Das letzte Sandkorn im Glas (Kampagne 2 - Teil 1)

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von Stabsspieß Atera (SEALS)
Online seit 24. 03. 2004
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Auch ein einzelnes Sandkorn kann einen Sturm auslösen. Doch noch ahnen die Wächter, die in diesen Sturm geraten, nichts davon.

Für diese Mission wurde keine Note vergeben.


Dies ist die Single-Mission für die Kampagne Nr. 2.


"Mein Herr vertraut niemandem. Und er vertraut auch nicht darauf, dass du Erfolg haben wirst." Der Mann in dem grünen Sessel lehnte sich zurück und sah sein eigenes Gesicht auf dem großen blank polierten Schreibtisch. Er sah gar nicht so übel aus. Glatt rasiert. Scharfe Gesichtszüge, markant würde man sagen. Die Lippen waren vielleicht ein bisschen zu dünn, aber es verstärkte nur noch den Eindruck, dass er ein kluger Mann war. Die Stirn war hoch, ein paar Falten hatten sich dort eingegraben. Der Mann sah darin seine weitreichenden Erfahrungen. Dann gingen seine Finger kurz zu den kleinen Geheimratsecken, die sich in sein blondes Haar vortasteten. Wenn nur nicht dieser Haarausfall wäre... nicht, dass er alt wäre.
"Was soll denn das heißen? Natürlich werde ich Erfolg haben", protestierte ein kleinerer Mann, der auf einem Schemel vor dem Schreibtisch sah. Seine Kleidung war abgefleddert, das Gesicht unrasiert, die Haare schwarz und ölig.
"Oh, gewiss, ich zweifele daran keine Sekunde." Der Mann leckte sich über die Lippen. "Aber ich bin nur der Mittelsmann und mein Auftraggeber ist sich da nicht so sicher. Sollte also etwas, aus welchen Gründen auch immer, nicht klappen, dann haben wir wenigstens vorgesorgt." Man hörte das Scharren einer schweren Schublade, die er aufzog, dann legte er einen dicken Umschlag auf den Schreibtisch und schob ihn mit den Fingerspitzen zu dem Kleineren.
"Was soll das sein?" Skeptisch hob der kleine Mann den grauen Umschlag an, als könnte etwas darunter liegen.
"Du fragst dich sicher, warum dir vorne am Eingang die zwei Männer nicht nur deine Waffen, sondern auch einige Gegenstände abgenommen haben, die dir vielleicht etwas bedeuteten oder aus irgendeinem anderen Grund für dich wichtig waren." Noch im Sprechen beobachtete er wie der Mann auf dem Schemel den Umschlag mit seinen verdreckten Fingern aufriss. "Während du für uns arbeitest, wirst du eine eigene Identität besitzen. Du wirst in dem Umschlag Papiere finden, die dich als Karli Etzel ausweisen, daneben die Adresse eines Hauses in dem du dich während der Ausübung deiner Aufträge aufhalten kannst."
"Karli Etzel? Was soll denn das für ein bescheuerter Name sein?" Der Mann schüttelte alle Sachen aus dem Umschlag auf den Schreibtisch. Mehrere Dokumente fielen hinaus, daneben aber auch zwei Ringe, ein Medaillon und ein Stofftaschentuch mit Initialen K.E..
