Ein neuer Anfang

Bisher hat keiner bewertet.

von Chief-Korporal Rib (SEALS)
Online seit 26. 07. 2005
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Kein Fall, sondern eher eine Charakterstudie. Und eine Ausbildungsmission.

Dafür vergebene Note: 11

Prolog

"Aus kleinem Anfang entspringen alle Dinge.">
Marcus Tullius Cicero



'Tagebucheintrag 23b
Wenn ich am Fluss sitze, weiß ich, wie das Leben ist. Man beobachtet Andere, wie sie das Wasser riechen, fühlen, schmecken (Letztere tragen oft eine Kette mit einem Stein am Bein). Und man hat nicht Teil.
Lebenszeit ist nur Zeit, sie ist wie ein Gefäß, das darauf wartet, gefüllt zu werden. Gefüllt mit Gefühl, mit erlebtem Gefühl. Doch ich kann nichts mehr fühlen, nichts außer Leere, von Mullbinden umhüllt. Und am schwersten ist die Leere zu ertragen, wenn die Lieben in Reichweite sind. Ich weiß, wo meine Familie ist und kann niemals zurück. Wie gerne würde ich noch einmal meine kleinen Kinder um meine Beine spielen sehen. Wie gerne würde ich überhaupt mal meine Beine sehen. Manchmal wünsch


"RITSCH!" Die Hand riss ein Stück Papier aus dem Buch und führte es einer anderen Bestimmung zu. Marty MacDonald konnte nicht glauben, wie schlecht das Essen in dieser Kneipe war.


* * *



Kapitel eins: Gassenhauer

"Als ich von den schlimmen Folgen des Trinkens las, gab ich sofort das Lesen auf."
Henny Youngman



'Gelb.' Soweit schon mal sein erster Gedanke. Dann folgte: 'Keine Panik. Bloß keine Panik.'
Irgendwas lag auf seinem Gesicht. Es war gelb. In seinem Kopf brummte es, gerade so als ob ein Haus dem Bau einer Straße geopfert werden würde. Die Sicht war immer noch gelb. Rib wischte über sein Gesicht und stellte fest, dass er unter einer Käsescheibe gelegen hatte. Einer weichen, ranzigen Käsescheibe. Der Liegende schaute sich um. Gelb. Und Grün. Und Braun. Aber kein Abrissunternehmen da. Trotzdem lag er im Schlamm. Naja, im Abfall. Es war Zeit aufzustehen. Aber laaaangsaaam. Es tat dennoch weh.
'Gelb.' Irgendwie hatte man das dringende Bedürfnis, ein Handtuch zu besitzen.
Niemand konnte behaupten, Rib M'Laut, Chief-Korporal der Stadtwache, kleinste Mumie der Scheibenwelt, wäre aus der halbzerstörten Kneipe herausgetorkelt und hingefallen. Es war eher ein Herausrollen gewesen, fast lautlos durch den frisch gefallenen Februarschnee.
Rib hatte sich eindeutig das Prädikat "besonders saugstark" verdient. Wie ein Hygieneartikel für Frauen war er aufgedunsen, bis er kugelrund Form angenommen hatte. Das war nach der Schlägerei gewesen. Glaubte er.

Der Wächter richtete sich auf und schüttelte den Kopf.
'Au! Keine gute Idee', stellte er fest. 'Ich hab eindeutig einen Kater.'
M'Laut rieb sich über die roten Edelsteine, die er als Augen benutzte. Dann überdachte er noch einmal den letzten Satz. Seine Spezies: Mumie, also Untot. Er konnte keinen Kater haben, ja, sich nicht mal betrinken. Was er jetzt zugegebener Weise gerne tun würde. Er hielt sich die Hände kurz vor die Augen.
'Verdammt, ist das hell. Verdammt, war ist hell. Oh, hab ich das nicht schon mal gedacht? Egal, das ist so hell, das kann man ruhig doppelt denken.' Eine Hitzewelle im Februar. Es war so übelst warm, dass der Schnee geschmolzen war. Kaum natürlichen Ursprungs. 'Super. Heut Nachmittag darf ich wieder magische Volltrottel jagen. Apropos Trottel... Wer zupft dann da an meiner Seite?'
Rib zwinkerte einen Augenaufschlag. Ein Gnomengesicht. Freundlich und unbewaffnet.
"Sag mal, isst du das noch?"
'Nicht Kopfschütteln, einfach nur aufstehen.' Rib rollte auf die Seite, kam nach den vierten Anlauf auf alle Viere, nach dem zwölften klappte sein Versuch ganz.
'Ankh-Morpork, ich liebe dich.' seufzte der Wächter. 'Aber es gibt Tage, an denen könnte ich kotzen.'
M'Laut zuckte zusammen, was eine neue Schmerzwelle herausforderte. Auf keinen Fall durfte er DARÜBER nachdenken, sagte er sich. Eine Mumie, sollte sich Alkohol nicht noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Aus hygienischen Gründen.
'Ich hab nich' gesoffen. Wie auch, ohne Mundöffnung und Blutbahn?' warf er ein. Anscheinend neigte er mit Kater dazu, Selbstgespräche zu führen.
'Kein Kater. Mit wem red' ich eigentlich? Gut, ich hab 'ne pelzige Zunge, als ob eine vorstreunende Katze sich darauf verewigt hätte...' Rib stockte. Hatte er überhaupt noch eine Zunge? Oder war die beim Einbalsamieren entfernt worden? Man konnte Glieder manchmal noch spüren, auch wenn sie abgetrennt worden waren. So etwas nannte sich Phantomschmerz. Gab es auch Phantompelz? Er zuckte mit den Schultern. Was immer da war oder nicht war, es fühlte sich halt... pelzig an. Basta.
Rib schob den Gedanken beiseite und wagte nochmals einen Blick nach oben. Da oben leuchtete was Fieses. Das blöde, runde Mistding sagte ihm, dass er zu spät zur Arbeit kommen würde. Mit schier... unglaublicher... Willensanstrengung... hob er den linken Arm.
"LOS!" donnerte er. Mehrere Meter Mullbinde spulten sich von seinem Arm ab und landeten zu seinen Füßen. Rib kniete sich nieder. Normalerweise hätte er sich jetzt von Dach zu Dach schwingen müssen.
"Was ist?", sagte er und stupste die Binden an. "Keine Lust oder keine Kraft?"
Er seufzte noch einmal. Dann musste es halt zu Fuß gehen. M'Laut riss den Faden vom Arm ab. Schon wieder würde er sich wohl selbst eine Standpauke halten. Wenn er so weitermachte, würde er wohl bald ernstere Maßnamen einleiten müssen.


