Warum hast du mir nicht gesagt, dass Ortbes Mörder verhaftet wurde? Ich habe gehört, du hast ihn vernommen?"
Einen Augenblick lang schien Xnndra nicht zu wissen, wovon er sprach, dann winkte sie ab. "Ach der. Den habe ich total vergessen. Aber keine Sorge, lass ihn nur ein paar Minuten mit mir allein, dann bekommst du ein volles Geständnis von ihm. Oder hat er schon?"
"Nein, er hat nicht. Und ich glaube auch nicht, das er es war. Ihm ist eingefallen, dass ihm ein Mann mit einer Armbrust auf seiner Flucht entgegenkam. Und kurz darauf war Ortbe ihm nicht mehr auf den Fersen."
"Ja, natürlich", Xnndra lachte spöttisch. "Und das nimmst du ihm ab? Vielleicht ganz gut, dass die Wache ein paar neue Püschologen hat."
Araghast hatte nie behauptet, ein guter Püschologe zu sein, aber das von jemand Anderem, noch dazu von jemand, den man als Freund ansah, ins Gesicht gesagt zu bekommen, schmerzte ihn doch.
"Das war dann alles, du kannst gehen", sagte er kalt.

Die Spur verlief sich sehr schnell in den unterschiedlichen Gerüchen. Trotzdem zog Sidney weite Kreise um Billigseite, wo der Mann die Frau aufgelesen hatte. Aber auch das half nichts. Jenseits der Heldenstraße war sie nicht mehr zu riechen.
"Und wenn der Entführer sie hierher gebracht hat? In eines dieser Häuser?", merkte Tyros an und blickte die lange Straße entlang.
Der Werwolf sprang von einem geparkten Karren herunter und knöpfte das Hemd zu. "Möglich, aber in welches? Wir bekommen keine Durchsuchungsbefehle für alle."
Der Gift- und Gasexperte kratzte sich am Kopf. Das Sonnenlicht zauberte lilane Flecken in sein zur Zeit schwarz-blaues Haar. "Wir könnten trotzdem die Bewohner fragen, ob sie etwas beobachtet haben."
"Das könnte den Entführer aufschrecken. Ich weiss nicht, ob das klug wäre." Sidney zuckte seine beeindruckenden Schultern. "Soll Bregs das entscheiden. Ich habe jetzt jedenfalls erstmal Hunger. Mal sehen, ob die Kantine zur Abwechslung was Ordentliches auf den Tisch bringt."

Bis zum Abend hatte Xnndra sich genug Kaffee ertrotzt, um ihren Kater halbwegs zu kurieren. Nun war sie voller Erwartung, als sie auf eine umgebaute Scheune zuging. Musik schallte bereits auf die Gasse hinaus und hauptsächlich Menschen in festlicher Kleidung strömten aus allen Richtungen herbei. Sie war fest entschlossen, die meisten Tänze mit Julian zu tanzen und vielleicht ergab sich eine Gelegenheit, seiner Frau eine Weile zu entwischen...
Xnndra zeigte ihre Einladung vor und betrat den Tanzsaal, der bereits voller Leute war. Wie üblich saß Brent Globen am Piano, aber außer dem Zombie hatte diesmal die Tanzschule noch weitere Musiker engagiert, die zusammen eine richtige Kapelle bildeten. Die ersten Paare drehten sich bereits auf dem Parkett. Knut Knackfus ging durch die Menge der Besucher und begrüßte sie, wie immer umschwirrt von Priska Entwen-Losbach, die für den Tanzlehrer schwärmte.
"Guten Abend, Kanndra. Schön dich zu sehen." Knut verbeugte sich leicht vor der Wächterin. Dann begann er zu kichern.
Priska lächelte sie dünn an. "Hallo, Kanndra."
"Guten Abend, Knut.... Priska. Aber nennt mich Xnndra." Sie verstand nicht, warum sie das immer wieder erwähnen musste, konnten sich die Leute das nicht verdammt noch mal merken? Sie merkte, wie ihre Laune langsam wieder sank und war froh, dass der Tanzlehrer weiterging. Seine Gegenwart wurde der Halbdämonin zunehmend unheimlicher und er ging ihr auf die Nerven mit seinem ständigen Gekicher und Geklatsche. Dann jedoch entdeckte sie einen ganz bestimmten Mann in der Menge und sie lächelte.
"Hallo Julian", gurrte Xnndra. Luisa ignorierte sie geflissentlich.
"Guten Abend." Der Gennuaner lächelte unsicher.
"Tanzt du mit mir? Bitte!" Xnndra schenkte ihm einen verführerischen Augenaufschlag.
"Ich.. habe Luisa den ersten Tanz versprochen. Vielleicht nachher, Kanndra." Schon zog er die blonde Frau auf die Tanzfläche, die ihrer Konkurrentin einen triumphierenden Blick zu warf. Warum ging ihr Julian nur aus dem Weg? Es hatte bestimmt mit dieser falschen Schlange von Frau etwas zu tun. Ihre Laune war nun auf dem absoluten Tiefpunkt angekommen. Um nicht einfach wie ein zurückgelassenes Mauerblümchen da zu stehen, schnappte sie sich den nächst besten Mann und zog ihn mit sich. Erst als sie ihm gegenüber stand, merkte sie, dass es Helfried war.