"Es ist dir nicht gestattet deine alte Behausung aufzusuchen oder dich irgendwo aufzuhalten, wo man dich kennt", redete der Mittelsmann weiter.
"Hah, das wird aber schwierig." Der schmierige Kerl am anderen Ende des Schreibtisches begutachtete mit gierigen Blicken die zwei Ringe. Doch ein heftiger Faustschlag auf dem Tisch ließ ihn aufsehen.
"Verdammt noch mal! Reiß dich zusammen", zischte der Mann. "Ansonsten will ich nicht wahrhaben, dass hier gerade der Beste seines Faches vor mir sitzt."
Der Kleinere brummte etwas, ließ aber die Finger von den Ringen und schaffte sogar sich aufrecht hinzusetzen.
"Dein Spitzname ist Etzelkarli und ich will keine Einwände hören." Der Mittelsmann beugte sich vor und sah den "neuen" Etzelkarli vor sich streng an. "Nach erfolgreicher Erledigung deiner Aufträge, bekommst du hier deine Papiere und Dinge wieder. Ich erwarte, dass du dich mit den Dokumenten in dem Umschlag auseinander setzt. Ein paar Sachen sind verschlüsselt, aber ich denke als Meister deines Faches sollte das kein Problem sein." Ein leicht spöttisches Lächeln hatte sich um die Mundwinkel des Mittelmannes gelegt.
"Ich werde alles verbrennen, was verbrennt gehört", erwiderte Etzelkarli ernst und schob mit einer Hand wieder alles in den Umschlag. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. "He, ihr werdet aber nicht mein Äußeres verändern oder so?"
Doch der Mann hinter dem Schreibtisch legte nur die Fingerspitzen aneinander und stützte lächelnd sein Kinn darauf ab.
"Oh, habe ich dir schon deinen Partner vorgestellt?", wechselte er plötzlich das Thema. Das Lächeln verschwand nicht.
"Partner?" Etzelkarli fuhr herum. "Ich habe keinen Partner! Ich arbeite immer allein."
"Das trifft sich gut." Eine Türe, die vorher noch nicht erkennbar gewesen war, öffnete sich. "Er nämlich auch."
"Wir werden uns arrangieren", ertönte eine tiefe Stimme und die Türe schlug ganz auf. Ein Mann trat gebückt über die Schwelle und richtete sich dann wieder auf. Er war groß. Sicher zwei Meter, schätzte der Kleinere. Aber da war noch eine andere Größe, eine Ausstrahlung... Pah, es lag sicher an der weißen Robe, die der Mann trug.
"Ein Priester." Etzelkarli schnaufte verächtlich. Aber er fragte nicht, was der nützen sollte. Er sah die großen langen Hände, die mit Narben übersäht schienen. Der Kopf war natürlich kahl geschoren. Das Kinn war vorstehend und so tief zweigeteilt, als hätte es jemand mit einer Axt gespalten. Die Augen dagegen lagen über tiefen Tränensäcken. Aber es waren wache Augen; neugierige Augen.
"Sordiax Menhir", stellte der Mittelsmann den Priester vor, dieser stand unbeweglich da, musterte seinerseits den kleinen Mann.
"Freunde nennen mich Lord Sord." Die Stimme des Priesters war tief, aber trotzdem lag in ihr eine gewisse Schärfe. Etzel ließ sich davon nicht beeindrucken.
"Sord... klingt fast wie Mord."
Und damit war das Gespräch erst einmal für mehrere Stunden beseitigt.