* * *



Kapitel zwei: Zeitgeschehen

"Arbeit ist der Fluch der trinkenden Klassen."
Oskar Wilde



Das Diensthaus am Pseudopolisplatz sah aus wie immer. Bürger, die besonders gut geschützt wurden, teilten gerne eine kleinere Nahrungsspende mit ihren Ordnungshütern. Vornehmlich waren das Eier, die sie hier auf dem Markt kauften und Tage später an der Wand des Wachegebäudes hinterlegten.
'Memo an mich selbst: Rekruten zum Putzen anfordern.' Rib zählte die Steine an der Wand entlang bis er zum neunten kam. Pflichtschuldig streckte er beide Arme aus und drückte sich mit stakendem Gang ins Gebäude. Traditionelle Mumien nutzten selten Türen, sondern gingen einfach durch die Wand. (Der Kommandant hatte Rib aber deutlich gemacht, dass DIESE Mumie in DIESEM Gebäude gefälligst nur lose Steine verschieben durfte. UND die Steine danach wieder an Ort und Stelle zu packen hatte.)
Im Tresenraum... lieber nicht über das Wort nachdenken... stand Drogan, Zwerg und Verkehrsexperte, für die Anfragen der Bürger bereit. Neben ihm stand ein Rekrut, den Rib nicht kannte. Irgendwie gab es da einen Dienstplan von dem die Mumie nichts wusste. Da war wohl ein Memo nicht angekommen. Zumindest erinnerte sich Rib nicht mehr daran.
"Hallo Drogan", murmelte er, "irgendwelche Vorkommnisse?"
"Rib! Wie siehst du denn aus?" Zwei entsetzte Augenpaare starrten ihn an. "Wo warst du? Ich mein, die ganze Zeit...?"
Rib blickte nach oben, dem traditionellen Aufenthaltsort der Götter, wo immer man sich im Multiversum auch befand. (Ausgenommen natürlich jene Gottheiten, die sich gerade auf einem Berg befinden, um Orgien zu feiern, Glücksspiele zu spielen oder Urteile über die ihrer Meinung nach viel zu lässige Moral der Menschen zu fällen.) Währenddessen zog der Rekrut die Luft durch die Nase ein und lief grün an. Verzweifelt fing er an am Fenster zu rütteln.
'Bitte jetzt keinen Aufstand wegen den paar Stunden. Das kann ich selbst', dachte die Mumie sich, fragte aber stattdessen: "Ist die Chefin im Haus?"
"Nein, aber Cim will dich wahrscheinlich sprechen."
Der Feldwebel war also aus seinem Dauerurlaub zurück. Wie fein. Und er würde Ärger machen. Es war immer nicht leicht, wenn man Ranghöheren Befehle erteilen konnte und musste. Nach dem Motto: Wir haben uns die Position erarbeitet. Als ob man selber das nicht getan hätte.
Hier lag der Fall besonders schlimm: Als Teil der Abteilungsleitung SEALS konnte Rib Cim ebenso befehlen, wie er als Chief-Korporal Befehle von einem Feldwebel befolgen musste. Cim würde eine Menge Arbeit erfordern, bis Rib ihn auf passende Höhe zusammengestaucht hatte. Und Augenhöhe war bei ihm ziemlich tief angesetzt. Wichtig war dafür der erste Eindruck. Die kleine Mumie schaute an sich herunter und seufzte.
Sie salutierte etwas salopp, ging weiter zur Treppe und streckte noch mal den Arm aus: "Hop!"
Rib entschloss sich, die Stufen zu erklettern. Die Binden konnte er ja später noch aufräumen.
'Immerhin', dachte M'Laut sich, 'Schlimmer geht’s nimmer. Dreckstag.'

