Der Hexer (Teil 2)

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von Oberfeldwebel Araghast Breguyar (FROG)
Online seit 10. 04. 2005
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Hier spricht Eddie Wollas wieder! Sind Sie nach dem ersten Teil der Erzählung immer noch geistig bei voller Gesundheit? Ja? Und wollen Sie wirklich ein zweites Mal Ihren Verstand aufs Spiel setzen? Dann machen Sie sich bereit für den zweiten Teil der Reise in die Abgründe des Wahnsinns...

Dafür vergebene Note: 15

Anmerkung des Autors: Einige der hier dargestellten Wächter entsprechen nicht ihren Pendants in 'unserer' Wache. Das wollte ich nur kurz gesagt haben.




On through the heat
I've felt the touch of evil
I still feel
The icy claw in me
(Blind Guardian - The Soulforged)



Die 102. Verschwörung


Mit einem warmen Gefühl im Magen, welches von vier kräftigen Schlucken Bärdrückers stammte, und einer Pfefferminzpastille zwischen den Zähnen klopfte Araghast an die Bürotür des SUSI-Abteilungsleiters. Insgeheim fragte er sich, was er eigentlich bei Humph sollte, doch dieses Agentenschwein Johann Zupfgut hatte sich ziemlich eindeutig ausgedrückt und der Feldwebel hoffte, endlich eine plausible Erklärung für den ganzen Spuk zu bekommen der seit seinem Erwachen über ihn hereingebrochen war. Ziemlich energisch klopfte er an.
"Herein." forderte ihn eine männliche Stimme zum Eintreten auf.
"Sör, ich weiß nicht was hier los ist, aber..." begann Araghast, kaum daß er die Tür hinter sich geschlossen hatte, und brach mitten im Satz ab.
Hinter dem Schreibtisch des Abteilungsleiters lümmelte Larius de Garde, auf dessen Schulterklappen die Rangabzeichen eines Fähnrichs prangten.
"Wo ist MeckDwarf, Larius?" fragte der Feldwebel völlig perplex. "Und wieso bist du plötzlich Offiziersanwärter?"
"Wie viel hast du schon wieder getrunken, Breguyar?" fragte Fähnrich de Garde streng.
"Wieso getrunken?" schnappte Araghast. Allmählich verlor er die Geduld. "Entweder du sagst mir jetzt sofort was hier gespielt wird oder ich werde wirklich wütend!"
Larius schüttelte nur den Kopf.
"Kein Wunder, daß dich alle Feldwebel Saufnase nennen." bemerkte er. "Jetzt hast du sogar schon vergessen wer der Leiter deiner eigenen Abteilung ist. Langsam wird es wirklich ernst, Breguyar. Wie viele Verfahren wegen Alkoholkonsum im Dienst hattest du schon?"
"So besoffen, daß ich vergesse wer hier welche verdammte Abteilung leitet kann ich gar nicht werden!" fauchte Araghast und schlug mit der Faust auf die Schreibtischplatte. "Und warum saß ich plötzlich wieder in meinem alten Püschologenbüro? Was hat Zupfgut hier als Agent zu suchen?"
Krachend fiel der Schreibtischstuhl um als Larius aufsprang.
"Du vergisst dich, Feldwebel Breguyar!" sagte er scharf. "In deiner Situation würde ich es mir nicht leisten, mich mit einem Vorgesetzten anzulegen. Und hoffentlich bleibt es jetzt in deinem in Alkohol ertränkten Verstand hängen, daß Humph MeckDwarf dein eigener Abteilungsleiter ist!"
"Ihr seid doch alle verrückt geworden..." murmelte Araghast nur, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Büro auf der Stelle. Draußen lehnte er seine Stirn gegen die kühle Wand und kniff sich an der Stelle an der sich die Messerwunde befand in den Arm. Der stechende Schmerz ließ ihn die Zähne zusammenbeißen und immer noch erwachte er nicht.
Dunkel erinnerte sich der Feldwebel an den Traum den er gehabt hatte und das ihm dort erschienene Deja-vu mit Zupfgut. Manipulierte das Ding aus den Kerkerdimensionen, das frei in der Stadt herumlief, auch seine Träume und Gedanken? Hielt es auch ihn in seinem Netz aus Schrecken und Halluzinationen gefangen?
"Als ob ich nicht schon genug eigene Sorgen hätte." brummte Araghast mißmutig und machte sich auf den Weg zum Büro der FROG-Abteilungsleitung während ihm durch den Kopf ging, daß er vermutlich noch lange nicht genug getrunken hatte.

Das Gesicht Humph MeckDwarfs drückte Müdigkeit und Trauer aus als Araghast eintrat und kurz salutierte.
"Was soll ich mit dir nur machen, Feldwebel?" fragte er seufzend. "Zupfgut war eben hier. Das ist jetzt schon die dritte Anzeige wegen Trunkenheit im Dienst."
"Entschuldigung, Sör, aber vielleicht kannst du mir erklären, warum die gesamte Wache plötzlich verrückt spielt." Araghast trat an den Schreibtisch und beugte sich vor. "Zupfgut ist seit über einem Jahr tot. Er hat sich in seiner Zelle erhängt nachdem er versucht hat, Kommandeur Ohnedurst zu schaden. Ich habe seine Leiche mit eigenem Auge gesehen."
Der Oberleutnant sah ihn an als wäre er ein Gespenst.
"Was redest du da?" fragte er. "Und wer ist Kommandeur Ohnedurst?"
Araghast atmete tief durch.
"Vampir, bleich, hat einen Balken in seinem Büro, IA-Agent, saugt widerliche, stinkende Rote Beete-Knollen und ist zufälligerweise der Kommandeur dieses Vereins." gab er mit dem letzten Rest an Selbstbeherrschung zurück der ihm noch geblieben war.
"Du solltest dich dringend zum Püschologen begeben." murmelte Humph. "Du redest irre. Es gab nie einen Mann namens Ohnedurst in der Wache und schon gar keinen Vampir. Und leider, leider erfreut sich Hauptmann Zupfgut bester Gesundheit wie man an meiner eigenen Degradierung erkennen kann. Eine Sache die dir jetzt wahrscheinlich auch blüht."
"Dann verstehe ich gar nichts mehr, Sör." Frustriert ließ sich Araghast in den Besucherstuhl sinken und griff zu der ersten Ausrede die ihm einfiel.
"Ich glaube, ich bin gestern Abend auf der Treppe ausgerutscht und habe mir den Kopf angeschlagen." erklärte er. Wenn die anderen schon ihr Spiel mit ihm spielten dann spielte er auch sein Spiel mit ihnen. "Und seitdem habe ich leichte Erinnerungslücken."
"Ja, du solltest dir wirklich ernste Gedanken um deine ewige Sauferei machen." sagte der Oberleutnant ernst. "Wir haben geahnt, daß es eines Tages schlimm endet."
Araghast verzog das Gesicht und wunderte sich, woher plötzlich alle von seiner Trinkerei zu wissen schienen.
"Ist es wirklich so auffällig?" fragte er vorsichtig.
Humph schnaubte.
"Auffällig ist gar kein Ausdruck. Seit diese Hochverräterin hingerichtet worden ist warst du nicht einen einzigen Tag lang nüchtern. Ich weiß, du hast sie geliebt." sagte er eine Spur sanfter.
"Hochverräterin?" fragte der Feldwebel ungläubig. "Ich? Wer..."
"Hast du das etwa auch vergessen?" fragte der Abteilungsleiter. "Leonata Eule, die Frau die versucht hat, den Patrizier zu stürzen? Du konntest wirklich von Glück sagen, daß die Geheimpolizei dich nicht gleich als Mitwisser mitverhaftet hat."
Araghast fühlte sich als hätte ihm ein Troll seine Faust in die Magengrube geschmettert.
"Das kann nicht sein." sagte er matt. "Lea hat nichts gegen Vetinari, im Gegenteil. Langsam reicht es mir wirklich wenn du versuchst mir einzureden, daß meine Braut tot ist, Sör. Ich will, daß dieses Spiel aufhört und zwar sofort! Das ist doch alles nur eine Verschwörung die ihr Wächter ausgeheckt habt um mir eine Lehre zu erteilen. Ich steige aus, hier und jetzt!"
Mit diesen Worten sprang er auf und stürmte aus dem Büro. In ihm wuchs die Überzeugung, daß alles doch ein rein abgekartetes Spiel war, so wie er selbst oft unwissentlich Leistungstests mit seiner Mannschaft durchgeführt hatte während selbige glaubten, sich in einem realen Einsatz zu befinden. Aber was auch immer sie vorhatten, er hatte sie durchschaut. Die Sache mit dem Büro war ein netter Trick gewesen und das Zupfgut-Double ebenfalls. Vermutlich steckte der Kommandeur dahinter und wer konnte sagen, daß es sich bei dem angeblichen Zupfgut nicht um eine von Kanndras Illusionen gehandelt hatte? Araghast knirschte mit den Zähnen. Sollten sie ihre Püscho-Spielchen mit jemand anderem spielen, doch nicht mit ihm. Und für den Traum würde sich auch noch eine Erklärung finden, da war er sich sicher. Mit geballten Fäusten richtete sich der Feldwebel zu seiner vollen Größe auf. Erst der entzogene Fischimbiss-Fall und nun auch noch das. Ihm einreden zu wollen, Lea sei tot. Dafür konnten sie alle etwas erleben, und zwar reichlich.
Entschlossen lenkte er seine Schritte in Richtung des FROG-Bereitschaftsraumes.

Beunruhigende Entdeckungen


Kopfschüttelnd stemmte sich Edwina Walerius vom Boden hinter dem Schreibtisch hoch und griff nach ihrem Hut, welchen sie bei ihrem Sturz verloren hatte. Die Frage, was bei allen Göttern soeben passiert war nagte am Verstand der Überwaldianerin. Im Laufe ihrer mittlerweile bald zwanzig Jahre währenden Tätigkeit als Vampirjägerin und später Okkultismusforscherin waren ihr einige seltsame Dinge unter die Augen gekommen, doch schlagartige Dunkelheit und ein anschließender Ruck der ihr den Boden unter den Füßen weggerissen hatte schlugen dem Faß ihrer bisherigen Erlebnisse den Boden aus. Seufzend stand Edwina auf und strich sich ihren Rock glatt. Dann wandte sie sich dem Schreibtisch zu von dem ihrer Vermutung nach das Übel ausgegangen war. Irgend etwas hatte dieser junge Zauberer, der jetzt ohnmächtig mit dem Gesicht nach unten auf der Platte lag, angestellt als seine Hand den Ruf des Cthulhupalhulhu berührt hatte.
Ein leises Stöhnen ließ die ehemalige Vampirjägerin aufhorchen und sie erinnerte sich an den riesigen, muskelbepackten Kämpfer der zusammen mit dem Magier ins Büro gekommen war. Vermutlich hatte es ihn ebenfalls von den Füßen gerissen. Edwina griff nach dem Buch und zog es vorsichtig unter dem Körper des Zauberers hervor. Verschmierte, dunkelrote Fingerabdrücke zierten die aufgeschlagene Seite und die Überwaldianerin identifizierte die Flüssigkeit sofort. Sie hatte bereits genug davon gesehen in ihrem Leben.
Wie klischeehaft, ging ihr durch den Kopf während sie Philipp Howards Kraftliebs Werk zuklappte und auf den Bürostuhl legte. Ein Buch über unvorstellbare Schrecken, mit Blut getauft.
Unwillkürlich blickte Edwina zur geschlossenen Bürotür und hoffte verzweifelt, daß kein Wächter innerhalb der nächsten Minuten auf die Idee kam, Araghast Breguyar einen Besuch abstatten zu wollen. Sie hatte nicht die geringste Ahnung wie sie einen vermutlich verletzten, ohnmächtigen Zauberer auf dem Schreibtisch und einen benommenen Krieger auf dem Teppich erklären sollte.
"Da hast du dirr aberr wiederr einmal ganz schön etwas eingebrrockt, Edwina." murmelte sie und legte ihre Hand auf die Schulter des Magiers um ihn zu schütteln.
"Aufwachen, Kamerrad." rief sie leise. "Wirr wollen doch nicht noch mehrr Ärrgerr mit diesen Wächterrn bekommen als unbedingt nötig."
Der Zauberer rührte sich nicht und Edwina beugte sich über den Schreibtisch um nach dem Kämpfer zu sehen. Dieser lag auf dem Rücken und starrte mit leerem Blick an die Decke während seine Lippen lautlose Worte formten. Unter seinem Körper ragte ein langer Holzstab hervor dessen Ende mit einem Kristall besetzt war.
"Verrdammt." fluchte die ehemalige Vampirjägerin hingebungsvoll und ließ einen ganzen Schwall weiterer Schimpfwörter in überwaldianischer Sprache folgen. Das Klügste wäre es, jetzt einfach zu verschwinden bevor jemand hereinkam und unangenehme Fragen stellte. Edwina biß sich auf die Lippen als ihre Neugierde gegen die Vernunft kämpfte und sie schließlich mit einem metaphorischen Tritt in den Allerwertesten zu Boden schickte. Jetzt wo sie den Anfang mitbekommen hatte wollte sie auch wissen was hinter der ganzen Sache steckte.
Entschlossen packte die Überwaldianerin den Körper des Zauberers und drehte ihn auf den Rücken, nur um gleich darauf frustriert durch die Zähne auszuatmen. Der junge Mann war tot, daran bestand kein Zweifel. Kein lebender Mensch besaß eine dermaßen bleiche Gesichtsfarbe und das frische Blut auf Lippen und Kinn des Magiers verhieß ebenfalls nichts Gutes.
Mittlerweile dreimal verdammt, dachte Edwina. Ein toter Zauberer forderte noch mehr unbequeme Fragen heraus als ein verletzter.
Mißtrauisch beäugte sie das ledergebundene Buch auf der Sitzfläche des Schreibtischstuhls und Nervosität ergriff Besitz von ihr. Etwas war geschehen als der Zauberer die Seiten berührt hatte und es war tödlich für ihn ausgegangen. Edwina erinnerte sich an die letzten Worte des jungen Mannes. Es ist magisch. Und sie hatte einfach so darin gelesen als wäre es eine ganz normale Legendensammlung, genau wie sie bereits unzählige Male in ihrem eigenen Kraftlieb-Werk, der Seelenschmiede, gelesen hatte ohne daß etwas Schlimmes passiert war.
"Ast-tsarlak..." wimmerte es plötzlich leise aus der Richtung des Kriegers. "Ast-tsarlak ibnatl goroth... Nein!! Ich will nicht... Ich kann nicht..."
Das klingt wie jemand der gerade sehr schlecht träumt, überlegte Edwina als sie um den Schreibtisch herumeilte. Der riesige, muskelbepackte junge Mann zuckte wie unter Krämpfen und seine weit aufgerissenen Augen rollten in ihren Höhlen umher. Feine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.
Edwina atmete tief durch, holte mit dem Fuß aus und trat dem Krieger kräftig in die Rippen, wobei sie sich die Zehen schmerzhaft an dem dicken Kettenhemd anstieß.
Mit zusammengebissenen Zähnen hüpfte sie auf einem Bein herum und schalt sich selbst für ihre Dummheit, gegen ein Geflecht aus massivem Metall zu treten. Durch die Tränen die ihr in die Augen geschossen waren sah sie, wie der junge Mann zu sich kam und ein Ausdruck größter Verwirrung sich auf seinem markanten Gesicht ausbreitete.
"Willkommen zurrück in derr Wirrklichkeit." stöhnte sie und ließ sich auf der Schreibtischkante nieder.
"Der Einer-für-alle-und-alle-für-einen..." sagte der Krieger tonlos und setzte sich auf. Immer noch leicht benebelt blickte er Edwina an.
"Wer sind Sie?" fragte er. "Und was... ist passiert?"
"Das kann ich auch nicht wirrklich sagen." antwortete Edwina und bewegte vorsichtig ihre Zehen. "Ich weiß nurr, daß ich ein grroßes Prroblem habe da ich mitten in einem Wachhaus in einem Bürro sitze in dem ein toterr Zauberrerr auf dem Schrreibtisch liegt und ich nicht errklärren kann warrum."
Die Verwirrung auf dem Gesicht des gewaltigen Kriegers wich schlagartig dem blanken Entsetzen.
"To...tot?" stammelte er, sprang auf und stürzte auf die reglos auf dem Schreibtisch liegende Gestalt zu. Kurz darauf atmete er erleichtert aus und machte sich an der Gürteltasche des Magiers zu schaffen.
"Er lebt." sagte er glücklich.
Verwundert verfolgte Edwina das Schauspiel und fragte sich, in was für eine Geschichte sie nun schon wieder hineingeraten war.
"Ich habe schon Leichen gesehen die sahen gesünderr aus." bemerkte sie.
Der Krieger blickte sie wütend an und schüttelte ein mit grüner Flüssigkeit gefülltes Fläschchen. Geschickt, als ob er es nicht zum ersten Mal tun würde, schraubte er mit seinen schwieligen Pranken den Deckel ab und hielt die kleine Phiole unter die Nase des jungen Zauberers.
"Werr seid ihrr beiden eigentlich überrhaupt?" erkundigte sich Edwina mißtrauisch und sah genau zu. "Und was wollt ihrr von Feldwebel Brreguyarr?"
"Das geht Sie nichts an." schnappte der Kämpfer und hob behutsam den Kopf des Magiers leicht an.
"So?" gab Edwina zurück. "Und ob mich das etwas angeht. Ich sage nurr Drreimal Glücklicherr Fischimbiss und verrspeistes Naherrinnenhirrn. Du brrauchst mich garr nicht so giftig anzusehen, Junge. Ich weiß eine Menge, wenn nicht sogarr mehrr als Brreguyarr, und ich kann euch helfen, falls err hierr nicht mehrr wiederr errscheint."
Ein kraftloses Husten unterbrach das Streitgespräch und die ehemalige Vampirjägerin drehte den Kopf in Richtung des Geräusches.
Die Augen des jungen Zauberers waren geöffnet und blickten fragend in Richtung des Kriegers. Dieser steckte das Fläschchen ein und strich dem Magier sanft über das Haar.
"Es ist alles in Ordnung, Kleiner." sagte er beruhigend.
Das glaubst auch nur du selbst, ging Edwina durch den Kopf und sie kräuselte ihre Lippen.
"Was ist denn mit ihm los?" erkundigte sie sich. "Schwindsucht im Endstadium?"
Der Krieger schüttelte den Kopf.
"Keiner weiß genau, was es ist. Der Kleine hat es schon sein ganzes Leben lang. Wir haben beide eine Menge durchgemacht heute Nacht und er braucht dringend Ruhe."
"Und warrum hast du ihn dann überrhaupt errst zurr Wache gebrracht und nicht in das nächste Bett?" hakte Edwina nach.
"Das ist es ja gerade warum wir hier sind." sagte der junge Kämpfer widerwillig. "Wir können nirgendwo anders hin. Heute Nacht wurde mein Haus angezündet weil man mich ermorden wollte." Er senkte seine Stimme als ob er befürchtete, daß jemand mithören könnte. "Wir werden gejagt. Ein Mann in dessen Körper ein Monster steckt ist hinter meinem Bruder und mir her um uns zu töten. Wir wissen zu viel. Man hat uns zu Feldwebel Breguyar geschickt weil er am meisten über den Hexer von Ankh weiß. Diese Romane, wissen Sie? Irgendwie sollen sie der Schlüssel zum Bekämpfen dieses Ungeheuers sein."
"Oh je." kommentierte Edwina. "Derr Hexerr von Ankh."
Nachdenklich musterte sie die beiden Brüder genauer. Sie hatte sie kurz erblickt als sie vor mittlerweile drei Tagen zusammen mit einigen anderen Zauberern Herrn Hongs Imbiss betreten hatten. Und jetzt tauchten sie auf der Flucht vor dem Ding das der Expeditionstrupp dort unten aufgeweckt hatte im Wachhaus auf und suchten nach Informationen über den Hexer. Und dann das Buch. Verstohlen schielte Edwina zum Schreibtischstuhl. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, daß der ledergebundene Wälzer sie unschuldig angrinste. Es gab so viele offene Fragen und sie war entschlossen, ihnen auf den Grund zu gehen.
Ruckartig stand sie auf und griff nach ihrem Regenschirm der an der Schmalseite des Schreibtisches lehnte.
"Verrgesst Brreguyarr errst einmal." sagte sie. "Ihrr beiden kommt mit mirr mit. Dorrt findet euch kein Ding aus den Kerrkerrdimensionen und wirr können in Rruhe überr den Hexerr und alles was damit zusammenhängt rreden. Den Feldwebel schnappe ich mirr späterr." Sie bückte sich und hob den Zauberstab vom Boden auf.
"Aber der Ermittler hat uns gesagt wir sollen hier auf ihn warten." protestierte der Krieger. "Und woher sollen wir wissen, daß wir Ihnen überhaupt trauen können?"
"Verrgesst auch den Errmittlerr." fuhr Edwina ihm über den Mund. "Ihrr beiden müsst euch errst einmal ausrruhen und dann sehen wirr weiterr. Und was das Trrauen betrrifft - Wirr schieben sozusagen alle das gleiche Schiff überr den Ankh. Ihrr wollt etwas überr den Hexerr wissen und ich ebenfalls." Sie marschierte einmal um den Schreibtisch herum und nahm das Buch an sich während der Kämpfer seinen Bruder behutsam aufhob. Die Augen des jungen Zauberers waren bereits wieder geschlossen.
"Also los jetzt." kommandierte die Überwaldianerin und schritt zur Tür.
Als sie sich verstohlen auf dem Flur umsah stutzte sie plötzlich. Entweder spielte ihr ihr Gedächtnis einen Streich oder etwas stimmte mit der Realität nicht. Das Büro Araghast Breguyars hatte sich hinter der zweiten Tür auf der rechten Seite von der Treppe aus befunden, doch Edwina blickte auf einen schmalen Korridor der nach wenigen Metern um eine Ecke verschwand. Verwirrt las sie das Schild neben der Tür.

Feldwebel Araghast Breguyar
Püschologe


Hatte dort nicht vorhin unter dem Namen noch Abteilungsleiter gestanden?
"Was ist?" erklang die Stimme des Kriegers ungeduldig hinter ihr.
"Ich weiß nicht." murmelte Edwina. "Der Flurr sieht auf einmal ganz anderrs aus."
Schulterzuckend trat sie nach draußen, mit der linken Hand Zauberstab und Regenschirm und mit der rechten Hand Philipp Howards Kraftliebs Ruf des Cthulhupalhulhu festhaltend.
Schweigend bewegte sich die merkwürdige Prozession um mehrere Biegungen bis sie schließlich vor der Treppe standen.
"Warrtet hierr." flüsterte Edwina und stellte sich an das obere Ende der Treppe.
"Zweite Tür rechts." sagte sie vor sich hin und schritt beinahe feierlich die Strecke ab. Neugierig beugte sie sich über das Schild.

Oberleutnant Humph MeckDwarf
Abteilungsleiter F.R.O.G.


lautete die Beschriftung auch nach dem dritten Studieren. Innerlich völlig verwirrt kehrte Edwina zur Treppe zurück.
"Hierr ist etwas sehrr faul. Wirr sind in ein Bürro hineingegangen und aus einem anderren wiederr herrausgekommen" erklärte sie nachdenklich.
Der Kämpfer nickte langsam.
"Zweite Tür rechts." wiederholte er. "Wir haben diese Wächterin mit dem grauen Gesicht noch gefragt gehabt."
Edwina befreite das Buch aus ihrem Umhang und hielt es prüfend hoch.
"Zwei Perrsonen können sich nicht irren." stellte sie fest und klopfte mit dem Daumen auf den Einband. "Also bleibt nurr noch die anderre Möglichkeit, daß in dem Moment als dein Brruderr das Buch berrührrt hat etwas passierrt sein muss."
Grübelnd drehte sich die ehemalige Vampirjägerin um und stieg die Treppe hinunter. Eigentlich hatte sie nur den Stockdegen des Turisas Linistar anschauen und ein wenig Klartext mit einem Wächter reden wollen und jetzt befand sie sich zusammen mit einem halbtoten Zauberer und einem leicht begriffsstutzigen Krieger in einem Wachhaus dessen Zimmer und Wächterspezialisierungen plötzlich verrückt spielten. Eddie Wollas hatte in seinen Hexer-Werken oft über Dimensionssprünge und parallele Realitäten geschrieben, doch Edwina hatte nie daran geglaubt, daß ihr selbst einmal so etwas passieren würde. Dabei konnte es gar keine andere Erklärung für das Geschehene geben, so verrückt es auch klang.
Die Überwaldianerin bedachte den verwirrt dreinblickenden Tresenwächter mit einem strengen Blick. Wenigstens bei ihm handelte es sich noch um den gleichen jungen Mann namens Falko Spindel wie vor einer Viertelstunde.
"Halt, Stehengeblieben, wo wollen Sie hin?" rief der Rekrut diensteifrig und kam hinter dem Tresen hervorgelaufen um sich der Gruppe in den Weg zu stellen.
Verstohlen sah Edwina sich um ob andere Wächter in der Nähe waren, doch sie konnte niemanden entdecken.
"Befehl von Feldwebel Brreguyarr." sagte sie kurz und wies mit einem Kopfnicken auf den mittlerweile wieder weggetretenen Zauberer der schlaff in den Armen seines Bruders lag. "Wirr sollen ihn zurr Univerrsität brringen."
"Zur..." Der Rekrut runzelte die Stirn und die Überwaldianerin meinte, ein kurzes Aufblitzen von Abscheu in seinen Augen zu sehen als er den Zauberstab in ihrer Hand wahrnahm.
"Du hast rrichtig gehörrt." sagte sie kühl. "Also mach Platz."
Widerwillig trat Falko Spindel beiseite und gab den Weg frei und die kleine Gruppe eilte aus dem Wachhaus.
Nachdem sie hinaus in den Regen getreten war atmete Edwina erleichtert auf und öffnete umständlich ihren Regenschirm, um ihn anschließend über die Spitze des Zauberstabs zu stülpen.
"Bin ich froh, daß wir da raus sind." sagte der Krieger und wickelte seinen bewusstlosen Bruder fester in seinen Umhang um ihn notdürftig vor der allgegenwärtigen Nässe zu schützen. "Ich hatte da drin ein ganz ungutes Gefühl."
Die ehemalige Vampirjägerin nickte.
"Holoferrnesstrraße und dann überr die Sentimentale Brrücke bis zum Zentrralfrriedhof." beschrieb sie den Weg. "Schaffst du es?"
"Der Kleine wiegt nicht viel und ich bin stark." antwortete der junge Kämpfer. "Manchmal glaube ich, er hat den ganzen Grips und ich die ganze Kraft abbekommen. Ungerecht ist die Scheibe."
"Ja." stimmte Edwina seufzend zu und schritt voran, sorgfältig den größten Pfützen ausweichend. Plötzlich wandte sie sich um.
"Jetzt habe ich mich immerr noch nicht vorrgestellt." merkte sie an. "Mein Name ist Edwina Dorrothea Walerrius und ich arrbeite im Berreich derr okkulten Nachforrschungen. Daherr auch mein Interresse an derr Geschichte mit dem Fischimbiss und allem was damit zusammenhängt. Ich habe mich lange mit dem Hexerr von Ankh beschäftigt."
Bei der Erwähnung des Hexers verhärtete das Gesicht des Kriegers sich.
"Es ist nur eine Romanserie hat man uns gesagt." erklärte er zum wiederholten Male.
Edwina lächelte.
"Das stimmt nicht ganz. Einst gab es ihn wirrklich. Aberr das können wirr späterr besprrechen wen derr Kleine sich errholt hat." Sie blieb stehen und betrachtete nachdenklich das stille, von Regentropfen benetzte Gesicht des jungen Zauberers. "Wie heißt err eigentlich wirrklich?" fragte sie. "Kleinerr ist doch kein Name, auch wenn err herrvorragend zu ihm passt."

Zukunftsträume


"Ha! Huijaaaaah!"
Mit einem pfeifenden Geräusch zischte der lange Holzstab durch die Luft und der junge Mann sprang in eine Position, die er für eine geeignete Abwehrhaltung hielt.
"Haiiiii- jah!"
Er vollführte einen komplizierten Luftsprung, verhedderte sich in seinen eigenen Beinen, stolperte bei der Landung über seine improvisierte Waffe und schlug wenig elegant auf dem Boden auf.
"Mist." murmelte er und rieb sich den schmerzenden Ellenbogen. Es war schon nicht leicht, dafür zu trainieren, ein Hexer zu werden. Seufzend strich er sich die mühsam mit diversen alchemistischen Mitteln gebleichte Haarsträhne aus dem Gesicht. Wenn es doch bloß mit der Magie klappen würde...
"Robert!"
Klappernd fiel der Holzstab zu Boden.
"Was ist denn, Mutter?" rief der junge Mann zurück.
"Meine Güte, du machst mal wieder einen Lärm, das ist ja nicht zum Aushalten!" keifte eine Frauenstimme. "Willst du denn das ganze Haus abreißen?"
Robert Kratzmich seufzte erneut. Warum konnte seine Mutter bloß nicht verstehen, daß er zu Höherem berufen war als Aushilfsgärtner in der verrufenen Unsichtbaren Universität zu sein? Seit jener Nacht vor einem guten halben Jahr, als er von einer Zechtour auf dem Heimweg gewesen war und in einer Nebengasse einen Mann mit allen Regeln der Kunst gegen ein krallenbewehrtes Ungeheuer hatte kämpfen sehen sah er es als seine Bestimmung an, genau so zu werden wie dieser Fremde, der sich selbst nur der Hexer genannt wurde. Wie gebannt hatte Robert zugesehen wie der Mann das Monster schließlich mit einem gezielten Stich seines schlanken Degens tötete und es zu Staub zerfiel. Als sich der Fremde davongemacht hatte, war Robert ihm heimlich nachgeschlichen, doch nicht vorsichtig genug, denn nur zwei Straßenecken weiter hatte der Mann mit der schneeweißen Haarsträhne ihm aufgelauert und ihn am Kragen gepackt.
Wage es niemals wieder, dem Hexer von Ankh zu folgen wenn dir dein Leben lieb ist waren seine Worte gewesen bevor er Robert eine kräftige Kopfnuß gegeben und ihn schließlich laufen gelassen hatte.
Diese Begegnung hatte den jungen Mann für den Rest seines Lebens geprägt und in ihm ein Feuer entzündet das nie wieder erlöschen würde.
"Und jetzt komm endlich runter, das Frühstück wird kalt!" forderte Frau Kratzmich in einem Tonfall, der keine Widerrede zu dulden schien.
"Ach Mist." Robert warf seine improvisierte Waffe in die Ecke und schlurfte die Treppe hinunter.

Blut und Schrecken


Einen Haufen nicht druckfähiger Flüche ausrufend warf Araghast die Tür des Püschologenbüros hinter sich zu und sank dagegen. Im FROG-Bereitschaftsraum hatte er lediglich einen halb in Tränen aufgelösten Ktrask vorgefunden dem er nach einiger hartnäckiger Fragerei schließlich entlockt hatte, daß dessen Geliebter Magane Schneyderin aufgrund der Ermordung ihres Ehegatten der Strang drohte und die Hinrichtung nur bis zur Geburt ihres gemeinsamen Kindes ausgesetzt worden war. Von einer Kanndra Mambosamba oder einem Valdimier van Varwald hatte der Gefreite angeblich noch nie gehört. Auch in den jeweiligen Büros war der Feldwebel nicht fündig geworden. Dafür waren ihm zwei Wächter in grüner FROG-Uniform über den Weg gelaufen die er noch nie zuvor gesehen hatte. Einer davon war ein Hauptgefreiter gewesen und einer sogar Korporal. Doch seine Freunde schienen wie vom Erdboden verschluckt.
Verstohlen schielte Araghast zur Klappe des Rohrpostsystems. Er würde jetzt die Probe aufs Exempel machen.
"Reggie!" brüllte er. "Schieb deinen nach Würstchen stinkenden Arsch sofort hier hoch!"
Es dauerte keine drei Sekunden und die Klappe schwang auf.
"Was gibts, Schnapsdrossel?" fragte der fingergroße Meldedämon und stemmte die Hände in die Hüften. "Ist dir der Fusel ausgegangen und jetzt brauchst du jemanden zum Reden?"
Araghast unterdrückte den Impuls, sich die kleine Kreatur zu greifen und sie zwischen seinen Fingern zu zerquetschen.
"Sag Kanndra und Valdimier, daß ich sie sofort sprechen will!" fauchte er stattdessen.
Reggie streckte ihm die Zunge heraus.
"Wer ist das denn?" fragte er. "Kenn ich nicht."
Araghast fletschte die Zähne.
"Hör zu, ich habe jetzt wirklich keine Lust, groß mit dir rumzustreiten. Ich warne dich, ich bin mies gelaunt. Also mach jetzt keine Mätzchen, klar?" herrschte er den Dämonen an.
Dieser zuckte nur mit den Schultern und fischte in den Tiefen seiner vom Würstchenfett speckigen Hosen nach einer Zigarette.
"Ich sagte doch, ich kenn die beiden nicht." erklärte er. "Wohl wieder mal zu viel gesoffen, daß du mich jetzt schon nach Leuten schickst die es nicht gibt, was?"
"Reggie, tu mir einen Gefallen." seufzte Araghast resigniert. "Verschwinde einfach und vergiß, daß dieses Gespräch stattgefunden hat. Und wenn du Lust hast, Ärger zu machen, stell irgendwas in Zupfguts Büro an falls das existiert."
Der Meldedämon salutierte spöttisch und grinste.
"Zu Befehl, Schnapsdrossel." brüllte er zackig und verschwand in der Röhre.
Araghast wanderte hinüber zu seinem Schreibtisch und ließ sich in den Bürostuhl fallen. Hektisch zerrte er die unterste Schublade auf und gönnte sich zwei Schlucke Bärdrückers. Anschließend verkorkte er die Flasche wieder sorgfältig und stellte sie zurück. Vermutlich mußte sie noch etwas länger reichen und da wollte er nicht zu verschwenderisch mit der Medizin sein.
Nachdem er die Schublade mit einem gezielten Tritt geschlossen hatte lehnte sich Araghast zurück und schloß das Auge. Selbst Reggie schien in der Verschwörung gegen ihn mit drinzustecken. Gab es denn im ganzen Wachhaus keinen mehr dem er trauen konnte? Und wer steckte dahinter? Kommandeur Ohnedurst?
Der Feldwebel setzte sich auf und griff beinahe automatisch nach Papier und Stift. Das Aufschreiben und Gliedern der Fakten hatte ihm bisher immer geholfen. Doch mitten in der Bewegung hielt er inne und stutzte. Er hätte Stein und Bein schwören können, daß Der Ruf des Cthulhupalhulhu aufgeschlagen auf dem Tisch gelegen hatte als er das Büro verließ. Jetzt befand sich lediglich eine dunkle Pfütze von schätzungsweise fünf Zentimetern Durchmesser auf dem dunklen Holz.
Araghast runzelte die Stirn und tippte vorsichtig mit dem Finger in die kalte Flüssigkeit. Als er seine Fingerkuppe ins Licht hielt war sie dunkelrot.
"Blut." murmelte Araghast und presste die Lippen aufeinander. Was sollte dieser Blödsinn jetzt schon wieder? Er warf einen Blick auf seinen notdürftig mit dem Halstuch verbundenen Arm, verwarf die Idee jedoch gleich wieder. Der Ärmel seines Hemdes hatte das Blut aufgesaugt bevor es tropfen konnte. Darum gab es nur eine Erklärung - Wer auch immer es darauf angesetzt hatte ihn verrückt zu machen hatte sich einen weiteren dummen Scherz erlaubt während er auf der Suche nach seinen Freunden von Büro zu Büro geeilt war.
"Vergeßt es." erklärte Araghast der Welt im Allgemeinen. "Ich kriege euch, wer immer ihr auch seid. Und vor allem werde ich mir mein Buch wiederholen!"
Plötzlich fiel ihm ein mit wem er reden konnte wenn er nicht auch auf rätselhafte Weise verschwunden war.

Als Araghast das Büro Inspäctor Kolumbinis betrat überwältigte ihn das Gefühl, nach Hause zu kommen. Alles sah aus wie immer, bis hin zu der dampfenden Teetasse auf dem Schreibtisch des kleinen Ermittlers der gerade damit beschäftigt war, einen Bericht zu verfassen. Der Feldwebel atmete erleichtert auf. Vielleicht würde sich nun endlich alles klären.
"Guten Morgen, Bregs." Kolumbini sah auf. "Ich habe schon gehört, daß du Ärger hattest. Mein Beileid."
"Danke." antwortete Araghast automatisch und setzte sich.
"Ich muß unbedingt mit dir reden, Fred." sagte er leise. "Und zwar unter zwei Augen."
"Hier ist niemand. Igor habe ich heute zu Hause gelassen."
"Gut." Der Feldwebel entspannte sich ein wenig. "Also hör zu. Irgendwie ist hier eine gigantische Verschwörung gegen mich im Gange. Heute Morgen bin ich in meinem alten Püschologenbüro wieder aufgewacht und Humph ist urplötzlich wieder Abteilungsleiter der FROG. Außerdem sind Valdimier und Kanndra auf einmal spurlos verschwunden und nicht einmal die Rohrpostdämonen erinnern sich an sie. Und was dem Faß den Boden ausschlägt ist, daß Humph behauptet, Lea sei tot und daß jemand meinen Ruf des Cthulhupalhulhu gestohlen und dafür einen netten Blutfleck auf meinem Schreibtisch hinterlassen hat. Ich frage mich, was soll das?"
Kolumbini musterte seinen Freund mit gerunzelter Stirn.
"Geht es dir wirklich gut, Bregs?" fragte er.
"Nein." gab Araghast zurück. "Aber ich will wissen, wer für den ganzen Mist verantwortlich ist. Und dazu brauche ich deine Hilfe, Fred. Bitte! Hör verflucht noch mal auf, dich zu verstellen!"
"Ich glaube, dir geht es wirklich nicht gut." bemerkte der Ermittler trocken. "Lord Farrux hat deine geliebte Lea nun mal hinrichten lassen, auch wenn du die Erinnerung daran fleißig in Rum..."
"Lord wer?" schrie Araghast und hoffte inständig, sich soeben verhört zu haben.
"Unser ach so geschätzter Patrizier Lord Ephraim Farrux, falls du auch diesen Teil deines Gehirns schon dem Suff geopfert hast." Der Sarkasmus in Kolumbinis Stimme war nicht zu überhören.
"Das kann nicht sein." Araghast stand auf und versuchte, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. "Was ist mit Lord Vetinari passiert?"
"Wer ist Lord Vetinari?" bekam der Feldwebel innerhalb einer Stunde bereits zum zweiten Mal die gleiche Frage zu hören.
"Vergiß es." gab er müde zurück und winkte ab. "Ich habe mir gestern Abend den Kopf ziemlich übel angeschlagen und deshalb will mein Gedächtnis noch nicht wieder ganz so wie es soll. Vielleicht lege ich mich noch ein wenig hin."
"Tu das." stimmte ihm Kolumbini zu. "Vielleicht hörst du dann auch auf, dir Sachen einzubilden."
Mit einer einzigen fließenden Bewegung war Araghast an den Schreibtisch herangetreten und beugte sich vor, bis sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von dem des Ermittlers entfernt war. Sein smaragdgrünes Auge funkelte gefährlich.
"Lüg mich nicht an, Fred." zischte er und beobachtete genüßlich, wie Kolumbini verwirrt zurückwich. "Wer spielt hier seine Spiele mit mir?"
"Ich weiß nicht, wovon du redest." sagte der Ermittler schroff und versuchte, dem bohrenden Blick des Feldwebels standzuhalten. "Aber du solltest wirklich dringend mal zum Püschologen gehen."
Araghast schnaubte wütend und ging ohne ein weiteres Wort.

Legenden und Ängste


Kamerun konnte das gleichmäßige Ticken der großen Standuhr nicht mehr ertragen. Rastlos schritt er zwischen Fenster und Kamin hin und her und lauschte ängstlich auf Geräusche vom Flur. Seit ihn diese Walerius freundlich aber bestimmt aus dem Gästezimmer geworfen hatte fühlte er sich nutzloser und verlorener als je zuvor in seinem Leben. Nun lag das Leben seines Zwillingsbruders ganz und gar in den Händen dieser Frau der er trotz ihrer Freundlichkeit nicht recht über den Weg traute.
Mit gerunzelter Stirn musterte er das Bild das über dem Schreibtisch hing. Die goldenen Augen mit den Stundenglaspupillen die aus den finsteren Wolken herausblickten beunruhigten ihn. Wie konnte diese Frau bloß so viel Zeit unter diesem verfluchten Blick verbringen ohne daß es ihr etwas ausmachte? Für Edwina von einem alten Freund lautete die Widmung am unteren Rand des Gemäldes. Was für ein alter Freund schenkte einer Dame ein solch dämonisches Bild?
Frustriert ließ sich Kamerun in einen der bequemen Sessel neben dem Rauchertischchen fallen und verbarg sein Gesicht in den Händen. Vor einigen Stunden noch hatte er in den Armen Britia Nachtwinds gelegen und geglaubt, daß alles gut werden würde. Und nun war es schlimmer gekommen als er es sich je hätte träumen lassen. Ein schlechtes Gewissen überkam ihn als er an die junge Mittländerin dachte. Die Adresse auf ihrem Küchentisch würde sie nur zu einer verbrannten Ruine führen. Ob er sie jemals wiedersehen würde?
Die Tür wurde geöffnet und Edwina Walerius schritt mit leise raschelnden Röcken ins Zimmer, das Buch aus dem Wächterbüro unter den Arm geklemmt.
"Derr Kleine schläft tief und fest." sagte sie mit ihrem harten, schweren Akzent und lächelte. "Es wirrd auch noch einige Stunden dauerrn bis err wiederr aufwacht, so errschöpft wie err ist. Und nein, du solltest ihn jetzt besserr in Rruhe lassen." erahnte sie Kameruns Gedanken schon bevor er seine Bitte aussprechen konnte und legte das Buch auf dem Schreibtisch ab. "Möchtest du etwas trrinken? Igorrina ist gerrade beim Einkaufen aberr ich habe noch Kaffee, Tee und einige Arrzneien da."
"Nein Danke." lehnte der junge Krieger ab.
"Dann nicht." Die Walerius griff nach der gläsernen Karaffe die auf dem Schreibtisch stand und schenkte das danebenstehende Wasserglas zu einem guten Drittel voll. "Ich habe nach alldem jedenfalls einen krräftigen Schluck nötig." Sie durchquerte das Zimmer und ließ sich völlig undamenhaft in den freien Sessel plumpsen.
"Ah, das tut sehrr gut." seufzte sie und nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas.
"Warum helfen Sie uns eigentlich?" fragte Kamerun.
Die Antwort war ein amüsiertes Lachen.
"Du trraust mirr wohl immerr noch nicht, Junge." stellte die Walerius fest. "Aberr da bist du lange nicht derr einzige. Die meisten Menschen weigerrn sich harrtnäckig, mirr zu trrauen. Und das meistens auch aus gutem Grrunde." fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu. "Achtzehn Festnahmen durrch die Stadtwache geben leiderr kein besonderrs positives Bild von mirr. Aberr wenn du es wissen willst: Ihrr beide, eurre Verrstrrickung in die Geschichte mit dem Fischimbiss und das was dorrt in Brreguyarrs Bürro mit dem Buch passierrt ist interressierrt mich. Ausserrdem konnte ich den arrmen Kleinen doch nicht einfach so in diesem Wachhaus dorrt liegenlassen."
Wider Willen mußte Kamerun lächeln. Egal wem sie begegneten, fast jeder begann sofort damit, Raistan nur noch den Kleinen zu nennen. Sein fünf Minuten jüngerer Bruder hatte etwas an sich, das diesen Spitznamen geradezu herausforderte.
"Und was ist nun mit dem Hexer?" forschte er weiter. "Der Kleine meint, nur der Hexer könnte dem Besessenen noch helfen. Einerseits hat er gehört, daß es nur eine Buchserie ist, aber jetzt behaupten Sie, daß es ihn wirklich gibt."
Edwina Walerius nickte.
"Es gab den Hexerr einst tatsächlich. Err starrb vorr ungefährr fünfundzwanzig Jahrren in derr Kaverrne unterr dem Drreimal Glücklichen Fischimbiss. Einerr von eurrerr Expedition hat seine Waffe mit ans Tageslicht gebrracht."
"Wenn er tot ist kann er uns nicht mehr helfen." bemerkte Kamerun düster.
"Offensichtlich nicht." Die Walerius stellte ihr Glas auf den Rauchertisch. "Aberr zuallerrerrst sollten wirr uns darrum kümmerrn, was genau dieses Buch mit uns angestellt hat. Ich selbst besitze ein ganz ähnliches Exemplarr vom gleichen Verrfasserr und es hat mirr noch nie etwas getan."
Der junge Held spürte wie sie ihn von oben bis unten taxierte.
"Ich bin euch beiden schon einmal begegnet." sagte sie schließlich langsam. "In gewisser Weise."

