Die 101. Verschwörung

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von Korporal Araghast Breguyar (FROG)
Online seit 15. 02. 2004
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Eine Leiche wird gefunden. Eigentlich etwas völlig alltägliches, würde sich nicht anstelle des Gehirns eine Avocado im Schädel des Toten befinden. Ein schlechter Scherz der Balsamierergilde? Doch nichts ist so wie es zuerst scheint und ein eigentlich abgeschlossen geglaubter Fall noch lange nicht zu Ende...

Dafür vergebene Note: 15

WARNUNG!
Diese Single enthält massive parodistische Elemente. Radikalen Harry Potter-Fans und allen deren Name Joanne K. Rowling lautet wird deshalb strengstens von der Lektüre abgeraten. Und um allen schon mal ordentlich die Spannung zu nehmen, wer denn nun sterben wird, verrate ich hiermit, daß Gold Moon in dieser Geschichte den Löffel abgeben wird. Obwohl weitere Todesfälle unter den Protagonisten nicht ausgeschlossen sind.



Nur weil du nicht paranoid bist heißt es noch lange nicht, daß sie nicht hinter dir her sind.
(Philipp K. Dick)





Mit seinen mageren, klauenartigen Fingern strich Mario Sandmann das Pergament glatt. Dieses Mal waren sie davongekommen. Doch bald... Bald würde sein Meister zurück sein. Und dann waren ihre Tage gezählt. Lautlos bewegten sich die Lippen des Doktors, als sein Blick zum letzten Mal über die vier Namen glitt, welche dort mit schwarzer Tinte fein säuberlich aufgeschrieben waren.

Lord Idian von Canis Maior Alpha
Renatus von Schweinewarze
Wladislaw Krumm
Korbirian Launisch

Was auch immer geschah, die Wächter durften diese Liste niemals finden. Und überhaupt, die Wächter... Was waren sie doch blind. Wie die Geier über ein Stück Aas waren sie über das scheinbar so umfassende Geständnis hergefallen. Und hatten dabei gar nicht gemerkt, wie sehr es stellenweise an den Haaren herbeigezogen wirkte. Zugegeben, er hatte Lisaweta Lindendorf aus verschmähter Liebe getötet. Doch die Puppe... Selbst für Leonata Eule wäre es zuviel der Mühe gewesen, sie dermaßen umständlich zu töten.
Dabei war die junge Frau das ideale Testopfer gewesen. Und nachdem sie sein Herz mit dem einen Fuß der ihr noch verblieben war, geradewegs im Staub zertreten hatte, hätte sie es eigentlich doppelt verdient gehabt, zu sterben.
Doch er hatte Fräulein Leonata Eule gnadenlos unterschätzt. Warum war sie nicht, wie Frauen es immer taten, schreiend in ein Zimmer geflüchtet, aus dem es kein Entkommen gab, und hatte sich dort einfach erwürgen lassen? Sie hatte die Puppe zu Blechschrott verarbeitet. Und damit war er, Mario Sandmann, der Versager auf der ganzen Linie.
Aber was auch geschehen war: Sein Meister würde einen anderen Weg finden, sein Ziel zu erreichen.
Mit leisen Schritten trat Sandmann an die Zellentür und warf einen prüfenden Blick durch die Gitterstäbe. Der Wächter der zur Zeit Kerkerdienst hatte, ein zwei Meter großer, breitschultriger Hüne mit blondem Haar, saß einige Meter weiter entfernt auf einem Hocker und schien mit einer Gummiente zu spielen.
Zufrieden nickte der Arzt, knüllte das Pergament zusammen und schob es sich in den Mund. Dann bückte er sich und griff in den Schaft seines Stiefels, während er eifrig kaute. Schließlich fanden seine tastenden Finger, was sie gesucht hatten und als er seine Hand zurückzog, klemmte ein flaches Metallfläschchen zwischen Zeige- und Mittelfinger.
Hastig schraubte er den Deckel ab und goß sich den Inhalt in den Mund.




Prolog: Eulenpost (Alpha-Test)


Ankh-Morpork bei Nacht...
Angus Filz wartete schon seit einer ganzen Weile im Schatten des schmiedeeisernen Tores, welches zum Friedhof der geringen Götter führte. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen. Wo blieb Humunkulus bloß? Er war bereits eine gute halbe Stunde zu spät. Filz hoffte inständig, daß sein Partner nicht der Diebesgilde in die Hände gefallen war. Im Geschäft des unlizenzierten Diebstahls war dieses quasi mit dem Ende der körperlichen Existenz gleichzusetzen. Und der Transport einer Ladung gestohlener Kupferkessel gehörte nicht gerade zu den unauffälligsten nächtlichen Aktivitäten. Nachdenklich betrachtete der Hehler den sichelförmigen, zunehmenden Mond, welcher langsam hinter den Häuserdächern versank.
Auf der gegenüberliegende Straßenseite schwankte eine Gruppe Betrunkener vorbei und grölte lauthals ein Lied, welches Fletsch mit einiger Mühe als Des Zauberers Stab hat einen Knauf am Ende identifizieren konnte. Sie bogen in den Breiten Weg ein und ihr Gesang verstummte schließlich.
Filz warf einen Blick auf die Tempeluhr. Sein Kollege war nun schon fünfunddreißig Minuten über der Zeit. Verstohlen sah sich der Hehler um und begann, langsam und betont harmlos die Straße auf und abzuschlendern. [1] Wenn er weiter die ganze Zeit über reglos am Eingangstor stehen blieb, würde er mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit zu viel Verdacht erregen.
Plötzlich hörte er ein leises Scheppern aus der Richtung des Tempeleingangs und Humunkulus Fletsch bog um die Ecke, ein breites Grinsen auf dem feisten Gesicht und einen riesigen Sack auf dem Rücken, aus dem Geräusche drangen, die denen einer Zwergenschmiede an einem arbeitsreichen Tag ähnelten.
"Verdammt!" zischte Filz, als sein Partner ihn erreicht hatte. "Spinnst du? Die Dinger machen mehr Lärm als sämtliche Gildenglocken zusammen! Wenn wir Pech haben hast du damit schon die halbe Diebesgilde aus ihren Löchern getrommelt! Mittlerweile dürfte die halbe Stadt wissen, daß letzte Woche das Warenlager von Olivanders Igordrom unlizenziert ausgeräumt wurde!"
"Na und?" Von einem weiteren lauten Scheppern begleitet, welches Filz zusammenschrecken ließ, ließ Fletsch seinen Beutesack auf den Boden gleiten und wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels den Schweiß von der Stirn. "Die müssen erstmal in meinen Sack gucken. Ich könnte doch genausogut ein Altmetallsammler oder sowas sein."
Argus Filz seufzte. "Du hast ein sonniges Gemüt, Humunkulus Fletsch." seufzte er. "Also gut, wie viele sind es?"
"Zehn." verkündete der unlizenzierte Einbrecher stolz. "Feinste überwaldianische Wertarbeit, aus reinem Kupfer gearbeitet." Er gab dem Sack einen Stoß und ein neuerliches Scheppern störte die nächtliche Stille empfindlich. "Die sind bestimmt jeder mindestens fünfundzwanzig Dollar das Stück wert."
"Fünfundzwanzig Dollar?" Filz verdrehte die Augen. "Du willst mich wohl veräppeln. Ich biete dir fünfzehn pro Stück, und das ist schon ein mehr als faires Angebot."
"Und was ist mit der Risikozulage?" gab Fletsch zurück. "Immerhin umgehe ich großzügig sämtliche Gesetze der Diebesgilde und riskiere damit ständig mein Leben!"
"Aber vergiß nicht: Ich bin so ziemlich der einzige Hehler in Ankh-Morpork der unlizenziert gestohlene Ware aufkauft." antwortete ihm Filz freundlich aber bestimmt. "Und somit müssen wir uns so oder so einigen, falls du nicht verhungern willst."
"Na schön." seufzte Fletsch. "Dreiundzwanzig Dollar?"
Und während der unlizenzierte Einbrecher und der Hehler miteinander feilschten und sich schließlich auf einen Preis von neunzehn Dollar pro Stück plus fünf Prozent Gewinnbeteiligung einigten, erklomm hinter ihnen eine schlanke Gestalt mit dem Geschick einer Katze die Mauer des Tempels der geringen Götter.

Die Eule kreiste hoch über der Stadt und blickte mit ihren scharfen Augen auf das Lichtermeer unter sich hinunter. Irgendwo, teilte ihr ihr von der Behandlung der letzten Tage immer noch leicht verwirrter Eulenverstand mit, saß jemand auf einem Dach und wartete mit einer toten Maus als Belohnung darauf, daß sie zu ihm flog. Jedenfalls so ähnlich hatte die Menschin mit der seltsamen Aussprache und den beiden verschiedenfarbigen Augen versucht, es ihr klar zu machen. Und dann hatte sie ihr dieses überaus lästige Ding an das Bein gebunden.
Langsam zog die große, weiße Spitzhornberg-Eiseule ihre Kreise tiefer, immer auf der Suche nach der Person, die sie finden sollte. Die Augenmenschin und noch eine andere hatten stundenlang mit ihr geübt, bis sie in der Lage gewesen war, das Gesicht auf Kommando wiederzuerkennen und anzufliegen. Doch dieses ekelhafte Ding an ihrem Bein... Das erste, was sie nach ihrer Freilassung getan hatte, war eine Landung auf dem nächstbesten Hausdach zwecks Entfernung des unliebsamen Gegenstandes.
Langsam sank der Mond tiefer und sein schwaches Licht überzog die nahestehende Kuppel eines großen Gebäudes mit einem sanften, silbernen Schimmer. Eine kleine menschliche Figur saß im Schatten der gewaltigen Kugel und schien auf etwas zu warten.
Etwas in der Erinnerung der Eule gab ihr einen mentalen Tritt und sie flog näher an die Figur heran. Ihre scharfen Augen musterten das Gesicht der Person. Es deckte sich exakt mit dem, welches sich auf der Ikonographie befunden hatte, auf die sie abgerichtet geworden war.

Zufrieden nickte der junge Mann, als er im Mondlicht den weißen Körper der Eule ausmachte. Dann hatte es also doch funktioniert. Zielstrebig kam der Vogel auf den Wartenden zugeflogen und landete schließlich direkt neben ihm, sichtlich zufrieden mit sich selbst. Wo bleibt meine Belohnung, schien er mit seinem Blick zu sagen.
"Noch nicht." erwiderte der junge Mann und streckte eine knochige, mit Brandnarben übersäte Hand aus, um nach der Eule zu greifen.
Doch diese brachte sich mit einem schnellen Sprung aus der Reichweite ihrer Zielperson.
Diese seufzte. "Nun komm schon her und laß mich die verdammte Nachricht abnehmen." stöhnte sie ungeduldig. "Ich bin nicht extra mitten in der Nacht auf diesen Tempel geklettert, nur um jetzt auch noch mit dir Fangen zu spielen."
"Schuhuuu!" antwortete die Eule und trippelte weiter rückwärts.
Der junge Mann bedachte sie mit einem bösen Blick und begann, in den Taschen seiner tarnfarbenen Kleidung zu wühlen. Schließlich hielt er eine tote Maus am Schwanz in die Höhe.
"Jetzt aber bei Fuß!" rief er in unmißverständlichem Befehlston. "Oder bei Flügel oder wie das bei euch Biestern auch immer heißen mag."
Angelockt von der Aussicht auf einen nachmitternächtlichen Imbiß flatterte die Eule auf das Knie des Mannes. Dieser nutzte die Gelegenheit und griff schnell zu.
Ehe er sich versah fand sich der große, weiße Vogel in Rückenlage wieder und eine Hand tastete sein Bein ab. Doch plötzlich wurde er losgelassen und eine Faust schlug auf das Dach des Tempels.
"Verdammtes Federvieh!" fluchte Korporal Araghast Breguyar herzhaft. "Was hast du mit der Nachricht gemacht?"


Tag 1: Obst am falschen Ort und ein scheinbar bahnbrechendes Experiment


Zwei Tage später
Herr Wermut und Frau Begonia Bolzano, wohnhaft in der Teekuchenstraße Nummer vier, waren mustergültige, geradezu krampfhaft normale Bürger Ankh-Morporks. [2] Sie waren die allerletzten, die man jemals dabei ertappen würde, daß sie irgend etwas taten, was nicht den gutbürgerlichen Sitten entsprach, dachte Leonata Eule bitter, als sie zum Arbeitszimmer ihres Onkels hinkte. Dieser hatte sie wutentbrannt gleich nach dem Mittagessen zu sich bestellt, um mal ein ernstes Wörtchen miteinander zu reden, wie er sich ausdrückte. Lea ahnte, daß es etwas mit den Vorfällen in der gestrigen Nacht zu tun hatte. Dabei hatte alles so schön angefangen. Sie hatte sich mit Bregs und einigen ihrer Freunde um acht Uhr des vorigen Abends bei den Nilpferden auf der Messingbrücke getroffen, um in ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag hineinzufeiern. Und so waren sie von Taverne zu Taverne gezogen, um schließlich im Zum explodierenden Kessel zu landen, einer ziemlich urigen Kneipe, in der unter anderem auch eine Menge der jüngeren Alchimisten zu verkehren schienen. Dort hatten sie sich mit reichlich bunten Getränken betankt und anschließend noch einen kleinen Spaziergang durch die nächtliche Stadt unternommen.
Bis ihnen, als sie gerade fröhlich (und vermutlich ziemlich schief) die Lieder der Untoten Socken schmetternd den breiten Weg entlangschlenderten, die Kutsche Ephraim Farrux' entgegengekommen war...
Energisch klopfte Lea an die schwere Eichenholztür. Sie war fest entschlossen, sich nicht kleinkriegen zu lassen.
"Herein." grollte Onkel Wermut.
Lea atmete tief durch, bevor sie eintrat. Jetzt hieß es ruhig bleiben...
"Na also." Wermut Bolzano funkelte sie über seinen Schreibtisch hinweg an und strich sich über den sorgfältig zurechtgebürsteten Schnurrbart. "Hast du mir irgend etwas zu sagen, Leonata?"
"Was soll ich dir zu sagen haben?" entgegnete die junge Frau kalt. "Ich habe in meinen Geburtstag hineingefeiert. Ist es etwa verboten, sich zu amüsieren?"
"Nächtlicher Krawall auf den Straßen!" Onkel Wermuts Gesicht lief rot an und seine Stimme wurde lauter. "Ist das das, was wir dir anerzogen haben? Willst du unseren guten Namen in den Dreck ziehen? Und was wäre wenn die Wache euch wegen Ruhestörung verhaftet hätte?"
"Zufälligerweise bestand über die Hälfte der Festrunde aus Wächtern." entgegnete Lea bissig. "Wir hätten uns auch mehr oder weniger selbst verhaften können, wenn wir es gewollt hätten."
"Soso, frech wirst du also auch noch." brummte Onkel Wermut. "Aber eins steht fest: So kann es nicht weitergehen!"
"Oh, und Schwallsack Farrux hat bestimmt geradezu Spaß daran gehabt, dir zu berichten, daß ich auch mal ein bißchen einen draufmachen gewesen bin." giftete Lea weiter. "Und das geht ja schließlich nicht. Die arme, verkrüppelte, häßliche Cousine seiner anbetungswürdigen baldigen Ehefrau ist glücklich verliebt und hat Spaß im Leben. Alles das was er nicht haben kann, es sei denn kandierte Puzumanierchen, dummes Geschwafel über Dinge von denen er keine Ahnung hat und Speckrollen machen glücklich!"
"Leonata!" Onkel Wermut war aufgesprungen und brüllte seine Nichte an. "Laß dir eins gesagt sein: Ab heute ist Schluß mit dem Wächter, Kneipenbesuchen und Musik mit Steinen oder sogar mit Metall drin! Ich werde dir einen Ehemann suchen, der dir die Flausen schon austreibt! Einen Ehemann, der deinem Stand entspricht!"
"So, das willst du?" erwiderte Lea mit zuckersüßer Stimme. "Glaubst du wirklich, es gibt außer dem leider verblichenen Doktor Mario Sandmann einen Mann innerhalb deines Definitionsbereiches, der eine einbeinige, bebrillte Mathematikerin, die ihre Unschuld bereits an einen Stadtwächter verloren hat, heiraten will?"
Die Gesichtsfarbe Onkel Wermuts erreichte den Farbton einer überreifen Tomate.
"Du hast was?" zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während er langsam um seinen Schreibtisch herumschritt. "Bist du nicht besser als das nächstbeste Mitglied der Näherinnengilde?" Grob packte er seine Nichte am Arm. "Nach dem Unfalltod deiner Eltern haben wir dir ein Zuhause gegeben. Wir haben dich großgezogen und dir bisher alle Freiheiten gelassen, wenn auch manchmal ziemlich zähneknirschend. Wir haben toleriert, daß du jeden Tag in der Werkstatt meines verrückten Vetters herumhocktest! Aber jetzt hast du unser Vertrauen verspielt, Leonata. Nun werden wir mal härtere Maßnahmen ergreifen!"
"Und was ist, wenn ich einfach gehe?" fauchte Lea zurück. "Ich verlasse dieses Haus und kehre nie wieder zurück. Ist das ein Angebot?"
"Nein, du bleibst mir schön hier." Der Griff Onkel Wermuts wurde fester. "ich kann nicht zulassen, daß du unsere Familie noch weiter in den Dreck ziehst, du undankbare kleine Schlampe."
Das war zuviel. Lea holte mit ihrer Krücke aus.
Doch Onkel Wermut bewegte seinen massigen Körper außerordentlich flink und packte ihren Arm, bevor ihr Schlag sein Ziel erreichen konnte. "Vergiß es!" brüllte er. "Ich werde dich schon kleinkriegen! Deine Mathematikbücher werden weggeschlossen! Und falls du es noch einmal wagen solltest, dich mit diesem Wächter zu treffen, dann werde ich dafür sorgen, daß der Assassinengilde ein kleiner, diskreter Auftrag zukommt!"
Lea funkelte ihn in ohnmächtiger Wut an.
"Na warte." flüsterte sie leise, als Onkel Wermut sie in Richtung Treppenhaus davonzerrte. "Eines Tages werde ich mich noch rächen! Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde es!" [3]
"So, wirst du das?" In Onkel Wermuts Stimme schwang ein sichtlich amüsierter Unterton mit, als er vor der Besenkammer anhielt, die Tür weit aufriß und seine Nichte hineinstieß. "So, hier drin bleibst du erstmal, während wir Familienrat abhalten und darüber beraten was weiter mit dir geschieht!"

Nachdem sich der Schlüssel knackend im Schloß gedreht hatte und die schweren Schritte Onkel Wermuts sich entfernten, hieb Lea wütend auf den Fußboden, auf dem sie langgestreckt lag, ein.
Verdammter Farrux! Vermutlich saß er jetzt irgendwo und rieb sich die Hände, dieser aufgeblasene Schwallsack. Und Onkel Wermut... Würde er seine Drohung tatsächlich wahr machen und Bregs einen Assassinen auf den Hals hetzen? Nach dem was er soeben getan hatte, traute Lea ihm auch Dieses zu.

* * *


...Doch natürlich wußte Balmoral, daß der Herzog von Efferdskorn schon seit langem gegen ihn intrigierte, plante er doch selbst, das Artefakt an sich zu reißen, zu dessen geheimem Versteck Balmoral schon seit langem die Pläne besaß und sie so eifersüchtig hütete, daß er sie in seine Matratze hatte einnähen lassen. Denn auch der geheime Bund der silbernen Sichel hatte es sich als das höchste aller Ziele gesetzt, das 'Auge der Scheibe' für sich zu gewinnen, verhieß der Besitz des Artefaktes doch die Erfüllung von drei Herzenswünschen für den ersten, der es berührte.
Und so beschloß Balmoral, all seinen Gegnern zuvorzukommen und machte sich mit drei Vertrauten auf den Weg, um die verlorenen Stadt Iieeh zu finden und das 'Auge' an sich zu reißen. Doch der Bund der silbernen Sichel, dem sich der Herzog von Efferdskorn mittlerweile angeschlossen hatte, ließ sich nicht so leicht abschütteln- sie blieben Balmoral bis ins tiefste Herz des großen Nef auf den Fersen. Und dort, am Ende des dehydrierten Ozeans, schlugen sie zu. Balmoral und seine Begleiter hatten nicht auch nur den Hauch einer Chance- sie wurden von den Kämpfern der silbernen Sichel gnadenlos niedergemetzelt. Als die Sieger jedoch die Pläne suchten fanden sie nichts. Hatte Balmoral sie im allerletzten Augenblick vernichtet? Waren sie während des Kampfes versehentlich verlorengegangen? Oder hatten sie sich aufgrund eines uralten Zaubers selbst aufgelöst um nicht dem nach der Scheibenherrschaft strebenden Bund der silbernen Sichel in die Hände zu fallen? Rätsel über Rätsel... Fest steht jedenfalls, daß mit den Plänen auch jegliche Möglichkeit verschwunden war, die geheimnisvolle Stadt Iieeh zu finden und das 'Auge der Scheibe', jenen mysteriösen Edelstein, der in den falschen Händen den Untergang der gesamten Scheibenwelt bewirken konnte, an sich zu reißen. Und das ist im Nachhinein vielleicht auch gut so...