Zehn Minuten später (mit DEN Kopfschmerzen eine geradezu rekordverdächtige Zeit) stand ein erschöpftes Etwas vor Cims Tür. Sie war angelehnt. Rib klopfte sanft. Sehr sanft.
Ein fröhliches gepfiffenes Lied erschallte im Zimmer. Wenn der Feldwebel tatsächlich anwesend war... ließ er hoffentlich seine gute Laune gerade an jemand anderem aus. Rib hoffte allerdings auf einen Einbrecher.
"Herein!" Es war so diese liebenswerte Art von Stimme, die jemanden mit Kopfschmerzen dazu nötigt, aus Selbstwertgefühl einen Ziegelstein in die Hand zu nehmen. Eine bandagierte rechte Hand ballte und entspannte sich wieder. Dann legte sie sich gegen das Holz und drückte leicht.
Das Zimmer des Feldwebels sah aus wie immer, schlampig. Nicht, dass M'Lauts Spint früher besser ausgesehen hatte, aber nun sah er ja auch mit den ... Kristallen ... eines Vorgesetzten. Wie allein schon diese Topfpflanze wieder aussah. Monatelang hatte Rib sie aufgepäppelt, aber Cim, war klar, ruinierte sie in Stunden.
"Morgen!", seufzte Rib. "Ich sollte zu Dir kommen?" [1]
Ein bestätigendes Kopfnicken: "Sofern Deine Bewerbung noch aktuell ist."
Cim wies auf den Stapel Akten vor sich... und damit auf eine Mappe, die er gar nicht besitzen durfte. Nur die Abteilungsleitung hatte Zugang dazu. Und die so genannten KommEx, die Stelle, auf die Rib sich bewarb.
Rib starrte ihn an: "Moment, halt. STOPP! Meine Bewerbung? Warum liegt die auf DEINEM Tisch?"
"Hmmm... Du hast offenbar verpasst, dass ich als Ateras Stellvertreter wiederbestätigt wurde." Damit begann des Feldwebels Grinsen geradezu schmierig in die Breite zu gehen. Ribs Gedanken setzten aus. Atera war seine Chefin. Das war SEIN Job. Er brauchte ihn. Weil MacLaut, der Kobold, die Stellung gebraucht hatte.
"Hä? Was? STELLVERTRETER? DU? Aber das bedeutet ja, dass ich nicht... mehr..."
Unter schmutzigen Binden brach eine Welt zusammen. Rib war immer der Meinung gewesen, er hätte gute Arbeit geliefert. Und plötzlich war er entlassen, von einem Tag auf den anderen, nur weil dieser Hänsel da...
Rib wünschte, er wäre heute nicht aufgestanden. Gut, er hatte im Abfall gelegen, aber der Wunsch brannte trotzdem in ihm. Irgendwas stank hier zum Himmel. Nicht nur eine Mumie.
"Das führt mich gleich zur nächsten Frage." Cims Stimme riss ein Loch in die mumifizierte Gedankenwelt. "Wo hast Du die letzten Wochen gesteckt?"
"WOCHEN??? Wie, Wochen? Die Bewerbung hab ich gestern losgeschickt... Ah! Alles klar." Rib hob die Topfpflanze an und schaute darunter.
"Das ist ein Witz, oder? Irgendwo sitzt so ein kleiner zeichnender Dämon und hält fest, wie ich blöd aus der Wäsche schaue." Das Regal wurde durchsucht.
"Aber da habt ihr euch geschnitten." Die Mumie hob den Besucherstuhl an. "Mumiengesichter sieht man nicht! PAH!"
Cim ließ sich nicht davon stören, dass auch sein Stuhl angehoben wurde. Er griff zum Papier.
"Diese Bewerbung ist entweder fünf Monate alt oder Du hast Dich gestern dramatisch mit dem Datum vertan", lautete seine Feststellung, "Was für einen Kommunikationsexperten keine gute Voraussetzung wäre..."
Der Kerl wagte es, Akten zu kritisieren? Der KERL? Hatte der sich mal angeschaut, was für ein Chaos er vor seinem Verschwinden produziert hatte? Rib stand kurz davor, vor Wut zu kochen.
"Das Datum stimmt. MEINE Notizen stimmen immer. Zeig mal her." Rib kletterte auf den Tisch. "DA! Dritter Februar. Steht doch oben links."
"Na? Schon ein Weilchen her, nicht wahr?"
"15 Stunden, würde ich schätzen."
"Rib, ich hab keine Zeit für den Unfug." Der Feldwebel zog eine Tageszeitung aus dem Papierstapel."
"Welcher Unfug? Ich hab das Ding geschrieben und wurde da zu einer Kneipenschlägerei gerufen." M'Laut blickte auf das Datum. "OH!"
Er blickte nochmals darauf: "Kacke."
11. Juli, war deutlich zu lesen. Heute war der 11. JULI. Was war passiert, wo war er gewesen? Oder war es doch nur ein Scherz?
"Das kann nicht sein!", stammelte er. Er setzte sich.
"Kacke", wiederholte er. "Also, das letzte woran ich mich erinnere, ist diese Festnahme... und wie der Kerl mich ins Schnapsfass geworfen hat. Naja, und dann kam der Müllberg, in dem ich vorhin aufgewacht bin."
"Das erklärt auch ein wenig warum Deine Mullbinden diesen wunderbaren Teint angenommen haben. Nur... dein Geruch ist noch auffälliger."
Instinktiv hob die Mumie den Arm, schnüffelte in ihrer Achselhöhle und zuckte mit den kleinen Schultern. Ihre Nase diente eh nur zur Bestätigung, wo bei ihr vorne war.
"Fünf Monate...", murmelte sie.
Cim schaute unbarmherzig herab: "Wie auch immer: Ich nehme an ich bekomme einen Bericht bezüglich der Sache mit der Schlägerei. Kommen wir zum eigentlichen Thema. Was hat Dich bewogen Kommunikationsexperte werden zu wollen?"
"Huhm? Ähh, ja. Mit dem Gedanken spiel ich schon länger. Ich glaub', da nütze ich mehr."
"Wieso, was ist mit deinen Informanten? Wer kümmert sich um die?"
"Niemand. Der Kobold MacLaut war bekannt. Mich, die Mumie, kennt keiner. Ich müsste also ganz neu anfangen." Rib seufzte. "Und diesmal hätte ich nicht Hunderte von Verwandten."
Der Feldwebel starrte Rib eine Zeitlang an, dann notierte er sich deutlich hörbar murmelnd: "Als Informantenkontakter versagt."
"Versagt???" Rib war kurz davor zu brüllen. "Man hat mich im Dienst gekillt. Ich bin nicht... Ich glaube, das lassen wir doch mal Tery entscheiden, hm?"
"Tery hat die Sache wohl offenbar mir überlassen."
'Ich muss es tun', dachte Rib, 'Ich muss ihm eine in die Fresse hau'n. Das ist der erste Kollege, den ich... Naja, der MUT-Schuss auf Romulus, aber damit hab ich ihm das Leben gerettet. Und der Fall mit dem gebrochenen Arm, das war Notwehr. Das Betäubungsgift war eine Verhaftung. Und ich kann auch nichts dafür, dass ich bei...'
"Wie stellst Du Dir diesen Nutzen vor?", wurden rüde die Träumereien unterbrochen. "Ich meine, immerhin kannst Du ja nicht gerade ein paar Tauben mit Dir rumschleppen, oder?
Im Einsatz ist es Deine Aufgabe klaren Kopf zu bewahren und relevante Informationen an die Zentrale weiterzugeben. Schaffst du das oder versuchst Du wieder alles im Alleingang zu lösen? Wir sind hier Teamspieler, Herr Chief-Korporal!"
Rib ballte noch mal die Faust und dachte darüber nach, nonverbal, aber direkt zu antworten. Stattdessen nickte er: "Während du weg warst, hab ich eine Menge Sachen im Team gelöst."
"Nun, es war nicht sehr Team-haft mitten in der Amtsperiode zu verschwinden. Aber lassen wir das."
"Wieso warst du eigentlich weg, als ich angefangen hatte? Mal nebenbei gefragt...", zischte es aus den Bandagen.
"Das ist nicht das Thema. Hättest Du Probleme den Anweisungen von Hauptgefreite Will Passdochauf zu folgen? Immerhin ist sie kein Offizier."
"Klar. Hierarchie ist doch nicht so wichtig, wie dass Will weiß, wovon sie redet." Die Mumie fing an unter den Binden kalt zu lächeln an. Sie fragte sich, ob der Feldwebel begriff, dass Rib mit diesem Satz auch das Verhältnis hier im Raum beschreiben wollte.
"Nun, das klingt ja erfreulich. Ich nehme an, es ist besser für die Wache einen Kommunikationsexperten zu haben, der keine Ahnung von Tauben hat, als einen Informantenkontakter, der keine Informanten hat."
M'Laut nickte. Über Tauben wusste er nur gute Kochrezepte. Und Cim musste das wissen. Aber, wenn alles lief wie geplant, musste er die Drecksdinger auch nur empfangen und nicht abschicken.
"Wenn man dem Umstand Deiner Größe Rechnung tragen möchte, dann spräche genau dann nichts dagegen, dass Du den neuen Job annimmst, wenn.......wenn du lernst, auf einer Taube zu fliegen. Damit wäre gewährleistet, dass Du eine dabei hast, wenn Du eine brauchst."
"KLAR!" rief Rib aus, wenn auch eine Spur zu laut, um ehrlich zu wirken.
Plötzlich, wie von selbst, raschelte die Pflanze. Ihre Blätter waren so vertrocknet, dass M'Laut gleich wieder familiäre Gefühle entwickelte. Im Gegensatz zum Feldwebel. Im Laufe des Gespräches war auch der Tonfall der beiden immer aggressiver geworden. Worte, obwohl neutral formuliert, glichen nun Messerspitzen.
"Ich hätte das Ding wegwerfen sollen. Jetzt haben sich Mäuse eingenistet."
"Du kümmerst dich halt zu wenig um deine Aufgaben."
"Klar, dass Du glaubst, so was wäre die Aufgabe eines SEALS-Wächters. Hat wohl was mit GRÖSSE zu tun. Aber wie auch immer. Die Verantwortung für Deine Ausbildung liegt bei Will Passdochauf. Ich werde Will und Atera informieren. Viel Spaß als Kommunikationsexperte in AUSBILDUNG, Rib! Du kannst jetzt gehen!"
"Danke. Ein Wort noch von Stellvertreter zu Stellvertreter..." Rib wollte nichts schuldig bleiben.
"Ex-Stellvertreter zu Stellvertreter meinst Du."
Der Chief-Korporal schluckte seine Wut abermals herunter: "Ja. Ich hab echt Arbeit hineingesteckt, um den Schlonz, den du mir hinterlassen hast, auf Vordermann zu bringen. Lass bitte nicht soviel rumliegen. Meinen nächsten Amtsantritt hätte ich gern ruhiger." Rib salutierte freundlich, nur für IA.
"Deinen Amtsantritt als Gärtner, meinst Du? Ich werde daran denken. Eins noch, Rib!"
"Ja? Sir?"
"Ich muss zugeben, dass ich Dich nicht mag, aber ich bin Profi genug, Leistung anzuerkennen, wenn ich sie sehe. In diesem Lichte stelle ich mir auch unsere Zusammenarbeit vor."
"Nicht mögen, aber Leistung anerkennen. Ich schätze, das schaff ich. Sir."
"Dann ist es gut. Weg..."
Die Mumie wartete den Befehl zum Wegtreten nicht bis zu Ende ab. Sie musste raus. Und wenn sie weit genug weg war, würde sie vor Wut schreien.