Edwina beschlich langsam aber sicher das Gefühl, daß der Besuch des Expeditionstrupps in Herrn Hongs Imbiss eine weitaus größere Geschichte losgetreten hatte als bisher vermutet. Stück für Stück tauchten immer weitere Bruchstücke der Legende des Hexers von Ankh auf. Zuerst der Stockdegen und nun die ungleichen Zwillinge, der schwächliche, kranke Zauberer und der große, starke Kämpfer. Der Überwaldianerin war, als stünde sie auf einem riesigen Thud-Brett und jemand hatte damit begonnen, die Figuren zu setzen. Doch wozu? Würde sich die Geschichte des Turisas Linistar wiederholen? Und was war mit der Realität wie sie sie kannte geschehen als der Zauberer auf das Buch gestürzt war? Auch in ihrer Wohnung waren Edwina einige Veränderungen aufgefallen. Die Platin-Plakette der Diebesgilde neben ihrer Wohnungstür sowie die Sammlung sämtlicher druckfrischer Eddie Wollas-Romanhefte waren spurlos verschwunden, genau wie das AEKI-Regal im Gästezimmer, an dessen Stelle nun ein klobiger Schrank stand den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Hoffentlich konnte der junge Magier eine vernünftige Erklärung abgeben sobald es ihm wieder besser ging. Wenn Edwina eines nicht leiden konnte dann war es, in Unwissenheit zu schweben.
Sie bemerkte, daß der junge Krieger namens Kamerun sie mißtrauisch anblickte. Er traute ihr vermutlich immer noch nicht über den Weg, aber da konnte sie ihm auch nicht helfen.
"Eine alte Legende die auch mit dem Hexerr zusammenhängt." erklärte sie kurz ihre Worte von eben. "Sie handelt von zwei ungleichen Brrüderrn wie euch, die am Ende gegeneinanderr kämpfen weil derr eine den anderren verrät und mit Hilfe derr Dinge aus den Kerrkerrdimensionen die Weltherrschaft an sich rreißen und zum Gott aufsteigen will. Ihrre Namen warren Cantorr und Turrisas Linistarr und sie lebten vorr etwa achthunderrt Jahrren."
Kamerun biß sich auf die Lippen und wurde bleich.
"Verrät?" fragte er nervös.
"Nach Strrich und Faden." antwortete Edwina und nippte an ihrem Glas. "Err zapfte zeitweilig auf magischem Wege die Krräfte seines Zwillings an um starrk genug zu sein, gewisse Dinge zu errschaffen die ihm helfen sollten, die URRALTEN RRIESEN zu unterjochen. Nachdem Turrisas auf derr Suche nach Macht das NECRROTELICOMNICON studierrt hatte warr err nicht mehrr derr Gleiche. Das Buch tötete ihn beinahe, doch err schaffte es, das darrin enthaltene verrbotene Wissen zu entschlüsseln und es schließlich fürr seine Zwecke zu nutzen."
Sie beobachtete, wie die Kinnlade des jungen Helden herunterklappte und seine Augen ihm fast aus dem Kopf fielen.
"Ich... ich hatte einen Alptraum." stammelte er. "Ich war der Kleine und er war ich. Er hatte seine magischen Kräfte an ein Monster verkauft um an meinen Körper zu kommen. Und dann ließ er mich einfach fallen..." Beinahe flehend blickte er Edwina an.
"Was willst du hörren?" fragte diese amüsiert. "Daß es alles nur ein Traum warr? Das kann ich dirr nicht sagen. Aberr die URRALTEN RRIESEN sind rraffinierrt. Wenn sie einen Menschen errst einmal in ihrren Fängen haben trreiben sie ihn mit grrauenhaften Trräumen und Halluzinationen langsam aberr sicherr in Wahnsinn und Verrzweiflung. Sie finden die schlimmsten Ängste ihrrerr Opferr herraus und quälen sie damit bis sie schließlich verrückt werrden." Sie beugte sich vor. "Was wärre dein schlimmsterr Alptrraum, Kamerrun Quetschkorrn?"
Der Krieger keuchte leise und die ehemalige Vampirjägerin konnte sich genau denken, was in ihm vorging. Höchstwahrscheinlich überlegte er fieberhaft ob er dieser seltsamen Frau der er immer noch nicht ganz über den Weg traute tatsächlich seine größte Furcht beichten sollte. Edwina nahm noch einen Schluck ihres zwergischen Skrinn-Freinn-Whiskys und wartete ab.
"Die Träume waren so schrecklich." sagte Kamerun schließlich tonlos. "Immer wieder sah ich den Kleinen brutal sterben und am Ende mich schließlich verraten. Dazu kamen Gebäude die einfach so nicht funktionieren können. Und diese goldenen Augen mit den Sanduhren als Pupillen waren überall. Sie beobachteten mich. Sie suchten nach mir. Ich habe versucht, nicht wieder einzuschlafen, aber es hat nie geklappt."
Die Überwaldianerin lächelte.
"Dein Brruderr bedeutet dirr sehrr viel, nicht wahrr?" hakte sie nach.
"Mehr als alles andere. Er sagte einmal, wir wären wie Ankh-Morpork, die eine Hälfte kann ohne die andere nicht sein. Ich bin seine Kraft und er ist mein Hirn. Ohne ihn würde ich jetzt wahrscheinlich als bettelarmer Kohlbauer versauern. Als er heute Nacht verschwunden war... ich bin beinahe verrückt geworden. Und wenn jemand auch nur daran denkt, ihm etwas Schlimmes anzutun, dann kriegt er es mit mir zu tun!"
"Dann hat das Ding also deine verwundbarrste Stelle gefunden." stellte Edwina fest und schluckte. Schnell trank sie einen Schluck Whiskey um sich nicht anmerken zu lassen, daß sie kurz davor war, zu weinen. Kameruns flammende Rede über geschwisterliche Bindungen hatte eine alte Narbe tief in ihrem Inneren wieder schmerzen lassen.
"Ich hatte auch einmal eine Schwesterr." sagte sie. "Sie warr sechs Jahrre jüngerr als ich, ein zarrtes, wunderrschönes Mädchen, so sanft wie ein Rrosenblatt."
Und meine kleine Anita wurde nur zwanzig Jahre alt, dachte sie den Satz zuende und stürzte den Rest ihres Getränkes in einem Zug herunter. Erleichtert nahm sie wahr, daß die Wohnungstür ins Schloss fiel und sie das Gespräch somit abbrechen konnte. Langsam wurde es ihr zu persönlich.
Ein leises Klappern ertönte und schlurfende Schritte bewegten sich über den Flur.
"Ihre Igorina?" fragte Kamerun mißtrauisch. Seine Hand lag auf dem Griff des langen Anderthalbhänders der von seinem Gürtel hing.
"Sonst hat niemand einen Schlüssel." antwortete Edwina knapp und stand auf. "Igorrina!" rief sie.
"Ja, Meifter?" erklang es fast postwendend hinter ihrer linken Schulter. "Und auferdem, wenn ich ef anmerken darf, wir haben doch fon vor langem aufgemacht, daf Fie mich Rogi nennen." Die lispelnde weibliche Stimme klang beinahe ein wenig verletzt.
Edwina drehte sich um und konnte gerade noch einen überraschten Ausruf unterdrücken. Das Wesen welches vor ihr stand war sowohl weiblich als auch Mitglied der großen Igor-Familie, doch handelte es sich nicht ihre seit acht Jahren treu dienende Igorina. Die Überwaldianerin biß sich auf die Unterlippe. Wieder etwas das nicht stimmte.
"Ich wollte dirr nurr Bescheid sagen, daß wirr Gäste haben, Ig... Rrogi." erklärte sie und versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen.
"Ja, Meifter." antwortete die Igorina und verschwand.
"Das ist ja..." staunte Kamerun. "Ich könnte schwören, daß ich sie schon mal im Wachhaus in der Kröselstraße gesehen habe, bevor das mit dem Buch passiert ist."
"Ich habe sie eben auch zum errsten Mal gesehen." Edwina zuckte mit den Schultern. "Meine Igorrina hat hellerre Haarre und ein ganz anderres Narrbenmusterr und bestand auch nicht auf einen anderren Vorrnamen. Aberr das ist wohl wiederr einerr dieserr Rrealitätsfehlerr."
Der junge barbarische Held erhob sich ebenfalls.
"Darf ich nicht doch nach dem Kleinen sehen?" fragte er vorsichtig. "Es ist nur..."
"Dann geh schon."
Die ehemalige Vampirjägerin sah schmunzelnd zu wie Kamerun beinahe davonschoß. Nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte trat Edwina an den Schreibtisch und öffnete die Schublade mit einem Schlüssel aus ihrer Rocktasche. Hektisch hob sie die dort liegenden Papiere an und sah darunter.
Eigentlich hätte ich mir gleich denken können, daß es auch weg ist, ging ihr durch den Kopf als sie alles wieder an seinen Platz zurücklegte und abschloß, schon in dem Moment als ich gemerkt habe, daß die Romane nicht mehr da sind. Sie nahm das Buch aus Feldwebel Breguyars Büro in die Hände und schlug das Inhaltsverzeichnis auf.
"Geschichten aus dem Cthulhupalhulhu-Mythos, gesammelt von Philipp Howarrds Krraftlieb." las sie halblaut während eine Bö den Regen gegen die Fenster prasseln ließ. "Interressant. Wirrklich interressant."

A.G.L.A.


Nachdem er in sein Büro zurückgekehrt war und sich mit zwei weiteren Schlucken Bärdrückers gestärkt hatte begann Araghast, seine Verschwörungstheorie zu revidieren. Eine so gute Illusion einer anderen Wirklichkeit konnte durch rein schauspielerische Mittel nicht erreicht werden, ganz abgesehen davon, daß der Feldwebel es Kolumbini einfach nicht zutrauen würde, ein derart falsches Spiel mit ihm zu spielen. Es mußte also etwas anderes dahinterstecken. Jemand mußte während er schlief die Realität manipuliert haben und Araghast kannte nur einen Weg, dies zu bewerkstelligen. Das Bild einer Ruine deren Dach in einem vielfarbigen Feuerball explodierte erschien vor seinem inneren Auge. Amüsante Gesellschaftsspiele in Lebensechtem Ambiente. Trotz des Verbotes des Patriziers mußte irgendwo in Ankh-Morpork ein zweiter Apparat gebaut worden sein, welcher jetzt gegen ihn verwendet wurde.
"Das A.G.L.A. hat dich." sagte der Feldwebel zu sich selbst. Doch wer konnte dafür verantwortlich sein, daß er sich in dieser Simulation einer von seinem alten Erzfeind Farrux regierten Stadt wiederfand? Es mußte jemand sein der ihn gut genug kannte um zu wissen was von allen Dingen auf der Scheibenwelt er am meisten hasste und fürchtete. Und da gab es nur wenige Personen. Lea, Julius, Mimi, Valdimier, Fred und Kanndra fielen ihm ein. Niemand dem er zutrauen würde, ihm so etwas anzutun.
"Ich kriege dich, wer immer du bist." knurrte Araghast und schlug auf den Griff seines Entermessers. "Und falls es dich interessiert: Ich haue mich jetzt für eine Runde aufs Ohr und bin gespannt was du mir in ein paar Stunden wieder für weitere Spielchen servierst! Ich habe dich durchschaut, vergiss das nicht. Und wenn ich dich erwische, dann wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein!"
Gähnend erhob er sich aus dem Schreibtischstuhl und schlurfte zu seinem Sarg. Beziehungsweise hatte er es vor, mußte jedoch feststellen, daß anstelle des Sarges ein schmales Feldbett unter dem Fenster stand. Verzweifelt stöhnte er auf, zerrte die Decke von der Pritsche und schickte sich an, darunterzukriechen. Ohne einen Deckel über dem Kopf konnte er nun einmal nicht vernünftig schlafen.

Unerwünschter Besuch


Die Bewohner des Bezirks Sirupminenstraße nannten sie meistens einfach nur die Voodoo-Frau. Sie wohnte und arbeitete in einem Kellerraum im Fischbeinweg schräg gegenüber der Taverne Oktariner Papagei und unter ihren unmittelbaren Nachbarn gab es niemanden der sich unmittelbar durch sie belästigt fühlte. Dennoch kursierten die verschiedensten Gerüchte über sie. Sie solle mit finsteren Mächten im Bunde sein und dunkle Magie anwenden um anderen zu schaden, wurde hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Außerdem war sie angeblich die Tochter eines Dämons, erweckte Tote und trieb unzüchtige Dinge mit zwielichtigen Gestalten. Dies behaupteten die ganz besonders gut Informierten. Aber meistens waren gerade sie es, die verstohlen zu der schlichten Kellertreppe schlichen und die Voodoo-Frau um Mittel und Pülverchen anflehten die ihre Männer munterer und sie selbst attraktiver machen sollten.
Doch was die Frauen des Bezirkes für das weitaus schlimmste Verbrechen der gennuanischen Zauberin hielten war die Tatsache, daß sie weder alt noch häßlich war, wie man es normalerweise von einer Hexe erwartete, sondern eine exotisch anmutende Schönheit in voller Blüte. Die Voodoo-Frau besaß eine schlanke, wohlgeformte Figur und Haut von einem schokoladigen Farbton. In ihren braunen Augen brannte ein seltsames Feuer und eine wilde, dunkle Lockenmähne fiel ihr reich über Schultern und Rücken. Wenn sie in einem ihrer all ihre Reize betonenden buntbestickten Kleider durch die Straßen schlenderte und der Schmuck an Ohren, Hals und Handgelenken bei jeder ihrer Bewegungen leise klimperte benötigte ein Großteil der Männer die ihren Weg kreuzten urplötzlich eine kalte Dusche und einige Liegestütze.
An diesem ganz bestimmten verregneten Mittag im Spätwinter saß die Voodoo-Frau in ihrem mit Tüchern und allerlei anderem esoterischen Klimbim verzierten Keller auf einem großen Samtkissen und meditierte, als plötzlich das Glockenspiel über der Tür bimmelte. Leicht ungehalten darüber, in ihrer Konzentration gestört worden zu sein öffnete sie die mit dunkler Schminke betonten Augen.
"Wer ist da?" rief sie.
"Bin ich hier richtig bei Madame Mambosamba?" fragte eine männliche Stimme und eine hochgewachsene Gestalt erschien hinter dem Perlenvorhang der das Zimmer von dem kleinen Vorraum abgrenzte.
"Ja, die bin ich." antwortete die Voodoo-Frau. "Kommen Sie herein."
Der Vorhang teilte sich und der Besucher trat ein. Als er die Kapuze absetzte und den Umhang zurückschlug stutzte die Gennuanerin. Was konnte ein Mann der seiner Kleidung nach zu schließen ein Zauberer war von ihr wollen? Sie traute den arroganten Schnöseln die sich gegen den allgegenwärtigen Kreuzzug des Patriziers gegen die Magie hinter den dicken Mauern ihrer Universität verschanzten nicht recht über den Weg. Mit einer einladenden Geste die ihre zahlreichen Armreifen zum Klingeln brachte wies sie auf einen klatschianischen Melkschemel in der Ecke.
"Setzen Sie sich doch." forderte sie ihren Gast auf. "Womit kann ich einem Magier helfen?"
Der Zauberer räusperte sich nervös und seine Finger krallten sich in seinen Bart.
"Es geht um ein Ritual." sagte er. "Dazu brauche ich die Hilfe einer Hexe."
Die Voodoo-Frau kräuselte skeptisch die Lippen. Noch nie in den drei Jahren die sie sich bereits in Ankh-Morpork befand hatte sie ein Zauberer gebeten, ihm in irgendeiner Form zu assistieren. Mit diesem Mann stimmte etwas nicht. Sie konnte seine Nervosität förmlich spüren.
"Um was für ein Ritual handelt es sich?" hakte sie in einem möglichst neutralen Tonfall nach.
"Das..." Ein Ruck ging durch den Körper des Zauberers. "Das kann ich jetzt nicht sagen. Aber Sie müssen mir helfen! Sonst passiert etwas Schlimmes!"
"Was passiert dann?" Langsam verlor die Gennuanerin die Geduld. "Wie soll ich Ihnen helfen wenn Sie mir nicht einmal sagen, was Sie wollen?"
"Nein!" wimmerte der Besucher plötzlich und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. "Laß mich..." Dann kippte er von seinem Schemel und begann zu zucken als ob er unter fürchterlichen Krämpfen leiden würde.
Die Voodoo-Frau erschrak und sprang von ihrem Kissen auf, um dem Zauberer zu Hilfe zu eilen. Doch als sie sich kaum erhoben hatte hörte der Anfall plötzlich auf. Der Magier hob den Kopf und blickte ihr direkt in die Augen.
Eine eiskalte Klaue des Entsetzens griff nach dem Herzen der Gennuanerin und sie taumelte zurück bis ihr Rücken an die tücherverhangene Wand des Zimmers stieß. Dies waren nicht mehr die Augen eines Menschen die sie fixierten. Die Iris hatte die Farbe von funkelndem Gold angenommen und die Pupillen besaßen die Form von Stundengläsern hinter denen die absolute Finsternis nur darauf wartete, ihr Selbst zu verschlingen.
"Und so bist du nicht willig, so gebrauche ich Gewalt, Sklavin!" krächzte die Stimme des Zauberers und schwankend kam er auf die Füße.
Das Amulett, welches die Voodoo-Frau niemals ablegte, begann sich zu erwärmen und die Gennuanerin spürte die vertraute Präsenz ihres Schutzgeistes im Raum. Gleichzeitig wurde sie ruhiger.
"Wer bist du?" fragte sie.
Ein meckerndes Lachen war die Antwort.
"Wer ich bin? Das wirst du noch früh genug erfahren, Sklavin! Dein Widerstand ist zwecklos! Jetzt komm!"
Der grausam veränderte Zauberer schnippte mit den Fingern und die Voodoo-Frau verspürte plötzlich den Drang, zu ihm zu kommen und all seine Befehle zu befolgen. Doch ihr Wille hielt stand. Die Tochter eines Dämons ließ sich nicht so schnell besiegen. Schon fühlte sie, wie sich etwas in ihr regte, das nicht menschlich war.
"Verschwinde!" schrie sie ihn an. "Verzieh dich und laß mich in Ruhe! Ich bin nicht das was du suchst!"
Ein mentaler Fühler tastete sie ab und zog sich so plötzlich zurück als hätte er auf eine metaphorische heiße Herdplatte gegriffen. Der Körper des Zauberers sackte in sich zusammen. Immer noch wie betäubt von dem plötzlichen geistigen Angriff tastete die Voodoo-Frau nach dem Dolch den sie hinter ihrem Rücken am Gürtel trug und zog die Waffe.
"Raus!" befahl sie.
Mühsam richtete sich der Zauberer auf. Seine Augen hatten sich in die eines Manschen zurückverwandelt.
"Helfen Sie mir!" keuchte er und wich zurück als sein Blick auf die erhobene Klinge fiel. "Holen Sie den Hexer, er muß mich erlösen!"
Mit diesen Worten floh er. Das Glockenspiel über der Tür bimmelte wie ein ganzes Bataillon von Tempelglocken und krachend fiel die Tür ins Schloß.
Aufatmend ließ sich Kanndra Mambosamba auf ihr Kissen sinken und legte den Dolch beiseite. Mit zitternden Fingern griff sie nach dem Amulett.
"Wat, bist du da?" fragte sie und schloß die Augen.
"Ich bin hier." antwortete der Geist in ihrem Kopf.
"Gut." Die Voodoo-Frau seufzte. "Kannst du mir sagen, was bei allen Niederhöllen das da eben gewesen ist?"
Watwerbistdudenn antwortete nicht gleich und Kanndra glaubte schon, den Kontakt verloren zu haben, als sich ihr Schutzgeist plötzlich wieder meldete. Verwundert stellte sie fest, daß seine Stimme zitterte.
"Es gibt Dinge über die man nicht offen spricht." sagte er zögernd. "Einst gab es andere Götter als die heutigen hier auf der Scheibenwelt. Sie waren grausamer als es sich der menschliche oder auch der Verstand eines Geistes je vorstellen kann. Das was eben in diesem Zauberer gesteckt hat... war der Schatten einer dieser Monstrositäten."
"Was es nicht alles gibt..." murmelte Kanndra abwesend.
"Aufgrund deiner dämonischen Abstammung konnte das Ding dich nicht beherrschen wie es es eigentlich geplant hatte." fuhr Wat fort. "Wir haben Glück gehabt. Sonst wären wir jetzt Sklaven seines Willens."
Die Voodoo-Frau lehnte sich zurück und dachte nach. Etwas Seltsames geschah in der Stadt, teilten ihr ihre Instinkte mit. Sie mußte unbedingt mit ihrem einzigen Freund den sie in Ankh-Morpork hatte reden und hoffen, daß er nüchtern genug war um zu begreifen was sie ihm sagen wollte. Er stand im Dienst der Stadtwache, saß also quasi an der Quelle was Informationen betraf. Im Gegensatz zu ihr hatte er es geschafft, seine wahre Natur zu verheimlichen und war nicht noch während der Grundausbildung wieder gefeuert worden. Jeder hielt Araghast Breguyar für einen leicht verrückten Menschen mit ungesunder Hautfarbe und nur Kanndra wußte von seinem Geheimnis.
Ruckartig setzte sich die Voodoo-Frau auf und griff nach Schreibblock und Bleistift.

Schuldig


Araghast wurde unsanft geweckt, als jemand von oben auf das Feldbett schlug.
"Bregs, wach auf!" drang die Stimme Fred Kolumbinis durch die Nebel des Halbschlafs. "Es ist schon fast halb Drei! Ich muß mit dir noch mal über den Fischimbiss-Fall reden."
Leise vor sich hinbrummelnd krabbelte der Feldwebel unter der Pritsche hervor und stand auf. Gähnend rieb er sich sein Auge. Wenigstens fühlte er sich nicht mehr so verkatert wie am Vormittag als das gesamte Wachhaus verdreht erschien...
Schlagartig kehrte die Erinnerung an den Moment zurück als der eigentlich verstorbene Johann Zupfgut in der Uniform von Intörnal Affärs vor seinem Schreibtisch aufgetaucht war und ihn zusammengebrüllt hatte wie ein Ausbilder seinen ungehorsamen Rekruten. Schnell sah er sich um und stellte zu seiner Enttäuschung fest, daß er sich immer noch in seinem alten Püschologenbüro befand. Also mußte er immer noch ein Gefangener des A.G.L.A. sein.
"Stimmt etwas nicht?" erkundigte sich Kolumbini. "Du standest heute Morgen ja völlig neben dir selbst."
"Ne, ist schon wieder in Ordnung." beeilte sich Araghast zu versichern und ließ sich auf das Feldbett sinken. Also was ist jetzt mit dem Fischimbiss-Fall?"
"Er ist abgeschlossen." Der kleine Ermittler griff in seinen MANTEL und förderte eine Akte zu Tage die um einiges dünner war als Araghast sie in Erinnerung hatte. "Dieser Ewein Krawunkel wurde des Mordes für schuldig befunden und ins Gefängnis unter dem Palast geworfen. Korporal Lanfear hat ziemlichen Ärger von Hauptmann Zupfgut bekommen als sie die Sache weiterverfolgen wollte. Er hat sie eh auf dem Kieker nachdem sie die Leute von der Imbiss-Expedition wieder auf freien Fuß gesetzt hat ohne ihn vorher zu fragen."
"Und der Stockdegen?" fragte Araghast. "Was wird jetzt damit? Verschimmelt der nun in Skillas Büro?"
Kolumbinis irritierter Blick sagte ihm, daß er sich wieder einmal verplappert hatte. Vermutlich gab es keine Skilla in diesem A.G.L.A.-Programm.
"Wovon redest du jetzt schon wieder?" kam auch schon die Antwort. "Du solltest dir wirklich mal deinen Kopf untersuchen lassen, Bregs."
"Also wurde bei den Leuten die unten in Herrn Hongs Imbiss waren kein Spazierstock mit einem Knauf aus grünem Kristall gefunden?"
"Nein." Kolumbini steckte die Akte wieder weg. "Nur diesen komischen halben Spruch in dem Notizbuch von einem der beiden die der Steinschlag erwischt hat. Ironie des Schicksals, daß die beiden die dran glauben mußten Zwillinge gewesen sind. Zusammen geboren und auch zusammen gestorben."
"So kanns kommen." antwortete Araghast abwesend und stand auf. "Ich glaube, ich gehe wirklich mal zu Haupt... Oberleutnant MeckDwarf damit er meinen Kopf untersucht. Immerhin ist er mal Sanitäter gewesen. Man sieht sich."
Mit schnellen Schritten durchquerte er das Büro und schlüpfte auf den Flur. Dort angekommen eilte er um die nächste Ecke und wartete. Es dauerte nicht lange, da hörte er auch schon das vertraute leise Knarren seiner Bürotür und Schritte die sich rasch entfernen. Offensichtlich hatte Kolumbini den Köder geschluckt. Der Feldwebel wartete noch einen Moment und kehrte schließlich in sein Domizil zurück. Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen schloß er die Tür hinter sich ab.
"Reingelegt." sagte er halblaut und schob den Schlüssel in seine Hosentasche. Soso, dann hatten also in der künstlichen Welt zwei der Expeditionsteilnehmer das Abenteuer nicht überlebt und es existierten weder Skilla noch der Stockdegen. Und jetzt galt dieser Ewein Krawunkel offiziell als der Schuldige und der Fall landete bei den Akten.
Araghast trat ans Fenster und starrte in den Regen hinaus. Irgend etwas mußte er unternehmen um diesen Blödsinn möglichst schnell zu beenden. Doch wo bei allen Dämonen der Niederhöllen konnte man ein A.G.L.A. im Wachhaus verstecken, wo jeder freie Zentimeter genutzt werden mußte? Der Feldwebel schlug mit der Faust auf das Fensterbrett. Er mußte dringend alles noch einmal genau überdenken.

Kein Entkommen


Verzweifelt wehrte sich Robert Kratzmich gegen die Fesseln die ihm langsam aber sicher die Blutzufuhr an Händen und Füßen abschnürten. Der Knebel verbreitete einen fauligen Geschmack in seinem Mund und der junge Mann mußte sich zusammenreißen, um nicht zu würgen. Die Kapuze über seinem Kopf nahm ihm jegliche Sicht.
Doch sein Kampf hatte nur zu Folge, daß die Stricke schmerzhaft in seine Gelenke schnitten. Wer auch immer ihn kurz nach dem Mittagessen hinter dem Gartengerätehäuschen überfallen hatte verstand sein Handwerk.
Wäre er doch bloß der Hexer... Der Kämpfer der Schatten hätte mit seinem Entführer bestimmt kurzen Prozess gemacht und ihn in eine Kröte verwandelt. Leider war und blieb Robert Kratzmich jedoch Robert Kratzmich und stand fürchterliche Ängste aus. Als die starken Hände ihn plötzlich gepackt hatten war ein Gefühl über ihn gekommen als würde eine eisige Klaue nach seinem Herzen greifen und alle Lebensfreude in ihm erdrücken nur um Raum für die Abgründe der Finsternis zu schaffen. Was hatte sein Entführer mit ihm vor? Seine Mutter war zu arm um ein ernsthaftes Lösegeld von ihr erpressen zu können und sonstige reiche Verwandte gab es nicht. Vielleicht wollte man ihn als Sklave nach Klatsch verkaufen. Hin und wieder sollte es vorkommen, daß Sklavenhändler ihren Bedarf durch die Entführung armer Jungen deckten. Doch warum hatte man ihn dann hierher in diesen kalten Raum mit dem Steinfußboden gebracht, gefesselt, geknebelt und mit verbundenen Augen?
Mit einem durch den Knebel fast vollständig gedämpften Aufstöhnen gab Robert seinen Kampf gegen die Fesseln auf. Es hatte eh keinen Zweck, sich unnötig zu ermüden. Es blieb ihm gar nichts anders übrig, als hilflos der Dinge zu harren die kommen mochten, und diese Aussicht ließ ihn verzweifeln.

Jagdfieber


Edwina Walerius warf einen Blick auf ihre Taschenuhr und stellte erschrocken fest, daß es bereits kurz vor fünf war. Über der Lektüre des Rufs des Cthulhupalhulhu hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren gehabt. Müde schob sie eine ihrer Visitenkarten zwischen die Seiten acht und neun der Geschichte 'Schatten über Kneipenmünde' und legte das Buch auf die Schreibtischplatte. In einem der beiden Sessel neben dem Rauchertischchen schnarchte Kamerun Quetschkorn genüßlich vor sich hin. Kurz nach Mittag hatte Edwina ihn aus dem Gästezimmer geworfen damit er sich auch endlich einmal ausruhte.
Leise, um den Schlaf des jungen Kämpfers nicht zu stören, stand die ehemalige Vampirjägerin auf und verließ das Arbeitszimmer, den Kopf angefüllt mit wirren Gedanken die dringend geordnet werden mussten. Würde sie sich nicht in dieser absurden Situation befinden in der einige Dinge an der Welt falsch zu sein schienen wäre sie gerade vermutlich die glücklichste Frau der Scheibe. Sie verglich das Gefühl damit, einen unvermuteten Goldschatz zu finden. So unglaublich viel neues Material über den Cthulhupalhulhu-Mythos und seine Kreaturen... Doch was immer auch passiert war, es handelte sich nicht um ein Spiel. Dieses Mal war es im wahrsten Sinne des Wortes blutiger Ernst. Der Schatten eines Dings aus den Kerkerdimensionen ging in der Stadt um und tötete ohne Gnade jeden der sich seinen Plänen in den Weg stellte. Auch sie selbst hatte sich in Gefahr gebracht als sie den Zwillingen ihre Hilfe anbot.
Plötzlich musste Edwina lächeln. Gefahr war viele Jahre lang ihr hauptsächlicher Lebensinhalt gewesen und zog sie beinahe magisch an. Ohne dieses leichte Prickeln im Nacken erschien ihr das Leben langweilig. Sie war eine Jägerin und würde es in gewisser Weise immer bleiben. Zu lange hatte sie wahre Abenteuer immer nur durch Eddie Wollas' Gruselhefte erlebt. Jetzt, neun Jahre nach ihrem letzten erlegten Vampir, schlug ihre Stunde erneut.
Mit schnellen Schritten lief sie über den Flur und öffnete leise die Tür des Gästezimmers. Der leichte Anflug eines schlechten Gewissens überkam sie als sie das blasse, schmale Gesicht zwischen den Kissen betrachtete. Über ihrem aus Breguyars Büro entwendeten Schatz hatte sie völlig vergessen, einmal in der halben Stunde nach ihrem Patienten zu sehen. Niemand erwachte gern aus einer Ohnmacht um sich allein in einem völlig fremden Raum wiederzufinden, ohne jemanden in der Nähe dem er die in solchen Fällen klassische Frage 'Wo bin ich?' stellen konnte [1].
Vorsichtig schloss Edwina die Tür hinter sich und schlich auf Zehenspitzen zu dem Stuhl der neben dem Bett stand. Wenn sie schon gründlich nachdenken musste konnte sie es auch genauso gut hier tun und dabei ein Auge auf den Kleinen haben.

Das Buch welches der Wahnsinn schrieb


Mit einem leisen Knarren öffnete sich die dunkle, eisenbeschlagene Tür der Bibliothek der Unsichtbaren Universität und das unstete Flackern einer Laterne warf einen kümmerlichen Lichtschein auf die mit den Mitteln der reinen Mathematik unbestimmbare Anzahl von Regalen, jedes die Heimat mehrerer Dutzend eigensinniger Zauberbücher.
Leise betrat die Gestalt den saalartigen Raum. Die langen, reich bestickten Gewänder, der Stab und nicht zuletzt der spitze Hut zeichneten sie eindeutig als Zauberer höherer Stufe aus. Angespannt lauschte der Eindringling in die Stille, die nur gelegentlich durch das Rascheln vereinzelter Buchseiten und einige leise Schnarcher unterbrochen wurde. Nach einer Weile nickte der Zauberer zufrieden und setzte seinen Weg durch die Bibliothek fort. Vor einem wuchtigen Schreibtisch in der Mitte des Raumes blieb er kurz stehen und warf einen Blick unter die Platte. Das Ergebnis seiner Beobachtung führte zu einem weiteren zufriedenen Nicken. Mit dem Fuß schob der Zauberer eine Bananenschale beiseite und marschierte zielstrebig auf das mit Schutzrunen überzogene Tor zu, welches mit schweren Scharnieren in der Wand verankert war.

Sag Bescheid wenn du eintreten willst oder stirb eines grausamen und interessanten Todes


lautete die Gravur in dem steinernen Torbogen.
"Bescheid." zischte der Magier und erstaunlich geräuschlos schwang das Tor auf und gab den Blick auf ein dunkles Gewölbe frei.
Der Zauberer atmete tief durch, als müsse er sich konzentrieren.
Dann packte er seinen Stab und den Griff der Laterne fester und trat ein.
Nicht umsonst galt die verbotene Sektion der Bibliothek der UU als äußerst gefährlich für Leben und geistige Gesundheit. Denn hier lagerten, gesichert mit magischen Siegeln und armdicken Ketten aus Oktiron, die elementaren Zauberbücher, die Bücher, die teilweise, wie zum Beispiel das Oktav, vom Schöpfer des Multiversums selbst verfaßt worden waren. Die Bücher, mit denen eine ungeübte Person das Ende Groß-A'Tuins, der vier Elefanten und der Scheibenwelt heraufbeschwören konnte. Gesetzt der Fall, daß der Geist des Betreffenden nicht bereits nach wenigen Sekunden von dem Buch verschlungen wurde...
Ein leises Zischen erklang aus dem gewaltigen eisernen Faß, in dem, eingebettet in mehrere dicke Lagen Eis aus dem Zukunftsschweinefleischlager, die Froiden des tantrischen Sex mit Illustrathionen für den Fortgäschrittenen aufbewahrt wurden. Der Zauberer zuckte zusammen. Unaufhörlich bewegten sich seine Lippen, als er lautlos Schutzzauber formulierte. Er eilte an langen Reihen mit Bleiträgern gesicherter Regale vorbei und betrat schließlich einen langen, düsteren Gang.
Schnurgrade führte ihn sein Weg in die Tiefe. Gelegentlich passierte er mit allerlei magischen Zeichen und dicken Bolzen gesicherte Eisentüren. Einmal hörte er wie sich Etwas mit aller Macht gegen ein verriegeltes Portal warf.
Schließlich blieb er stehen und stellte die Laterne in eine Nische an der Wand. Das Portal vor dem er stand glühte schwach in einem ungesunden Gelb. Langsam wanderte der Blick des Magiers über das Tor und blieb an einem verschnörkelten Schriftzug hängen, der groß und deutlich, eher eine Warnung als eine Inhaltsangabe des sich dahinter befindenden Zimmers, in den Granit gefräst worden war, und ihn überkam plötzlich das Gefühl, als würde sich seine Wirbelsäule in Eis verwandeln. Er konnte die geballte Macht spüren, die hinter dieser Tür lauerte.
Hier lag es. Der destillierte Wahnsinn, zwischen zwei Buchdeckel gezwungen von Achmed dem Verrückten vor beinahe tausend Jahren. Das Werk welches alle Geheimnisse des Universums in ihrer unverhüllten Schrecklichkeit enthielt. Das Buch, welches in der Lage war, die Seele eines Individuums im Bruchteil einer Sekunde zu zerfetzen, nur um sie sich anschließend einzuverleiben.
Das NECROTELICOMNICON
Ein kleiner, erstaunlich schlichter Messingschlüssel hing einladend neben der Tür. Die zitternde Hand des Zauberers streckte sich aus, umklammerte ihn wie einen Rettungsanker und näherte sich dem Türschloß. Doch dann hielt sie zögernd inne.
"Nein." kam es flüsternd von den Lippen des Magiers. "Ich kann es nicht."
"Du wirst es tun." Der Klang der Stimme, welche in seinem Kopf ertönte, war das mentale Äquivalent der Fingernägel eines Schülers, die genüßlich über die kreideverschmierte Wandtafel gezogen wurden. "Du hast gar keine andere Wahl, Sklave. Oder willst du etwa, daß ich wieder deinen Körper übernehme?"
Der Zauberer seufzte resigniert als er sich an die vergangene Nacht und den Besuch bei der Voodoo-Frau erinnerte. "Das Buch wird mich zerreißen ehe ich es auch nur packen kann." flehte er die unsichtbare Stimme an. "Ich bin verloren!"
"Nicht wenn ich bei dir bin." knirschte die Antwort in seinem Kopf. "Denk daran, was die Alternative wäre, Sklave. Du wolltest doch unbedingt wissen was wirklich mit Herrn Hong geschehen ist..."
"Nein!" jammerte Emanuel Kaboltzmann verzweifelt. "Tu es nicht! Ich werde hineingehen. Wenn du mich beschützt."
Die unsichtbare Stimme lachte meckernd. "Es ist schließlich in meinem eigenen Interesse, daß du am Leben bleibst, Sklave. Ich brauche dich noch."
Der Zauberer atmete tief durch und konzentrierte sich. Dann schob er den Schlüssel ins Schloß.

Treffen


Araghasts Hand knüllte Kanndras Nachricht immer wieder zusammen während er durch den Regen zur Geflickten Trommel eilte. Was auch immer dieser Blödsinn jetzt schon wieder sollte, immerhin hatte er endlich einen Beweis in der Hand, daß seine Freundin und Stellvertreterin nicht gänzlich von der Bildfläche verschwunden war. Der Feldwebel begann, seine Verschwörungstheorien neu zu ordnen. Nachdem er den größten Teil des Nachmittags damit verbracht hatte, das Wachhaus möglichst unauffällig nach Spuren eines versteckten A.G.L.A. zu durchsuchen und nicht fündig geworden war konnte das eigentlich nur eines heißen: Die Simulation mußte sich auf einen größeren Raum als lediglich das Wachhaus erstrecken. Vielleicht würde er von Kanndra endlich brauchbare Antworten bekommen.
Ein mißmutig dreinblickender, muskelbepackter Mann stand neben dem Eingang zum Schankraum der Trommel und lehnte sich auf einen mit Nägeln gespickten Knüppel. Einen Moment lang fragte sich Araghast ob der übliche Zerreißertroll seinen freien Tag hatte, doch dann war er auch schon an dem Türsteher vorbei und betrat den vom Rauch unzähliger Zigaretten vernebelten Schankraum. Langsam schritt er durch die Tischreihen und musterte unauffällig die Kunden. Es handelte sich ausschließlich um Menschen die mehr oder weniger mürrisch in ihre Getränke starrten und sich mit gedämpften Stimmen unterhielten. Zur großen Verwunderung des Feldwebels erweckte niemand den Anschein, im nächsten Moment eine Schlägerei zum Zaun brechen zu wollen.
Jemand winkte ihm von einem kleinen Tisch in der hintersten Ecke des Schankraumes zu. Geschickt schlängelte sich Araghast durch die Lücken zwischen den Stühlen ohne jemanden anzurempeln und ließ sich schließlich auf den freien Stuhl gegenüber der jungen, dunkelhäutigen Frau fallen. Es handelte sich eindeutig um Kanndra, und doch irgendwie auch nicht. Sie war schlanker als die ständig ein wenig um ihre Figur besorgte Späherin die er kannte und benutzte weitaus mehr Schminke. Ihre wilden dunklen Locken hatte sie mit einem braunen Tuch gebändigt und unter ihrem Umhang blitzten eine bestickte Bluse und ein eng geschnürter Miedergürtel auf. Nervös spielten ihre mit mehreren Ringen besteckten Finger mit einem Taschentuch herum.
"Bregs." sagte sie und in ihrer Stimme schwang Erleichterung mit. "Ich bin so froh, daß du kommen konntest."
Araghast biss sich auf die Lippen. Eigentlich hatte er vorgehabt, seiner Stellvertreterin ordentlich die Meinung über Verschwörungen gegen Vorgesetzte zu sagen, aber ihre Erscheinung und ihr Verhalten hielten ihn zurück. Ihn beschlich das ungute Gefühl, daß auch sie nicht die leiseste Ahnung haben würde wovon er sprach, ganz abgesehen davon, daß sie es niemals geschafft haben konnte, im Laufe eines einzigen Tages schätzungsweise fünf Kilo abzunehmen. Vermutlich war auch diese Kanndra die da neben ihm saß lediglich eine Illusion die die Verschwörer die ihn in ihren Fingern hatten ihm vorgaukelten.
"Was ist los?" fragte er stattdessen diplomatisch. "Gab es irgendwo Ärger?" Mit einem Handzeichen bedeutete er Hibiskus Dunhelm, der zu seiner Beruhigung aussah wie immer, ihnen ein Bier, einen doppelten Untervektor-Rum und eines von diesen rätselhaften Getränken mit einer Kirsche drin zu bringen die manche Frauen so gern mochten.
"Ärger ist gar kein Ausdruck." Sie seufzte leise. "So etwas wie heute habe ich wirklich noch nie erlebt, nicht in drei Jahren als praktizierende Voodoo-Hexe."
Araghast machte sich sofort eine geistige Notiz.
"Hat dich jemand bedroht?" hakte er nach.
Kanndra schüttelte den Kopf und berichtete in knappen Worten, was am Mittag vorgefallen war.
Während er zuhörte merkte der Feldwebel, wie sich wieder ein Puzzleteilchen in das Gesamtbild einfügte. Wer auch immer diese A.G.L.A.-Simulation konstruiert hatte, er mußte zumindest teilweise von der Realität ausgegangen sein. Nur so war es zu erklären, daß ein eindeutig von einem Ding aus den Kerkerdimensionen besessener Mann plötzlich in Kanndras Hexenstube auftauchte und sie für irgendwelche grausigen Zwecke benutzen wollte. Innerhalb des Programms war der Fall Fischimbiss zu den Akten gelegt worden und der wahre Täter machte weiterhin fröhlich die Stadt unsicher. Insgeheim machte Araghast eine Bestandsaufnahme der Expeditionsteilnehmer. Die Zwillinge waren tot und dieser Krawunkel erwartete vermutlich gerade seine Hinrichtung. Da blieben nur noch der Leiter, der Kerl mit den Wollknäulen und der Messinstrumentenbastler übrig, wovon letztere keinen Bart trugen. Dies hieß, daß es sich bei dem Täter nur um diesen Kaboltzmann handeln konnte.
"Und kurz bevor er geflohen ist, sagte er noch etwas zu mir." berichtete Kanndra mit gesenkter Stimme, als ob sie nicht wollte, daß jemand ihre Worte mitbekam. "Er schien wieder er selbst zu sein und sagte, daß nur noch der Hexer ihn erlösen könnte."
"Der Hexer!" Schlagartig war Araghast so aufmerksam wie in einem Verhör.
Sie nickte.
"Frag mich nicht wer das ist. Ich habe hinterher mit..." Schnell unterbrach sie sich, als der Wirt die Getränke brachte und kassierte. Nachdem er wieder gegangen war fuhr sie fort.
"Mein Schutzgeist sagte etwas von uralten, grausamen Göttern. Es klang fürchterlich." Ihre Stimme zitterte leicht.
Araghast griff nach dem Rumglas und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter.
"Die URALTEN RIESEN." murmelte er. "Da hast du wirklich Glück gehabt, daß dieses... Ding dir nicht dein Gehirn gefressen hat, wie bei der Näherin vor ein paar Tagen." Er sah, wie Kanndra unter ihrer dunklen Haut bleich wurde.
"Kannst du nicht irgend etwas dagegen unternehmen?" fragte sie beinahe flehend.
Bedauernd schüttelte er den Kopf. Obwohl er sich sicher war, daß alles nicht echt war, tat ihm die andere Kanndra dennoch leid. "Der Fall ist offiziell zu den Akten gewandert." erklärte er. "Und Zupfgut verarbeitet mich zu verdammtem Hackfleisch wenn ich die Sache noch einmal wieder aufwärme."
Sie schien in sich zusammenzusacken.
"Manchmal überlege ich, ob ich nicht einfach zurück nach Gennua gehen sollte." sagte sie leise. "Langsam hasse ich diese Stadt mehr als alles andere. Lord Farrux erfindet immer neue Gesetze um den Bürgern das Leben schwer zu machen, die Geheimpolizei schnüffelt überall herum und die Wache wird von Idioten wie eurem Zupfgut regiert. Es hat einfach keinen Zweck mehr für mich hier zu bleiben."

Doppelte Ahnungslosigkeit


Auf Zehenspitzen betrat Edwina Walerius das Gästezimmer und setzte sich wieder neben das Bett. Wieder war sie um ein kleines Stück klüger. Das gründliche Studium einer Karte des Runden Meeres und den angrenzenden Ländern hatte ergeben, daß ein Ort namens Kneipenmünde tatsächlich nicht weit von der Mündung des Ankh entfernt existierte. Ob es dort auch wirklich seltsame Fischwesen gab die Bewohner des Dorfes mit sich in die Tiefe rissen war eine andere Frage und Edwina beschloss, sobald die echte Realität wieder hergestellt war, diesbezüglich Nachforschungen anzustellen. Erfahrung hatte sie gelehrt, nie einer Quelle zu trauen die sie nicht selbst geprüft hatte. Das galt selbst für die Werke von Philipp Howards Kraftlieb höchstpersönlich.
Ein schwaches Hüsteln aus der Richtung des Bettes weckte sie aus ihren Gedanken und sie drehte den Kopf. Ein Paar ernster, stahlgrauer Augen blickte sie an.
"Wo bin ich?" fragte der junge Zauberer flüsternd und leistete hiermit seinen Tribut zum Fluss der narrativen Kausalität.
Edwina gab sich alle Mühe, beruhigend zu lächeln.
"Du bist in meinem Gästezimmerr, Kleinerr." sagte sie freundlich und unterdrückte den Impuls, ihm durch das Haar zu streichen. "Hab keine Angst, hierr wirrd euch das Ding aus den Kerrkerrdimensionen nicht finden. Dein Brruderr hat mirr alles errzählt. Im Moment schläft err im Arrbeitszimmerr." Die Frage, was bei allen Göttern er in Breguyars Büro mit dem Buch angestellt hatte brannte ihr auf der Zunge und sie konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. "Geht es dirr besserr?" fragte sie stattdessen.
Ihr Gast nickte schwach.
"Und wer sind Sie?" wollte er wissen. "Sie saßen doch hinter dem Schreibtisch."
"Edwina Dorrothea Walerrius, Experrtin fürr okkulte Nachforrschungen und alles was mit dem Hexerr von Ankh zu tun hat." stellte die ehemalige Vampirjägerin sich nicht ohne einen gewissen Sinn für Dramatik vor. "Das ist gewisserrmaßen mein Spezialgebiet."
"Der Hexer!" rief der Kleine aus und fuhr hoch, nur um gleich darauf erschöpft in die Kissen zurückzusinken. "Was wissen Sie über ihn?" wisperte er und drückte die linke Hand fest auf seine schmale Brust.
"Ich weiß vieles überr ihn." erklärte Edwina mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen und beugte sich vor. "Aberr errst einmal kommst du mirr wiederr zu Krräften." Sie griff nach der Schnur die über dem Bett hing und zog energisch daran. "Du bist wirrklich seltsam." sagte sie leise. "So schwach und zerrbrrechlich und doch hältst du mehrr aus als man auf den errsten Blick verrmutet. Nach derr Sache mit dem Buch dachte ich, du wärrest tot. Was ist dorrt passierrt?"
Das Gesicht des jungen Zauberers verhärtete sich und Edwina befürchtete schon, etwas Falsches gesagt zu haben. Kamerun hatte bereits angedeutet, daß sein Bruder nicht gern über seine Krankheit sprach.
"Ich weiß es nicht." kam schließlich die geflüsterte Antwort. "Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß etwas die Winkel des Zimmers auf eine Weise verzerrt hat die nicht sein konnte. Das Buch glühte oktarin. Dann kann ich mich nur noch daran erinnern, daß mir etwas zwischen die Füße geriet und ich fiel..."
"Und in dem Moment in dem du mit derr Hand auf die Seiten gerraten bist explodierrte die Welt." führte Edwina den Satz zu Ende. "Kann es so etwas geben? Du musst wissen, seit dem Vorrfall scheint einiges mit derr Rrealität einfach nicht in Orrdnung."
"Ich habe nichts mit dem Buch gemacht. Jedenfalls nicht bewusst."
Beinahe lautlos schwang die Tür des Gästezimmers auf und Igorri... parrdon, Rrogi, korrigierte sich Edwina im Geiste, trat mit einem Tablett auf den Händen ein. Schlurfend schritt die Dienerin zum Nachttisch, stellte ihre Last dort ab und zog sich wieder zurück. Der Blick des jungen Zauberers folgte ihr durch das Zimmer und seine Miene drückte eine Mischung aus Verwunderung und Mißtrauen aus.
"Das kann nicht sein." murmelte er.
"Genau das sagte dein Brruderr auch als err ihrr zum errsten Mal begegnete." Edwina zuckte mit den Schultern und spähte auf den Teller, von dem ausgehend sich der Duft von Schmorbraten mit Soße und Bratkartoffeln im Zimmer ausbreitete. "Ich wollte gerrade sagen, daß die Rrealität falsch ist. Währrend du isst errzähle ich alles was ich bisherr herrausgefunden habe."

Beschwörung


Langsam driftete Robert Kratzmich durch zahlreiche Nebelschleier. Etwas zerrte unsanft an seinen Hand- und Fußgelenken und eine schleichende Kälte breitete sich in seinem Körper aus. Undeutlich spürte er, wie sich kantige Dinge in seinen Rücken bohrten.
Der junge Mann blinzelte. Über sich erblickte er eine in gedämpftes, grünes Licht getauchte Hallendecke aus der einige Stücke herausgebrochen zu sein schienen. Verwirrt schloß er die Augen und öffnete sie wieder, doch der Anblick blieb der Gleiche. Auch der Zug an seinen Armen und Beinen schien real zu sein. Robert bekam es mit der Angst zu tun und begann, wild zu strampeln. Beziehungsweise versuchte er es, doch seine Gliedmaßen wurden von eisernen Fesseln an Ort und Stelle gehalten. Er saß in der Falle.
Zitternd vor Angst drehte er den Kopf und sah sich um. Soweit er es erkennen konnte befand er sich auf einer Art Felssockel inmitten einer halb eingestürzten Kaverne die von mehreren mit ungesund grünlicher Flamme brennenden Fackeln erleuchtet wurde. Eine spärlich bekleidete Frau deren Augen seltsam entrückt wirkten kniete in einigem Abstand zu dem, in Ermangelung eines besseren Wortes bezeichnete er es einfach einmal als Altar auf dem er lag, und wiegte sich wie in Trance hin und her.
Robert schluckte und biß die Zähne zusammen damit sie nicht vor Furcht und Kälte klapperten. Ein schleichendes, mittlerweile schon fast vertrautes Grauen griff gleich einer eisigen Klaue nach seinem Herzen.
"Thuuuul" zischte eine unmenschlich klingende Stimme und leise Schritte erklangen. Durch den Nebel aus nacktem Grauen und Kälte nahm Robert wahr wie eine in lange Gewänder gekleidete Gestalt die Kaverne betrat. In den Armen hielt sie ein dickes, mit Eisen beschlagenes Buch. Schritt für Schritt kam der Unbekannte näher und mit jedem Meter um den sich die Distanz zwischen Robert und ihm verringerte wuchs das Gefühl der blanken Panik an. Golden funkelnde Augen mit stundenglasförmigen Pupillen blickten auf den jungen Mann hinab.
Plötzlich blieb die Gestalt stehen und schlug beinahe feierlich das Buch auf, von dessen Seiten ein gelblicher Schimmer ausging. Für einen Augenblick glaubte Robert zu bemerken wie das Grimoire sich schwach gegen den Griff des unheimlichen bärtigen Mannes wehrte, doch kräftige Hände und ein finsterer Blick der in den Augen des verängstigten jungen Mannes die destillierte Essenz des Bösen zu verkörpern schien brachen den Willen des Buches.
"Iäääh! Iäääh!" zischte der Unbekannte. "Cthulhupalhulhu ftaghn!"
Schlagartig loderten die Fackeln auf und ein gleißender grüner Blitz erhellte die halbverfallene Halle. Dann fuhr die Gestalt fort, ihre offensichtliche Beschwörung zu intonieren bei deren Worten der völlig wehrlose Robert von Todesangst gepackt wurde.
"Ich rufe dich an, großer Cthulhupalhulhu, Herr des Schreckens und ewiger Verdammnis, der du bald aus deinem Äonen währenden Schlummer erwachen wirst!"
Schwankend erhob sich die Frau.
"Non mortuum est quid potest vivere eternam et in tempore alieno etiam mortuum potest mori." sagte sie monoton und hob die Arme gen Decke. Ein leises Grollen erklang und mehrere kleine Steine fielen zu Boden.
Robert wollte schreien, doch seine Kehle war ihm wie zugeschnürt und so brachte er nur ein heiseres Krächzen zustande. Völlig unbeeindruckt davon fuhr der offensichtlich völlig verrückte Mann mit der Beschwörung fort.
"Höre mich, oh Yob Soddoth, Einer-für-alle-und-alle-für-einen! Yyb-Tssslll, dein untertänigster Diener, erhebt seine Stimme um dich durch die Grenzen von Zeit und Raum in die Wirklichkeit zu bringen!"
"Ad eternam!" antwortete die Frau feierlich und kam auf Robert zugeschritten. Ihr Blick erschien ihm völlig leer, wie bei einer Puppe.
"Meine Worte gehen an dich, Azkranoth, du Schaumschlagender im Zentrum der Ewigkeit! Sende mir deine Boten, auf daß sie mir dienen werden!"
Die halbnackte Frau verneigte sich vor dem Altar und zog ein juwelenbesetztes Messer hinter ihrem Rücken hervor. Robert blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen. Plötzlich wurde ihm mit aller Macht bewußt was er schon die ganze Zeit verzweifelt versucht hatte zu ignorieren, nämlich die Tatsache, daß er hier zum Ruhme irgendwelcher abartigen Götter hingeschlachtet werden sollte wie ein Schwein. Entsetzt sah er zu wie die Frau die Klinge an ihre Lippen führte und küsste.
"Tshup Aklathep mit deinen Millionen Jungen, höre den Ruf des Ritus von Rhat'Lyeh! Sende aus deine Scharen der Finsternis aus dem Abgrund und entlasse sie in die Welt!"
Bei diesen Worten setzte die Frau das Messer an ihre Brust und begann, ein Zeichen in die bleiche, makellose Haut zu ritzen. Roberts Atem ging hektisch als er sah, wie sich zwischen dünnen blutroten Rinnsalen langsam ein dreigelapptes Auge formte.
"Hmargh-wargl caygh fthaghn." seufzte sie extatisch und die Fackeln loderten ein weiteres Mal hell auf.
Dann begann der bärtige Mann wieder zu sprechen.
"Shrudde-Brell!" rief er mit donnernder Stimme und seine goldenen Augen schienen von innen heraus zu brennen. "Tschoch'o! Nylonathatep, zerreißender Schrecken! Fürsten von Y'ha-nthlei! Höret mich an! Nehmt zu euch diesen Körper und gebt mir eure unheilige Brut!"
Mit schnellen Schritten trat er hinter die nun wie versteinert wirkende Frau und nahm das blutverschmierte Messer aus ihren Händen. Robert drehte es beinahe den Magen um als er die Klinge genüßlich ableckte. Vergeblich wehrte sich der junge Mann gegen die Hand- und Fußschellen die ihn auf dem Altar festhielten und mußte völlig wehrlos mit ansehen wie sein Entführer auf ihn zugeschritten kam. Warum rettete ihn niemand? das hier wäre doch bestimmt ein Fall für den Hexer von Ankh, sein leuchtendes Vorbild!
"Thuuuul" fauchte der Bärtige und ließ die Klinge im Fackellicht aufblitzen bevor er die Spitze auf Roberts nackter Brust ansetzte. Brennende Schmerzen durchzuckten den Körper des Möchtegern-Hexers und er spürte wie ihm sein eigenes Blut überströmte als sein Peiniger auch ihm das blasphemische dreigelappte Auge ins Fleisch ritzte. Er wollte nicht sterben. Nicht auf diese Weise. Zufrieden betrachtete der Bärtige sein Werk und säuberte die Klinge zum wiederholten Male mit Hilfe seiner Zunge. Seine Augen fixierten die seines Opfers und Robert meinte, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen während sein Selbst in handliche Stücke gerissen wurde. So kam es, daß er kaum noch spürte wie sich das scharfe Messer in seine Kehle bohrte und seinem Leben ein Ende setzte.