--FUMMP--
Ohne Vorwarnung kam der zylinderförmige Behälter aus dem Rohr geschossen und landete im Netz des Keschers, welcher zwischen der Öffnungsklappe des Rohrpostsystems und der gegenüberliegenden Wand mitten in der Flugbahn der Nachrichtenröhre aufgestellt worden war.
Seufzend klappte Korporal Araghast Breguyar sein Buch zu und erhob sich vorsichtig. Nach der gestrigen Feier vertrug sein Schädel noch keine ruckartigen Bewegungen. Seitdem er den Posten des stellvertretenden Abteilungsleiters der FROG inne hatte, wollte andauernd jemand etwas von ihm. Und dies hieß im Klartext, daß dem Püschologen langst nicht mehr so viel Zeit zum heimlichen Lesen während der Dienstzeit blieb wie zuvor. Und das ausgerechnet bei diesem Buch... Lea hatte es ihm zum Silvesterfest geschenkt. Die hundert größten Verschwörungen der Scheibenwelt, gesammelt, entschlüsselt und analysiert von Erik von Nichtsfjord. Eine wahre Fundgrube für jeden Paranoiker und Gruselfreund. Wenn tatsächlich stimmte was alles in diesem Buch stand war jeder Bewohner der Scheibenwelt lediglich eine Marionette diverser höherer Mächte und Geheimbünde. Keine besonders beruhigende Aussicht...
Araghast fischte den Behälter aus dem Netz und öffnete ihn. Ein kleiner Zettel, mit winziger Handschrift bedeckt, fiel hinaus.
Bitte sofort in meinem Büro erscheinen lautete die Nachricht. gez.: OLt. Knurblich
Na ja, mal sehen was nun wieder los ist, dachte Bregs, als er über den Flur in Richtung Büro seiner Schäffin schlurfte. Vermutlich wieder ein Püschogramm. In letzter Zeit lief irgendwie so ziemlich jeder Auftrag letztendlich auf ein Püschogramm hinaus. Analyse eines Täters oder die behutsame Vernehmung eines Opfers- Immer endete es damit, daß Bregs, abgesehen von seiner Teilnahme an Rogis Versuchen, eine Eule zum Überbringen von Nachrichten abzurichten, die Tage hinter seinem Schreibtisch verbrachte, während sich der Rest der Abteilung auf Einsätzen austoben durfte. Zudem zog RUM ihn ständig zu Rat, seitdem ihre Püschologin nefer-pa-isis schon länger nicht mehr gesehen worden war. Hoffentlich legten sie sich bald mal einen neuen Seelensezierer zu...
"Na endlich!" erscholl es durch die offene Bürotür, noch bevor der Püschologe überhaupt anklopfen konnte.
"Was ist denn passiert?" Araghast blieb vor dem Schreibtisch seiner Schäffin stehen und salutierte kurz.
"Hör zu. Heute Morgen wurde eine Leiche gefunden." erklärte Venezia ohne Umschweife.
"Ja und?" antwortete Araghast mit einem Achselzucken. "Sowas kommt jeden Tag vor. Was wars denn? Selbstmord?" [4]
Die Gnomin schüttelte den Kopf. "Nicht auf diese Weise." erklärte sie. "Die ganze Sache macht einfach keinen Sinn."
"Was denn? Der Tod?" Bregs runzelte die Stirn. "Da gibt es die komischsten Sachen. Das Verrückteste was ich mal gehört habe ist, daß jemand von seiner eigenen Topfpflanze erwürgt wurde."
"Da hatten wir sogar mal einen Fall." erinnerte sich Venezia. "Es ging dabei um die niemals existente Gärtnergilde. Der allererste Einsatz der FROG nach ihrer Gründung. Aber dieser Kerl ist auf den ersten Blick einfach nur tot. Jedenfalls ist, wenn man sich ihn so anschaut, keine äußere Gewaltanwendung sichtbar."
"Na ja, vielleicht hat ihn der Schlag getroffen." schlug Araghast vor. "Oder er wurde zu Tode erschreckt. Das soll auch manchmal vorkommen."
"Das eigentlich Verrückte an der Sache ist allerdings..." Als ob sie etwas bräuchte an dem sie sich festhalten konnte fischte die Gnomin ein Würstchen aus einer neben ihr griffbereit auf der Schreibtischplatte liegenden Tüte und biß hinein. "SUSI haben festgestellt, daß er an Stelle seines Gehirns eine Avocado in seinem Schädel trug."
"Was?" Araghasts Kinnlade klappte nach unten. "Ich meine... Wie bekommt man die Avocado rein ohne den Schädel aufzusägen? Durchs Ohr? Das Hirn würde man noch rausbekommen irgendwie, das schaffen die djelibebyanischen Mumifizierer doch auch. Aber eine komplette Avocado rein- das geht doch nicht."
Venezia zuckte mit den Schultern. "Aber Fakt ist, die Avocado ist drin." erklärte sie kauend.
"Sag mal," seufzte Bregs frustriert, "Kriegen wir eigentlich irgendwann auch mal einen normalen Fall rein?"
"Nun, dies hier ist Ankh-Morpork." Venezia verstaute den Rest ihres Würstchens wieder in der Tüte. "Was verstehst du hier unter normal?"
"Gute Frage." Nachdenklich sah Araghast aus dem Fenster, an dem soeben eine Nachrichtentaube vorbeiflog. "Vermutlich irgend etwas was nicht mit eigentlich unmöglichen Sachen zu tun hat. Ein unlizenzierter Raubmord. Eine Geiselnahme. Ich meine, eine Avocado in einem Schädel- Das geht doch eigentlich gar nicht, es sei denn mit Hilfe irgendwelcher unbekannter Magie hinter die ein Wächter eh nicht kommt. Wer weiß, vielleicht ist es auch nur die Rache der Balsamierergilde nachdem man ihnen ausgerechnet Vico van Vermeer als Experten geschickt hat." Araghast erinnerte sich nur zu gut an seinen ehemaligen Mitrekruten und seine Abneigung gegen alles Schmutzige und Blutige.
"Hm, die Theorie hat was für sich." schmunzelte die Gnomin. "Aber wer weiß, vielleicht hat er auch aus Versehen einen alchimistischen Trank zu sich genommen der Hirne in Avocados verwandelt. Wenn man bedenkt, mit was für Nebenwirkungen Rib es früher jede Woche zu tun hatte, traue ich den Alchimisten alles zu."
Araghast kicherte vor sich hin. Seitdem Rib zu FROG gestoßen war, waren grünliche Schleimspuren an den Wänden und ähnliches beinahe schon ein fester Bestandteil des Alltags geworden.
"Aber warum soll ausgerechnet ich den Fall übernehmen?" fragte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. "Ich meine, wozu gibt es RUM und die SEALS?"
Venezia grinste breit. "Pismire, Rina, Atera und ich sind nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß gekommen, daß du genau der richtige Mann für die Sache bist."
"Und warum soll ich so geeignet dafür sein?" fragte Araghast entgeistert. Immer landen alle verqueren Sachen auf meinem Schreibtisch, dachte er genervt. Erst die Geschichte mit den gestohlenen Haaren und der durchgedrehten mechanischen Puppe und nun ein Avocadohirn. Irgendwer scheint hier eine Verschwörung gegen mich zu planen. Und A propos Verschwörungen: Das Weiterlesen kann ich wohl erstmal für die nächsten Tage vergessen...
"Nun, du bist verrückt genug, um in einer solchen Sache in den richtigen Bahnen zu denken." erklärte Venezia ungerührt und zerrte einen Ordner von einem Stapel. "Hier ist die Fallakte. Der Obduktionsbericht liegt drin."
Araghast beschloß, die erste Bemerkung zu ignorieren und überflog die erste Seite des Hefters.
"Roland Wiesel." las er laut vor. "Buchhalterlehrling der Lehrergilde. Wurde seine Familie schon verständigt, oder darf ich das heute Nachmittag auch übernehmen?"
"Na wer ist hier wohl der derzeit einzige aktive Püschologe?" Venezia stemmte die Hände in die Hüften und sah ihren Stellvertreter an. "Die hundert größten Verschwörungen der Scheibenwelt werden dir schon nicht weglaufen."

* * *


"Und was soll das nun werden wenn es fertig ist?"
Mit einer Miene die Skepsis und äußerstes Mißtrauen ausdrückte schritt Mustrum Ridcully um die Konstruktion herum, die unübersehbar mitten in der Haupthalle des Forschungstraktes für hochenergetische Magie stand. Im Hintergrund ragten die einzelnen Bestandteile von Hex, in dessen Röhren es leise brummte, bis unter die Decke.
"Das hier wird der Durchbruch in der Streifentheorie des Multiversums, Erzkanzler!" Ponder Stibbons, seines Zeichens Experte für unratsame angewandte Magie, lehnte mit stolzgeschwellter Brust an der Glasglocke. welche den Hauptameisenhaufen beherbergte. "Wir wollen damit beweisen, daß es möglich ist, per Streifen die Grenzen von Raum und Zeit zu durchdringen und Dimensionen zu erreichen die noch nie zuvor ein lebendes Wesen erblickt hat!"
"Ahja. Und dazu brauchtet ihr so dringend die Gardinen aus dem Büro des Quästors?" brummte Ridcully. Das geplante Experiment wurde ihm immer weniger geheuer, je mehr er darüber erfuhr. Wahrscheinlich hatte es etwas mit Quanten zu tun. Und genau diese Versuche behagten dem Erzkanzler am allerwenigsten.
Zur Zeit fragte er sich allerdings, warum bei all seinen verstorbenen Vorgängern zum Gelingen unbedingt dieses... Ding nötig war. Eigentlich bestand die gesamte Konstruktion lediglich aus einem wackeligen steinernen Torbogen, von dem er lieber nicht wissen wollte wo dieser herstammte, und besagtem Vorhang, mit welchem sich die jungen Nachwuchsmagier offensichtlich größte Mühe gegeben hatten, ihn in den Durchgang zu hängen. Neugierig trat er an die Gardine heran, teilte sie in der Mitte und blickte hindurch. Seinem Blick bot sich die andere Hälfte der Halle inklusive des Hauptsteuerpultes von Hex dar.
"Äh, Erzkanzler, ich würde nicht so nahe an den Bogenweg herangehen." rief Ponder warnend. "Wir haben Hex bereits hochgefahren und sind nun dabei, die dünne Stelle im Kontinuum zu fokussieren. Bald werden wir mit dem Ableiten der Magie beginnen und dann könnte es äußerst ungemütlich werden wo Sie gerade stehen, wenn die ersten Quantenfluktuationen auftreten und sich der Raum in sich selbst zu krümmen beginnt."
Ridcully stöhnte innerlich auf. Quanten. Hatte er es doch geahnt...
"Wo kommen die denn schon wieder her? Ich dachte ihr hättet herausgefunden, daß das Multiversum aus Quarksuppe entstanden sein soll." bemerkte er und trat vorsichtshalber ein paar Schritte zurück.
"Nun, aus Quarks ist letztendlich alles zusammengesetzt." erklärte Ponder geduldig, während er seinem Assistenten Adrian Rübensaat ein Zeichen gab, den OWL [5] endlich zu regulieren.
"Aber eigentlich ist die Sache ziemlich unlogisch." erklärte der Erzkanzler, zufrieden, endlich einen Ansatzpunkt gefunden zu haben. "Wenn das Multiversum aus Quarksuppe entstanden sein soll- wo kommt dann bitte die Milch her, aus der der Quark hergestellt worden ist? Und außerdem ist so etwas doch einfach nur unhygienisch. Man stelle sich das mal bildlich vor- ein Multiversum aus jahrtausende altem Quark, das still vor sich hinschimmelt." Ridcully schüttelte sich bei dem Gedanken.
"OWL klar." meldete Adrian.
"Wunderbar!" kommentierte Ponder und wedelte abwehrend mit den Händen, als eine kleine Gruppe von Studenten durch die halb offen stehende Tür hereinkam und interessiert den Torbogen betrachtete.
"Bitte nicht zu nahe herangehen!" rief er. "Es könnte gefährliche Strahlung austreten!"
Als er sah, daß sich die Studenten an die gegenüberliegende Wand zurückzogen wandte er sich wieder dem Hörrohr zu, über welches er mit Hex kommunizierte.
"Erbitte Lokalisierung des Wurmloches." sprach er in den Trichter.
"Wurmloch?" Mustrum Ridcully horchte auf. "Stibbons! Was hast du da vor? Ich will nicht, daß hier nachher irgendwelche Riesenwürmer in meiner Universität herumkrabbeln!"
"Es ist nur ein Fachausdruck, Erzkanzler." erklärte Ponder mit der Geduld eines Kindergärtners, der gerade dabei war, einem besonders begriffsstutzigen Kind zu erklären, daß Fingerfarben nicht zum Essen gedacht waren. "Es hat mit Würmern nicht das geringste zu tun."
"Und warum hat man es dann so genannt?" brummte Ridcully. "Stell dir das mal vor. Ein Haufen Würmer die sich durch ein Multiversum aus verschimmeltem Quark fressen. Wie kommt ihr eigentlich auf solchen Unsinn? Durch eure Kontinuinuums-Theorien?"
Ponder seufzte, und beschloß, den Erzkanzler einfach zu ignorieren. Warum mußte ihm Ridcully auch ausgerechnet jetzt auf die Nerven fallen? Nun, wo die mühevollen Vorbereitungen mehrerer Monate schließlich in dem finalen Experiment gipfeln sollten?
Hex ratterte leise und die Ameisen änderten ihre Bewegungsrichtung und liefen durch neue Röhren. Irgendwo tief im Inneren des gigantischen Apparates machte etwas leise 'parp'.
Ein an einem komplizierten Mechanismus befestigter Stift kritzelte einige Worte auf ein Blatt Papier.

++++ Kontinuumsabtastung beendet +++ Magieübertragung beginnt in zehn Sekunden +++ Fokus positiv +++ Maus braucht mehr Käse +++


"Mist." fluchte Ponder leise und wandte sich zu den Studenten um. Wahllos wies er mit dem Finger auf einen von ihnen.
"Du da, lauf mal schnell zur Küche und besorg Käse. An Besten viel Käse. Ach was, gleich ein ganzes Rad. Aber hurtig!"
Der Student schluckte und schob sich seine heruntergerutschte Brille zurück auf die Nasenwurzel.
"Äh, welche Sorte?" fragte er.
"Egal." Ponder stöhnte. "Bring einfach mit was da ist. Hauptsache es ist gelb, hat Löcher und stinkt!"
Die magere Gestalt eilte in Richtung Hauptgebäude davon, dicht gefolgt vom Erzkanzler, der, von allen am Experiment Beteiligten ignoriert, beschlossen hatte, daß es Zeit für einen kleinen Imbiß war [6], und Ponder widmete seine Aufmerksamkeit wieder der Datenausgabe.

+++ Magieübertragung vier Prozent +++ Maus braucht dringend mehr Käse +++


stand dort in ordentlichen Blockbuchstaben.
"Hoffentlich beeilt er sich." sagte Ponder zu sich selbst.
"Sicher wäre ich mir da nicht." erklang eine Stimme aus den Eingeweiden von Hex und Skazz kam ölverschmiert aus den Tiefen des Apparates hervorgekrochen, in der Hand eine Ölkanne und ein leicht vibrierendes Thaumometer. "Er heißt bestimmt nicht umsonst Harald Alonzo Trödelgreif."
"Der Spinner?" Auch Adrian Rübensaat war an die Ausgabestelle herangetreten und beobachtete gespannt das Geschehen. "Redet andauernd was davon, daß er verfolgt würde und so, und daß ein gewisser Lord Todesschwinge es auf ihn abgesehen hätte. Also wenn ihr mich fragt, der Junge ist komplett paranoid."
"Verfolgungswahn oder nicht, ich hoffe doch sehr, daß er hier bald wieder aufkreuzt." Nervös starrte Ponder auf die neueste Ausgabe. Sie lautete:

+++ Magieübertragung zwanzig Prozent +++ Maus braucht wirklich dringend mehr Käse +++


"He!" rief Skazz plötzlich aufgeregt. "Es tut sich was!" Hektisch wies er mit einem schmutzigen Zeigefinger auf den Torbogen.
Und in der Tat: Ein leichtes grünliches Glühen verlieh den ehemaligen Bürovorhängen des Quästors ein gespenstisches Aussehen. Ponder nickte zufrieden und wandte sich wieder Hex zu, in dessen gläsernen Innereien die Ameisen schneller zu krabbeln begannen.
"Komm schon!" flüsterte er beinahe unhörbar. "Jetzt mach bloß nicht schlapp!"
'parp' ertönte es im Inneren der gigantischen Apparatur.
"Also, ich will ja nicht voreilig sein, aber es scheint zu klappen." ließ sich Skazz vernehmen.
"Sag das nicht." gab Ponder zurück. "Das glaube ich erst wenn es zu Ende ist und immer noch alles steht."
Das Kratzen des Bleistiftes der Hex-Ausgabe lenkte ihn ab.

+++ Magieübertragung neununddreißig Prozent +++ Maus braucht wirklich extrem dringend mehr Käse +++


lautete die Botschaft.
Der Experte für unratsame angewandte Magie seufzte tief.
"Also wenn sich dieser Bummeladler nicht wirklich beeilt, können wir die ganze Sache vergessen." bemerkte er.
"Trödelgreif." korrigierte ihn Adrian Rübensaat.
Ponder winkte ab. "Was so ziemlich auf das Gleiche rauskommt."
Das Glühen auf den Vorhängen verstärkte sich und ein leises Brummen erfüllte den Raum. Die Studenten beobachteten ehrfürchtig das Geschehen.

* * *


Dunkle Wolken zogen am Himmel auf, als der Tag sich seinem Ende neigte, und verkündeten das Nahen eines jener für die Sto-Ebene so typischen winterlichen Schneestürme. Außerordentlich zufrieden mit der Tatsache, daß er zumindest an diesem Tag sein mollig warmes Büro nicht mehr verlassen mußte, lag Chief-Korporal Robin Picardo in einem Stapel weicher Kissen, ein aufgeschlagenes Buch auf der Brust und einen Zeigefinger wild herumfuchtelnd in die Luft erhoben.
"Silizium." erklärte er stolz und wälzte sich auf seiner Seite des Bettes herum, welches einen großen Teil des 'himmelblauen Knahbenzimmers' ausfüllte. "Es liegt am Silizium."
"Du meinst, daß es die Nervendingsbums immer schneller leitet, desto kälter es wird?" Leopold von Leermach runzelte die Stirn. "Du arbeitest zu viel, Robs. Langsam wirst du selbst noch zu einem Alchimisten."
"Ach, hör auf." brummte der Dobermann und stellvertretende Abteilungsleiter der DOG und fuhr sich mit der Hand über den kurzgeschorenen, rabenschwarzen Schopf. "Wenigstens wachsen meine Haare langsam wieder nach. Bei der Kälte da draußen wurde mir immer ziemlich frisch am Kopf."
"Alchimisten..." Leo schüttelte den Kopf. "Wozu sind die eigentlich gut, außer daß sie krampfhaft versuchen, den Stein der Weisen zusammenzubrauen und sich regelmäßig selbst in die Luft sprengen?"
Robin setzte sich auf.
"Nun, sie haben einige bemerkenswerte Substanzen hergestellt." setzte er zu einer ausführlichen Verteidigung seines Spezialgebietes an. "Da nehme man zum Beispiel den sogenannten Vielsafttrank. Ursprünglich war er als ein Mittel konzipiert, das jemanden bei Zugabe eines Haares in die jeweilige Person verwandelte, von der dieses Haar stammte. Ich glaube, ich muß nicht erwähnen, daß das Ganze völlig in die Hose ging, aber der Trank erwies sich ziemlich nützlich als Reinigungsmittel für verstopfte Abflüsse und wird eifrig von der Klempnergilde in rauhen Mengen eingekauft. Die Alchimisten mögen zwar manchmal den eigentlichen Zweck ihrer Gebräue verfehlen, aber oft genug kommt auch etwas wirklich Brauchbares dabei raus. Ihr bei SUSI profitiert doch auch ziemlich von diversen Chemikalien bei der Identifizierung von bestimmten Spuren."
"Mit den ganzen Laborsachen habe ich nicht allzuviel zu tun." Gelangweilt starrte Leo an die Decke. "Sag mal, wer ist heute eigentlich damit dran, Mina zu füttern?" wechselte er abrupt das Thema.
"Du hast diese Pflanze angeschleppt." erklärte Robin kategorisch. "Also wirst du sie auch füttern."
"Aber du hast..."
Ein Geräusch, als ob jemand mit einem spitzen Gegenstand gegen eine Glasscheibe schlagen würde, hallte durch das Zimmer.
"Die ist für dich." brummte Robin und ließ sich wieder in die weichen Kissen zurückfallen.
"Willst du damit sagen, daß ich aufstehen und die Taube reinlassen soll?" Leopold schien nicht gerade besonders begeistert von der Aussicht zu sein, seinen gemütlichen Liegeplatz verlassen zu müssen.
Robin grinste breit und nickte.
"Wie gesagt, bestimmt wartet der nächste Tatort schon auf dich. Spurensichererschicksal. Was es wohl ist? Wieder ein Junge mit einer Avocado im Kopf?"
"Ach, hör mir auf mit dem." Brummelnd erhob sich der Vampir und schlurfte zum Fenster. "Ich dachte erst, ich höre nicht recht, als Oberleutnant Pismire mir erzählt hat, was da in der Hirnschale steckte. Gibt es eigentlich irgendwelche alchimistischen Gebräue, die sowas fertigbringen?"
"Unmöglich ist es nicht." räumte Robin ein, während Leopold das Fenster öffnete. Ein Schwall feuchter, kalter Luft strömte ins Zimmer und eine verfroren wirkende Taube kam hereingeflattert und ließ sich auf der Schulter des Spurensicherers nieder, wobei sie das übliche Taubenverhalten an den Tag legte.
"Mach das Fenster wieder zu!" protestierte der Dobermann. "Es zieht hier wie Hechtsuppe!"
"Sonst noch Sonderwünsche?"
Nachdem er die Kälte ausgesperrt und ausgiebig über die Verdauung der Botenvögel geflucht hatte, machte sich Leo daran, die Nachricht vom Bein der Taube zu lösen.
"Na bitte." verkündete er schließlich triumphierend. "Die Nachricht ist doch für dich!"
Seufzend schälte sich Robin aus dem Kissenstapel auf dem er es sich gemütlich gemacht hatte und schwang seine Beine über die Bettkante.
"Typisch." stöhnte er. "Immer wenn ich es gerade mal glaubte, mich einen Abend lang einfach nur entspannen zu können. Na gib schon her."
Wortlos reichte Leopold ihm den zusammengefalteten Zettel.

An Hptm. Daemon oder Chief-Korporal Robin Picardo, DOG

Im Zusammenhang mit dem Fall des kürzlich tot aufgefundenen Roland Wiesel, 18, Assistent des stellvertretenden zweiten Buchhalters der Lehrergilde, bitte ich um dringende Nachforschungen betreffend die Gilde der Einbalsamierer. Bei besagter Leiche wurde festgestellt, daß sich im Inneren ihres Schädels anstelle des Gehirns eine völlig unversehrte Avocado befand. An der Leiche befanden sich keine Spuren irgendwelcher Operationen. Drum ziehen wir in Betracht, daß Herr Wiesel eines natürlichen Todes gestorben ist und es sich bei dem Vorfall eventuell um einen schlechten Scherz der Einbalsamierer handelt. Details der Obduktion werden im Laufe des nächsten Tages eintreffen. Einstweilen wurde Korporal Araghast Breguyar mit der Betreuung der Freunde und Verwandten des Verstorbenen betraut.

gez. OLt. Pismire, SUSI und OLt. Venezia Knurblich, FROG


Wider Willen mußte Robin grinsen.
"Und, was ist?" fragte Leo neugierig und rieb sich mit einem Taschentuch die Schulter ab.
"Scheint, dieser Avocadohirn-Fall macht so langsam seine Runde durch sämtliche Abteilungen." Robin reichte seinem Freund die Nachricht, die dieser begierig las. "Jedenfalls heißt das, daß Vico sich endlich mal wieder nicht um einen Besuch seiner Gilde drücken kann. Und noch was: Wer ist Araghast Breguyar? Einer von FROG?"
Leo sah von der Botschaft auf und nickte. "Deren Püschologe. Ich bin ihm mal bei einem Fall begegnet."
"Und, wie ist er so?" hakte Robin nach. "Immerhin müssen wir vermutlich demnächst zusammen arbeiten."
"Schwer zu sagen." Leo gab Robin die Nachricht zurück. "Mittlere Größe, mager, langer schwarzer Zopf, ne Augenklappe, lange Narbe auf der rechten Wange und ziemlich blaß. Unter den morporkianischen Vampiren auch bekannt als der Tagläufer- ein Elternteil war Mensch, der andere Vampir. Aber sags nicht weiter, er gibt sich immer als Mensch aus, auch wenn die spitzen Eckzähne dagegensprechen."
"Gibt es sowas wirklich?" staunte Robin. "Halbvampire?"
"Muß es wohl." Leopold zuckte mit den Schultern. "Er ist immerhin der lebende... beziehungsweise halb untote oder was auch immer Beweis."
Die Nachrichtentaube, die sich inzwischen auf der Gardinenstange niedergelassen hatte, gurrte leise.
"Und vom Charakter her?" forschte Robin weiter. "Kann man mit ihm arbeiten oder ist er so einer der am liebsten den ganzen Fall alleine löst, nur um den Helden zu spielen?"
"Nun, so weit ich es mitbekommen habe, ist er ziemlich scharfsinnig." erklärte Leo. "Allerdings sammelt er Horror-Romanhefte und so ein Zeug, bastelt abstruse Verschwörungstheorien zusammen und hält sich hin und wieder für schlauer als seine vier Buchstaben. Also wenn ich dir sagen soll was ich von ihm halte- Er ist eigentlich soweit in Ordnung, allerdings hat er mehr als nur eine Schraube locker. Und den Helden spielt er ganz bestimmt nicht."