***

Es kam erst wieder auf, als sie zu zweit in den Straßen von Ankh-Morpork standen.
"Bist du wirklich ein Priester oder ist das deine Tarnung?", fragte Etzelkarli mit Seitenblick auf die Kutte des großen hageren Mannes neben ihm. Sie gingen über den Platz der Gebrochenen Monde auf dem Weg zu ihrem ersten Auftrag und Etzel hielt es für eine gute Idee mit seinem "Partner" zu reden. Wenn es hart auf hart kam, musste er wissen wie weit er sich auf ihn verlassen konnte.
"Ich fürchte, dies wirst du nie genau wissen können", erwiderte Sordiax, die weiße Robe schlackerte um seine Knöchel. Es war Markt auf dem Platz, trotzdem kamen sie beide ungehindert vorwärts. "Aber ich kann dir das erzählen, was ich darf. Ich gehöre einem alten, sehr kleinen Orden an." Sordiax machte eine kurze Pause. "Der Orden des Langen Todes."
"Des Langen Todes? Was macht ihr? Tod und Verderben über eure Schäfchen schicken?" Etzelkarli lachte leise in seinen Schal.
"So ist es." Der Priester hielt seine vernarbten Hände auf. "Wir kämpfen ohne Waffen, immer bemüht so viele zum Stillen Fürsten zu bringen wie möglich."
Der kleinere Mann schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Er hatte schon genug verrückte Männer leben... und sterben sehen. "Der Stille Fürst.. du meinst Gevatter Tod, ja?" Der Priester nickte. Etzelkarli schüttelte wieder den Kopf. Jetzt wusste er wie weit er sich auf diesen Sordiax verlassen konnte.
"Was ist mit dir?" Die beiden Männer bogen in eine Straße ein und drückten sich an den Seiten entlang, Fuhrwerke und Karren fuhren dicht an ihnen vorbei. Sie hörten das Schimpfen und Fluchen der Lenker, den Gestank der Zugtiere und manchmal auch der Waren.
"Oh, das ist schnell erzählt. Bin Meister meines Faches. Meuchelmörder, Dieb und Sonstiges, stets zu Diensten", redete Etzel rasch, während sie sich weiter vorwärts durch die Mengen schoben.
"Was ist Sonstiges?" Sordiax ging hinter ihm und hatte Mühe sich nirgendwo mit seiner Robe zu verheddern.
"Oh, das wirst du noch früh genug erfahren", erwiderte der Meuchelmörder grimmig, froh, nun auch einmal ein Geheimnis zu haben.
Dann endlich fanden sie eine weniger stark begangene und befahrene Straße und schlugen diese Richtung ein. Schweigend und wie im stillen Einvernehmen gingen sie mehrere Um- und Schleichwege bis sie endlich am eigentlichen Ziel ihres ersten Auftrages waren.
Die beiden Männer sahen zu dem Haus, das in der Straße stand und von zwei anderen eingerahmt wurde. Es gab nichts Auffälliges daran, es besaß zwei Stockwerke, mehrere Fenster in allen Ebenen, eine kurze Steintreppe führte zur Haustüre.
"Weißt du, was ich sehe", begann der Dieb nach einer Weile, als sie im Schatten standen und das Haus beobachteten, "Ich sehe aufsteigenden Rauch und lodernde Flammen." Er grinste und zündete sich provokant eine Zigarette an, für einen Moment hielt er das brennende Zündelholz vor sein Gesicht.
"Und ich höre die Schreie der darin eingeschlossenen, ich höre die Qualen ihres Feuertodes. Es ist ein einsamer Tod, ein langer, schmerzvoller Tod." Der Priester versteckte seine Hände in den langen Ärmeln seiner Kutte. "Weißt du, wie man bei uns in den Zirkel des Ordens eintritt?", fragte er, nachdem keiner von beiden länger nicht mehr gesprochen hatte. "Man wird vor ein Rad geführt, das Rad des Todes. Dann darf man ein einziges Mal daran drehen. Die Nadel bleibt entweder bei Tod oder Leben stehen."
"Das ist eure Aufnahmeprüfung? Ihr dreht an einem dämlichen Rad und sterbt oder lebt weiter?" Etzelkarli hatte sich zum ersten Mal wieder von dem Haus abgewandt, das vor seinem inneren Auge schon längst brannte.
"Ja, wir treten mit vollem Wissen dessen vor das Rad. Damit will uns der Stille Fürst sagen, dass er allein entscheidet, wer zu ihm kehrt oder hier auf der Scheibenwelt sein Werk vollbringt."
"Wundert mich nicht mehr, dass ich noch nie von euch gehört habe", brummte der kleinere Mann. Aber mittlerweile glaubte er, dass der Priester gar kein richtiger Priester war, sondern ihn einfach nur kräftig verarschte.
"Es steht dir nicht zu, darüber zu urteilen. Ich wollte damit sagen, dass der Stille Fürst bestimmt, wann diese Menschen in dem Haus sterben. Nicht wir." Sordiax machte eine Geste zu dem Haus hin, das gerade ein Mann mit einer Frau betrat. Neben ihm holte Etzel einen Totschläger aus seiner Tasche.
"Oh, doch, was einen betrifft, da entscheiden alleine wir." Er schwang prüfend das mit kleinen Eisenkugeln gefüllte Säckchen und nickte dann zufrieden. Es würde seinen Zweck erfüllen.
"Nein", widersprach der große Mann neben ihm, "dein Entschluss wurde schon lange vorher vom Stillen Fürsten selbst gefällt." Er holte seine Hände wieder hervor und ließ die Knöchel leise knacken. "Niemand kann bestimmen, wann sein letztes Sandkorn fällt."
"Nun, was seines betrifft... ich halte es gerade in der Hand." Etzel lachte rau und stapfte dann in gerader Linie auf das Haus zu.