Warmes, dunkelrotes Blut lief den Altar hinunter und bildete eine Pfütze auf dem Boden. Das Ding trat einige Schritte zurück und wartete, während es den Körper, der dort auf der kalten Steinplatte sein Leben aushauchte, scharf im Auge behielt. Die hypnotisierte Hexe stand immer noch stocksteif an Ort und Stelle. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf das Gesicht welches einmal Emanuel Kaboltzmann gehört hatte. Die Mahlzeit für den heutigen Abend war ebenfalls gesichert.
Langsam versiegte der Blutstrom und der leblose Körper des Opfers lag still und kreidebleich da.
"Ubbo Sathla Lloigor!" befahl das Ding mit peitschender Stimme.
Eine Weile geschah gar nichts, während die flackernden Fackeln unheimliche Muster auf die Kavernenwände warfen. In ihrem Schein ließen sich undeutlich die Reste einer latatianischen Inschrift erkennen.
Plötzlich begann sich die auf dem Altar liegende Leiche zu verändern.
Bläulich-schwarze Flecken bildeten sich auf der zuvor weißen Haut des Toten und breiteten sich langsam aus, um schließlich ineinander überzugehen. Dünne Rauchfahnen stiegen von dem Körper auf. Die Arme und Beine schienen sich zurückzubilden und schließlich mit dem Körper zu verschmelzen.
Dann geschah etwas noch Seltsameres.
Der Körper, beziehungsweise das was von ihm noch übrig war, begann sich gleich einer Amöbe in der Mitte durchzuschnüren, während die letzten erkennbaren Flecken Haut verschwanden. Klirrend sprangen die Hand- und Fußschellen auf als sie nicht mehr gebraucht wurden.
Und an der Stelle des Opfers hockten zwei... Wesen auf dem Altar.
Sie hatten nichts mehr mit auch nur entfernt humanoiden Lebensformen gemein. Ihre Körper bestanden lediglich aus einer schwärzlichen Masse, die langsam pulsierte, als ob in ihrem Inneren ein gigantisches Herz gegen die Zähigkeit der schleimigen Körper ankämpfte.
Das Ding nickte.
"So gehet dahin, Kinder des ewigen Chaos, Ausgeburten der Dinge die nicht sein dürfen! Führet aus, wozu ihr gerufen worden seid und bringt die beiden Verdammten zu mir!" befahl es und hob die Arme.
Und die beiden formlosen Wesen flossen zähflüssig den Altar herab und bewegten sich auf den mittwärts weisenden Tunnel zu, der aus dem Labyrinth der Kavernen unter dem Dreimal Glücklichen Fischimbiss heraus und hinauf in die Stadt führte.

Heimkehr


Gleich einem Schleier verhüllte der Regen die ölbetriebene Laterne in deren Schein das Straßenpflaster nass glänzte. Araghast stand in einem Türrahmen und blickte in Gedanken versunken auf die vernagelten Fenster des Geschäftes auf der gegenüberliegenden Seite. Irgendwelche Neugierigen hatten einige Bretter aus der Tür herausgerissen und schief wieder befestigt damit niemand merkte, daß sie es einfach nicht hatten lassen konnten, einen Blick in den verwüsteten Laden dahinter zu werfen. Hin und wieder fegte eine Windbö durch die verlassene Straße und ließ das verwitterte Ladenschild quietschend hin- und herschwingen. Auch ohne die halb abgelösten Buchstaben erkennen zu können wußte Araghast was darauf geschrieben stand. Dort drüben befand sich der Ort an dem ein großer Teil des Ärgers der letzten Tage angefangen hatte. Nein, nicht genug, daß der Kampf gegen seinen inneren Vampir den Feldwebel langsam aber sicher püschisch zerstörte, dieser verfluchte Kaboltzmann und seine Truppe mußten auch noch in diesen verdammten Imbiss einsteigen und ein Ding aus den Kerkerdimensionen wieder mitbringen. Eigentlich geschah es dem Kerl ganz recht, daß er nun besessen war. Das Problem war bloß, daß es natürlich wieder einmal an der Wache hängen blieb, Kaboltzmann einzufangen und zu exorzieren. Araghast mußte bei dem Gedanken wie Skilla versuchte, ein Ungeheuer, das keine Skrupel hatte die Gehirne von Menschen zu essen, zum Verlassen eines besetzten Körpers zu bewegen, böse grinsen. Ob sie wohl auf die Idee kam, es mit dem Stockdegen zu versuchen? Theoretisch müsste man doch nur die Klinge nehmen, den Zauberspruch aufsagen und zustechen. So funktionierte es jedenfalls bei Eddie Wollas immer.
Der Feldwebel biss sich auf die Lippen. Er steckte nun schon einen ganzen Tag lang in diesem verdammten A.G.L.A. das sich über die gesamte Stadt zu erstrecken schien. Was mochte inzwischen in der Realität geschehen sein? Araghast erinnerte sich an seinen aus blanker Wut geborenen Schwur, die anderen allein auf die Lösung kommen zu lassen. Theoretisch hatte er den Fall nun mit Hilfe der Voodoohexen-Kanndra aufgeklärt. Doch praktisch konnte er sich nur einen Buchteil der Dinge die passiert waren erklären. Wer waren Sie, die ihn ausgerechnet jetzt, wo er es all seinen Kollegen endlich zeigen konnte, in dieser verkehrten Welt festhielten und scheinbar in der Lage waren, einen Realitätsgenerator zu bauen der sich über die gesamte Stadt zu erstrecken schien? Kein Zauberer der Scheibenwelt besaß genug Macht um ein solches magisches Feld aufrecht erhalten zu können. War er während er schlief von Außerscheibischen entführt worden und lag jetzt in einem Traumschlaf während an ihm diverse Experimente durchgeführt wurden? Araghast wußte, daß es Wesen aus dem Weltraum gab. Zusammen mit einigen anderen Wächtern hatte er gegen sie gekämpft und mußte anschließend versprechen, nie wieder darüber zu reden.
Mit einem leisen Seufzer glitt Araghast aus seiner Nische und machte sich auf den Heimweg. So viele Möglichkeiten einer Verschwörung und keine Lösung war in Sicht. Mitten auf der Straße wäre er beinahe ausgerutscht und nur mühsam fand er sein Gleichgewicht wieder. In dem Glauben, in einen Hundehaufen getreten zu sein sah Araghast nach unten und bemerkte eine schwärzliche, zähe Schleimspur. Fluchend sprang er auf den Gehweg, kratzte die widerspenstige Masse von der Sohle seines Stiefels und schüttelte den Kopf über soviel Nachlässigkeit beim Warentransport. Kaltes Regenwasser lief ihm in den Kragen und während er langsam weiterging meinte er, tief in seinem Inneren die leise, getragene Klaviermelodie zu hören die in der vorigen Nacht während einer ähnlichen Situation an sein Ohr gedrungen war und für sein derzeitiges Leben einfach richtig zu sein schien. Genau wie das Bild des düsteren Büros mit der Glastür auf der sein Name verkehrt herum geschrieben stand.
Drei Tage sind schon vergangen und immer noch bin ich mit dem Fall nicht weitergekommen. Ich habe das Gefühl, jeder in dieser verfluchten Stadt hier lügt mich an. Und wenn ich jetzt noch einen Kerl in meinem Büro finde der mir mit diesem gewissen bedrohlichen Unterton in der Stimme rät, die Finger von dem Fall zu lassen, dann werde ich wirklich gewalttätig...
Abrupt wurden Araghasts Wachträume unterbrochen als sich ihm zwei dunkel gekleidete Gestalten in den Weg stellten.
"Geld oder Leben!" forderte die größere und kräftigere der beiden mit einer von einer Wollmaske gedämpften Stimme und schwang einen beeindruckenden Knüppel.
Araghast seufzte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt...
"Lizenz?" fragte er genervt.
"Häh?" Die beiden Räuber sahen sich an. "Geld oder Leben, Freundchen, hast du kapiert?" raunzte der Kleinere und ein Messer erschien in seinen Händen. "Und kein Geschwafel hier!"
"Bevor ihr mich hier überfallt will ich eure verdammte Lizenz sehen!" gab Araghast zurück und ein gefährlicher Ton schlich sich in seine Stimme. Unauffällig veränderte er seine Körperhaltung und machte sich sprungbereit. Unlizenzierte Straßenräuber. Endlich jemand an dem er sich angemessen abreagieren konnte.
"Dann halt für immer deine Fresse!" zischte der Große und die beiden griffen an.
Araghast duckte sich blitzschnell und der Schlag des Knüppels zischte über ihn hinweg. Das Entermesser fuhr aus der Scheide und bohrte sich in einem eleganten Aufwärtsschwung in den Arm des kleinen Räubers der gerade mit dem Messer zustechen wollte. Dieser schrie auf und ließ seine Waffe fallen. Ein grimmiges Lächeln spielte um Araghasts schmale Lippen als er sich aufrichtete und ihn mit voller Kraft zwischen die Beine trat. Schlägereien ohne Regeln in angetrunkenem Zustand waren sein Element. Flink wich er dem zweiten Knüppelhieb aus und stellte dem Mann kurzerhand ein Bein, so daß dieser hart auf dem Straßenpflaster aufschlug. Ein kräftiger Tritt gegen den Kopf beförderte den Räuber auf unbestimmte Zeit ins Land der Träume. Der kleinere der beiden wälzte sich stöhnend auf dem Boden und versuchte, gleichzeitig seinen heftig blutenden Arm und seine zerquetschte Männlichkeit zu umklammern.
"Yo-ho, Yo-ho, ein Seeräuberleben für mich!" sang Araghast und wischte die Klinge seines Entermessers am Mantel des Bewusstlosen ab bevor er die Klinge wieder zurück in die Scheide schob und seinen unterbrochenen Heimweg fortsetzte. Das hatten die Kerle davon, sich mit einem eh schon wütenden Wächter anzulegen. Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in dem Feldwebel breit. Auch wenn er sonst hauptsächlich den Bürostuhl wärmte, hin und wieder tat es einfach gut, etwas oder jemanden zu verprügeln. Insgeheim stellte sich Araghast vor was er mit demjenigen anstellen würde der dafür verantwortlich war, daß er hier im falschen Ankh-Morpork steckte. Eins war ihm klar: Sie würden nicht so glimpflich davonkommen wie die beiden unlizenzierten Straßenräuber.

Die Erdgeschoßwohnung in der Ankertaugasse 27 war dunkel und leer, was Araghast kaum überraschte. Wer hätte dort auch schon auf ihn warten sollen wenn Lea in dieser Simulation nicht mehr lebte? Er entzündete mehr aus Gewohnheit als daß er das Licht wirklich brauchen würde die Öllampe in der Küche und begann damit, die Wohnung gründlich auf Merkwürdigkeiten zu durchsuchen. Das AEKI-Sofa namens BROMSTRÖ war spurlos verschwunden, ebenso wie ein großer Teil von Leas Sachen. Havelock krächzte eine Begrüßung als Araghast das Tuch von ihrem Käfig nahm. Der Feldwebel schüttete Papageienfutter in seine Hand und öffnete die Gittertür. Während der buntgefiederte Vogel auf seinem Arm saß und gierig an den Körnern knabberte ging Araghast weiter ins Schlafzimmer. Das Doppelbett mit dem extra niedrigen Himmel stand an seiner üblichen Stelle, doch mit dem Bücherregal war eine subtile Veränderung vor sich gegangen. In den obersten beiden Fächern, die normalerweise unzählige Eddie Wollas-Hefte in den verschiedensten Zuständen der Zerfledderung beherbergten, herrschte bis auf ein einsames Mathematikbuch und eine dicke Staubschicht gähnende Leere.
"Auch das noch." murmelte Araghast, setzte Havelock auf seine Schulter und ließ sich auf den Hocker vor der unbenutzten Frisierkommode sinken. Er begann, die leere Wohnung zu hassen. Überall fanden sich Dinge die ihn an Lea erinnerten und doch war sie nicht da. Und selbst Eddie Wollas schien es in dieser verfluchten unechten Wirklichkeit nicht zu geben.
Der Hexer von Ankh, ging Araghast durch den Kopf als er sein eigenes durchsichtiges Abbild in Leas Frisierspiegel betrachtete. Immer wieder der Hexer.
Zuerst tauchte der legendäre Stockdegen plötzlich in den Kavernen unter Herrn Hongs Imbiss auf. Dann war diese Edwina Walerius plötzlich auf der Bildfläche erschienen und behauptete, für Wollas zu arbeiten, einen Mann den niemals jemand zu Gesicht bekommen hatte. Und diese Dame wusste so ziemlich alles über den Hexer, was man nur finden konnte. Und jetzt Kanndra, die behauptete, Kaboltzmann hätte gesagt, daß nur der Hexer ihn noch retten könne.
Araghast seufzte tief und starrte durch seinen eigenen Hinterkopf an die gegenüberliegende Wand. Vielleicht war Godric Adana auch der einzige der ihn selbst noch retten konnte. Nicht nur von den mysteriösen Verschwörern deren Gefangener er war, sondern auch vor dem Monster das tief in seinem Inneren an ihm fraß und immer stärker wurde. Wie schafften die wirklichen Vampire es bloß, die Kontrolle über die Bestie zu wahren? Vielleicht war sein lebender Körper einfach nicht stark genug, sich mit einer abgrundtief bösen Seele auseinanderzusetzen, und darum verlor sein menschlicher Teil immer mehr an Boden. Immerhin war er noch nicht so weit, beim Anblick von blutenden Wunden hemmungslosen Appetit zu bekommen. Doch auch dies konnte sich nur noch um eine Frage der Zeit handeln.
Beinahe mechanisch stand Araghast auf und schlurfte zum Bett. Mit etwas Glück blieb er in dieser Nacht wenigstens von Alpträumen verschont.

Finsternis


Es war Nacht auf dem Berengar-Friedhof. Gleichmäßig prasselte der Regen auf unzählige Gräber herab und wusch die dunkle Erde mit sich fort. Irgendwo in den kahlen Ästen eines Baumes schrie ein Käuzchen und beschwerte sich vermutlich über das schlechte Wetter. Vereinzelte Fledermäuse zuckten über den Himmel.
Mit schlurfenden Schritten wanderte ein Grabräuber den eher einem flachen Bach gleichenden Weg vom Tor herunter, über der Schulter eine Schaufel und in der Hand eine schwach leuchtende Laterne. Nach zirka hundert Metern bog er in einen schmalen Nebenpfad ab und blieb schließlich vor einem ganz bestimmten Grab stehen. Der Stein war in Form einer Faust gemeißelt worden, die einen Dolch gen Himmel reckte. Der Grabräuber stellte seine Laterne ab und rammte die Schaufel in die schwere, nasse Erde. Wäre er des Lesens mächtig gewesen, hätte er den Namen lesen können, der ohne Angabe eines Geburts- oder Sterbedatums die Knöchel der steinernen Faust zierte:

CASSAWAR


Nach einer Stunde Arbeit hörte der Grabräuber in dumpfes Geräusch, als seine Schaufel auf etwas hohl klingendes stieß - den Deckel eines halbverrotteten Sarges. Begierig hackte er mit seiner Schaufel ein Loch hinein...
...und ließ sein Grabewerkzeug plötzlich schreckerstarrt fallen.
Eine halbverweste Hand bohrte sich durch das soeben gehackte Loch und riß den Sargdeckel mit einem einzigen Ruck fort. Panik überkam den Grabräuber. Er krallte sich am Rand der Grube fest und seine Füße kratzten verzweifelt an dem senkrechten Erdwall, doch etwas umschloß seinen Knöchel wie eine Eisenklaue und zerrte ihn zurück in die Tiefe. Er kam hart auf dem Rücken zu liegen und der Regen prasselte auf sein Gesicht. Doch dann schob sich ein männliches Wesen in sein Blickfeld. Hautfetzen hingen an seinem Gesicht herab und der obligatorische dicke, schleimige Wurm kroch aus einem Nasenloch. Der Grabräuber hatte nur noch das Bedürfnis zu schreien, brachte jedoch vor Entsetzen kein Wort hervor. Da begann der Zombie in einer Wolke scheußlichsten Mundgeruches zu sprechen:
"Thuuul ashk Al Yob Soddoth ghash Niggurath!"
"W-... Wie bitte?" stammelte der Grabräuber und versuchte gleichzeitig, durch die Ohren zu atmen. Die Augen des Zombies beunruhigten ihn. Im Laufe seiner 'Berufstätigkeit' hatte er unzählige Leichen in den verschiedensten Verwesungsstadien gesehen, und ihre Augen bestanden im Allgemeinen aus fauligen Höhlen. Der Grabräuber war sich jedenfalls ziemlich sicher, daß sie auf keinen Fall schwärzlich sein sollten. Zumindest nicht komplett schwarz. Doch bei diesem Exemplar bestand das ganze Auge aus schwarzer Farbe.
Plötzlich überfiel den Grabräuber das Gefühl nackter Angst. Diese Augen... Sie waren wie ein Fenster, das sich zu seinem höchst persönlichen Platz im Pandämonium auftat.
Und dann spürte er, wie sich die Finger des Untoten gleich schleimigen Tentakeln in seinen Brustkorb bohrten...


Zwischenspiel


Die Gildenglocken schlugen zehn Uhr vormittags doch Chief-Korporal Kanndra, Späherin und stellvertretende Abteilungsleiterin der FROG, hörte nicht hin. Zur Zeit hatte sie reichlich andere Sorgen, unter anderem das scheinbar spurlose Verschwinden mehrerer Personen, zu denen auch Feldwebel Araghast Breguyar gehörte. Das einzige was von ihm in seinem Büro gefunden werden konnte war eine leere Rumflasche die unter dem Schreibtisch gelegen hatte und die darauffolgende Suche im gesamten Wachhaus war erfolglos geblieben. Und, als ob dies auch nicht genug gewesen wäre, kam bald darauf auch noch ein ziemlich perplexer Inspäctor Kolumbini hereingeplatzt um das ebenfalls spurlose Verschwinden zweier Zeugen im Näherinnen-Mordfall zu melden welche er zwecks weiter Befragung durch den Feldwebel in Araghasts Büro geschickt hatte. Dazu war der Korporal sich in ominösen Andeutungen ergangen die darauf hinausliefen, daß es sich bei dem Leiter der Fischimbiss-Expedition, einem Zauberer namens Emanuel Kaboltzmann, um den Mörder Zulaide Al-Shalafis handelte.
Kanndra wusste kaum noch wo ihr der Kopf stand. Anscheinend war Kolumbini der Meinung, daß Araghast mit seiner abstrusen Theorie doch recht gehabt hatte und der inhaftierte Zauberer tatsächlich unschuldig war. Doch dafür war RUM zuständig. Für die Späherin hatte das Auffinden ihres Abteilungsleiters die höchste Priorität. Die leere Rumflasche wies eindeutig darauf hin, daß er sich im Laufe der Nacht sinnlos betrunken haben mußte.
Entschlossen stand Kanndra auf und machte sich auf den Weg in Araghasts Büro, halb erwartend, Bregs völlig verkatert in seinem Schreibtischstuhl hängend vorzufinden. Vermutlich war er irgendwann am frühen Morgen schlicht und einfach doch noch nach Hause gegangen. Wohin Kolumbinis Zeugen sich verdünnisiert hatten konnte sie nur raten. Es war möglich, daß sie einfach nur im letzten Moment kalte Füße bekommen und sich verdrückt hatten. Das kam in einer Stadt wie Ankh-Morpork bei Zeugen hin und wieder vor.
Das Büro des Abteilungsleiters erwies sich als genauso verlassen wie vor einer Stunde. Kanndra schloß die Tür hinter sich und trat auf den Schreibtisch zu auf dem sie vorhin die Rumflasche abgestellt hatte.
"Warum gehst du so an deiner eigenen Existenz kaputt, Bregs?" fragte sie laut und nahm die Flasche in die Hand. Langsam schritt sie um den Schreibtisch herum und ließ sich schließlich in den Bürostuhl sinken. Ein dickes, in Leder gebundenes Buch lag aufgeschlagen vor ihr. Von einer plötzlichen Neugierde gepackt beugte sich Kanndra vor und studierte die sich ihr darbietenden Seiten.

In einem Punkt war Feldwebel Wiese gegenüber Professor Netz ganz klar im Vorteil, denn viele seiner Gefangenen hatten ihm erklärt was ältere Kultmitglieder über die Bedeutung der mysteriösen Worte erzählt hätten.

Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn


Was, übersetzt in das Morporkianische bedeutete:

Träumend wartet der tote Cthulhupalhulhu in seinem Haus auf Leshp


Die Späherin runzelte die Stirn. Wenn sich Araghast in seiner Freizeit und auch während er Dienst schob mit solchen Dingen beschäftigte dann war es wirklich kein Wunder, daß er überall Verschwörungen und Ungeheuer sah. Doch was sie eigentlich verwirrte waren die blutigen Fingerabdrücke die sich auf der Seite befanden. Hatte Araghast sich in sturzbetrunkenem Zustand irgendwie verletzt oder stammten sie von jemand ganz anderem? Sie mußte es wissen.
"Reggie!" brüllte Kanndra in Richtung der Rohrpostklappe.
"Ja, meine kleine, süße Schokoladenschnitte?" flötete der Meldedämon beinahe postwendend.
"Halt die Klappe und hör zu. Du begibst dich auf dem schnellsten Weg zu SUSI und schickst im Namen von Chief-Korporal Mambosamba einen Tatortwächter in dieses Büro hier hoch um ein paar Fingerabdrücke zu nehmen. Hast du das verstanden?"

* * *


Nur weil du nicht paranoid bist heißt das noch lange nicht, daß sie nicht hinter dir her sind...
Vor einigen Monaten hatte Araghast den Satz einmal im Eimer zum Besten gegeben, sehr zur Erheiterung seiner Mitwächter. Doch langsam begann Kolumbini, an den Wahrheitsgehalt des Erich von Nichtsfjord-Zitats zu glauben. Vor ihm auf der Schreibtischplatte lag das Notizbuch Raistan Quetschkorns und was er darin gefunden hatte trug nicht gerade dazu bei, daß er sich sicher fühlte. Dafür enthielten die in eleganter, schwungvoller Handschrift festgehaltenen Stichpunkte eindeutig zu viele unverständliche Namen und düstere Andeutungen.
"Der Hexer von Ankh." sagte Kolumbini zu sich selbst und der Welt im Allgemeinen.
Wenn er doch nur wüßte wohin Araghast und die beiden Zeugen verschwunden waren. Die Zwillinge konnten höchstens drei Minuten Vorsprung in Bregs' Büro gehabt haben. Immerhin wußte er nun wen er verhaften konnte wenn er ihn in die Finger bekam. Kaum daß der Bericht sie erreicht hatte war von Irina Lanfear ein Memo an die SEALS herausgegangen, von nun an doppelte Streifen zu gehen und vor allem das Viertel um die Unsichtbare Universität im Auge zu behalten. Verstärkt wurden sie von vereinzelten FROGs, die, wie sich Kolumbini nicht verkneifen konnte hämisch festzustellen, von der Zusammenarbeit mit ihren liebsten Feinden unter den Wächtern ganz und gar nicht begeistert waren. Nachdenklich griff Kolumbini in seinen MANTEL und holte ein auf billigem Papier gedrucktes Romanheft hervor.
Spannender! Blutrünstiger! Unterhaltsamer! sprangen ihm die feuerrot gedruckten Worte auf dem Titelblatt entgegen. Eddie Wollas - Der Hexer von Ankh Band 59 - Terror aus dem Reich der Zehn-Plus-Einsen
Der Ermittler zuckte mit den Schultern. Wie konnten manche ansonsten äußerst vernunftbegabten Personen bloß solch einen Schund freiwillig lesen? Araghast behauptete zwar, daß man dabei eine Menge darüber lernen würde wie man sich bei Einsätzen am Besten nicht verhielt, aber das war längst nicht der einzige Grund weshalb der Feldwebel diese Hefte geradezu verschlang. Mit gerunzelter Stirn legte Kolumbini den Roman neben das Notizbuch und fuhr fort, beide anzustarren. Der Begriff Trivialliteratur wedelte mit einem imaginären Arm herum und verlangte nach Aufmerksamkeit. Kolumbini seufzte leise. Araghast hatte immer behauptet, das wahre okkulte Halbwissen was man für den Posten des Okkultismusexperten brauchte bekäme man nicht durch das Lesen seriöser Werke sondern indem man all die Klatschblätter und Gruselhefte studierte, denn in jenen steckte hin und wieder tatsächlich ein Funken Wahrheit. In gewisser Weise hatte sich die Voraussage bewahrheitet, denn der Stockdegen der laut Eddie Wollas dem Hexer von Ankh gehörte lag derzeit in Skillas Büro und auch der junge Zauberer schien geradezu besessen von der Idee des Hexers gewesen zu sein. Während er auf seinem Glasauge herumklopfte und über die dünne Grenze zwischen Aberglauben und Tatsachen sinnierte fiel Kolumbini plötzlich die offensichtliche Schwäche der bisherigen Ermittlungsarbeiten ein. Gesetzt der Fall es gelang den momentan durch die Stadt patrouillierenden Wächtern wirklich, Emanuel Kaboltzmann zu stellen und zu verhaften - was sollen sie dann tun? Das
Ding aus den Kerkerdimensionen war im Körper des Zauberers nicht nur im übertragenen Sinne brandgefährlich und nur allzu leicht konnte sein nächstes Opfer ein Wächter sein.

* * *


Das Zimmer erweckte den Eindruck als sei ein Tornado hindurchgefegt. Sämtliche beweglichen Möbel waren in einem unordentlichen Haufen vor der Tür gestapelt und vereinzelte Kleidungsstücke, Bücher und sonstige persönliche Habseligkeiten lagen überall willkürlich verstreut herum. Nur der Zipfel einer blassgrünen Magierrobe der unter dem Bett hervorragte wies auf die Anwesenheit einer Person hin.
Kaum daß die Wache ihn mit der Begründung, daß Kaboltzmann der besessene Mörder gewesen war, freigelassen hatte, war Ewein Krawunkel zurück zur Universität geflohen und hatte sich auf die Suche nach Raistan gemacht. Doch als er die aufgebrochene Zimmertür gesehen hatte wusste er, daß er zu spät gekommen war. Auch sein Freund musste dem
Ding aus den Kerkerdimensionen zum Opfer gefallen sein das immer noch frei herumlief. Und so hatte sich Ewein in seinem Zimmer verbarrikadiert, fest entschlossen, erst wieder unter dem Bett hervorzukommen wenn alles endlich vorbei war. Immer wieder plagten ihn fürchterliche Halluzinationen von Städten deren Geometrie nicht funktionierte und bleichen, schwarzgewandeten Menschen mit goldenen Stundenglasaugen die ihre unnatürlich langen krallenbewehrten Finger nach ihm ausstreckten um ihn zu zerreissen. Wimmernd vergrub Ewein das Gesicht in den weiten Ärmeln seines Gewandes. Er fühlte sich schlaff und elend. Seit seinem Froschpillenrausch vom vorvorigen Abend hatte er keinen Bissen zu sich genommen. Froschpillen. Was würde er jetzt für einige der kleinen, giftgrünen Tabletten geben die ihm zumindest für kurze Zeit diese wunderbaren Farben und das selige Vergessen bescherten. Doch die Dose mit den Pillen befand sich im Arbeitszimmer des Quästors und Ewein wagte es nicht einmal, seine Nase unter dem Bett hervorzustecken. Verzweifelt schluchzte er auf und ergab sich wieder seinen Wahnvorstellungen.


Jägerin und Beute


Raistan erwachte als das Dunkel der Nacht langsam dem trüben Licht des neuen Tages wich. Im Zimmer war es bis auf das gleichmäßige, durch das Fenster gedämpfte Prasseln des Regens völlig still. Der junge Zauberer hob den Kopf und sah sich nach dem Stuhl um auf dem Edwina Walerius am vorigen Abend gesessen hatte, doch niemand befand sich dort. Mit geschlossenen Augen ließ er sich wieder in die Kissen zurücksinken und begann mit einer mentalen Bestandsaufnahme. Das Atmen fiel ihm wieder leichter und die brennenden Schmerzen in seiner Brust waren dem üblichen drückenden Gefühl gewichen. Raistan beschloß, daß er kräftig genug war um aufzustehen.
Nachdem er sich angezogen hatte und in Ermangelung eines Kammes einige Male mit den Fingern durch sein Haar gefahren war trat er auf seinen Stab gestützt in den dunklen Flur.
"Sharia" wisperte er und der Kristall an der Stabspitze begann zu leuchten.
An einer der vom Korridor abgehenden Türen hing ein Schild in einer fremden Sprache und der junge Zauberer beschloß, diese lieber nicht zu versuchen. Eine andere stand einen Spalt breit offen und leises Schnarchen drang durch den Schlitz. Raistan hätte dieses leise Sägen aus hunderten von Schläfern heraushören können.
Lautlos schlich er über den weichen Teppich, eine magere, zierliche Gestalt in einer dunkelblauen Robe, und lauschte. Kameruns Art zu schnarchen war unverkennbar. Es klang wie eine Mischung aus einem behaglich schnurrenden Kater und der kurbelbetriebenen Kohlpresse daheim in Sto Barrat. Vorsichtig drückte der junge Zauberer die Tür auf und leuchtete in den Raum.
Er stand auf der Schwelle eines heimelig anmutenden Arbeitszimmers. Die letzten ausgebrannten Holzscheite glühten schwach auf dem Feuerrost des gewaltigen Kamins. Kamerun lag in einem bequemen Sessel der neben einem Rauchertischchen stand, eine Wolldecke bis zum Kinn hochgezogen. Seinem friedlichen Gesichtsausdruck ließ sich entnehmen, daß er zur Zeit von Alpträumen verschont wurde.
Raistan trat ein und schloß die Tür leise hinter sich. Dann begann er, sich im Zimmer umzusehen und beinahe augenblicklich zog ihn das Gemälde über dem Schreibtisch in den Bann. Ernst blickte der Mann mit der weißen Haarsträhne auf ihn herab während in den schwärzlichen Wolken die goldenen, verdammten Augen unheilvoll funkelten. Urplötzlich mußte Raistan an Kaboltzmann und dessen grausige Verwandlung denken und die letzten Worte des Professors hallten in seinem Gedächtnis wieder. Der Hexer, Matschähre! Der Hexer!.
Und instinktiv wußte der junge Zauberer, daß er den Hexer von Ankh endlich gefunden hatte.
Nachdem er das Gemälde noch einige Zeit betrachtet hatte wandte er sich dem Setzkasten über dem Kamin zu. Die zahlreichen kleinen, mit grauem Pulver gefüllten Fläschchen irritierten ihn. Wieso sammelte jemand offensichtlich Staub? Bei näherer Betrachtung entdeckte er ein kleines Schildchen auf der Rückseite jeder der verkorkten und versiegelten Phiolen. Vorsichtig nahm Raistan eines der kleinen Glasgefäße aus seiner Nische und drehte es um.
Vladistok las er verwundert. Zwei weitere Fläschchen waren mit Tsepes und Maladyr beschriftet. Eine Phiole stand ein wenig abseits und schien etwas Besonderes zu sein, denn ihr Korken war mit goldfarbenem Siegelwachs verschlossen. Breguyar stand in schnörkeliger Handschrift auf der Rückseite. Nachdenklich stellte Raistan das Fläschchen zurück. Der Name klang vertraut...
"Anderre Jägerr hängen sich die ausgestopften Köpfe ihrrerr Beute an die Wand." sagte eine leise, dunkle Stimme mit starkem überwaldianischen Akzent aus der Richtung der Tür. Der junge Zauberer drehte sich um und sah seine Gastgeberin auf sich zuschreiten, in der Hand einen Kerzenhalter. "Meine Trrophäen brrauchen nurr wenig Platz."
"Duria" murmelte Raistan und das Licht seines Kristalls erlosch.
"Was haben Sie denn gejagt?" fragte er.
Edwina Walerius lächelte. "Meine Familie hat sich seit fünfhunderrt Jahrren mit derr Vampirrverrnichtung beschäftigt." Sie wies auf die Jagdarmbrust die über dem Kamin an der Wand hing. "Ein Spezialmodell derr Firrma Barraschnikoff und Söhne, geferrtigt fürr den Abschuss von Pflöcken anstelle von Bolzen. Das warren noch Zeiten... Es warr ein gefährrlicherr Berruf, aberr dieses Gefühl, auf derr Jagd zu sein, das Geschrrei des wütenden Mobs in den Ohrren, diese Zufrriedenheit wenn man schließlich vorr den Haufen Asche stand - Man spürrte, daß man am Leben warr."
"Dann... haben Sie von jedem erlegten Vampir quasi ein Stück mitgenommen?" staunte Raistan und mußte husten. "Breguyar." sagte er, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. "Das war doch der Wächter in dessen Büro wir gewesen sind."
"Die Asche stammt von seinem Vaterr." erklärte die Überwaldianerin. "Err warr meine letzte Arrbeit, und auch meine perrsönlichste. Ich hatte mit dem Schlächterr von Duschen-Duschen noch eine Rrechnung offen. Arrmerr Feldwebel." sagte sie leise. "Es muß schrrecklich sein damit leben zu müssen, ein halberr Vampirr und derr Sohn eines Monsterrs zu sein. Kein Wunderr, daß leere Rrumflaschen in seinem Bürro herrumliegen."
Dieser Breguyar kann wenigstens noch saufen und sein Problem zeitweilig vergessen, dachte Raistan bitter. Für ihn selbst hingegen gab es kein Entkommen und er würde seine Krankheit nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschen. Flüchtig blickte er zu seinem Bruder der immer noch selig im Sessel vor sich hinschnarchte. Wenn Kamerun erst einmal schlief konnte direkt neben ihm die Alchimistengilde explodieren und er würde es nicht merken.
"Er träumt nicht mehr schlecht." sagte der junge Zauberer und lehnte sich auf seinen Stab.
"Wenigstens etwas in dieserr verrdrrehten Welt." bemerkte Edwina. "Soll ich Igorr... ich meine Rrogi bitten, uns Frrühstück zu machen? Du solltest wirrklich mehrr essen, Kleinerr. Du bist ja wirrklich nurr Haut und Knochen und isst wie ein Spatz. [2]"
Zu seinem Leidwesen fiel Raistan absolut keine schlagfertige Antwort ein. Sämtliche Personen denen er bisher begegnet war überfiel grundsätzlich fast sofort der Beschützerinstinkt wenn sie ihn sahen. Edwina Walerius bildete da keine Ausnahme.
Doch bevor er weiter über diese Tatsache nachdenken konnte ergriff die Überwaldianerin auch schon wieder das Wort.
"Glaubst du, die Zauberrerr im Forrschungstrrakt fürr hochenerrgetische Magie könnten uns weiterrhelfen?" fragte sie.

Grabesstille


Begleitet von einem leisen Gluckern verringerte sich der Pegel der Flasche um eine Fingerbreite und Atera leckte sich zufrieden über die Lippen. An Tagen wie diesem war der Knieweich ihr bester Freund. Mit schlurfenden Schritten stapfte sie über den Zentralfriedhof und inspizierte die Gräber und Mausoleen. Als einer der wenigen noch in der Stadt geduldeten Zombies war es ihre Aufgabe, darauf zu achten, daß die Toten blieben wo sie der Meinung des Patriziers nach hingehörten und falls sie eines der Gräber geöffnet vorfinden sollte, hatte sie dies unverzüglich der Wache melden.
"Knieweisch... Knieweisch..." sang Atera leise vor sich hin und wischte sich das Regenwasser aus den Augen. Sie hasste feuchtes Wetter. Nach der letzten Schlechtwetterperiode hatte es Wochen gedauert, den Schimmel auf dem Rücken wieder loszuwerden und an die Fäulnis die ihre Füße bedrohte wollte sie erst gar nicht denken. Doch mit der Stelle als Friedhofsbewacherin hatte sie eigentlich sogar noch das Glück gehabt, in ihrer Heimat Ankh-Morpork bleiben zu dürfen, und nicht wie diverse andere Zombies aus der Stadt gejagt zu werden. Am heutigen Abend traf sich die Untotenrechte-Bewegung wieder bei Frau Kuchen in der Ulmenstraße um mehr oder weniger fruchtlose Pläne zu schmieden wie man Lord Farrux am Besten los wurde.
Schwarz ragten die Umrisse der zahlreichen Mausoleen in den grauen Himmel und Ateras platschende Schritte hallten zwischen den naßglänzenden Steinwänden wider. Zu ihrem Ärger bemerkte sie, wie sich die Naht an ihrem linken Ellenbogen lockerte. Immer wieder weichte die allgegenwärtige Feuchtigkeit die Nähte auf und dabei arbeitete sie schon mit der haltbarsten erhältlichen Stärke. Manchmal fragte sich Atera wie lange es noch dauern mochte bis sie einfach an Ort und Stelle auseinanderfiel.
Nach den unzähligen Runden die sie seit vielen Jahren bei jedem Wetter über den Totenacker gedreht hatte konnte sie die Reihenfolge sämtlicher Gräber auf ihrer täglichen Strecke auswendig herunterbeten.
"Selachii." murmelte sie mißmutig und schwenkte die Flasche mit ihrem Seelentröster. "Rust. Von Canis Maior Alpha. Käsedick. Venturii." Dieser Teil des Frieshofs beherbergte die sterblichen Überreste all jener die entweder Geld, einen Adelstitel oder beides besaßen.
Atera rutschte aus und hielt mühsam das Gleichgewicht. Mißtrauisch beäugte sie die Naht über ihrem linken Knöchel. Hatte diese nicht gerade ein verräterisches Knacken von sich gegeben?
Dann bemerkte sie die schwärzliche Schleimspur, die selbst der Dauerregen bisher nicht geschafft hatte, wegzuspülen.
"Was soll denn das jetzt schon wieder..." brummte Atera und verfolgte mit den Augen den Weg den das glitschige Band zwischen den Grüften und Mausoleen nahm. Ihr war ganz und gar nicht wohl bei dem Gedanken, was eine solche Spur hinterlassen könnte. Doch leider mußte sie der Sache auf den Grund gehen und noch ein kleiner Schluck Knieweich zur Stärkung konnte nicht schaden.
Aus dem kleinen Schluck waren schließlich drei Große geworden als die Friedhofswärterin schließlich das Ende der Spur erreicht hatte, und als sie sah was passiert war folgte gleich noch ein weiterer. Der schwärzliche Schleim führte die Stufen einer Gruft hinab deren Abdeckplatte einfach beiseitegeschoben worden war. Atera brauchte nicht einmal hinzusehen um zu wissen welche Familie hier ihre Toten begrub. Mürrisch schob sie die Flasche in eine der zahlreichen Taschen ihrer Latzhosen und förderte eine kleine Laterne zu Tage. Die Aussicht, in Grüften nach Ungeheuern zu suchen begeisterte sie nicht gerade. Wer konnte schon sagen, was diese verfluchten Zauberer nun schon wieder mit armen Tieren angerichtet hatten. Wehe wenn sie es wagten, ihrem Lieblingsfrosch Sir Henry auch nur in die Nähe zu kommen...
Der Breite der Spur nach zu urteilen mußte es sich wirklich um ein wahres Monster von einer Schnecke handeln, überlegte Atera während sie versuchte, die Lampe zu entzünden. Zumindest einen Vorteil hatte dieser ewige Regen - Sie mußte sich keine Sorgen machen, beim ersten Funken in Flammen zu stehen. Mit einem Zischen erlosch das Streichholz in einer Pfütze und die Friedhofswärterin hob die Laterne an um einen ersten Blick in die Gruft zu werfen. Die schmalen Treppenstufen die nach unten in die Schwärze führten waren mit Schleim überzogen.
Sich mit einer Hand an der Wand abstützend stieg Atera langsam in die Tiefe und wünschte sich nichts sehnlicher als ein Schwert. Wo war die Wache wenn man sie einmal wirklich brauchte?
Das schwache Licht der kleinen Laterne erhellte einen schmalen Gang in dessen Wände steinerne Nischen gebaut worden waren, jeweils drei übereinander. Särge in den unterschiedlichsten Stadien des Verfalls füllten die meisten dieser Regale der Toten und Atera war insgeheim froh, nicht mehr auf ihre Lungen angewiesen zu sein. Auch hier bedeckte der zähe, schwärzliche Schleim Boden und Wände und bildete in der hinterste Ecke der Grabkammer einen kniehohen Haufen. Misstrauisch beäugte Atera die seltsame Masse und ein leises Grauen überkam sie. Im Zuge ihrer Arbeit hatte sie schon einige seltsame Dinge gesehen, doch noch nie war ihr ein solches Objekt untergekommen. Für eine riesige Nacktschnecke war es eindeutig zu formlos und auch sonst gab es keine Beweise, daß es sich wirklich um ein Lebewesen handelte. Vielleicht hatte sich jemand einfach nur einen wirklich gemeinen Scherz erlaubt.
Plötzlich trat die Friedhofswärterin gegen einen harten Gegenstand, welcher klappernd über den Boden rollte. Das Geräusch ließ sie zusammenschrecken und beinahe hätte sie die Laterne fallen lassen. Unruhig tanzten Schatten über die Särge, den glitschigen Boden, die Masse in der Ecke und die niedrige gewölbte Decke. Vorsichtig, um ihre Nähte nicht unnötig zu belasten, ging Atera in die Hocke und hob den fraglichen Gegenstand auf. Es handelte sich um den unteren Teil einer Urne welche nur noch einen kleinen Rest Asche enthielt. Ein kleines, schlichtes Messingschild gab den Namen des Verstorbenen preis.
"Havelock Vetinari." las Atera nachdenklich und stellte die Urne auf einen vertrockneten Sargdeckel, während sie Grabschändung ihrer mentalen Liste der Dinge die sie der Wache melden mußte hinzufügte. Sie hatte keine Ahnung wem die Sache nun letztendlich in die Schuhe geschoben wurde, aber im Finden irgendeines Schuldigen hatte sich die Wache bisher immer als sehr gut erwiesen. Im Notfall sperrten sie einfach den nächstbesten Zauberer oder Beschwörer ein der ihnen über den Weg lief. Verstohlen sah sich Atera noch einmal um. Soweit sie es erkennen konnte lauerte keine weitere monströse Schnecke in einer der Nischen und erleichtert machte sich die Friedhofswärterin wieder auf den Weg ins Freie. Für sie war die Sache, abgesehen davon, daß sie irgendwann im Laufe des Tages die schwere Steinplatte ohne allzugroßen Nahtschaden wieder über den Eingang der Gruft schieben mußte, mit der Benachrichtigung der Wächter am Pseudopolisplatz erledigt.

Diebstahl


Araghast begann sich zu fragen ob der Regen jemals wieder aufhörte. Langsam aber sicher konnte er kein vom Himmel fallendes Wasser mehr sehen und hatte die Nase voll davon, sich nach jedem noch so kurzen Weg erst einmal wieder gründlich abtrocknen zu müssen. Auch alles andere hatte sich nicht zum Besseren gewendet. Er steckte immer noch in diesem riesigen A.G.L.A., ein Ding aus den Kerkerdimensionen lief frei in der Stadt herum und im Wachhaus lauerte ihm höchstwahrscheinlich schon wieder Zupfgut auf um ihm das Leben schwer zu machen.
In düstere Gedanken versunken stieß er die Wachhaustür auf und plötzlich überkam ihn das Gefühl, nach einer langen Reise endlich heimzukehren.
"Ich möchte mich beschweren!" zeterte die Stimme nach der jeder Wächter gelernt hatte seine Uhr zu stellen lauthals. "Diese Schleimspuren auf den Straßen, also wirklich! Da kann man ja als anständiger Bürger nicht einmal vor die Tür gehen ohne sich beinahe sämtliche Knochen zu brechen!"
Am liebsten hätte Araghast Frau Willichnicht einen dicken Kuss auf beide Wangen verpasst. Auf sie war Verlass, egal ob es hagelte, schneite oder man von irrsinnigen Verschwörern in einer falsche künstliche Realität gesteckt worden war. So lange Amalie Willichnicht jeden morgen um Punkt sieben Uhr fünf am Wachetresen erschien um sich zu beschweren war die Scheibenwelt noch nicht gänzlich verloren.
Feixend beobachtete Araghast wie die Rekrutin die an diesem Morgen das Pech gehabt hatte zum Tresendienst eingeteilt zu werden immer tiefer in ihrem Stuhl versank und schlich unauffällig in Richtung Kantine, eine Spur aus Wassertropfen hinter sich lassend.
Neben der dämonenbetriebenen Kaffeemaschine tobte eine wilde Diskussion zwischen dem Oberfeldwebel Dennis Schmied, Will Passdochauf, die, wie Araghast bemerkte auch hier die Abzeichen einer Hauptgefreiten trug, und einem Chief-Korporal der ihm vage vertraut vorkam, dessen Name ihm aber nicht einfiel.
"Jetzt mach schon!" raunzte Dennis den Kaffeedämonen an. "Ich hab heute gleich zwei Grabschändungen und einen verschwundenen jungen Mann am Hals und mir reichts!"
"Wenn du schon mal dabei bist dann kannst du ihn auch gleich dazu bringen, einen Kaffee für mich mitzubrauen." bemerkte Araghast und gesellte sich zu der Gruppe hinzu.
"Wie, Kaffee?" Der unbekannte Chief-Korporal blickte ihn mit gerunzelter Stirn an. "Ist dir der Fusel ausgegangen?"
Araghasts Auge verengte sich zu einem Schlitz.
"Das heißt für dich immer noch, ist dir der Fusel ausgegangen, Sör, kapiert?" gab er zurück.
"Nicht mehr lange." feixte der Fremde. "Mittlerweile weiß die gesamte Wache, daß Zupfgut dich wahrscheinlich degradiert."
"Aber noch hat er es nicht." schnappte Araghast und unterdrückte nur mühsam den Impuls, diese hämisch grinsende Fratze vor ihm die Bekanntschaft mit seiner Faust machen zu lassen.
"Breguyar, Nerviar, Ruhe jetzt!" ging Dennis dazwischen und der Feldwebel biss sich auf die Lippen. Selbst wenn er es auf eine Schlägerei angelegt hätte, zwei Meter Muskelmasse namens Dennis Schmied griff man nur an wenn man es sicher von hinten tun konnte. Dunkel erinnerte er sich an einen Wächter namens Lagan Nerviar der die Wache recht schnell wieder verlassen hatte.
"Was war das nun mit den Grabschändungen?" wechselte er darum schnell das Thema.
"Och... heute morgen kam die Wärterin vom Zentralfriedhof vorbei und meldete, daß die Vetinari-Gruft aufgebrochen worden ist. Überall schwarzer Schleim." Der Verkehrsexperte schüttelte den Kopf. "Ich frag mich, was das schon wieder soll. Untote sollen jedenfalls in dem Fall keine hochgekommen sein und eine schwarze Masse die in der Ecke klebt kann man ja wohl schlecht verhaften."
"Der andere war richtig ekelhaft." schaltete sich Will ein. "Bei Om, das wird immer schlimmer. Das Grab war offen, der Tote weg und eine halbzerfleischte Leiche lag daneben. Ob es sich nun dabei um diesen Bernicio Cassawar handelt oder nicht versucht SUSI gerade herauszufinden."
"Vetinari..." murmelte Araghast. "Cassawar..." Diese achtmal verwünschten Verschwörer! Mussten sie wirklich alles und jedes Ereignis aus seiner Vergangenheit irgendwie in diesen Wach-Alptraum einarbeiten? "Verdammt!" entfuhr es ihm. "Wer hat die Akten?"
"Nun mal ganz langsam. Die Leiche geht wohl an RUM und die Gruft bleibt bei uns." Dennis griff ihn am Arm, doch Araghast riss sich los und stürmte aus der Kantine, die Treppe hinauf und wäre beinahe ins Abteilungsleiterbüro gerannt bevor er sich erinnerte, daß er derzeit wieder in seinem Püschologenkabuff saß. Hastig warf er die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen.
Soso, dann ging also auch ein Zombie namens Bernicio Cassawar wieder einmal in Ankh-Morpork um und war vermutlich hinter Araghasts geerbtem Schwert her. Aber was sollte dann der Einbruch in die Familiengruft der Vetinaris? Immerhin erklärte der Vorfall das Fehlen sämtlicher AEKI-Möbel. Hier in dieser Abart Ankh-Morporks gab es kein Möbelhaus aus Nichtsfjord das auf einem aufgegebenen Friedhof stand.
Araghast ballte die Fäuste. Verschwörung gegen ihn hin und her, er wollte wissen, was mit Vetinari los war. Das hieß im Klartext, er musste sich auf irgendeine Weise Zugang zu den Akten beschaffen die vermutlich von den Zuständigen wie ihre Augäpfel gehütet wurden.
In einer Hinsicht wusste er auf jeden Fall mehr als SUSI. Wer auch immer die Leiche neben dem geöffneten Grab sein mochte, es konnte sich nicht um Cassawar handeln, da dieser bereits seit fünfundzwanzig Jahren tot war.