* * *


Die ersten Sturmböen heulten um den Forschungstrakt für hochenergetische Magie.
Es schien ein gutes Unwetter zu werden, stellte Ponder Stibbons mit Zufriedenheit fest. Auf seinem Weg von den Spitzhornbergen hatte es fleißig trainiert, um nun Ankh-Morpork mit einer Galavorstellung zu beglücken. Dem Experten für unratsame angewandte Magie war dies nur recht. Sie konnten für ihr Experiment jedes bißchen zusätzliche Energie gebrauchen.
Im Hintergrund arbeitete Hex geräuschvoll.
"Äh, Ponder?" ließ sich Adrian Rübensaat vernehmen. Mit besorgter Miene wies er auf die neueste Ausgabe des Rechenapparates.

+++ Magieübertragung einundfünfzig Prozent +++ Maus braucht wirklich sehr sehr sehr extrem dringend mehr Käse, verdammt noch mal, wie oft muß ich das noch sagen, ihr Primitiveinheiten? +++


Ponder biß sich auf die Lippen und blickte zu dem verhangenen Torbogen, dessen schimmernde Aura bereits einige oktarine Funken zu emittieren begann. Die Bahnen des Vorhanges blähten sich leicht in einer Brise, die von nirgendwo zu kommen schien.
"Faszinierend." Skazz hob sein Thaumometer und las den Wert ab. "Magische Hintergrundstrahlung dreihundert Millithaum, Tendenz steigend."
"Fragt sich nur wie lange noch." bemerkte Adrian. "Es hängt alles nur vom Käse ab."
"Ist doch alles Käse mit dem Käse." probierte Skazz einen lahmen Scherz. "Weiß eigentlich jemand wie diese Maus überhaupt dort reingekommen ist?"
Allgemeines Köpfeschütteln.
"Oder warum wir urplötzlich dieses Zwischenverbindungs-Dings brauchten?"
Noch mehr Köpfeschütteln.
Der von diversen Federn angetriebene Bleistift kratzte über das Papier.

+++ Magieübertragung vierundsechzig Komma drei-fünf-neun Prozent +++ Wenn es nicht bald Käse gibt wird der Prozeß abgebrochen verdammt noch mal! Ach ja, und wenn ihr schon mal dabei seid, ich könnte auch noch einen neuen Ausguck und ein paar frische Mehlpackungen gebrauchen. Und der Schirm mit den ganzen Bildchen drauf hat ein Loch und es regnet rein! Und die Ameisen könnten auch mal wieder ausgemistet werden...+++


Ponder verzog das Gesicht, drückte die Brille gegen seine Nasenwurzel und trat an den Eingabetrichter.
"Jetzt hör mir mal gut zu!" brüllte er hinein. "Wir befinden uns gerade mitten in einem außergewöhnlichen Experiment welches die Streifentheorie des Multiversums revolutionieren könnte und du wirst hier bockig! Der Käse müßte gleich kommen und der Rest hat zu warten bis wir hier durch sind!"

+++ Magieübertragung siebzig Komma e hoch in Klammern i mal pi Prozent+++ Käse oder Systemabsturz du Nullstelle +++


lautete die umgehende Antwort.
"Skazz, geh mal gucken, wo dieser Schleichfalke mit dem Käse bleibt." befahl Ponder knapp. "Meine Güte, wer hat Hex bloß diese Ausdrucksweise beigebracht?"
Adrian zuckte mit den Schultern. "Wer weiß, vielleicht bekommen auch thaumathurgische Rechenmaschinen ihre Rüpelphase?" vermutete er.
"Na das werde ich ihm schon noch austreiben. Es hat mir schon damals gereicht, als er nach dem verlorenen Schachspiel gegen den Patrizier tagelang geschmollt hat."
Ein oktariner Blitz zuckte über den Torbogen und die Vorhänge flatterten, als sei eine Sturmbö hindurchgefahren.
Mit angehaltenem Atem warteten die Anwesenden auf den dazugehörigen Donner.
Doch stattdessen flog die Tür des Saales auf und ein grimmig dreinblickender Skazz kam hereinmarschiert, gefolgt von einem außerordentlich betreten dreinblickenden Studenten und einem schwebenden Käserad.
"Macht das Laufwerk K bereit!" rief er hektisch.

* * *


Völlig unwissend, daß derzeit seine Püsche in der Boucherie Rouge eingehend diskutiert wurde, schlenderte Araghast Breguyar über den Hier-gibts-Alles-Platz, den Kopf voller düsterer Gedanken. Es war schrecklich gewesen. Mutter, Vater und sechs Geschwister hatten ihn nur wortlos und unendlich traurig angestarrt, als er die Nachricht vom Tod des zweitjüngsten Familienmitgliedes überbracht hatte. Wenig später war Frau Wiesel weinend zusammengebrochen und Araghast hatte Rogi holen lassen müssen, damit sie der verzweifelten Mutter ein Beruhigungsmittel verabreichte. Und wieder einmal hatte er sich völlig hilflos gefühlt. Warum hatte Sigmund Leid bloß anstelle von den Problemen des Ehelebens nie etwas über das richtige Verhalten gegenüber Angehörigen eines frisch Verstorbenen geschrieben? Egal wie kaltblütig und abgebrüht er sich nach außen hin geben mochte, tief in seinem Inneren fühlte sich Araghast einfach nur leer. Und in solchen Momenten krochen die dunklen Erinnerungen wieder hervor. Zwanzig Jahre alte Erinnerungen an einen Tag kurz nach seinem sechsten Geburtstag.

Es war ein Morgen mitten im Hochsommer. Die Sonne brannte gnadenlos auf den kleinen, schäbigen Hinterhof in den Schatten hernieder, in dem ein blasser, sechsjähriger Junge saß und sich konzentriert mit einem Stapel hölzerner Wäscheklammern beschäftigte. Sie waren seine Armee, die Rächer aus dem Pandämonium, gekommen um all die bösen Kinder zu besiegen, die sich andauernd über seine helle Haut, seine offensichtliche Zartheit und die so komisch spitzen Zähne lustig machten. Araghast hatte nie verstanden, warum er anders war als die anderen Kinder. Seine Mutter hatte ihm erklärt es hätte damit zu tun, daß sein Vater ein blutsaugendes Ungeheuer gewesen war und daß ihre eigene Mutter sie aufgrund von Araghasts Existenz aus ihrer Familie geworfen hatte, aber er mochte es nicht so recht glauben. Welche Mütter taten so etwas? Konzentriert verschob er ein paar Wäscheklammern auf seinem imaginären Schlachtfeld und strich sich eine Strähne seines dichten, schwarzen Haares aus den Augen. Eines Tages würden die anderen Kinder büßen müssen für all ihre Gemeinheiten. Hier, in dem Reich seiner Phantasie, war er der oberste Feldherr.
Das Zuschlagen einer Tür und Klappern von Holzschuhen auf unebenem Steinboden riß ihn abrupt aus seinen Weltherrschaftsplänen. Er sah auf.
"Gibt es Frühstück?" fragte er hoffnungsvoll die rundliche, ältere Frau, die auf ihn zugeeilt kam.


Oh, wie er sich an Linda Wohlstreck erinnerte. Seit er denken konnte, hatte sie auf ihn aufgepaßt, während seine Mutter ihrer nächtlichen Arbeit nachging. Sie war es gewesen, die ihm, nachdem Liese Kohlensack in den frühen Morgenstunden sterbensmüde in ihr Bett gefallen war, das Frühstück bereitet und ihn anschließend zum Spielen geschickt hatte. Ja, immer hatte er draußen spielen müssen. Tante Lindas Sturheit diesen Fakt betreffend war geradezu mit einem Felsen zu vergleichen gewesen. Vermutlich hatte sie insgeheim geglaubt, er wäre schwindsüchtig oder sonstwie unheilbar krank, da er, egal wie lange sie ihn in die Sonne gesetzt hatte, nie auch nur den leisesten Anflug von Sonnenbräune auf seinem bleichen Gesicht erschienen war. Linda Wohlstreck war für ihn wie eine Tante gewesen.
Bis zu dem Tag an dem Liese Kohlensack starb.

Doch Tante Wohlstreck sah ihn ernst an.
"Ich muß mit dir reden, Araghast." sagte sie kurz.
"Was ist los?" fragte er und warf einen letzten bedauernden Blick auf seine Wäscheklammer-Armee. Die Weltherrschaft würde vermutlich erst noch einmal warten müssen.
Linda Wohlstreck griff ihn am Arm. "Deine Mutter ist tot."


Und so war er von der Person, der er stets das tiefste kindliche Vertrauen geschenkt hatte, auf das Übelste verraten worden. Letztendlich war Linda Wohlstreck nur daran gelegen gewesen, das schäbige Zimmer, welches er mit seiner Mutter bewohnt hatte, möglichst schnell wieder zu vermieten. Noch am selben Abend hatte sie wortlos seine wenigen Habseligkeiten zusammengepackt, ihn an die Hand genommen und zu einem düsteren Gebäude gebracht. Dort war er einem mürrischen Mann übergeben worden und die Folge waren fünf Jahre Arbeit von morgens bis abends, schlechtes Essen und ein Haufen sehnsüchtiger Träume von einem anderen Leben. Es war ihm nicht einmal erlaubt gewesen, an der Beerdigung seiner Mutter teilzunehmen. Er wußte bis heute nicht, wo sie begraben lag...
Mit steinerner Miene musterte er das gewaltige Eingangstor der Unsichtbaren Universität. Nach diversen Trauerbekundungen hatte einer der vielen Söhne der Familie Wiesel ihm den Rat gegeben, mit dem besten Freund des Verstorbenen zu reden. Sein Name lautete Harald Alonzo Trödelgreif und er war laut der Aussage des Wiesel-Jungen von seinem Vormund geradezu dazu gezwungen worden, die Magier-Laufbahn zu beschreiten.
Araghast schüttelte den Kopf. Manche Leute hatten Probleme...
Wie konnte jemand bloß die Möglichkeit eines Zaubereistudiums als lästige Pflicht empfinden? Wer auch immer es war, hatte bestimmt nie geschlagene fünf Jahre seiner Kindheit damit verbracht, falsche klatschianische Teppiche zu weben. Insgeheim hatte er Linda Wohlstreck nie verziehen, was sie ihm damals angetan hatte. Profit was das einzige gewesen, was ihr wichtig gewesen war. Solange das Geld floß kümmerte sie sich um einen. Und dann ließ sie einen gnadenlos im Stich...
Doch im Alter von elf Jahren hatte er es allen heimgezahlt und war aus dem Waisenhaus geflohen. Während der zehn Jahre als Schiffsjunge auf der 'Sonne von Herscheba' hatte er mehr von der Scheibenwelt gesehen als sämtliche seiner anderen Bekannten zusammen. Und dort hatte er seinen wahren Vaterersatz kennengelernt- Jorge di Aguila, einbeiniger Schiffskoch und ehemaliger Assassine. Doch auch ihn hatte er aufgrund eines ziemlich dämlichen Unfalls verloren und alles was er von ihm besaß waren eine vergilbte Ikonographie, ein Wurfmessersortiment, ein in gewisser Hinsicht völlig nutzloses magisches Schwert und eine Papageiendame mit einem unmöglichen Namen...
"Verdammt, was bist du mal wieder sentimental." schalt Araghast sich selbst verächtlich. "Und alles nur wegen einer Avocado am falschen Ort. Es ist nun mal nicht besonders schwer, in Ankh-Morpork auf ungewöhnliche Weise zu sterben."
Entschlossen preßte er seine schmalen Lippen aufeinander und klopfte energisch an das Tor.
"Was issn los?" Eine kleine Klappe öffnete sich in Augenhöhe des Korporals und der diensthabende Brüller musterte ihn mit mißmutigem Gesichtsausdruck.
"Stadtwache Ankh-Morpork." erklärte Araghast kurz. "Ich habe einige Fragen an einen Studenten."
"Soso." brummte der Brüller und dem Tonfall seiner Stimme war zu entnehmen, daß er nicht viel von übermütigen, jungen Nachwuchszauberern hielt, die unerlaubterweise nach Torschluß die Tavernen der Stadt unsicher machten. "Was haben die Bengel denn jetzt schon wieder ausgefressen? Ist mal wieder einer in eurer Ausnüchterungszelle gelandet?"
"Wenn es das nur wäre." seufzte der Püschologe und rieb seine eiskalten Hände aneinander, während der Sturm an seinem Haar zerrte. Vielleicht sollte er sich doch einmal ein paar Handschuhe leisten. "Es geht um einen äußerst seltsamen Todesfall, und ich erhoffe mir einige Antworten von einem Studentus Magus namens Harald Alonzo Trödelgreif."

* * *


Mit einem leisen Sauggeräusch verschwand ein dickes Stück Käse im Fütterungstrichter des Laufwerks K. Eilig kletterte Skazz von der Leiter und lief zur Ausgabestelle.

+++ Magieübertragung fünfundneunzig Komma cosinus Null Komma zwei-fünf plus i mal sinus Null Komma zwei-fünf Prozent +++ Käseeingabe akzeptiert aber der Ameisenhaufen könnte trotzdem mal ausgemistet werden+++


schrieb der Stift.
Ponder atmete erleichtert auf und wandte sich wieder dem Torbogen zu, welcher inzwischen von einem Netz oktarin funkelnder, leicht pulsierender Fäden umgeben war. Ein verklärter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
"Bereitmachen zur Beendigung des Hochladeprozesses!" rief er.
Adrian trat an eine lange Stange, an deren Ende eine große, knallrote Kugel befestigt war.
"GBH besetzt!" verkündete er.
Beinahe feierlich drehte sich Ponder zur Ausgabe um und beobachtete den Stift beim Schreiben.

+++ Magieübertragung hundert Prozent+++ Kontinuumsverbindung abgebrochen +++ Multiversum nicht kollabiert +++ Bitte warten +++


Eine überdimensionale Sanduhr wurde herabgelassen.
"Jetzt!" rief Ponder und Adrian Rübensaat zog mit aller Macht an dem Hebel. Etwas im Inneren von Hex knirschte lautstark und die Ameisen verringerten ihr Tempo. Das was es auch immer war gab ein lautes 'parp' von sich.
Von einer Sekunde auf die andere fiel das oktarine Netz in sich zusammen und das blendende Funkeln erlosch. Zurück blieb nur der Torbogen, der Durchgang verhängt mit den ehemaligen Bürovorhängen des Quästors, welche sich immer noch in einem unspürbaren Wind blähten.
Skazz sah auf sein Thaumometer.
"Hundert Millithaum." verkündete er mit unüberhörbarer Ehrfurcht in der Stimme. "Tendenz fallend."
Diesen Moment nutzten die anwesenden Studenten, um schallend zu applaudieren.
Glücklich lächelnd schritt Ponder Stibbons um seine Errungenschaft herum.
"In Ordnung." hob er schließlich an. "Wer von euch möchte sich nun als erste Testperson freiwillig zur Verfügung stellen und das erkunden was hinter den Vorhang liegt?"
So überschwenglich die Begeisterung der Studenten angesichts des offensichtlich gelungenen Experimentes war, so schnell gaben sie sich nun alle Mühe, möglichst unbeteiligt und desinteressiert dreinzuschauen. Einer pfiff sogar ein kleines Liedchen, während er sich plötzlich eingehend für die Verzierungen der Saaldecke zu interessieren schien.
Niemand achtete mehr auf das leise Kratzen des Stiftes an der Textausgabe.

+++ Ende des Durchlaufes +++ Programm erfolgreich durchgeführt +++ Bitte Ameisen ausmisten nicht vergessen +++ Hallo +++ Hört hier noch jemand auf mich +++ Natürlich kaum habe ich meine Arbeit getan vergißt man mich wieder +++ Ich schalte jetzt ab +++


* * *


Neugierig sah sich Araghast in dem kleinen Zimmer um, in welches der Brüller ihn geführt hatte. Zum zweiten Mal in seinem Leben hatte ihn sein Weg in die Mauern der Unsichtbaren Universität geführt. Allerdings traf die Bezeichnung 'Mauern' nicht ganz zu: Bei seinem ersten Besuch vor beinahe einem Jahr hatte sich sein Aufenthalt auf einen kurzen Abstecher in den Garten und das Mithören eines Streites zwischen dem Erzkanzler und einem anderen Zauberer beschränkt.
Der Raum in dem er sich befand hätte sich auch gut in jedem anderen beliebigen Gebäude befinden können. Eine hölzerne Täfelung zog sich bis zur Decke und die sonstige Einrichtung bestand im Wesentlichen aus einem schweren Eichenholztisch und einigen extrem stabil wirkenden Stühlen. [7] Nichts wies daraufhin, daß nur wenige Türen weiter täglich mit Dingen herumgespielt wurde, von denen vernünftige Personen besser ihre Finger ließen.
Ein wenig enttäuscht zückte Araghast Bleistift und Notizblock und begann, Strichmännchen auf die oberste Seite zu malen, um sich die Zeit zu vertreiben.
Nach einigen Minuten, welche dem Püschologen allerdings wie eine Ewigkeit vorgekommen waren, kehrte der Brüller zurück.
"Da isser." brummte er und trat beiseite.
Neugierig musterte Araghast den jungen Studenten, welcher zu ihm geführt worden war. Er mochte etwa um die achtzehn Jahre alt sein und war zu der Verwunderung des Püschologen, welcher sich Zauberer angesichts der so üppigen Tafel im großen Saal der Universität immer als überdurchschnittlich beleibt vorgestellt hatte, [7a] dürr wie eine Latte. Ängstliche Augen schimmerten hinter dicken, runden Brillengläsern.
"Ist er zurückgekehrt?" fragte der Junge mit zitternder Stimme.
Araghast zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß nicht wovon du redest." erklärte er und versuchte, eine freundliche Miene aufzusetzen. "Aber vielleicht sollten wir uns erst einmal gegenseitig bekannt machen." Er öffnete die Knöpfe seines Mantels und wies auf die am Innenfutter festgesteckte Dienstmarke. "Korporal Araghast Breguyar, Stadtwache Ankh-Morpork." stellte er sich vor. "Und du mußt Harald Alonzo Trödelgreif sein, Studentus Magus der Unsichtbaren Universität. Drittes Semester."
Der junge Nachwuchsmagier nickte schüchtern.
"Na dann setz dich mal." forderte Araghast ihn auf und sah zu, wie Harald auf der Kante eines Stuhles Platz nahm. Dann wurde sein Gesicht ernst.
"Harald, einer deiner Freunde hört auf den Namen Roland Wiesel, nicht wahr?" tastete er sich behutsam vor.
"Roland ist mein bester Freund!" erklärte der junge Magier eifrig. "Er durfte Sekretär in der Lehrergilde werden, der Glückliche!"
"Nun, ich bezweifle, daß er momentan noch so glücklich ist. Ich frage mich, wie glücklich ist jemand der augenscheinlich daran gestorben ist, daß man sein Gehirn durch eine Avocado ersetzt hat?" Araghast verpaßte sich einen mentalen Tritt gegen sein eigenes Schienbein. War sein Mundwerk doch wieder einmal mit ihm durchgegangen...
"Entschuldigung." fügte er schnell hinzu. "So wollte ich es eigentlich gar nicht ausdrücken. Was ich sagen wollte, ist, daß Roland Wiesel gestern Nacht tot aufgefunden wurde."
Haralds Augen weiteten sich vor Entsetzen und sein Gesicht wurde kreidebleich.
"Er- Er muß wieder zurück sein." stammelte er. "Es wird so schrecklich werden, wenn er erst seine volle Macht erlangt hat! Und warum Roland? Er weiß doch gar nichts!"
"Jetzt beruhig dich mal wieder, Junge." Araghast beugte sich vor und versuchte, seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. "Ich kann gut verstehen, daß es schlimm ist, einen Freund zu verlieren, aber was heißt das mit 'Er ist wieder zurück'?"
Doch Harald schien ihm gar nicht zuzuhören. Sein Blick ging geradewegs durch den Püschologen hindurch und seine Hände umklammerten die Kante des Tisches.
Araghast stand auf, packte den Nachwuchsmagier bei den Schultern und schüttelte ihn. Manchmal half nur noch die schlichte Schocktherapie.
"Harald!" rief er beschwörend. "Wovor hast du Angst? Es ist doch noch gar nicht heraus, was überhaupt los war! Fakt ist nur, daß Roland Wiesel tot ist! Es muß doch gar nichts mit dir zu tun haben!"
Trödelgreif schüttelte leicht den Kopf.
"Er war mein bester Freund." sagte er leise.
Araghast nickte und wandte sich seinem Notizblock zu.
"Wenn du ein guter Freund von ihm warst," fragte er vorsichtig, "Würde dir irgend jemand einfallen, der ihm vielleicht nach dem Leben trachten könnte? Ich meine, wir sind uns nicht mal sicher, ob es überhaupt Mord war, die ganze Sache ist ziemlich undurchsichtig. Aber gesetzt der Fall, er ist umgebracht worden: Wen würdest du für fähig halten, jemanden zu töten indem er ihm das Gehirn entfernt und es durch eine Avocado ersetzt?"
Nachdenklich kaute Harald auf seiner Unterlippe.
"Lord Todesschwinge war es." erklärte er schließlich überzeugt. "Er tut solche Sachen. Er hat meine Eltern umgebracht. Und nun will er auch mich wieder kriegen."
Innerlich verdrehte Araghast sein Auge. Wie es schien lief es wieder einmal auf eines solcher Verhöre hinaus.

* * *


Dunkelblaue Tintenspritzer verteilten sich über das Blatt Papier, als Lea den Federhalter weitaus energischer als nötig in das Faß tunkte. Fluchend wendete sie das Blatt und starrte einige Zeit auf die weiße Oberfläche.
Dann begann sie zu schreiben.

Mein lieber Bregs!
Es gibt Ärger. Und davon gleich eine ganze Menge auf einmal. Schwallsack Farrux, diese überfütterte Mastgans, ist zu Onkel Wermut gelaufen und hat ihm unsere kleine musikalische Einlage und die Begegnung von gestern Nacht brühwarm erzählt. Daraufhin hat dieser mich in sein Büro zitiert, Und wir haben uns gegenseitig angebrüllt, daß es ein Wunder ist, daß Tante Begonias Kristallgläser noch heil sind. Dabei sind einige nicht sehr schöne Sachen gesagt worden und nun hat er mir auf erstes Hausarrest erteilt und mir jeglichen Umgang mit dir verboten. Was bildet er sich eigentlich ein? Ich bin schon lange alt genug um auf mich selbst aufpassen zu können, aber nein, er redet andauernd von dem guten Ruf der Familie, daß er mich standesgemäß verheiraten will und ähnlichem Schwachsinn. Warum wird meine Liste der Leute die ich zuerst niedermetzeln werde falls ich irgendwann einmal Amok laufen sollte immer länger?