* * *



Kapitel drei: Gefühlsbetont

"Zorn macht langweilige Menschen geistreich."
Francis Bacon



Will war sich gerade am Umziehen, als Rib herein gestürzt kam. Erschreckt verschränkte sie die Arme vor der Brust. Auch sie wunderte sich wie zehn Zentimeter nur so stinken konnten.
"Raus", knurrte der Winzling. "Will, bitte geh!"
"Rib, was ist? Wo warst du? Was..."
"Dann bleib eben hier." Der Spint, an dem das Schildchen "MacLaut" aufwies, war für Menschengröße gebaut worden, aus Gusseisen geschmiedet und enthielt quasi alle Besitztümer des Untoten, die nicht irgendwelche Erben bekommen hatten. Dennoch wog er nicht im entferntesten die zwei Tonnen, die Rib heben und werfen konnte. Will sprang gerade noch rechtzeitig zu Seite, als das Metall durch den Raum geschleudert wurde. Mit einem infernalischen Schreien sprang Rib auf das zerbeulte Etwas. Er kniete sich mit einem Bein hin, faltete die Hände wie zum Beten und fing an mit dieser Doppelfaust Löcher in das Gehäuse zu schlagen. Mit jedem Hieb, mit jedem Loch schien er seine Wut schreiend verewigen zu wollen.
"FÜNF MONATE WEG... STELLVERTRETER WEG... CIM DA... NICHT TEAMFÄHIG... GÄRTNER... TAUBENREITER... SCHEISSE... SCHEISSE... Scheiße..." Die letzten Schläge waren immer halbherziger ausgeführt worden. Die Mumie hob den Kopf und lächelte Will, die das gar nicht sehen konnte, beruhigend zu. "Hi! Hab mich wohl etwas aufgeregt. Ach, übrigens, ab heut' bin ich dein Azubi."
Will sah nicht sehr beruhigt bei dieser Nachricht aus. Rib fing an zu kichern und drehte sich um, damit Will sich zu Ende anziehen konnte.
"Du solltest mal dein Gesicht sehen, Will. Puh, das hat Spaß gemacht..." M'Laut stutzte. "Das hat mir wirklich Spaß gemacht. Ich bin wütend geworden und DAS hier hat Spaß gemacht. Verstehst du, Will, DAS HIER HAT SPASS GEMACHT!"
Glücklich deutete die Mumie auf den Klumpen Metall unter ihr.
"Das ist ja schön und gut", sprach eine Stimme hinter ihr leise aber bedrohlich, "aber gab es auch einen guten Grund dafür?"
Rib zuckte zusammen. Die Stimme kannte er. Ras, Kommandeur der Wache, ehemals Agent für Dienstvergehen, war der letzte, dem er im Moment auffallen wollte. Und schon gar nicht so. Verdammt, er hatte noch nicht einmal die Püschotherapie der letzten Strafe hinter sich gebracht[2].
"Ich... äh... habe... weil..."
"Das Schloss hat nach all der Zeit geklemmt", kam Will Rib zu Hilfe. "Chief-Korporal M'Laut hat nur versucht auf einem Alternativweg an seine Sachen zu kommen. Sir."
"Etwas übereifrig, wie?" Man sah der Vampirmiene an, dass kein Wort geglaubt wurde.
"Ja, Sir, Sie wissen ja, wie er ist."
"Äh... ja... geklemmt." Rib nickte eifrig. "Tut mir leid, was ich hier angerichtet habe. Ich bezahle den Schaden. Und mache Ordnung. Genau."
Er überlegte kurz und fügte hinzu: "Und ich tu es nie wieder. Versprochen. Ja."
Der Kommandant blickte grimmig, als ihm etwas Neues auffiel. "Was stinkt hier denn so?"
Rib Kopf sank herunter, während sich sein Arm hob.
"Rib wird ab heute zum Kommunikationsexperten ausgebildet. Beim Ausmisten steckt er halt bis zum Hals in Arbeit", warf Will hastig ein. "Komm Rib, wir müssen damit fertig werden!"
"Dann aber los aufs Dach. Oder sonst wohin, wo man euch nicht riechen kann! Und Rib: Bevor du hier sauber machst... machst du DICH sauber." Ras wich den beiden hastig aus, als sie den Raum verlassen wollten.
Aber plötzlich verbaute eine große Gestalt den Ausgang. Wie Rib war sie auch in Bandagen gehüllt, aber sie war weiblich und fast zwei Meter groß.
"Guten Tag, die Herren... Ich habe gehört, dass Rib... ah, da ist ja der Kleine!" Ihre Stimme war ein singender Bariton und er kam dem Angesprochenen irgendwie bekannt vor.
"Madame, entschuldigen Sie", antwortete Ras an seiner Stelle, "Können wir ihnen irgendwie helfen?"
Sie winkte ab: "Mein Name ist MA.[3] Und mein Schatz hier hat sein Pausenbrot vergessen."
"Wer ist das?", flüsterte Will Rib zu, dem langsam die Erkenntnis dämmerte.
"Ich glaub, meine Vermieterin." Rib tippte leicht mit dem Finger an seine Schläfe, um anzudeuten wie er den Geisteszustand der Frau einschätzte. "Hey, ich war besoffen und die Miete ist fast geschenkt. Zuerst hatte ich es mit Verhaftungen probiert, aber kein Vermieter glaubt einem, wenn man sagt, dass die Wohnung frei ist. Was sollte ich machen?"
"Hach, bin ich stolz, dass Rib hier arbeitet. Mein Sohn...", erschall der Bariton weiter. Einen Arm vor der Brust, den anderen ausgestreckt, hatte MA eine dazu passende Opernpose angenommen.
"Sohn? Wieso Sohn? Du warst doch mal ein Kobold. Das heißt doch, du müsstest eine Mutter in deiner Größe haben, Kelda heißen eure Mütter, oder? Und wieso Pausenbrot? Gerade eine Mumie müsste doch wissen, dass du keinen Mund zum Essen hast." Will wirkte verwirrt.
Rib zuckte mit den Schultern und tippte abermals an seine Stirn.
"Aber was ist das hier für eine Unordnung? Rib, wenn du hier nicht sauber machst, geht es ohne Gutenachtgeschichte ins Bett."
Rib blickte sich panisch um. Inzwischen nahm die komplette Belegschaft an diesem Gespräch teil: "MA! Es reicht!"
Die Frau kam einen Schritt näher und stellte eine braune Papiertüte vor Rib auf den Boden. Dabei schnüffelt sie.
"Rib, ich glaube, du brauchst neue Binden. Frisch gewickelt sieht die Welt doch gleich ganz anders aus..."
Das war zuviel. Rib setzte zum Zwischenspurt an, Endstation Dachterrasse. Das ihm noch ein "Geh und spiel schön!" hinterher gerufen wurde, bekam er kaum noch mit. Er war zu sehr damit beschäftigt, kichernden Leuten auszuweichen.