Er hatte gewusst, dass sie nicht hier sein würde, trotzdem war er enttäuscht. Araghast wurde klar, dass er etwas unternehmen musste. Er konnte sich praktisch nicht mehr auf seine besten Freunde bei der Wache verlassen, und das machte ihn fuchsteufelswild. Kanndra konnte er ausserdem nicht mehr lange decken, früher oder später würde eine ihrer Eskapaden sie zu IA bringen und wer weiss, wie das enden würde.
"Sie war nicht immer so", sagte er zu Krister und Kibia, die ihm gegenüber sassen und keinerlei Anzeichen für eine Fieberkrankheit zeigten. "Ich meine, ihr kennt sie ja nicht anders, aber..."
Krister nickte traurig. "Ich war so aufgeregt, als ich erfuhr, dass Kanndra meine Halbschwester ist. Zuerst war es natürlich ein Schock... aber ich hätte sie gerne näher kennengelernt."
Neugierig fuhr der Oberfeldwebel mit den Fingern über den schweren Ledereinband des dicken Buches, von dem ihm die Hexen berichtet hatten, dass sie es in den Schatten gefunden und es ihnen seitdem gute Dienste geleistet hatte. Sie nannten es nur das "Schatten-Buch". In ihm war in kunstvoller Handschrift, teilweise mit Illustrationen, auf Pergamentseiten okkultes Wissen versammelt, um das sie der Püschologe beneidete.
"Ich glaube, ich könnte da eure Hilfe gebrauchen", platzte er schließlich heraus.

Mit einem erleichterten Grinsen verließ Xnndra das Holzhäuschen, das zusammen mit einem gleichartigen Gebilde in gebührendem Abstand von der ehemaligen Scheune errichtet worden war. Sie war gerade mehr losgeworden, als nur einen lästig gewordenen Tanzpartner. Sie schlenderte gemütlich zurück, als sie Aufregung aus dem Ballsaal vernahm. Jetzt fiel ihr auch auf, dass die Musik aufgehört hatte. Gemeinsam mit anderen Gästen, die draussen Luft geschnappt hatten, drängte sie durch die enge Tür herein.
"Was ist passiert?", fragte jemand hinter ihr. Der Wächterin genügte ein Blick, den sie allerdings um diverse Schultern herum werfen musste, um die Situation zu erfassen. Auf dem Boden lag eine Frau unnatürlich zusammengekrümmt und rührte sich nicht mehr. Ein Xnndra sehr bekannter Mann beugte sich über sie. Rings herum standen schockiert murmelnde Gäste, untermalt von Knut Knackfus' unrythmischem Klatschen, an das sich seine Tanzschüler mittlerweile gewöhnt hatten und das er selbst gar nicht wahrzunehmen schien.
Xnndra boxte sich ihren Weg gnadenlos frei und rief dann mit lauter Stimme: "Ankh-Morpork Stadtwache. Keiner verlässt den Saal!" Dann beugte sie sich über die Frau und stellte zwei Sachen fest. Erstens, es war wirklich Luisa, die dort lag und zweitens, die Frau war tot. Eine wilde Freude begann sich in ihr auszubreiten, doch sie musste sich zusammenreißen. Sie hatte eine Rolle auszufüllen - die Rolle der Wächterin. Sanft schob sie Julian von der Leiche fort. Als erstes mussten ihre Kollegen von RUM und SUSI verständigt werden, aber natürlich hatte Xnndra keine Taube mit auf die Tanzveranstaltung gebracht. Sie suchte einen vertrauenswürdig aussehenden Mann aus und trug ihm auf, zum Pseudopolisplatz zu laufen. Dann baute sie sich im Türrahmen auf und fragte: "Was ist eigentlich passiert?"

Lance-Korporal Kolumbini klopfte sich nachdenklich auf sein Glasauge, während er auf die Leiche hinuntersah, die gerade von der Gerichtsmedizinerin in Ausbildung Avalania von Gilgory einer ersten Begutachtung unterzogen wurde.
"Merkwürdige Körperhaltung, nicht? Als hätte sie Krämpfe gehabt?"
"Möglich." Wie alle Gerichtsmediziner zog die Zwergin ungern vorschnelle Schlüsse. Und vorschnell war alles, was vor einer gründlichen Obduktion geäußert wurde. Sie zuckte die Schultern. "Es gibt ja genug Zeugen für ihren Tod. Das hätten die sicher bemerkt."
Der Inspäctor warf ihr einen schwer zu deutenden Blick zu. "Sicher. Aber als guter Ermittler muss man möglichst viele Fakten sammeln. Und Ihre professionelle Meinung gehört natürlich dazu, wertes Fräulein."
Beschwichtigt beugte sich Avalania tiefer über die Leiche. "Tja, die Körperhaltung lässt tatsächlich darauf schließen. Wenn Sie allerdings an Gift denken... nun, es sind auf den ersten Blick keine weiteren Anzeichen dafür zu finden. Sie wissen schon, blaue Zungen und ähnliches. Ausgeschlossen ist es nicht, aber dafür müssen wir erst eine Obduktion durchführen." Sie trat beiseite, um Olga-Maria Inös freies Schussfeld für ihren Ikonographen zu geben. Dann nickte sie auf den fragenden Blick der Tatortwächterin. Die Leiche konnte abtransportiert werden.
"Magie?"
Wieder zuckte die Zwergin die Schultern. "Auch nicht ausgeschlossen. Alles weitere nach der Obduktion."
In einer anderen Ecke des Saales unterhielten sich Xnndra und Myra über die Ereignisse.
"Die meisten sagen aus, dass sie nichts gesehen haben, wie üblich. Die Herrschaften da drüben können etwas konkretere Angaben machen.", berichtete die Späherin und deutete auf eine Gruppe, die etwas abseits stand, allerdings ohne dort hinzusehen. Julian war unter ihnen. "Demnach ist Luisa plötzlich zusammengebrochen, hat sich auf dem Boden vor Schmerzen gekrümmt und ist innerhalb von Sekunden gestorben."
"Luisa? Du kennst die Frau?"
"Äh... ja. Sie war in meinem Tanzkurs. Zusammen mit ihrem Mann."
Myra kniff die Augen zusammen. Irgendetwas war merkwürdig an dem Verhalten des Feldwebels. Sie wirkte in keinster Weise erschüttert, aber auch nicht distanziert wie die meisten Wächter, die mit dem Tod konfrontiert wurden. Es war ein Schutz, den sie sich aufbauten. Aber nicht Xnndra. Es war eher so, als würde sie ein Grinsen unterdrücken. Was fand sie hier so amüsant? Einer Eingebung folgend fragte sie: "Wo warst du zum Zeitpunkt des Mordes?"
Kurz hatte die Ermittlerin den Eindruck als wollte die Halbdämonin ihr an den Hals springen, doch dann antwortete sie ruhig: "Auf der Toilette. Ich kam gerade zurück als ich merkte, das etwas nicht stimmt. Ich lief in den Saal und fand eine schockierte Menge, die um die Leiche herum stand. Ach ja, den Tanzlehrer habe ich von dem Pianisten nach Hause bringen lassen. Er war völlig fertig. Aber ich habe die Adresse von beiden." Mit Knut war nichts mehr anzufangen gewesen. Er hatte kein vernünftiges Wort mehr heraus gebracht, nur noch unverständliches Zeug gemurmelt und ihr hasserfüllte Blicke zugeworfen. Zwischendurch hatte er gekichert. Das war ihr einfach auf die Nerven gegangen.
Myra nickte und notierte sich das. "Dann werde ich mal die anderen Zeugen befragen helfen. Wir sehen uns."