Gestärkt mit drei großen Schlucken Bärdrückers schlich Araghast die Treppe hinunter. Der Stille in der Eingangshalle nach zu schließen hatte Frau Willichnicht ihre Beschwerdentirade beendet und war wieder nach Hause zurückgekehrt. Der Feldwebel nickte zufrieden. Vermutlich stand die Tresenrekrutin zur Zeit püschisch dermaßen neben sich, daß sie sich nicht um ihn kümmern würde wenn er sich in die Büros der SEALS schlich und dort ein wenig in den Akten wühlte. Er wartete einen Moment ab in dem sie mit den Fallaufnahmeformularen beschäftigt war und huschte schnell durch die Eingangshalle. In einer dunklen Nische blieb er stehen und sondierte die Lage. Der Flur vor ihm war leer. Fünf eilige Schritte brachten Araghast zur Tür des Abteilungsleiters bei dem es sich laut dem Türschild um niemand anderen als Rince im Rang des Kommandeurs der Wache handelte. Langsam begann der Feldwebel, das System hinter dem Verschwinden eines Teils seiner Kollegen zu begreifen. Es handelte sich immer um Untote oder Nichtmenschen von denen plötzlich niemand mehr etwas gehört hatte oder deren Posten plötzlich von jemand anderem besetzt war.
Kein Wunder, wenn Schwallsack Farrux die Stadt regiert, dachte Araghast bitter und klopfte an die Tür. Als niemand ihn hereinbat nickte er zufrieden und stahl sich in das Zimmer. Er hätte sich auch gleich denken können, daß der Kommandeur grundsätzlich nicht vor acht Uhr zum Dienst erschien. Trotzdem war es nicht klug, länger als unbedingt nötig hier zu bleiben und darum machte er sich eilig daran, die Akten auf dem Schreibtisch zu durchwühlen.
Es dauerte nicht lange bis er gefunden hatte, was er suchte. Zufrieden schob er die schmale Mappe unter seinen Mantel und eilte wieder zur Tür. Bei dem Chaos das grundsätzlich im Büro des Dicken vorherrschte kam der plötzliche Verlust einer Akte vermutlich häufiger vor. Doch gerade als er in den Flur treten wollte hörte er plötzlich Stimmen, die rasch näherkamen.
"Und ich sag dir, die Degradierung hat er wirklich verdient. Man konnte schon fast denken, Feldwebel Saufnase hätte Narrenfreiheit, nur weil er der ach so tolle Püschologe ist."
Araghast erkannte den Sprecher an seiner wie Säure ätzenden Stimme beinahe sofort und hatte Chief-Korporal Lagan Nerviar schon kurz nach ihrem ersten verbalen Zusammenstoß auf seine ganz persönliche Hassliste gesetzt. Er biss sich auf die Unterlippe. Wenn der Kerl ihn hier erwischte würde er etwas wirklich drastisches tun müssen.
"Die Sache ist, man kann ihm nicht trauen." antwortete derweil Dennis Schmieds volltönender Tenor draussen auf dem Korridor. "Seit er die Affäre mit dieser Revolutionärin hatte können wir uns nicht mehr sicher sein, ob er nicht geheime Wacheinformationen an die Untergrundbewegung weitergibt. Hin und wieder trifft er sich in der Trommel mit dieser Voodoo-Hexe die es mal versucht hat, sich in die Wache zu schleichen. Ich finde das ziemlich suspekt."
Die beiden SEALS blieben direkt vor Rinces Bürotür stehen und Araghast versuchte, so lautlos wie möglich zu atmen. Auf Zehenspitzen schlich er auf die gegenüberliegende Seite der Tür und drückte sich flach gegen die Wand.
Mit einem leisen Knirschen wurde der Türgriff heruntergedrückt und die Tür schwang auf. Seiner Sicht beraubt, hörte Araghast die schweren Schritte des Verkehrsexperten den Raum durchqueren. Ein Rascheln verkündete, daß Dennis dabei war, den Schreibtisch abzusuchen.
"Und du bist dir wirklich sicher, daß du sie zu den anderen Fällen gelegt hast?" fragte er ungeduldig. "Ich find sie hier nicht."
"Sie muss aber da sein." antwortete Lagan. "Es sei denn, jemand von SUSI hat sie sich zwischendurch geholt wegen der Probe von diesem schwarzen Zeugs."
"Das kann auch sein." das Rascheln stoppte abrupt und die schweren Schritte kehrten zur Tür zurück. Araghast umklammerte mit der linken Hand die gestohlene Akte und mit der rechten den Griff seines Entermessers.
Ohne sich noch einmal umzusehen verließ Dennis Schmied das Büro des Kommandeurs und zog die Tür hinter sich zu. Erleichtert atmete Araghast auf und wartete, bis sich die Schritte der beiden SEALS entfernt hatten. Dann stahl er sich aus dem Raum und brachte seine Beute in seinem Büro in Sicherheit.

Verboten


"Ich glaube nicht, daß die Zauberer uns da so ohne weiteres reinlassen." Kamerun kratzte sich am Kinn. Schon seit einer Viertelstunde stand er in Gesellschaft von Edwina Walerius in einer Toreinfahrt am Hier-Gibts-Alles-Platz und beobachtete durch den Regen der die Stadt gleich einem triefenden Vorhang einhüllte das Haupttor der Unsichtbaren Universität.
"Nicht wenn diese drrei Männerr in schwarrz dorrt weiterrhin mit geladenen Arrmbrrüsten im Brrüllerrhäuschen herrumstehen." stimmte die Überwaldianerin ihm zu. "Und seit wirr hierr sind ist nicht ein einziger Zauberrerr hinein- oderr hinausgegangen."
"Normalerweise ist das Tor bis zum Zapfenstreich immer offen. Und ich habe noch nie einen Brüller mit was schärferem als seiner Pike gesehen."
"Warrte hierr, ich frrage einfach nach." Edwina drückte Kamerun den in Öltuch gewickelten Ruf des Cthulhupalhulhu in die Arme und spannte ihren Regenschirm auf. "Zurr Not gebe ich mich als unwissende Ausländerrin aus."
Mit grimmiger Entschlossenheit marschierte sie über den wie leergefegten Platz.
Kamerun sah ihr nach, während sein Gefahreninstinkt ihm einen mentalen Tritt verpasste. Etwas stimmte hier nicht und davon eine ganze Menge. Insgeheim war er froh, daß sein Bruder in Sicherheit war. Es hatte zwar eine Menge Überredungskunst gekostet ihn zum Zurückbleiben zu bewegen, aber wenn es um das Wohlergehen des Kleinen ging verstand Kamerun keinen Spaß. Doch kaum war Raistan aus dem Gefahrenbereich, begab sich die Walerius nun unmittelbar hinein. Diese Frau war und blieb ihm ein Rätsel. Ihr gesamter Auftritt wirkte kühl und unnahbar, doch gleichzeitig hatte sie sich um den Kleinen gekümmert wie eine Mutter. Einerseits bewahrte sie die Asche ihrer Opfer als Andenken in einem Setzkasten auf und trank zwergischen Whisky als wäre es Wasser, andererseits zeigte sie wahre Hilfsbereitschaft den Brüdern gegenüber. Edwina Walerius bestand aus lauter Gegensätzen. Am liebsten hätte Kamerun seinen Zwillingsbruder gefragt was dieser von ihr hielt. Raistan konnte Menschen lesen wie Bücher. Doch er saß gerade hinter dem Schreibtisch, im Rücken die reglose Erscheinung des Hexers von Ankh, und versuchte, aus Kraftliebs zweitem Werk schlau zu werden.
Unwillkürlich wanderte Kameruns Hand zum Griff seines Schwertes. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, daß er die Waffe vielleicht sehr bald brauchen würde.

"Einen wunderrschönen Guten Morrgen!" begrüßte Edwina die drei Bewaffneten munter. "Was ist denn hierr los? Warrum ist das Torr noch nicht geöffnet?"
Einer der Männer, dem Abzeichen auf seinen Schultern nach zu schließen der Ranghöchste, musterte sie scharf und gab seinen Kollegen ein Zeichen. Diese richteten ihre Armbrüste auf die fremde Frau.
"Was wollen Sie?" schnarrte der Bewacher. "Wenn ich Sie wäre würde ich lieber schnell von hier verschwinden, Madame, dann vergesse ich vielleicht, daß Sie gerade versuchen, das Gesetz zu brechen."
"Welches Gesetz?" Edwina setzte ihre im Laufe vieler Jahre perfektionierte Unschuldsmiene auf. "Es tut mirr wirrklich leid, ich bin frremd hierr in derr Stadt und dachte, man könnte vielleicht die berrühmte Unsichttbarre Univerrsität besichtigen."
Ungeduldig winkte der Mann mit der Hand. "Befehl des Patriziers von gestern Abend. Niemand darf in die Universität rein und die Zauberer nur mit Sondergenehmigung raus. Und jetzt sehen Sie zu, daß Sie von hier verschwinden, bevor ich Sie wirklich noch festnehme."
Edwina ließ sich von den Drohungen ihres Gegenübers nicht im geringsten beeindrucken. Wer mehr als einmal einem hungrigen Vampir Auge in Auge gegenübergestanden hatte fürchtete sich nicht vor einem aufgeblasenen Wichtigtuer. Doch eine Sache hatte sie stutzig gemacht. Weshalb sollte Vetinari eine Ausgangssperre für Zauberer anordnen? Diese andere Welt war wirklich verrückter als sie gedacht hatte.
"Dann wünsche ich Ihnen drreien noch einen weiterren schönen Tag." flötete sie und marschierte davon.

"Und?" fragte Kamerun neugierig während sie durch die Pfirsichblütenstraße in Richtung Ankh schlenderten.
In knappen Worten berichtete Edwina ihm, was sie erfahren hatte.
"Verrückt." murmelte der Nachwuchsheld und steuerte auf die kleine Straße namens Hinten zu die an die Mauer der Universität grenzte. "Aber es gibt ja immer noch den sogenannten Studenteneingang."
"Du meinst die losen Steine in der Mauer?"
Kamerun stutzte.
"Sie kennen die?"
"Hörr mal." seufzte Edwina. "Ich bin Okkultistin. Werr wärre ich denn wenn ich nicht wenigstens die Hauptschleichwege derr magischen Zünfte kennen würrde? Und außerrdem hörr endlich auf, mich zu siezen. Ich sagte doch schon, wirr schieben alle das gleiche Boot überr den Ankh, Kamerrun Quetschkorrn. Außerrdem bin ich so alt nun auch noch nicht."
"In Ordnung, Fr... Edwina." sagte der Krieger mit einem leichten Ton der Resignation in der Stimme. "Wenn du wirklich darauf bestehst."
"Ja, ich bestehe darrauf."
Beinahe vier Meter hoch ragte die Mauer vor ihnen auf und trennte das Gelände der Unsichtbaren Universität vom Rest der Stadt. Kamerun sah sich kurz um und trat dann ohne zu zögern auf eine bestimmte Stelle zu. Entschlossen packte er einen Stein und versuchte, ihn aus der Mauer zu ziehen. Der aus dem dunklen Granit der Spitzhornberge gehauene Quader rührte sich nicht auch nur einen Millimeter von der Stelle.
"Vielleicht klemmt err bei Rregen." spekulierte Edwina. "Oderr es ist doch die falsche Stelle. Obwohl ich mirr auch ziemlich sicherr bin, daß es hierr gegenüberr derr Beschwörrerrgilde lag."
"Ausgeschlossen." schnaufte Kamerun und schob sich das hellbraune, gewellte Haar hinter die Ohren. "Ich finde die Steine sogar nachts und mit ein paar Bier intus. So oft wie ich den Kleinen hier besucht habe, kann ich mich nicht irren."
"Dann hat jemand die Steine wiederr festgemauerrt." zog Edwina den einzig logischen Schluss. "Du errinnerrst dich doch darran, was dieserr Bewacherr gesagt hat. Kein Ausgang ohne Genehmigung fürr Zauberrerr." Missmutig blickte sie auf das Bündel in ihrem Arm. "Und ohne Kletterrausrrüstung kommen wirr da nicht rrüberr. Schade. Es hätte so schön sein können. Einmal das Buch unterr diesen Denkapparrat gelegt und wirr hätten vielleicht eine Lösung fürr unserr kleines Rrealitätsprroblem gehabt."
"Und wenn wir heute Nacht noch mal mit einem Wurfhaken wiederkommen?"
"Genau darran habe ich auch gerrade gedacht. Aberr was wirr jetzt erst einmal tun werrden ist, uns eine Ausgabe derr Times zu besorrgen um zu schauen was hierr überrhaupt läuft und anschließend einen Trrinken zu gehen. Das Café Ankh hat schon vorrmittags geöffnet und Samael spielt sehrr gute deprrimierrende Klavierrmusik. Das ist genau das was ich jetzt brrauche."

Das Tor öffnet sich


In dem verlassenen Keller tief in den Schatten herrschte beinahe völlige Finsternis. Doch das Ding im Körper Emanuel Kaboltzmanns war zufrieden. Vor ihm stand ein halbverwester Zombie und ritzte mit einem Stecken das Bild eines dreigelappten Auges in den von mehreren Flutkatastrophen schlammigen Boden.
"Non mortuum est quid potest vivere eternam et in tempore alieno etiam mortuum potest mori." krächzte der Untote und Kaboltzmanns Kopf nickte zufrieden. Einer der beiden die das Ding aus den Kerkerdimensionen damals bei seiner Beschwörung zusätzlich zu den Kultmitgliedern zu sich genommen hatte war nun zurückgekehrt um ihm zu dienen. Was aus dem anderen geworden war wusste es nicht, doch es spielte auch keine Rolle mehr. Mit einer Handbewegung bedeutete das Ding seinem Diener, die vorgeschriebene Position einzunehmen. Nun war es so weit. Endlich, nach Äonen in der Verbannung, würden es und seine Meister wieder die Herrschaft über diese Welt ergreifen.
Die Augen die einmal Emanuel Kaboltzmann gehört hatten glühten golden und tief in der Schwärze der sanduhrförmigen Pupillen glomm ein grünlicher Funke. Hände ballten sich zu Fäusten und eine magische Entladung ließ die Schatten in ihren Grundfesten erbeben.
In der Mitte des Kellers materialisierte sich eine Miniaturabbildung des Runden Meeres.
Das Ding erhob die Arme des besetzten Körpers und begann, die von Achmed-al-Alhazred im NECROTELICOMNICON überlieferten Beschwörungsformeln zu intonieren.
"Ich rufe an das erste Siegel des K' razad Belehal!" kreischte es.
"K' razad Belehal!" antwortete der Zombie und berührte einen Punkt am Rande des Runden Meeres, welcher in einem ungesunden grün zu glühen begann. Wäre Edwina Walerius anwesend gewesen hätte sie festgestellt, daß es sich um genau jene Stelle handelte an der sich laut ihrem Atlas das Dorf Kneipenmünde befand.
Von dort an ging es Schlag auf Schlag.
"Ich rufe an das zweite Siegel des Tshak Valh'orn!"
"Tshak Valh'orn!"
Auf die Berührung des halb skelettierten Fingers hin begann ein Punkt in der Nähe von Ephebe zu leuchten.
"Ich rufe an das dritte Siegel des Khay Thak!"
"Khay Thak!"
Ein Funke erhellte das tsortanische Küstendorf Yhanthlei.
"Ich rufe an das vierte Siegel des T'Pren Zchoch!"
"T'Pren Zchoch!"
Der Ort an dem sich in der Realität das klatschistanische Hochplateau von L'enq befand brannte hell wie eine Fackel.
"Ich rufe an das fünfte Siegel von Yiib-Grllathach!"
"Yiib-Grllathach!"
Dieses Mal stand das Dorf Arkram in Omnien in grünen Flammen.
"Ich rufe an das sechste Siegel von Lloi-Gor!"
"Lloi-Gor!"
Feuer verzehrte die Schilfhütten eines kleinen Fischerstammes an der Mündung des Djel.
"Ich rufe an das siebente Siegel des Ubbo-Sathla!"
"Ubbo-Sathla!"
Der seit langem tote Finger tippte auf die Stelle an der sich die Halbinsel Holy Wood befand und hinterließ einen brennenden Abdruck.
"Ich rufe an das achte Siegel des Tha'khishis!"
"Tha'khishis!"
Nach einer kurzen Berührung der Zombiehand brannte die klatschianische Siedlung Alazif auf der Halbinsel El Kinte lichterloh.
"Nun, da die acht Siegel der Macht gebrochen sind, erhebe dich, oh Meister des Schreckens und ewiger Verdammnis! Iääh! Iääh! Cthulhupalhulhu Fthaghn!" rief das Ding extatisch und in der Mitte des Runden Meeres, dort wo sich die unsichtbaren Verbindungslinien der jeweils gegenüberliegenden brennenden Punkte kreuzten, bildete sich ein tiefschwarzer Fleck.
Es wies mit dem Zeigefinger auf den finsteren Wirbel.
"Shi'rak Azathoth Cthuga Shudde-Mell Niggurath Tsathoggua Schodagoi!"
Die unheiligen Worte in der blasphemischen Sprache die nicht sein durfte hallten lautlos durch die gesamte Stadt und diverse Priester verschiedenster Gottheiten verspürten für einige Minuten ein leichtes Unwohlsein. Im Tempel des Blinden Io zerbrachen mehrere mit Weihwasser gefüllte Flaschen und überfluteten die Vorratskammer. Das Götzenbild der Kaba, Göttin des Kakaos, zersprang in acht exakt gleich schwere Stücke.
Doch ansonsten blieben die Auswirkungen des finsteren Rituals vorerst weitgehend unbemerkt. Nur in der Mitte des Runden Meeres bildete sich eine kleine, pechschwarze Wolke die langsam um ihre eigene Achse rotierte.

Fern der Heimat


Ich bin nur ein Junge aus dem hint'ren Überwald
und einst hört' ich die Gerüchte
über Glück und Geld in der großen Stadt am fernen Ankh
und es klang gut
Darum packte ich mein Bündel und nahm zusammen meinen Mut
Hm-m-m...

Als ich fortging von zu Hause war ich noch ein halbes Kind
in Gesellschaft vieler Fremder
auf dem Kutschendach, gespannt nervös und aufgeregt
und der Gestank
kaum erreichte ich Ankh-Morpork wurde ich erst einmal krank
Aber dennoch zollte ich den Göttern Dank

Lei-la-lei... Lei-la-lei-lei-lei-la-lei... Lei-la-lei... Lei-la-lei-lei-lei-la-lei... La-la-lei-la-lei... [3]


Obwohl es erst später Vormittag war saß der bleiche, in einen altmodischen Abendanzug gekleidete Mann am Klavier und spielte. Edwina mochte das Café Ankh. Egal zu welcher Tageszeit man kam, immer gab es Klaviermusik, schummerige Beleuchtung und einen Tisch in einer abgeschiedenen Nische für diejenigen Besucher die am liebsten ein ganzes Lokal nur für sich allein gehabt hätten.
Vor der Überwaldianerin und dem Nachwuchshelden lag ausgebreitet ein Exemplar der aktuellen Ankh-Morpork Times.
"Also, derr hiesige Patrrizierr heißt Lorrd Farrux, ist ein Bösewicht errsterr Güte und hat alle Nichtmenschen aus derr Stadt werrfen lassen." fasste Edwina die Ergebnisse der letzten halben Stunde zusammen. "Des weiterren wurrde ein gewisserr Ewein Krrawunkel fürr den Morrd an derr Näherrin ins Gefängnis geworrfen und als Rreaktion darrauf eine Ausgangssperre fürr Zauberrerr verrhängt. Ansonsten gab es noch einen verrsuchten Brrandanschlag einerr rrevolutionären Zelle auf das Hauptquarrtierr derr Geheimpolizei, zwei Fälle von Grrabschändung, ein verrschwundenerr Junge derr sich offenbarr fürr den Hexerr von Ankh gehalten hat, siebzehn Morrde in den Schatten und die Hinrrichtung des Kopfes derr sogenannten Diebesgilde. Darraus lässt sich schließen, daß das Gildensystem auch nicht das ist was es norrmalerweise sein sollte."
"Hier stimmt einfach gar nichts." Kamerun trank den letzten Schluck seines Überwaldianischen Kaffees und leckte sich die Sahne von den Lippen. "Wo ist Vetinari?" fragte er als er die Tasse vorsichtig auf einer der wenigen zeitungsfreien Stellen des Tisches abstellte.
Edwina zuckte nur mit den Schultern und schwieg.

Für nur magere Bezahlung sucht' ich Arbeit in der Stadt
Doch bekam nur Schläge
und ein Lächeln von den Näherinnen im Boucherie
Ich gebe zu
In den Zeiten größter Einsamkeit fand ich dort etwas Ruh
La-la-la-la-la-la-la...

Lei-la-lei... Lei-la-lei-lei-lei-la-lei... Lei-la-lei... Lei-la-lei-lei-lei-la-lei... La-la-lei-la-lei...


"Das Lied kenne ich." sagte Kamerun plötzlich. "Ist von Flavius und Furunkel und heißt Der Wächter. Kennst du die?"
"Ich habe mal von Flavius gehörrt, allerrdings sind seine Eigenkompositionen nicht so sehrr mein Ding." Nachdenklich spielte Edwina mit ihrem Federhalter. "Vielleicht bin ich fürr manche Sachen einfach schon zu alt. Allerrdings gefallen mirr seine Verrsionen alterr überrwaldianischerr Zwerrgenliederr sehrr gut. Es errinerrt mich immerr an frrüherr und meine alte Heimat. Manchmal fühle ich mich ein wenig wie derr junge Mann überr den in Derr Wächterr gesungen wirrd. Ankh-Morrporrk ist ein korruptes Drrecksloch das die Trräume unzähligerr hoffnungsvollerr Einwanderrerr aus allen Teilen derr Scheibenwelt in Stücke gerrissen und im Ankh errtrränkt hat. Wenn man dich woanderrs nirrgendwo mehrr haben will, geh nach Ankh-Morrporrk, irrgendwo in dem Drreck ist auch noch ein Platz fürr dich frrei falls du ihn dirr errkämpfen kannst und nicht schon nach wenigen Stunden mit einem Messerr zwischen den Rrippen auf derr Krruste des Flusses liegst." Sie löste ihren Flachmann vom Gürtel und schenkte sich nach einem verstohlenen Blick einen kräftigen Schluck des Inhalts in ihre Tasse. "Ich habe mich durrchgebissen, aberr auf jeden derr es schafft kommen viele, die einfach unterrgehen. Ein Grroßteil derr Mitgliederr derr Stadtwache besteht aus Nichteinheimischen."
"Der Kleine und ich wurden hier auch nicht geboren." Ein Schatten schien über das markante, gutaussehende Gesicht des jungen Kämpfers zu wandern. "Wir sind mit vierzehn von daheim weggelaufen weil wir es nicht mehr ausgehalten haben. Ich hatte keine Lust, Dorfschmied zu werden und irgendwann mal ein Zehntel eines Kohlfeldes zu erben von dem ich nicht leben kann." Er zog sein Schwert aus der Scheide und legte es auf den Tisch. "Mein Großvater war Söldner und hat mir das hier vererbt. Nach all dem was er mir erzählt hat als ich klein war wollte ich immer Kämpfer werden."
Edwina beugte sich vor und begutachtete die gepflegte, im gedämpften Licht der Tischlaterne schimmernde Klinge.
"Hildegarrd?" fragte sie stirnrunzelnd als sie die eingravierten Buchstaben bemerkte.
"So hieß meine Großmutter." erklärte Kamerun. "Es ist kein besonders, nun, heroischer Name für ein Schwert, aber so wurde Oma Hühnertau quasi unsterblich. Großvater wollte immer, daß ich die Waffe kriege wenn ich alt genug bin. Warum gerade ich, weiß ich auch nicht. Immerhin habe ich sechs ältere Brüder die alle genauso groß und stark sind und vermutlich auch klüger."
"Ich hatte überrhaupt kein Wahl was meinen Berruf betrraf." sagte Edwina und nahm einen Schluck ihres noch einmal extra verstärkten Getränks. "Ein Walerrius jederr Generration wurrde Vampirrjägerr, das warr Familiengesetz. Aberr ich müsste lügen wenn ich sagen würrde, daß mirr das Ganze keinen Spaß gemacht hat."
"Da wo wir herkommen gibt es nur Kohl, Kohl und noch mehr Kohl." Kamerun steckte das Schwert wieder zurück in die Scheide. "Wir hatten eh geplant wegzulaufen, und dann haben wir auf dem Lehrstellenmarkt, wo Vater mich an den Schmied weitergeben wollte, Fraktus Berggießhübel getroffen. Und ich sag dir eines: Ich musste weg. Wenn Vater dem Kleinen noch einmal den Rücken blutig geprügelt hätte weil der wieder einmal Rattenskelette mit Sense in der Scheune gesehen hat wär es ihm schlecht ergangen." Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
"Verrprrügelt bis aufs Blut?" fragte Edwina entsetzt. "Ich begrreife nicht wie ihm jemand nurr ein Haarr krrümmen kann, so klein und zerrbrrechlich wie err ist. Man hat eigentlich eherr immerr den Impuls, ihm überr den Kopf zu strreichen und ihn zu beschützen."
Ein kleines Lächeln huschte über Kameruns Gesicht. "Auf dem Lehrlingsmarkt in Kohldorf liefen wir dem Zauberer Fraktus Berggießhübel über den Weg. Er hat erkannt, warum der Kleine andauernd Dinge sah die es nicht gab. Ich bin der siebte Sohn eines achten Sohnes und Raistan der achte. Deshalb war er dazu bestimmt, Zauberer zu werden. Berggießhübel hat uns mit nach Ankh-Morpork genommen und dort untergebracht wo wir lernen konnten was wir wollten. Ich das Kämpfen in der Heldengilde und der Kleine das Zaubern in der Unsichtbaren Universität."
"Du scheinst nicht besonderrs glücklich mit deinem Vaterr zu sein." bemerkte Edwina.
"Er war ein Mistkerl. Unsere ältere Schwester hat er rausgeworfen weil sie ein uneheliches Kind bekommen hat. Und dauernd die Predigten darüber, daß wir Kinder später selbst für uns sorgen müssen weil wir von unserem Teil des Kohlfeldes nicht satt werden. Das hat ihn aber nicht dran gehindert, dreizehn Kinder in die Welt zu setzen."
"Drreizehn ist auch wirrklich viel." Die Überwaldianerin starrte in ihre Tasse. "Und du verrmisst deine Heimat wirrklich nie?"
"Niemals!" erklärte Kamerun im Brustton der Überzeugung. "Obwohl ich mich manchmal schon frage, was aus den anderen geworden ist. Ob Janus und seine Frau jetzt wirklich das Kohlfeld übernommen haben bis der Alte in den Kohl beißt? Und wo steckt der ganze Rest? Was ist aus der kleinen Franzia geworden? Ist Kieran wirklich weggelaufen um Musiker mit Steinen drin zu werden?" Seine Stimme verlor sich.
"Manchmal frrage ich mich, was ich eigentlich noch in Ankh-Morrporrk verrlorren habe." Edwina klang melancholisch. "Immerr wenn ich ein altes Zwerrgenlied hörre sehe ich vorr mirr die schneebedeckten Berrge mit den dunklen Wälderrn an den Hängen und hörre das ferrne Heulen derr Wölfe. Je älterr man wirrd und je längerr man forrt ist desto eherr neigt man dazu, die schlechten Seiten derr Heimat zu verrgessen. Und wo auch immerr es einen hin verrschlägt, ein kleinerr Teil von einem wirrd immerr ein Frremderr bleiben."
"Na ja, mir gefällt es immer noch wunderbar in Ankh-Morpork." entgegnete Kamerun. "Abgesehen davon, daß es zu wenig Möglichkeiten für anständige Abenteuer gibt."
Trotz ihrer trüben Stimmung konnte Edwina gar nicht anders als laut loszulachen.
"Und wie nennst du dann das wo wirr gerrade mitten drrinstecken?" fragte sie scherzhaft und verpasste ihm mit dem Zeigefinger einen kleinen Nasenstüber. "Ist das etwa kein Abenteuerr?"
"Nun ja, schon." druckste der Nachwuchsheld herum. "Aber es ist so... komisch. Normalerweise stürmt man die Festung des Bösen, kämpft gegen seine Schergen und besiegt ihn. In den ganzen Legenden ist nie davon die Rede, daß der Held von grausamen Alpträumen gequält wird und teilweise gar nicht weiß wer der Feind eigentlich ist."
"Seh es doch einfach so." Immer noch lächelnd lehnte sich Edwina in ihrem Stuhl zurück. "Es gibt solche Abenteuerr und solche. Vielleicht ist unserres ja eine ganz neue Arrt. Schließlich kommt es nicht alle Tage vorr, daß jemand in einerr Arrt parrallelen Welt landet." Sie griff nach ihrem goldfarbenen Notizbuch. "Was uns wiederr auf das eigentliche Thema brringt: Was ist eigentlich genau passierrt und wie kommen wirr wiederr zurrück?"
Während sich die beiden wieder der Zeitung zuwandten durchflutete die Tenorstimme des Klavierspielers den Raum und erzählte weiter von den hoffnungslosen Gestalten die nach Ankh-Morpork kamen und vom großen Glück träumten.

Oft starrt' ich in mein Whiskyglas und wünschte mich nach Haus
Nur nach Haus
Wo die Verderbtheit dieser Stadt mich nicht mehr weinen lässt
Weinen lässt... Nur nach Haus...

Auf der Kreuzung steht ein Wächter, eine Narbe im Gesicht
Er trägt in sich die Erinnerung
an jenen Gauner der ihn niederschlug in dunkler Gasse, er überlebte nur mit Glück
Ich geh fort von hier, nur fort von hier
Doch der Wächter bleibt zurück
Hm-m-m...

Lei-la-lei... Lei-la-lei-lei-lei-la-lei... Lei-la-lei... Lei-la-lei-lei-lei-la-lei... La-la-lei-la-lei...


Tot und begraben


Die Chrononhotonthologosstraße erschien selbst zur Mittagszeit wie ausgestorben. Wieder einmal wischte sich Araghast den Regen aus dem Auge. Diese kleine Geste war ihm im Laufe der letzten Tage bereits zur Gewohnheit geworden. In der Tasche seines Mantels steckte eine sorgfältige Zusammenfassung des Inhalts der Akte die er aus Kommandeur Rinces Büro entwendet hatte.
Das halb offen stehende Haupttor des Zentralfriedhofs quietschte leise in den Angeln als eine Windbö durch die Straße fegte. Unwillkürlich blickte Araghast zur anderen Straßenseite hinüber. In einem der Fenster die zur Wohnung der Okkultistin Edwina Walerius gehören mussten brannte Licht.
Warum eigentlich nicht, überlegte der Feldwebel und eilte über das regennasse Pflaster. Vielleicht hatten die unbekannten Verschwörer ja auch eine exakte Kopie der geheimnisvollen Überwaldianerin erschaffen. Araghast presste sich gegen die Hauswand und spähte vorsichtig durch das Fenster.
Eine Öllampe stand auf dem Schreibtisch und spendete eine kleine Lichtinsel, in der eine Person in einem dicken Buch las. Ein Vorhang aus langem, leicht gewelltem Haar verbarg ihr Gesicht und alles was Araghast ausmachen konnte war eine schmale, knochige Hand die wie abwesend mit der Ecke einer Seite spielte.
Als der Feldwebel sich abwandte verspürte er einen leichten Stich der Enttäuschung. Er hatte keine Ahnung wer dort hinter dem Schreibtisch saß, doch es handelte sich auf keinen Fall um Edwina Walerius.
Leise vor sich hinfluchend überquerte er zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten die Straße und schlüpfte durch das Friedhofstor. Vor ihm erstreckten sich Reihen über Reihen regennasser Grabsteine. Ein wahres Regiment der Toten, ging Araghast durch den Kopf, als er seine Schritte in Richtung eines ganz bestimmten Grabes lenkte. Bevor er mit dem Friedhofswärter sprach wollte er noch etwas nachprüfen.
In feinen Strömen lief der Regen am Stein des Grabes von Henning und Tricia Eule herunter und versickerte in der weichen Erde. Araghast ging in die Hocke und wischte das Wasser und die halbverrotteten Blätter des vergangenen Herbstes fort, die die Inschrift halb verdeckten. Sofort erkannte er, daß eine weitere, noch nicht sehr alte Gravur hinzugekommen war.
Leonata Wilhelmina Eule, entzifferte er und schluckte. Das Todesdatum war ein gutes halbes Jahr alt.
Ein leises Knurren entrang sich Araghasts Kehle und er entblößte seine angespitzten Eckzähne. Warum taten diese Verschwörer ihm das bloß an? Handelte es sich wirklich um eines dieser Verhaltensexperimente? Man setze jemanden in einer veränderten Umgebung aus und schaue dann, wie er sich verhielt.
Wütend schüttelte Araghast seine geballte Faust gen Himmel.
"Wartet nur ab!" rief er. "Wenn ich euch kriege mache ich Hackfleisch aus euch!"
Und ohne den Grabstein noch einmal anzublicken marschierte er in Richtung des Friedhofswärterhäuschens davon. Lea war nicht tot, was auch immer diese künstliche Welt ihm einzureden versuchte. Vermutlich wunderte sie sich schon lange, wo er steckte. Ob sie wohl schon im Wachhaus erschienen war und ihn als vermisst gemeldet hatte? Dies war schon der zweite Tag den er damit verbrachte, in diesem irrwitzigen Abklatsch seines vertrauten Ankh-Morpork herumzuirren und Phantomen hinterherzujagen. Wenn ihm doch nur irgendwer wenigstens einen kleinen Hinweis geben würde was er tun konnte um hier wieder hinauszukommen...
"Lea, ich vermisse dich." sagte er leise und hielt sich die rechte Hand, an deren Ringfinger sein Verlobungsring steckte, vor die Augen. Dunkel erinnerte er sich daran, am vorvorigen Abend, als er sturzbetrunken in seinem Schreibtischstuhl gehangen hatte, überlegt zu haben, sie freizugeben. Doch mittlerweile wollte er sie nur noch wiedersehen, egal was das innere Monster tat.

Ein heimeliges Licht schien aus den Fenstern des heruntergekommenen Friedhofswärterhäuschens und bildete eine einsame Insel der Wärme in dem Ozean des nasskalten Wetters welches Ankh-Morpork seit Tagen fest im Griff hatte.
Auf Araghasts Anklopfen hin ertönten schlurfende Schritte, gefolgt von einem Fluch über Schimmelpilze und nasses Wetter. Dann wurde die Tür geöffnet und eine Wolke von Verwesungsgestank überfiel Araghast wie ein lizenzierter Dieb einen Passanten.
Der Feldwebel konnte es sich gerade noch verkneifen, sowohl in einen Hustenanfall auszubrechen als auch zu salutieren. Bei der Zombiefrau die dort vor ihm stand, eines ihrer Ohren in der Hand, handelte es sich um niemand anderen als Stabsspieß Atera.
"Komm rein." sagte sie mürrisch und trat von der Tür zurück. "Was wollt ihr Wächter noch von mir wissen?"
"Entschuldigung, daß ich noch einmal störe." begann Araghast, in der Hoffnung, die unverhohlene Antipathie der Zombiefrau ein wenig zerstreuen zu können. "Ich habe da noch einige Fragen zu dem Grabschändungsfall von heute Morgen."
"Hab ich alles schon den Wächtern erzählt die heute Morgen hier waren." Atera legte das abgefallene Ohr auf den wackeligen Tisch und nahm einen Schluck aus dem schmierigen Glas, das zusammen mit einem zerbrochenen Spiegel und mehreren Rollen Nähgarn auf der Tischplatte stand.
Araghast schnupperte. Außer dem unverkennbaren Zombiegeruch hing das feine Aroma von Äpfeln in der Luft. Nun, hauptsächlich Äpfel, korrigierte sich der Feldwebel als er die Ansammlung von verdächtig aussehenden Flaschen auf dem Fensterbrett bemerkte.
"Ja, ich habe die Akte gelesen." erklärte er. "Aber meine Fragen haben eher weniger mit dem Schleim in der Gruft zu tun sondern mit deren, nun ja, Inliegern."
Für einen Augenblick antwortete Atera nicht. Sie war vollauf damit beschäftigt, einen Faden durch ein Nadelöhr zu bekommen. Nach dem fünften Anlauf war sie schließlich erfolgreich.
"Wenn du mir den Spiegel hältst während ich mir mein Ohr wieder annähe erzähl ich dir was über die Vetinaris."
"In Ordnung." Vorsichtig, um sich nicht zu schneiden, nahm Araghast den gesprungenen Spiegel vom Tisch und hielt ihn der Zombiefrau vor das Gesicht. Während er zusah wie sie mit groben Stichen ihr Ohr wieder am Rest ihres Kopfes befestigte ging er im Geiste noch einmal den Inhalt der gestohlenen SEALS-Akte durch. Eine schleimige Masse war in die Gruft der Familie Vetinari eingedrungen und hatte sich über die Urne des letzten Familiensprosses Havelock hergemacht, welcher in Araghasts Wirklichkeit die Stadt regierte. Und gleichzeitig war ein Zombie namens Bernicio Cassawar aufgestanden und hatte gleich die erstbeste Person die ihm über den Weg gelaufen war bestialisch getötet. Wenn es dort keine Zusammenhänge gab würde er seinen Webel verspeisen.
"Danke." sagte Atera brüsk und schnitt den herabhängenden Faden mit einer rostigen Schere ab. "Also, was willst du wissen, Wächter?"
"Wann ist Havelock Vetinari gestorben?" fragte Araghast als er den Spiegel wieder vorsichtig auf die Tischplatte zurücklegte.
Die Friedhofswärterin zuckte mit den Schultern und gönnte sich einen Schluck Knieweich.
"Gute Frage. Auf jeden Fall war das vor meiner Zeit und ich bin schon seit einigen Jahren hier. Gib mir das Buch da oben im Regal. Wenn ich es selbst rausnehme fürchte ich, daß mir bei dem Mistwetter die Arme abfallen."
Araghast gehorchte und zog den schweren Wälzer aus dem Regal. Mit einem Knall ließ er ihn vor Atera auf den Tisch fallen was eine nicht unbeträchtliche Staubwolke aufwirbelte.
"Hm." brummte die Zombiefrau und begann, in den teilweise schon recht vergilbten Seiten herumzublättern.
Während er wartete zog der Feldwebel seinen Flachmann aus der Manteltasche. Einen kräftigen Schluck hatte er dringend nötig um den Verwesungsgestank noch eine Weile auszuhalten.
"Da." verkündete Atera plötzlich und wies mit einem nahtübersäten Zeigefinger auf einen ausgeblichenen Eintrag. Araghast beugte sich über das Buch und versuchte, die undeutliche Handschrift zu entziffern.
"Havelock Vetinari." las er laut vor. "Urnenbestattung, Datum achtundzwanzigster Spuni des Jahres der depressiven Kaulquappe." Kurz rechnete er rückwärts. "Das war vor etwa fünfundzwanzig Jahren." Er nickte zufrieden.
"Sonst noch etwas?" fragte die Friedhofswärterin in einem Tonfall in dem die Worte genausogut 'Lass mich bloß in Ruhe' hätten bedeuten können.
"Nein, das war soweit alles." antwortete Araghast und wandte sich zum Gehen. "Ich danke wirklich herzlich. Sie haben mir sehr weitergeholfen."
Atera knurrte etwas Unverständliches und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Knieweichglas zu.
Dann nicht, dachte Araghast und zog den Kopf zwischen die Schultern als er aus der Hütte hinaus in den strömenden Regen trat. Fünfundzwanzig Jahre... genauso lange lag der Tod von Bernicio Cassawar in einem von Jimkin Bärdrückers Whiskybottichen zurück. Doch wenn beide umgekommen waren, was war dann passiert?
Plötzlich fiel es Araghast siedendheiß ein. So lange er sich in dieser falschen Realität befand in die ihn die Verschwörer geschickt hatten hatte er noch keine Spur seines magischen Schwertes Magnarox gefunden. Wenn sowohl Cassawar als auch Vetinari tot waren, wer hatte dann ihre Schlüssel an sich genommen? Und was sollte das alles mit dem schwarzen Schleimklumpen und Cassawars Wiederauferstehung? Es gab nur einen Weg, herauszufinden ob jemand Magnarox geholt hatte. Doch erst einmal wollte er die Vetinari-Gruft persönlich begutachten.

Der Schattenmann


Je länger er in Philipp Howards Kraftliebs Seelenschmiede las, desto mehr wurden Raistan die Zusammenhänge der Legende des Hexers klar. Schon drei Stunden lang saß er an Edwinas Schreibtisch und vertiefte sich wie gebannt in das Werk.
Ganz besonders zog ihn die Geschichte des Turisas Linistar und der Erschaffung des magischen Stockdegens in ihren Bann. Das Leben des Meistermagiers von Überwald erschien ihm seltsam vertraut. Genau wie er selbst war Linistar ein körperlich schwacher Mann gewesen der Zeit seines Lebens einen stärkeren, besser aussehenden Bruder vor der Nase gehabt hatte. Doch irgend etwas musste mit der Püsche des Zauberers ziemlich aus dem Ruder gelaufen sein. In seinem beinahe krankhaften Streben nach Macht hatte Linistar sich schließlich in einem haarsträubenden Kampf, der ihn sowohl den Rest seiner körperlichen als vermutlich auch seine geistige Gesundheit gekostet hatte, das legendäre NECROTELICOMNICON untertan gemacht und langsam aber sicher in seinem finsteren Turm in Überwald die Apokralypse herbeibeschworen.
Schon oft hatte Raistan sich gefragt, was diesen unstillbaren Drang die Weltherrschaft an sich zu reißen eigentlich verursachte. Allein schon einen stadtgewordenen Misthaufen wie Ankh-Morpork zu regieren mußte eigentlich eher eine Strafe als etwas Erstrebenswertes darstellen. Dennoch versuchten immer wieder mehr oder weniger verrückte Verschwörer, den Patrizier zu stürzen und scheiterten kläglich. Auch dem Meistermagier von Überwald war sein Größenwahn schließlich zum Verhängnis geworden und ein URALTER RIESE hatte ihn mit sich in die Kerkerdimensionen gerissen.
Doch die ganze Geschichte enthielt einen schweren Logikbruch. Wenn Turisas Linistar, wie bei Kraftlieb beschrieben, den Stockdegen bei sich gehabt hatte als er von seinem eigenen Dimensionstor verschlungen wurde, wie kam dann die gleiche Waffe Jahrhunderte später in die Hände des Hexers von Ankh? Darüber schwieg sich der Autor beharrlich aus.
Raistan sah von seiner Lektüre auf und blickte gegen den dichten Vorhang aus Haar der beinahe bis auf die Tischplatte hinunterreichte. Gardine zu nannte Ewein diesen Zustand immer und ließ meistens gleich darauf einen Vortrag über frisurtechnische Sichtbehinderung und akuten Haarneid folgen. Trotz mühsamer Zuchtbemühungen erweckten Ewein Krawunkels Versuche, sich eine echte Musik-mit-Steinen-drin-Frisur wachsen zu lassen, immer den optischen Eindruck eines Flokatiteppichs mit akutem Haarausfall. Andersherum gehörten die dicken, leicht gewellten Strähnen immer zu den Dingen die erwähnt wurden wenn jemand sich Mühe gab, Raistan ein Kompliment zu machen. Was sollte man auch sonst über jemanden sagen der sich meistens eher im Hintergrund aufhielt und nicht viel redete. Der junge Quetschkorn? Ich glaube, ich erinnere mich an ihn. Er hat diesen fürchterlichen Husten und einen guten Charakter. Ach ja, und schönes Haar.
Seufzend klemmte sich Raistan seinen ganz persönlichen Vorhang hinter die Ohren und lehnte sich in dem bequemen Schreibtischstuhl zurück. Die einzigen Geräusche im Zimmer kamen vom leisen Knistern des Feuers im Kamin und dem unaufhörlichen Trommeln des Regens gegen die Fensterscheiben. Der junge Zauberer zog die bronzene Kette und das daran hängende Amulett, welches er nie abnahm, unter seinen Kleidern hervor. Die Flamme der Öllampe ließ das Metall des achteckigen Anhängers rötlich schimmern und die Schatten des eingravierten Oktagramms traten deutlich hervor. Die Kette war das Zeichen eines graduierten Absolventen der Unsichtbaren Universität und jeder Magier der es durch die Abschlußprüfung schaffte trug sie mit Stolz.
Plötzlich ließ Raistan das Amulett auf seine Brust fallen und lauschte angestrengt. Ihm war als hätte er eben ein Geräusch gehört, ein leises Stöhnen. Doch so sehr er seine Ohren auch anstrengte, es war verschwunden und er fragte sich ob seine in den letzten Tagen stark strapazierten Nerven ihm nicht einen Streich gespielt hatten.
"Jetzt fang nicht auch noch an, durchzudrehen, Kleiner!" beschwor er sich laut selbst und kniff sich in den Arm. Genauso verrückt zu werden oder an Alpträumen zu leiden wie der Rest des Fischimbiss-Expeditionstrupps war das Letzte was er nun gebrauchen konnte.
Doch alle gut gemeinten Worte an die eigene Püsche waren vergebens, denn kaum daß der Schmerz des Kneifens in Raistans Arm abgeebbt war ertönte das Stöhnen erneut, dieses mal etwas lauter und eindeutig aus der Richtung des Kamins.
"Hilf mir!" wisperte die Stimme kaum hörbar.
Raistan drehte den Kopf. In der Luft neben dem Kamin flimmerte es leicht und für einen Augenblick meinte der junge Zauberer, die schemenhaften Umrisse einer menschlichen Gestalt zu erkennen. Verwundert stand er auf und griff nach seinem Stab. Die allen Magiern geradezu in Fleisch und Blut übergegangene Neugierde lockte ihn. Was auch immer es war, er würde der Sache auf den Grund gehen.
"Bist du ein Geist?" stellte er die naheliegendste Frage. Wer konnte schon sagen, ob es in Häusern die schon etwas älter waren nicht spukte? Und Gespenster waren bekannt dafür, stöhnend durch Zimmer zu schweben und die Anwesenden dadurch völlig kirre zu machen.
"Nein..." hauchte die Stimme. "Ich... zuhören... wichtig... keine Kraft... helfen..."
Das Flimmern wurde stärker.
"Was ist wichtig?" hakte Raistan nach und trat vorsichtig näher. "Und was meinst du mit helfen?"
"Ich weiß... Gib... deine Hand... zu schwach..."
"Und warum sollte ich dir vertrauen?" Dieses Argument erschien ihm mehr als vernünftig.
Ein leises Stöhnen entrang sich der Stimme.
"...sagen... Der Hexer..."
"Der Hexer von Ankh?" Zwischen Raistans Augenbrauen bildete sich eine steile Falte. Schon wieder der ominöse seit langem verstorbene Hexer, dem sie schon seit mittlerweile zwei Tagen erfolglos hinterherrannten. Er würde es riskieren, dem Geist bei der Materialisation zu helfen. Vielleicht erfuhr er ja endlich mal etwas Nützliches.
"Also gut. Was hast du zu sagen?"
Der junge Zauberer wechselte seinen Stab in die linke Hand über und streckte die Rechte langsam aus. Kaum daß seine Finger das Flackern berührten schloß sich ein kräftiger Griff um sein Handgelenk. Schlagartig hörte das Flimmern auf und ein Mann materialisierte sich. Er trug einen dunkelblauen Gehrock und sein feines, braunes Haar war zu einem sorgfältigen Seitenscheitel zurechtgekämmt.
"Sie!" rief Raistan überrascht aus. Er kannte diesen Mann. Mitten im strömenden Regen hatte er auf der Mauer der Unsichtbaren Universität gesessen ohne auch nur einen einzigen Tropfen abbekommen zu haben.
Der Fremde nickte.
"So sehen wir uns wieder." sagte er ruhig und zwei seiner Finger lösten sich aus dem Griff und legten sich auf die Handfläche des jungen Zauberers. "Und jetzt hör mir zu. Ich habe hier nicht viel Zeit, denn du bist sehr schwach und die meine Kraft ist in dieser Welt am Schwinden. Ich bin gekommen um euch zu warnen. Das NECROTELICOMNICON wurde aus seinem Verließ befreit und die Schoten durch das Ritual von Rhat'Lyeh entfesselt. Das Tor zum Abgrund ist geöffnet."
"Können Sie sich vielleicht etwas klarer ausdrücken?" Raistan spürte bereits, wie seine Kräfte rapide schwanden. "Was sind Schoten und was für ein Ritual?"
"Lies in der Seelenschmiede nach. Dort seht alles drin was du brauchst. Ihr müßt den Hexer finden, schnell. Sonst ist es zu spät."
"Der Hexer ist tot." gab der junge Zauberer zurück und unterdrückte mühsam einen Hustenanfall. Seine Brust fühlte sich an als ob zwei Igel in seinen Lungen einen Boxkampf austragen würden und die Knie wurden ihm weich. "Er starb vor vielen Jahren unter dem Dreimal Glücklichen Fischimbiss."
Der Fremde lächelte flüchtig.
"Nicht in dieser Welt." sagte er. "Als du auf das Buch gefallen bist habe ich dich, deinen Bruder und diese Gruselschriftstellerin durch die Wände der Hosen der Zeit geschubst. In dieser Realität ist der Hexer von Ankh noch am Leben."
"Dann hatte Edwina also recht. Dies hier ist eine andere Welt." keuchte Raistan und klammerte sich an seinem Stab fest um nicht zu stürzen. "Wer sind Sie?" wisperte er. "Und warum tun Sie das alles?"
"Dann erlaube mir, mich vorzustellen." Beinahe feierlich neigte der Fremde den Kopf. "Mein Name ist Philipp Howards Kraftlieb und ich bin der Beherrscher dieses Buches dort auf dem Schreibtisch und seines Zwillings. Ihr habt euch doch sicherlich gewundert, wo Breguyar steckt. Nun, ich habe auch ihn hier in diese Welt geholt damit er den Hexer findet. Aber nun muß ich gehen, bevor ich dich noch umbringe. Lebewohl!"
Mit diesen Worten ließ er das Handgelenk des jungen Zauberers los.
Wie durch einen Nebelschleier nahm Raistan wahr, daß Kraftliebs Körper sich mit einem blendenden Lichtblitz auflöste und im gleichen Moment die Tür des Zimmers aufflog. Dann kam auch schon der Boden auf ihn zu.