***

"Gut, wir sind dann hier fertig." Grazile, schlanke Frauenhände schlossen mit einem leisen Klicken die alte Arzttasche aus Leder. Schwarze Stiefel schritten durch einen kleinen Raum, ihr scharfer Schatten fiel auf einen Mann auf dem staubigen Holzboden. Das Gesicht war aschgrau, eine kleine, trockene Zunge hing etwas aus dem Mund, die Augen waren offen und blickten dorthin, wo ihnen kein sterbliches Auge mehr folgen konnte.
Der Mann war tot. Und das, nach Geruch und Aussehen zu urteilen, schon eine längere Zeit. Man sah es an den nackten Füßen, die sich starr und verkrampft zueinander hin beugten. Man roch es an der Verwesung, die sich süßlich und schwer über den ganzen Raum gelegt hatte.
Die Frau kniete sich vor den Toten und befestigte mit einer Sicherheitsnadel einen kleinen Zettel an das Hosenbein des Mannes. Dann erhob sie sich eilig wieder, streifte mit einer ihrer behandschuhten Hände über das Haarnetz, das ihre rostroten Haare bändigten.
"Hier, gib das dem Zuständigen." Sie reichte einem blass aussehenden Mann mit Kittel einen Umschlag in den sie rasch einen kleinen Schlüssel steckte. "Und sag ihnen, sie sollen sich dieses Mal beeilen mit dem Abholen. Der hier ist schon längst über sein Verfallsdatum hinaus."
Der Mann nuschelte nur etwas unverständliches, steckte aber den Umschlag ein. Die Frau sah sich noch einmal in dem Raum um und rümpfte dann die Nase.
"Erbärmlich. Lass uns endlich gehen, ich ertrage diesen Gestank nicht." Sie schlug den Kragen ihres Mantels hoch und wandte sich um. "Und pass auf die Fallen auf", raunte sie, während sie in merkwürdigen Schritten aus dem Raum stakste. Der Mann dahinter tat es ihr gleich. An der Türschwelle sah er kurz noch einmal auf die Leiche zurück, die allein gelassen in der Mitte des Holzbodens lag. Fertig zum Abholen. Der Mann im weißen Kittel ballte kurz seine Hände, dann zog er die Türe hinter sich leise ins Schloss.
Seine Hand tastete beim Hinausgehen unablässig seine Tasche am Kittel ab, fühlte, ob der Umschlag mit dem Schlüssel immer noch da war.
"Nun trödel nicht." Die Frau stand am Hauseingang, fahles Licht fiel in den dunklen Flur. In ihrer Hand baumelte das Netz, sie schüttelte ihre Haare aus bis sie ihr wieder ordentlich über die Schultern fielen. "Wir haben noch viel zu tun." Sie hielt die Hand gegen die Stirn und schirmte so das hereinfallende Licht ab. Rauch lag in der Luft, weit entfernt in einem anderen Teil von Ankh-Morpork flackerte das rote Licht von Flammen auf. "Viel zu tun", murmelte sie noch einmal und trat nach draußen.

***

Nur eine Stunde später...
Vico van Vermeer stand vor dem Himmelbett und besah sich grübelnd die Kleidungsstücke, die er fein säuberlich dort ausgebreitet hatte. Er war sich noch nicht sicher, welches Teil er heute mit seiner neuen himmelblauen Hose (der beste Stoff, er hatte einfach nicht widerstehen können) kombinieren wollte.
"Nun, was denkst du, Emilie?" Gedankenverloren kraulte er eine kleine ausgestopfte Taube auf seiner Schulter, als es klopfte und Patrick Nichts hereinsah.
"He, Vico, hier ist unten was für dich abgegeben worden." Der Gefreite wendete einen Umschlag mehrmals hin und her. "Ist das Logo und Wappenzeichen der Einbalsamierergilde drauf."
Vico nahm es mit wenig Begeisterung an und der Gefreite verschwand wieder nach unten. Seitdem die Gilde der Einbalsamierer wusste, dass Vico als "Experte" bei der Wache für ihre Gilde zuständig war, schickten sie ihm immer wieder merkwürdige "Angebote". Da sich weder Vico selbst, noch jemand, den er kannte, tot fühlte oder es war, hatte er diese Angebote immer wieder abgelehnt, woraus ein mühsamer Briefverkehr entstanden war. Dieses Mal jedoch war es die Einladung zu einer Beerdigung, die bereits heute stand finden würde.
Vico wollte das Blatt gerade wieder beiseite legen, um sich wichtigeren Problemen zu widmen, als sein Blick auf ein paar Zeilen fiel, die sich von dem Rest unterschieden. Anstatt einer formlosen Einladung, las er dieses Mal seinen Namen.

Vico van Vermeer,
Ihre Anwesenheit bei der Beerdigung wird dringendst erbeten. Es gibt viele Persönlichkeiten, die mit Ihnen sprechen wollen.