Samstag


"Muss das wirklich sein? Ich hätte dem Bericht schon geglaubt, Sir", Myra presste das mit einem Duftöl getränkte Tuch dichter vor die Nase und versuchte nicht allzu genau hinzusehen.
"Ich wollte nur sichergehen, dass es hinterher nicht heißt, wir hätten was übersehen." Oberleutnant Pismire glitzerte die Hauptgefreite an.
"Wäre mir nie in den Sinn gekommen", beteuerte diese und rückte noch ein Stück von der Leiche ab. "Dann kann Gift also definitiv ausgeschlossen werden?" Noch ehe der Gerichtsmediziner antworten konnte, fuhr sie hastig fort "ich will nur sicher gehen, dass ich das richtig verstanden habe."
"Ja, hast du. Wie ich bereits sagte, muss der Tod durch Magie herbeigeführt worden sein. Ich sehe keine andere Möglichkeit." Nachdenklich schaute der Schamane auf die Leiche hinunter. Er und Avalania hatten die ganze Nacht durchgearbeitet, aber das hatte ihm nicht viel ausgemacht. Denn interessant war der Fall gewesen, das konnte er nicht anders sagen. Das Herz war auf die Größe eines Pfirsichkerns geschrumpft und zwar so plötzlich, dass es den Blutdruck am Ende nicht mehr Stand halten konnte. Die Frau musste sich gefühlt haben, als ob ihr Herz zerreißt.

Wenige Meter davon entfernt versuchte Kolumbini in seinem Büro einen Gedanken zu fassen, der im Zusammenhang mit dem Namen des Opfers stand. Wo hatte er ihn schon einmal gehört? Ein Klopfen unterbrach sein Grübeln und nach seinem "Herein" betrat Hauptgefreite Schwertschleifer sein Büro. Kurz berichtete sie, was sie bei SUSI erfahren hatte, und fügte an: "Er hat es zwar nicht gesagt, aber für mich hört sich das an wie Voodoo." Sie räusperte sich. "Feldwebel Mambosamba hat sich gestern sehr merkwürdig verhalten."
"Feldwebel Mambosamba verhält sich schon seit einer Weile merkwürdig", winkte der Lance-Korporal ab. "Willst du etwa eine Kollegin verdächtigen? Das ist ein schwerwiegender Vorwurf. Hast du dafür Beweise?"
"Nein", gab Myra zu. "Aber sie kennt das Opfer. Luisa und ihr Ehemann waren in demselben Tanzkurs wie sie."
Kolumbini warf einen Blick auf seine Notizen. "Julian le Surprise, gebürtiger Gennuaner."
Myra schnappte nach Luft. "Er heißt Julian? Da gab es doch dieses Gerücht, nach dem Kanndr... also Feldwebel Mambosamba ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hat. Und der soll Julian heißen und ein Jugendfreund von ihr sein", rief die Ermittlerin triumphierend aus.
Schwach erinnerte sich Fred an ähnliches Geschwätz, das in Kantine und Eimer seine Runden gemacht hatte, doch er achtete nicht sonderlich auf die Gerüchteküche. Das Privatleben seiner Kollegen ging ihn nichts an. Jedenfalls bis heute.
Unsicher schaute die Hauptgefreite ihren Vorgesetzten an. "Sollen wir IA informieren?"
"Bis jetzt ist es nicht mehr als eine Möglichkeit. Wir können nichts beweisen. Aber keine Sorge, ich werde sie schon nicht aus dem Auge verlieren."
"Guter Witz", grinste Myra, doch der Blick Kolumbinis erinnerte sie daran, dass dieser kein Typ für Witze war.
Währenddessen fragte sich der Lance-Korporal, ob er Araghast ins Vertrauen ziehen sollte. Immerhin verband ihn mit dem Püschologen so etwas wie respektvolle Kollegialität, was er von den meisten anderen Wächtern nicht gerade behaupten konnte. Dann entschied er sich dagegen. Mehr als Vermutungen und Gerüchte hatten sie schließlich noch nicht.
"Das sind übrigens noch ein paar Informationen über die Tote." Myra reichte Fred ein beschriebenes Blatt.
"Mietzins, natürlich!", rief dieser nach einem schnellen Blick darauf. Der Immobilienmakler war Luisas Vater und der Wache als skrupelloser Geschäftsmann bekannt, der auch zu illegalen Mitteln griff. Allerdings hatten sie ihm das bisher nicht nachweisen können [2].