Lea steckte den Federhalter zurück ins Tintenfaß und nahm einen tiefen Schluck aus der noch beinahe vollen Flasche Untervektor-Rum, welche neben ihr auf dem Schreibtisch stand. Wie praktisch ein loses Dielenbrett doch war... Ein jedes Mädchen brauchte ein Geheimversteck für einige wirklich wichtige Dinge im Leben, welche möglichst von niemandem gefunden werden sollten. Beziehungsweise für jene Gegenstände, die man trotz einer großangelegten Zimmerausmistung von der Seite Onkel Wermuts dringend behalten wollte.
Seufzend musterte Lea ihr Bücherregal. Dort, wo am Morgen noch Mathematikbücher, Aktenordner und Eddie Wollas-Romanhefte in einträchtigem Chaos beieinandergestanden hatten, herrschte nun gähnende Leere. Stattdessen hatte Tante Begonia einige Stickmustervorlagen auf den Schreibtisch gelegt, deren Überreste derzeit im Kanonenofen fröhlich vor sich hinschwelten. Handarbeiten, bei Gesellschaftsessen ekelhaft süßen Likör trinken und über Haushalt und Garten reden, während sich die Männer im Nebenzimmer bei Cognac und Zigarren den wirklich interessanten Themen widmeten. War das alles, wozu eine Frau gut zu sein hatte? Ihr Onkel Hieronymus hatte sich aus solchen Spirenzien nie etwas gemacht. Für ihn war sie seine gleichberechtigte Partnerin gewesen und zusammen hätten sie mit Hilfe des AGLA bestimmt noch Großes vollbracht. Doch es hatte nicht sein sollen, und so war Lea schließlich nach dem Tod ihres Lieblingsonkels ohne jedwedes eigenes Vermögen und als einzige Absicherung einen Mitgliedsausweis der Mathematikergilde in der Tasche endgültig bei den Bolzanos gelandet, den Verwandten ihrer Mutter.
Doch der Versuch, aus diesem Leben auszubrechen, war gänzlich fehlgeschlagen. Mit ihrer Arbeit für die Mathematikergilde ließ sich kein Geld verdienen und die einzigen anderen zivilen Stellungen, die Frauen offen standen, beschränkten sich entweder auf das Putzen, Kochen, dem Servieren von Speisen und Getränken oder professionelle Handarbeiten. Wobei sich letzterer Punkt oft als ziemlich doppeldeutige Berufsbezeichnung herausgestellt hatte...
Deprimiert nahm Lea einen weiteren Schluck aus der Flasche. Der scheinbar einzige Ort an dem Frauen wirklich gleichberechtigt waren, schien die Stadtwache zu sein, dachte sie düster. Dort gab es sogar weibliche Offiziere. Eine kurze Zeit hatte sie überlegt, sich als Rekrutin zum Dienst zu melden, doch mußte sie sich schließlich eingestehen, daß sie aufgrund ihrer Behinderung für den Wachdienst völlig ungeeignet war.
Und nun saß sie hier, eingesperrt und zum Handarbeiten und vor allem zum eine richtige Frau sein verdammt, in ihrer kleinen Kammer im zweiten Stock des Hauses in der Teekuchenstraße vier, wie dieses Mädchen aus dem Grimmigen Märchenbuch, welches schließlich ihr Haar hinabgelassen hatte, um ihren Geliebten die Möglichkeit zu geben, zu ihr heraufzusteigen.
Lea bezweifelte allerdings, daß sich so etwas auch in der Realität durchführen ließ. Erstens reichten ihre widerspenstigen, schwarzen Locken ihr gerade einmal bis auf die Schultern, zweitens würde Araghast bestimmt intelligent genug sein, sich irgendwo ein Seil und einen Wurfhaken zu organisieren und drittens mußte so etwas doch fürchterlich an der Kopfhaut ziepen, es sei denn man befestigte den Zopf irgendwo mit einem stabilen Knoten, so daß die Kraft die durch den heraufkletternden Mann ausgeübt wurde auf den Knoten und nicht auf die Kopfhaut einwirkte...
Es folgte ein weiterer Angriff auf den Inhalt der Flasche und schließlich kratzte der Füllfederhalter weiter über das Papier.

Nun, das was ich eben geschrieben habe, trifft die eigentliche Situation nicht wirklich. Derzeit bin ich gerade am überlegen, wie ich am Besten aus der Sache wieder herauskomme. Und tu mir bitte einen Gefallen. Versuche vorläufig nicht, mich in irgendeiner Form zu entführen oder so etwas in der Art. Onkel Wermut hat gedroht, daß er dir einen Assassinen auf den Hals hetzt, wenn er uns noch einmal zusammen sehen sollte, oder jemand anderes uns zusammen sieht. Warte einfach ab, du wirst wieder von mir hören. Was ich brauche ist etwas, womit ich Druck auf meine Verwandten ausüben kann. Irgendein Familiengeheimnis, was ich androhen kann zu verbreiten, wenn sie mich nicht leben lassen wie ich will. Ich verspreche dir, ich werde hier schon irgendwie rauskommen und dann können wir ja weitersehen. Nimm es nicht zu schwer und laß dir nicht von irgendwelchen Intriganten einreden, daß ich andersweitig heiraten würde. Onkel Wermut plant es zwar für mich, aber ich werde mich nicht verschachern lassen wie ein ephebianischer Sklave. Und du paß auf dich auf, was du tust. Ich will nicht, daß wir beide auch als eines dieser ach so tragischen Liebespaare enden wie sie in den ganzen schnulzigen Theaterstücken vorkommen, die sich Elisabeth und Antonia immer so gern ansehen.

In Liebe, deine Lea


Vorsichtig rollte die junge Frau den Brief zusammen und wickelte eine Schnur herum. Dann stand sie auf, hinkte zum Fenster und stieß es weit auf. Während sie mit ihren Augen den stürmischen Nachthimmel absuchte, hob sie eine kleine Flöte an die Lippen und blies hinein.
Jetzt mußte sie nur noch warten...

* * *


Das flackernde Licht der Laterne warf unheimliche Schatten auf die überquellenden Regale des Fallarchivs der Stadtwache. Gedämpft drang das Heulen des Orkans selbst in diesen abgelegenen Raum.
Araghast nieste, als ihm eine Wolke des allgegenwärtigen Staubes in die Nase drang. Die Durchforstung der gesammelten Fälle der letzten zwanzig Jahre hatte im Bezug auf die Familie Wiesel rein gar nichts ergeben. Sie schienen die reinsten Unschuldslämmer zu sein, sofern man dies von einem Bürger Ankh-Morporks behaupten konnte. Aber was sollte man auch von einer Familie erwarten, deren sämtliche Mitglieder entweder als Schreibkräfte in den Diensten verschiedenster Gilden und Privatpersonen oder Beamte im Patrizierpalast arbeiteten.
Doch nach diversem Schweigen hatte er diesem Trödelgreif schließlich aus der Nase ziehen können, daß die Wache ihn schon einmal vor seinem Erzfeind namens Lord Todesschwinge gerettet hatte, welcher nach seiner Aussage auch für den Tod seiner Eltern verantwortlich war. Vielleicht fand sich dort ja etwas Brauchbares.
"T..." murmelte er leise vor sich hin, während er einen wackelig aussehenden Hocker zu sich heranzog und vorsichtig prüfte, ob dieser seinem Gewicht standhalten würde. Dennoch gab selbiger Gegenstand ein protestierendes Knarren von sich, als der Püschologe hinaufkletterte und sich an einem Aktenstapel zu schaffen machte, welcher zuoberst auf dem Regal lag.
Typisch, dachte er entnervt, als ein weiterer Schwall Staub ihn in der Nase kitzelte. Warum schreibt Erik von Nichtsfjord nicht mal über die geheimnisvolle Verschwörung, die sämtliche Akten die man aus dem Archiv braucht grundsätzlich an den am schlechtesten erreichbaren Plätzen versteckt?
Doch schließlich fand er das gesuchte Dokument, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, ganz unten in dem Stapel. Und gleichzeitig sank seine Motivation, es in dieser Nacht noch durchzuarbeiten, ins Bodenlose, als er den Namen des Wächters bemerkte, welcher den Fall damals bearbeitet hatte.

Aktenzeichen: 0811-HP5-2003
Betreffend: Trödelgreif, Harald Alonzo
Bearbeitet von: OG Gralon Banks, SEALS

Plötzlich erinnerte er sich wieder. Es war in jener Nacht gewesen, als die Geschichte mit dem Brettspiel passiert war. Den ganzen Abend über war Gralon kurz vor dem Einschlafen gewesen und hatte andauernd Sachen von einem Fall erzählt, der etwas mit einem gewissen Lord Todesschwinge und einem jungen Zaubereistudenten zu tun hatte.
Araghast schnaubte abfällig. Lord Todesschwinge. Welcher Verbrecher mit auch nur dem kleinsten Fünkchen Verstand in seinen grauen Zellen nannte sich freiwillig Lord Todesschwinge? Aber vermutlich merkten solche Personen nicht einmal wie gnadenlos sie sich damit der allgemeinen Lächerlichkeit preisgaben. Diesen Namen an einen Schurken zu vergeben wäre vermutlich selbst Eddie Wollas peinlich gewesen, und der glänzte in dieser Hinsicht schon mit einigen recht gewagten Kreationen. Höchstwahrscheinlich gehörte der Betreffende zu jener Sorte Bernicio-Cassawar-läßt-grüßen-Gruppe irrer Spinner, die Erpresserbriefe mit Ahahahahahaha oder Muhuhuhuhuhahahahaha unterschrieben, einen Haufen Ausrufungszeichen hinten dranhängten und dringend einige püschologische Sitzungen vertragen konnten. Was allerdings nicht hieß, daß sie ungefährlich waren. Solche Fanatiker besaßen meist keine Skrupel, ihre Ziele, so abwegig sie auch waren, durchzusetzen. Und normalerweise spielten in diesem Prozeß dunkle, dramatisch ausgeleuchtete Verließe, schwarze Kapuzenumhänge, maskierte Gesichter, diverse Foltergeräte und sinnlose Grausamkeiten gegenüber Untergebenen keine unbeträchtliche Rolle.
Immer noch über das typische Profil eines geltungsbedürftigen Möchtegern-Stadteroberers nachsinnend griff sich Araghast Laterne und Akte und verließ das Archiv. Er konnte sich zwar nicht im geringsten vorstellen, was ein bereits fast ein Jahr alter Fall von Erpressung mit der fehlplatzierten Avocado in der Hirnschale Roland Wiesels zu tun hatte, aber da es die bisher einzige auswertbare Spur war, konnte er demnächst gut auch mal einen Blick hineinwerfen. Ein hinterhältiges Grinsen stahl sich auf seine Lippen als er an die Botschaft dachte, die vor einigen Stunden auf den Weg zur Boucherie Rouge geschickt worden war. Vico am Ermitteln in der Balsamierergilde... Er konnte kaum sagen wie sehr er es bedauerte, nicht zusehen zu können. Immerhin hatte er Lea am nächsten Abend etwas zu erzählen.


Tag 2: Paranoia, Kommunikationsprobleme und warum bestimmte Paßwörter einfach ungeschickt gewählt sind


Die blinde Panik überschwemmte den Körper Harald Alonzo Trödelgreifs mit Adrenalin. Zum fünften Mal putzte er seine beschlagenen Brillengläser am Ärmel seines Umhangs. Die gesamte Nacht hatte er sich zitternd vor Furcht unter seiner Bettdecke verkrochen gehabt, leise geweint und sich gewünscht, jemand anderes zu sein, während sich sämtliche seiner Möbel vor der Zimmertür stapelten. Lord Todesschwinge hatte Roland ermordet, das war für ihn klar. Und dies hieß ebenfalls, daß der dunkle Lord wieder hinter ihm her war und ihn töten wollte. Nur zu gut, daß er dem Wächter so wenig wie möglich erzählt hatte. Die Wache konnte ihn nicht beschützen, wie seine Freunde es konnten.
So leise wie möglich tappte er durch den im morgendlichen Dämmerlicht liegenden Korridor, ängstlich darauf bedacht, ja niemandem zu begegnen. Jeder konnte ein Feind sein. Hinter jeder Ecke konnte der plötzliche Tod in Form des...
Nein, nicht daran denken, beschwor er sich selbst. Erst einmal mußte er es lebend zu Doktor Umbels Büro schaffen, und ihm erzählen, was passiert war. Er würde alles wieder in Ordnung bringen, den Orden reaktivieren und ihn vor dem Bösen beschützen.
Denn Albertus Umbel war eine Art Halbgott mit einem spitzen Hut.

* * *


Währenddessen starrte Araghast Breguyar ungläubig auf den Brief, welcher vor ihm auf der Schreibtischplatte lag. Der mit frischem Kaffee aus der Kantine gefüllte Muggel [9] dampfte vergessen vor sich hin. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Rammbock in die Magengrube gerammt.
Was erlaubten sich diese feinen Herrschaften und vor allem dieser wandelnde Pudding Ephraim Farrux eigentlich? Sie hatten doch nicht die geringste Ahnung von wahrer Liebe. Aber dafür besaßen sie etwas anderes, dachte Araghast düster. Sie besaßen Geld wie Heu, und dies bedeutete Macht über andere. Mit genug Geld konnte man immer seinen Willen durchsetzen.
Wieder und wieder las er Leas Brief, und immer noch weigerte sich etwas tief in seinem Inneren, dessen Inhalt als wahr anzuerkennen.
Schließlich erkannte er, daß es keinen Zweck hatte. Die Botschaft änderte sich nicht. Einen Moment lang überlegte er, das Blatt Papier zu bügeln um nachzusehen, ob es vielleicht eine verborgene, mit Fruchtsaft geschriebene Botschaft enthielt, doch entschied sich dagegen. Hätte Lea so etwas getan, hätte sie einen versteckten Hinweis darauf in den Text eingebaut.
Wütend ballte Araghast die Fäuste und wünschte sich, eine von Sidneys garantiert püschologisch sinnvollen Anti-Aggressions-Strohpuppen in der Nähe zu haben, um sie gehörig zu verprügeln.
"Glotz nicht so dämlich." fuhr er Havelock an, die auf ihrem Käfig hockte und sich völlig unbeteiligt ihr buntes Gefieder putzte.
Ich glotze überhaupt nicht, schien der Blick zu sagen, den die Papageiendame ihrem Besitzer zuwarf. Und du könntest mich auch vielleicht bald mal füttern.
Araghast knurrte und griff sich wahllos die nächstbeste Akte vom Schreibtisch und warf einen Blick darauf. Es war diejenige, die er am vorigen Abend unter der Gefahr eine Staublunge zu bekommen aus dem Archiv geborgen hatte.
Mißmutig schlug er sie auf.

Bähricht der Verhaftigung von Thomas Kreuzworträtsel, auch bekannt unnter dem Däcknamen Lord Todesschwinge. K. wird beschuldiget, der massiven Bedrohunk unt massivigen Einschüchterunk eines gewissigen Harald Alonzo Trödelgreif, taumaturgischer Schtudent. Er soll es angehblich hinter einem Gegenschtand her-gewesen sein, der sich in Bähsitz nähmlichen Trödelgreifes befinndet. Doch verwaigerte er jegliche waitere Aussahge. Waitere Nachforschunngen bei besahgtem Trödelgreif brachten lediglich ain Kintheitstrauma zu-tage und einä Fermutunk auf ain allchimißtisches Räzept oder so ettwas ehnliches. Auserdem soll Ferdächtiger saine Elltern ummgebracht habigen. Thomas Kreuzworträtsel wird biß auf waiteres in Haft genommen welche, vollstrecket wird sein Urteil wohl bald seinigen. Was wohl haißt, das er wieder inn sein Ecksil nach Überwalt zurück mus.

Gähzeichnet OG Gralon Banks


Araghast schüttelte den Kopf. Wie konnte ein solcher Fallbericht bloß an der Abteilungsleitung vorbei ins Archiv kommen? Und dies bezog sich nicht einmal auf die selbst für einen Wächter ziemlich grauenhafte Orthographie. Der Bericht schrie geradezu nach schlampiger Ermittlungsarbeit. Offensichtlich hatte Gralon im Zuge seines Verhörs von Harald Alonzo Trödelgreif irgendwann einfach entnervt aufgegeben und das Gerede des Jungen, sobald es über den Fall hinausging, schlicht und einfach als Humbug abgetan. Aber immerhin wußte Araghast nun den wahren Namen des Mannes der sich so überschwenglich selbst Lord Todesschwinge getauft hatte.
Plötzlich und zu seinem eigenen Erstaunen brach er in hemmungsloses Gelächter aus. Thomas Kreuzworträtsel. Nun, mit so einem Namen ließ es sich als zukünftiger Oberbösewicht ganz bestimmt keinen Staat machen.
"Erzittert vor mir, oh Unwürdige! Ich bin es! Der mächtige finstere Herrscher, Thomas Kreuzworträtsel!" kicherte der Püschologe. "Fünf waagerecht und sieben senkrecht, und ich werde die Welt unterjochen!"
Galgenhumor, dachte er, als er sich wieder beruhigt hatte. Über irgend etwas mußte man vermutlich lachen, auch wenn einem innerlich eher danach zumute war, die Zimmereinrichtung mit (einem vermutlich heftig dabei protestierenden) Magnarox zu bearbeiten.
Seufzend fischte er seinen Notizblock aus der Hosentasche, zückte einen Bleistift und begann, sich Notizen zu machen. Soso, von einem alchimistischen Rezept hatte Harald zumindest gegenüber Gralon geredet. Am liebsten hätte Araghast den ehemaligen Obergefreiten ausgegraben und geschüttelt, bis dessen Knochen auseinanderfielen. Den Püschologen beschlich immer stärker das Gefühl, daß der Junge ihm so einiges verschwiegen hatte.

* * *


"Ich wollte nur anmerken, daß man vor der Entnahme des Gehirns eine Person doch wohl erst einmal töten oder zumindest betäuben müßte." Nachdenklich musterte Kolumbini die Leiche Roland Wiesels, die vor ihm auf dem Seziertisch lag. Eine rote Linie auf der Stirn verriet, wo die Gerichtsmediziner den Kopf des Toten geöffnet hatten.
"Nun, das müßte eigentlich schon sein." gab Jack Narrator zu. "Andererseits wird er wohl ziemlich gezappelt haben. Aber wir haben in seinem Blut nichts an irgendwelchen Drogen oder Betäubungsmitteln gefunden. Nicht einmal Alkoholspuren. Der Junge muß ein kompletter Musterknabe gewesen sein."
Und vermutlich habt ihr auch keine äußere Gewalteinwirkung feststellen können, dachte Kolumbini sarkastisch. Genausowenig wie irgendwelche Anzeichen die auf einen Tod durch Ersticken hindeuten, die da wären ein blau angelaufenes Gesicht oder irgendein Gegenstand der in der Luftröhre steckt. Aber Tatsache ist nun mal, er lebt nicht mehr.
"Und wer macht sich die Mühe, jemandem, der an einem plötzlichen Herzstillstand gestorben ist, einfach so eine Avocado in den Schädel zu schieben?" überlegte er laut.
"Vielleicht ist er ja wirklich an einem Herzstillstand gestorben und die Einbalsamierer haben sich einen kleinen Spaß erlaubt. Das vermuten zumindest einige." Jack zuckte hilflos mit den Schultern. "Und außerdem glaube ich nicht, daß es irgendwelche alchimistischen Substanzen gibt, die so etwas bewirken können."
"Vielleicht sollte mal ein Gildenexperte auf die Alchimisten anstatt auf die Einbalsamierer angesetzt werden." Kolumbini schritt langsam um die Leiche herum und begutachtete sie von allen Seiten. "Klar ist jedenfalls, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Weißt du, wer bisher mit dem Fall zu tun hatte?"
"Soweit ich weiß, ging der Fall an FROG raus." berichtete Jack.
"Vermutlich." nickte der Ermittler, nicht unzufrieden mit dem was er soeben gehört hatte. "Immerhin haben sie derzeit die einzigen aktiven Püschologen. Nun, ich werde mich drum kümmern."
Mit diesen Worten verließ er das Obduktionszimmer und trat hinaus in den kühlen Korridor. Wieder einer dieser typischen morporkianischen Leichenfunde, ging ihm durch den Kopf. Keiner kann wirklich sagen was passiert ist und die Todesursache ist mehr als obskur. Aber immerhin werde ich mit Araghast zusammenarbeiten, und nicht mit dieser nefer. Wo die steckt wissen wohl auch nur die Götter...
Nachdenklich klopfte er mit dem Zeigefinger gegen sein Glasauge und machte sich auf den Weg zu den Büros der FROG.