* * *



Kapitel vier: Taubenichts

"Jede Dummheit findet einen, der sie macht.
Tennessee Williams



Will und Rib waren darüber übereingekommen, vorerst das Thema Verwandtschaft ruhen zu lassen. Stattdessen wandte man sich dem zu, was Rib Wills Meinung nach wissen sollte.
Trotzdem hatte die Anwesenheit der Mumie Rib nervös gemacht. Seine letzte Erinnerung war das Einschlafen im Februar gewesen, aufgewacht war er in einem Müllhaufen, fünf Monate später. Und nun kam diese Frau, mit ihr eine Erinnerung an eine Wohnungssuche. Bedeutete das nicht, dass er im Februar aufgestanden war und durch die Gassen getorkelt war? Was hatte er angestellt in dieser Zeit, in der er anscheinend dauerbetrunken gewesen war? Vielleicht war er in alte Stammestraditionen zurückgefallen, nach dem Motto: Raubt, Plündert, Verge... Rib strich den letzten Gedanken. Das Beruhigende war, dass er als Untoter genauso viel Sex wie in seiner Ehe haben würde. Rib verdrängte seine Gedanken und versuchte sich auf Will zu konzentrieren.
Der Kobold hatte für heute noch Pläne. Cim hatte den Fehdehandschuh geworfen, und er, Rib M'Laut, nahm ihn auf. Zu Lebzeiten ein Kobold, kannte er Fehden von kleinauf.
Cim spielte seine Macht gegen ihn aus? Dies Spiel konnten zwei Wächter spielen. Und die Ausbildung hier war der Schlüssel dazu. Die Feder ist mächtiger als das Rangabzeichen, das würde Cim schon noch spüren.
Doch dafür musste Will erst einmal das Gefühl bekommen, heute gute Arbeit geleistet zu haben.
"Wie sieht es mit Fremdsprachen aus?", fragte die Hauptgefreite gerade und hockte sich hin.
"Ich kann in 53 Sprachen jemanden beleidigen und zum Kampf auffordern. Das reicht."
"Kannst du auch sonst was sagen?"
"In manchen schon. Hab ja nachts viel Zeit zum Lernen."
"Hmm", meinte Will zweifelnd. "Soll ich Dir was darüber erzählen, wie man Einsätze und Meldungen koordiniert?"
"Will, ich war in der Abteilungsleitung. Was glaubst du, was ich tun musste, wenn du Freizeit hattest?"
"Oh, stimmt ja. Also Praxis. Fangen wir mit dem Ausmisten an."
"Prima, ich hab mir schon eine Schüppe besorgt." Rib sprang von der meterhohen Umrandung des Daches herunter und rannte zum Taubenstall. Er ergriff den silbernen Gegenstand, der vor dem Tor lag. Was immer es war, es war fast so groß, wie der Chief-Korporal selbst.
Will fiel auf, dass in der gegenüberliegenden Ecke des Stalles plötzlich dichtes Gedränge herrschte. Sie schüttelte den Kopf: Das würde keine leichte Aufgabe werden.
"Rib, das ist keine Schaufel. Das ist ein Zuckerlöffel."
"Ach, sach' an. Und jetzt rate mal, wie lange ich wohl zum Ausmisten brauchen werde. Vielleicht solltest du dir einen Schlafsack holen. Und morgen frei nehmen."
Da war was dran, fand Will. Rib konnte zwar den ganzen Mist auf einmal wegtragen, aber es würde eine Zeitlang dauern, bis er auch nur einen einzigen Eimer gefüllt hätte.
"Mach das einfach nachher. Jetzt suchen wir eine Taube zum Fliegen aus. Du solltest keine nehmen, die schon einen Besitzer hat." Die Ausbilderin dachte noch mal gründlich nach. "Am besten nehmen wir zu Anfang eine, die sonst in der Rekrutenausbildung benutzt wird. Die sind Härten gewöhnt. Und GRUND weisen wir eine Neue zu."
"Und woran erkenne ich die? Ich mein, woran unterscheide ich die Biester eh' voneinander?"
"Rib! Die sehen doch völlig unterschiedlich aus."
"Unterschiedlich? Für mich sehen sie aus wie Vögel, deren Eltern allesamt miteinander verwandt waren aus."
Will räusperte sich: "Mit der Einstellung wirst du Probleme bekommen. Die Tauben sind jetzt dein täglich Brot."
"Das waren sie früher auch."
"Du weißt wie ich das meine. Du wirst immer eine mit dir führen müssen, um Botschaften abzuschicken."
Rib schüttelte den Kopf: "Muss ich nicht. Es gibt auch Dämonen."
Will nickte, obwohl es ihr nicht passte. Kommunikationsdämonen waren der letzte, teure Schrei auf dem Markt. Sie waren schnelle Läufer, die ebenfalls eine Nachricht von A nach B bringen konnten. So schnell, dass ihre Gedanken oft nicht mitkamen. Mit anderen Worten: Viele von ihnen waren grottendämlich.
Und sie waren halt keine Freunde der Wächter, sondern von der Beschwörergilde zum Dienst gezwungen. Da die meisten Beschwörer ihre Zunft als Hobby sahen, war dieser Zwang meist auch nicht sonderlich groß. Es erforderte eine Menge Arbeit, sie bei derselben zu halten. Kaum ein Wächter arbeitete mit ihnen.
Was Rib ändern wollte: "Denk mal darüber nach: Ich eigne mich nicht zum Taubenhalten. Aber die Wache besitzt Dämonen. Niemand mag sich um sie kümmern. Wenn ich hier fertig bin, werde ich sie füttern, trainieren und erziehen. Mal sehen, vielleicht schreib ich mich in die Beschwörergilde ein."
Will zuckte mit den Schultern: "Das kannst du halten wie du willst. Aber heute sollst du etwas über Tauben lernen."
Will rief eine Taube, die ängstlich angeflattert kam. Der Vogel befand sich derzeit in einer tiefen philosophischen Krise. Vor ihm saß jemand, dessen Speisekarte ihresgleichen umschlossen hatte. Sein neuer Zustand war offensichtlich. Sollte sie als Taube, nun erleichtert sein, vor einem Untoten zu stehen oder instinktmäßig entsetzt? Sie beschloss in die Neurose zu flüchten und es mit Tarnung zu probieren.