"Kanndra ist schon wieder nicht zur Arbeit erschienen", stellte Araghast fest.
Valdimier nahm den Blick nicht von seiner Lektüre. "Das ist dein Problem, nicht meins."
"Ich war gerade bei SUSI. Sie haben eine Leiche reinbekommen, die unter etwas seltsamen Umständen gestorben ist."
Der Vampir warf sein Buch auf den Tisch. "Was willst du? Du bist doch nicht gekommen, um zu plaudern. Willst du wieder fremde Fälle an dich ziehen oder was?"
Araghast fixierte sein Gegenüber, doch er blieb ruhig. "Das Opfer heißt Luisa le Surprise."
"Na und?" Dann fiel dem Leichten Armbrustschützen der nicht gerade alltägliche Name auf. "Das ist doch..."
"Genau. Habe ich dein Interesse geweckt?" Die Augenbrauen des FROG-Abteilungsleiters gingen spöttisch nach oben.
Valdimier stieß einen leisen Pfiff aus. "Wenn RUM davon Wind bekommt..."
"Ich kann kaum behaupten, dass ich kein Verständnis dafür hätte, wenn jemand Probleme mit seiner Identität hat", erklärte der Halbvampir, was ihm nun seinerseits einen spöttischen Blick eintrug, "aber wenn wir nichts unternehmen, verlieren wir Kanndra."
"Und was schwebt dir da vor?"
"Ich habe mit ihrer Schwester gesprochen und wir haben eine Lösung gefunden. Wenn du also weißt, wo Kanndra ist, solltest du es mir sagen."
"Nein, ich habe keine Ahnung. Also, was willst du tun?"
Innerlich wappnete sich Araghast gegen die bissigen Bemerkungen, die sicherlich gleich von dem Vampir kommen würden, dann sagte er es ihm."Wir werden sie exorzieren."
Zu der Überraschung des Püschologen sagte Valdimier erst gar nichts, dann nickte er langsam. "Ich glaube, du hast recht. Es könnte funktionieren. Und ich weiß auch schon, wie wir sie in Kristers Haus locken."

"Ich hoffe, du hältst mich nicht für blöd. Ich weiß seit langem, dass du aussteigen willst." Gerhard Mietzins beugte sich leicht vor, um den Blick seines Schwiegersohnes einzufangen. "Aber das kann ich natürlich nicht zulassen. Und der Tod von Luisa ändert daran gar nichts, falls du das gedacht hast."
Julian le Surprise schluckte. "Du glaubst, ich habe sie getötet?"
Nur das Ticken der Uhr war zu hören und ein gedämpftes Murmeln, das irgendwo aus dem Haus in den teuer eingerichteten Wohnraum drang. Bevor der Immobilienmakler die Frage beantwortete, war ein zurückhaltendes Klopfen an der Tür zu hören. Ein Klopfen, das nur von einem Bediensteten stammen konnte.
"Herein", rief Julian zerstreut, ohne sein Gegenüber aus den Augen zu lassen. Er schien die Antwort geradezu aus dem anderen Mann herausbeschwören zu wollen.
"Verzeihung, Sir. Aber da sind ein Herr und eine Dame von der Stadtwache. Sie hätten noch ein paar Fragen."
"Lass sie eintreten, Gaston." Gerhard erhob sich lässig und schlenderte zu einem Tisch herüber, auf dem einige Spirituosen aufgebaut waren. Als der kleine, in einen zerknitterten Mantel gekleidete Wächter und seine hübsche Kollegin eintraten, bot er ihnen davon an, was jedoch beide ablehnten.
"Ich trinke lieber Tee", antwortete der Lance-Korporal, der sich mit Fred Kolumbini vorgestellt hatte. Dann wandte er sich an Julian. "Herr Le Surprise. Wie lange waren sie verheiratet?"
"Oh, das waren jetzt sechs Jahre."
"Und wie würden Sie Ihre Ehe beschreiben?" Der Ermittler nickte Myra zu, die die Notizen machte.
"Nun, wir haben uns geliebt. Natürlich gibt es in jeder Beziehung mal Meinungsverschiedenheiten, aber insgesamt waren wir sehr glücklich." Julian vermied es, seinen Schwiegervater anzusehen.
"Sie sind mit einer Kollegin von uns befreundet, stimmt das?", warf die Hauptgefreite ein.
"Ja... ja, sie ist eine alte Bekannte. Wir haben uns zufällig wieder getroffen."
"Und war da mehr als nur Freundschaft?"
"Nein. Um ehrlich zu sein, hat sich Kanndra ziemlich verändert. Ich hatte sie ganz anders in Erinnerung."
"Das geht nicht nur Ihnen so", murmelte Kolumbini. "Können Sie sich einen Grund vorstellen, warum jemand Ihre Frau töten sollte?", fragte er laut.
An dieser Stelle schaltete sich der Vater ein, der sich die ganze Zeit vornehm im Hintergrund gehalten hatte. "Meine Tochter war wirklich eine ganz wunderbare Person. Es ist uns unbegreiflich, warum sie sterben musste."
"Ihre Tochter hat in ihrem Geschäft mitgearbeitet, ebenso wie Herr Le Surprise hier, nicht wahr?"
Gerhard nickte würdevoll.
Scheinbar gedankenverloren begann der Lance-Korporal in seinem Mantel zu wühlen. "Ist es da vielleicht zu Problemen gekommen? Nicht alle Mieter ziehen freiwillig aus, wie ich hörte. Wo habe ich denn jetzt schon wieder... oder doch hier?"
Mietzins zeigte weiterhin eine undurchdringliche Miene, während Julian unglücklich vor sich hin starrte. "Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Wir bekommen nur äußerst selten Beschwerden und im Übrigen tun unsere Geschäfte hier nichts zur Sache."
Kolumbini hatte endlich gefunden, was er suchte und zog eine Pfeife aus der Tasche. Dann begann er nach dem Tabak zu fahnden. "Es ist ja auch nur wegen unseres Berichtes, Sir. Hauptmann Llanddcairfyn ist da ziemlich streng."
"Natürlich. Wir müssen Sie jetzt trotzdem bitten, zu gehen. Für die Beerdigung muss noch Einiges erledigt werden und unsere Geschäfte gehen auch weiter." Der Hausherr wies ziemlich unmissverständlich zur Tür, so dass den beiden Wächtern nichts anderes übrig blieb, als zu gehen.
Kaum hatte sich jedoch die Tür hinter ihnen geschlossen, ging sie auch schon wieder auf. Kolumbini steckte seinen Kopf in den Raum.
"Ich hätte da noch eine Frage. Können Sie sich erinnern, welches Lied gerade gespielt wurde, als ihre Frau zusammenbrach?"
Erstaunt sah ihn der Gennuaner an. "Ich glaube, es war 'Sternennacht'." Er überlegte einen Augenblick, dann nickte er. "Ja, richtig. Das war es. Meine Frau mochte es immer besonders gern."
Die RUM-Ermittler verabschiedeten sich endgültig und merkten nicht, dass hinter ihnen noch jemand das Haus verließ.