* * *


"Sie haben mich ausgelacht, Sir!" Vico van Vermeer schniefte in sein besticktes rosa Spitzentüchlein. "Mit dem Finger haben sie auf mich gezeigt! Was für eine katastrophale Blamage!"
Robin Picardo seufzte lautlos. Womit hatte er es bloß verdient, sich den Bericht des Experten für die Gilde der Einbalsamierer anhören zu müssen? Zumal von Bericht nicht wirklich die Rede sein konnte. Wie auch, wenn man die meiste Zeit innerhalb der Mauern des Gildenhauses ohnmächtig auf einem Sofa verbracht hatte? Der Dobermann war der Meinung, daß sein Kollege wohl noch einige püschologische Sitzungen mehr vertragen konnte als er bereits abgesessen hatte. Eigentlich hatte er eh von Anfang an nicht daran geglaubt, daß die Leichenpräparierer etwas mit der Avocado im Schädel des Jungen zu tun hatten.
"Nun, dann werde ich mal denen am Pseudopolisplatz mitteilen, daß die Spur tot war." erklärte er und wandte sich in die Richtung von Leutnant Mückensturms Büro.
Ein lautes Kreischen, wie von einem sehr großen Vogel, ließ ihn aufschrecken. Mit einem Satz war er bei der Tür und riß sie auf.
"Was ist denn hier..."
Robin verstummte. Ihm bot sich ein geradezu absonderliches Bild dar.
Von Leutnant Mückensturm war nicht die geringste Spur zu sehen. Rogi Feinstich, ihres Zeichens erste Kommunikationsexpertin der FROG, stand über die TK-Anlage gebeugt und schien mit einem großen, weißen Federball zu kämpfen, während ihre Kollegin Mindorah Giandorrrh eifrig Notizen auf ein Klemmbrett kritzelte.
"Ef geht nicht." stöhnte Rogi. "Die Abfufanlage ift fu klein."
"Und wenn wir noch etwas nachstopfen?" schlug Mindorah vor.
"Schu-huuuuuuh" beschwerte sich das weiße Federknäuel, welches Robin zu seinem Erstaunen als eine zerzauste Eule identifizieren konnte, welche nicht gerade begeistert davon zu sein schien, mit aller Macht in die Abschußvorrichtung der TK-Anlage gequetscht zu werden. Wütend funkelte sie den Chief-Korporal mit ihren kleinen, roten Augen an.
Dieser räusperte sich.
"Entschuldigung, aber was soll der ganze Aufstand hier eigentlich?" fragte er.
Als Rogi die Anwesenheit eines Vorgesetzten bemerkte, ließ sie die Eule los und salutierte, was sich als schwerer Fehler herausstellte. Kaum hatte er festgestellt, daß er frei war, hatte sich der Vogel schon in die Lüfte erhoben und landete außer Reichweite auf dem obersten Brett eines Regals, von wo aus er triumphierend mit seinen großen Augen auf die drei Wächter herunterstarrte.
"Schu-huuuh!" verkündete er.
"Jetzt lacht uns das Biest auch noch aus." brummte Mindorah und salutierte ebenfalls flüchtig, bevor sie sich wieder ihrem Klemmbrett zuwendete.
Robin musterte die große Eule und richtete sein besonderes Augenmerk auf den scharfen Schnabel und die spitzen Klauen.
"Fie heift Fridawulfa, För." erklärte Rogi. "Wir führen hier gerade auf Befehl def Kommandeurf einige Verfuche für die Refull... Rove... Modernifierung des Kommunikatfionffyftemf der Wache durch."
"Und diese... Vögel sollen unsere Tauben ersetzen?" Deutliche Skepsis schwang in Robins Stimme mit.
"Nun wir befinden uns immer noch in der Testphase, Sör." Mindorah klopfte auf ihr Klemmbrett. "Bisher hat sie es allerdings vorgezogen die Nachrichten zu verspeisen, anstatt sie auszuliefern. Aber wir arbeiten dran. Vielleicht klappt es, wenn wir die Botschaften mit etwas einreiben was Eulen nicht gern mögen."
"Hmmm." Robin klang immer noch nicht sehr überzeugt. Sein inneres Auge zeigte ihm scharfe Klauen, welche sich unvermutet während eines Streifegangs in seine Schulter bohrten. "Habt ihr eigentlich schon mal daran gedacht, wie auffällig so eine Eule ist?" warf er ein. "Man stelle sich vor, ein verdeckter Ermittler mitten in einer Mission bekommt Besuch von der vermutlich einzigen Eis-Eule die es vermutlich in der Stadt gibt."
"Ihr Einfatf ift eher für Fonderfälle geplant, För." Rogi schob ihre Hand in eine Tasche und zog eine tote Maus hervor, welche sie deutlich sichtbar auf ihrer Handfläche plazierte. "Komm her, Fridawulfa!" lockte sie.
Robin verzog das Gesicht, als die Eule abhob und zielgenau auf Rogis mit einer Lederschiene gepolsterten Arm landete, wo sie ihren Imbiß sogleich verschlang.
Und, wie es der Lauf der Geschichte so wollte, steckte Vico van Vermeer genau in diesem Moment seinen Kopf zur Tür herein, um nachzusehen wo sein Vorgesetzter so lange blieb. Als er der fressenden Fridawulfa gewahr wurde stieß er einen spitzen Schrei aus.
"IIIIIIIiiih!" kreischte er und schlug die Tür mit einem Knall zu.
Robin seufzte. In spätestens einer Minute würde die gesamte Abteilung hier versammelt sein um nachzuschauen, wer hier abgestochen wurde.
"Na dann noch viel Vergnügen mit dem Vieh." brummte er. "Und richtet eurem Püschologen aus, daß die Einbalsamierergilde mit diesem Roland Wiesel nichts zu tun hat."

* * *


Fast jede Kneipe im Multiversum die etwas auf sich hält besitzt mindestens ein geheimes Hinterzimmer. Dies ist quasi eine Art Naturgesetz. Wo sonst sollten diverse Verbrecherbanden und Geheimgesellschaften längs, quer und diagonal durch die Geschichte ihre Pläne aushecken? Solch ein Treffpunkt befand sich auf neutralem Boden. Keiner ging dort das Risiko ein, in seinem eigenen Haus aufgespürt zu werden. Normalerweise genügte es, dem Wirt in regelmäßigen Zeitabständen einen angemessenen Betrag zukommen zu lassen und ein wenig provozierend mit scharfen, spitzen Gegenständen herumzuspielen um zu verhindern, daß jemand es wagte, allzu neugierige Fragen zu stellen.

Lautlos wie eine Katze sprang die Gestalt von dem Dach eines Schuppens und landete elegant im Schatten einer großen Regentonne. Mit einer einzigen fließenden Bewegung, welche jahrelanges Training verriet, richtete sie sich auf und schlug die Kapuze zurück. Langes, weißblondes Haar schimmerte im Schein des Wirtshausschildes, dessen magisch beleuchtete Buchstaben den Namen Zum explodierenden Kessel formten.
Hastig sah sich die Gestalt um und eilte über die Straße auf den Eingang der Schenke zu. Ihre schwarzbehandschuhte Hand verschwand unter dem Umhang. Dann zog sie betont lässig die Eingangstür auf und stolzierte mit der den Assassinen eigenen, leicht überheblichen Würde in den Schankraum.
Nur wenige Besucher saßen an den Tischen und alle schienen plötzlich so sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt zu sein, daß sie dem Neuankömmling kaum Beachtung schenkten. Als er das Zuschlagen der Tür vernahm, blickte der Wirt kurz auf und nickte seinem neuen Gast zu.
Dieser bedachte ihn mit einem kalten Blick aus eisblauen Augen und schritt durch den Raum hindurch auf den Tresen zu. Als er die halbhohe Schwingtür erreicht hatte, blieb er stehen.
"Nun?" fragte er auffordernd.
Der Wirt ließ die Schultern sinken und zog einen der beiden Türflügel auf.
Sein Gast rauschte an ihm vorbei ohne ihn nur noch eines weiteren Blickes zu würdigen und verschwand in der schmalen Öffnung, welche vom Tresenbereich aus zu den hinteren Räumen des Gebäudes führte.
"Verdammte Assassinen." murmelte der Wirt beinahe lautlos. "Halten sich wohl immer für was Besseres."

Währenddessen folgte der Unbekannte dem schlecht beleuchteten Gang, vorbei an einigen Wandnischen und Verschlägen, in denen Stapel von Bierfässern und anderen Getränkeflaschen darauf warteten, von durstigen Gästen geleert zu werden. Eine Ratte lief quiekend über den grob gezimmerten Holzboden und verschwand in einem Loch in der Wand. Der Fremde schnaubte abfällig.
Schließlich blieb er vor einer ganz gewöhnlichen Holztür stehen. Einen Augenblick verharrte er reglos und lauschte in die Stille. Als er sich sicher war, daß ihm aus dem Schankraum niemand gefolgt war, hob er seine behandschuhte Rechte und klopfte in einem komplizierten Rhythmus an die Tür.
"Paßwort?" fragte eine gedämpfte Stimme auf der anderen Seite.
"Schwertfisch." antwortete der Unbekannte ruhig. [10]
Ein leises Klicken bedeutete, daß die Tür aufgeschlossen wurde und kurz darauf fiel ein breiter Lichtstrahl in den Gang.
"Tritt ein, Bruder Messer." forderte eine krächzende Stimme den Fremden auf. "Willkommen zurück in unserem Kreis."
Der Assassine trat durch die Tür, welche gleich hinter ihm wieder sorgfältig verschlossen wurde, und musterte die Anwesenden. Fünf Männer und eine Frau in langen dunklen Gewändern, welche allesamt aussahen, als hätten sie einige Zeit im Schrank verbracht, saßen um einen großen, runden Tisch herum, auf welchem ein schmiedeeiserner Kerzenhalter für die einer solchen Situation angemessene Beleuchtung sorgte. Sie alle waren bereits in mittleren Jahren angelangt.
Ein wenig abgerückt von den übrigen saß eine weitere Gestalt in einem ehemals pompösen, mittlerweile allerdings ziemlich vergilbten Ohrensessel. Ihr bleicher Schädel war kahlgeschoren und ihr Körper wurde von einer schlichten, dunkelroten Robe umhüllt. Trotz der spärlichen Beleuchtung war deutlich zu erkennen, daß die rechte Gesichtshälfte mit schweren Brandnarben übersät war.
Würdevoll deutete Bruder Messer eine Verbeugung an.
"Seid mir gegrüßt, Meister." formulierte er feierlich. "Es ist mir eine Ehre, Euch wieder zu dienen, jetzt wo Ihr zurückgekehrt seid."
Ein zahnloses Lächeln erschien auf den Lippen des Meisters und seine Augen funkelten, als er den Ärmel seines Gewandes hochschob und eine Tätowierung in Form einer schwarzen Lilienblüte enthüllte.
Bruder Messer trat vor und berührte sie leicht mit seinen Lippen. Dann wandte er sich dem Tisch zu und nahm Platz.
"Zwei fehlen." stellte er fest.
"Mein geschätzter Ehemann hat leider den Weg zu seinen Vorfahren angetreten." erklärte die Frau mit gesenktem Blick. "Nun bleibe nur noch ich zurück, als letzte Vertreterin meiner Familie."
"Das tut mir Leid, Schwester Immerschön." Er ergriff ihre Hand und drückte sie kurz. Dann wandte er seinen Blick dem anderen freien Platz zu.
Der Meister verstand.
"Ich fürchte, auch diesen Bruder weilt nicht mehr unter uns. Er starb ehrenvoll in meinen Diensten, um den geheimen Plan nicht preisgeben zu müssen."
"Beziehungsweise weil er seinen im wahrsten Sinne des Wortes kranken Neigungen freien Lauf gelassen hat." wisperte ein schwarz gekleideter Mann mit fettigem Haar. "Er ist schwach geworden und hätte uns beinahe verraten. Immerhin besaß er noch genug Ehre um sich selbst zu töten, bevor die Stadtwache ihm unser Geheimnis entreißen konnte."
"Die Stadtwache." schnaubte Schwester Immerschön abfällig. "Ein reiner Glückstreffer, wenn ihr mich fragt. Bruder Skalpell hätte uns niemals verraten."
"Ruhe!" befahl der Meister. "Bruder Reagenzglas, wir haben wichtigeres zu besprechen, als uns über das Verhalten eines verstorbenen Mitgliedes aufzuregen. Bruder Skalpell hat unserer Sache immer treu gedient und seine Taten geschahen stets in der besten Absicht für uns, selbst seine letzte, der leider nicht der Erfolg vergönnt war den sie erreicht haben könnte wenn nicht die Wache gewesen wäre. Aber wo kämen wir denn hin wenn wir uns vor der Wache fürchten müßten? Tatsache ist jedenfalls, daß ich von einem Spion erfahren habe, daß die Zeit günstig ist, um bald zuzuschlagen. Der Orden wird nachlässig, habe ich mir sagen lassen. Ihre Wacht ist nicht mehr so sorgfältig wie früher. Deshalb haltet euch bereit! Wir werden eine Menge zu tun haben in nächster Zeit."

* * *


Während sich die Versammlung im Hinterzimmer des explodierenden Kessels ihrem eigentlichen Hauptanliegen zuwandte, schlenderte Araghast Breguyar auf eben selbiges Wirtshaus zu. Ohne es zu wollen hatten ihn seine Schritte schließlich dorthin gelenkt. Nun stand er auf derselben Stelle, auf der noch vor wenigen Minuten Bruder Messer nach seinem Absprung vom Schuppendach gelandet war und beobachtete die bunte, magische Leuchtschrift. War es erst zwei Abende her, als sie Leas fünfundzwanzigsten Geburtstag dort gefeiert hatten? Es kam ihm bereits wie eine Ewigkeit vor. Verdammtes Lokal. Und verdammter Wirt. Warum hatte er unbedingt um Punkt zwei Uhr Nachts schließen müssen? Hastig hatten sie ihre Getränke hinuntergestürzt und waren gegangen, nur um kurze Zeit später Ephraim Farrux in die Arme zu laufen.
Nein, hier würde er garantiert nicht noch einmal trinken.
Warum passierten immer alle schlimmen Dinge auf einmal, fragte er sich mißmutig, als er weiterschlurfte. Seine Hand umklammerte den mit Untervektor-Rum gefüllten Flachmann, welcher in seiner Manteltasche steckte. Er meinte sich erinnern zu können, irgendwo einmal gelesen zu haben, daß manche Leute aus Lebensfrust zu trinken begannen. Am Allerliebsten hätte er Magnarox gezogen, sich zu Farrux' Residenz begeben und den Kaufmann in handliche Stücke gehackt, so groß war seine Wut. Seit er an diesem Morgen Leas Brief erhalten hatte, glaubte er zu verstehen, was im Inneren von Personen vorging, die im Affekt töteten.
A propos töten...
Roland Wiesel schien auch von niemandem getötet worden zu sein. Araghast hatte einen zermürbenden Nachmittag in der Lehrergilde zugebracht und diverse Angestellte und Gildenmitglieder über ihr Verhältnis zu dem jungen Buchhalterlehrling befragt. Diese Untersuchungen hatten ihn in seinem Verdacht nur bestätigt, daß Roland Wiesel ein dermaßen langweiliger Mensch gewesen sein mußte, daß selbst seine Arbeitskollegen ihn kaum wahrgenommen hatten. Vermutlich wurde seine Anwesenheit bei irgendeinem Experiment welcher Art auch immer einfach übersehen und die Sache war nichts als ein dummer Unfall, überlegte Araghast bissig und gönnte sich einen tiefen Schluck aus seinem Flachmann. Zudem bedeutete die Unschuld seiner Arbeitskollegen, daß der Fall nicht der DOG übertragen wurde, sondern weiterhin an ihm und Kolumbini hängenblieb. Zur Erleichterung des Püschologen war der RUM-Ermittler kurz nach dem Mittagessen in seinem Büro aufgetaucht um sich die bisherigen Unterlagen des Wiesel-Falls zur Ansicht abzuholen. Kolumbini und er gegen einen schier verrückten Fall: Diese Zusammenarbeit hatte schon einmal zu einer erfolgreichen Ermittlung geführt. Und außerdem verstanden sie sich recht gut. Doch insgeheim bezweifelte Araghast, daß sein Kollege mit dem bisher ziemlich dürftigen Material mehr anfangen konnte als er selbst. Blieben nur noch Harald Alonzo Trödelgreif, das ominöse alchimistische Rezept, dieser Spinner namens Thomas Kreuzworträtsel alias Lord Todesschwinge und das seltsame, ja beinahe panische Verhalten des jungen Zaubereistudenten ihm selbst gegenüber. Vielleicht würde Lea...
Und schon fühlte er wieder einen Stich im Herzen. Er konnte nicht mit Lea reden. Sie war derzeit unerreichbar für ihn. Mit steifgefrorenen Fingern schraubte er den Verschluß seines Flachmannes ab und dezimierte dessen Inhalt um einige Schlucke. Männer redeten im Gegensatz zu Frauen nie über ihre Probleme, ging ihm durch den Kopf. Sie fraßen ihre Sorgen in sich hinein oder spülten sie mit alkoholischen Getränken herunter.
Etwas zu trinken, womit man seinen inneren Schmerz betäuben konnte- genau das brauchte er jetzt. Etwas starkes...
Eine Erinnerung regte sich in den hinteren Bereichen von Araghasts Gedächtnis. Eine Erinnerung, die er vor Monaten dort verstaut hatte um sie niemals wieder hervorzuholen. Das Phantom eines süßen, köstlichen Geschmackes, welches seine Zunge kitzelte. Vor seinem inneren Auge erschien das Bild einer düsteren Straße und einem ganz bestimmten Geschäft. Und der Ware, die dort angeboten wurde...
Er hatte sich geschworen, es nie wieder zu tun. Und doch...
Das Verlangen wurde beinahe unerträglich. Eine Weile versuchte Araghast verzweifelt, dagegen anzukämpfen, doch selbst die Hälfte des Inhaltes seines Flachmanns half nicht, die Sehnsucht zu unterdrücken. Es war bereits passiert. Er hatte den verbotenen Saft gekostet und war ihm verfallen. Sein Erbe, welches er immer zu verleugnen versuchte, rief ihn.
Langsam machte er sich auf den Weg. Was soll es, schoß es ihm durch den Kopf. Keiner würde es je erfahren. Nicht einmal Valdimier.

Die Klopfdrehgasse lag in tiefem Schatten. Eine dunkle Höhle gähnte dort, wo sich der Eingang zu der Kellerwohnung befand, in der ehemals der tragische Vampirpoet Jakob von Offenbach residiert hatte. Ein fahles, ungesundes Licht, welches es völlig verfehlte seine Umgebung zu erhellen, schimmerte im Schaufenster von Olivanders Igordrom. Zögernd lenkte Araghast seine Schritte in Richtung Ladentür.
Vielleicht hat das Geschäft ja geschlossen, meldete sich der letzte, noch nicht in Untervektor-Rum und Frust ertränkte Funken seines Gewissens zu Wort.
Doch Araghast gab ihm einen mentalen Tritt. Wozu brauchte er schon ein Gewissen? Wenn jemand seinen derzeitigen Zustand zu verantworten hatte, dann war es Ephraim Farrux. Vielleicht sollte er ihn zur Strafe...
Nein, das kam auf gar keinen Fall in Frage. Und vermutlich schmeckte er nur nach ranzigem Fett.
Vorsichtig, als ob sie glühend heiß wäre, näherte sich Araghasts Hand der Türklinke. Langsam umschlossen die langen, knochigen Finger den Griff und drückten ihn herunter.
Mit einem leisen Klicken sprang die Tür auf.
Jetzt hieß es vorsichtig sein. Wenn er die Tür zu weit aufstieß, würde er die Totenglocke, welche normalerweise neue Kundschaft ankündigte, in Betrieb setzen und auf sich aufmerksam machen, bevor er den Laden überhaupt betreten hatte. Zentimeter um Zentimeter arbeitete er sich vor, bis der Spalt schließlich groß genug war, um ihn durchzulassen. Verstohlen quetschte er sich hindurch und schloß die Tür ebenso langsam wieder, wie er sie geöffnet hatte. Dann atmete er tief durch.
Vor ihm erstreckten sich die bereits bekannten Regale mit den Igor-Bedarfsartikeln. Das kränkliche Licht, welches er bereits von draußen bemerkt hatte, schien seinen Ursprung im hinteren Teil des Geschäftes zu haben, dort wo der Ladentisch stand.
Und dann hörte er die Stimmen.
Die beiden Sprecher redeten mit gedämpften Stimmen, doch Araghasts scharfes Gehör konnte einige Wortfetzen entschlüsseln.
"...einfach gestohlen..."
"...darum kümmern... ...den Fall übernehmen..."
"...nicht einmal eine Quittung..."
Glas klirrte und ein gluckerndes Geräusch wies darauf hin, daß jemand Flüssigkeit in ein Gefäß schüttete.
So lautlos wie möglich pirschte sich Araghast durch die Regalreihen. Hinter einem ausgestopften überwaldianischen Brummbären blieb er schließlich stehen und spähte vorsichtig unter dessen erhobenen Pfoten hindurch.
Als er sah, wer dort an der Theke stand, hätte er vor Erstaunen beinahe eine unbedachte Bewegung gemacht und eine Phiole vom Regal neben sich gewischt. Die Person, welche in ein intensives Gespräch mit Herrn Olivander vertieft zu sein schien, stand mit dem Rücken zu ihm, doch er hätte sie überall und aus jedem noch so seltsamen Blickwinkel erkannt. Die Art, wie der Vampir seinen Umhang über die Schulter nach hinten geworfen hatte, das immer sorgfältig frisierte schwarze Haar und die Pistolenarmbrust, welche lässig hinter seinem Gürtel klemmte- selbst die graue GRUND-Uniform wirkte nur allzu vertraut.
Was bei allen Göttern von Würdentracht tat Valdimier van Varwald zu dieser Uhrzeit hier in Olivanders Igordrom?
Doch dann erspähte Araghast die zur Hälfte gefüllte Flasche, die unübersehbar auf dem Tresen stand. Ihr Inhalt schimmerte dunkelrot. Nein, schoß es ihm durch den Kopf. Val würde doch nicht etwa...
Doch dann erinnerte er sich, wie sein Kollege und Freund ihn damals scheinbar so ganz nebenbei nach der Adresse des Ladens gefragt hatte. Angeblich um dort nach überwaldianischen Importumhängen zu fragen...
Trotz der Gier, die immer noch in ihm wütete, beschloß Araghast, den Rückzug anzutreten. Was würde Valdimier bloß von ihm denken, wenn er hier plötzlich ohne erkennbaren Grund auftauchte? Entschlossen wandte er den Blick ab und tastete sich Schritt für Schritt rückwärts in Richtung Tür.
Doch Schicksal schien zur Zeit wirklich darauf aus zu sein, ihm die Halbuntotenexistenz schwer zu machen. Gerade als er sich um eine Ecke stehlen wollte, schlug Magnarox' Scheide geräuschvoll gegen eine der metallenen Regalstreben. Araghast zuckte zusammen und drückte sich in den nächstbesten Schatten.
Das leise Gespräch verstummte abrupt.
"Psst!" hörte er Valdimier zischen. "Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich werde nachsehen."
Das unverkennbare Geräusch des Spannens einer Armbrust drang an Araghasts Ohren. Verdammte Blutgier, fluchte er lautlos. An Flucht war nicht mehr zu denken, wenn Valdimier erst auf der Pirsch war. Er würde sich entweder stellen müssen oder darauf warten, von einem Armbrustbolzen durchlöchert zu werden. Und sein Freund war ein guter Schütze...
"Also gut." erklärte er resigniert. "Ich komme raus."
"Dann lassen Sie alle Waffen fallen und treten Sie mit erhobenen Händen ins Licht!" befahl Valdimier.
Araghast sah zu Magnarox hinab und zog schnell seinen Mantel über das Schwert. Dann holte er seinen Flachmann hervor und nahm einen großen Schluck. Jetzt ging es darum, möglichst seine Würde zu bewahren.
"Nun, was ist?" forderte Valdimier ihn barsch auf. "Ich kann auch kommen und Sie holen, aber ich verspreche Ihnen, daß es Ihnen besser bekommt, wenn sie sich selbst ergeben."
"Leg die Armbrust weg, Val." Araghast begann, sich im Schatten der Regale auf den Tresen zuzubewegen. "Ich habe keine Lust, hier und heute aus Versehen draufzugehen."
Direkt vor ihm stand der Bär. Vorsichtig spähte er durch seine alte Beobachtungslücke.
Valdimier kniete mit erhobener Pistolenarmbrust im Schatten der Ladentheke und schien unschlüssig zu sein, was er tun sollte. Er schien angestrengt nachzudenken.
"Irgendwo her kenne ich Ihre Stimme." stellte er schließlich fest.
Ein dünnes Lächeln erschien auf Araghasts Lippen. Zumindest ein wenig sollte sein Freund dafür büßen, daß er ihm den heimlichen Blutgenuß vermasselt hatte.
"Denken Sie nach, Wächter." antwortete er im selben Tonfall. "Wer hat Ihnen von Olivanders Igordrom erzählt?"
Jetzt, wo der Blick auf den Tresen frei war, erkannte Araghast neben der Flasche zwei Gläser. In einem von ihnen befand sich noch ein kleiner Rest der Flüssigkeit, nach der es ihn so sehr verlangte.
Valdimier zögerte kurz und ließ schließlich die Armbrust sinken.
"Bregs?" fragte er in einem Tonfall, in dem sowohl Erstaunen als auch leichte Besorgnis ausdrückte. Sein Blick glitt zu der Flasche und den beiden Gläsern. Schnell sprang er auf und stellte sich vor die Beweisstücke. "Bist du das?"
"Wer sonst." gab Araghast mit einem sarkastischen Ton in der Stimme zurück und trat ins Licht. "Der ominöse Lord Todesschwinge vielleicht, den wir vermutlich bald jagen dürfen?"
"Was- warum bist du hier?" stammelte Valdimier, sichtlich aus dem Konzept gebracht.
Araghast verschränkte die Arme und trat einen Schritt vor.
"Das kann ich dich genauso gut fragen." bemerkte er. "Was machst du hier?"
"Äh, Herr Olivander hier... in sein Lager wurde vor ein paar Tagen eingebrochen und insgesamt zehn ziemlich wertvolle Kupferkessel gestohlen. Ich wollte fragen ob es ihn stört wenn ich ein paar Rekruten zur Übung auf den Fall ansetze."
"Das stimmt." bestätigte der Ladenbesitzer aus seinem Versteck hinter dem Tresen.
"Ah ja, und deshalb ermittelst du hier noch am späten Abend?" hakte Araghast nach.
"Du bist nicht mehr nüchtern." Valdimier musterte seinen Kollegen gründlich. "Was ist los mit dir, Bregs?"
"Was mit mir los ist?" fauchte Araghast. "Der arme, gesellschaftlich inakzeptable uneheliche Sohn einer Näherin ist gerade unterwegs um sich die Kante zu geben weil er sein beschissenes Leben mal für ein paar Stunden vergessen will und unterwegs hat sein Erbe das er eigentlich vergessen wollte ihn eingeholt, so daß er nun hierhergekommen ist um in Ruhe ein Glas Blut zu kippen. Bist du nun zufrieden?"
Valdimier starrte ihn erschrocken an.
"Wie dem auch sei." seufzte Araghast. "Und du bist auch nicht wegen des Falles hier. Ich habe die Flasche und die Gläser gesehen."
Widerwillig trat Valdimier zur Seite und gab den Blick auf die Beweisstücke frei.
"Wir können uns beide nichts vormachen." stellte er fest. "Aber dir ist was ziemliches über die Leber gelaufen. Du hast dich immer mal gefragt, wer den Püschologen therapiert."
"Nächtliche Spaziergänge und eine Menge Fusel." Araghast trat an den Tresen heran und hielt die Flasche gegen das Licht. "Jungfrau Spezial." las er vor. "Schmeckt es?"
"Ah, Sie kenne ich doch!" Herr Olivander war hinter dem Tresen aufgetaucht und lächelte Araghast breit an. "Mein kleiner halber Nosferatu Sanguineus. Ich habe doch recht gehabt als ich sagte, daß Sie eines Tages zurück kommen würden." Er griff hinter sich und nahm ein weiteres Glas aus dem Regal. Als er es füllte glaubte Araghast, in seinen Augen ein triumphierendes Aufblitzen zu erkennen. "Möchten Sie auch noch ein Glas, Herr van Varwald? Es ist erstklassige Ware aus der Blutbank. Kein Dackelsaft, wie ihn einige der unseriösen Anbieter verkaufen und es als Menschenblut ausgeben."
"Gern." Valdimier nickte dem Ladenbesitzer zu. Dann wandte er sich an Araghast. "Und du erzählst mir jetzt genau, was los ist."