"Erstaunlich", meinte Rib, "Die erste Taube, die wie ein Hahn kräht und dabei stottert."
"Das könnte ein Problem geben, wenn dir jemand eine Taube schickt."
"Keine Bange, ich red' gleich mit ihnen und alle Post, die an mich geschickt wird, kommt so schnell, wie sie können. Die Viecher müssen nur eines begreifen, dann klappt das."
"Ach ja, und das wäre?"
"Ich weiß, wo sie wohnen."
Will räusperte sich und ging lieber nicht darauf ein: "Gut. Normalerweise achtet man auf das Gefieder und den Körperbau. Farben, Proportionen und so. Oft kann man daran auch die Eltern erkennen. Siehst du diese weißen Federn? Die hat sie von ihrem Vater da drüben. Und das links daneben ist die Mutter, die gab die braune Grundfarbe. Siehst du, da drüben sind ihre Schwestern und Brüder. Drei davon sind älter als sie, das kann man gut an dem Größenverhältnis zwischen Kopf und Körper erkennen."
"Drei Geschwister sind älter? Zählt die Mutter da mit?"
"Rib, versuch bitte, ernst zu bleiben. Bis du alle unsere Tauben erkennst, gilt solange: Du musst auf die Ringe achten."
"Ringe? Ach, dann weiß ich, wer mit wem verheiratet ist?"
"Nein."
"Nein? Oh."
Will fühlte sich etwas auf den Arm genommen: "Hattest du das nicht alles schon als Rekrut?"
"Super. Zeig einem Kobold einen Taubenschenkel und erwarte, dass er sich konzentriert."
"Schau her." Die Hauptgefreite schob das Bein der Taube etwas seitlich, damit Rib den Ring besser sehen konnte. (Es gab Götter für Tauben und jemand betete sie gerade verzweifelt an.) Dann fuhr sie fort: "Diese Art und Farbe von Ring zeigt an, dass es eine der unseren ist. Es gibt andere Ringe, in meinem Büro hab ich ein Buch über andere Ringe. Da kann man nachschlagen, wenn sich in unseren Verschlag eine fremde Taube verirrt hat. So etwas passiert manchmal, wenn Futter offen herumliegt."
"Zum Beispiel?"
"Naja, Gilden oder so. Die nutzen auch Ringe."
Rib beschloss nachzuschlagen, welche Ringe die Diebesgilde nutzte. Wehe, die Brieftauben hatten keine Lizenz dabei...
Will ließ die Taube los und stand auf: "Gut, ich denke, das war es für heute. Mehr morgen."
"Ich bleib noch etwas hier, zum Eingewöhnen. Muss unten ja noch aufräumen. Ach, Will?"
"Ja?"
"Danke für deine Hilfe als Ras auftauchte. Du hast was gut bei mir."
"Schon gut."
"Nein, wirklich. Schlaf gut."
"Du au... was auch immer du tust."
M'Laut winkte und sah seiner Kollegin beim Weggehen nach. Er wartete noch etwas und ging dann auf die Taube zu, die so komische Laute gemacht hatte. Seine Hand schnellte vor und griff den Hals.
"Gur... Kikiki..."
"Schnauze. Hier die Abmachung. Du trägst mich an das dritte Fenster von rechts und landest kurz. Ich rede mit jemanden und du bringst mich wieder hierher. Dafür lasse ich dich in Ruhe. Heute zumindest, in Ordnung?"
Das Röcheln, fand Rib, klang ziemlich zustimmend. Eine Ablehnung war es bestimmt nicht. Er schwang sich auf den Rücken des Vogels, der wie ein Blitz zu Cims Fenster flog. Er schrieb etwas auf einen Zettel und befestigte ihn mit einem Stück Binde an der Fensterlade.
Auf dem Zettel stand:
"An die stellvertretende Abteilungsleitung. Im Hause (manchmal).
Mit Freude kann ich behaupten, meine Ausbildung an ihrem ersten Tag abgeschlossen zu haben. Denn Reiten kann ich schon, seitdem ich in der Abteilung bin. Es ist zwar ausgemachter Unfug, aber ich kann es. [4] Dieser Fakt steht in meinem ersten SEALS-Arbeitsbericht, meiner letzten Ausbildung. Feldwebel, in deinem Amt reicht es einfach nicht, die Ausbildungsverantwortung an jemand anderes zu übertragen. Ich persönlich kannte die Akten der Abteilung zu meiner Zeit. (Als Kobold hatte ich zwar panische Angst vorm Lesen, aber mit einem kundigen Rekruten und einem zähen Beißholz hab ich mich darum bemüht. Das ist oft notiert worden.) In meiner ersten Nachricht muss ich dir leider deswegen raten, jede Leistung zu würden, selbst wenn du sie nicht siehst, sondern nur auf dem Papier zu lesen bekommst. Dafür befördern wir, die KommEx, diese Schriften schließlich.
Viel wichtiger wäre es für meine Ausbildung gewesen, etwas über Taubenzucht, Dressur und Dämonenkunde zu lernen. Und obwohl ich das deiner Meinung nach nicht brauche, kümmere ich mich mit Hilfe der Kollegen darum.
Teil meines Aufgabengebietes ist es, auf Kommunikationsprobleme möglichst schnell hinzuweisen. Da du dummerweise grad keinen Dienst hast, leite ich eine ausführliche Problembeschreibung an Tery weiter. Ich denke, als Anfrage, warum ich das Fliegen zweimal lernen soll. Da dieser Bericht hier oben abhanden kommen würde, lass ich auch eine Abschrift für dich dort bei ihr. Frag Tery einfach danach.
Nur Mut, Fehlern gegenüber ist die Chefin meist sehr verständnisvoll. Solange man sich bemüht, keine weiteren zu machen. Mit fast freundlichem Gruß,
KommEx Rib M'Laut."