Das nächste was er spürte waren der vertraute Geschmack von Blut in seinem Mund und starke Arme die ihn aufhoben. Mühsam öffnete er die Augen.
"Kleiner, was ist passiert?" Kameruns besorgtes Gesicht blickte von oben auf ihn herab. "Wir haben nur noch einen Blitz gesehen und dann bist du zusammengebrochen. War das Ding hier?"
Raistan schüttelte nur den Kopf, zu schwach zum Sprechen. Sein Bruder trug ihn zum Rauchertischchen und bettete ihn behutsam in einen der Sessel.
"Hierr ist niemand in derr Wohnung." erklang Edwinas Stimme und leise Schritte kamen näher. Mühsam drehte Raistan den Kopf und hustete schwach. Die ehemalige Vampirjägerin hielt ein gezogenes Schwert in der Hand und musterte ihn mit kritischem Blick.
"Skrrinn Frreinn." sagte sie nur und verschwand in Richtung Schreibtisch.
Raistan biss die Zähne zusammen und tastete nach seinem Taschentuch. Warum mußte er jetzt, wo es darauf ankam, schon wieder dermaßen mit seinen Kräften am Ende sein? Eigentlich verbrachte er sein halbes Leben damit, gegen fürchterliche Schmerzen anzukämpfen und regelmäßig halb in Ohnmacht zu fallen, dachte er bissig, während er das Blut von seinen Lippen tupfte und sich dazu zwang, trotz der beißenden Stiche in seinen Lungen ruhig und gleichmäßig zu atmen. Kamerun saß auf der Sessellehne und behielt ihn genau im Auge. Sein Bruder wußte nur zu gut, daß Raistan es nicht leiden konnte wenn er ihm zu sehr half.
Da war auch schon Edwina zurück und hielt ein Glas an seinen Mund.
"Trrink das." sagte sie. "Das krräuselt den Barrt und macht die Äxte schnell, wie die Zwerrge zu sagen pflegen."
Vorsichtig nahm Raistan einen Schluck von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Zuerst schmeckte es nur scharf, doch dann erreichte der erdige Geschmack von Torf seine Geschmacksnerven, gemischt mit einem Hauch Vanille und einer rauchigen Note. Während er schluckte meinte der junge Zauberer, vor seinem inneren Auge eine kahle, bergige Landschaft zu sehen. In einem Tal funkelte in glasklarer See im Sonnenlicht.
"Die Zwerrge nennen es Us'ke Be'krra." holte Edwinas Stimme ihn zurück in die Wirklichkeit. "Es bedeutet so viel wie Lebenswasserr in ihrrerr Sprrache." Sie hob das Glas an ihre eigenen Lippen und leerte es in einem Zug.
Raistan schloß erschöpft die Augen. Das seltsame Getränk brannte in seinem Magen und weckte seine Lebensgeister wieder ein wenig.
"Eine... Erscheinung war hier." sagte er flüsternd. "Ich gab ihm meine Kraft damit er sich materialisieren konnte. Er behauptete... er sei Philipp Howards Kraftlieb."
"Was?" staunte Kamerun. "Der Kerl der diese Bücher verfaßt hat?"
"Er sagte..." Raistan nickte hustend. "Er sagte, das Necrotelicomnicon wäre befreit worden und die Schoten durch ein Ritual entfesselt."
"Schoten!" Edwina schrie das Wort beinahe und als der junge Zauberer die Augen wieder öffnete sah er, daß ihr Gesicht unter der Schminke blaß geworden war. "Schoten..." murmelte sie. "Das errklärrt die seltsamen Spurren von Schleim überrall auf den Strraßen..."
"Was sind diese Schoten?" erkundigte sich Kamerun neugierig. "Sind die so schlimm?"
"Sie werrden durrch eine Prrozedurr errschaffen die das Rritual von Rrhat'Lyeh genannt wirrd und derren Herrgang angeblich im NECRROTELICOMNICON genauestens beschrrieben ist." erklärte Edwina beinahe automatisch. "Geborren aus dem Körrperr einerr in einem bestialischen Opferritual hingerrichteten Perrson bestehen sie aus unheiligem Prrotoplasma das alles tötet was es berrührrt. Turrisas Linistarr errmorrdete seinen eigenen Lehrrling um die beiden Schoten zu errschaffen die ihm das Öffnen des Porrtals zu den Kerrkerrdimensionen errmöglichten."
"Dann hat das Ding in Kaboltzmann das Buch an sich gebracht und das Ritual durchgeführt." wisperte Raistan mit letzter Kraft. "Der Mann der sich Kraftlieb nannte hat noch etwas gesagt. Er hat uns durch das Buch auf Breguyars Schreibtisch in diese andere Realität geholt damit wir den Hexer finden. Der Wächter ist auch hier. Und in dieser Welt ist der Hexer nicht tot. Kraftlieb sagte, wir müßten ihn schnell finden, bevor es zu spät ist."
Der junge Zauberer wehrte sich nicht einmal mehr als eine Welle der Müdigkeit über ihn schwappte und ihn mit sich in die tiefen Gefilde des Schlafes zog. Der letzte Gedanke der ihm durch den Kopf ging drehte sich seltsamerweise um die Frage, weshalb Kraftlieb Edwina Walerius als Gruselschriftstellerin bezeichnet hatte.

Fort


Die Treppe knarrte leise unter Araghasts Schritten. Insgeheim war er gespannt was ihn hier innerhalb der künstlichen Realität hinter der schäbigen Holztür erwartete. Was mochten die Verschwörer wohl aus seinem ältesten noch lebenden Freund gemacht haben? Der Feldwebel erinnerte sich nur zu gut an Mimis Krise zwei Tage zuvor und das anschließende Gespräch mit Julius betreffend Eddie Wollas.
Einer Sache jedenfalls war er sich nun sicher. Niemand hatte das Versteck geöffnet in dem sich Magnarox befand. Ein leichter Schauder der nicht von der nassen Kälte stammte lief Araghast den Rücken hinunter als er an die Vetinari-Gruft dachte. Trotz des fehlenden Lichtes hatte er dank seiner Nachtsicht die schwarze Masse die in der hinteren Ecke der Grabkammer an der Wand klebte ausmachen können. Und worum es sich auch immer handeln mochte, es war eindeutig böse bis zum letzten Schleimklumpen.
Im dritten Stock angekommen wanderte Araghasts Blick zum Tüschild.
Hier wohnen Joscha, Anneliese und der kleine Hubert Klosheim lautete die verschnörkelte Schrift auf der mit Blumen verzierten Tonscheibe, die neben der Tür an die Wand genagelt worden war. Frustriert hieb der Feldwebel mit der Faust auf das Treppengeländer. Warum hatten die Verschwörer alle seine Freunde in irgendeiner Form aus diesem abartigen Zerrbild Ankh-Morporks entfernt? Es schien Araghast beinahe als ob sie ihn vorsätzlich in den Wahnsinn treiben wollten. Wie lange mochte ein Mensch durchhalten wenn man ihn immer wieder von neuem mit Schicksalsschlägen und unangenehmen Situationen überschüttete?
Der Feldwebel ließ sich auf die oberste Treppenstufe sinken und holte seinen Flachmann hervor. Betrunken ließ sich das ganze Elend immer noch am Besten ertragen. Und wenn er erst einmal wieder angemessen angeheitert war würde er den klatschianischen Imbiss aufsuchen, sich zum verspäteten Mittagessen eine Pizza besorgen und anschließend die Untersuchungsergebnisse der schwarzen Schleimmasse stehlen. Er glaubte nicht, daß Fähnrich Larius de Garde sie freiwillig herausrückte.
Seufzend trank Araghast den letzten Schluck von Bärdrückers Leckertropfen. So weit war es also schon mit dieser Wache gekommen, daß jemand dem wirklich etwas an der Aufklärung eines Falles lag pausenlos Akten stehlen musste. Insgeheim musste er sich eingestehen, daß es auch in seiner wirklichen Wache nicht viel anders zuging. Das Bild Skilla Amelia Winchesters mit ihrer extravaganten Frisur und dem durch ihre Zunge gebohrten Blechstück erschien vor seinem geistigen Auge.
"Sind Sie besessen?" äffte er die Stimme der Okkultismusexpertin nach und versuchte sich vorzustellen was sie wohl tun würde wenn sie sich an seiner Stelle befände. Vermutlich würde sie erst einmal Tage mit der Suche nach Sidney verbringen. Nur zu gut erinnerte sich Araghast an den Tag an dem er die beiden halb nackt im Büro des leichten Armbrustschützen erwischt hatte.
Und dann auch noch der Glaube, sie würde seine Probleme verstehen. Ja, sie litt unter gelegentlichem Blutdurst aber sie könne es kontrollieren. Der Feldwebel hatte sich eine Kopie ihres Bewerbungsgespräches bei SUSI besorgt und insgeheim gnadenlos über jeden Patzer hergezogen der ihr unterlaufen war. Er wunderte sich immer noch, weshalb Hauptmann MeckDwarf sie überhaupt eingestellt hatte. In Araghasts Augen war selbst Kommandeur Ohnedursts Kater geeigneter für den Posten. Wenigstens hielt er sich nicht für toll und obervampirisch nur weil er sich nun offiziell mit okkulten Dingen beschäftigen durfte.
Und sobald er wieder zurück in der realen Welt war würde Araghast sich den Stockdegen holen und sich nicht darum kümmern was es für einen Ärger gab. Vermutlich hatte Skilla das lange, schlanke Paket in ihrem Regal eh längst vergessen, genau wie Irina Lanfear die Akte des Mordfalls Beatrice L' Etranger sicherlich längst vergessen hatte, welche von Araghast erst unter einigen anderen Aktenstapeln im Büro der Abteilungsleiterin versteckt und nach einigen Wochen diskret im Kamin entsorgt worden war.
Aus den Augen aus dem Sinn... Ein hinterhältiges Lächeln stahl sich auf Araghasts dünne Lippen. Letztendlich war es so einfach, hin und wieder ein böser Wächter zu sein. Es brauchte nur die richtige Mischung aus Unverfrorenheit, püschologischem Geschick und genauer Kenntnis der Schwächen der anderen, im Fall der RUM-Abteilungsleiterin das ständige Aktenchaos in ihrem Büro. Und natürlich sollte man immer darauf achten, nicht seine Dienstmarke am Tatort zu verlieren wie Magane es fertiggebracht hatte. Araghast hatte nichts gegen korrupte Wächter, ganz im Gegenteil. Nur wer dabei ungeschickt genug vorging um sich von Intörnal Affärs erwischen zu lassen war selbst schuld und hatte es auch nicht besser verdient.
Doch wenn er nicht aufpasste würde er selbst bald dran sein, schoss ihm plötzlich durch den Kopf. Auch Stabsspieß Atera war wegen ihrer Trinkerei von Kollegen angezeigt worden die sich Sorgen um sie machten. Dabei gab sich Araghast die größte Mühe, im Dienst möglichst nüchtern zu erscheinen. Doch gewisse Kollegen kannten ihn einfach zu gut.
Hin und wieder erzählte einer der altgedienten Wächter von den guten alten Zeiten, als es noch keine Abteilungen gab und Intörnal Affärs allenfalls ein Gedanke im Hinterkopf Kommandeur Rinces gewesen war. Damals musste alles viel lockerer gewesen sein. Unwillkürlich drängte sich Araghast der Vergleich der alten Wache mit einem Piratenschiff auf. Es gab eine klare Kommandostruktur und wenn es darauf ankam funktionierte alles so diszipliniert wie auf einer brindisianischen Militärgaleone. Doch ansonsten herrschte weitgehende Anarchie, Erste Offiziere plauderten mit Schiffsjungen und gaben ihre Kniffe weiter, niemand hatte übermäßigen militärisch eingebläuten Respekt voreinander. Achtung wurde sich durch Taten und nicht durch Titel verdient.
Plötzlich musste Araghast lachen. Und wieder einmal hatte er seine gesamte Umgebung getäuscht. Die Hälfte seiner Biographie die er bei seinem Eintritt in die Wache hatte angeben müssen basierte auf einer Lüge. Die Wahrheit hätte ihn nicht zu GRUND sondern auf dem direktesten Wege in die Zelle und anschließend an den Galgen gebracht. Denn die Sonne von Herscheba, der Schoner auf dem er zehn Jahre lang zuerst als Schiffsjunge und dann als Matrose gedient hatte, war niemals ein Handelsschiff gewesen. Das Gejohle der versammelten Mannschaft, als kurz vor dem Entern einer schwerbeladenen Kogge die schwarze Fahne mit dem Totenschädel und den gekreuzten Knochen gehisst wurde hallte in Araghasts Kopf wieder.
"Freiheit..." murmelte der Feldwebel versonnen und seine Hand legte sich um den Griff des Entermessers. Aus reiner Sentimentalität und weil ihm Magnarox langsam aber sicher auf die Nerven gegangen war hatte er sich vor einiger Zeit eine dieser traditionellen Seeräuberwaffen zugelegt. Sie war leichter und handlicher als ein Schwert und auch weitaus vielseitiger im Einsatz. Seine Kollegen hatten zwar ein wenig seltsam geguckt, doch das war Araghast völlig egal. Hier hing es um möglichst effiziente Selbstverteidigung und nicht darum wer die eleganteste Klinge mit sich herumtrug und am fairsten kämpfte. Sein eigener Kampfstil bestand hauptsächlich darin, dem Gegner so weh zu tun wie es nur ging und dabei selbst halbwegs unbeschadet zu bleiben. Und das war schwieriger als sich die meisten dachten. Araghasts Gesicht trug die deutlichen Spuren eines jener Kämpfe als er noch zu unerfahren gewesen war und an deutlicher Selbstüberschätzung gelitten hatte. Doch letztendlich passte sein entstelltes Aussehen zu ihm. Er war ein Gauner und Pirat und würde es immer bleiben.
Mit knurrendem Magen erhob sich der Feldwebel von der Treppe und steckte seinen Flachmann wieder ein.
"Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Sarg... Jo-ho-ho und ein Fass voller Rum." sang er leise vor sich hin als er die Treppe hinunterstieg. "Sie soffen drei Tage und der Schnaps war stark... Jo-ho-ho und ein Fass voller Rum."
Und wenn er erst einmal etwas gegessen hatte würde er es den verdammten Verschwörern die ihn in diese verquere Welt geschickt hatten schon irgendwie zeigen. Das hatten sie davon wenn sie sich mit einem ehemaligen Seeräuber anlegten.

Aufstieg


"Wieder nichts."
Frustriert warf Heinz Butjadinger die leere Reuse in die Kiste. "Kein einziger verfluchter Fisch hier, den ganzen Tag!"
"Und Sturm gibts auch noch." brummte sein Kapitän und wies mit dem Stiel der Pfeife auf die beinahe schwarze Wolke die an Backbord reglos über dem Wasser schwebte. In der Ferne grollte Donner.
Heinz nickte nur. Schon den ganzen Tag lang hatte er das Gefühl gehabt, daß sich etwas zusammenbraute. Trotz des bedeckten Himmels war das Runde Meer so glatt wie Öl und eine unheimliche Stille lag über allem. Und jetzt auch noch diese Wolke. Ihr unterer Rand schien sich nur wenige Dutzend Meter über dem Wasser zu befinden, während ihr oberes Ende in der allgemeinen Bewölkung verschwand. Flüchtig mußte der Fischer an einen riesigen Saugrüssel denken der bereit war alles zu verschlingen was sich in seiner Reichweite befand, und diese Vorstellung verursachte ihm eine plötzliche Gänsehaut.
"Ich weiß nicht, Käptn." sagte er zögernd. "Aber irgendwie ist mir das Ding da nicht geheuer."
Ein knirschendes Geräusch das ihm in der Stille unnatürlich laut erschien ließ ihn zusammenfahren, doch es handelte sich lediglich um Kapitän Möwenpick, der am Stiel seiner Pfeife nagte. Dies beruhigte Heinz jedoch keineswegs. Wenn der Käptn kurz davor war, seine Pfeife zu zerbeißen bedeutete es nichts Gutes.
"Du hast recht." knurrte dieser schließlich und warf einen verdrießlichen Blick auf das schlaff von den Rahen hängende Segel. "Dann mal ran an die Riemen, Kamerad. Mir gefällt diese Wolke da hinten auch nicht. Ganz und gar nicht."
Während die Ruder immer wieder platschend in das ölige Wasser eintauchten bemerkte Heinz wie die Wolke langsam die Farbe von Tinte annahm. Ein ungesundes grünliches Leuchten flackerte in ihrem Inneren auf und wieder grollte Donner. Ohne sich abgesprochen zu haben beschleunigten Kapitän und Matrose synchron ihre Ruderschläge. Sie wollten nur noch fort von dem unheimlichen Gewitter das sich dort hinter ihnen zusammenbraute. Wieder zuckte ein Blitz auf das Wasser herab.
"Wa... was soll das?" stammelte Heinz und seine Augen weiteten sich vor Angst. Ein leises Pfeifen, wie von einer leichten Brise, drang an seine Ohren, doch er spürte nicht den leisesten Windhauch auf seiner wettergegerbten Gesichtshaut.
Kapitän Möwenpick legte den Kopf schief und lauschte ebenfalls.
"Beim Klabautermann!" fluchte er und legte sich kräftiger in die Riemen. "Ich verwette meine Pfeife, daß es hier spukt! Der fliegende Brindisianer kommt!"
Heinz biss sich auf die Lippen während er sich anstrengte, mit dem vorgegebenen Rudertempo seines Kapitäns mitzuhalten. Als langjähriger Seemann kannte er die Legende des verfluchten Piratenkapitäns Bertuccio Barbossi und seiner ausschließlich aus Zombies bestehenden Crew die dazu verdammt waren, ohne Ruhe die Scheibenmeere zu durchsegeln ohne jemals Ruhe zu finden nur zu gut. Es hieß sie kamen mitten aus dem tosenden Sturm hervorgesegelt, bereit alles zu töten das ihren Weg kreuzte. Entsetzt beobachtete der Fischer wie die pechschwarze Wolke begann, langsam um ihre Achse zu rotieren. Die Häufigkeit der Blitze nahm zu.
Und dann brach urplötzlich das Pandämonium los.
Ein unmenschliches Kreischen zerriss die Stille wie ein morsches Leinentuch. Das kleine Fischerboot neigte sich unter einer plötzlichen Orkanbö und wäre beinahe gekentert. Das Runde Meer, vor einem Augenblick noch so glatt wie ein Tümpel, verwandelte sich in einen kochenden, schäumenden Alptraum.
Völlig unfähig sich zu bewegen purzelte Heinz von der Ruderbank. Er fühlte sich als ob sich seine Innereien plötzlich in Eis verwandelt hätten und eine Welle der Panik überflutete ihn. Schemenhaft nahm er wahr wie sich Kapitän Möwenpick verzweifelt am Segel festklammerte um nicht über Bord zu fallen. Aberhunderte von Blitzen verwandelten den Himmel in ein Inferno und Donnerschläge folgten im Sekundentakt.
Und dann erhob sich eine einzelne Stimme über das fürchterliche Getöse und stieß Worte in einer grausamen, blasphemischen Sprache aus, die Heinz seine eigene Haut den Rücken hinaufkriechen ließ:
"Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn!!!!!"
Es folgte plötzliche Stille.
Vor Furcht und Nässe zitternd richtete Heinz sich auf. Kapitän Möwenpick war verschwunden und mit ihm ein Teil des Segels. Die fürchterliche schwarze Wolke verharrte reglos über dem Wasser.
Der Fischer rieb sich die Augen. War das alles eben wirklich passiert oder hatte er es sich nur eingebildet? Wurde er jetzt schon wahnsinnig?
"Käptn!" brüllte er aus voller Lunge. "Käptn! Hörst du mich?"
Doch niemand antwortete seinem Ruf.
Heinz sank auf die Ruderbank. Hier saß er, ein einfacher Fischer, in einem mehr oder weniger fahruntüchtigen Boot, sein Kapitän war spurlos verschwunden und hinter ihm fand ein grausiger Spuk statt. Etwas unfassbar Böses war hier am Werk, das spürte er.
Ein Donnerschlag von ohrenbetäubender Lautstärke warf ihn beinahe von seinem Sitzplatz und entsetzt beobachtete er, wie die Wolke langsam aufstieg. Etwas begann, aus dem Meer aufzusteigen. Starr vor blanker Panik sah Heinz zu, wie sich eine schwarzglänzende Stadt langsam gen Himmel zu recken begann. Ihre Türme krümmten sich in unmöglichen Winkeln und ihre Geometrie schien auf eine furchterregende Weise falsch zu sein. Höher und höher stiegen die von allen Göttern verlassenen Gebäude, bis sie die Untergrenze der Wolke berührten. Ein zweiter Donnerschlag ertönte.
Schreiend sank Heinz in sich zusammen als ihn die eisige Klaue des Wahnsinns berührte.

Was getan werden muss...


"Danke, Rrogi." sagte Edwina während die Igorina drei Tassen mit dampfendem Inhalt auf dem Rauchertischchen abstellte. Allmählich begann sie sich daran zu gewöhnen, daß ihre Dienerin auf einen eigenen Namen bestand, selbst wenn dieser nicht besonders phantasievoll war. Doch ansonsten nahm Rogi den Igor-Kodex sehr ernst, genau wie ihre eigene Igorina. Sie war immer da wenn man sie brauchte, stellte nie Fragen und Edwina hatte einiges an Erklärungskunst aufbringen müssen um ihrer Dienerin klarzumachen, daß sie es nicht schätzte wenn die Türen allzu laut knarrten und quietschten.
"Den Hexerr finden..." sagte sie nachdenklich und rührte mit dem Löffel in ihrer Tasse herum. "Das ist nicht schwerr, wenn die Adana-Villa hierr auch liegt wo sie in unserrerr Rrealität gelegen hat."
"Du weisst die Adresse?" fragte Kamerun.
Edwina nickte.
"Ich habe mich jahrrelang mit dem Hexerr beschäftigt, da werrde ich doch wohl herrausgefunden haben wo err einmal gelebt hat." erklärte sie gespielt verletzt. "Die Adrresse ist Knorrkestrraße Hausnummerr Drreiundzwanzig." Vorsichtig nippte sie an ihrem heißen Tee.
"Knorkestraße Dreiundzwanzig." erklang Raistans leise Stimme. "Einer meiner Professoren hat dort in dem leerstehenden Haus ein Experiment zur künstlichen Generierung von Realitätsfeldern durchgeführt. Seltsam, vorgestern Nacht bin ich seiner Nichte in der Trommel begegnet..." Seine Stimme verlor sich und er musste husten.
"Nicht so viel rreden." ermahnte ihn Edwina mütterlich. Dann seufzte sie leise. "Das Anwesen des Hexerrs hat keinem seinerr Nachbesitzerr Glück gebrracht. Hierronymus Bolzano-Weierrstrraß kam bei seinem Verrsuch ums Leben und die Apparraturr explodierrte irrgendwie. Seine Nichte hat das Grrundstück fürr wenig Geld an die Stadt verrkaufen müssen und seitdem will es niemand mehrr haben. Ein Jammerr." Ihr Blick wanderte zu dem Gemälde über ihrem Schreibtisch. "Also Kamerrun, wollen wirr dem Herren Godrric Adana heute Abend einen Besuch abstatten und anschließend schauen wohin die Spurren derr Schoten führren und wo sie herrkommen?"
Der Nachwuchsheld nickte.
"Dann müssen wirr nurr noch zusehen, daß wirr Brreguyarr kontaktierren." fuhr Edwina fort.
"Das kann ich machen." meldete sich Raistan zu Wort.
"Nein." wandte Kamerun ein. "Das ist viel zu gefährlich. In deinem Zustand da draußen allein herumzulaufen während die Wache hinter jedem Zauberer her ist und dann auch noch in die Höhle des Löwen zu gehen - Nein, du bleibst hier in Sicherheit. Hier kann dir niemand etwas..."
Ein Blick seines Bruders brachte ihn abrupt zum Schweigen.
"Ich gehe." stellte der junge Zauberer wispernd klar. "Irgendwer muss es tun und was die Wächter betrifft, da fällt mir schon etwas ein. Ich habe jahrelange Übung darin, mich nicht von den Brüllern schnappen zu lassen. Und wenn alles schiefgehen sollte..." Eine rasche Handbewegung und ein Fingerschnippen sagten mehr als hundert Worte.
Edwina konnte förmlich sehen wie es in Kameruns Hirn arbeitete.
"Wirr warrten bis es dunkel wirrd." sagte sie energisch um weiteren Einwänden zuvorzukommen. In Situationen wie dieser musste jeder tun was getan werden musste, ohne Rücksicht auf persönliche Gefühle. "Es wirrd gefährrlich werrden. Aberr dorrt drraußen laufen Ungeheuerr herrum die noch weit gefährrlicherr sind als jederr Wächterr. Wenn wirrklich ein Porrtal geöffnet wurrde dann müssen wirr handeln oderr es ist wirrklich alles zu spät wie dieserr Geist sagte."

Diagnose Unbekannt


"Ich sag doch, das Ganze ist nicht natürlich. Da haben diese dreimal verfluchten Zauberer wahrscheinlich ihre Finger drin."
"Glaubst du, der Schleim ist eine Art Rache für die totale Ausgangssperre?"
Eine kurze Pause.
"Schon möglich. Diesen Magiepfuschern ist alles zuzutrauen."
"Aber warum dann Friedhöfe? Ich meine, wenn jemand Lord Farrux ärgern will hätte er das Schleimding in den Palast schicken müssen, am Besten gleich in das patrizierliche Schlafzimmer. Ich hab mir schon den ganzen Nachmittag darüber den Kopf zerbrochen aber mir fällt einfach nichts ein. Die Leiche vom Friedhof ist daran gestorben, das etwas ihre Innereien aufgefressen hat. Was macht so etwas? Ein Werwolf?"
"Überlass das Nachdenken über die Fälle RUM und den SEALS, Obergefreite. Wir werden für das Untersuchen der Spuren und der Leichen bezahlt und nicht fürs Ermitteln."
Warum kommt mir das bloß so bekannt vor, überlegte Araghast der dem Gespräch durch die angelehnte Tür des Labors lauschte. Insgeheim hoffte er, daß die männliche Stimme, die gerade die weibliche Wächterin vom weiteren Ermitteln abhalten wollte bald verschwand. Die Obergefreite schien recht gesprächig zu sein.
"Ja, Sör." antwortete die Stimme der Wächterin in einer Mischung aus Zerknirschtheit und Frustration.
"Und vergiss nicht, die Ermittler wollen den Bericht noch vor Dienstschluss haben."
"Ja, Sör."
"Also, ich bin in meinem Büro."
Araghast drückte sich flach an die Wand als die Labortür aufschwang und ein männlicher Korporal heraustrat der ihm wohlbekannt war. Zielstrebig steuerte Jack Narrator auf die Kellertreppe zu und verschwand nach oben.
Stumm zählte der Feldwebel bis hundert und klopfte schließlich an.
"Herein." sagte die Stimme der Obergefreiten leise.
Araghast schob die leicht in ihren Angeln knarrende Tür auf und schob sich in das mit kompliziert aussehenden Apparaturen vollgestopfte Laboratorium. Eine junge Frau deren Haar zu einem langen, strohblonden Zopf geflochten war stand mit dem Rücken zu ihm an einer Werkbank und schüttete eine schwärzliche Flüssigkeit in mehrere bereitstehende Reagenzgläser.
"Hallo." sagte der Feldwebel und lehnte sich gegen ein Regal, peinlich drauf bedacht, nichts umzuwerfen oder herunterzuschmeißen.
Die Obergefreite drehte sich um und salutierte hastig als sie die Rangabzeichen auf seinen Schultern bemerkte.
"Womit kann ich dir weiterhelfen, Sör?" fragte sie.
Fieberhaft überlegte Araghast wie die Wächterin noch einmal hieß. Er war ihr bisher erst einige Male flüchtig in der Kantine über den Weg gelaufen.
"Ich interessiere mich für den Schleim aus der Vetinari-Gruft und die Leiche vom Berengar-Friedhof." erklärte er stattdessen. "Wenn es keine Umstände macht würde ich gern einmal die Untersuchungsergebnisse einsehen."
"Äh." Die Obergefreite schluckte. "Sör, das ist Geheimsache. Ich darf die Akten nur an die zuständigen Ermittler weitergeben. Es handelt sich vermutlich um ein, nun ja, magisches Verbrechen, und du weißt ja wie das gerade ist mit den Zauberern..."
Verdammt, fluchte Araghast lautlos. Zeit für ein kleines Püschospielchen.
Gespielt verständnisvoll nickte er.
"Verdammte Zauberer. Spielen andauernd mit Dingen herum von denen sie lieber die Finger lassen sollte. Erst der Fischimbiss und dann die Sache mit dem Mord an der Näherin und jetzt auch noch Schleim auf den Straßen. Machen nix als Ärger, die Brüder. Bestimmt irgendso eine magische Substanz der Schleim, mit dem jemand seine Nekromantiekenntnisse testen wollte."
"Na ja, eine leichte thaumathurgische Reststrahlung konnten wir nachweisen, aber ansonsten haben wir bisher keine einzige bekannte Verbindung darin gefunden." Die Wächterin seufzte leise. "Wie soll ich Ergebnisse abliefern wenn ich keine bekomme die ich deuten kann?"
"Schreib einfach Diagnose Unbekannt." schlug Araghast vor und trat näher an die Werkbank heran, an der die Obergefreite arbeitete. Neben dem Reagenzglasständer lagen mehrere beschriebene Blätter Papier die er sich gern einmal aus der Nähe ansehen wollte.
"Dann krieg ich nur Ärger." sagte die junge Frau resigniert und strich sich eine weizenfarbene Haarsträhne aus den Augen. "Korporal Narrator will Ergebnisse sehen, sonst gibt es nen Anpfiff wegen Inkompetenz."
"Sonst hat der wohl auch keine Sorgen." bemerkte Araghast und warf einen Blick auf die Notizen. Hastig überflog er die in unordentlicher Handschrift festgehaltenen Beobachtungen und stellte zu seiner Enttäuschung fest, daß es sich größtenteils um Fachbegriffe handelte mit denen er überhaupt nichts anfangen konnte. Am Ende jeder Zeile stand in Blockbuchstaben das Wort negativ.
"Und was ist mit der Leiche vom Berengar-Friedhof?" erkundigte der Feldwebel sich. "Hör zu, ich muss zumindest ein wenig darüber wissen. Die RUM-ler haben den Mann zu mir zur Püschositzung geschickt der die Leiche gefunden hat. Ich brauche eine Idee was ihm da vor Augen gekommen ist."
Die Obergefreite schluckte die glatte Lüge ohne auch nur das kleinste Anzeichen des Argwohns.
"Der Mann hieß Nathan Buddelfix und war ein stadtbekannter Grabräuber. Wir haben ihn anhand seiner Fingerabdrücke identifizieren können die in der SUSI-Erfassung abgelegt waren. Er ist daran gestorben, daß ihm jemand den Brustkorb aufgerissen und das Herz zerquetscht hat. Anschließend wurde ein Teil seiner Eingeweide verspeist."
"Wie lecker."
"Und das Grab eines Mannes namens Bernicio Cassawar war leer. Anscheinend hat Buddelfix es ausgehoben und dann ist irgend etwas passiert. Außerdem haben die Spurensicherer Stücke der gleichen schwarzen Masse wie in der Vetinari-Gruft auch in Cassawars Grab gefunden."
Araghast konnte sich nur zu gut denken was geschehen sein konnte.
"Danke." sagte er kurz und ging. Es gab viel über das er dringend nachdenken musste.

In seinem Büro angekommen ließ er sich in seinen Schreibtischstuhl fallen und griff nach Papier und Bleistift. Havelock Vetinari war vor etwa fünfundzwanzig Jahren ums Leben gekommen, vermutlich an dem gleichen Tag an dem im echten Ankh-Morpork Bernicio Cassawar sein Leben gelassen hatte. Hier, in der falschen Welt, lagen beide im Grab. Und dann, wiederum am gleichen Tag, geschahen seltsame Dinge mit den Gräbern der beiden Assassinen.
Araghast musste plötzlich an einen Eddie Wollas-Roman denken in dem mehrere Tote von unheimlichen Wesen beseelt worden waren und mordend durch die Stadt zogen. So verrückt es auch klang, vielleicht war mit Cassawar etwas ähnliches geschehen.
"So verrückt es auch klingt..." sagte der Feldwebel laut vor sich hin. Wenn er diese Theorie in der Nähe irgendeines anderen Wächters laut aussprechen würde hielt man ihn vermutlich wieder einmal für übergeschnappt. Doch manchmal entsprach das Verrückte der Wahrheit.
Angenommen, irgend etwas wollte die Leichen von Vetinari und Cassawar in Besitz nehmen. In letzterem Fall war es erfolgreich gewesen, in ersteren nicht. Havelock Vetinari hatte eine Feuerbestattung erhalten und so gab es keinen intakten Leichnam mehr der in Besitz genommen werden konnte. Deshalb war die schwarze Masse in der Gruft vermutlich verendet.
Aber warum ausgerechnet Cassawar und Vetinari? Die Friedhöfe Ankh-Morporks beherbergten Heerscharen von weitaus frischeren Toten. Irgend etwas mussten die beiden Meuchler getan haben was jetzt, viele Jahre später, die schwarzen Schleimklumpen anlockte. Mit Schaudern erinnerte sich Araghast an das kalte Gefühl der Präsenz einer abgrundtief bösen Macht das ihn, als er in der Vetinari-Gruft gestanden hatte, plötzlich überkommen war. In abgeschwächter Form die gleiche eisige Klaue des Entsetzens die er auch in seinen Alpträumen gespürt hatte.
Emanuel Kaboltzmann. Das Ding aus den Kerkerdimensionen.
Plötzlich wurde Araghast alles klar. Die Wache hatte den falschen Zauberer ins Gefängnis geworfen während der wahre besessene Übeltäter immer noch frei herumlief und Unheil stiften konnte. Der Feldwebel verwettete einen Jahressold darauf, daß der besessene Zauberer etwas mit den Grabschändungen zu tun hatte. Und es gab nur einen Weg um herauszufinden wie Vetinari und Cassawar gestorben waren und was sie eventuell mit schleimigen Massen verbinden konnte. Irgendwie musste er in das Archiv der Assassinengilde gelangen und ihren letzten Auftrag ausfindig machen. Jener Auftrag bei dessen Vorbereitung in der wirklichen Welt Cassawar über Vetinari hergefallen und tot in einem von Jimkin Bärdrückers Whiskyfässern geendet war.
"Und durch die sengende Hitze spürte ich die Berührung des Bösen. Immer noch fühle ich diese eisige Klaue tief in mir." zitierte Araghast die Auftaktsätze des allerersten Hexer von Ankh-Romans. Allmählich glaubte er zu verstehen, auf was die Verschwörer die ihn in diese verquere Welt, dieses riesige A.G.L.A., versetzt hatten, bezweckten. Diese ganze Geschichte war ein waschechter Fall für Godric Adana, den Hexer von Ankh. Doch hier musste er selbst diese Rolle übernehmen.

Lügen für Wächter


Als Raistan das Wachhaus am Pseudopolisplatz betrat dämmerte es draußen bereits. Hastig ließen die beiden hinter dem Tresen sitzenden Rekruten ihre Spielkarten unter dem Tisch verschwinden.
"Mist. Ich hatte beinahe eine Zwiebel zusammen!" murmelte der eine.
Der junge Zauberer schob die Kapuze seines regennassen Umhangs zurück und trat vor. Das Pochen seines Stabes wenn er diesen auf dem Boden absetzte hallte unnatürlich laut in der Halle wieder und er spürte, wie die beiden Rekruten ihn mit unverhohlenem Mißtrauen taxierten.
"Was wollen Sie?" fragte derjenige der eben noch über das abgebrochene Kartenspiel gemault hatte.
"Ich..." Raistan mußte husten. "Ich möchte zu Feldwebel Breguyar. Es geht um einen Mordfall."
"Soso." Der Rekrut tauschte einen Blick mit seinem Kollegen, welcher daraufhin aufstand und betont unauffällig davonschlenderte. Zu unauffällig, bemerkte der junge Zauberer. Die beiden führten eindeutig etwas im Schilde.
"Ich weiß, daß sein Büro im ersten Stock liegt." sagte er so energisch wie es ihm mit seiner leisen, brüchigen Stimme nur möglich war. "Die Sache geht nur den Feldwebel und mich etwas an."
Und er wandte sich in Richtung Treppe.
Schnell wie der Blitz kam der Rekrut hinter dem Tresen hervorgeschossen und versperrte ihm den Weg.
"Nicht so eilig, Freundchen." knurrte er und Raistan hegte den stillen Verdacht, daß der Nachwuchswächter schon seit Wochen nur darauf gewartet hatte, eben diesen Satz endlich einmal loswerden zu können. Da flog auch schon eine weitere Tür auf und mehrere grüngekleidete Wächter mit gezogenen Armbrüsten stellten sich vor den Ausgang und die Treppe. Kurz nach ihnen betrat ein weiterer Mann die Szene. Er trug eine schwarze Uniform und ein hinterhältiges Lächeln in dem jede Spur von Wärme fehlte verzerrte sein Gesicht.
"Runter mit dem Stab und Hände hoch, Zauberer!" bellte er und sprach das letzte Wort in einem Tonfall aus der genausogut 'Abschaum' hätte bedeuten können. "Sonst darfst du Bolzen zum Abendbrot fressen!"
Gehorsam legte Raistan seinen Zauberstab auf den Boden und hob die vor Müdigkeit leicht zitternden Hände, während er fieberhaft nachgrübelte. Wie war dieser Zeitungsartikel der in der vorigen Woche in der Times noch mal gewesen?
Immer noch hämisch vor sich hingrinsend schritt der Schwarzgekleidete einmal um ihn herum.
"Interessant, daß du noch den Nerv hattest, hier im Wachhaus aufzutauchen nachdem der Patrizier die Order herausgegeben hat, jeden Zauberer der frei herumläuft sofort einzusperren." erklärte er süffisant. "Also, was hattest du vor? Rede!"
Und er versetzte Raistan einen groben Schubs, so daß dieser gegen den Tresen stolperte, wo er sich heftig hustend auf die Platte stützte.
"Feldwebel Breguyar." keuchte der junge Magier und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen. Eine Idee wie er heil aus dieser Situation wieder herauskommen konnte begann, sich in seinem Kopf zu formen. Manchmal zahlte es sich wirklich aus, regelmäßig die Zeitung zu lesen, "Das ist alles nur ein Missverständnis." wisperte er. "Ich bin kein Zauberer, sondern Priester."
"Ach wirklich?" Der schwarzgekleidete Wächter schien ganz und gar nicht überzeugt zu sein. "Und von welcher Gottheit dann, wenn ich fragen darf?"
"Domus Explodicus." nannte Raistan den Namen des Gottes dessen Heiligtum vor einigen tagen gestohlen worden war und konzentrierte sich auf den Beeinflussungszauber den er vor langer Zeit einmal gelernt hatte ohne zu glauben ihn je einmal anwenden zu müssen. Unauffällig richtete er die Fläche seiner rechten Hand auf den Mann in schwarz. "Gott der Sumpfdrachenzüchter. Sie rufen ihn während der Paarungszeit an wenn sie darum beten, daß ihre Züchtung nicht explodiert." Mit diesen Worten ballte er seine Hand zur Faust, öffnete sie wieder und hoffte inständig, daß die übrigen Wächter diese kleine Geste nicht bemerkt hatten.
Sein Gegenüber schnaubte verächtlich.
"Was es nicht alles gibt..." brummte er und wies auf den vor seinen Füßen liegenden Zauberstab. "Und wozu ist das Ding da dann gut wenn nicht zum zaubern?"
Ein weiterer Hustenanfall verhinderte, daß Raistan eine sofortige Erklärung abgeben konnte, doch dieses eine Mal begrüßte er das feurige Brennen in seiner Brust sogar. Es gab ihm mehr Zeit, sich eine brauchbare Ausrede auszudenken. Scheinbar hatte der Zauber funktioniert, sonst würde er vermutlich schon von mehreren Bolzen durchbohrt am Boden liegen.
"Das ist die heilige Sumpfdrachenlanze von Rhat'Lyeh." erklärte er nachdem er sich wieder ein wenig erholt hatte. "Wenn man das untere Ende dreht springt eine Klinge aus dem Stab. Die Lanze wird benutzt um bei der jährlichen Wintersonnenwendenfeier dem Opfertier die Kehle durchzuscheiden. Sie wissen ja, Sumpfdrachen sind sehr explosiv. Da wahrt man lieber Abstand wenn man etwas mit dem Tier anstellt, deshalb sind aus den Opfermessern Opferlanzen geworden."
Der schwarzgekleidete Wächter musterte ihn gründlich von oben bis unten.
"Deshalb auch der Husten." beeilte sich Raistan hinzuzufügen. "Die ganzen alchimistischen Mittel die Sumpfdrachen ausscheiden, das ist auf die Dauer nicht gesund. Macht einem die Lungen kaputt." Wie zur Bekräftigung seiner Worte schüttelte ein weiterer Anfall seinen zerbrechlichen Körper. Durch die Tränen die ihm in die Augen geschossen waren nahm er undeutlich wahr, wie der schreckliche Wächter die Grünen mit einem knappen Befehl fortschickte. Mühsam richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und hob die Arme. Jetzt kam es darauf an, sich endgültig lächerlich zu machen.
"Aber mein Glaube ist stark!" deklamierte er. "Auch wenn ich jung sterben muß, der heilige Domus Explodicus wird mich zu sich holen in sein himmlisches Reich voller Glückseligkeit und Sumpfdrachen!"
"Weißt du was, eigentlich sollte man dich schon allein wegen akuter Verrücktheit einsperren." herrschte ihn der Wächter an. "Du und Feldwebel Saufnase, ihr beiden werdet auch prächtig verstehen. Warte hier, du Spinner, ich schmeiße ihn aus seinem Büro."

Auf der Spur


"Erstaunlich, daß sich die Schleimspur so lange gehalten hat." bemerkte Kamerun und ließ Edwina auf der Innenseite der Friedhofsmauer hinunter. Die Okkultistin hatte ihr Kleid gegen Männerhosen und ein passendes Wams getauscht und unter dem Umhang trug ihr Schwert am Gürtel.
Zu ihrer Verwunderung war die Suche nach den schleimigen Spuren gleich vor Edwinas Haustür erfolgreich gewesen und als sie den glitschigen Überresten folgen wollten hatte es die beiden selbsternannten Ermittler geradewegs zum mittlerweile verschlossenen Tor des Zentralfriedhofs geführt.
Leise seufzend blickte Kamerun durch den Regen in Richtung des Flusses. Warum bei der heiligen Brassica hatte er bloß zugestimmt, seinen Kleinen bei der Kälte und dem schlechten Wetter allein durch die Stadt gehen zu lassen, wo ihm an jeder Straßenecke die Gefangennahme drohte? Insgeheim machte sich der Nachwuchsheld endlose Vorwürfe. Was war, wenn seinem kleinen Bruder wirklich etwas passierte...
"Komm schon, oderr willst du dorrt ewig auf derr Mauerr sitzen bleiben?" fragte Edwina ungeduldig. "Wirr können hierr nicht ewig auf dem Frriedhof bleiben."
"Ich komme schon." Mit einem gewaltigen Satz sprang Kamerun von der Mauer und landete gekonnt auf dem durchweichten Erdboden. Ohne ein weiteres Wort ergriff Edwina sein Handgelenk und zerrte ihn in Richtung Haupttor.
Im schwindenden Licht warfen die Grabsteine unheimliche Schatten und unwillkürlich legte der junge Kämpfer die freie Hand auf den Griff seines Schwertes. Friedhöfe waren bevorzugter Aufenthaltsort von untoten Bestien aller Art hatte Gorian Kules ihm im Laufe seiner Ausbildung immer wieder erklärt. Und wer konnte schon sagen was in all den vergessenen Gräbern lauerte deren von Moos bedeckte Steine aus dem Boden ragten wie besonders schiefe Zähne?
"Na, da haben wirr unserre Spurr." bemerkte Edwina zufrieden und ging in die Hocke. Hier auf dem kiesbestreuten Friedhofsweg waren die schleimigen Brocken im Laufe des Tages von diversen Füßen mit den Kieselsteinen vermischt worden und in der Dämmerung nur noch schwer zu erkennen. Das Wasser lief in einem kleinen Sturzbach über die breite Krempe ihres Hutes als die Überwaldianerin nach eingehender Untersuchung schließlich den Kopf hob.
"Gerradeaus, in Rrichtung derr Krrypten und Mausoleen." sagte sie.
Schweigend folgten sie der Spur in die angegebene Richtung. Ein Licht in der Ferne zu seiner Linken erweckte Kameruns Aufmerksamkeit. Es schien seinen Ursprung in den Fenstern einer kleinen Hütte zu haben die an der Mondteichweg-Mauer stand. Mit einer Handbewegung machte er Edwina auf den hellen Schein aufmerksam.
Diese winkte ab.
"Das ist wahrrscheinlich nurr derr Frriedhofswärrterr." erklärte sie. "Und derr tut bei dem Wetterr alles lieberr, als drraußen herrumzulaufen und nachzuschauen ob jemand nach Torresschluss überr seinen Totenackerr wanderrt."
Trotzdem ließ Kamerun sicherheitshalber seine Hand auf dem Schwertgriff ruhen. Wenn die Spur des Schoten wirklich hier hinführte konnten sie gar nicht vorsichtig genug sein. Er konnte sich zwar immer noch nicht so ganz vorstellen was so ein Schote nun eigentlich war, aber wenn allein die Erwähnung selbst Edwina Walerius erbleichen ließ, konnte es sich nur um ein Monster handeln das wohlmöglich noch schlimmer war als der besessene Emanuel Kaboltzmann.
Die Spur endete vor einem leuchtendroten Absperrband der Stadtwache.
Edwina stieg darüber hinweg und beugte sich über die neben dem gähnenden Loch des Grufteingangs liegende Grabplatte.
"Vetinarri." las sie laut vor. "Das Ganze wirrd wirrklich immerr interressanterr."