* * *


Wütend starrte Lea auf die Wand der Bibliothek. Um sie herum ragten penibel saubergehaltene Regale bis an die Decke des fensterlosen Raumes. Onkel Wermut wußte schon, warum er sie hier eingeschlossen hatte, während sich der Rest der Familie in der Oper befand. Die Fluchtmöglichkeiten waren ziemlich spärlich gesät. Ihr Onkel hatte in weiser Voraussicht, daß Lea versuchen würde, das Türschloß mit einer ihrer Haarnadeln zu knacken, von außen einen Schrank vor die Tür geschoben. Die junge Frau hatte das rumpelnde Geräusch deutlich hören können, als das schwere Möbelstück über den Boden geschrammt war und hoffentlich einen von Tante Begonias heißgeliebten klatschianischen Teppichen zerrissen hatte. Einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, es mit dem Kamin zu versuchen, doch die Anzahl der Gegenargumente überwog bei weitem. Und vermutlich steckte eh irgendwo auf halber Strecke ein erstaunlich stabiles Metallgitter. Im flackernden Licht der Öllampe musterte Lea die Regale. Normalerweise hielt sie sich selten in der Bibliothek auf. Die Bücher, die hier gelagert waren, interessierten sie eigentlich recht wenig. Geschichte der Patrizier Ankh-Morporks glänzte in goldgeprägten Lettern auf der Rückseite eines in dunkles Leder gebundenen Buches. Gelangweilt griff Lea nach dem Band, legte ihn auf eines der Regale und schlug ihn auf. Vor ihr breitete sich das Leben des hypochondrischen Lord Berggießhübel in Form einer sorgsam ausgearbeiteten Tabelle aus. Lea seufzte leise. Araghast hätte so etwas bestimmt interessant gefunden. Was er wohl gerade trieb? Vor ihrem geistigen Auge sah Lea ihn an seinem Schreibtisch sitzen, die Nase in einem Püschogramm oder einem seiner zahlreichen Bücher. Über die 100 größten Verschwörungen der Scheibenwelt hatte er sich jedenfalls ziemlich gefreut. Und nun sollten sie ihre Beziehung aufgeben, nur weil ein ekelhafter, schwabbeliger, neureicher Schwallsack...
Ephraim Farrux. Urplötzlich fühlte Lea den unstillbaren Drang, ihm auf der Stelle den Hals umzudrehen.
"Verdammt." knurrte sie und schloß die Annalen der Patrizier mit einem lauten Knall. "Irgendwie kriege ich dich noch dran. Eines Tages. Und wenn ich einige Jahre darauf warten muß!" [11]
Entschlossen griff sie nach ihrer Krücke und hinkte auf den selbst zwischen den gewaltigen Bücherregalen massiv wirkenden Eichenholzsekretär zu. Vermutlich hatte Onkel Wermut diesen Bastard bereits in die Familienpapiere eingetragen. Da sie sonst nichts zu tun hatte konnte sie auch gleich einmal nachschauen, ob sich dort nicht vielleicht etwas fand, womit man Druck auf irgendein Familienmitglied ausüben konnte.
Die Schublade, welche die Familienpapiere enthielt, war selbstverständlich verschlossen, doch eine Haarnadel half entscheidend dabei, diesen Faktor zu eleminieren.
Schließlich lag es vor Lea auf der geöffneten Klappe des Sekretärs: Das Stammbuch der Familien Bolzano und Evanus. Vorsichtig schlug sie die erste Seite auf.
Ein Gewirr von Namen, welche der jungen Frau so gut wie gar nichts sagten, erstreckte sich auf dem dünnen Pergament. Desinteressiert blätterte sie weiter, bis sie auf zwei bekannte Namen stieß, die zusammen mit einem dritten eine komplette Seite für sich beanspruchten. Egmont Bolzano und Eugenie Weierstrass. Das Symbol zweier Eheringe verband die beiden und ein schwarzer Strich führte zu einem weiteren Namen, welcher ihr nur allzugut bekannt war: Hieronymus von Bolzano-Weierstrass. Ermordet im Jahr des neurotischen Geziefers von seinem Gehilfen Antonius Kohschi. Leas Hand krampfte sich um den griff ihrer Krücke. War es wirklich erst ein knappes Jahr her?
Traurig blätterte sie eine Seite weiter. Dieser Teil des Stammbaumes schien sich mit dem Bruder Egmonts und dessen Nachfahren zu befassen. Ihrem Großvater, den sie niemals kennengelernt hatte: Heinrich Bolzano und seine Frau Karoline, eine hagere, spitznasige Frau mit einem unübertrefflichen Talent zum Verbreiten von allerlei Gerüchten. Von Karoline und Heinrich führten zwei Äste zu Wermut und Tricia Bolzano. Onkel Wermut war die standesgemäße Ehe mit Begonia Evanus eingegangen, während Tricia die Frau von Henning Eule geworden war, einem Beamten in Diensten des damaligen Patriziers Lord Schnappüber. Beide waren als sie gerade einmal sechs Jahre alt war in einem fatalen Eselskarrenunfall ums Leben gekommen, bei welchem sie selbst ihr Bein verloren hatte. Ihr Blick wanderte zurück zu Onkel Wermut und seiner Familie. Und dort waren sie: Antonia und Elisabeth. Doch der Platz unterhalb Elisabeths war leer. Ephraim Farrux war noch nicht eingetragen worden. Dafür zeugte der Stammbaum von Antonias gescheiterten Ehen: Die erste mit Bendix Bläulich, der auch ihre Tochter Erika entsprang, und die zweite mit Alois Permanent. Ein böses Lächeln stahl sich auf Leas Lippen. Das geschah ihr gerade recht...
Doch dann sah sie einen kleinen Stern neben Tante Begonias Namen. Neugierig blätterte sie um.
Ein anderer Stammbaum bot sich ihr dar. Die vertraute Linie der Bolzanos sprang ihr sofort ins Auge, doch plötzlich stutzte sie. Neben Begonia befand sich ein anderer Name. Liliana Evanus. Verwirrt runzelte Lea die Stirn und schob ihre Brille zurück auf die Nasenwurzel. Sie konnte sich nicht erinnern, daß ihre Tante jemals eine Schwester erwähnt hatte. Doch hier stand es schwarz auf weiß: Lilianas Ehe mit einem gewissen Johannes Trödelgreif und ein aus diesem Bund entsprungener Sohn namens Harald Alonzo. Anscheinend hatte Tante Begonia aus irgendwelchen Gründen etwas gegen ihre Schwester, die ebenfalls zusammen mit ihrem Ehemann bereits vor einigen Jahren verstorben war. Der Junge, der mittlerweile ungefähr achtzehn Jahre alt sein mußte, schien jedoch noch am Leben zu sein. Wer hatte sich nach dem Tod seiner Eltern um ihn gekümmert? Ob sie dort einmal nachhaken sollte?
Aber erst einmal hatte eine andere plötzliche Idee Vorrang. Eine mit Tinte gefüllte Flasche und eine Feder lagen geradezu verlockend in einem der Fächer. Lea blätterte eine Seite zurück, zu ihrem eigenen Namen. Dann schraubte sie das Tintenfaß auf, tunkte die Feder hinein und malte sorgfältig zwei verschlungene Eheringe unter die schnörkelige Inschrift 'Leonata Wilhelmina Eule'. Darunter pinselte sie sorgfältig Araghast Breguyar.
Geduldig wartete sie, bis die Tinte getrocknet war und schloß dann Stammbuch und Schreibutensilien wieder sorgfältig weg. Dann lehnte sie sich gemütlich auf dem Schreibtischstuhl zurück und lachte.
Es war jene Sorte von Gelächter, welches einem zufällig anwesenden Zuhörer die Haare zu Berge stehen hätte lassen.

* * *


"Und deshalb habe ich heute Abend einfach meine Nase in die Flasche gesteckt." beendete Araghast seine Erzählung. "Ich hatte einfach die Schnauze voll von allem. Wenn, dann kommt alles auf einmal."
Valdimier nickte mitfühlend.
"Üble Sache, das." stimmte er zu. "Aber ich wette mit dir, irgendeine Lösung wird sich schon finden. Sowohl für das eine als auch für das andere."
"Ich hoffe es." brummte Araghast und trank genüßlich den letzten Schluck auf menschliche Körpertemperatur angewärmten Blutes.
Olivander seufzte und schenkte sich den restlichen Inhalt der Flasche ein.
"Die Welt ist schon schlecht. Wenn ich den in die Finger bekomme der mir die Kessel gestohlen und noch nicht mal eine Quittung zurückgelassen hat..."
"Ich werde mich mit meinen Rekruten drum kümmern." erklärte Valdimier schnell. "Ihnen kann ein wenig Ermittlungspraxis nicht schaden."
"Wenn das so ist, warum setzt du sie dann nicht auf Roland Wiesels Leiche an?" bemerkte Araghast. "Damit würdest du eine Menge Wächter sehr glücklich machen."
"Schieb den Fall doch an DOG ab." gab Valdimier zurück. "Falls das Aussageprotokoll von diesem Trödelgreif wirklich bisher die einzige Spur ist, können die ja mal jemanden in die Alchimistengilde schicken."
"Die Alchimisten!" Araghast schnippte mit den Fingern. "Das wäre wirklich mal eine Idee. Das was in Gralons Bericht stand klang zwar nach einer Menge Humbug und dem Gefasel eines chronisch paranoiden Halbstarken, aber versuchen können wir es ja mal, wenn wir sonst schon nichts zu tun haben."


Tag 3: Rumms oder nicht Rumms, das ist hier die Frage, und wie war das noch mal mit dem Adel?


Neugierig musterte Araghast die Fassade des Gebäudes, auf welches die Adresse Springstraße Nummer 21 zutraf. 'Boucherie Rouge' verkündete die rote Leuchtschrift über dem Eingang. Und in diesem Haus sollte sich die Abteilung DOG befinden...
Als er die Tür öffnete, kam ihm ein sichtlich zufriedener Mann entgegengetorkelt. Sein Gesicht zierte jenes besondere Grinsen, welches man bei Männern nur sah, wenn sie gerade etwas besonders schönes erlebt hatten.
"He, Junge, das Zimmer ganz links." Verschwörerisch zwinkerte er dem Püschologen zu. "Die ist echt ne Wucht, Kleiner."
Araghast war ernsthaft versucht anzumerken, daß er bereits sechsundzwanzig Jahre alt war und für seinen akuten Mangel an Bartwuchs nichts konnte, und daß er außerdem dienstlich hier sei, ließ es dann aber bleiben. Der Freier hätte vermutlich eh nicht zugehört. Der Püschologe seufzte leise und schlüpfte in den Korridor. Dann stimmte es also doch, daß die DOG sich das Gebäude mit einigen Mitgliedern der Näherinnengilde teilte...
Schummeriges Licht umfing ihn und neugierig sah er sich um. Wo mochten bloß die verdammten Büros stecken?
"Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?" säuselte eine Stimme dicht an seinem rechten Ohr und eine Hand strich zärtlich über seinen Nacken.
Erschrocken fuhr Araghast herum und fand sich Auge in Auge mit einer jungen, stark geschminkten Frau in spitzenbesetzter Miederware wieder, welche ihn selbstsicher anlächelte.
Der Püschologe runzelte die Stirn.
"Ich suche Chief-Korporal Robin Picardo." erklärte er kühl. "Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie meinen Zopf in Ruhe lassen würden."
Enttäuscht löste die leichtbekleidete Dame ihre Hände von dem langen, geflochtenen Haarstrang und verzog mitleidig das Gesicht.
"Ach, ihr Wächter seid immer so ernst." flötete sie und gab ihm mit ihrem sorgfältig manikürten Zeigefinger einen spielerischen Nasenstüber. "Ich habe gehört, Männer mit einer Augenklappe sollen verwegene Gesellen sein. Komm doch mit und zeige es mir..."
"Ich zeig Ihnen gleich wo die Zellen liegen, wenn Sie weiterhin einen Wächter in Ausübung seiner Pflicht behindern, Süße." knurrte Araghast mit zusammengebissenen Zähnen. Seine Laune befand sich eh schon wieder knapp unter dem Gefrierpunkt, sein Schädel brummte leicht vom ausgiebigen Konsum alkoholischer Getränke am gestrigen Abend (Natürlich waren Valdimier und er nachdem Olivanders Igordrom geschlossen hatte noch ausgiebig im 'Eimer' versackt, wo sie noch Kanndra getroffen hatten) und jetzt auch noch diese Näherin, die geradezu darauf aus zu sein schien, ihn flachzulegen. Wie hielten die Mitglieder der DOG dies bloß jeden Tag aus? "Also, wo zum Pandämonium steckt Picardo?" versuchte er es in einem etwas härteren Tonfall.
"Zweiter Stock." erklärte die Näherin kurz angebunden und schob beleidigt die Unterlippe vor.
"Na bitte, es geht doch." Araghast wandte sich ab und begann, die Treppe hinaufzusteigen. Jetzt mußte er nur noch Robin Picardo überzeugen, 'seiner' Gilde einen Besuch abzustatten.

* * *


Mit wehendem Laborkittel eilte Severin Schnäppchen, seines Zeichens Lehrmeister für giftige Gebräue, [12] durch die Kellergewölbe des derzeitigen Gebäudes der Alchimistengilde und dankte innerlich seinem ausgeklügelten Informantensystem, durch das er über jedes wichtigere Ereignis innerhalb der Gilde informiert war. Letztendlich hatte es sich doch gelohnt, den unbeliebten Posten des Lehrmeisters zu übernehmen. Die Gildenlehrlinge fraßen ihm aus der Hand. Vermutlich saß der junge Spanzlani gerade in irgendeiner Taverne und legte den Ankh Morpork-Dollar den er ihm gegeben hatte in ethanolhaltigen Getränken an. Wenn er wüßte, wie unbezahlbar die zufällig erlauschte Information für den Meister der giftigen Gebräue war...
Severin Schnäppchen warf die schwere, eisenbeschlagene Tür seines Kellergewölbes hinter sich zu und schob sämtliche Riegel vor. Tief durchatmend lehnte er sich dagegen und strich sich das fettige, schwarze Haar aus dem Gesicht. Ganz ruhig bleiben, sprach er sich selbst Mut zu. Vielleicht ist alles gar nicht so wild wie du denkst.
Doch die Tatsache, daß sich die Stadtwache Informationen über ein alchimistisches Rezept in Zusammenhang mit dem Namen Trödelgreif erbeten und auch erhalten hatte, trug nicht gerade dazu bei, seine Nerven zu beruhigen. Was war passiert? War die Wache dahintergekommen, daß sein Meister aus seinem Exil in Überwald zurückgekehrt war und wieder unter ihnen weilte? Oder hatte irgend jemand einen etwas fähigeren Wächter als denjenigen, der den Fall vor einem knappen Jahr bearbeitet hatte, damit beauftragt, das Ganze noch einmal aufzurollen?
Und dabei hatten die Lebenstrinker doch erst damit begonnen, ihren Plan auszuhecken...
Nervös legte Severin die linke Hand auf seinen rechten Unterarm, dort wo sich unter diversen Kleidungsschichten die tätowierte schwarze Lilie befand. Alles wird gut, versuchte er sich einzureden. Niemand hat dich jemals mit deinem Meister in Verbindung gebracht. Keiner weiß überhaupt von der Vereinigung der Lebenstrinker, abgesehen von diesem verdammten Orden mit dem absolut lächerlichen Namen, der vermutlich lieber kollektiven Selbstmord begehen würde als sich an die Wache zu wenden. Und was damals im privaten Labor der Trödelgreifs geschehen ist, hat offiziell immer als tragischer Unfall gegolten. So etwas kam bei Alchimisten immer wieder vor. Gar kein Grund zur Besorgnis, daß dort jemand nach so vielen Jahren noch Spuren entdeckte.
Aber weshalb auch immer die Wache Nachforschungen anstellte: Er mußte den anderen Bescheid geben.

* * *


Viele Legenden ranken sich um die Frage, was wirklich mit Herrn Hong geschah. Fest steht, daß sich in der Unheilsstraße vor langer Zeit ein Kult etablierte, doch seltsamerweise mag niemand sagen, welche blasphemische Gottheit in jenem verfluchten Tempel angebetet wurde, welcher schließlich vor einigen Jahren ohne offensichtlichen Grund einstürzte. Da Wohnraum in Ankh-Morpork nicht lange ungenutzt bleibt, wurde schon bald nach dem Vorfall ein neues Haus auf eben diesem Gelände errichtet, welches von einem gewissen Herrn Hong erworben wurde, einem Einwanderer aus dem Achatenen Reich, welcher plante, dort ein Restaurant namens 'Dreimal Glücklicher Fischimbiß' zu errichten. Doch dazu sollte es nie kommen. In der Nacht vor der Eröffnung muß etwas Unvorstellbares geschehen sein. Einige mutige Bürger, die sich später in die Räumlichkeiten des Imbisses wagten, berichteten von einer einsamen menschlichen Niere, welche sie auf dem Fußboden gefunden hatten, sowie einem Gestank der 'selbst den des Ankh in den Schatten stellte', wie ein Augenzeuge berichtete. Doch hier kommen die Umstände der Eröffnung ins Spiel. Herr Hong verschwand in der Nacht der Wintersonnenwende, in welcher zu allem Übel auch noch der Vollmond hoch am Himmel stand. Welche übernatürlichen Mächte hatten dort ihre Hände im Spiel? Hat der Fluch des zerstörten Tempels den Restaurantbesitzer eingeholt? Und wohin führt die Falltür die im Hinterzimmer des Ladens gefunden...