Ein Knurren im Magen erinnerte Xnndra daran, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Ein Wunder, dass es sie da drin nicht verraten hatte. Während die Späherin ihre Schritte nach Hause lenkte, dachte sie über das gerade Gehörte nach. Langsam stieg eine Erkenntnis in ihr hoch und vermischte sich mit dem Hunger zu einem eiskalten Klumpen in ihrem Magen. Julian verleugnete sie immer noch, obwohl seine Frau tot war! Schnellen Schrittes eilte Xnndra an Bettlern, Ratten und nachmittäglichen Passanten vorbei, ohne auch nur Einem von ihnen einen Blick zu gönnen. Was sollte das überhaupt heißen, sie hätte sich verändert? Das waren doch nur billige Ausreden! Wollte er etwa gar nicht mit ihr zusammen sein?
Mit dem Schwung des Ärgers riss die Wächterin die Tür zu Jovannis Pizzeria auf. Wärme und Pizzaduft schlugen ihr entgegen und der Hunger gewann wieder die Oberhand.
Der Zwerg lief bereits geschäftig zwischen gut besetzten Tischen hin und her, um den Bauch seine heissgeliebte Schürze mit der Aufschrift: "'Ier kochte der Scheffe".
"Ah, gut, dasse kommste. Kannste Tania sage, dasse Romina krank, sie solle aushelfe schnell?", wurde Xnndra von ihrem Hauswirt begrüßt. "Ache ja, und du solls komme zu deine Schwester, und da treffe deine Amore."
"Julian hat gesagt, er will mich bei Krister treffen?"
"So ische ge'ört 'ab." Jovanni wich dem Blick Xnndras aus und schien erleichtert, einem Ruf nach einem Ober Folge leisten zu können. Die Halbdämonin vergaß alles andere und machte sich auf den Weg in die Kinkerlitzchengasse, wo ihre Schwester Krister ein kleines Häuschen besaß. Vielleicht würde sie jetzt endlich eine Erklärung des seltsamen Verhaltens ihres Geliebten erhalten.

Die Schreie hallten durch den Flur, doch im Sandelholz-Sanatorium waren Schreie nichts Ungewöhnliches. Bernd, einer der Pfleger, schlenderte den Gang hinunter und blieb vor einer der Zimmertüren stehen. Durch das kleine Sichtfenster hindurch konnte er erkennen, dass die Patientin, die das Zimmer bewohnte, offensichtlich aus ihrer Teilnahmslosigkeit erwacht war. Bernd drehte sich um und ging, noch immer nicht sehr in Eile, einen Arzt suchen.
Als Professor Wirrbaum kurze Zeit später das Zimmer betrat, hatte Nora Reiz aufgehört zu schreien. Stattdessen blickte sie verwirrt um sich.
"Wo bin ich?"
"Keine Sorge, sie sind hier in den besten Händen", redete der Arzt beruhigend auf sie ein. "Unsere Klinik hat einen besonderen Ruf. Jaja."
"Klinik? Wieso Klinik? Mir geht es gut."
"Nun, bis vor fünf Minuten schien das noch anders zu sein. Jaja."
"Unsinn, ich habe mich nie besser gefühlt. Wo ist mein Bruder?"
"Erinnern Sie sich daran, was passiert ist?", wagte Wirrbaum vorsichtig zu fragen.
"Natürlich. Ich war einkaufen und dann habe ich das Grab meines verstorbenen Mannes besucht. Und dann... Oh."
Eine halbe Stunde später schickte Bernd von einem Nachrichtenturm in der Nähe eine Mitteilung an Oberfeldwebel Breguyar.