Wache Noir


Immer wieder Zupfgut...
Araghast warf seine Bürotür hinter sich ins Schloß und schlurfte mißmutig den Flur entlang. Nicht genug, daß der Hauptmann eben in seinem Büro aufgetaucht war und ihm für den kommenden Morgen zum Verhör wegen seiner Trinkerei beordert hatte, nein er hatte ihn auch noch zum Tresen geschickt wo ein todkranker verrückter Priester eines obskuren Sumpfdrachengottes ihn angeblich unbedingt sprechen wollte.
Insgeheim war der Feldwebel gespannt darauf, welche Überraschung ihm dieses monströse A.G.L.A. nach der halb aufgefressenen Leiche auf dem Berengar-Friedhof und Stabsspieß Atera in der Rolle der Friedhofswärterin nun schon wieder bescheren würde. Die Unbekannten die ihn in diese Sache hineingebracht hatten mußten wirklich ihren Spaß daran haben, den Fischimbiss-Fall auf ihre eigene Art weiterzuspinnen und ihm immer wieder bekannte Wächter in neuen Rollen unterzuschieben.
Eine vereinzelte, rußbedeckte Öllampe erhellte die Treppe nur schwach. Das gedämpfte Licht passte hervorragend zur Gesamtsituation, fand Araghast. Andauernder Regen, Tage die nie richtig hell wurden, ein verbitterter, ständig betrunkener Ermittler und ein namenloses Grauen das die Stadt unsicher machte - dies war die destillierte Essenz eines anständigen finsteren Romanhefts. Bis auf das Fehlen einer getragenen, auf Klavier und Saxophon gespielten Melodie passte alles. Wieder schlich sich das Bild des Büros mit der Glastür und Kolumbinis Mantel am Kleiderständer in das Bewußtsein des Feldwebels. Und unten in der Eingangshalle wartete der in solchen Fällen obligatorische mysteriöse Besucher auf ihn...
Es war wieder einer jener Tage an denen ich glaubte, daß sich das gesamte verseuchte Rattenloch von einer Stadt gegen mich verschworen hatte, ging Araghast durch den Kopf als er die Treppe hinunterschritt. Mein letzter Klient weigerte sich immer noch hartnäckig, mir die versprochene Bezahlung zukommen zu lassen, mit der Miete war ich zwei Monate im Rückstand und Fräulein Eule wurde auch langsam ungeduldig was ihr Gehalt betraf. Und so saß ich hinter meinem Schreibtisch und starrte auf die verkehrt herum erscheinenden Buchstaben auf der Glastür die zu meinem Büro führte. Araghast Breguyar, Privatdetektiv. Dieser Beruf wurde nur von zwei Sorten von Personen ausgeübt - unverbesserlichen Enthusiasten und Verlierern. Und ich gehörte eindeutig zur letzten Gruppe.
"Entschuldigung." sprach eine leise Stimme die kaum mehr als ein Wispern war ihn von der Seite an. "Sind Sie Feldwebel Breguyar?"
Araghast fuhr herum. Ohne es zu merken hatte er das Ende der Treppe schon lange hinter sich gelassen und stand nun direkt vor dem Tresen. Verdammte Tagträume...
Immer noch leicht neben sich stehend musterte er die in einen vom Regen durchnässten schwarzen Umhang gehüllte Gestalt die am Tresen lehnte. Ihr Gesicht war unter der Kapuze verborgen und knochige, bleiche Hände hielten einen mannshohen Stab, dessen oberes Ende mit einem Kristall besetzt war.
"Ja, der bin ich." antwortete Araghast und runzelte die Stirn als er nachdachte. Irgendwo hatte er diesen Stab schon einmal gesehen. "Wir sollten in mein Büro gehen." sagte er. "Dort können wir reden."
Die Gestalt nickte und schritt langsam in Richtung Treppe, wobei sie sich schwer auf ihren Stab stützte als ob sie zu schwach wäre, ohne Hilfe vorwärtszukommen. Araghast folgte dem Fremden in einem halben Schritt Abstand um ihn notfalls stützen zu können, genau wie er es bei Lea immer tat. Seine Braut konnte sehr ungehalten werden wenn er ungefragt ihren Arm ergriff um ihr Treppen hinaufzuhelfen und betrachtete es als persönliche Beleidigung wenn man sie aufgrund ihres Holzbeins für schwächer und gebrechlicher hielt als sie es war. Der Feldwebel mußte traurig lächeln als er an seine echte Leonata dachte, die irgendwo außerhalb dieses Alptraums auf ihn wartete. Würde sie sich an seiner Stelle befinden hätte sie Zupfgut vermutlich schon mit ihrer hufeisenbeschwerten Handtasche erschlagen.
Während sich der Fremde Stufe für Stufe die Treppe hinaufkämpfte dachte Araghast an Zupfguts Worte. Der verhasste Hauptmann musste wirklich blind gewesen sein. Wenn es sich bei dem Unbekannten um einen Priester handelte dann war Kommandeur Ohnedurst ein Werwolf. Genausogut hätte jemand ein großes Schild mit der Aufschrift Zauberer an den Stab hängen können. Doch was trieb einen Magier dazu, sich mitten in einer für ihn äußerst gefährlichen Zeit quasi in die Höhle des Löwen zu begeben, nur um mit ihm zu sprechen? Es mußte sich wirklich um eine äußerst wichtige Sache handeln.
Vielleicht ist er ein abtrünniger A.G.L.A.-Verschwörer, überlegte Araghast und nahm die letzte Treppenstufe. Sein Besucher lehnte erschöpft an der Wand und versuchte, seinen quälenden Husten unter Kontrolle zu bekommen.
"Ich wusste gar nicht, daß Sumpfdrachen so ungesund sind." konnte sich der Feldwebel nicht verkneifen, das von Zupfgut begonnene Spiel fortzusetzen.
Der Fremde wandte sich zu ihm um, die freie Hand auf die Brust gepresst als ob er unter starken Schmerzen litt.
"Sie wissen gar nichts." flüsterte er und lehnte sich auf seinen Stab.
Araghast biß sich auf die Lippen. Seinem Besucher schien es wirklich schlecht zu gehen und wieder einmal war sein bissiges Mundwerk mit ihm durchgegangen.
"Entschuldigung." sagte er leise und nahm die zierliche Gestalt am Arm, welche sich nicht wehrte. "Zu meinem Büro geht es neuerdings wieder hier lang."
Schweigend folgten sie dem gewundenen Korridor. Ein in die rote Uniform der SEALS gekleideter Wächter der Araghast völlig unbekannt war blieb stehen und musterte den Fremden mit unverhohlenem Mißtrauen.
"Verschwinde und hör auf, so blöde zu glotzen." knurrte der Feldwebel ihn an bevor er den Mund aufmachen konnte. "Das hier ist geheime FROG-Kommandooperation."
Zu seiner großen Erleichterung trollte sich der Wächter ohne weiteren Kommentar und Araghast war froh, ohne weitere Zwischenfälle sein Büro zu erreichen. Kaum daß sie den Raum betreten hatten warf der Feldwebel die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloß herum.
"Ich weiß, daß du kein Priester bist." sagte er und führte den kapuzenverhüllten Fremden zum Besucherstuhl. "Mir macht man im Vergleich zu Brüllaffe Zupfgut, der heute Abend anscheinend Wahoonies auf den Augen hatte, nicht so leicht was vor. Also, wer bist du wirklich und was willst du von mir?"
Der Besucher sank auf den Holzstuhl und kämpfte erneut mit seinem Husten. Araghast umrundete seinen Schreibtisch und nahm ebenfalls Platz. Er stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und bettete sein Kinn auf die gefalteten Hände. Etwas in ihm sträubte sich massiv dagegen, mit der sich offenbar am Ende ihrer Kräfte befindenden Person ihm gegenüber allzu hart umzuspringen.
"Mit wem habe ich es hier zu tun?" wiederholte er seine Frage weitaus freundlicher und sanfter.
Langsam schien sich der Fremde zu erholen. Er lehnte seinen Stab an die Wand und schlug die Kapuze seines Umhangs zurück.
Araghast erkannte das hagere, bleiche Gesicht mit den ernsten stahlgrauen Augen sofort. Es gehörte dem jungen Magier der zusammen mit diesem verrückten Kaboltzmann die Expedition in die Gewölbe unter dem Dreimal Glücklichen Fischimbiss unternommen hatte. Sein Zwillingsbruder, der riesige Kämpfer mit dem mutmaßlichen Intelligenzquotienten eines Trolls, hatte ihn halb aus dem Gebäude getragen gehabt weil es ihm zu schlecht gegangen war.
"Verstehe." brummte der Feldwebel. "Wie kannst du hier sein wenn du und dein Bruder beide im Imbiss durch Steinschlag umgekommen seid? Oder ist das auch wieder ein Teil dieser verdammten Riesenverschwörung die hier gegen mich abläuft?"
Die Andeutung eines schwachen Lächelns huschte über die schmalen, blutverschmierten Lippen des jungen Zauberers.
"Eben darum bin ich hier." wisperte er. "Um Ihnen alles zu erklären, Feldwebel Breguyar. Sagt Ihnen der Begriff 'Die Hosen der Zeit' etwas?"
Verwirrt runzelte Araghast die Stirn. Hosen der Zeit. Das klang ihm verdächtig nach Zauberer-Fachachatenisch. Lea benutzte das Wort hin und wieder im Zusammenhang mit deftigen Flüchen auf die Herumpfuscherei der, wie sie es ausdrückte, Verrückten in der Unsichtbaren Universität.
"Ich habs schon mal gehört." sagte er. "Was habt ihr in eurer Uni jetzt schon wieder verbrochen? Ein zweites, größeres A.G.L.A. gebaut und mich als Versuchsperson reingesteckt?"
Der junge Zauberer schüttelte den Kopf und hustete.
"Wir beide..." Sein Atem ging hektisch. "Sie und ich, mein Bruder und Edwina Walerius, wir wurden in ein anderes Bein der Hosen der Zeit geholt. Das Buch, erinnern Sie sich? Der Ruf des Cthulhupalhulhu. Wir wurden durch das Buch hierhergebracht, in diese andere Realität."
Araghast schwieg während er sich die Worte seines Besuchers noch einmal gründlich durch den Kopf gehen ließ. Sein verschwundenes Lieblingsbuch. Eine falsche Realität.
"Und was soll das Ganze, verflucht noch mal?" fragte er hitzig. "Macht sich hier irgendwer über uns lustig oder was?"
"Wir sollen hier den Hexer finden den es in unserem Hosenbein der Zeit nicht mehr gibt."
"Den..." Ohne Rücksicht auf Zuschauer riß Araghast die unterste Schreibtischschublade auf und zerrte die Bärdrückersflasche heraus. Vier kräftige Schlucke brachten ihn in eine Gemütsverfassung die sich dazu eignete mit der verrückten Geschichte die ihm sein Besucher gerade auftischte fertig zu werden.
"Der Hexer von Ankh." sagte er nachdenklich und stellte die Flasche zurück. "Ein Mann, auf dessen Schultern ein Fluch lastet der ihn bis an sein Lebensende verfolgen wird. Ein Mann, gejagt von den alten, finsteren Göttern der Scheibenwelt." zitierte er den Klappentext diverser Eddie Wollas-Hefte. "Was weißt du über ihn? Erzähl mir alles was seit eurer bescheuerten Imbiss-Expedition passiert ist!"
Und mit flüsternder Stimme, immer wieder unterbrochen von seinem Husten, begann der junge Zauberer zu erzählen.

Das Gesetz des Mobs


Die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht gezogen eilte Kanndra den Fischbeinweg entlang. Wann hörte dieser verfluchte Regen endlich einmal auf? Unter den rechten Arm geklemmt um es vor der allgegenwärtigen Feuchtigkeit zu schützen, trug die Voodoo-Frau ein in alte Ausgaben der Times eingewickeltes Paket. Dieses Mal hatte sich wirklich Glück gehabt, daß der Vorrat des alten Herrn Baphomet noch nicht ausverkauft gewesen war. Die richtigen Kräuter und sonstigen Zutaten für ihre Salben zu bekommen war in einer Stadt wie Ankh-Morpork kein einfaches Unterfangen, selbst für jemanden mit den nötigen Kontakten.
Als die Entfernung zu ihrer Wohnung nur noch wenige Dutzend Meter betrug blieb Kanndra plötzlich stehen und stutzte. Eine Menschenmenge verstopfte die Straße und laute Rufe hallten zwischen den Häusern wieder.
"Verhaftet die Hexe!" kreischte eine schrille Frauenstimme die alles übertönte.
Unter ihrer Kapuze und der schokoladenbraunen Haut wurde Kanndra bleich vor Schreck. Was sollte dieser Spuk schon wieder? Mit zitternden Fingern legte sie ihre freie Hand um das Amulett an ihrem Hals und konzentrierte sich. Dann eilte sie auf den wütenden Mob zu.
Ein krachendes Geräusch und das Splittern von Holz klangen durch die Straße. Die Menge johlte. Jetzt, wo sie nur noch einige Schritte von den aufgebrachten Bürgern trennten erkannte die Voodoo-Frau Mistgabeln, Knüppel und andere improvisierte Waffen die hingebungsvoll in Richtung ihrer Kellerwohnung geschwungen wurden.
"Nieder mit der Zauberei! Nieder mit der Zauberei!" riefen die Bürger im Chor.
Entsetzt erkannte Kanndra mitten unter ihnen Frau Gravenstein, eine ihrer besten Kundinnen, die sich alle zwei Wochen ein neues Fläschchen des Männermuntermachers zulegte. Rücksichtslos drängelte sich die Voodoo-Hexe durch die Menge, nur um schließlich von einer Absperrung gestoppt zu werden.
Zwei Mitglieder der Geheimpolizei hatten vor den Stufen die in den Keller führten Aufstellung bezogen. Jeder von ihnen hielt eine geladene Armbrust schussbereit in den Händen.
Kanndra biss sich auf die Unterlippe. Was wollten diese Kerle von ihr?
"Ist nicht da." dröhnte eine Stimme aus dem Inneren der Wohnung.
"Dann zündet diesen Hort des Bösen doch an!" kreischte eine Stimme aus der Menge.
Sofort verfiel der Mob in einen neuen Schlachtgesang.
"An-zün-den! An-zün-den! An-zün-den!"
Tränen liefen Kanndra über das Gesicht als sie reglos an der Absperrung stand. Dieser plötzliche fanatische Hass, woher kam er? Es schien ihr als hätte eine Art kollektiver Wahnsinn von den Bürgern des Bezirks Sirupminenstraße Besitz ergriffen.
Mit grimmigen Mienen stapften drei weitere Mitglieder der Geheimpolizei die Treppe herauf und wechselten einige Worte mit den beiden Bewachern welche von dem Geschrei des Mobs übertönt wurden.
Und plötzlich flog eine Fackel durch die Luft und landete nur wenige Schritte neben dem abgesenkten Fenster von Kanndras Wohnung auf der regennassen Straße, wo sie zischend erlosch.
Die Voodoo-Frau schrak zusammen und hätte beinahe ihr Paket fallen lassen. Wenn die versammelten Bürger ahnen würden wer sich hinter der Illusion des harmlosen alten Mütterchens verbarg würde sie vermutlich in einem Triumphzug zum Galgen des Hide Parks geschleift und gelyncht werden.
"Brennen! Brennen! Sie soll brennen!" grölte der Mob.
Die Geheimpolizisten schienen zu einer Übereinkunft gekommen zu sein. Stillschweigend verließen sie den Ort des Geschehens und kaum daß sie verschwunden waren riss die aufgebrachte Menge die Absperrung nieder und stürmte vor. Kanndra konnte sich nicht dagegen wehren, mitgerissen zu werden, und so bekam sie aus nächster Nähe mit wie eine entschlossen geschwungene Mistgabel das Fenster ihrer Wohnung mit einem Schlag zertrümmerte.
Der Mob johlte. Ein junger Mann mit zwei brennenden Fackeln in den Händen trat an das Loch und warf die lodernden Stäbe in das dahinterliegende Zimmer.
"Nein!" schrie Kanndra, doch ihr Ruf ging in dem allgemeinen Lärm völlig unter. Eine Art von Raserei schien die versammelten Bürger befallen zu haben und eilig wurden Ölfässer und Flaschen hochprozentigen Alkohols durch das zerborstene Fenster geworfen um dem Feuer Nahrung zu geben.
Das war zuviel für die Voodoo-Frau. Laut aufschluchzend wandte sie sich ab und rannte davon während ihr gesamtes Hab und Gut in Flammen aufging.
"Nieder mit der Zauberei! Verbrennt die Hexe!"
Die Schreie des wütenden Mobs gellten immer noch in Kanndras Ohren als sie die Sirupminenstraße entlanglief. Unwillkürlich musste sie daran denken wie sie Bregs gegenüber erst am vergangenen Abend erwähnt hatte, daß sie vermutlich die Stadt verlassen würde. Wie recht sie gehabt hatte. Und selbst wenn der Patrizier Posten an den Stadttoren aufstellen ließ um sie und andere magiebegabte Bürger aufzuhalten, ihre Gabe, jede beliebige menschenähnliche Gestalt anzunehmen, würde sie ungehindert passieren lassen.
Doch erst einmal brauchte sie dringend etwas Starkes zu trinken.

Traum und Wirklichkeit


"Also, werr immerr hierr begrraben lag," bemerkte Edwina Walerius leicht amüsiert und strich mit ihrer behandschuhten Rechten über die Klinge des gen Himmel ragenden steinernen Messers, "Derr muß wirrklich einen seltsamen Geschmack gehabt haben."
Kamerun spähte in die gut zwei Meter tiefe Grube auf deren Grund die verfaulten Überreste eines hölzernen Sarges in einer Regenwasserpfütze schwammen. Ein loses Stück des roten Tatort-Absperrbandes hing traurig in das leere Grab hinunter.
"Cassawarr hieß derr alte Knabe." erklang Edwinas Stimme hinter ihm. "Damit haben wirr einen toten Schoten in derr Grruft derr Vetinarris und offensichtlich einen derr im Körrperr dieses Cassawarr frrei herrumläuft. Also halte dein Schwerrt berreit, Junge."
"Das tu ich schon die ganze Zeit über." stellte Kamerun klar und schlug zum Beweis seinen Umhang beiseite. "Ich weiß nicht." sagte er leise. "Ich habe so ein Gefühl, daß bald etwas passieren wird."
Schon den ganzen Nachmittag über hatte er dieses seltsame Gefühl verspürt, ein warnendes Kribbeln im Nacken, welches ihn ziemlich beunruhigte. Er wusste, daß er eine Art natürlichen Gefahreninstinkt besaß und bisher hatte dieser ihn noch nie getäuscht. Woher diese Begabung stammte vermochte er nicht zu sagen, insgeheim vermutete er jedoch, daß Raistans magische Fähigkeiten irgendwie auf ihn abgefärbt haben mussten.
Schaudernd erinnerte sich Kamerun an den Traum den er vor wenigen Tagen gehabt hatte. Die schreckliche Insel die aus dem Meer hervorgestiegen war und sein über alles geliebter Zwillingsbruder der ihn gnadenlos an ein Ungeheuer aus den Kerkerdimensionen verriet. War dieser Traum vielleicht eine Warnung gewesen? Ein Signal, daß bald schlimme Dinge geschehen würden? Das Bild des Kleinen erschien vor seinem geistigen Auge, wie er ihn bei der Rückkehr aus dem Café Ankh vor Schwäche und Schmerzen halb ohnmächtig auf dem Boden gefunden hatte. Raistan hatte allen Grund, ihn im Austausch für Gesundheit und Stärke einfach zu verraten. Konnte er überhaupt noch irgend jemandem trauen? Selbst Edwina Walerius verschwieg ihm immer noch etwas, das spürte er. So sehr er sich auch im Laufe der letzten Tage an diese Frau gewöhnt und ihr sein Herz ausgeschüttet hatte, sie hatte ihm nicht die volle Wahrheit über sich selbst erzählt.
"Stimmt etwas nicht?" fragte die Überwaldianerin und trat neben ihn um ebenfalls einen Blick in das leere Grab zu werfen. "Du schaust drrein als wärrest du ganz woanderrs."
"Ich musste nur gerade wieder an diesen Traum denken." erklärte Kamerun langsam. "Der Kleine, der mich verraten hat. Und diese schreckliche Insel die aus dem Meer gestiegen kam, mit diesen ganzen unmöglichen Türmen und Gebäuden."
"Die URRALTEN RRIESEN kennen viele Wege, den Wahnsinn zu verrbrreiten." antwortete Edwina. "Aberr ohne dich jetzt beunrruhigen zu wollen - Ich habe in Brreguyarrs Buch gelesen, daß es tatsächlich eine verrsunkene Stadt derr Dinge die nicht sein dürrfen geben soll. Sie rruht auf dem Grrunde des rrunden Meerres und beherrberrgt den Körrperr des schlafenden Ungeheuerrs namens Cthulhupalhulhu. Wie hieß es in derr Geschichte noch mal: Träumend wartet der tote Cthulhupalhulhu in seinem Haus auf Leshp. Und falls es wirrklich Kaboltzmanns Absicht ist, ihn aufzuwecken, dann Gnade uns die Götterr..."

Halbvampir und Zauberer


"Das ist ja ein Ding." war das einzige was Araghast hervorbrachte.
Während sich sein Gegenüber unter einem seiner Hustenanfälle krümmte lehnte sich der Feldwebel in seinem Schreibtischstuhl zurück und schloss das Auge. Die Geschichte die der Zauberer ihm aufgetischt hatte übertraf wirklich alle seine mühsam zurechtgebastelten Verschwörungstheorien. Und das erstaunlichste war, gründlich betrachtet machte sie sogar Sinn.
"Kannst du diesen Kraftlieb nicht noch mal herzaubern?" fragte er. "Ich würde ihn wahnsinnig gerne ein paar Mal kräftig mit dem Kopf gegen die Wand hämmern für all den Mist!"
Der Magier schüttelte den Kopf.
"Das geht nicht." wisperte er und tupfte sich mit einem Taschentuch die Lippen ab. Erschrocken sah Araghast, daß dunkle Blutflecken den weißen Stoff tränkten.
"Was ist das für eine Krankheit, wenn es nichts mit Sumpfdrachen zu tun hat?" erkundigte er sich neugierig. "Schwindsucht im Endstadium?"
"Das spielt jetzt keine Rolle." antwortete sein Gast und richtete sich entschlossen auf, als wolle er seinen Zustand Lügen strafen. Seine Lippen waren zu seinem dünnen Strich zusammengepresst und die linke Hand lag auf seiner Brust.
"Und ob es eine Rolle spielt." gab Araghast zurück. "Wenn du mir hier gleich tot umfällst dann habe ich ein ernsthaftes Problem, Kleiner. Diese falsche Welt hat nicht nur was gegen Zauberer sondern anscheinend auch was gegen mich, und wenn ich jetzt auch noch eine Leiche am Hals habe dann sieht es für mich wahrlich düster aus." Er seufzte tief.
"Machen Sie sich da keine Sorgen. Wenn ich daran sterben würde wäre ich schon quasi seit meiner Geburt tot."
Der junge Zauberer blickte ihn ernst an. "Diese Krankheit ist mein ganz persönlicher Fluch mit dem ich nun einmal leben muß."
Araghast hielt dem durchdringenden, kalten Blick seines Gegenübers stand. In der 'Phänomenomenologie des Geistes' hatte es einmal geheißen, die Augen seien der Spiegel der Seele. Und in den stahlgrauen Tiefen der Augen des Magiers erkannte der Feldwebel einen Abgrund, ähnlich dem in seinem eigenen Selbst.
"Welcher Dämon jagt dich?" fragte er leise, als er verstand. "Ist es das Wissen, schwächer zu sein als alle anderen? Ich weiß wie es ist, etwas sein zu wollen was man niemals sein wird." fügte er in bitterem Tonfall hinzu und dachte neidisch an Valdimier van Varwald und dessen Fähigkeiten. Eine Zeitlang hatte er sich gewünscht, wie er zu sein. Und selbst als er sich von diesem Traum verabschiedet hatte verhinderte seine Abstammung ein Leben als Mensch. Er brauchte immer einen Deckel über dem Kopf um schlafen zu können und wenn er in den Spiegel blickte konnte er durch sein Abbild hindurch aus dem Fenster schauen. Und dann war da noch dieser ständige Durst nach roten, warmem, köstlichem...
Eine Welle der Begierde schlug über Araghast zusammen, so stark, daß er sich nur mühsam beherrschen konnte, nicht über seinen Gast herzufallen und seine Zähne in dessen schlanken Hals zu schlagen.
"Nein! Ich will nicht dran denken! Kein B-Wort! Nicht einen Tropfen!" schrie er panisch und stürzte sich geradezu auf die unterste Schreibtischschublade. Seine Hände zitterten als er die Flasche an sich riß und hastig vier tiefe Schlucke ihres Inhalts hinunterstürzte. Schwer atmend verbarg er den Kopf in den Händen und versuchte, an irgend etwas zu denken, doch hartnäckig hielt sich das Bild Stanislaus Olivanders, der rote Flüssigkeit in ein bereitstehendes Glas goss, vor seinem geistigen Auge. Trink, mein halber Nosferatu Sanguineus! gellte die Stimme des Händlers durch sein Bewusstsein. Du kannst deine Natur nicht ewig verleugnen. Nein, das kann ich nicht, gab Araghast sich wieder einmal geschlagen. Das Monster in ihm hatte ihn bereits fest in den bleichen Klauen. Wieder hatte er einen weiteren Schritt in Richtung Abgrund zurückgelegt. Und die Kante war nicht mehr fern...
Ein schmerzhafter Schlag gegen seiner Schulter riss ihn abrupt aus seinem Wahn und erschrocken fuhr er hoch. Der junge Zauberer stand neben ihm, den Stab zum nächsten Schlag erhoben. Seine Lippen waren blutverschmiert und sein hageres Gesicht kreidebleich, und für einen kurzen Moment glaubte Araghast, einen Vampir vor sich zu haben, der soeben seine letzte Mahlzeit genossen hatte.
"Schluss damit!" fauchte der Magier mit einem scharfen Klang in der Stimme der dem Wächter durch Mark und Bein ging. "Es ist alles nur Einbildung!"
Und während der Feldwebel ihn immer noch völlig verdattert anstarrte brach er heftig hustend zusammen. Der Stab fiel zu Boden und verursachte beim Aufprall ein dumpfes Pochen.
Mit einem Satz sprang Araghast aus seinem Sessel und kniete neben seinem Gast nieder.
"Es tut mir leid." sagte er resigniert und ließ den Kopf hängen. "Ich... ich komme mit dem Entzug einfach nicht klar. Es macht mich manchmal verrückt. Ich kann tun was ich will, der Gedanke an B-Wort überfällt mich immer und immer wieder. Ich bin kein Mensch und ich werde nie einer sein, egal wie sehr ich es mir wünsche und gegen den Vampir in mir ankämpfe. Er besiegt mich immer wieder und..."
Araghast biss sich auf die Lippen. Warum erzählte er eigentlich plötzlich alles was er bisher trotz bohrender Nachfragen seiner Freunde nie preisgegeben hatte einem beinahe völlig Fremden der völlig erschöpft auf dem Fußboden seines Büros lag und fürchterliche Schmerzen zu haben schien? Dem jungen Zauberer ging es schon schlecht genug ohne daß er sich auch noch die Nöte eines am Rande des Wahnsinns stehenden Halbvampirs anhören musste. Unbewusst rieb sich der Feldwebel die schmerzende Stelle an der Schulter wo der Schlag ihn getroffen hatte. Eines musste er seinem Gast wirklich lassen - Er hatte Mut. Trotz seiner körperlichen Schwäche besaß er eine innere Kraft die sich Araghast noch nicht erschlossen hatte.
Plötzlich schlossen sich kalte, knochige Finger um sein Handgelenk.
"Manchmal hilft es nicht, zu wünschen." Die Stimme des Magiers war kaum mehr als ein Flüstern. "Alles was man tun kann, ist irgendwie mit dem zu leben was man nun einmal ist."
"Aber das weiß ich ja gerade nicht!" rief Araghast und nahm die kalte Hand zwischen seine eigenen. "Ich bin ein Garnichts! Der Sohn eines familienschlachtenden Monsters und eines Menschen! Jeden Tag habe ich einen vampirischen Freund vor mir der keine Ahnung hat was ich durchmache! Er versteht nicht, daß alles was ich will einfach das Menschsein ist, fernab von B-Wort-Durstattacken, Särgen und all dem ganzen Blödsinn! Nicht einmal die Enthaltsamkeitsliga wollte mich aufnehmen, eben weil ich kein voller Vampir bin. Und je länger ich mich vom B-Wort fernhalte, desto schlimmer wird die Gier, dieses vampirische Verlangen, das kein Mensch je begreifen wird..." Er pausierte kurz und holte tief Luft. "Ich weiß, gerade ich als ausgebildeter Püschologe sollte nicht so daherreden. Aber das habe ich mich schon immer gefragt. Wer kümmert sich um den Püschologen? Das tut höchstens der Alkohol. Feldwebel Saufnase nennen sie mich hier in dieser Realität offen und in unserer wirklichen vermutlich hinter meinem Rücken. Aber was soll ich tun? Ich musste meine unmenschliche Gier so gut wie möglich auf etwas anderes umlenken. Irgend etwas braucht das Monster in mir als Ersatz für das B-Wort. Mit dem Rum halte ich es gerade leidlich im Schach. Doch jeden Tag wird es stärker und ich weiß nicht wie lange ich es noch unterdrücken kann! Ein echter Vampir hat dazu die nötige Selbstbeherrschung, aber ich bin nun mal ein halber Mensch und damit zu schwach! Ich weiss einfach nicht mehr, was ich noch tun soll. Alle scheinen besser zu wissen was gut für mich ist und wollen mit mir über die Sache reden, aber damit ist mir auch nicht geholfen."
Laut aufseufzend ließ sich Araghast neben seinem Besucher auf den Boden fallen und starrte an die Decke. "Ich hasse meine Existenz." erklärte er der Welt im Allgemeinen.
"Wer tut das manchmal nicht." wisperte der junge Zauberer leise. "Jeden Tag sehe ich unzählige Personen durch die Stadt rennen, mit lauter Stimme herumschreien und lauter Dinge tun die ich niemals schaffen werde, ohne daß ich halb in Ohnmacht falle, Blut huste und keine Luft mehr bekomme. Sie haben vielleicht eine Ahnung wie sehr ich die ewigen Schmerzen und diese Schwäche hasse. Aber ich kann dagegen genauso wenig tun wie Sie gegen Ihren inneren Vampir."
"Wer weiß." bemerkte Araghast. "Vielleicht gibt es da oben in Würdentracht irgendeinen Gott der sich einen Spaß daraus macht, hier und da auf jemanden zu zeigen und zu sagen He, dem oder der würge ich in ihrem Leben mal ordentlich eins rein, mal sehen wie sie sich dann machen." Er räusperte sich. "Man nehme zum Beispiel die Wache. So viele kaputte Existenzen auf einen Haufen gibt es auf der gesamten Scheibenwelt nicht. Jeder der auch nur irgend etwas kann oder auch nur den Hauch einer Chance dazu hat sucht sich schleunigst einen besseren Beruf. Wir sind ein Haufen von Versagern, kleinen Gaunern und sonstigen Verrückten die ansonsten auf der Straße unlizenziert betteln gehen würden. Manche kommen doch tatsächlich zu uns und denken, sie könnten große Heldentaten im Namen des Gesetzes vollbringen!" Ein eisiges, freudloses Lachen erfüllte das Zimmer. "Eigentlich sind wir immer nur diejenigen die für einen Hungerlohn zuerst ihren Kopf hinhalten müssen wenn es irgendwo brenzlig wird. Alle paar Monate erwischt es wieder einmal jemanden von uns, der dann bei all seinen Kollegen auf dem Friedhof der Geringen Götter bestattet wird. Da fragt man sich manchmal wirklich ob es die Stadtwache nicht letztendlich nur gibt damit die anderen Bürger der Stadt sich besser fühlen."
Während er den flachen, rasselnden Atemzügen seines Gastes lauschte fragte sich Araghast ob es nicht irgendwo einen Gott der Wächter gab. Jemand der zusah wenn sie sich durch die Widrigkeiten eines Falls kämpften und den Stoßgebeten zuhörte die sie oft sprachen kurz bevor sie sich in einen Kampf stürzen mußten. Ein Gott der keinen prächtigen Tempel brauchte sondern lediglich das Bewußtsein, daß es einige wenige mehr oder weniger hoffnungslose Individuen gab die an ihn glaubten. Ein Gott der auch wohlwollend über kleinere Verfehlungen und größere Alkoholexzesse hinwegsah und mit seinen Schutzbefohlenen litt wenn wieder einmal etwas völlig schief gegangen war. Ein Gott mit der Seele eines Wächters.
Während der Alkohol sein Gemüt in einen angenehmen Zustand der Entspannung versetzte erschien wieder das Büro mit der Glastür vor Araghasts innerem Auge. Kurz darauf verschwamm es und machte dem Ambiente einer schummerigen Kneipe Platz.
Dies war bereits der fünfte Drink des Abends für Breguyar, doch er fühlte sich immer noch nicht besser. Das blutleere Gesicht seines Partners, seine ins Leere starrenden aufgerissenen Augen, würden selbst hundert Drinks nicht aus seinem Gedächtnis löschen können. Schütze war tot und er konnte es immer noch nicht fassen. Die Stadtwache hatte die Leiche abtransportiert und ihm unterschwellig zu verstehen gegeben, daß er, der Privatschnüffler, immer noch schlimmerer Abschaum sei als sie selbst. Breguyar ballte seine Hände zu Fäusten und gab dem Barkeeper ein Zeichen, das Glas wieder vollzuschenken. Auf der Empore saß Samiel am Klavier und spielte ein langsames, trauriges Stück. Schwankend stand Breguyar auf und torkelte zu dem Musiker hinüber.
"Ich hab dir doch gesagt, daß du das Lied nie wieder spielen sollst." herrschte er ihn an.
Samiel wandte sich zu ihm um, ohne jedoch die Finger von den Tasten zu nehmen.

"Welches Lied soll nie wieder gespielt werden?" holte ihn eine heisere, brüchige Stimme wieder zurück in die Wirklichkeit und die Szene löste sich in Wohlgefallen auf. Über ihm befand sich die kahle, schlecht verputzte Decke seines Büros.
"Nichts." murmelte er und stellte fest, daß er immer noch die kalte Hand seines Besuchers festhielt. "Ich hab nur gerade geträumt." Er ließ die Hand los und stemmte sich auf die Ellenbogen hoch. "Die ganze Sache ist einfach... Ich komme mir vor als wäre ich eine Figur in einem Roman von Eddie Wollas. Irgendwo soll der Hexer von Ankh herumlaufen, ein Ding aus den Kerkerdimensionen plus Schoten geistert durch die Stadt und plötzlich gab es ein Dimensionstor. Die Frage ist bloß, welche Figuren stellen wir in dieser Geschichte dar? Ich glaube, ich bin der verbitterte, versoffene Ermittler, so wie Feldwebel Abernicht in Aus dem Pandämonium als er den irren Näherinnenschlitzer jagte und am Ende des Romans Selbstmord beging. Edwina Walerius erinnert mich an Erich von Pandämoniumsgesang, der unerschrockene Vampirjäger aus Wollas' Erstling. Dein Zwillingsbruder ist einer dieser strahlenden, schwertschwingenden Überhelden die hin und wieder durch diverse Romane als Nebenfiguren geistern. Nur welche Rolle du spielen sollst kann ich mir bisher nicht vorstellen."
Araghast setzte sich auf und rieb sich das Auge.
"Aber erstmal muß ich dringend in die Assassinengilde und eine ganz bestimmte Akte stehlen. Ich weiß was die Schoten wollten, und jetzt will ich wissen, warum. Und die Antwort darauf ist nur im Archiv der ehrenwerten Gentleman zu finden. Kann ich dich so lange hierlassen während ich unterwegs bin? Nachher, das heißt, falls ich die Sache überlebe, können wir uns dann wieder zu dem Fräulein Walerius begeben."
Kopfschüttelnd erhob er sich.
"Klaut einfach mein Buch, die Frau..." murmelte er.
"Ich komme mit." sagte der Magier plötzlich.
"Was?" Mit gerunzelter Stirn sah Araghast nach unten und musterte die zierliche Gestalt auf dem Boden. "Sieh dich doch mal an! Du bist halb tot!"
"Das bin ich immer, mehr oder weniger." kam die ruhige, geflüsterte Antwort. "Denken Sie nach. Allein in die Assassinengilde einzubrechen wäre Selbstmord. Ich gebe zu, ich bin kein Kämpfer, aber ich habe andere Talente die unter den Meuchlern im Notfall einige Verwirrung stiften können."
Nachdenklich begann Araghast im Zimmer auf- und abzumarschieren. Der Magier hatte recht. Ohne Rückendeckung in die gefährlichste Gilde der Stadt einzudringen kam einem Suizidversuch gleich.
"In Ordnung."
Er trat an seinen Gast heran und streckte ihm seine Hand hin. "Geht es dir auch wirklich wieder besser, Kleiner?" fragte er.
Der Magier nickte und legte seine Hand in die des Feldwebels, während er mit der anderen nach seinem Stab griff. Mit einem kräftigen Ruck zog Araghast ihn auf die Beine und stützte ihn als er beinahe wieder gefallen wäre.
"Wenn die beiden wirklich den Schotenspuren gefolgt sind dann sind sie höchstwahrscheinlich schon bei den Gräbern von Vetinari und Cassawar gelandet." erklärte er und griff nach seinem Mantel. "Verdammter Regen. Man könnte meinen, es hört nie wieder auf. Na dann lasst uns mal hoffen, daß Zupfgut nicht unten am Tresen auf uns lauert." Mit der Rechten griff er nach dem Arm seines Gastes um ihm Halt zu geben und gemeinsam traten sie aus dem Büro hinaus in den dunklen Flur.
Sowohl im ersten Stock als auch auf der Treppe begegneten sie keiner Menschenseele. Nur der Tresenrekrut in der Eingangshalle beäugte sie misstrauisch.
"Hat sich alles geklärt." rief Araghast ihm zu. "Ich begleite nur den Priester um noch mit dem Obersten des Kultes zu sprechen der anscheinend einen Nervenzusammenbruch hatte als sein geweihter Sumpfdrache plötzlich ermordet wurde. Ich glaube, da wird ein Püschologe dringend gebraucht."
"Ja, Sör." antwortete der Rekrut nur und vertiefte sich wieder in das Buch welches aufgeschlagen auf dem Tresen lag.
"Braver Rekrut." murmelte Araghast als er die Eingangstür aufstieß und in die verregnete Dunkelheit hinaustrat. "Manchmal mag man tatsächlich glauben, daß man euch in der Grundausbildung noch was beibringt." Eine Windbö fegte über den Pseudopolisplatz und peitschte den Regen beinahe waagerecht durch die Luft. Unwillkürlich griff der Feldwebel den dünnen Arm seines Begleiters fester und zog den Kopf ein.
"Du hast mir vorhin deine Geschichte des Fischimbiss-Falls erzählt." rief er gegen den Sturm an. "Jetzt erzähle ich dir meine."

Die Wurzel des Bösen


Selbst der strömende Regen und Unmengen von Passanten hatten es nicht geschafft, die schleimige Schotenspur auf dem Straßenpflaster nennenswert zu verwischen. Sie wand sich die Zimperlichgasse entlang wie die Hinterlassenschaften einer undichten, nie leer werdenden Klebstofftube.
Die Insel aus dem Meer in Kameruns Traum...
Edwina war weitaus beunruhigter als sie es ihrem Begleiter je zugeben würde. Alle Anzeichen hatten bisher darauf hingedeutet, daß das Ding in Kaboltzmann sich genau an die Ritualreihenfolge hielt mit der auch Turisas Linistar vor achthundert Jahren das Portal zu den Kerkerdimensionen geöffnet hatte. Und wenn die Schoten erst einmal beschworen worden waren und sich eine körperliche Existenz zugelegt hatten würde das Ritual zum Öffnen des Portals nur noch eine Frage der Zeit sein.
Die Insel. Träumend liegt der tote Cthulhupalhulhu unter der versunkenen Stadt Leshp.
Was Kamerun im Schlaf gesehen hatte war eine krude Mischung aus der Geschichte der Linistar-Zwillinge und Philipp Howards Kraftliebs Erzählung.
Um sie zu erwecken musste man sie nur rufen...
Welche Rolle spielte eigentlich dieses Kraftlieb-Gespenst überhaupt? Warum wollte es, daß sie hier in dieser Realität den Hexer von Ankh fanden? Weshalb spielte er Schach mit den Schicksalen von vier Menschen wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten? Was bedeutete das Auftauchen von Kamerun und Raistan Quetschkorn? Würde der junge Zauberer versuchen, mit Hilfe des Stockdegens die Macht über die URALTEN RIESEN an sich zu reißen wie sein Vorgänger es getan hatte?
Der Ruf des Cthulhupalhulhu...
Die Spur bog in die Willkommensseife ein und ein fürchterlicher Verdacht begann sich in Edwina zu regen. Sie begann zu rennen.
"Was ist los?" rief Kamerun hinter ihr, doch sie antwortete nicht. Ihre Befürchtungen gewannen immer mehr an Substanz als sie die Spur in die Unheilsstraße abbiegen sah. Mit wehendem Umhang lief die Überwaldianerin die Straße entlang und kam vor dem Gebäude mit den vernagelten Fenstern zum Stehen. Knarrend pendelte das verwitterte Ladenschild im Wind hin und her. Mehrere Bretter fehlten in der unteren Hälfte der Türöffnung und Edwina sah wie die schwärzliche, zähe Schleimspur geradewegs hindurchführte.
Dieser Ort war die Wurzel alles Bösen das seit Tagen in der Stadt geschah.
"Eigentlich hätten wir es uns denken können." keuchte Kamerun und zog sich die Kapuze seines Umhangs die ihm beim Rennen vom Kopf gerutscht war wieder über das regennasse Haar.
"Ja." antwortete Edwina nur. "Derr Drreimal Glückliche Fischimbiss. Hierr begann alles und hierr wirrd es vielleicht auch enden."

Assassini


Unheilvoll ragte das Gebäude der Assassinengilde auf der gegenüberliegenden Straßenseite gegen den pechschwarzen Nachthimmel auf. Einige verspätete Gäste der Taverne Stöhnender Teller traten aus der Frostgasse in die Filigranstraße ohne von den beiden im Schatten einer Regentonne kauernden Gestalten Notiz zu nehmen.
Raistan fror bis auf die Knochen und verkroch sich tiefer in der Kapuze seines Umhangs. Insgeheim fragte er sich, in was für einen Wahnsinn er nun schon wieder hineingeraten war. Nicht genug, daß er sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten konnte und seine Lungen schmerzten als ob sie in Flammen stehen würden, nein er war auch noch kurz davor, in Gesellschaft einer wandelnden Neurosensammlung von einem Wächter in die wohl gefährlichste Gilde der Stadt einzudringen.
Jemandem wie Feldwebel Breguyar war Raistan in all seinen Jahren an der Unsichtbaren Universität, die im Allgemeinen schon als Hort der Verrücktheit galt, noch nie begegnet. Dieser Mann bestand größtenteils aus sarkastischen Kommentaren, Eddie Wollas-Zitaten und seiner ganz persönlichen Existenzkrise und leichte Betrunkenheit schien eine Art natürlicher Zustand bei ihm zu sein. Der Feldwebel stellte geradezu die Definition eines Wächters dar wie der junge Zauberer ihn sich vorstellte.
Ein Windstoß fegte den strömenden Regen beinahe waagerecht durch die Straße und überschüttete die beiden Beobachter mit einem Schwall eiskalten Wassers.
"Verdammtes Mistwetter!" fluchte Breguyar und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Der Feldwebel erweckte den Eindruck als ob er soeben unter der Dusche gestanden hätte.
Raistan schob sich ein paar triefende Haarsträhnen aus den Augen und beobachtete weiterhin den Eingang der Assassinengilde. Trotz des schlechten Wetters stand das Tor einladend weit offen.
"Ich glaube wenn wir dort einfach hineinspazieren und im Namen der Stadtwache fordern, reingelassen zu werden, fliegen wir gleich rückwärts wieder raus." Der Feldwebel klang resigniert. "Wir brauchen also irgend eine Ausrede. Oder du reisst mit diesem Zauberspruch die eine Hälfte des Gebäudes ein und während die Assassinen alle herumrennen wie die aufgescheuchten Hühner flitze ich ins Archiv und gucke nach."
"Ich mache das nicht noch einmal." gab Raistan zurück und krümmte sich in einem seiner Anfälle. Während er sich die Tränen aus den Augen blinzelte spürte er wie ihm der Feldwebel sanft auf den Rücken klopfte.
"Ist ja gut." sagte der Wächter. "War auch nicht ernst gemeint." Er seufzte tief und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu. "Hin und wieder schleichen sich verdeckte Ermittler in die Gilde ein indem sie sich als Mitglieder verkleiden, aber das können wir vergessen. Uns wird vermutlich niemand abnehmen, daß wir Assassinen sind. Ich könnte über das Dach reinklettern aber sobald es ums Dolchwerfen geht sehe ich ganz schön alt aus."
Der Feldwebel und der Zauberer versanken in brütendes Schweigen während sie angestrengt nachgrübelten und der Regen sie langsam aber sicher bis auf die Haut durchnässte.
Assassinen durften niemanden töten solange sie von niemand dafür bezahlt wurden hatte ein gesprächiger Gildenschüler Raistan einmal erklärt. Diese Aussicht stimmte den jungen Magier jedoch nicht glücklich. Von einem Folterverbot war nie die Rede gewesen.
Mit zitternden, von der Kälte tauben Fingern griff er nach seinem Zauberstab und legte eine Hand um den Metallring am unteren Ende. Ein leises Klicken ertönte als er den Ring erst nach links, dann nach rechts und schließlich wieder nach links drehte und eine spießartige, zwanzig Zentimeter lange Metallklinge sprang aus dem unteren Ende des Stabes. Raistan war kein besonders guter Stockkämpfer, dennoch beruhigte ihn das Gefühl, im Notfall, wenn alle Magie nicht mehr weiterhalf, noch auf blanken Stahl zurückgreifen zu können. Des Zauberers letzte Rettung hatte Kamerun diese versteckte Sondereigenschaft von Berggießhübels Stab immer genannt und sich darüber lustig gemacht, daß der abschraubbare Kristallknauf des Stabes zusätzlich noch einen Korkenzieher enthielt.
"Interessant." kommentierte der Feldwebel die verborgene Waffe und ein hinterhältiges Lächen breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Ich glaube, da kommt mir eine Idee. Kannst du die Speerspitze noch mal wieder zurückschieben?"
Raistan nickte hustend und nach ein paar flinken Handbewegungen verschwand die Klinge wieder.
"Was hast du vor?" keuchte er und sank gegen die Wand.
"Vertrau mir." Die Stimme des Wächters klang entschlossen und seine Hand griff nach dem Arm des jungen Zauberers. "Es muss einfach klappen."
Innerlich den Kopf schüttelnd ließ sich Raistan mitziehen als Breguyar über die Straße auf den Eingang der Assassinengilde zueilte. Dieser Mann war wirklich komplett übergeschnappt. Aber vielleicht musste man auch einfach verrückt sein um die ganze komplett absurde Geschichte aufzuklären.