Warum sollte meine Anwesenheit bei einer Beerdigung vonnöten sein? Skeptisch schüttelte Vico den Kopf und wähnte wieder eine Finte in eines der "Programme" der Einbalsamierergilde gelockt zu werden. Abermals wollte er den Brief falten und irgendwo (vielleicht unter dem Bett) verstauen, als sein Blick erneut auf eine weitere Zeile fiel.

Kommen Sie in angemessener Kleidung.

Angemessene Kleidung? Sofort begannen Vicos Gedanken angestrengt zu arbeiten, seine Augen überflogen die Kleidungsstücke auf seinem Bett und ein schrecklicher Gedanke kroch ihm wie ein kalter Schauer über den Rücken.
Ich hab nichts zum Anziehen!

***

Zwei Stunden später...
Angemessen gekleidet erschien Vico auf dem Friedhof und sah sich sofort um, wo die Beerdigung stattfand, denn er war doch tatsächlich eine halbe Stunde zu spät (obwohl er sich äußerst beeilt hatte). Stirnrunzelnd sah er sich weiter um, als er nirgendwo eine trauernde Menge oder zumindest etwas in der Art entdecken konnte. Die Beerdigung konnte doch nicht schon vorbei sein.
Dann entdeckte er bei einem der Gräber einen Mann, der eine Schaufel trug und wohl nach dem abgerissenen Aussehen zu Urteilen der Friedhofsgärtner sein musste. Noch im Gehen faltete Vico die Einladung auf und sah noch einmal kurz darauf, ob er sich wirklich nicht vertan hatte. Vorsichtig stakste er über einen schmalen Pfad, bemüht sich nicht völlig die Schuhe zu ruinieren, doch bei dem dreckigen Untergrund war dies schwer möglich. Verbissen stapfte der DOG-Wächter weiter bis er den Mann erreicht hatte.
"Entschuuuldigung", begann er und wedelte mit der Einladung. Der Friedhofswärter stieß den Spaten neben sich in die Erde und drehte sich um. Kurz riss der Mann erstaunt die Augen auf, als er die Kleidung von Vico bemerkte, fasste sich aber schnell wieder. "Ich komme wegen der Beerdigung von Walter-"
"Heute gibbet keine Beerdigungen", unterbrach der Gärtner polternd und kratzte sich an seinem behaarten Kinn.
"Keine Beerdigung?? Aber ich habe diese Einladung!" Vicos Stimme schrammte knapp an aufgebrachter Hysterie vorbei. Die ganze Arbeit umsonst. "Ich habe mich extra durch diesen füüürchterlichen Schlamm gequält." Er deutete hinter sich, wo der kleine Trampelpfad verlief. Fassungslos schüttelte der Wächter den Kopf, was bewirkte, dass "Emilie" auf der Schulter wackelte, als wäre sie mindestens genauso entrüstet.
"Nun, nun, worum gehts denn?", fragte der Mann in einem etwas versöhnlicheren Tonfall, als er den verzweifelten Vico vor sich sah.
"Walter Talers Beerdigung. Sie sollte heute stattfinden. In diesem Moment eigentlich." Vico warf seufzend einen zweiten Blick über den leeren Friedhof. Man hatte ihn also wieder hereingelegt und er hatte sich sooo beeilt und nach angemessener Kleidung in seinem Sortiment gesucht. Er hatte sich bemüht.
Er griff in seine Tasche, fischte den Umschlag heraus und zerriss ihn mitsamt der Einladung. Kleine Papierfetzen regneten auf die Erde nieder. Damit hatte er nichts mehr zu schaffen.
Vico van Vermeer ging ab. Zumindest hatte er das vor, aber die Stimme des Wärters hielt ihn zurück.