Rib lächelte über den formalen Stil. Die Hand an der Feder regiert das Königreich.
Ein KommEx organisiert Einsatze und den alltäglichen Dienstablauf. Er hatte die Entscheidungen zu treffen, welcher Wächter derzeit Unterstützung brauchte und welcher nicht. Aber nicht immer war verfügbar, was gebraucht wurde. Oder es musste jemand plötzlich nachts in den Dienst gezerrt werden, weil ein Notfall vorlag. Rib hatte vor, die populären Entscheidungen selbst zu treffen und den Rest Cim zu überlassen. War es nicht sogar seine Pflicht, in schwierigen Entscheidungen die Abteilungsleitung heranzuziehen? Solange Rib seinen Dienst zur Zufriedenheit der anderen Wächter machte, gab es Tausende von Möglichkeiten, Cim scheitern zu lassen. Die Anderen durften nur nicht darunter leiden, das war der Trick.
Der Chief-Korporal trat dem Vogel leicht in die Hüften und der Abflug begann. Ein hämisches Gefühl wärmte ihn von innen. Kurz vor Sonnenaufgang würde eine kleine Mumie den Stall einfach nehmen und über dem Dachrand ausschütteln. Damit wäre der Mist draußen. Die Tauben, die würden sich schon daran gewöhnen. Bisschen Schwund gab's immer. Verdammt, fühlte er sich gut.
Wenn es gleich nach Hause ging, dann würde er MA aushorchen, was in den letzten Monaten passiert war.
Morgen würde er sich bei den Beschwörern einschreiben.
Und danach? Wie lange würde es dauern bis Cim diesen Job wieder verlieren würde?
Rib M'Laut war wieder da - und zwar in vielerlei Hinsicht.