Araghast hatte recht gehabt mit seiner Vermutung. Kaum daß er und sein Begleiter durch die offen stehende Tür ins Trockene getreten waren versperrte ihm auch schon ein mißmutig dreinblickender Pförtner den Weg.
"Nichtmitglieder sind nur nach offizieller Einladung durch ein Gildenmitglied zugelassen." schnarrte er und musterte die Beiden kritisch.
Der Feldwebel atmete tief durch. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
"Einen wunderschönen Abend, mein Herr!" rief er überschwenglich aus und trat vor Raistan, welcher sich zitternd auf seinen Stab stützte. "Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Valdimier van Varwald und ich bin hier um meine neueste Erfindung vorzustellen. Wie Sie alle wissen, hat der Patrizier derzeit eine ziemlich große Abneigung gegen Zauberer gefasst." ließ er den Pförtner gar nicht erst zu Wort kommen. "Und da habe ich mir gedacht, daß vermutlich eine Menge von Aufträgen in Kürze über die Gilde hineinbrechen werden, und die perfekte Waffe für solche Gelegenheiten konstruiert. Mein Assistent Gilbert hat heute einen Praxisversuch unternommen und sich mit dem Magus-Eliminator Modell Mk.1 unter die Zauberer der Universität gemischt und niemand hat etwas bemerkt. Leider hat er sich dabei fürchterlich erkältet, aber was bringen wir nicht alles an Opfern für die Forschung? Gilbert, wenn du das Gute Stück mal eben vorzeigen könntest..."
Mit einer großspurigen Handbewegung winkte Araghast Raistan nach vorn und dieser präsentierte den Stab. Braver Junge, dachte der Feldwebel. Begreift wirklich schnell.
"Äh, aber das geht doch nicht, ich kann..." versuchte der Pförtner dazwischenzugehen, doch Araghast beachtete ihn nicht.
"Also, sieht doch wie ein ganz normaler Nachwuchszauberer aus, oder?" fuhr er fort, seine 'Erfindung' anzupreisen. "Aber passen Sie auf, jetzt kommt der Clou. Selbst wenn ein paranoider Magier jeden durchsuchen lässt der ihm nahe kommen darf, der Magus-Eliminator Modell Mk.1 bleibt völlig unentdeckt, denn die Klinge wird nicht am Körper getragen. Gilbert, demonstriere dem netten Herren hier doch einmal, wie es funktioniert. Sie müssen keine Angst haben, ich will Ihnen nichts antun."
Mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen sah der Feldwebel zu wie Raistan die Klinge hervorspringen ließ.
Der Pförtner hielt den Atem an und seine Augen fixierten das glänzende Metall.
"Also, wenn Sie bitte so freundlich wären, unsere Anwesenheit dem Waffenmeister der Gilde zu melden? Ich kann mir denken, daß meine Erfindung sicherlich bald sehr gefragt sein wird."
Spielerisch klopfte er seinem Begleiter auf die Schultern der gerade wieder von einem seiner Anfälle gequält wurde.
"Gilbert." sagte er gespielt besorgt. "Ich hab dir doch gesagt, daß du deine Krötenschleimtropfen regelmäßig nehmen solltest. Und morgen liegst du wieder mit Fieber im Bett, warts nur ab."
"Also gut." gab der Pförtner nach. "Ich sage Monsieur Rapier Bescheid, daß Sie ihn sprechen wollen."
Und mit einem letzten verächtlichen Blick auf die beiden tropfnassen Gestalten vor ihm verschwand er in den Tiefen des Gebäudes.
Araghast atmete erleichtert aus.
"Na dann wollen wir mal, Gilbert." sagte er halb scherzhaft. "Immerhin hat der Kerl uns nicht gesagt, daß wir genau hier auf ihn warten sollen." Mit diesen Worten griff er wieder nach Raistans dürrem Arm. "Und laß die Klinge lieber draußen. Sonst kommt noch jemand auf die Idee, daß wir hier wohlmöglich einen echten Zauberstab mit uns herumschleppen."
"Wie, welcher Zauberstab?" wisperte der junge Magier als sie in die Eingangshalle des Gildengebäudes traten. "Ich dachte immer, wir tragen hier die heilige Sumpfdrachenlanze des Domus Explodicus mit uns herum."
"Oder die Schmuckausführung der vollautomatischen neuen Wachediensthellebarde." spann Araghast den Faden weiter und sah sich um.
Die große Halle der Assassinengilde erschlug ihn beinahe mit ihrer schieren Vollkommenheit der Darstellung unaufdringlichen Prunkes. Edle Mahagonitäfelung bedeckte die Wände und die schweren, dunklen Deckenbalken waren mit kunstvollen Schnitzereien verziert. Vereinzelt standen elegant und teuer wirkende Möbelstücke herum und mehrere gedämpfte Lampen mit schweren Schirmen tauchten die gesamte Szenerie in schummriges Licht. Strenge Gesichter blickten aus Ölgemälden auf die beiden Eindringlinge herab und der Feldwebel wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Konnte er sich wirklich so sicher sein, daß dort drüben, im Schatten der Statue eines ehemaligen Patriziers welcher vermutlich von einem Gildenmitglied spektakulär inhumiert worden war, sich nicht eben etwas bewegt hatte?
"Archive und so etwas liegen meistens im Keller oder im Erdgeschoss." murmelte Raistan und unterdrückte mühsam einen weiteren Hustenanfall.
Araghast nickte und griff den zitternden Arm fester. Willkürlich wandte er sich nach links, in der Hoffnung, nicht allzu lange herumirren zu müssen. Je schneller sie aus diesem Haus wieder draußen waren desto besser.
Dieses Mal schien ihnen die Lady hold gewesen sein, denn am Ende des düsteren, mit zahlreichen Gemälden berühmter Klienten der Gilde geschmückten Flures erreichten sie eine schlichte Tür, an der ein einfaches Messingschild mit der Aufschrift Archiv angebracht war.
Vorsichtig drückte Araghast die Klinke herunter.
"Ja, bitte?" fragte eine dunkle, männliche Stimme postwendend.
"Verdammt." fluchte Araghast lautlos.
Mit einem Ruck befreite sich Raistan aus seinem Griff und lehnte den Stab hinter der Tür an die Wand.
"Laß mich ihn ablenken." hauchte er. "Dann gehst du rein und schnappst dir die Akte."
Araghast biss sich auf die Lippen und nickte. Eilig huschte er in eine dunkle Nische zwischen zwei klatschianischen Palmen in Töpfen.
Durch die dichten Wedel beobachtete er, wie sich Raistan schwer gegen die Tür sinken ließ.
"Hilfe!" stöhnte der junge Zauberer und sackte hustend in sich zusammen. "Der Auftrag..."
Kaum lag er auf dem Boden, ein schmales, in einen triefenden schwarzen Umhang gehülltes Bündel, schwang die Tür des Archivs auf und ein Assassine in mittleren Jahren erschien auf der Bildfläche. Mit zwei eiligen Schritten trat er an die reglos auf dem Flur liegende Gestalt heran und beugte sich über sie.
Dies war Araghasts Gelegenheit. Stumm sendete er ein Stoßgebet an den namenlosen Gott der Wächter und schlüpfte durch die geöffnete Tür in den dahinterliegenden Raum.

Eine Hand packte Raistan an der Schulter und schüttelte ihn.
"Wach auf, Junge!" drang die tiefe Stimme des Assassinen an sein Ohr. "Was ist passiert? Und warum trägst du auf einmal einen von diesen stillosen Wollumhängen?"
Der junge Zauberer hielt die Augen geschlossen und rührte sich nicht. Wenigstens war das Gildenhaus gut geheizt und er zitterte nicht mehr so sehr. Am liebsten wäre er vor Erschöpfung an Ort und Stelle eingeschlafen. Jeder Atemzug stach in seiner Brust wie unzählige Nadeln und seine Lippen waren feucht vom Blut.
"He! Komm zu dir!" Die Hand des Meuchelmörders klopfte gegen Raistans Wange. Gleich würde der Fremde ihn auf den Rücken drehen und feststellen, daß er kein Gildenschüler war. Schon krallten sich die kräftigen Finger wieder in seine Schulter. Der junge Zauberer streckte Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand aus und ballte die übrigen Finger zur Faust. Da wurde er auch schon herumgedreht.
"Du bist ja gar kein..." weiter kam der Assassine nicht.
"Stupeficatio!" fauchte Raistan und zielte mit der Hand auf den Kopf des Meuchlers. Eine unsichtbare magische Entladung zuckte aus seinen Fingern.
Der Assassine seufzte leise und sackte wie in Zeitlupe in sich zusammen. Kurz darauf wies gleichmäßiges Atmen darauf hin, daß er tief und fest schlief.
Mühsam stemmte sich Raistan auf die Ellenbogen hoch und wartete, bis das Schwindelgefühl vergangen war. Ein Blutstropfen lief ihm vom Mundwinkel aus über das Kinn und tropfte schließlich auf seine Hand. Der junge Zauberer setzte sich auf und kramte im Ärmel seiner Robe nach dem Taschentuch. Zufrieden musterte er den selig schlafenden Assassinen. Der Mann würde für die nächsten Stunden außer Gefecht gesetzt sein. Doch die Lösung des einen Problems warf gleich mehrere neue auf. Raistan wusste, daß er nicht kräftig genug war um den betäubten Meuchler zwischen den Palmen zu entsorgen. Jeden Augenblick konnte ein anderer der ehrenwerten Gentlemen vorbeispaziert kommen und anfangen, wirklich unangenehme Fragen zu stellen. Einen Augenblick lang wünschte er sich seinen Bruder herbei. Hildegards blitzende Klinge würde vermutlich selbst dem hartgesottensten Assassinen Respekt einflößen. Doch Kamerun stattete gerade zusammen mit Edwina Walerius der Adana-Villa einen Besuch ab.
Raistan gab sich einen inneren Ruck und kam auf wackeligen Beinen zum Stehen. Gegen eine neue Welle des Schwindelgefühls ankämpfend stolperte er auf die Wand neben der Tür zu und sank dagegen. Das Zaubern ohne Stab hatte seiner ohnehin durch die Begegnung mit Kraftlieb schon stark angeschlagenen Konstitution schwer zu schaffen gemacht. Hilfesuchend schlossen sich seine Finger um das glatte Holz und das vertraute leichte Prickeln gespeicherter Magie kitzelte sanft auf seiner Handfläche.
Hoffentlich beeilte sich Breguyar mit der Akte...

Im Gegensatz zum Rest des Gildengebäudes war das Archiv vergleichsweise hell erleuchtet. Araghast flankte über den halbhohen Tresen und eilte zu den eng stehenden Regalen.
"Jahr der depressiven Kaulquappe..." murmelte er leise vor sich hin während er die zahlreichen Reihen von mattschwarzen Ordnern überflog. Die Zeit drängte. Der Feldwebel hatte keine Ahnung wie lange Raistan den Archivverwalter ablenken konnte.
Nach hektischer Suche fand er die gesuchten Ordner schließlich in Bauchhöhe des dritten Regals von rechts. Hastig riss er den ersten heraus, ging in die Hocke und fing an, die Blätter durchzusehen, wobei er sich im Eifer des Gefechtes den Finger an einer scharfen Papierkante schnitt.
Verdammte Assassinen, dachte Araghast, während er den Ordner zurückstellte und nach dem zweiten griff. Selbst ihre Inhumierungsakten besaßen scharfe Schneiden.
Und während er noch an seinem Finger saugte und versuchte, den Geschmack des Blutes nicht lecker zu finden, fiel sein Blick auf die beiden gesuchten Namen. Havelock Vetinari und Bernicio Cassawar, beauftragt, einen gewissen Rudolfo Sartrap zu inhumieren. Ein roter Stempel in Form eines Dolches zierte das Deckblatt des Vertrages und unter der ausgesetzten Summe von vierzigtausend Ankh-Morpork-Dollar hatte jemand in sauberer Handschrift 'Starben in Ausübung ihres Berufes' notiert.
Volltreffer, frohlockte Araghast, zupfte das doppelt gefaltete Papier aus der Ringbindung und schob es in seine Manteltasche. Gerade als er den Ordner zurück ins Regal stellen wollte drang ein leises, knirschendes Geräusch an sein Ohr und als er aufsah blickte er direkt auf die Spitze des Bolzens einer gespannten Pistolenarmbrust.
"Na, was haben wir denn hier?" fragte der Assassine der wie aus dem Boden gewachsen zwischen den Regalen erschienen war in jenem Tonfall, der überall im Multiversum siegesgewissen Schurken, die den Helden beim Manipulieren ihrer Apokralypsenmaschine ertappen, eigen ist.
"Ermittlungen im Fall unlizenzierter Inhumierung durch Schnappers Würstchen." gab Araghast zurück und hielt nur mühsam einen Schwall von nicht druckfähigen Flüchen zurück. Mittlerweile dreimal verdammte Assassinen und ihre Anschleich- und Lauertechniken. Warum hatte er bloß nicht gemerkt, daß sich noch jemand im Archiv befunden hatte? Mit zusammengekniffenem Auge taxierte er sein Gegenüber. Der Mann war noch jung und trug eine Nadel am Aufschlag seines Gehrockes die ihn als Aufsichtsschüler auswies.
"Aufstehen und Hände hoch." befahl der Meuchler in Ausbildung völlig emotionslos.
Araghast atmete tief durch und erhob sich langsam. Nachdem er bis drei gezählt hatte schleuderte er urplötzlich den Ordner auf seinen Gegner und warf sich wieder zu Boden. Mit einem dumpfen Pochen schlug der Bolzen über ihm in die Wand am Ende des Ganges. Die Arme des Wächters schossen vor und er bekam einen Stiefel zu fassen. Ein kräftiger Zug und der Assassine verlor das Gleichgewicht und fiel hintenüber. Mit einem Satz sprang Araghast auf die Beine und trat dem Gildenschüler in eine besonders empfindliche Stelle. So sehr er sein vampirisches Erbe auch verabscheute, im Kampf waren die schnellen Reflexe ein wahrer Segen.
Der Nachwuchsmeuchler jaulte auf, doch anstelle seine Familienjuwelen zu umklammern und sich heulend auf dem Boden zu wälzen, wie die meisten Opfer dieser ganz speziellen Attacke es taten, schob er seine Hände unter die Kleidung und zückte zwei Dolche mit geschwärzten Klingen, während eine elegante Rolle rückwärts ihn wieder zurück auf die Beine brachte. Reflexartig zog Araghast sein Entermesser.
"Komm nur her, du Süßwassermatrose." knurrte er und fletschte die Zähne. Wenn dieser Bastard tatsächlich darauf aus war ihn zu töten, dann würde er ihm schon zeigen wie ein wahrer Seeräuber kämpfen konnte.
Ohne Vorwarnung sprang der Assassine auf ihn zu und Araghast konnte die durch die Luft zischenden Dolche nur knapp abwehren. Fünfmal verdammte Assassinen. Der Feldwebel trat einen Schritt zurück, riss einen Ordner aus dem am nächsten stehenden Regal und schleuderte ihn auf seinen Gegner, doch dieser wich dem ungeschickt geworfenen Geschoss mühelos aus und tänzelte auf Zehenspitzen näher.
Neidvoll musste Araghast anerkennen, daß der Assassine mit seinen beiden Dolchen zwischen den engen Regalreihen gegenüber dem Entermesser klar im Vorteil war. Siebenmal verdammte Assassinen. Selbst wenn es ihm gelang, seinem Gegner eine der Klingen aus der Hand zu schlagen, bestimmt steckten in den schwarzen Kleidern noch mindestens fünf weitere. Gegen einen solchen Opponenten gab es nur noch eine effektive Kampfmethode.
"Bonsai!" brüllte der Feldwebel und stürmte mit wild geschwungener Waffe auf seinen Gegner zu.
Dieser plötzliche, völlig unberechenbare Sturmangriff brachte den Assassinen, der sein Opfer schon fast geschlagen geglaubt hatte, sichtlich aus der Fassung. Verzweifelt versuchte er das mit beinahe an Wahnsinn grenzender Entschlossenheit geschwungene Entermesser abzuwehren, doch die schlanke Klinge in seiner linken Hand bot der Hiebwaffe kaum Widerstand und der Dolch fiel in trauter Gemeinschaft mit drei Fingern zu Boden.
Endlich lief wieder alles wie es laufen sollte. Das aus der verstümmelten Hand des Meuchlers spritzende Blut ignorierend trat Araghast seinen Gegner mit aller Macht gegen die Kniescheibe und schwang das Entermesser herum, wobei er beinahe mit der Klinge im Holz des am nächsten stehenden Regals stecken blieb.
Der Assassine stolperte, fiel jedoch nicht. Geschickt nutzte er Araghasts Nachteil durch die Enge des Ganges aus und stach mit dem verbliebenen Dolch zu, während der Wächter noch damit beschäftigt war, zu einem neuen Schlag auszuholen.
Araghast sah wie das geschwärzte Metall auf ihn zuraste und duckte sich schnell zur Seite. Deshalb bohrte sich die Klinge in seinen linken Oberarm, und nicht wie geplant in seine Brust. Ein zweiter wohlgezielter Tritt zwischen die Beine brachte den Meuchler dazu, sich zusammenzukrümmen. Blut tropfte von der Spitze seines Dolches. Der Schmerz machte Araghast nur noch wütender. Das Entermesser beschrieb einen gekonnten Bogen und kam auf den Waffenarm des Assassinen nieder. Tief drang die scharfe Schneide in das weiche Fleisch ein, bis sie auf den Knochen prallte. In einem Sprühregen aus Blutstropfen riss Araghast seine Waffe zurück und ein letzter Tritt in das schmerzverzerrte Gesicht ließ seinen Gegner rückwärts in Richtung Tresen stolpern.
Mit erhobenem Entermesser setzte Araghast nach, als er plötzlich eine schemenhafte Bewegung hinter dem Rücken des Assassinen wahrnahm. Ein dumpfes Pochen ertönte und der Meuchler sackte besinnungslos zusammen während das Blut das aus seinen Wunden strömte von einem edlen klatschianischen Teppich aufgesogen wurde.
Auf der anderen Seite des Tresens, seinen Zauberstab mit beiden Händen umklammernd, stand Raistan Quetschkorn.
"Danke." seufzte Araghast erleichtert und wischte seine blutige Waffe an der Kleidung des ohnmächtigen Assassinen ab. "Das war ganz schön eng eben. Diese Bastarde sind verdammt gute Kämpfer."
"Hast du den Vertrag?" fragte Raistan und hustete. "Wir sollten zusehen, daß wir von hier wegkommen." wisperte er und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund.
"Ganz meiner Meinung." brummte der Feldwebel. Mit einem leisen Klicken schob er das Entermesser zurück in die Scheide. Insgeheim biss er die Zähne zusammen. Die Wunde an seinem Oberarm pochte schmerzhaft und ein großer dunkler Blutfleck hatte sich auf dem Ärmel seines Mantels ausgebreitet. Den unverletzten rechten Arm als Stütze benutzend kletterte er über den Tresen und schlich zur Tür. Vor ihm lag die reglose Gestalt des Archivars und schnarchte leise. Ansonsten war der Flur menschenleer.
"Jetzt." wisperte Araghast, stieß die Tür auf und griff nach Raistans Arm.
Den völlig erschöpften Zauberer hinter sich herziehend eilte er den Korridor entlang und bog in die Eingangshalle ein, wo er stolpernd zum Stehen kam. Drei Assassinen, zwei mit gezogenen Degen und einer mit einer geladenen Armbrust in den Händen verbarrikadierten den Weg zum Haupteingang und ein vierter trat aus den Schatten der Patrizierstatue und stellte sich in den Eingang zum Korridor aus dem die beiden Eindringlinge gerade gekommen waren. Hektisch sah sich Araghast um. Der einzige noch freie Fluchtweg führte in Richtung des Treppenhauses und der Feldwebel begriff, daß die Assassinen ihn dazu bewegen wollten, eben diese Richtung einzuschlagen. Neben sich hörte er die mühsamen Atemzüge seines Begleiters.
"Nun, Herr van Varwald." bemerkte der Armbrustträger süffisant. "Ein netter Versuch, unerlaubt unsere Gilde zu betreten und in unseren Angelegenheiten herumzuschnüffeln, aber leider gescheitert. Nehmt langsam die Hände hoch, ihr beiden. Doktor Kreuz wird es sicherlich außerordentlich interessieren, was ihr hier gesucht habt."
Leise Schritte ertönten aus der Richtung des Treppenhauses und mehrere junge Assassinenschüler traten in die Eingangshalle um zuzusehen was sich dort abspielte.
Araghast sah zu Raistan. Der junge Zauberer umklammerte den Stab mit beiden Händen und seine Augen waren halb geschlossen.
"Schließ dein Auge." zischte er kaum hörbar.
Der Feldwebel tat wie ihm geheißen.
"Na, was ist?" hörte er die Stimme des offensichtlichen Anführers der Meuchelmörders. "Ich sagte Hände hoch, meine Herren!"
Selbst durch sein geschlossenes Augenlid nahm Araghast den plötzlichen Lichtblitz wahr. Verwirrte Ausrufe erfüllten die Eingangshalle.
"Hilfe, ich seh nichts mehr!"
"Was war das?"
"Schnappt euch den Zauberer!"
Araghast öffnete sein Auge und sah die Assassinen verwirrt durcheinanderstolpern und sich die Augen reiben.
"Jetzt!" rief er, zog sein Entermesser und gemeinsam stürmten er und sein Begleiter in Richtung des Ausgangs. Ein Schlag mit der flachen Klinge beförderte den ersten Meuchler aus ihrem Weg, während die Magengrube des zweiten auf unsanfte Weise mit der Tatsache Bekanntschaft schloß, daß des Zauberers Stab tatsächlich einen Knauf am Ende hatte und dieser sehr hart sein konnte. Mit einem Pfeifen sauste ein schlecht gezielter Armbrustbolzen schräg durch die Halle und blieb in der Stirn des Porträts eines früheren Gildenpräsidenten stecken.
"He, was..." rief der Pförtner aus seiner Loge hervor, doch da waren Araghast und Raistan auch schon an ihm vorbei und flohen in den strömenden Regen hinaus.

Nicht daheim


Schon oft hatte Edwina dem Anwesen auf dem sich die Ruine der Adana-Villa befand einen Besuch abgestattet. Immer wenn sie Inspiration brauchte oder über ein wirklich verzwicktes Problem nachgrübelte streifte sie um die verfallenen Mauern und durch den überwucherten Garten.
Deshalb kam es für sie beinahe einer göttlichen Offenbarung gleich als sie durch die schmiedeeisernen Stangen des Tores das Domizil des Hexers von Ankh in seiner vollen Pracht erblickte.
Währenddessen beschäftigte sich Kamerun mit der Außenmauer.
"Scheint gut befestigt zu sein, die Bude." erklärte er. "Überall hohe Eisenspitzen und so ein Zeug. Der Hexer scheint keinen Wert auf Besucher zu legen."
"Und das ist nurr die sichtbarre Verrteidigung." sagte Edwina abwesend, immer noch unfähig, ihren Blick von der imposanten, düsteren Villa zu lösen auf deren spitzgiebeligem Dach mehrere Wasserspeier damit beschäftigt waren, den in Strömen fallenden Regen nach Nährstoffen zu durchfiltern. Sämtliche Fenster waren dunkel, bis auf eines im ersten Stock auf dessen Fensterbrett eine Kerze stand.
Vorsichtig streckte die Überwaldianerin eine Hand aus und strich über die dicken Eisenstäbe des Tors. Unter ihren Fingerkuppen verspürte sie ein beißendes Prickeln und schnell zog sie die Hand wieder zurück. Also stimmte es wirklich, daß Godric Adanas Anwesen unter magischem Schutz stand.
"Alles in Ordnung?" erkundigte sich Kamerun, der ihre hastige Bewegung bemerkt hatte.
Edwina nickte.
"Dieses Anwesen wirrd durrch Zauberrei geschützt. Schade, daß derr Kleine nicht hierr ist. Err könnte uns vielleicht sagen, worrum es sich genau handelt."
"Hoffentlich geht es ihm gut, wo auch immer er jetzt gerade stecken mag."
"Das wirrd schon alles gut gehen. Hast du hierr irrgendwo eine Klingelschnurr oderr irrgend etwas in derr Arrt gesehen? Ein Türrschild scheint es hierr ja nicht zu geben."
"Bisher noch nicht."
Gemeinsam suchten sie den steinernen Torbogen ab, blieben jedoch erfolglos.
Kamerun seufzte frustriert und lehnte sich gegen die Mauer.
"Entweder bekommt der Hexer nie Besuch oder das Tor muß irgendwie anders aufgehen."
Edwina nahm die eiserne, mit scharfen Spitzen gespickte Pforte genauer in Augenschein und konnte weder ein Schloss noch einen Griff entdecken. Auf beiden Seiten des Torbogens waren die Eisenstreben tief in der Mauer verankert.
"Zauberrei." erklärte die Überwaldianerin und verzog das Gesicht. "Wenn man den rrichtigen Sprruch kennt wirrd man durrchgelassen, ansonsten bekommt man diese kleinen Blitzschläge auf die Fingerr." Sehnsuchtsvoll blickte sie durch die Gitterstreben zu dem im Dunklen liegenden, vom Regen verschleierten Gebäude und der einsamen Kerze im Fenster.
"Wir könnten rufen." schlug Kamerun vor. "Vielleicht hört uns jemand."
"Unwahrrscheinlich." entgegnete Edwina und richtete den Zeigefinger ihrer rechten Hand auf das Tor.
"Parrqua Le'i al Dumak!" intonierte sie den einzigen Zauberspruch der ihr aus dem Repertoire des Hexers bekannt war und wartete ab was geschah.
Als nach einigen Sekunden weder die Gitterstäbe auf magische Weise verschwunden noch sonst etwas Bemerkenswertes passiert war trat die Überwaldianerin vor und versetzte dem Tor einen Schubs. Ein Blitz zuckte schmerzhaft durch ihre Hand und ließ sie mehrere Schritte zurücktaumeln bis Kamerun sie schließlich mit einer geübten Bewegung auffing.
"Jewgorod paratschki! Nospalev!" machte Edwina ihrer Enttäuschung laut in ihrer Muttersprache Luft und untersuchte ihre Finger auf Verletzungen, doch bis auf einige gerötete Stellen waren sie nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. "Danke, Kamerrun. Mirr ist nichts passierrt, du kannst mich wiederr loslassen."
Edwina rückte ihren Hut zurecht und schüttelte ihre geballten Fäuste in Richtung der Villa.
"Godrric Adana!" rief sie wütend. "Entwederr du machst jetzt soforrt das najuschka Torr auf oderr wirr kommen morrgen mit unserrem eigenen Zauberrerr wiederr! Wirr müssen drringend mit Ihnen rreden!" Tief durchatmend drehte sie sich zu ihrem Begleiter um. "Das hat zwarr rein garr nichts bewirrkt aberr es tat gut."
"Und wenn wir einfach über die Mauer klettern?" Mit schiefgelegtem Kopf musterte Kamerun die nadelspitzen eisernen Dornen auf der Krone des Walls. "Oder glaubst du, daß die auch mit Magie geschützt ist?"
"Verrmutlich." brummte Edwina. "Aberr wirr werrden den Hexerr von Ankh schon krriegen. Wenn man uns extrra deshalb hierr in diese parrallele Welt gebrracht hat dann müssen wirr irrgendwann errfolgrreich sein. Das Gesetz derr Errzählung verrlangt es."

Wache gegen Wache


Kurz vor den angesengten Mauern der Alchimistengilde konnte Araghast den jungen Zauberer gerade noch auffangen als dieser völlig entkräftet zusammenbrach. Die frische Wunde in seinem Arm protestierte mit stechenden Schmerzen als der Feldwebel die zerbrechliche Gestalt hochhob und in eine Nische des Gildengebäudes trug und sich darüber wunderte, wie wenig sein Begleiter wog. Vorsichtig legte er seine Last nieder und kehrte zurück auf die Straße, um den Stab zu holen. Dann lehnte er sich an die Mauer und gönnte sich drei tiefe Schlucke aus seinem Flachmann.
Das während des Kampfes und der darauffolgenden wilden Flucht ausgeschüttete Adrenalin löste sich langsam in Wohlgefallen auf und Araghast fühlte sich nur noch müde und zerschlagen. Der Regen rann ihm in kleinen Bächen über das Gesicht und seine Kleider klebte ihm eiskalt und triefend am Körper. Schnell nahm er zwei weitere kräftige Schlucke von Jimkin Bärdrückers Leckertropfen zu sich und genoss die Wärme die sich von seinem Magen aus in seine durchgefrorenen Glieder ausbreitete. Man konnte über starke alkoholische Getränke sagen was man wollte - In Nächten wie dieser waren sie des Wächters bester Freund.
Mit einem leisen Seufzer ging Araghast in die Hocke und beugte sich über seinen halb bewusstlosen Begleiter. Dessen Augen waren geschlossen und das frische Blut auf seinen Lippen vermischte sich mit den unaufhörlich vom Himmel fallenden Regentropfen. Nachdenklich blickte der Feldwebel für eine Weile auf das junge, von der schweren Krankheit gezeichnete Gesicht des Magiers. Der Kleine hatte ihm dort drin in der Gilde mit seiner Zauberei den Hals gerettet.
Ein leises Donnern drang aus dem Gebäude in seinem Rücken und der Boden erbebte leicht. Araghast runzelte die Stirn. Vermutlich war irgendeinem Alchimisten soeben seine Retorte um die Ohren geflogen. Der Alkohol brachte eine große Ruhe über seinen Verstand und das schmerzverzerrte Gesicht des Nachwuchsassassinen dem er beinahe den Arm abgehackt hatte verschwand aus seinem unmittelbaren Bewusstsein, und mit ihm der leichte Stich der Reue. Sein Gegner konnte höchstens siebzehn oder achtzehn Jahre alt gewesen sein. Beinahe hätte er ein halbes Kind getötet.
Schulterzuckend nahm Araghast Raistans eiskalte, zitternde Hände in seine eigenen und hauchte sie an. Was hätte er schon tun sollen, außer zu kämpfen? Der junge Meuchler hatte ihm gar keine andere Wahl gelassen.
"Entweder du oder ich, du verdammter Assassine." murmelte Araghast. "Und gegen das ich habe ich eindeutig was gehabt."
Immerhin, er hatte sein Ziel erreicht. Der Vertrag über den letzten Klienten Havelock Ventinaris und Bernicio Cassawars befand sich, wenn auch völlig durchweicht, sicher in der Tasche seines Mantels. Eigentlich hatte er den größten Teil des Tages nichts anderes getan, als Akten und Dokumente aus den verschiedensten Büros und Archiven zu stehlen. Und er konnte sich denken, daß die Assassinen nicht gerade glücklich über das Eindringen in ihr Gildengebäude und ihren schwer verletzten Kollegen waren. Das hieß, er würde in den nächsten Tagen ziemlich aufpassen müssen. Noch ein Grund, so schnell wie möglich den Hexer zu finden und sich aus dieser abartigen Realität wieder zu verziehen.
Ein leises Husten lenkte Araghasts Aufmerksamkeit wieder auf die unmittelbare Wirklichkeit und er blickte nach unten.
"Alles wird gut." sagte er leise und wünschte sich von ganzem Herzen, seinen eigenen Worten auch nur einen Funken Glauben schenken zu können. Nichts wurde gut, ganz im Gegenteil. Alles wurde immer schlimmer. Vorsichtig zog er den triefenden Umhang enger um den vor Kälte bebenden Körper seines Begleiters. Der Kleine musste so schnell wie möglich ins Warme. Warum konnte Kolumbini nicht mal eben mit seinem schier unerschöpflichen Vorrat an heißem Tee vorbeikommen? Er selbst konnte eine Tasse des dampfenden Getränks ebenfalls gut vertragen.
"Ich muß dich von hier wegbringen." erklärte der Feldwebel ernst. "Sonst holst du dir noch den Tod hier draußen."
"So schnell holt mich der Tod nicht." Die Andeutung eines schmerzverzerrten Lächelns huschte über Raistan Quetschkorns hageres Gesicht. "Lass mich noch ein bisschen ausruhen." flüsterte er. "Dann können wir weiter." Seine Worte endeten in einem quälenden Hustenanfall.
Araghast lagen schon tröstende Worte auf den Lippen doch schluckte er sie hinunter. Sein Püschologeninstinkt sagte ihm, daß Mitleid das Letzte war, was der Kleine jetzt gebrauchen konnte.
Während er ziellos in den Regen starrte begann die leise Klaviermelodie in seinem Kopf zu spielen und im Geiste kehrte er zurück in das Büro mit der Glastür.
Der Mann der vor seinem Schreibtisch stand war klein und dicklich und sein Gesicht erinnerte Breguyar an einen überfütterten Zuchteber. Schon als der Fremde seine Detektei betreten hatte wusste der Ermittler, daß sein Besucher auf Ärger aus war.
"Was willst du?" fragte er kalt.
"Ich möchte dich warnen, Breguyar." zischte der Fremde. "Es gibt da draußen einige Leute denen weitaus lieber wäre wenn du die Finger von dem Fall lassen würdest."
"Das kann ich mir denken."
Das schweinsartige Gesicht verzog sich zu einem Lächeln voller Verschlagenheit und Tücke.
"Stell deine Ermittlungen sofort ein. Sonst könnten wirklich schlimme Dinge geschehen."
"Und du Würstchen glaubst, du könntest mir drohen?" Breguyar erhob sich und packte den Fremden mit einer blitzschnellen Bewegung am Kragen. "Hör zu, Freundchen, ich brauche das Geld und deshalb werde ich den Fall so lange weiter untersuchen wie man mich verdammt noch mal bezahlt!" zischte er und ließ seine angespitzten Eckzähne aufblitzen. "Und du schiebst jetzt deinen erbärmlichen Hintern sofort aus meinem Büro, sonst passieren
dir wirklich schlimme Dinge!" Mit diesen Worten ließ er los und sein Besucher taumelte mehrere Schritte zurück.
"Das wirst du noch bereuen, Breguyar! Das wirst du noch bereuen!"

Und Araghast überfiel eine plötzliche Sehnsucht, einfach in die nächste Kneipe zu stolpern und sich den größten und stärksten Drink zu bestellen den man in Ankh-Morpork bekommen konnte.
Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen. Es klang wie das Platschen von durchweichten Stiefeln auf pfützenübersätem Straßenpflaster. Zwei Gestalten näherten sich aus der Richtung des Patrizierpalastes, ein muskelbepackter Riese und ein etwas kleinerer Mann der eine Laterne und eine Glocke in den Händen trug.
Araghast unterdrückte einen Fluch. SEALS auf Streife. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er drückte sich gegen die Mauer der Alchimistengilde und versuchte, möglichst unauffällig zu wirken.
"He du da, Hände hoch und umdrehen!" machte die Stimme Dennis Schmieds alle seine Hoffnungen, unentdeckt davonzukommen, zunichte. Kaum daß er den Assassinen entkommen war geriet er nun in die Hände seiner eigenen Kollegen denen er nun möglichst geschickt erklären mußte, daß ein entkräfteter Zauberer auf dem Boden und eine Wunde in seinem Arm keinen Grund zum Misstrauen darstellen.
"Ich bins, Schmied." sagte er und drehte sich um.
"Soso, Saufnase." Der zweite Wächter hob die Laterne und in ihrem Lichtkegel konnte Araghast erkennen, daß es sich bei Schmieds Begleiter um Lagan Nerviar handelte. "Was machst du hier mitten in der Nacht draußen? Und wer ist das da auf dem Boden?"
Der Feldwebel blickte kurz zu Raistan hinunter. Dieser zwinkerte ihm zu und schloss dann die Augen.
"Irgendso ein kleiner Gauner der in die Unsichtbare Universität eingebrochen ist um Zaubererutensilien zu klauen." log Araghast den beiden SEALS geradewegs ins Gesicht. "Ich hab ihn bewusstlos schlagen müssen damit er mit den Fluchtversuchen aufhörte."
"Soso." Dennis Schmied runzelte die Stirn. "Und was treibst du hier mitten in der Nacht draußen?"
"Observieren. Geheime FROG-Kommandosache."
"He." bemerkte Nerviar. "Er blutet am Arm."
Mist, fluchte Araghast lautlos.
"Es gab einen kleinen Kampf vorhin." erklärte er. "Du weißt schon. Jagt die FROGs in das Gebäude wo sich die schlimmen Finger verschanzt haben und lass sie sich prügeln."
"Komisch, mir ist nichts von einem FROG-Einsatz heute bekannt." Die Stimme Dennis Schmieds nahm einen bedrohlichen Tonfall an. "Zuletzt wurdest du von einem Rekruten gesehen wie du mit einem angeblichen Priester irgendeines komischen Kultes das Wachhaus verlassen hast. Das war vor etwa anderthalb Stunden." Der Verkehrsexperte versuchte, einen Blick auf die am Boden liegende Gestalt zu erhaschen, doch Araghast stellte sich schützend vor das reglose Bündel.
"Ich weiß nicht, was dich meine Ermittlungen angehen." sagte er in scharfem Tonfall. "Du hast mir nichts zu sagen, Schmied. Noch bin ich Feldwebel, genau wie du."
Beunruhigt stellte er fest, daß beide SEALS ihre Hände auf den Schwertgriff legten.
"Die Sache ist ganz einfach, Breguyar." sagte Lagan. "Wir trauen dir nicht. Wer weiß, vielleicht planst du gerade, dich mit einem Kontaktmann der revolutionären Zelle zu treffen. Wir wissen doch alle, daß deine heißgeliebte Leonata den Sturz des Patriziers geplant hat."
"Und deshalb wird Lagan jetzt zum Wachhaus zurückkehren und nachfragen ob dein Herumstehen hier auch wirklich seine Richtigkeit hat und ich bleibe hier damit du keine Dummheiten machst." verkündete Dennis und gab seinem Kollegen ein Zeichen, auf das hin dieser sich in Richtung Ankhbrücke und Pseudopolisplatz verdrückte.
"Du hast sie doch nicht mehr alle." brachte Araghast hervor.
"Ich bin nur um die Sicherheit der Stadt besorgt." Der Verkehrsexperte packte Araghast grob an der Schulter und schob ihn beiseite. Sein Blick fiel auf den in der Nische lehnenden Zauberstab.
"Soso, Einbrecher in die Universität. Schade, daß ich diese Ausrede nicht so ganz glauben kann, Breguyar." Er stieß Raistan mit dem Fuß an. "Ich hab doch gleich geahnt, daß du mit den Zauberern und dieser Voodoo-Hexe mit der du dich regelmäßig triffst unter einer Decke steckst. Wieviel an Wache-Interna hast du weiterverraten und wie viele Akten verschwinden lassen?"
"Wenn du ihn noch einmal trittst bekommst du es mit mir zu tun!" Langsam hatte Araghast die Schnauze voll. Erst Assassinen und nun dieser SEALS-Wächter. Wer würde am heutigen Abend noch alles darauf aus sein, ihm das Leben sauer zu machen? Provozierend zog er seinen Flachmann und trank einen tiefen Schluck.
Währenddessen beugte sich Dennis vor.
"He, Zauberer!" rief er. "Hör auf, dich tot zu stellen. Du bist verhaftet wegen Verlassens des Universitätsgeländes ohne schriftliche Genehmigung und mutmaßlicher Verschwörung gegen den Patri..."
Mit einem lauten Pochen kollidierte der Griff von Araghasts Entermesser mit dem Hinterkopf des muskulösen Verkehrsexperten.
"Entschuldigung." sagte der Feldwebel als er den in sich zusammensackenden Dennis beiseiteschubste. "Aber der Zweck heiligt die Mittel, wie man so schön sagt."
Er bückte sich und bot Raistan seine Hand an.
"Jetzt müssen wir wirklich von hier verschwinden. Schaffst du es?"
Der junge Zauberer nickte und kam mit Araghasts Hilfe mühsam auf die Beine. Seine Hand schloss sich um den Zauberstab.
"Es muss gehen." wisperte er hustend und wischte sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund.
Araghast warf einen letzten Blick auf den zusammengesunkenen Körper Dennis Schmieds und griff stützend nach dem dürren Arm seines Begleiters.
"Na da kann ich ja morgen von Zupfgut was zu hören kriegen." brummte er während sie langsam in Richtung Chrononhotonthologosstraße davongingen. "Anklage wegen Alkohol im Dienst, Befehlsverweigerung und Niederschlagen eines Kollegen." Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem bitteren Grinsen. "Und das Beste an der Sache ist, daß es mit verdammt noch mal egal sein kann. Wir gehören hier nicht her und die richtige Wache wartet schon auf mich."

In den Klauen des Wahnsinns


In den seltenen Momenten der Klarheit die ihn gelegentlich ereilten während er auf den Schwingen des Wahnsinns dahindriftete fragte sich Heinz Butjadinger immer wieder wie er es geschafft hatte, das Segel wieder an den Rahen zu befestigen und das Schiff in Richtung Ankh-Morpork zu wenden. Das Runde Meer war ein einziger brodelnder Hexenkessel aus tosender Gischt, mannshohen, schaumbedeckten Wellenkämmen und peitschendem Regen. In das Heulen des Windes mischten sich Stimmen, so schrecklich anzuhören, daß der einsame Fischer in seinen Anfällen blinder Panik nur noch schrie. Sein Körper fühlte sich taub an vor Kälte, doch alles was Heinz wahrnahm waren die gezackten Blitze die in unregelmäßigen Abständen den pechschwarzen Himmel erhellten und sein eigener Irrsinn. Die grauenhafte Insel mit ihren blasphemischen, der Realität trotzenden Bauwerken war am Horizont verschwunden und dennoch spürte er ihre verzerrte Präsenz so deutlich wie an dem Moment als sich die Landmasse aus dem Meer erhoben hatte.
Heinz ließ die Ruderpinne los und schlug wild mit den Armen um sich. Geisterhafte Tentakel ringelten sich aus den zerwühlten Fischernetzen und griffen nach ihm.
"Weg!" kreischte er in Todesangst. "Weg! Verschwindet!"
"Thuuuuul!" grollte eine dumpfe Stimme gleich einem Paukenschlag über das Wasser und eine Sturmbö peitschte Heinz einen Schwall Regenwasser ins Gesicht. Als der Fischer wieder klar sehen konnte waren die wie Rauch anmutenden Tentakel spurlos verschwunden. Stattdessen erklang ein kaum hörbares Pochen. Jemand klopfte in einem unrhythmischen Muster gegen den Rumpf des Fischerbootes.
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn
Immer wieder flüsterte der Wind die unheiligen Worte. Heinz fühlte sich als schwebte er durch einen großen kugelförmigen Raum dessen Wände mit spitzen, rostigen Nägeln bespickt waren. Doch er war nicht allein. Abscheuliche Monstrositäten, zusammengesetzt aus Schleim, Tentakeln, wild glubschenden Augen und dicken, pulsierenden Adern wanden sich in ihrem eigenen dampfenden Brodem, die aus den Wänden ragendenden messerscharfen Spitzen schienen ihnen nichts anzuhaben. Schreiend versuchte Heinz, seine Augen zu schließen, doch es gelang ihm nicht.
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn
Eine menschliche Gestalt materialisierte sich direkt vor ihm und ihr Blick durchbohrte den Fischer gleich zwei widerhakenbestückten Dolchen. Die Iris dieser verfluchten Augen des Fremden besaß die Farbe von funkelndem Gold. Doch das Schlimmste waren die sanduhrförmigen Pupillen. Pechschwarz gähnte der Abgrund hinter der Form des Stundenglases, bereit, die Seele des Seefahrers für immer zu verschlingen.
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn
Heinz spürte wie er in diesen die Verdammnis selbst wiedergebenden Blick hineingesogen wurde und er stürzte...
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn
Immer tiefer fiel er in die absolute Schwärze und eisige Klauen rissen sein Selbst in zahllose Fetzen.
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn
Wie Blätter im Wind driftete sein bewusster Verstand davon und die Stimmen des Wahnsinns erfüllten seinen Kopf und nahmen ihn völlig in Besitz.
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn
Ph'nglui mglw'nafh Cthulhupalhulhu Leshp wgah'nagl fhtagn
Und so lag Heinz Butjadinger hilflos, sich in wilden Zuckungen windend, auf dem Boden des Bootes welches vom Sturm getrieben führerlos der Mündung des Ankhs entgegenflog...

Das Puzzle fügt sich zusammen


Araghast biss die Zähne zusammen als Rogi Feinstich den Faden festzog der die Wunde in seinem Oberarm verschloss. Nach seiner Begegnung mit Atera hatte er es aufgegeben, sich über bekannte Wächter in anderen Berufen zu wundern. Jetzt fehlte wirklich nur noch, daß Valdimier van Varwald mit falschem Gebiss und rosafarbener Gesichtsschminke hinter dem Tresen eines Kaffeegeschäftes stand und in einer gemusterten Strickjacke die Kunden bediente.
"Fo." sagte die Dienerin. "Jetft noch der Verband drum und die nächften Tage keine allfu anftrengenden Bewegungen. Die Narbe follte hinterher fo gut wie nicht fu fehen fein."
"Danke, Rogi."
Während die Igorina eine lange weiße Binde um seinen Arm wickelte sah Araghast hinüber zum Rauchertischchen, auf dem eine große Kanne heißen Tees vor sich hindampfte. Raistan Quetschkorn lag in dem linken der beiden Sessel, eingewickelt in mehrere Wolldecken. Die Augen des jungen Zauberers waren geschlossen und sein Bruder saß auf der Sessellehne und behielt ihn genau im Auge. Der Feldwebel runzelte die Stirn. Er hatte sich mit dem Kämpfer ein ernstes Wortgefecht geliefert was den Ausflug in die Assassinengilde betraf und dabei festgestellt, daß selbiger unter einem stark ausgeprägten Beschützerinstinkt litt.
Edwina Walerius saß hinter ihrem Schreibtisch und faltete vorsichtig das durchweichte Inhumierungsprotokoll auseinander. Nachdem Rogi das Ende des Verbandes befestigt hatte zog Araghast seinen nassen Hemdsärmel wieder über den Arm und schlenderte zu der Überwaldianerin. Neugierig blickte er ihr über die Schulter.
Die Tintenschrift der Akte war verlaufen, dennoch konnte Araghast die einzelnen Felder fast mühelos entziffern. Und was er dort las bestätigte nur seinen Verdacht, daß die beiden Assassinen nicht zufällig von den Schoten ausgewählt worden waren.
Havelock Vetinari und Bernicio Cassawar sollten jeder die Summe von zwanzigtausend Ankh-Morpork-Dollar erhalten wenn sie die Inhumierung eines gewissen Rodolfo Sartrap, anzutreffen im Tempel des des Gottes Thagon in der Unheilsstraße, erfolgreich durchführten. Auftraggeber war ein gewisser Philipp Howards Kraftlieb.
Araghast schnappte nach Luft und seine und Edwinas Blicke trafen sich. Für den Bruchteil einer Sekunde erschien ein seltsames Funkeln in den Augen der Überwaldianerin.
"Philipp Howarrds Krraftlieb." sagte sie nachdenklich und der Augenblick in dem Araghast gemeint hatte, eine Welle tiefster Abneigung zu spüren, ging vorüber. "Das ist wirrklich sehrr interressant."
"Und wie." stimmte Araghast zu und überflog den Teil der Akte der mit Besonderheiten betitelt war.
Die Leichen der beiden Meuchler waren aus den Trümmern einer Kaverne geborgen worden, die sich unter dem Tempel befunden hatte, zusammen mit den sterblichen Überresten von acht Kultisten.
Also zehn Tote. Araghast legte den Knöchel seines Zeigefingers in das kleine Grübchen an seinem Kinn. In Kanndras Bericht war von neun Skeletten die Rede gewesen und diejenigen von Vetinari und Cassawar konnten sich nicht darunter befunden haben. Dazu der Fund des Stockdegens.
"Acht Kultisten und ein Hexer in unserer Realität." überlegte er laut. "Und acht Kultisten uns zwei Assassinen hier. Dazu Kraftlieb als Auftraggeber."
"Ich frrage mich ob err auch in derr Wirrklichkeit den Auftrrag gegeben hat." Behutsam legte Edwina das Gildendokument zwischen zwei Löschblätter um es zu trocknen während sie verstohlen gähnte.
"Können wirr uns morrgen am Vorrmittag wiederr hierr trreffen? Dann haben wirr uns alle von diesem Abend errholt und können verrnünftig rreden was wirr nun unterrnehmen."
"Wenn ich mit Zupfgut fertig werde - aber das dürfte kein großes Problem darstellen. Er kann sich seine Anklage dorthin schieben wo die Sonne nicht scheint."
"Derr Orrt in Lancrre?"
"Wie auch immer." brummte Araghast.

Die Rose


Im Schein einer Kerze die auf dem Nachttisch stand kroch Edwina Walerius unter die Bettdecke. Wie jeden Abend wanderte ihr Blick zu der silbergerahmten Ikonographie. Sie zeigte eine in ihrer Schönheit voll erblühte junge Frau die eine rote Rose in ihren zarten Händen hielt.
Die Überwaldianerin presste ihre Lippen fest aufeinander. Schon seit langem hatte sie den Verlust nicht mehr so stark gespürt wie in der heutigen Nacht.
Reglos lächelte die Ikonographie des Mädchens zu Edwina zurück.
Die ehemalige Vampirjägerin konnte die Träne die ihre Wange herunterlief nicht zurückhalten. Die Asche des Mörders ihrer Schwester befand sich drüben im Arbeitszimmer in der ganz besonderen goldversiegelten Phiole. Doch das Bild des zarten, wunderschönen Mädchens das bewegungslos auf dem prunkvollen Bett gelegen hatte, den schlanken, weißen Hals von zwei kleinen Bisslöchern verunstaltet, hatte sich zu tief in Edwinas Erinnerung eingegraben, als daß sie jemals in ihrem Leben wieder einem Vampir gegenüber etwas anderes als Hass empfinden konnte.
Vielleicht war dies auch der wahre Grund gewesen, weshalb sie die Vampirjägerei schließlich aufgegeben und auf ihr Erbe verzichtet hatte. Eine Jägerin die sich zu Gefühlen gegenüber ihrer Beute hinreißen ließ, selbst wenn diese Gefühle hauptsächlich negativer Art waren, ging die Jagd nicht mehr professionell an. Das Mitgliedsgesuch bei der Assassinengilde war nur noch ein letzter Aufschrei der alten Edwina gewesen, die das alte Leben nicht missen wollte. Mit Anita Walerius' Tod war Überwald kalt und finster für sie geworden, weniger eine Heimat als ein Gefängnis. Das prickelnde Gefühl, auf der Jagd zu sein, hatte sich in eine eiskalte, finstere Leidenschaft verwandelt.
Immer hatte sie Anita beschützt wo sie nur konnte. Sie, Edwina, weder hübsch noch zierlich, dafür geschickt im Umgang mit Armbrust, Schwert und diversen anderen Waffen, war immer für ihre kleine Schwester da gewesen. Doch damals, an jenem Tag in der Nähe von Duschen-Duschen, als der Baron Breguyar über die Kutsche hergefallen war die ihre Schwester und ihren Vater nach Schinkenschloß zu Anitas Hochzeit bringen sollte, hatte sie schändlich versagt. Sie war nicht dort gewesen um sie zu retten. Niemals würde sie den anklagenden Blick Gerard von Barbaracs vergessen als sie ihm die Hälfte der Asche jenes Mannes überreichte der für den Tod seiner Braut verantwortlich gewesen war.
Deshalb verstand sie Kamerun Quetschkorn und dessen Sorge um seinen Bruder nur zu gut. Er würde es sich auch sein gesamtes Leben lang nicht verzeihen wenn dem Kleinen etwas zustoßen sollte, genau wie sie selbst es sich nie verzeihen hatte können.
"Gute Nacht, Anita." sagte Edwina zu der Ikonographie auf ihrem Nachttisch und blies die Kerze aus.