"Wartense! Se ham was verloren." Er hielt einen kleinen Gegenstand hoch. Vico kam noch einmal zurück und bekam von dem Mann den Gegenstand in die Hand gedrückt. "War wohl mit in dem Umschlag drin mit demse meinen schönen Friedhof verschmutzt haben."
Vico öffnete seine Hand und betrachtete einen kleinen Schlüssel. Was sollte der in dem Umschlag zu suchen gehabt haben? Ein Versehen?
"Walter Taler... Walter Taler...." Die gemurmelten Worte des Friedhofswärters lenkten Vico von seinen Gedanken fort. "Ich kann mal in meinen Unterlagen nachsehen. Komse mit." Ohne auf Vico zu warten, begann der Mann loszutrotten. Sein Ziel war offensichtlich eine kleine Kate am Rande des Friedhofes, die mehr einem Gartenschuppen ähnelte als einer vernünftigen Behausung. Die Holztüre klemmte und der Mann musste sich zweimal dagegen werfen bis sie endlich aufsprang.
Als Vico ins Innere blickte, entschloss er lieber auf der Schwelle stehen zu bleiben. Obwohl es hier draußen auch nicht besser war. Irgendwie war es doch kalt und es roch seltsam nach Verbranntem. Im Halbdunkeln erkannte der Gefreite wie der Wärter an mehreren gespannten Wäscheleinen herumfuhrwerkte, dann entdeckte Vico, dass an den Leinen Schriftstücke und Zettel hingen.
Der Friedhofswärter wühlte sich durch die drei behangenen Leinen und kam schließlich mit einem Blatt Papier wieder.
"Wissense, ich hab da so ein System was meine Akten betrifft." Er deutete hinter sich auf die Leinen in einer Ecke. "Wenn ein Grab reserviert oder beansprucht wird, häng ich das Schreiben auf die erste Leine. Wenn dann die Leiche gebracht wird, häng ich die Akte weiter auf die zweite Leine. Und schließlich, nach Vereinbarung mit den ähähm Hinterbliebenen, wann die Beerdigung sein soll, kommt das Schreiben auf die dritte Leine. Nun..." Der Mann klopfte gegen den mehrmals gefalteten Brief in seiner Hand. "Ihr Walter Taler hing auf der ersten Leine."
"Das bedeutet?" Vico nahm das Blatt entgegen, das ihm der Mann hinhielt.
"Es wurde keine Leiche geliefert und ohne Leiche keene Beisetzung. Verständlich, oder?"
Vico nickte abwesend und las die Angaben auf dem Brief. Es stand die Grabreihe und -Platz darauf, darunter ein Vermerk "Leichnam wird gebracht". Reserviert war das Grab von der Einbalsamierergilde, daneben jedoch stand eine Adresse, die Vico nicht kannte. Plötzlich tippte ein schmuddeliger Finger genau darauf.
"Ich kann mir auch keenen Reim drauf machen. Am besten fragense die Hinterbliebenen, das ist die Adresse", erklärte der Mann und zog seine Finger zurück. Gewissenhaft notierte sich Vico die Adresse und Grabnummer in sein neues Notizbuch. Es war mit rosa Seidenpapier und dunkel glänzendem Leder eingeschlagen. Die Seiten darin waren so dünn, dass man beinahe hindurch sehen konnte.
Immer noch etwas aufgebracht, dass man ihn hatte sitzen lassen, verließ Vico van Vermeer in angemessener Kleidung den Friedhof. Wenn er die Hinterbliebenen gefunden hatte, würde er einmal sehr höflich nachfragen, was das denn alles zu bedeuten hatte.