Xnndra schob sich an der rothaarigen Hexe, die ihr die Tür geöffnet hatte, vorbei. "Ist Julian hier?"
"Komm doch rein." Die leichte Ironie, die in Kibias Worten mitschwang, schien völlig an der Halbdämonin vorbei zu gehen. Ungeduldigen Schrittes lief die Wächterin weiter in das Haus hinein und blieb im Wohnzimmer wie angewurzelt stehen. Es lag im Halbdunkel, nur eine Kerze brannte auf einem Tisch neben dem Sofa. Auf dem selben Tisch lagen ein dickes, ledergebundenes Buch, das schon bessere Tage gesehen hatte und eine Handglocke, wie sie reiche Leute zum Rufen ihres Personals benutzten. In einer Ecke des Raumes stand ein Sessel, der von Xnndras Halbschwester Krister eingenommen wurde.
"Also, wo ist er?"
Die Hexe seufzte. "Willst du dich nicht erstmal setzen?"
"Oder leg dich am besten gleich hin", schlug eine Stimme aus Richtung der Tür vor. Xnndra wirbelte herum und starrte Araghast an, dem Valdimier und Kibia in den Raum folgten.
"Was macht ihr denn hier?" Misstrauisch blickte die Späherin um sich. "Und was wird das wenn es fertig ist?"
Der Vampir schob sich ein wenig zur Seite. "Entspann dich, wir wollen dir nur einen Vorschlag machen."
"Und dafür lockt ihr mich in dieses Haus?" Sie nahm ein unangenehmes Prickeln wahr, dass seinen Ursprung in der Flasche in Kibias Händen hatte. Plötzlich wusste sie, warum Valdimier einen gewissen Abstand zu der Hexe einhielt, plötzlich wusste sie auch, was die Versammlung von Gegenständen auf dem Tisch zu bedeuten hatte.
"Oh nein, vergesst es! Ihr könnt mich nicht exorzieren, das klappt nicht."
"Das werden wir dann schon sehen." Das Auge des Püschologen funkelte.
Xnndra schnaubte abfällig. "Das ist ja wohl nicht euer Ernst. Lasst mich vorbei!" Sie versuchte, sich an ihrem Abteilungsleiter vorbei zu schieben, aber der packte ihre Arme und hielt sie fest.
"Irgendwo da drin habe ich noch eine Freundin. Und ich werde sie wieder heraus holen."
"Wenn du sie weiter so schüttelst, holst du etwas ganz anderes aus ihr raus", bemerkte Valdimier.
Araghast ignorierte den Vampir, zwang sich aber zur Ruhe. "Du musst es uns versuchen lassen, Kanny! Bitte. Wir machen uns Sorgen um dich."
Der Halbvampir hatte recht. Irgendwo in ihr war die alte Kanndra vergraben, doch sie war noch nicht tot. Vielleicht war sie es, die nickte.
Bregs atmete erleichtert aus und auch die anderen Anwesenden schienen sich um einige Grade zu entspannen.
"Du legst dich am besten da drauf", er zeigte auf das Sofa. "Wir... äh, müssen dich leider festbinden. Nur zur Sicherheit."
"Eurer oder meiner?"
"Kanndra, bitte. Es passiert dir schon nichts, wir... haben uns gut vorbereitet." Krister streckte ihre Hand aus, als wollte sie die Wächterin berühren, überlegte es sich dann aber anders.
"Na gut, wie ihr wollt. Ihr werdet schon sehen, dass es sowieso nur Zeitverschwendung ist." Ohne weiteren Widerstand legte sich Xnndra auf das Sitzmöbel und ließ sich festbinden.

Myra Schwertschleifer freute sich schon auf ihren Feierabend. Nur noch diese eine Sache musste sie erledigen, ehe sie ihren müden Körper bei einem Bad entspannen konnte. Die Hauptgefreite kontrollierte ihre Aufzeichnungen und ging noch mal die Fragen durch, die sie stellen wollte. Reine Routine, nichts Aufregendes. Dann straffte sie den Körper, holte ihre Dienstmarke heraus und klopfte.

"Im Schatten-Buch steht als erstes was von Bedrohung", murmelte Kibia.
"In der Art von: Wenn du nicht sofort meine Freundin verlässt, dann werde ich... du willst gar nicht wissen, was ich dann tun werde?", fragte Valdimier spöttisch.
"Ich sehe schon, ihr habt euch wirklich gut vorbereitet." Xnndra grinste.
"Überspringen wir das", entschied Araghast und fuhr mit dem Finger auf der Seite weiter runter.
"Bei den Acht Kreisen der Hölle gebiete ich dir, deinen Namen zu nennen." Die Stimme des Püschologen klang jetzt klar und kraftvoll.
Unbeeindruckt zog Xnndra eine Augenbraue in die Höhe."Du weisst doch wie ich heisse."
Bregs warf ihr einen finsteren Blick zu. "Na gut, machen wir hier weiter." Er schlug die Seite um und nickte Kibia zu, die die Flasche entkorkte.
"Im Namen der Götter der Scheibenwelt", tönte Araghast, "insbesondere im Namen von ..." Er stockte. "Wie hiess dieser verdammte Gott noch mal von dem der Rekrut gefaselt hat?", flüsterte er Valdimier zu, "Es war irgendwas mit Blumen glaube ich."
"Sesam.... nein, Seramis", antwortete der Vampir.
"... Seramis, dem dieses Wasser geweiht wurde, sollst du, Dämon, diesen Körper verlassen und niederfahren ins Pandämonium!" Die junge Hexe spritzte das Weihwasser auf Xnndra, während Krister die Glocke ergriffen hatte und sie nun achtmal läutete.
"Ich wünschte, Skilla könnte dich jetzt sehen." Xnndra versuchte zu grinsen, aber es war mehr eine Grimasse, die sie zustande brachte. Das Weihwasser brannte auf ihrer Haut und die verdammte Glocke schien ihr Gehirn aus den Ohren zu ziehen.
"Xnndra, heb dich hinfort!", schrie der Oberfeldwebel gegen das Stöhnen der Voodoo-Priesterin an.
Besorgt beugte sich Valdimier zu Krister herüber. "Ist das richtig, das Schaum aus ihrem Mund kommt?"
"Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Wir haben das auch noch nicht so oft gemacht. Also eigentlich noch nie."
"Ich befehle dir, dich..." Die letzten Worte gingen in einem Kreischen Xnndras unter, das den anderen Schauer über den Rücken jagte. Die Halbdämonin bog plötzlich ihr Kreuz durch in einem Winkel, der unmöglich erschien, dann sackte sie bewusstlos zusammen.
"Ähmm, tja, dann haben wir es wohl geschafft?" Ratlos sahen die beiden Wächter auf ihre Kollegin hinunter, während die Hexen sich über diese beugten.
"Nicht so ganz, fürchte ich. Sie hat keinen Puls."