Zwischenspiel


Zwei Stunden später saß Kanndra immer noch hinter Araghasts Schreibtisch und begann allmählich das Ausmaß der Verantwortung zu spüren die das Leiten einer Abteilung mit sich brachte. Vor kurzem war Mindorah Giandorrrh von der Wohnung des Feldwebels mit der Nachricht zurückgekehrt, dort niemanden angetroffen zu haben. Nachdenklich nagte Kanndra an ihrer Unterlippe. Wo konnte Bregs sonst stecken, wenn nicht zu Hause oder im Wachhaus? Als ob es ohne sein Verschwinden und das von Kolumbinis Zeugen nicht schon genug Ärger geben würde. Die Späherin hatte Charlotta, Sidney und Ktrask zur Unsichtbaren Universität geschickt, um dort Wache zu stehen und die Zauberer zu warnen, daß ein Ding aus den Kerkerdimensionen umging.
Während sie noch in Gedanken versunken dasaß und die leere Rumflasche anstarrte klopfte es.
"Herein!" rief Kanndra in der Annahme, daß es sich um die Gefreite Inös handelte die die Ergebnisse der Fingerabdruckanalyse vorbeibrachte.
Die Tür schwang auf und eine elegant gekleidete Frau trat ein. Ihr feuerrotes, leicht gewelltes Haar war zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt die von einem kleinen federnverzierten Hütchen gekrönt wurde. Unter dem dunkelgrünen Mantel blitzten die türkisfarbenen Rüschen eines langen Rockes hervor.
"Guten Tag." sagte die Fremde und lächelte Kanndra freundlich an. "Ist Bregs irgendwo hier?"
Die Späherin lächelte zurück und musterte das Gesicht der Besucherin genau. Sie musste in etwa so alt sein wie Araghast und das leichte Zuviel an Lidschatten und die einen Tick zu grelle Farbe des Lippenstiftes ließ ihre Eleganz ins Billige abdriften. Unter den kräftig getuschten Wimpern verbarg sich ein Paar durchdringender, stahlgrauer Augen.
"Setzen Sie sich doch." forderte Kanndra die Fremde auf.
Diese lehnte ihren tropfenden Regenschirm an den Schreibtisch und entledigte sich ihres Mantels bevor sie sich auf dem Besucherstuhl niederließ.
"Störe ich?" fragte sie. "Eigentlich wollte ich mich nur bei Bregs dafür entschuldigen, daß ich ihn neulich während seiner Mittagspause sträflich als Püschologen mißbraucht habe, und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt als es ihm selbst nicht allzu gut ging."
"Ist schon in Ordnung." erklärte Kanndra. "Wer sind Sie?"
Die Besucherin lächelte wieder, das einstudierte Lächeln einer Frau die ein Profi darin war, anderen Fröhlichkeit vorzugaukeln.
"Ich heiße Vanderby. Hermione Vanderby." stellte sie sich vor. "Bregs und ich sind alte Freunde."
"Ich bin Chief-Korporal Kanndra Mambosamba." Die Späherin reichte ihrem Gast die Hand. Während die Fremde die ausgestreckte Rechte mit behandschuhten Fingern ergriff dachte sich Kanndra ihren Teil. Nur zwei Sorten von Frauen hießen trugen solch klangvolle Namen und beide gingen keinem besonders züchtigen Gewerbe nach. Sie erinnerte sich daran, daß Bregs hin und wieder einmal eine Hermione oder Mimi erwähnt hatte, zuletzt nach der desaströsen Übung die in einer Geiselnahme geendet hatte.
"Also, Frau Vanderby, es gibt gerade ein kleines Problem mit Bregs." begann sie das Gespräch. Wenn diese Frau wirklich eine alte Freundin war, dann wusste sie vielleicht etwas mehr über seine Beweggründe und sein seltsames Verhalten in der letzten Zeit.
"Fräulein, bitte." Wieder dieses einstudierte Lächeln. "Was ist denn mit ihm los?" Die leichte Besorgnis die in ihrer Stimme mitschwang wirkte im Gegensatz zu ihrer Mundwinkelakrobatik echt.
Kanndra seufzte.
"Ehrlich gesagt, er ist seit heute Morgen spurlos verschwunden." sagte sie resigniert und ihr Blick wanderte wieder zur Rumflasche.
"Wie das?" fragte das Fräulein Vanderby erstaunt. "Das ist mal wieder typisch Bregs." bemerkte sie halb scherzhaft. "Wenn man ihn mal dringend braucht ist er nirgendwo aufzutreiben. Vielleicht hat er geahnt, daß er als Trauzeuge zwangsverpflichtet werden soll."
"Oh, dann darf ich gratulieren?" Kanndra lächelte höflich.
"So eilig ist es nun auch wieder nicht. Ich bin heute morgen bei Frau Rutschtrocken gewesen und, nun ja, so langsam sollten wir doch mal heiraten in den nächsten Monaten."
Ah ja, dachte Kanndra nur und kam wieder auf das eigentliche Thema zu sprechen.
"Ja, Bregs hat sich in den letzten Monaten etwas arg komisch benommen." stellte sie fest. "Er trinkt mehr als gut für ihn ist, schreit grundlos Untergebene an und wirft regelmäßig jeden aus seinem Büro der ihm helfen möchte. Und jetzt ist er auch noch unauffindbar. Und damit noch nicht genug: Seit die Sache mit dem Fischimbiss passiert ist hat er sich immer mehr in diesen Fall hineingesteigert, was soweit ging, daß er widerrechtlich die Ermittlungen an sich reißen wollte."
"Ich weiß, der Stockdegen." sagte das Fräulein Vanderby. "Julius hat mir davon erzählt. Bregs war hinter Eddie Wollas' Adresse her um ihn über den Wahrheitsgehalt der Hexer-Romane auszufragen."
"Und, hat er Erfolg gehabt?"
Interessant, was der Bregs alles so treibt und niemandem erzählt, ging Kanndra durch den Kopf, als sie nach Papier und Bleistift griff. Sein Hexer-Wahn ist ja schlimmer als bisher angenommen.
Hermione Vanderby schüttete den Kopf und eine feine Haarsträhne löste sich aus ihrer Steckfrisur. "Das ist ja gerade das Mysterium des Eddie Wollas." erklärte sie. "Niemand weiß wo er wohnt oder wie er aussieht. Selbst in der Schriftstellergilde ist er nie persönlich aufgetaucht."
Unwillkürlich musste die Späherin an ihre Nachbarin denken, eine Frau namens Tanya, die unter dem Pseudonym Barbara Kartenhand schmalzige (und wunderbare, wie Kanndra sich insgeheim eingestand) Liebesromane schrieb.
"Wer weiß, vielleicht ist Eddie Wollas nur ein Pseudonym und es steckt jemand ganz anderes dahinter." spekulierte sie und malte einen Kringel auf das vor ihr liegende Blatt Papier. Womit hatte sie diesen Fall eigentlich verdient?
Dinge aus den Kerkerdimensionen, Gegenstände die angeblich einem Schundromanhelden gehörten und mehrere verschwundene Personen - wenn dann kam gleich alles auf einmal.
"Eddie ist nur eine Kurzform." Das Fräulein Vanderby verschränkte die Hände auf den graziös übereinandergeschlagenen Beinen. "Sein voller Name lautet Edward Damien Wollas."
"Soso." konnte Kanndra sich nicht verkneifen zu bemerken. "Ein Name mit einem gewissen Horror-Klang, das muß man schon sagen." Insgeheim vermutete sie, daß der Name so echt war wie derjenige Hermione Vanderbys. Tanya hatte ihr erklärt, daß es beim Schreiben von Heftromanen ziemlich auf einen klangvollen Künstlernamen ankam. Wer wollte schon eine Geschichte von Heidrun Schmied lesen? Doch sobald Cassandra Balladere oder ein ähnlich schwülstiger Name auf dem Titel stand gingen die Bände weg wie Bier in der Geflickten Trommel.
Kanndras Überlegungen wurden abrupt unterbrochen, als dreimal kurz an die Tür geklopft wurde.
"Herein!" sagte sie und hoffte, daß es sich dieses Mal die um die Spurensichererin handelte.
Sie wurde nicht enttäuscht. Mit Araghasts P. H. Kraftlieb-Wälzer unter dem Arm trat Olga-Maria Inös ein und salutierte. Hinter ihr schob sich Kolumbini ins Zimmer.
"Entschuldigung wenn ich störe, aber die junge Dame war so freundlich, mich zu informieren als sie herausfand von wem die Fingerabdrücke in Araghasts Buch stammten."
Olga-Maria lächelte unsicher und trat an den Schreibtisch. Behutsam legte sie das Buch ab und schob sich die Brille zurück auf die Nasenwurzel.
"Es tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, Ma'am." sagte sie.
"Nur zu." ermunterte Kanndra die sichtlich nervöse Gefreite.
"Ähm, also, die Abdrücke gehören nicht Feldwebel Breguyar und auch keinem anderen Wächter." fuhr Olga-Maria fort. "Daraufhin sind wir die SUSI-Erfassung dem Datum nach rückwärts durchgegangen."
In einer kleinen, unauffälligen Gebetsnische in Würdentracht richtete ein ganz besonderer geringer Gott seine Aufmerksamkeit auf das Büro im ersten Stock des Wachhauses am Pseudopolisplatz. Er spürte die überhöhte Konzentration von Narrativium, die von diesem Ort ausstrahlte.
"Und schließlich sind wir fündig geworden bei einem der Zauberer die wegen Eindringens in den Fischimbiss verhaftet wurden."
"Einer von meinen beiden verschwundenen Zeugen!" triumphierte Kolumbini und klopfte aufgeregt auf seinem Glasauge herum. "Das heißt, bevor sie verschwunden sind müssen sie hier in diesem Büro gewesen sein."
"Dann war er verletzt?" fragte Kanndra. "Die beiden waren doch vor dem irren Kaboltzmann-Monster geflohen wenn ich sich vorhin richtig verstanden habe, oder?"
Hermione Vanderby hörte interessiert zu.
"Noch mehr Verschwundene?" erkundigte sie sich.
Der geringe Gott rieb sich erwartungsvoll die Hände. Gleich war es soweit.
Kolumbini bedachte sie mit einem kalten Blick der besagte, daß sich Zivilisten besser nicht mit dummen Fragen in die Angelegenheiten der Wache einmischen sollten.
"Ja, der chronisch kranke junge Zauberer und sein Bruder." wandte er sich an Kanndra. "Raistan und Kamerun Quetschkorn waren ihre Namen glaube ich."
Alle Anwesenden fuhren zusammen, als Hermione Vanderby plötzlich einen schrillen Schrei ausstieß und den Ermittler mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
Mit einem zufriedenen Nicken begutachtete Kitschklock, Gott der punktgenauen Dramatik und des erzählerischen Klischees, die Szene. Ein äußerst gelungener Zufall, wirklich. Genau das Richtige für eine Linie der narrativen Kausalität die sich hauptsächlich an schlechten Heftromanen orientierte. Mit Bedauern wandte sich der geringe Gott von den Geschehnissen im Wachhaus ab. Gern hätte er noch länger zugesehen, doch in wenigen Minuten fand auf der Wirbelebene ein hochdramatischer Zweikampf zwischen einem älteren und einem jungen Barbaren statt in dessen Verlauf der Satz
Ich bin dein Vater fallen musste.
"Fräulein Vanderby? geht es Ihnen gut?" fragte Kanndra besorgt und beugte sich vor.
"Sagen Sie das noch mal." die Stimme der Besucherin klang völlig verblüfft und ihr Blick blieb auf Kolumbini fixiert. "Die Namen. Ich will es mir nicht nur eingebildet haben."



Der Kreis schließt sich


Araghast brachte es nicht fertig, allein in der leeren Wohnung in der Ankertaugasse zu übernachten. Deshalb war er nach dem letzten Kriegsrat zum Wachhaus zurückgekehrt, hatte den Tresenrekruten ignoriert und sich in sein Büro eingeschlossen. Der Pegel der Bärdrückersflasche zeigte kurz über halb voll an.
Trotz der Erschöpfung die sich bleiern in seinen Gliedern ausbreitete konnte der Feldwebel nicht schlafen. Zu viele Gedanken schwirrten ihm im Kopf herum. Und so hatte er sich an seinen Schreibtisch gesetzt um noch ein Weilchen mit Bärdrückers Leckertropfen zu plaudern.
Wer ist Philipp Howards Kraftlieb? stand in Blockbuchstaben auf dem Zettel der vor dem Feldwebel auf der Schreibtischplatte lag. Araghast konnte sich keinen Reim auf diese Person und die Art ihrer Existenz machen. Kraftlieb hatte die Inhumierung in Auftrag gegeben die die beiden Assassinen in den Dreimal Glücklichen Fischimbiss geführt hatte. Kraftlieb hatte Raistan Quetschkorn in der wahren Welt über die Universitätsmauer geholfen ohne von auch nur einem einzigen Regentropfen getroffen zu werden. Kraftlieb hatte zwei Bücher über Dinge aus den Kerkerdimensionen und die Geschichte des Hexers von Ankh geschrieben durch die er mehrere Personen in eine alternative Realität geschubst hatte. Kraftlieb hatte sich mit Raistans Hilfe in Edwinas Studierzimmer materialisiert und ihnen allen gesagt was sie tun sollten. Kraftlieb war Mann und Gespenst, Magier und Chronist, alles in einer Person, und er spielte mit den vieren die in dieser Realität fremd waren wie ein Marionettenspieler mit seinen Puppen. Aber warum tat er dies alles?
Und was mochte derweil in Araghasts Heimatrealität geschehen sein? Hatten die Wächter den besessenen Kaboltzmann schnappen und mit Hilfe des Stockdegens unschädlich machen können oder zogen auch dort schleimige Schoten ihre Spuren durch die Stadt? Selbst wenn es ihnen gelang, den Hexer zu finden, und eventuell sogar durch das Portal mitzunehmen damit er das Ding erlegte, würden sie dann nicht vielleicht schon zu spät kommen?
Araghast vergrub sein Gesicht in den auf der Tischplatte verschränkten Armen. So ähnlich musste sich Feldwebel Abernicht in Eddie Wollas' Aus dem Pandämonium gefühlt haben nachdem er den wahnsinnigen Näherinnenmörder zwar geschnappt hatte, jedoch zu spät gekommen war um seine Geliebte zu retten. Kurz darauf hatte er mit eine Überdosis Kleinbonum in seinen Sinthab gekippt und Selbstmord begangen, ganz der tragische Anti-Held.
Waren sie nicht alle Anti-Helden, die in dieser wahnwitzigen Geschichte mit drinsteckten?
Edwina Walerius. Eine Frau, so rauh, schwermütig und geheimnisvoll wie ihre überwaldianische Heimat. Araghast wurde das Gefühl nicht los, daß er bei ihr, immer wenn sie ihn ansah, ein schnelles Aufblitzen des Hasses in ihren Augen wahrnahm. Die ehemalige Vampirjägerin verschwieg ihm etwas.
Raistan Quetschkorn. Ein junger Zauberer den die Götter mit einer grausamen Krankheit gestraft hatten gegen die es kein Heilmittel zu geben schien und die ihm jeden Tag seines Lebens mit Schwächeanfällen, sengenden Schmerzen und diesem fürchterlichen Husten folterte.
Kamerun Quetschkorn. Ein stadtbekannter Tavernenkämpfer und Mitglied der Heldengilde, immer um das Wohl seines Bruders besorgt und zur Zeit gequält von grauenhaften Alpträumen die die URALTEN RIESEN ihm schickten.
Und schließlich er selbst. Eine wandelnde Ansammlung von Speziesneurosen, schlechter Laune, einem schlechten Charakter und Paranoia, eingelegt in hochprozentigen Alkohol.
"Vier Chaoten gegen den Rest des Multiversums." murmelte Araghast und er spürte wie die Schläfrigkeit sich seiner bemächtigte. "Gefangen im Netz des wahren Meisters der Puppen." Langsam versank er in der Welt des Schlafes...

Araghast war sich gleich bewusst, daß er träumte. Er stand in einer düsteren, prunkvollen Halle mit hohen Fenstern durch deren bunte Glasscheiben das Licht des Vollmondes seltsam verzerrt wirkte. Kein Feuer brannte in dem großen Kamin an der Stirnseite des Saales über dem ein prächtiger Wappenschild hing, eingerahmt von zwei langen Speeren. Araghast kannte das Wappen nur zu gut. Ein schwarzer Blitz teilte den blutroten Untergrund von links oben nach rechts unten in zwei Hälften, die jeweils von einem sichelförmigen, weißen Mond geziert wurden. Darunter prangte in verschnörkelten, goldfarbenen Buchstaben das Motto der Familie Breguyar von Duschen-Duschen: IN SANGUIS EST ETERNITAS
"Hallo?" rief Araghast. "Ist hier jemand?"
Seufzend wanderte er über den Steinfußboden. Es schien wieder mal einer dieser Träume zu sein, über die er selbst keine Gewalt hatte. Warum konnte dieser Philipp Howards Kraftlieb ihn nicht einmal im Schlaf in Ruhe lassen?
Ein glänzendes Objekt an der Wand erweckte seine Aufmerksamkeit. Verwundert stellte er fest, daß es sich um einen Wandspiegel handelte. Wenn dieser Traum wirklich das abgebrannte Schloß seines Vaters darstellen sollte, was hatte dann ein Spiegel hier verloren? Da er nichts anderes zu tun hatte, blickte er hinein, in der Erwartung, durch sein eigenes Gesicht hindurch die gegenüberliegende Saalwand betrachten zu können.
Doch zu seiner Überraschung blickte ihm sein Gesicht solide und undurchsichtig entgegen. Erschrocken stellte Araghast fest, daß es sich verändert hatte. Sein schwarzes Haar war kurzgeschnitten und zurückgekämmt und die vampirische Spitze im Haaransatz fehlte komplett. Auf seiner Hakennase saß eine Brille durch deren Gläser zwei intakte Augen blickten. Die Haut besaß eine gesunde, rosige Färbung und die lange Narbe, die von seinem Kinn bis fast zur rechten Schläfe reichte war verschwunden. Prüfend bleckte Araghast seine Zähne. Ein schlichtes Menschengebiss grinste ihm aus dem Spiegel entgegen.
"Ja, jetzt bist du, was du immer sein wolltest." Die Stimme klang kalt und drohend. "Und, wie gefällst du dir als Mensch, Breguyar?"
Araghast fuhr herum.
Wie aus dem Nichts erschienen stand ein Vampir mitten im Raum. Seine lange, rabenschwarze Haarmähne und sein gleichfarbiges Cape flatterte in einem nicht spürbaren Wind.
"Wer bist du?" fragte der Feldwebel. "Mein Vater?"
Der Vampir warf den Kopf zurück und lachte verächtlich. Das Geräusch fraß sich gleich ätzender Säure in Araghasts Gehörgänge und der Wächter wich mehrere Schritte zurück. Sein Herz klopfte wie wild in seiner Brust und er unterdrückte nur mühsam den Impuls, zu fliehen.
"Soso, du fürchtest dich also vor mir!" höhnte der Vampir und seine smaragdgrünen Augen schienen von innen heraus zu glühen. "Sieh mich nur ganz genau an. Ich bin du. In gewisser Weise zumindest."
Araghast brach der kalte Schweiß aus und die Brille auf seiner Nase geriet ins Rutschen. Der verdammte Blutsauger hatte recht. Das leichenblasse, schmale Gesicht mit der Hakennase und dem kleinen Grübchen im Kinn war sein eigenes.
"Und was soll das alles?" brachte er hervor.
Beinahe mitleidig schüttelte der andere Araghast den Kopf.
"Sieh dich nur an, mein kleines Menschlein." zischte er und die langen spitzen Eckzähne funkelten im Mondlicht. "Wie schwach du bist. Wie ängstlich. Na, wie kommst du ohne mich zurecht?"
Der Feldwebel wollte eine seiner berüchtigten bissigen Antworten zurückschleudern, doch seine Kehle war wie zugeschnürt.
"Was ist?" fragte sein anderes Ich spöttisch. "Dir sind wohl die Frechheiten ausgegangen, was? ich weiß, daß du mich hasst und mich am liebsten für immer loswerden würdest." Seine Arme beschrieben einen theatralischen Bogen. "Aber du brauchst mich, Araghast Breguyar von Canis Maior Alpha. Wo wärst du ohne mich? Ich war es, der dir den Mut dazu gegeben hat, aus dem Waisenhaus fortzulaufen. Ich bin es auch der dir den nötigen Zorn und die Kraft gibt, dich in der Wache durchzusetzen. Daß du nach zweieinhalb Jahren schon Feldwebel bist und eine ganze Abteilung leitest hast du allein mir zu verdanken. Ohne mich bist du gar nichts, nur ein jämmerlicher Waschlappen ohne jegliches Stehvermögen, ein Sekretär niedrigster Stufe im Patrizierpalast der von großen Taten träumt und dabei so feige ist, daß er sich nachts nicht mal auf die Straße traut. Wir sind eins, du und ich, auch wenn du es nicht wahrhaben willst."
"Du... du bist ein Monster." stammelte Araghast. "Dein Durst nach Blut... Deine Bosheit..."
"Tja, mein Lieber, wir müssen alle Kompromisse eingehen im Leben." Sein vampirisches Selbst setzte ein joviales Lächeln auf. "Alles hat seinen Preis. Und ich bin der Preis den du zahlen musstest um nicht als der zu enden der du jetzt bist."
"Aber hatte ich denn je die Wahl?" schrie Araghast und wich bis an die Wand zurück während sein Ebenbild langsam auf ihn zukam. Seine Knie fühlten sich an wie Pudding.
"Nein." antwortete der andere Araghast schlicht und wieder erklang das eiskalte, grausame Gelächter. "Ich bin du. Und du bist Ich. Warum kannst du nicht einfach akzeptieren, daß ich da bin?"
"Weil du mein Leben kaputtmachst!" Endlich hatte der Feldwebel seine Sprache wiedergefunden. "Du zerrst mich immer näher an den Abgrund des Wahnsinns!"
"Weißt du, der junge Zauberer hatte recht." sagte der Vampir plötzlich und blieb stehen. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von seinem menschlichen Selbst. "Manchmal hilft es nicht, zu kämpfen, weil es alles nur noch schlimmer macht. Er hat begriffen, was du noch nicht verstanden zu haben scheinst. Je stärker du gegen mich ankämpfst, desto mehr verwandelst du dich in mich. Sieh es endlich ein. Du kannst gegen mich nicht gewinnen weil ich ein Teil von dir bin."
Araghast hatte mit seinen langsamen menschlichen Reflexen keine Chance auszuweichen als sich sein vampirisches Ich auf ihn stürzte. Mit übermenschlicher Kraft hielt das Wesen seine Arme fest und er spürte nur noch einen stechenden Schmerz am Hals als die langen, spitzen Zähne sich in seine Hauptschlagader bohrten. Warum erwachte er nicht endlich aus diesem grausamen Alptraum?

Plötzlich war alles vorbei und für einen Moment schwebte Araghast in absoluter Schwärze. Dann begann die Umgebung langsam, Formen anzunehmen.
Ein von Fackeln schwach erleuchteter gemauerter Gang erstreckte sich vor ihm. Schwere, eisenbeschlagene Türen befanden sich im Abstand von einigen Metern in den Wänden, jede mit einem aus Stein gemeißelten Portal verziert. Doch die in einen langen, schwarzen Umhang gehüllte Gestalt würdigte sie nicht eines Blickes sondern schritt unbeirrt vorwärts. Eine mit Runen bestickte Kapuze verdeckte ihr Gesicht, doch der mannshohe, mit Schnitzereien und einem blutroten Kristall verzierte Stab wiesen sie eindeutig als Zauberer aus. Leises Gemurmel drang unter der Kapuze hervor als würde ihr Träger in einem fort Zauber formulieren.
"He, du!" rief Araghast, doch der Magier schien seine Anwesenheit nicht zu bemerken. Schulterzuckend machte sich der Feldwebel daran, ihm zu folgen, während er sich fragte, was dieser Traum nun schon wieder zu bedeuten hatte.
Der Gang schien kein Ende nehmen zu wollen. Der Abstand der Türen nahm zu und ein- oder zweimal schrak Araghast gehörig zusammen als sich etwas mit aller Kraft von innen gegen eine der Türen warf. Den unbekannten Zauberer jedoch schien es nicht im geringsten zu kümmern. Vermutlich wusste er, was er tat, auch wenn sich der Feldwebel nach der Umgebung zu schließen nicht denken konnte, daß es sich dabei um etwas Vernünftiges handelte.
Schließlich blieb der Magier vor einer Tür stehen die erstaunlich schlicht wirkte. Ein ungesundes Gelb schien durch den schmalen Spalt darunter.
Au Backe, dachte Araghast und sein Blick wanderte zu dem verschnörkelten Schriftzug der über der Tür in den Stein gemeißelt worden war.
Er lautete NECROTELICOMNICON.
"Also wenn ich du wäre würde ich da nicht reingehen." wandte sich der Feldwebel an den Magier der einen kleinen Schlüssel von einem Haken an der Wand nahm.
Der Unbekannte ignorierte ihn völlig und schlug mit einer schwarz behandschuhten Hand die Kapuze zurück. Dann sah er sich hektisch um.
Araghast erschrak. Das hagere, bleiche Gesicht des jungen Mannes erinnerte ihn stark an Raistan Quetschkorn, dennoch handelte es sich um einen völlig Fremden. Langes, braunes Haar fiel dem Zauberer über Schultern und Rücken und seine blauen Augen blickten geradewegs durch den Feldwebel hindurch, ohne seine Anwesenheit wahrzunehmen.
"Endlich werde ich mächtig sein." sagte er leise und führte den Schlüssel an die Lippen. "Und wehe demjenigen der dann noch auf mich herabsieht wenn ich erst die Herrschaft über die Scheibenwelt in meinen Händen halte."
Araghast seufzte. Wieder einer dieser von Eddie Wollas inspirierten Träume. Er glaubte zu ahnen, um wen es sich bei dem jungen, ehrgeizigen Magier handelte. Es war ihm als betrachtete er nun den ersten Akt eines Dramas dessen zweiten er schon genossen hatte.
Mit der linken Hand seinen Stab umklammernd schob der Zauberer den Schlüssel beinahe feierlich in das massive Türschloß und drehte ihn herum.
Araghast hielt den Atem an. Plötzlich verspürte er eine Spur jenen Grauens welches bereits während früherer Alpträume dieser Art über ihn gekommen war. Dort, hinter der eisenbeschlagenen Tür, lauerte der destillierte Wahnsinn des Liber Paginarum Fulvarum das in den Romanen von Eddie Wollas bereits hunderte von Menschen um den Verstand, ihre Gesundheit über beides gebracht hatte.
Mit einem leisen Knirschen schwang die Tür auf und der Zauberer trat in den dahinterliegenden Raum.
Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Dann ertönte ein Schrei, so entsetzlich, daß Araghast die Nackenhaare zu Berge standen. Es war der Schrei eines Menschen dessen Seele gerade in Stücke gerissen wurde.
Der Feldwebel konnte nicht anders. Von seiner Neugierde gezogen trat er durch die halb offen stehende Tür.
Mit beiden Händen die schwefelgelben Seiten eines schweren, mit Eisenketten versehenen Buches umklammernd krümmte sich der junge Zauberer über dem Lesepult. Sein Gesicht war eine Maske des Schmerzes und Blut lief ihm in einem stetigen Strom über Lippen, Gesicht und Hals. Doch selbst unter den fürchterlichen Qualen die er leiden musste ließ der das Buch nicht los.
"Hör auf, du Idiot!" konnte Araghast sich nicht verkneifen zu rufen, obwohl er wusste, daß seine Worte ungehört verhallen würden. "Nimm die Finger von den Seiten! Du bringst dich um!"
Ein gelber Lichtblitz fuhr durch den Raum und Araghast schloß geblendet sein Auge.
Als sich die grellen Schleier von seinem Blick lichteten sah er, wie der Zauberer auf die Knie gesunken war, die Vorderseite seiner Robe von dem Blut das ihm immer noch aus dem Mund tröpfelte durchtränkt. Über den aufgeschlagenen Seiten des Buches schwebte eine durchsichtige Gestalt in prunkvollen klatschianischen Gewändern.
"Du stirbst, Junge." sagte sie in beinahe beiläufigem Tonfall. "War es das wirklich wert?"
"Ja!" Die Stimme des Zauberers klang schrill und ein neuerlicher blutiger Schwall lief ihm über die Lippen. "Ich hatte es in den Händen." hauchte er und seine Hände krampften sich ineinander. "Die Macht, der Meister über alles zu sein. Ich will nicht sterben!"
Der Geist des Klatschianers lachte meckernd.
"Ich kann dich retten und dir geben was du willst." erklärte er. "Aber ich warne dich. Missbrauche diese Macht nicht. Ich habe die Welt in all ihrer Schrecklichkeit gesehen, jenseits von dem was die Unwissenden Realität nennen. Achmed den Verrückten nannten sie mich, weil ich als einziger die Wahrheit wusste. Wenn ich dich retten soll, musst du ebenfalls mit dem Wissen leben, welches hier in diesem Buch der Bücher, festgehalten von meiner eigenen Hand als ich noch am Leben war, geschrieben steht. Wissen, welches schon so manchen Mann in den Wahnsinn getrieben hat."
Der junge Zauberer nickte nur, mittlerweile zu schwach zum Sprechen. Er brauchte seine gesamte verbleibende Kraft um nicht endgültig zu Boden zu sinken. Tränen standen in seinen Augen.
"Gut, dann sei es so." Die gespenstische Gestalt Achmed Al-Alhazreds, Schöpfer des NECROTELICOMNICONS, schwebte auf den sterbenden Magier zu und legte eine Hand auf dessen Stirn.
Zu Araghasts Enttäuschung geschah zuerst überhaupt nichts. Eine scheinbare Ewigkeit schienen die Beiden reglos zu verharren. Und dann begann das dunkle Haar des Zauberers plötzlich, die Farbe zu verlieren, bis es schneeweiß war.
"Das Stigma der Macht wird dich zeichnen bis zu deinem Tode." Der Geist des Klatschianers löste seine Hand vom Kopf des jungen Magiers welcher völlig zusammenbrach. "Erinnere dich an meine Warnung. Missbrauchst du die Macht die ich dir gegeben habe wird das das Ende der Scheibenwelt sein." Und mit einem leisen Seufzer verpuffte er.
Kaum daß Achmed Al-Alhazred verschwunden war ertönten leise Stimmen draußen auf dem Gang.
"Turisas! Wo bist du?"
"Oh nein, er wird doch nicht wirklich..."
"Feldwebel Breguyar, komm sofort runter zu den Zellen!"
Araghast, der gerade damit beschäftigt war, die ohnmächtige Gestalt Turisas Linistars genauer in Augenschein zu nehmen sah verwundert auf. Warum rief gerade mitten in einem Traum seinen Namen?
Ein durchdringendes Pochen gesellte sich zu den Rufen.
"Nein! Bruder! Warum hast du das nur getan?"
"Araghast Breguyar, mach endlich diese Tür auf oder ich schlage sie höchstpersönlich ein!"
Und plötzlich fand sich der Feldwebel an seinem Schreibtisch wieder, den Kopf auf die verschränkten Arme gebettet, während jemand die Tür seines Büros hingebungsvoll mit den Fäusten bearbeitete und dabei herumbrüllte als wäre eine Horde Werwölfe hinter ihm her.

"Ja, ja, ich komm ja schon." brummte Araghast immer noch leicht benommen und blinzelte. Fetzen seines Traumes spukten ihm immer noch im Kopf herum und unwillkürlich tastete er nach seiner Halsschlagader. Eine Woge der Erleichterung durchströmte ihn als er dort keine Spuren eines Bisses ertasten konnte.
"Wirds bald?" schnauzte der Mann jenseits der Tür. "Zupfgut freut sich bestimmt über eine weitere Anzeige für dich!"
"Ich sagte doch, ich komme sofort." gab Araghast zurück und schlurfte zur Tür während er sich schlaftrunken sein Auge rieb. Als er den Schlüssel im Schloß herumdrehte musste er flüchtig an Turisas Linistar denken. Doch was ihn selbst erwartete konnte wohl kaum so schlimm sein wie das Liber Paginarum Fulvarum.
Zu seiner Überraschung stand Dragor Nemod mit in die Hüften gestemmten Händen auf dem Flur. Die Schulterklappen und der sternförmige Aufnäher auf dem RUM-Uniformhemd wiesen ihn als Leutnant und Abteilungsleiter aus.
"Was gibts denn... Sör?" fragte Araghast der es längst aufgegeben hatte, sich über Wächter in anderen Positionen und Rängen zu wundern.
Abfällig musterte Dragor ihn von oben bis unten und sein Blick blieb an dem zerrissenen, von mittlerweile getrocknetem Blut bedeckten Ärmel hängen.
"Wir haben einen Gefangenen gemacht der dringend von einem Püschologen verhört werden sollte." erklärte er kurz. "Und das nächste Mal will ich dich in tadelloser Uniform sehen, verstanden?"
"Einsatz." sagte Araghast nur knapp. Was hatte es für einen Sinn, sich gut zu benehmen wenn er hier eh nicht hingehörte? "Bin noch nicht dazu gekommen, mich umzuziehen. Also, wo sitzt der Kerl?"
"Na wo wohl." Der Leutnant klang ungeduldig. "Wieder zuviel gesoffen, was, Breguyar?"
Und der Feldwebel wünschte sich von ganzem Herzen, daß er es getan hätte.
"Und, was für einer ist das... Sör?" erkundigte er sich stattdessen während er sich auf den Weg zum Zellentrakt machte, den Leutnant dicht auf den Fersen.
Dragor schnaubte verächtlich.
"Eine verstärkte SEALS-Streife hat ihn verhaftet als er einen Zombie mit Magie bekämpft hat. Eigentlich sollten wir ihm dafür dankbar sein, daß er die untote Brut dahin zurückgeschickt hat wo sie hingehört aber Zauberei außerhalb der Universitätsmauern ist nun mal von Lord Farrux offiziell verboten."
Lord Farrux, ging Araghast durch den Kopf. Am liebsten würde er diesen sogenannten Patrizier dorthin schicken wo er hingehörte, nämlich in die tiefsten Feuergruben des Pandämoniums. Versunken in Mordphantasien was er alles mit Ephraim Farrux anstellen würde wenn er ihn in die Finger bekam schlurfte der Feldwebel die Treppe hinunter. Man könnte eine MUT auf ihn richten und abschießen. Viel mehr als ein gigantischer Fettfleck blieb von Farrux bestimmt nicht übrig.
Die beiden verschlafen dreinblickenden Tresenrekruten würdigten Araghast und Dragor nicht eines Blickes als sie die Eingangshalle passierten. Insgeheim beneidete der Feldwebel die Nachwuchswächter. Sie hatten keine monströsen Dinge aus den Kerkerdimensionen am Hals die sie nur loswerden konnten wenn sie eine ganz bestimmte Person fanden.
In dem Gang der zu den Zellen führte war es dunkel.
"Viel Spaß, Breguyar." bemerkte Dragor und blieb stehen. "Sowohl jetzt mit dem Magier als auch in ein paar Stunden mit Zupfgut."
Nur mühsam verkniff sich Araghast eine gemeine Antwort. Aus reinem Reflex legte er die Hand auf den Knauf seines Entermessers als er durch den unbeleuchteten Flur wanderte. Szenen wir diese kamen in den Romanen von Eddie Wollas häufig vor. Einsam schritt der Held durch düstere Verließe, um jemandem zu begegnen der sein Schicksal für immer verändern würde. Doch er war nicht allein. Hinter ihm, nur eingebildet und dennoch auf eine ganz bestimmte Weise präsent, schritten die Quetschkorn-Zwillinge und Edwina Walerius. Sie waren genauso verloren in dieser alternativen Realität wie er selbst.
Eine einzelne Fackel brannte in ihrer Halterung vor sich hin und warf tanzende Schatten auf die zur Gangseite hin durch ein Gitter verschlossenen Zellen. Araghast sah sich um. In welcher der gefangen genommene Zauberer wohl stecken mochte...
"Soso, dich haben sie wohl geschickt um mich zu verhören."
Die kühle, volltönende Baritonstimme verriet gleichermaßen Gelassenheit und Distanz.
"Ja, das haben sie tatsächlich." antwortete Araghast und wandte sich um.
Der Mann der lässig auf der Pritsche der hintersten Zelle saß wirkte nicht auch nur im Geringsten wie ein Zauberer. Er trug einen knielangen schwarzen Gehrock, dazu gleichfarbige Hosen und eine passende Weste. Seine Füße steckten in hohen Stiefeln und auf dem Kopf trug er einen Herrenhut welcher dem Edwina Walerius' zum Verwechseln ähnlich sah. Ein sorgfältig zurechtrasierter Kinnbart zierte sein blasses, scharfgeschnittenes Gesicht und ein Paar durchdringender, eisblauer Augen musterte Araghast gründlich von oben bis unten mit einem Ausdruck leichter Amüsiertheit.
"Also, was ist?" schnappte der Feldwebel. "Haben Sie mir irgend etwas zu sagen oder kann ich wieder in mein Büro zurück und meinen sauer verdienten Schlaf weiterführen?"
"Was wollen Sie hören?" fragte der Gefangene lauernd und sein beinahe hypnotischer Blick blieb auf Araghast gerichtet.
"Was für einen Grund hatten Sie, einen Zombie zu töten? Und wie haben Sie es überhaupt angestellt? Zombies sind nicht so leicht kleinzukriegen. Wenn sie erst einmal in Stücke gehauen wurden brauchen sie nur jemanden der sie wieder zusammenflickt und schon ist unser untoter Freund wieder fröhlich unterwegs."
"Sie scheinen eine Menge über Zombies zu wissen." bemerkte der Fremde.
"Und ob ich eine Menge über Zombies weiß." gab Araghast zurück. Der unnachgiebige Blick des Mannes beunruhigte ihn. Außer vollständigen Vampiren hatte kaum jemand es je geschafft, ihn selbst im durchdringenden Starren auszustechen. "Wie haben Sie ihn erledigt?" zischte er. "Mit Magie?"
"Vielleicht." Der Gefangene zeigte sich von den Künsten der püschologischen Kriegführung nicht im geringsten beeindruckt. "Vielleicht auch nicht."
"So, dann geben Sie also zu, ihn zumindest getötet zu haben."
Ha, dachte Araghast. Jetzt habe ich ihn festgenagelt. Mal sehen, wie er sich da wieder herausredet.
"Habe ich das je geleugnet?" Die Stimme des Fremden klang beinahe enttäuscht.
"Nein, das haben Sie nicht." gab der Feldwebel zu und biss sich auf die Lippen. Noch nie war es vorgekommen, daß ihn jemand dermaßen an der Nase herumführte. Kalter Zorn begann in ihm zu brodeln.
"Na also." erklärte der Gefangene ruhig. "Wo liegt dann das Problem? Man hat mich quasi festgenommen weil ich der Stadt einen Dienst erwiesen habe, mit der Anschuldigung, ich sei ein Magier. Nun, sehe ich wie einer aus? Trage ich einen langen Bart, komische geschmacklose Gewänder und einen Zauberstab?"
Etwas in Araghast machte Klick. Er ließ sich nicht länger verhöhnen und lächerlich machen. Die gesamte aufgestaute Wut der letzten Tage brach aus ihm hervor. Endlich hatte er jemanden vor sich den er einfach nur anschreien konnte.
"Ich warne Sie!" brüllte er dem Fremden ins Gesicht. "Zuerst entzieht man mir meinen Fall, dann schmeißt man mich in die falsche Realität, macht alle meine Alpträume wahr, hetzt mich hinter Dingen aus den Kerkerdimensionen her, stellt mich meinem eigenen inneren Monster gegenüber, lässt mich in der Assassinengilde beinahe umkommen und verlangt dann auch noch von mir, den Hexer von Ankh zu suchen der nirgendwo zu finden ist! Ich hab die Schnauze so was von voll von dem ganzen verdammten Mist! Und deshalb warne ich Sie! Ich bin verflucht noch mal so mies gelaunt, daß Sie es sich gar nicht vorstellen können!"
Der Feldwebel atmete tief durch. Auch wenn sein Ausbruch keinerlei Wirkung auf diesen Kerl in der Zelle zeigte, es hatte auf jeden Fall gut getan, endlich einmal so richtig herumzuschreien.
Zu Araghasts Überraschung huschte der Anflug eines Lächelns über das Gesicht des Gefangenen.
"Soso, Sie suchen den Hexer von Ankh." sagte er langsam.
"Ja, den suche ich, verdammt noch mal." fauchte der Feldwebel angriffslustig. "Und wenn ich ihn nicht bald aufstöbere dann passiert ein Unglück! Ein Ding aus den Kerkerdimensionen läuft im Körper eines Zauberers frei in der Stadt herum, erweckt Schoten und versucht wahrscheinlich, irgendwo ein Portal für die URALTEN RIESEN zu öffnen damit die sich die Scheibenwelt unter den Nagel reißen können! Also, wenn Sie wissen wo der Hexer steckt, dann rücken Sie damit raus, beim Klabautermann!"
Während Araghast noch mit geballten Fäusten auf dem Gang stand erhob sich der geheimnisvolle Fremde von der Pritsche. Seine Augen funkelten seltsam.
"Ich weiß." sagte er.
Und mit einer eleganten Handbewegung zog er den Hut von seinem Kopf.
Araghast erstarrte und konnte kaum glauben was sich seinem Auge darbot. Das nun enthüllte rabenschwarze Haar des Fremden war streng zurückgekämmt. Und mitten hindurch wand sich eine schneeweiße Haarsträhne von der Form eines Blitzes.
"Wenn du den Hexer von Ankh suchst," sagte der Gefangene würdevoll, "Nun, hiermit hast du ihn gefunden, Araghast Breguyar."

FORTSETZUNG FOLGT...



[1] In besonders schweren Fällen gleich gefolgt von 'Wer bin ich?' und, falls die Ursache der Ohnmacht auf gewissen Raumschiffen im Zeitintervall zwischen dem dreiundzwanzigsten und vierundzwanzigsten Jahrhundert nach Christus Erdenzeitrechnung anzusiedeln war, lautete die letzte der drei Fragen höchstwahrscheinlich 'Verdammt, wo kommen die ganzen zusätzlichen Gliedmaßen her? Was ist denn beim Beamen jetzt schon wieder schief gegangen?'.

[2] Diese Aussage bezieht sich eindeutig nicht auf den oktarinen Schlingspatz, ein Vogel der hauptsächlich in Gebieten mit erhöhter magischer Hintergrundstrahlung verbreitet ist und das Vielfache seines eigenen Körpergewichtes verzehren kann. Es soll schon vorgekommen sein, daß Reisende am Morgen erwachten und von ihrem Packtier nur noch ein Gerippe vorfanden. Natürlich kamen sie nie auf die Idee, die drei zufrieden dreinblickenden Vögelchen die auf den abgenagten Knochen hockten und munter vor sich hinzwitscherten zu verdächtigen.

[3] Der geneigte Leser mag sich an dieser Stelle die Melodie von Simon and Garfunkels 'The Boxer' vorstellen

Bitte wegen Überlänge wieder 2 Wochen zur Bewertung drin lassen *flöt*



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Feedback:

Von Magane

22.04.2005 17:50

Die zwei Wochen sind schon um? Mist... wo ist nur die Zeit geblieben...

Toll Bregs... nicht so toll wie der erste Teil, aber das ist eine Eigenart die ich in der Mitte immer empfinde... bin gespannt auf Teil 3.

Wie machst du das nur?

Von Robin Picardo

22.04.2005 18:07

*applaudiert*
:daumenhoch:
LG Robs

Von Atera

22.04.2005 23:44

Gnn, ich bin gerade dabei das Ding zuende zu lesen, wo ich endlich mal Zeit hab. Die Kritik bekommst du noch, hab ich dir ja versprochen.

Trotzderm schonmal Herzlichen Glückwunsch :)

Von Araghast Breguyar

23.04.2005 01:38

Danke :)

Eigentlich sollte die Geschichte auch erst frühestens Sonntag aus der Bewertung, bloß Rince hat irgendwie die Textzeile ganz unten nicht mitbekommen. Deshalb tuts mir wirklich leid, daß manche die eigentlich noch bewerten wollten nun nicht mehr können.

Von Ophelia Ziegenberger

23.04.2005 10:59

:D Meinst Du, das hätte die Note noch verbessern können? Ich glaub eher nicht - ist aussichtslos. *g*

Lob: Sehr schön! Und zwar in beinahe allen Bereichen, die ich für eine gute Geschichte als notwendig ansehen würde. Die Charaktere sind absolut liebenswert, die Dialoge waren fantastisch, die Beschreibungen wunderbar athmosphärisch und für Spannung war allemal gesorgt!

Kritik: Dass diese Kritik sich am ersten Teil orientiert und einen Vergleich zieht, ist sicherlich unausweichlich, nicht wahr? Also mir hat der erste Teil ebenfalls etwas besser gefallen; allerdings nur graduell. Das hatte vor allem damit zu tun, dass ich die Handlungsstränge etwas zu weit aufgefächert fand. Es war etwas herausfordernder im zweiten Teil dem zu folgen, worauf das alles abzielte. Ohne Bregs Resümee an ein oder zwei Stellen wäre ich im Dunkeln getappt, weil ich mir eben doch mal Gedanken über die Logik hinter den Vorgängen gemacht habe. Natürlich, erraten kann man das alles ein Wenig aber es bleibt doch ein enorm großer Unsicherheitsfaktor.

Wobei das natürlich, in Hinblick auf den dritten Teil, durchaus beabsichtigt sein könnte? *g*

Von Kanndra

23.04.2005 16:33

Ich bin nicht ganz sicher, was das angeht (Details vergesse ich immer so schnell *gg*), aber hast du dich mit der Armwunde irgendwie vertan? Ich meine, sie wird erwähnt, ehe Bregs sie bekommen hat, oder?
Und ich hoffe, die Horrorszenen entspringen nicht deinen eigenen Alpträumen :wink:
Was soll man sonst noch sagen? Die Bewertung spricht ja für sich :daumenhoch:

Von Kolumbini

23.04.2005 22:10

Herzlichen Glückwunsch zu den 15 Punkten, Bregs. Die Geschichte hätte auch eine niedrigere Wertung wahrlich nicht verdiehnt. Mir persönlich haben beide Teile gleich gut gefallen. Ach und den Gag mit den oktarinen Schlingspatzen fanden auch meine Eltern genial :)) .

Ich freue mich schon riesig auf den dritten Teil!

Tschö!

Von Irina Lanfear

24.04.2005 19:10

Ich liefer die Kritik noch nach, versprochen, ich kämpf nur gerade mit der LARP Gewandung und meiner Nähmaschine, was mich wohl noch die nächsten zwei Wochen auf Trab halten wird... es ist halt noch kein Schneidermeister vom Himmel gefallen *grins*

Aber soweit ich die Geschichte bisher gelesen habe (also Teil 2, Teil 1 hab ich je fertig) muss ich unbedingt irgendwo Zeit finden, und wenn ichs während meiner Wache am LARP lese! *lach*

Lg
Rina (bewaffnet mit Nadel und Faden)

Von Araghast Breguyar

24.04.2005 19:21

@Wache-am-LARP-lesen: Dann aber bitte im stilechten Eddie Wollas-Schundromanheftchendesign :-D

Von Irina Lanfear

24.04.2005 20:29

:-d na klar, ein Eddi Wollas als "Deckel" sozusagen und darin die ausgedruckte Mission

Von Araghast Breguyar

25.04.2005 05:06

Rina, wenn du ein Cover willst sag Bescheid, ich mach fürs LARP eh noch mal eins ;) und zwar ein richtig kitschiges :-D

Von Magane

25.04.2005 14:44

Au jaaaa...

vielleicht sollt ich mich mal dran setzen das ganze in Buchformat zu bringen... sooo viel Arbeit... sooo wenig Zeit...

Von Goldie Kleinaxt

25.04.2005 18:12

Ohja, ich liebe Schundromane .. sowas bräuchte Goldie auch unbedingt :wink:

Von Irina Lanfear

26.04.2005 07:13

Rina übrigens auch ;-)

Ich würde auch A5 nehmen, ich müssts nur rechtzeitig wissen, da ich das Ding noch ausdrucken muss und das Format dazu wissen sollte.

Wobei es bei A5 vermutlich wirklich Buchstärke hat...

lg


PS: Ein Hemd ist fertig! *jubel* Fehlen nur noch das zweite Hemd und zwei Umhänge fertigzunähen *SEUFZ*

Von Araghast Breguyar

26.04.2005 17:50

Es wird wohl A5 werden damit es auch nach richtigem Bastei-Lübbe-Heftroman aussieht ;)

Ich bin auch gerad am schneidern, der Rock ist halb fertig und der Stoff für das Wams schon gekauft.

Von Ophelia Ziegenberger

26.04.2005 20:14

:D Wie es ausschaut könnte man hier direkt einen Hilfreiche-Schneiderlein-Tips-Threat aufmachen... :)

Von Irina Lanfear

27.04.2005 07:39

Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!

Von Laiza Harmonie

27.04.2005 12:16

Gute Idee!!! Ich bräuchte ein Schnittmuster für ein Kleid (Damit auch nichts schief geht)

Und ein kitschiges Romanheftchen hätte ich auch gern, dann komm ich vielleicht mal dazu es zu ende zu lesen. Soll man die nicht auf dem Larp kaufen können?

Von Araghast Breguyar

27.04.2005 18:19

Mal schauen wie ich es mache, so daß es ingame auch funktioniert... ob ich entweder nur die Zauberer-Storyline des ersten Teils in ein Heftchen packe oder es doch anders mache...

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