Es klopfte.
Mißmutig klappte Araghast das Buch zu. Warum schienen seine Kollegen ein so untrügliches Gespür dafür zu besitzen, wann sein Buch gerade wieder spannend wurde? Schnell ließ er die 100 größten Verschwörungen der Scheibenwelt in der obersten Schreibtischschublade verschwinden und setzte sich auf.
"Herein!" rief er und spähte bedauernd in seinen beinahe leeren Muggel.
"Fünfzehn Mann auf des Toten Mannes Kiste!" krächzte Havelock, als Robin Picardo das Büro betrat.
"Ach halt den Schnabel." brummte Araghast und bemerkte das erstaunte Gesicht des Chief-Korporals.
"Oh, Entschuldigung. Ich meinte den Vogel."
"Äh, ja." Robin musterte die buntgefiederte Papageiendame, die auf ihrem Käfig hockte und den Neuankömmling neugierig beäugte.
"Keine Angst, sie ist harmlos, solange du kein Zombie bist." grinste Araghast und wies auf den klapprigen Besucherstuhl. "Setz dich doch. Eine Püschologenliege habe ich leider nicht und der Sargdeckel ist nur für dringende Notfälle."
Vorsichtig ließ sich der Dobermann auf dem angebotenen Platz nieder.
"Du kannst dir bestimmt denken, warum ich hier bin."
"Wenn es um die Alchimisten-Ergebnisse geht, war das aber ganz schön schnell." staunte Araghast.
"Ein Gildenmitglied hat sich als ziemlich gesprächig erwiesen." winkte Robin ab. "Eigentlich war es gar nicht so schwer."
"Und, was hat er erzählt?" Araghast beugte sich neugierig vor. Endlich schien der Fall voranzukommen, wenn es auch nicht viel mit Roland Wiesel zu tun zu haben schien.
Robin räusperte sich.
"Der alte Nikolaus Flanell hat mir erzählt, daß vor einigen Jahren ein gewisser Johannes Trödelgreif Mitglied der Gilde gewesen ist. Er und seine Frau sollen einige streng geheime Forschungen getrieben haben, bei denen schließlich beide in die Luft geflogen sind. Nur ihr kleiner Sohn hat die Explosion per Zufall überlebt."
"Na kein Wunder." bemerkte Araghast bissig. "Alchimisten sprengen sich doch andauernd selbst in die Luft."
"Nun, es gab noch einen Überlebenden der Explosion." warf Robin ein. "Ein gewisser Thomas Kreuzworträtsel kam mit schweren Verbrennungen davon."
"Interessant." Araghast zückte Notizblock und Bleistift. "Wußtest du schon, daß sich besagte Person später den unglaublich dämlichen Namen Lord Todesschwinge zulegte und vor einem knappen Jahr von Gralon Banks verhaftet wurde weil er Johannes Trödelgreifs Sohn drangsalierte?"
"Klingt als wären wir da auf etwas gestoßen." Robin wirkte zufrieden. "Aber ich verstehe immer noch nicht, wie das nun mit Roland Wiesel zusammenhängt."
"Vermutlich kaum." seufzte Araghast. "Aber man ermittelt immer in die Richtung in der man vorankommt. Der Weg des geringsten Widerstandes."
"Übringens, da gibt es noch etwas, was Flanell mir erzählt hat." fuhr Robin fort. "Vielleicht kann man sogar ermittlungstechnisch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Der beste Freund Johannes Trödelgreifs war ein Mann namens Lord Idian von Canis Maior Alpha. Welcher nur Tage nach dem Tode Trödelgreif Seniors wegen neunfachen Mordes zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt worden ist. Eines seiner Opfer soll sogar ein guter Freund von ihm gewesen sein. Sein Name war Petrus Schleichbein."
"Au Backe." Araghast machte sich eine Notiz. "Gibt es da zufällig so eine Art Kettenreaktion? Oder ist ihm irgendein Gebräu seines Alchimistenfreundes zu Kopf gestiegen? Rib meint ja, daß es tatsächlich Substanzen geben soll die die Püsche dermaßen anregen, daß man gar nicht mehr anders kann als auszurasten. Berserkergift nennt er das."
"Keine Ahnung." Robin zuckte mit den Schultern. "Jedenfalls brach der Lord acht Jahre nach seiner Verurteilung aus dem Schloß von Wenn aus, wo man ihn gefangen hielt, und wurde seitdem nicht mehr gesehen."
"Was heißt, daß es irgendwo in den Tiefen des Archivs noch eine Akte über diesen Fall geben muß." schlußfolgerte Araghast zufrieden. "Und Harald Alonzo Trödelgreif hat mir tatsächlich so einiges verschwiegen...ein echter Dementierer, wenn du mich fragst. Vielleicht weiß er ja auch, wo sein Pate sich gerade aufhält." überlegte er. "Dann können wir ihn ja gleich mit einlochen. Wenn man ihn mit Kreuzworträtsel in eine Zelle steckt, könnte es noch lustig werden..."
"Du bist gemein." grinste Robin.
"Gemein? Ich?" Araghast setzte eine gespielt empörte Miene auf. "das ist eine völlig normale püschische Reaktion. Wer ohnmächtig gegenüber höherer Gewalt ist, läßt seine Aggressionen gern an Untergebenen aus. Vielleicht habe ich, von Sidney einmal abgesehen, auch deshalb hauptsächlich Rekruten und Gefreite in Sitzung."

* * *


"Ich- Ich hatte Angst!" stammelte Harald. "Schon so oft hat jemand versucht, das Rezept an sich zu reißen. Manchmal habe ich das Gefühl, daß ich keinem mehr trauen kann und mich jeder verfolgt! Können Sie das verstehen?"
"Du brauchst keine Angst vor mir zu haben." versuchte Araghast, den zitternden Zaubereistudenten zu beruhigen. "Ich interessiere mich nicht im geringsten für irgendwelche alchimistischen Gebräue. Alles was mich interessiert ist, wer deinem Freund Roland das Gehirn ausgetauscht haben könnte. Am Besten erzählst du mir einfach alles ganz in Ruhe."
"Und Sie... sind wirklich nicht böse auf mich?" fragte Harry schüchtern.
Der Püschologe schüttelte den Kopf.
"Ich kann verstehen, daß du mir nicht getraut hast." erklärte er, während er innerlich die Augen verdrehte. Was hätte sich für eine Menge aufwendiger Ermittelei vermeiden lassen wenn der Junge gleich ausgepackt hätte... Doch zum Abbau einer dermaßen ausgeprägten chronischen Paranoia brachte es einige püschologische Sitzungen. So etwas ließ sich nicht mal eben in ein paar Tagen erledigen.
"Also gut." Harald fuhr sich mit den Händen durch das struppige Haar und begann, zuerst stockend, aber im Laufe der Geschichte immer flüssiger, zu erzählen.
"Um alles zu verstehen muß ich zuerst sagen, daß mein Vater ebenfalls an der unsichtbaren Universität studiert hat. Doch bevor er sein Studium beenden konnte, wurde er herausgeworfen. Er verließ die UU, heiratete meine Mutter gegen den Willen ihrer Familie und wurde Alchimist. Er hat sich schon immer sehr für die Verbindung von Magie und Alchimie interessiert und arbeitete weiter an den Konzepten. Und eines Tages muß er etwas wirklich Bahnbrechendes entwickelt haben. Das Gerücht machte in der Gilde die Runde und ein ehemaliger Studienkollege meines Vaters, Thomas Kreuzworträtsel, der damals ebenfalls von der Universität geflogen war, interessierte sich sehr dafür. Er beschloß, meine Eltern zu töten, um in Besitz des Patentes zu gelangen. Und so sprengte er das Labor in die Luft. Bloß daß er sich verrechnet hatte: Sein Sprengsatz detonierte irgendwie zu früh, so daß er selbst schwer verbrannt wurde. Das Rezept hinter dem er her war ging an mich und seitdem hat er immer wieder versucht, es mir auf die unterschiedlichsten Weisen abzunehmen. Dabei habe ich es gar nicht bei mir. Es ist gut versteckt."
"Freunde deines Vaters?" hakte Araghast nach. "Es befand sich nicht zufällig ein gewisser Lord Idian von Canis Maior Alpha unter ihnen?"
Harald zögerte.
"Woher kennen Sie den Namen?" fragte er nervös.
"Wir Wächter haben unsere Kontakte zur Alchimistengilde." klärte der Püschologe ihn auf. "Fest steht jedenfalls, daß besagter Lord am Tag nach dem Tod deiner Eltern mit Hilfe einer Pulver Nummer Eins-Sprengladung am hellichten Tage mitten auf dem breiten Weg neun Menschen getötet hat. Und acht Jahre später aus seinem Kerker im Schloß von Wenn ausbrach und seitdem nicht mehr gesehen wurde." Araghast beugte sich vor und blickte seinem Gegenüber direkt in die Augen. "Kannst du mir sagen wo er steckt, Harald?" fragte er mit beschwörender Stimme. "Du bist immerhin sein Patenkind wie unsere Untersuchungen ergeben haben."
Das Gesicht des Zauberlehrlings wurde bleich.
"Nein." flüsterte er tonlos. "Hab ihn nie gesehen."
"Ganz sicher?" hakte Araghast nach, ohne seinen einäugigen Blick von dem Jungen abzuwenden. "Versuch nicht, mich anzulügen, Harald. Früher oder später finde ich es heraus, drauf kannst du Gift nehmen."
Der Thaumathurgiestudent sprang auf.
"Niemals!" schrie er und war aus dem Zimmer gestürmt, noch bevor Araghast überhaupt reagieren konnte. Als der Püschologe die Tür erreicht hatte, hörte er nur noch das Echo verhallender Schritte auf dem Korridor. Nachdenklich rückte er seine Augenklappe zurecht.
"Interessant." murmelte er. "Wirklich sehr interessant."

* * *


Wie es der Zufall wollte [13] wurden dieselben Worte zum exakt gleichen Zeitpunkt auch an einem anderen Ort ausgesprochen. Wobei dieser andere Ort genauer als das Hinterzimmer des explodierenden Kessels definiert werden konnte und er Sprecher niemand anderes als jener verbrannte Unbekannte war, welchem der Leser schon früher in dieser Geschichte einmal begegnet ist.
"Oh je." kommentierte Bruder Messer. "Das klingt aber gar nicht gut."
"Der heilige Sankt Tobsucht möge es verhüten!" rief ein anderer, sehr kräftiger Bruder aus, für dessen Gesicht die Bezeichnung 'Boxervisage' vermutlich erfunden worden war.
"Vielleicht sollten wir Bruder Reagenzglas dankbar sein, daß er diese Information überhaupt beschafft hat." warf die als Schwester Immerschön bekannte Dame ein. "Immerhin sind wir jetzt gewarnt."
"Ich frage mich bloß, was die Wache von uns wollen könnte." flötete eine wohltönende Stimme, die zu einem äußerst elegant gekleideten und perfekt frisierten Bruder gehörte. "Wir befinden uns doch immer noch in der Planungsphase und haben noch nicht einmal etwas verbotenes getan."
"Was auch immer es ist, der Vorfall muß ernst genommen werden, Bruder Puderquaste." schnitt der Meister dem Sprecher das Wort ab. "Die Wache ist heutzutage scheinbar doch nicht mehr auf die leichte Schulter zu nehmen, wie ich es zuerst gedacht habe."
"Aber warum?" Schwester Immerschön starrte in ihr Weinglas. "Bruder Puderquaste hat recht. Nicht einmal unsere Gegner wissen, daß wir uns neu formiert haben."
"Der alte Pfote ist nicht dumm, Schwester." Bruder Reagenzglas warf der Dame einen ernsten Blick zu. "Er wird seine Quellen haben, aus denen er erfahren hat, daß unser aller Meister aus dem Exil zurück ist und nun wieder unter uns weilt."
"Ich bezweifle doch sehr, daß es jemanden gibt, der meinen Abschied aus der von der Staatsgewalt vorgeschriebenen Verbannung bewußt miterlebt hat." entgegnete der Meister herablassend. "Nur zu schade, daß der Plan unseres verstorbenen Vereinigungsmitgliedes fehlgeschlagen ist. Es hätte uns eine Menge Mühe und Arbeit erspart."
"In der Tat." stimmte Bruder Messer zu. "Ich kann nur wiederholen: Falls jemand bereit ist, für die Inhumierung einer der betreffenden Personen den entsprechenden Preis zu bezahlen..."
"Nein!" unterbrach ihn der Verbrannte.
"Aber warum denn nicht, Meister?" fragte Bruder Messer. "Es wäre die perfekte Lösung."
"Hast du etwa schon die penible Buchführung deiner eigenen Gilde vergessen? Ich will nicht, daß irgendwer in der Lage ist, einen von uns mit einem Inhumierungsauftrag in Verbindung zu bringen." Der Meister schüttelte leicht den Kopf. "Bruder Messer, gerade von dir hätte ich wirklich etwas mehr Verstand erwartet. Aber wir haben ja immer noch unseren treuen Spion..."

* * *


"Meine Güte, Leonata, so schwer kann es doch nicht sein?" seufzte Elisabeth ungeduldig und stützte sich anmutig auf die Armlehne des großen Ohrensessels, in dem ihre Cousine gerade damit beschäftigt war, ungeschickt ein gleichschenkliges Dreieck zu sticken.
"Dann stick du doch." fauchte diese zurück und schlug mit der Handarbeit nach Elisabeth. "Du scheinst ja so viel davon zu verstehen."
Die baldige Madame Farrux lachte glockenhell.
"Wann begreifst du es endlich?" zwitscherte sie. "Du bist kein Mann, egal wie du dich immer aufgeführt hast. Dein Platz ist hier, mit einer Handarbeit vor dem Kamin und dich in Demut übend, wie es sich für ein gefallenes Mädchen wie dich gehört. Du solltest dankbar sein, wenn dich noch mal irgendwer heiratet."
"Den Kopf werd ich ihm abreißen und sein Gehirn zum Frühstück essen." knurrte Lea und rammte die Nadel durch den Stoff. "Übrigens, hast du in letzter Zeit eigentlich mal etwas von deiner Tante Liliana gehört?" wechselte sie scheinbar beiläufig das Thema.
"Entschuldigung, aber von wem redest du?" Verwunderung schwang in Elisabeths Stimme mit.
"Liliana Evanus." Lea zuckte mit den Schultern und lehnte sich in den weichen Polstern zurück. "Die Schwester deiner Mutter."
"Und bist du sicher, daß du da niemanden verwechselst?" fragte Elisabeth ungläubig und nachdenkliche Falten erschienen auf ihrem hübschen Gesicht.
Ein siegesgewisses Lächeln spielte um Leas Mundwinkel.
"Völlig sicher." bestätigte sie selbstzufrieden. "Frag sie doch selbst. Sie wird dir bestimmt mit Vergnügen Auskunft geben und dir brühwarm erzählen, was ihre mißratene Schwester alles angerichtet hat und vor allem was mit ihrem kleinen Sohn passiert ist nachdem seine Eltern starben."

* * *


"Sei froh, daß du einen Igor hast." murmelte Araghast und strich die dicke Staubschicht von dem Aktenstapel, welcher auf Kolumbinis Schreibtisch lag. "Das erspart einem eine Menge Staub in der Lunge, vorausgesetzt man konnte dem Igor abgewöhnen, den Staub stattdessen zu verteilen."
"Du glaubst also, daß der Lord von Canis Maior Alpha bei dem Wiesel-Fall seine Finger im Spiel hat?" erkundigte sich Kolumbini und griff nach dem obersten Dokument.
"Warum nicht?" Araghast zuckte mit den Schultern. "Fakt ist: Der Lord muß irgendwelche Kontakte zu Alchimisten und vielleicht auch Magiern gehabt haben. Wenn er nicht selbst irgendwo dort eine Lehre oder so etwas gemacht hat. Und wenn ich mir unseren GiGa so angucke, sind alchimistische Gebräue zu allem fähig. Außerdem... wer einmal dazu fähig war, insgesamt neun Menschen zu töten, hat bestimmt keine Skrupel, weitere Morde zu begehen. Hiermit hätten wir endlich mal noch einen weiteren Verdächtigen."
"Aber das Motiv." wandte Kolumbini ein. "Was hat er für ein Motiv, Roland Wiesel zu töten, selbst wenn Trödelgreif sein Pate ist, wie du vorhin gesagt hast? Du meintest ja, Harald würde den Lord vermutlich decken. Da wäre höchstens die Möglichkeit, daß Wiesel in irgendeiner Form zuviel wußte, zum Beispiel, daß der Lord ein doppeltes Spiel spielte oder so etwas in der Art." Er rieb sich nachdenklich das Kinn. "Und du bist nicht der Meinung, daß Harald mit in der ganzen Sache drinsteckt?"
Araghast schüttelte den Kopf.
"Eher nicht. Dazu erscheint er mir viel zu feige, wenn ich mich mal so ausdrücken darf. Ein so schlimmer Fall von Verfolgungswahn ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet. Es sei denn, er ist ein verdammt guter Schauspieler..."
Kolumbini nickte nur und überflog das vergilbte Dokument, welches er in den Händen hielt.
"Interessant." murmelte er schließlich und sah auf.
"Was ist?" erkundigte sich Araghast.
"Hör dir das an." Kolumbini klopfte mit dem Zeigefinger auf den Text. "Hier steht, daß der Lord bei seiner Festnahme gelacht haben soll wie ein Verrückter. Ein Geständnis hat er zwar nicht abgelegt, aber man hat ihn natürlich trotzdem ohne Verhandlung ins Schloß von Wenn gesteckt. Zu Zeiten der Wache vor Kommandeur Rince war so etwas auch ohne weiteres möglich."
"Nun, es gab schließlich Zeugen genug für den Vorfall." gab Araghast zurück. "Es fällt schon ziemlich auf, wenn jemand am hellichten Tag eine halbe Straße in die Luft sprengt. Und wie ich Ankh-Morpork kenne wird am Ende die halbe Stadt als Augenzeugen ausgesagt haben."
"Vermutlich." Kolumbini warf das Dokument auf den Stapel zurück. "Aber ich fürchte, wir stehen derzeit vor dem gleichen Problem wie mit dem Lindendorf-Sandmann-Fall: Es gibt einfach kein klares Motiv, außer eben diesem Rezept von dem keiner genau weiß was es nun eigentlich beinhaltete, Gerüchte über den Stein der Weisen hin oder her."
"Eben." brummte Araghast. "Aber eventuell könnte Harald Alonzo Trödelgreif mehr oder weniger freiwillig dazu beitragen, uns den Aufenthalt des Lords von Canis Maior Alpha zu verraten. Falls der Junge ihn wirklich deckt, wird er ihn früher oder später aufsuchen, um ihn zu warnen, daß die Wache etwas herausgefunden hat."
"Das scheint mir nach einiger Arbeit für eure Späher zu riechen." bemerkte Kolumbini.
Araghast nickte. "Wenn schon sonst derzeit wirklich alles schief läuft, den Kerl schnappe ich mir." knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen.

* * *


Der Pegel der Rumflasche näherte sich bereits bedrohlich dem halbleeren Zustand. Bald würde sie sich den Frusttrunk aus anderen Quellen organisieren müssen.
Doch immerhin hatte dieser Tag einen Lichtblick gebracht: Elisabeth schien den Köder anstandslos geschluckt zu haben. Lea hatte das Aufleuchten in ihren Augen gesehen, welches sich immer dann einstellte, wenn ihrer Cousine eine interessante Neuigkeit zu Ohren gekommen war. Spätestens im Laufe des morgigen Tages würde sich Tante Begonia, was ihre familiären Umstände betraf, in akuter Erklärungsnot befinden.
Doch sie, Lea, mußte dringend mehr über die Familie Trödelgreif herausfinden.
Ihre Hand umklammerte die taubengerecht zusammengefaltete Nachricht. Araghast saß, was eventuelle Vergehen betraf, geradezu an der Quelle. Vielleicht konnte er etwas über die näheren Todesumstände von Liliana Evanus und ihrem Ehemann herausfinden. Pikante Geheimnisse, grausame Verschwörungen oder sonst etwas- ihr war alles recht, mit dem man eventuell Druck auf ihre Verwandten ausüben konnte. Sie würde ihnen schon noch das Pandämonium heiß machen. Stickarbeiten... Sie schüttelte angewidert den Kopf. Und dazu noch Elisabeths selbstgefälliges Grinsen. Sollte sie doch beim Hochzeitskuß an Ephraim Farrux' schwabbeliger Zunge ersticken.
Kalt lächelnd öffnete Lea das Fenster ihres Zimmerchens und führte die kleine Taubenpfeife zum Mund, die Araghast ihr einmal gegeben hatte.
"Einmal Taubenpost zum Wachhaus Pseudopolisplatz bitte." flüsterte sie grimmig.

* * *


Etwa zur selben Zeit saß Araghast in seinem Büro, vor sich auf der Schreibtischplatte eine aufgeschlagene Ausgabe von Twurps Adelsstände und auf dem Schoß die 100 größten Verschwörungen der Scheibenwelt. Es hatte nicht lange gedauert, bis er auf den Stammbaum der Familie von Canis Maior Alpha gestoßen war. Allerdings hatte es auch nicht lange gedauert festzustellen, daß niemand namens Idian darin verzeichnet war. Dem Buch nach hatten die letzten von Canis Maior Alphas lediglich eine Tochter hervorgebracht, die einen gewissen Marquis Rudolfo L' Etranger aus Gennua geheiratet hatte. Araghast notierte sich den Namen trotzdem. Vielleicht befand sich die Marquise L' Etranger ja in der Stadt. Jeder noch so winzige Anhaltspunkt konnte wichtig sein. Seufzend schlug Araghast das Adelsverzeichnis zu. Warum konnte er nicht wenigstens einmal an einen Fall geraten, der sich im Handumdrehen lösen ließ? Die Verbrechen dummer Täter, die Streichholzbriefchen mit ihrer Adresse oder aussagekräftige Stofffetzen am Tatort hinterließen, schienen immer bei anderen zu landen. Die übrigen FROGs hatten es gut. Ihre Aufgaben bestanden hauptsächlich aus Observierungen, dem Bau von Sprengsätzen und Betäubungsmittelbomben oder wilden Schießereien. Er selbst war, abgesehen von seiner Schäffin, der einzige Schreibtischtäter der ganzen Abteilung. Tief in seinem Inneren sehnte sich Araghast nach einer zünftigen Schlägerei. Handgemenge waren so einfach. Hinterher verhaftete man die Anstifter und die Sache war beendet. Niemand fragte nach Avocados in Schädeln und nicht verzeichneten akut mordverdächtigen Lords. Frustriert ließ der Püschologe seine Faust auf die Tischplatte niedersausen.
Von dem Knall aufgeschreckt flatterte Havelock von der Fensterbank auf und krächzte leise.
"Tschuldigung." murmelte Araghast. "Du kannst auch nichts dafür, daß meine Existenz zur Zeit einfach nur mies ist."
Das Schloß von Wenn erschien vor seinem geistigen Auge. Oft war er an Bord der 'Sonne von Herscheba' daran vorbeigesegelt, als sie dabeiwaren, Gennua anzulaufen oder wieder zu verlassen. Es bewahrte seit langem seinen Ruf als sicherstes Gefängnis der Scheibenwelt. Draußen auf einer Insel vor der gennuanischen Küste gelegen, in einer Seegegend in der es von tückischen Strömungen nur so wimmelte, war das Entkommen so gut wie unmöglich. Nicht umsonst galt es als die letzte Einbahnstraße im Leben eines Kriminellen, die letzte Heimat der Creme de la creme der Verbrecher der Scheibenwelt. Und doch hatte Lord Idian von Canis Maior Alpha auf irgendeine Weise von dort fliehen können...
Er schob Twurps Adelsstände in das selbstgezimmerte Regal aus Wahooniekisten [14] und wandte sich dem Werk Erich von Nichtsfjords zu. Doch er war nicht recht bei der Sache. Was Lea wohl gerade so trieb, überlegte er und spürte sogleich wieder die ohnmächtige Wut in sich aufsteigen. Ob sie wohl schon an einer Lösung für ihr Problem arbeitete? Er vermißte sie schrecklich. Immer wieder sah er sich vor seinem geistigen Auge die MUT auf Ephraim Farrux richten und den Auslöser drücken. Ob wohl mehr als ein großer Fettfleck von dem Kaufmann übrig bleiben würde?
"Schluß jetzt." befahl Araghast seinen Rachephantasien. "Davon bekommst du Lea auch nicht wieder. Es wird sich schon etwas ergeben womit wir Onkel Wermut erpressen können. Das Archiv der Wache ist groß." Er pausierte triumphierend. Havelock beäugte ihren Besitzer neugierig
"Und staubig." murmelte Araghast schließlich und konzentrierte sich auf Verschwörung Nummer 26 (War Buddy, Sänger der Band mit Steinen drin, Mitbegründer der gleichnamigen Musikrichtung, wirklich tot oder wurde er von den Göttern oder Außerscheibischen oder wem auch immer entführt?), während seine Kerze langsam herunterbrannte. Einige Minuten später flog eine Taube an seinem Fenster vorbei in Richtung Taubenschlag.