Die Welt bekam graue Schleier an den Rändern, die unaufhaltsam aufeinander zu wuchsen. Ihre Schulter spürte sie nicht mehr, selbst der Schmerz war gegangen. Ihr Kopf schien mit Federn gefüllt, als die Schleier sich endgültig schlossen und die Schwärze kam. Auf ihren Lippen erstarb das Wort "Warum?"
Myra Schwertschleifer sah auf ihre Leiche hinunter. Sie wusste den Grund noch immer nicht, aber er schien nicht mehr wichtig zu sein.
"EINE GANZ NEUE ERFAHRUNG FÜR EINE ERMITTLERIN, NEHME ICH AN. DEN GRUND EINES MORDES NICHT ERFAHREN ZU WOLLEN." Erst jetzt nahm Myra die Gestalt im Kapuzenmantel wahr, die eine Sense schwang und einen silbrig leuchtenden Faden durchschnitt, der sie mit ihrem Körper verbunden hatte.
"VIEL SPASS IM LEBEN NACH DEM TOD, HAUPTGEFREITE. ICH MUSS WEITER."
Tod nickte und verschwand.

Sonntag


Valdimier sah Kibia aus Araghasts Büro kommen und den Flur hinunter gehen. Also klopfte er bei seinem Abteilungsleiter und steckte den Kopf durch die Tür. "Gibts was Neues?"
Bregs nickte strahlend. "Kanndra ist wieder bei Bewusstsein, den Göttern sei Dank. Die Mönche vollbringen manchmal wahre Wunder."
Der Leichte Armbrustschütze betrat den Raum nun ganz und schloss die Tür hinter sich. "Blöde Idee, eine Dämonin exorzieren zu wollen."
Araghast hatte schon den Mund zu einer ärgerlichen Bemerkung geöffnet, die auf Valdimiers Beteiligung an der Idee abzielte, als er den Gesichtsausdruck des Vampirs sah.
"Sie ist nur eine Halbdämonin."
"Trotzdem gut, dass die Hexen sich mit Wiederbelebung auskennen. Sonst..."
"Ja."
Es schien nichts weiter zu sagen zu geben. Valdimier öffnete die Tür, um zu gehen, als er von Mindorah erschreckt angestarrt wurde, die gerade hatte klopfen wollen. Er nickte der Kommunikationsexpertin kurz zu und ging.
"Da ist gestern eine Nachricht für dich eingetroffen, Sir. Du warst... nicht zu finden."
"Schon gut, leg sie hin den Eingangskorb."
"Ähm, da liegt sie bereits. Ich wollte dich nur noch mal darauf hinweisen, sie ist wichtig. Kam mit dem entsprechenden Vermerk über die Semaphoren."
"Warum erzählst du mir nicht einfach, was drin stand", schlug Araghast vor, der seinen vollen Eingangskorb musterte. Er hatte jetzt wirklich keine Lust, darin nach einem bestimmten Zettel zu suchen.