* * *



Epilog

"Auch das schlechteste Buch hat seine gute Seite: die letzte."
John James Osborne



Bei Dienstschluss setzte sich Rib manchmal auf ein fremdes Fensterbrett und dachte über den Tag nach. Viel war geschehen, Gutes und Schlechtes. Er hatte Verwirrung, Erschöpfung, Zorn und Scham empfunden, aber auch Kameradschaft, Genugtuung und die Freude am Zuschlagen. Er war nicht mehr einsam und leer.
Zeit ist nur ein Gefäß, das darauf wartet, mit Sinn gefüllt zu werden. Und Leben, fand diese kleine Mumie heute, das Leben konnte so sinnvoll sein. Jedenfalls, wenn genügend Alkohol im Spiel war ...




[1] Als Basis dieses Gespräches diente das echte Bewerbungsgespräch. Hier sind mehr Hintergrundinformationen enthalten, so dass es sich möglicherweise lohnt das Gespräch auch zu lesen, selbst wenn man das Original kennt. (Sonst geht es in Kapitel drei weiter.) Danke nochmals, dass wir das Gespräch so führen konnten, das es in meine Geschichte passt. Und für den Vorschlag, im Spiel Konkurrenten zu werden.

[2] Outtime: Schaut mich nicht so an. Ich hab mich um Termine bemüht.

[3]  Nur mal so als Erklärung: Die Mumie MA gehört ebenso wie Tarantula, die Riesenspinne, zu den Größen der ersten Horrorfilme. War allerdings ein Kerl.

[4] Single: "Vom Rib, der auszog, das Fliegen zu lernen"

Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

11.08.2005 23:28

Auch hier, aufgrund fehlender Notizen, leider nur ganz kurz: Was mir an den Rib-Geschichten immer besonders positiv auffällt, ist die starke Emotionalität, die sich einen direkten Weg in den Sinn und die Vorstellung bahnt und dort kleben bleibt. Selbst die "emotionslosen" Phasen waren immer irgendwie derart geschrieben, erst recht nun wieder die von Gefühlen angereicherten Szenen, die einem nicht nur körperlich hyperaktiv scheinenden Wesen entspringen. Es wäre allerdings irgendwie schön, zur Abwechslung eine Geschichte mit Rib zu lesen, in der es nicht "nur" um Charakterstudie und seine Hassschübe irgendwem gegenüber geht, sondern um einen Fall, der ihm echtes Interesse an anderen Personen und Mitgefühl für deren Hoffnungen abverlangt. Denn... etwas fehlt mir im Gesamteindruck dieser kleinen Mumie.

Von Pyronekdan

12.08.2005 18:33

*sich erst einmal umsieht, ob auch niemand Rib inzwischen ein Streichholz gegeben hat* :-D

*dann zur Sicherheit noch ein zweites Mal auf die Punktzahl sieht*

Also ich habe höher bewertet.
Gerade eine Ausbildungs-Single muß nicht unbedingt einen "richtigen" Fall beinhalten.
Das die letzten Missionen wenige Fälle enthielten, sollte die Bewertung dieser Mission meiner Meinung nach nicht beeinflussen.
An sonsten kann ich Ophelia nur zustimmen.
Was mich etwas gestört hat, ist, daß die Gründe, und der Fortschritt von Ribs Umwandlung nicht ausreichend beschrieben wurden.

*sich schnell wieder aus dem Staub macht, bevor noch ein Klavier auf ihn fällt* :-)

Von Sillybos

23.08.2005 07:29

Auch von mir noch ein bisschen Senf...
Es ist klar, dass man, wenn man eine Charakterstudie schreibt, sich mit anderen Maßstäben messen lassen muss. Ich persönlich weiß allerdings gar nicht, wie diese Maßstäbe aussehen (das Bewerten fiel mir schwer). Mir hat der Gesamteindruck nicht gefehlt, die Emotionalität in deinen Geschichten hängt natürlich auch mit deiner Figur zusammen (wer beeinflusst da wen?), und auch was Rib's Umwandlung angeht, vermisse ich nichts (ich geh' mal davon aus, dass da noch was kommt :wink:), höchstens, dass Rib selbst sich vielleicht ein paar mehr Gedanken dazu gemacht hätte.
Vielleicht noch ein paar Details: mich hat gewundert, die Aphorismen zum Kapitelbeginn fand ich etwas unpassend und aufgesetzt. Die einzigen für eine solche Single ('Charakterstudie') passenden Aussprüche stammen für mich von dem Charakter selbst, die anderen sagen halt nicht wirklich etwas über Rib aus. Und die Anhalter-Anspielung wäre etwas subtiler vielleicht noch interessanter gewesen. ;)

Gruß Silly

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