***

Ein leises Fuuuump und ein Schlag auf den Hinterkopf weckten Romulus von Grauhaar aus seinen tiefen Ermittlungsträumen. Er hob verschlafen den Kopf und löste die Akte von seiner Wange auf der er eingenickt war. Dann drehte er sich um und blickte in das grinsende Gesicht von Reggie.
"Puh, Mann, ein Häuserbrand kann dich nicht wecken, aber ein Schlag von nem Dämon, was?" Reggies rechter Fuß stand auf einem zusammengerollten und auch etwas zerknitterten Memo.
"Häuserbrand?" Romulus fragte sich, warum er jedes Mal über dieser Fallakte einschlief, aber der Bericht war auch so einschläfernd, dass er sich beim Lesen stets vornahm ihn lieber immer abends mit in den Schlafsaal im Wachhaus mitzunehmen.
"Vergiss es, Mann, die ganze Chose ist schon gelaufen. Deine Arbeit ist wohl das hier." Mit einem verächtlichen Tritt kickte Reggie das Memo zu Romulus hinüber und verschwand wieder in der Luke zum Rohrpostsystem.
Sich noch den letzten Schlaf aus den Augen reibend, überflog Romulus das Memo.

Vorhin hat es eine sehr aufdringliche Dame bis in mein Büro geschafft, um sich über Gestank zu beschweren, der aus der Wohnung gegenüber ihrer kommt. Nach ihrer Beschreibung zu urteilen, könnte es sogar Verwesungsgeruch sein, was auch der einzige Grund ist, weswegen ich dich dort hin schicke.
Mandlgasse 42, Erdgeschoss, die Frau selbst heißt Trude Grümmer, falls du unbedingt mit ihr reden willst. Und bitte nimm Akkhuna Lupus von SUSI mit, wenn es denn überhaupt Spuren zu sichern gibt. Ach ja, nach Aussage der Frau ist die Türe zur Wohnung verschlossen und niemand öffnet. Also nehmt Dietriche oder Brecheisen oder Trolle mit, um die Türe zu öffnen, möglichst aber ohne irgendwelche Spuren oder ganze Wohnkomplexe zu dezimieren.
gez. Rina

p.s.: Bitte erledige das schnell, ich will diese Frau nicht noch einmal in meinem Büro haben. Ich brauch meine Nerven noch für anderes.
p.p.s: Wenn ihr Glück habt, ist es nur eine tote Ratte hinter der Türe. Wenn nicht, ist es euer Fall.


Tote Ratte oder tote Leiche. Romulus war sich nicht sicher, was ihm lieber war. Seufzend erhob er sich von seinem Stuhl und ging hinüber zu Akkhunas Büro. Eine freundliche Stimme rief ihn herein, als er anklopfte. Die junge Spurensicherin war gerade dabei mit Hammer und Nagel ein Bild in ihrem Büro zu befestigen. Ihre pechschwarzen Haare waren zu einem Zopf geflochten, der ihr bis auf den Rücken fiel.
"Bereit für einen Sondereinsatz?", fragte Romulus und Akkhuna schlug sich prompt mit dem Hammer auf den eigenen Finger. "Ich äh bin Romulus, ich glaub, wir haben uns mal im Eimer gesehen. Ich komme von RUM."
"Was ist los? Ist das Feuer erneut ausgebrochen?", fragte sie zurück.
"Was für ein Feuer eigentlich?" Langsam war Romulus etwas verwirrt und auch ein wenig ungehalten, dass er wohl als einziger nicht Bescheid wusste.
"Warst du denn nicht dabei, als es geschehen ist? Die halbe Wache war auf den Beinen." Akkhuna lächelte kurz verlegen. "Naja, nicht so viele. Ich war auch nicht dabei, hab nur davon gehört."
"Wo war ich nicht dabei, als was geschehen ist?"

***

"Es brennt!! Es brennt!!"
"He he, ist das ein Grund, gleich einen Feldwebel umzurennen?" Larius wollte den Rekruten festhalten, der diese entsetzten Worte gebrüllt hatte, aber der junge Mann war schon an ihm vorbei durch die Türe des Wachhauses. Eigentlich war er nicht viel jünger als Larius selbst, aber seine Rangabzeichen geboten doch zumindest ein bisschen Respekt, fand der Feldwebel.
Der SUSI-Wächter versuchte erneut das Wachhaus zu betreten, um endlich seinen Dienst für heute zu beginnen, doch dieses Mal kamen ihm gleich drei FROGs entgegen, die Larius hinderten diese verdammte Türe zu passieren.
"Was ist denn hier heute los?", machte der Feldwebel seiner Unmut Luft, doch niemand beachtete ihn. Kurzerhand griff er nach dem Uniformkragen des Rekruten, der gerade wieder aus dem Wachhaus und den FROGs nach laufen wollte. "He, du, was soll der Aufstand?", herrschte er ihn laut an. Der Rekrut wand sich in seinem Griff, dann aber schien er einzusehen, dass er so nicht wegkam, denn ein Schwall Wörter sprudelte aus seinem Mund.
"Brand... Chaos in den Straßen.. und schau doch einfach mal hinter dich", waren die letzten Worte, die der Feldwebel aufschnappte, als der Redestrom des Rekruten endlich versiegte. Larius riskierte einen Blick hinter sich.
In der Tat hatte er sich bei seinem Weg zum Wachhaus über den ungewöhnlich lauten Lärm gewundert. Jetzt sah er auch den Grund dafür. Rauch stieg auf, hell und rot flackerte er in der Entfernung. Der Wächter wandte sich wieder zu dem Rekruten. Entsetzte Panik und noch etwas anderes war in das unerfahrene Gesicht geschrieben... echte Angst.
Der Feldwebel ließ kurzerhand den Rekruten los und rannte den drei FROGs hinter her.
Ankh-Morpork brannte.





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