Weil Myra nicht zum Dienst gekommen war, musste Fred nun Magane Schneyderin, Ermittlerin in Ausbildung, mit zur Verhaftung nehmen. Hauptmann Llanddcairfyn meinte, es wäre eine gute Gelegenheit für sie zu lernen, wie man das zivilisiert regelt und nicht wie bei den FROGs, die ja bekanntlich erst schießen, dann fragen. Dem Lance-Korporal war das alles andere als recht gewesen, aber nun musste er sich eben damit abfinden. Allerdings hatte er trotz der Tatsache, das Frauen eben unzuverlässig waren, Igor zu Fräulein Schwertschleifer nach Hause geschickt. Nur für den Fall...
"Also, klopfen wir jetzt an... Sir?", fragte die Hauptgefreite ungeduldig
Kolumbini öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, da wurde die Haustür bereits aufgerissen. Eine schwarze, ältere Frau in sehr bunter Kleidung stand dort und starrte die Wächter an.
"Frau Gumbo, nehme ich an? Lance-Korporal Fred Kolumbini und Hauptgefreite Magane Schneyderin von der Stadtwache." Beide zeigten ihre Dienstmarke vor.
"Ah, gut. Ich war gerade auf dem Weg zu Ihnen. Er stinkt langsam zu sehr, wissen Sie." Die Frau winkte sie hinein.
"Äh, wer stinkt?" Magane runzelte verwirrt die Stirn. "Wir sind gekommen, um..."
"...Brent zu verhaften, ja. Das ist übrigens nur sein Künstlername."
Während sie einer humpelnden Frau Gumbo ins Haus folgten, erklärte Fred: "Das ist uns bekannt. Sein richtiger Name lautet Bernd Kobentreter und er war früher in der Schinkengasse wohnhaft. Dort kam er zusammen mit seiner Tochter ums Leben, als er sie die Treppe herunter stürzten, die der Hausbesitzer, Herr Mietzins, hatte absichtlich beschädigen lassen."
"Ja, das stimmt", bestätigte Frau Gumbo und öffnete die Tür zum Keller. Was sie bisher nur am Rande als unangenehme Muffigkeit wahrgenommen hatten, schlug ihnen nun in voller Wucht entgegen. Die erfahrenen Wächter identifizierten unweifelhaft Verwesungsgeruch. Es roch, als seien mindestens drei Thasks in dem Keller versammelt. Magane war froh, eine von den Nasenklammern in ihrer Tasche zu finden, die der Zombie jedem vereehrte, der mit ihm zu tun bekam und Kolumbini entzündete seine Pfeife.
"Ich habe ihn gebeten, in den Keller zu gehen, weil es der kühlste Raum im Haus ist."
Vorsichtig stiegen sie die Treppe herunter. Die Hausbesitzerin musste dabei mehrmals anhalten und Atem schöpfen. "Als ich krank wurde, habe ich eine Haushaltshilfe gesucht. Freundlicherweise hat mir ... jemand Zugang zu frisch verstorbenen gewährt. Bernd hat quasi danach geschrieen, das ich ihn zombifiziere. Es war sein Wunsch nach Rache, natürlich. In den letzten Monaten habe ich ihn hier beschäftigt und nebenbei ein wenig von meiner Voodoo-Kunst gezeigt." Den Gesichtsausdruck des Ermittlers deutend, fügte sie hastig hinzu: "Ich weiss, was Sie denken. Aber ich habe nicht gewusst, was er vor hat, das schwöre ich. Sonst hätte ich ihm nie etwas gesagt."
"Er hat das Wissen, das er von Ihnen erhalten hat, dazu benutzt, Luisa le Surprise umzubringen als die Band ein Stück ohne Klavierbegleitung gespielt hat", nahm Fred an.
"Ja, leider."
Endlich war der Fuss der Treppe erreicht und die Ermittler standen vor einem Holztisch, der von zwei Kerzen beleuchtet wurde, die bizarre Schatten an die feuchten Wände warfen. Die Leiche von Bernd Kobentreter, alias Brent Globen, lag friedlich vor sich hin verwesend darauf.
Frau Gumbo zuckte die Schultern. "Er hat erreicht, was ihn am Leben hielt."
Fred nickte. "Er wollte Gerhard Mietzins den gleichen Verlust zufügen, den er auch erlitten hat."
"Und Sie haben ihn einfach wieder... ich weiss nicht, umgebracht? Das ist auch ein Verbrechen, das ist Ihnen doch klar?" Magane musterte die Alte wütend.
"Ich hatte nichts damit zu tun. Sein Existenzzweck war erfüllt, er hat sich einfach zum Sterben hingelegt."
"Aber warum haben Sie ihn nicht begraben?"
"Hätten Sie mir denn geglaubt?"
Wieder an der frischen Luft, die beide mit Genuss in ihre Lungen saugten, rief Kolumbini nach Igor.
"Ja, Herr?"
"Hast du Fräulein Schwertschleifer zuhause angetroffen?"
"Nein, Herr. Ef war niemand anwefend."
Das gefiel dem Lance-Korporal gar nicht. Zwar kümmerte es ihn im Allgemeinen nicht, was seine Kollegen trieben, aber für die Hauptgefreite fühlte er sich ein wenig verantwortlich. Nicht nur, dass sie seine Ausbilderin gewesen war, jetzt war er ihr Vorgesetzter und sie hatten zusammen an diesem Fall gearbeitet. "Geh bitte zum Pseudopolisplatz und schau nach, ob sie inzwischen dort eingetroffen ist. Ich werde den Zeugen aufsuchen, den sie zuletzt befragen sollte."

Als er in die Heldenstraße einbog, sah er, dass er zu spät kam. Ein FROG-Team hatte bereits zugeschlagen und zerrte den Mann gerade auf ihren Einsatzkarren.
"Hallo Fred. Was machst du hier?", wurde er von Araghast begrüßt.
"Ich suche Hauptgefreite Schwertschleifer."
Der Püschologe senkte die Stimme. "Es tut mir leid. Das Schwein hat sie umgebracht. Wenn du mich fragst, er ist total durchgeknallt. Aber er wird dafür und für Ortbe büßen und wenn ich persönlich Lord Vetinari dazu zwingen muss."
Der immer etwas zerknautscht wirkende Mann schien noch weiter in sich zusammenzusinken.
"Und wie habt ihr das herausgefunden? Ich meine, ich wusste ja nicht mal..."
"Wir haben es auch nicht gewusst, es war Zufall. Er hat auch die Entführungen begangen, die wir seit ein paar Wochen untersuchen. Sein erstes Opfer ist wieder zu sich gekommen. Stell dir vor, sie hat ihn gekannt. Und Myra... sie liegt in seiner Wohnung."


Fortsetzung folgt
[1]  Näheres dazu im Hexer 3, wie ich gehört habe ;)

[2] s. auch Live-Mission "Feuerteufel in der Schimmerstraße"




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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

23.11.2005 20:58

Lob: Auch der zweite Teil deiner Fortsetzungsgeschichte hat mich beim Lesen in den Bann schlagen können. Besonders gefiel mir an ihr, dass sie die Abteilung F.R.O.G., für mich als Außenstehende, athmosphärisch skizzierte, ohne sich dabei auf deren Angehörige zu beschränken. Auch dass Du die persönlichen Differenzen aufgegriffen und im Zusammenhang mit den Wachevorfällen dargestellt hast, machte die Single lebendig. Kanndras bzw. Xnndras veränderte Einstellungen wurden sehr emotional dargestellt, was diesen Eindruck noch verstärkte.

Kritik: Ich gebe mir ja ungern eine Blöße und vielleicht hätte ich den ersten Teil zuvor noch einmal lesen müssen... aber so ganz verstehe ich den Hintergrund zu den Entführungen noch nicht. Mal schauen, ob der dritte Teil mich was das angeht schlauer machen wird. *g*

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