Tag 4: Forscherfreude und Forscherleid oder warum man manche Angebote besser doch nicht ablehnen sollte


Schweigend sah Kolumbini zu, wie Leopold von Leermach die Decke über das Gesicht der jungen Frau zog. Während seine Füße langsam kalt wurden, arbeitete es fieberhaft in seinem Kopf. Auf den ersten Blick schien es ein Tod ohne äußere Gewalteinwirkung zu sein, hatte der Spurensicherer erklärt. Ein Bäcker auf dem Weg zur Arbeit hatte in den frühen Morgenstunden eine Hand aus einem Vorgartengebüsch ragen sehen, genauer nachgesehen und schließlich die Wache alarmiert. Die obligatorische neugierige Menge hatte sich bereits jenseits der Absperrung gesammelt, welche Gnomen est Nomen in aller Eile errichtet hatte. Kurt Aeppelwoi, seines Zeichens erster professioneller Zuschauer der Stadt und seit kurzem Präsident und bisher einziges Mitglied der offiziellen Gilde der Gaffer, stand in der ersten Reihe und glotzte mit einer Konzentration, die dem Ermittler beinahe unheimlich vorkam.
"Wißt ihr, wer sie war?" fragte Kolumbini Leopold und Lupos Drachenflug, die gerade dabei waren, die Leiche auf einen Eselskarren zu verladen.
"Jemand hat ihre Handtasche von allem leergeräumt was sie identifizieren könnte." antwortete der Vampir achselzuckend.
"Na wunderbar." Kolumbinis Stimme klang resigniert. "Irgend eine Quittung gefunden?"
Leo schüttelte den Kopf und schloß die Ladeklappe des Eselskarrens. "In ein paar Stunden hast du den Obduktionsbericht. Wer weiß, vielleicht ist sie ja auch auf natürlichem Wege gestorben."
"Nicht wenn sich jemand extra die Mühe gemacht hat, die Tote zu verstecken." antwortete der Ermittler und trat näher an die Hecke heran, die irgendein enthusiastischer Vorgartenbesitzer, der die durchschnittliche Lebensdauer von Pflanzen in den Straßen Ankh-Morporks hoffnungslos überschätzt hatte, zu züchten versuchte. Die Tatsache, daß jemand ohne Rücksicht auf ihre Zweige eine Leiche unter sie gequetscht hatte, hatte ihre Überlebenschancen weiter verringert.
Kolumbini ging in die Hocke und spähte unter das traurige, abgeknickte Gewirr von Ästen. Der Körperabdruck der Frau war deutlich auf dem schlammigen Boden zu sehen.
"Hmmm." brummte der Ermittler und schrieb etwas auf seinen Notizblock. Dann erhob er sich und wandte sich dem Besitzer der Hecke zu, welcher mit einer Mischung aus Neugierde und Entsetzen zugesehen hatte, wie die Wächter die Tote fortschafften, um ihm einige vermutlich keine sinnvollen Ergebnisse erzielenden Fragen zu stellen.

* * *


"Kanndra ist was?" fragte Gold Moon entsetzt und ein Ausdruck tiefster Enttäuschung erschien auf ihrem hübschen Elfengesicht.
"Hast du keine Ohren? Ich sagte bereits, daß sie schon seit ein paar Wochen als Ausbilderin bei GRUND steckt und dir deshalb die ehrenvolle Aufgabe zufällt, einen jungen Zaubereistudenten namens Harald Alonzo Trödelgreif zu beschatten." entgegnete Venezia Knurblich ungeduldig. "Ein wenig Bewegung kann dir eh nicht schaden. Du bist kaum noch aktiv." fügte die Gnomin unverblümt hinzu.
Gold Moon seufzte leise. Das klang nach schwerer körperlicher Arbeit.
"Also wo soll ich anfangen?" fragte sie resigniert.
"Leg dich am Haupttor der Unsichtbaren Universität auf die Lauer." Oberleutnant Knurblich schob einen Zettel mit einer ausführlichen Personenbeschreibung zu ihrer Späherin hinüber. "Folge dem Jungen unter allen Umständen und sobald er irgendein Haus betritt notier dir Uhrzeit und Adresse. Und ganz wichtig ist:" Sie funkelte Gold Moon streng an. "Du darfst auf keinen Fall gesehen werden. Ist das klar? Von niemandem."

* * *


"Ich glaub, ich werd verrückt. Und Venezia Knurblich ist die neue Kaiserin des Achatenen Reiches." murmelte Araghast, nachdem er Leas Brief aus dem Postkorb gefischt und begierig gelesen hatte. Dann brach er in lautes Gelächter aus.
Es war auch nicht zu fassen. Begonia Bolzano verwandt mit Harald Alonzo Trödelgreif. Der Püschologe fühlte sich, als wären das Silvesterfest und sein Geburtstag aufgrund einer temporalen Unmöglichkeit auf denselben Tag gefallen. Die Tatsache, daß Leas Tante die Existenz ihrer Schwester so peinlich zu sein schien, daß sie selbst ihren eigenen Töchtern gegenüber geschwiegen hatte, ließ sich wunderbar ausnutzen. Warum nicht einen Kollegen von RUM, am allerbesten Kolumbini, dies würde besonders spaßig werden, bei den Bolzanos vorbeischicken und einige Nachforschungen anstellen lassen?
Araghast schüttelte den Kopf. Wenn Tante Begonia Harald Trödelgreifs einzige noch lebende Verwandte war, warum war der Junge dann nach der Verhaftung seines Patenonkels eigentlich nicht bei ihrer Familie gelandet? Eine Möglichkeit war, daß sie es abgelehnt hatte, ihn zu übernehmen. Doch wer hatte ihn dann all die Jahre aufgezogen? Die Alchimistengilde vielleicht? Araghast zückte seinen Notizblock und schrieb einige entsprechende Stichworte auf. Vielleicht konnte er ja etwas aus der Marquise L' Etranger herausholen, was das betraf.

* * *


Ponder Stibbons' noch vor wenigen Tagen in ziemlicher Menge vorhandene Hochstimmung war kompletter Frustration gewichen. Schon seit Stunden schritt er immer und immer wieder um den leicht glühenden Torbogen herum und kratzte sich die Bartstoppeln, während er versuchte, nachzudenken. Die ehemaligen Bürovorhänge des Quästors blähten sich lautlos in einem Wind welcher von nirgendwo kam. Immer und immer wieder hatte Stibbons das Problem im Kopf herumgewälzt, doch letztendlich konnte er gar nicht anders, als den unangenehmen Tatsachen ins Auge zu blicken: Sein Experiment war hoffnungslos gescheitert.
Der Professor für grausame und ungewöhnliche Geographie, welchen sie als ersten in die unerforschten Bereiche jenseits des Vorhangs schicken wollten, war schreiend geflohen als er dem Aufbau auch nur ansichtig wurde, und keine noch so große Überredungskunst hatte ihn dazu bringen können, den Kronleuchter im großen Saal für die nächsten Tage wieder zu verlassen. Vermutlich hockte er immer noch dort oben und zitterte vor Angst, während der Dreck an seinen Schuhen in den Haferbrei des Quästors rieselte.
Daraufhin hatte sich ein Student im siebten Semester namens Schmendrick Flickori bereit erklärt, das Wagnis einzugehen und mit einem um seine Hüfte gebundenen Seil und einem Thaumometer versehen war er durch den Vorhang geschritten. Nach einer Weile hatten Stibbons und Skazz zum Entsetzen der übrigen Studenten das leere Seil wieder herausgezogen. Vergeblich hatten sie versucht, Flickori mit Hex zu lokalisieren und bis heute war er nicht zurückgekehrt. Skazz hatte sich darüber ziemlich geärgert, denn Thaumometer waren nicht billig.
Der nächste Versuch herauszufinden was sich hinter dem Vorhang befand wurde mit Hilfe einer Sonde durchgeführt worden, welche über eine Schnittstelle mit Hex gekoppelt war. Dasselbe Ergebnis. Die Sonde verschwand und in Hex' Ausgabe erschien ein ziemlich verwirrender Text. Ponder zog den zerknüllten Papierstreifen aus einer der zahlreichen Taschen seiner Robe und las ihn ein weiteres Mal.

+++ Fehler bei Bestimmung des Hilbertraums +++ Vermischung der Realitäten nicht aufzuhalten +++ schwere narrative Interferenzen +++ Der Eselskarren fährt von Stall Nummer Neun drei viertel +++ Der dunkle Lord kommt und will die Weltherrschaft an sich reißen +++ Hilfe Hilfe, meine Cousine hat mich hier reingeschubst, ich will hier wieder raus! +++ Diskrete Fouriertransformation fehlerhaft +++ Muggelalaaaaaarm! +++ Bitte starten Sie diese Matrix neu +++


Nichts davon machte Sinn. Welcher dunkle Lord? Und wieso warnte Hex vor alten, mehrfach geklebten Kaffeetassen mit einer mindestens eins komma sieben vier Millimeter dicken angetrockneten Schicht auf dem Boden? Vielleicht sollte es bedeuten, daß sie ihr Geschirr öfter einmal abwaschen sollten.
Seufzend knüllte Ponder den Papierstreifen wieder zusammen und warf ihn durch den Vorhang. Am Nachmittag würde er den Torbogen mit Hilfe einiger Studenten erst einmal in die Abstellkammer schaffen. Mochte der Fakultätsrat eine sinnvolle Verwendung für das gescheiterte Experiment finden. So wie Stibbons den Erzkanzler einschätzte würde dieser vermutlich vorschlagen, den Torbogen als Lösung sämtlicher Müllprobleme oder zur Vermeidung der Überfüllung der Abortgrube verwenden.
Wehmütig wandte er sich von dem Relikt seines Scheiterns ab und setzte sich an die Hex-Eingabeapparaturen. Der unumstößliche Beweis der Streifentheorie des Multiversums würde vermutlich immer ein Geheimnis bleiben. Aber vielleicht konnte man Hex ja beibringen, Gedanken zu speichern. Doch, das klang nach einer guten Idee. Ponder konnte einen Zwischenspeicher für seine zeitweilig überflüssigen Gedanken gut gebrauchen. Entschlossen zog er den Großen Beeindruckenden Hebel und die Ameisen begannen zu krabbeln...

* * *


Mühsam kämpfte sich die fahle Vormittagssonne durch die Wolken als Araghast durch den allgegenwärtigen, bräunlichen Schneematsch zur Villa der Marquise Beatrice L' Etranger stapfte. Es war wider Erwarten nicht einmal schwer gewesen, ihre Adresse herauszufinden- innerlich war Araghast demjenigen unbekannten Wächter dankbar, der irgendwann einmal eine Liste sämtlicher Adeliger der Stadt und ihrer Wohnsitze erstellt hatte.

Ein livrierter Diener führte Araghast in das sogenannte Empfangszimmer. Neugierig sah sich der Wächter um. Das durch die zugezogenen Vorhänge gedämpft in den Raum fallende Tageslicht tauchte die Umgebung in ein diffuses Zwielicht. Hinter ihm schloß sich die Zimmertür mit einem ziemlich endgültig klingenden Knall.
"Sie wollten mich sprechen?" erklang eine dunkle, rauchige Frauenstimme hinter ihm.
Araghast fuhr herum. Auf einem in einer Nische halb verborgenen Diwan lagerte eine Frau. Ihr schwarzes Trauerkleid verschmolz beinahe perfekt mit dem dunklen Bezug der Polster.
"Wenn Sie die Marquise Beatrice L' Etranger sind dann würde ich Sie schon gern sprechen." antwortete der Püschologe knapp. "Korporal Araghast Breguyar, Ankh-Morpork Stadtwache. Ich habe einige Fragen bezüglich Ihres mutmaßlichen Verwandten, Lord Idian von Canis Maior Alpha."
Die Marquise lächelte schmerzhaft.
"Treten Sie doch näher!" forderte sie ihren Gast auf. "Ich würde Sie mir gern einmal ansehen."
Araghast grinste schief und näherte sich dem Diwan.
"Vielleicht würde es etwas helfen, wenn Sie die Gardinen aufziehen." schlug er vor.
Mit einer einzigen fließenden Bewegung setzte sich die Marquise auf.
"Ich liebe die Dämmerung." entgegnete sie knapp.
Interessant, dachte Araghast bissig. Wieder eine von diesen Verrückten die meinen, im Dunklen zu hocken sei romantisch. Warum haben manche Leute einfach nichts besseres zu tun?
Neugierig musterte er die Marquise. Vor einem Vierteljahrhundert mußte sie eine hinreißende Frau gewesen sein, doch auf ihrem spitzen Gesicht machte sich das Alter in Form von Falten und Flecken deutlich bemerkbar. Ihre grünen Augen schienen jede seiner Bewegungen zu verfolgen. Die Farbe ihres Haares war in dem dämmrigen Licht schwer zu erkennen, doch Araghast schätzte sie auf dunkelbraun oder schwarz. Etwas an der Marquise wirkte merkwürdig vertraut, doch er konnte nicht sagen, worum es sich handelte.
"Also." begann er und zückte Bleistift und Notizblock. "Mir ist bekannt, daß Sie eine gebürtige von Canis Maior Alpha sind. In welcher Beziehung stehen Sie zu Lord Idian?"
"Sie sind aber ziemlich direkt." Die Lippen der Marquise kräuselten sich.
"Ich bin Wächter." gab Araghast zurück. "Es ist mein Beruf, Dinge herauszufinden."
"Soso." Die Marquise schien ein wenig enttäuscht zu sein. "Und welche Nachforschungen über meinen Bruder führen Sie nun zu mir?"
"Nun, wenn ich ehrlich bin, sind wir auf einer ziemlich heißen Spur, was seinen Aufenthaltsort betrifft und wir sind ziemlich zuversichtlich, ihn bald nach all den Jahren wieder festzusetzen. Und wir dachten uns, daß Sie uns vielleicht mit einigen Informationen über ihn behilflich sein können, unter anderem, warum sein Name aus Twurps Adelsverzeichnis verschwunden ist."
Wie auf Kommando verhärtete sich das Gesicht der Marquise.
"Mutter hat ihn streichen lassen." antwortete sie knapp. "Unsere Familie hat nach seiner Tat beschlossen, nichts mehr mit ihm zu tun haben zu wollen. Er hat Schande über unser Haus gebracht. Und dies nicht nur in einer Hinsicht. Ein Kadaverfreund war er. Sie wissen doch, wie unser Familienmotto lautet?"
Araghast nickte. Er hatte es am vorigen Abend lesen müssen und es hatte ihm innerlich wehgetan.
"Das noble und uralte Haus von Canis Maior Alpha." zitierte er spöttisch aus dem Gedächtnis. "Semper Humanus - immer menschlich."
"Genau." triumphierte die Marquise. "Und wie Sie sich wohl denken können, hält man in meiner Familie nicht viel von diesen... Kreaturen, die jetzt die Stadt bevölkern. So etwas ist doch widernatürlich. Ständig halten sie uns vor Augen, wie vergänglich wir Menschen doch sind. Uns sind nur einige wenige Jahre auf der Scheibe beschieden, während sie Jahrhunderte überdauern. Es ist einfach nicht gerecht."
"Nun, was ist schon gerecht?" konnte Araghast sich nicht verkneifen zu bemerken. "Die Menge an Gerechtigkeit die man in Ankh-Morpork finden kann paßt auf einen Teelöffel."
Die Marquise starrte ihn an, als hätte neben ihr der Blitz eingeschlagen.
"Ich glaube, Sie wissen nicht, mit wem Sie gerade reden." stieß sie entrüstet hervor.
"Ich unterhalte mich gerade mit einer möglichen Informationsquelle." gab Araghast trocken zurück. Womit hatte er bloß diesen Fall verdient? Wo immer er auch nachforschte, überall schien es von versnobten Adligen und Speziesisten nur zu wimmeln. Hundert Kilogramm mehr auf den Rippen und eine Geschlechtsumwandlung und es hätte keinen Unterschied mehr gemacht, ob sich nun die Marquise L' Etranger oder Ephraim Farrux vor ihm auf dem Diwan befanden. Beide gaben nahezu das gleiche üble Geschwätz von sich. Kein Wunder, daß Gruppen wie HIRN reißenden Zulauf fanden. Warum gründete bloß niemand eine Gruppe gegen solche Personen?
Die Marquise schnaubte verächtlich.
"Ihr Wächter denkt wohl, ihr könnt euch im Namen des Gesetzes alles erlauben." zischte sie.
"Nun, wenn es nicht gerade in die Rechte der Gilden eingreift dürfen wir es tatsächlich." Araghast setzte sein Pokerface auf. Die Phase der püschologischen Kriegführung hatte begonnen.
Verärgert schnappte die Marquise nach Luft. In ihren Augen funkelte es smaragdgrün.
"Also, was wissen Sie wirklich über den derzeitigen Verbleib Ihres Bruders?" bohrte der Püschologe. "Sie halten doch selbst nicht viel von ihm. Warum helfen Sie uns nicht, ihn ans Messer zu liefern? Dann wären Sie glücklich weil Sie ihm eins ausgewischt haben, wir wären glücklich weil er wieder hinter Schloß und Riegel säße und vermutlich wäre selbst der Patrizier glücklich, falls er jemals in der Lage ist, irgendeine Gefühlsregung zuzugeben."
Die Marquise preßte ihre sorgfältig geschminkten Lippen aufeinander.
"Wie gesagt, die Familie will nichts mehr mit ihm zu tun haben." erklärte sie abgehackt. "Gestrichen und vergessen. So ist es bei uns. Ich weiß nicht wo er steckt oder was er ausbrütet. Er hat sich mit Dingen eingelassen, von denen er besser die Finger gelassen hätte. Er hat es nicht besser verdient."
"Sind Sie sich wirklich sicher?" hakte Araghast nach und sah ihr mit gerunzelter Stirn direkt in die Augen. "Vielleicht gibt es da doch einen kleinen Erinnerungsfetzen, den Sie denken, mir zu unterschlagen? Denken Sie nach."
Die Marquise wandte sich ab.
"Verschwinden Sie!" fuhr sie ihn an. "Oder ich lasse Sie von meinen Dienern hinauswerfen! So lasse ich mich nicht behandeln, und schon gar nicht von einem Stadtwächter" Das letzte Wort spie sie ihn förmlich vor die Füße.
Araghast beobachtete ihren Ausbruch ruhig und zuckte mit den Schultern.
"Wie Sie wünschen, Marquise." erklärte er mit schneidender Stimme. "Zur Not werden wir Lord Idian auch ohne Ihre großzügige Hilfe schnappen. Unsere Spur ist ziemlich heiß."
Er drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer, während er innerlich vor Wut kochte.

* * *


"Nichts." kommentierte Oberleutnant Pismire, während er den ypsilonförmigen Schnitt auf Brust und Bauch der Toten vorsichtig zusammennähte und sah zu, wie Lady Rattenklein den Seziertisch erklomm. "Was sagt die Analyse?"
Die Laborantin schüttelte den Kopf.
"Keine Giftspuren, wenn du das meinst, Sör. Weder in den Haaren noch in Blut oder Speichel. Sie scheint allerdings kurz vor ihrem Tod einiges getrunken zu haben. Der Alkoholgehalt ihres Blutes war ziemlich hoch."
"Soso." brummte Pismire in seinen Bart und nahm eine Schere vom Bestecktablett um das übrigbleibende Garn abzuschneiden. Die Nadel legte er sorgfältig in einen Korb, in dem sich bereits einiges benutztes Besteck befand.
"Hoch genug um sie zu töten war er allerdings bei weitem nicht. Sie war höchstens ziemlich beschickert." beeilte sich Lady Rattenklein hinzuzufügen.
"Na dann muß ich ihr wohl doch den Schädel öffnen." Der Gerichtsmediziner griff nach der Knochensäge und setzte sie an.

* * *


Immer noch leise vor sich hingrummelnd stapfte Araghast die Treppe zum ersten Stock hinauf. Gedanklich hatte er auf dem Heimweg bereits einige Möglichkeiten durchgespielt, was sich mit der Marquise, Schwallsack Farrux, Onkel Wermut und noch einigen anderen Personen die ihm auf die Nerven fielen so alles anstellen ließe, und war schließlich zu dem Schluß gekommen, daß, wenn er es jemals wirklich durchführen sollte, lebenslänglich im Schloß von Wenn noch zu gut für ihn wäre.
"Araghast!"
Der Püschologe zuckte zusammen und wandte sich um. Kolumbini stand an der Tür zu seinem Büro und wollte gerade anklopfen.
"Was gibt es?" fragte Araghast. "Ist Tante Begonia mit ihrer Häkelarbeit auf dich losgegangen?"
"Das nicht." antwortete der Ermittler. "Aber du hattest recht, sie ist wirklich eine sehr... vornehme Frau."
Die Art, in der Kolumbini seinen letzten Satz betonte, sagte Araghast mehr als tausend Worte, was sein Kollege von ihr hielt.
"Die Marquise L' Etranger hat mich geradezu rausgeworfen." berichtete er. "Sie hat fest drauf bestanden, daß ihr Bruder für sie nicht mehr existiert."
"Nun, Frau Begonia Bolzano hat es ähnlich gehalten. Wenn es nach ihr ginge hätte sie niemals eine Schwester gehabt."
"Aber wer hat Harald dann großgezogen?" wollte Araghast wissen.
"Das habe ich die Dame auch gefragt." Kolumbini klopfte sich gegen sein Glasauge. "Sie hat mir geantwortet, sie wisse es nicht und es sei ihr auch herzlich egal weil die Familie Trödelgreif für sie nicht existiere. Und anschließend hat sie noch behauptet, daß das Fräulein Leonata mit ähnlichem Unsinn schon seit Tagen die Familienharmonie störe."
"Hast du sie gesehen?" rief Araghast aufgeregt.
Kolumbini schüttelte den Kopf. "Frau Bolzano hat mich in der Eingangshalle empfangen und mich so schnell wie möglich wieder hinauskomplimentiert. Vermutlich denkt sie, je weniger sie mit dem Fall zu tun hat, desto besser."
"Schnepfe." knurrte Araghast und öffnete die Tür seines Büros. Alles was er jetzt brauchte waren ein randvoll mit extrastarkem Wächterkaffee gefüllter Muggel und eine gute Verschwörung als Zerstreuungslektüre.
"Warte!" hielt ihn Kolumbinis Stimme zurück.
"Was ist?"
"Heute Morgen wurde wieder eine Leiche gefunden. Eine junge Frau, die wir bisher noch nicht identifizieren konnten, da sämtliche Sachen die sie ausweisen könnten entfernt worden waren. Sie hatte eine Avocado anstelle des Gehirns in ihrem Schädel."
"Verdammt." fluchte Araghast und schlug gegen den Türrahmen. "Hat das denn nie ein Ende?"
"Wer weiß, vielleicht wird eine Serie draus." Kolumbini schien nicht gerade begeistert von der Aussicht zu sein. "Bleibt uns nur noch zu warten, ob irgendwer sie als vermißt meldet. Dann können wir sehen, ob sie etwas mit der Trödelgreif-Wiesel-Geschichte zu tun hat oder beide einfach nur willkürliche Opfer eines Irren waren, der meinte, seine neueste Erfindung an unschuldigen Bürgern ausprobieren zu müssen."

* * *


Ungläubig starrte Severin Schnäppchen auf die Nachricht, welche ihm soeben von der Brieftaube gebracht worden war. Was meinte Schwester Immerschön damit? Sie schien der Meinung zu sein, daß eine Notfallversammlung der Lebenstrinker so bald wie möglich nötig sei, weil sie Dinge erfahren haben wollte, die das geplante Vorgehen völlig über den Haufen werfen konnten. Brummelnd machte er sich auf den Weg zum gildeneigenen Taubenschlag.

* * *


In so ziemlich jeder Geschichte geht es darum, zumindest in gewissen Zügen den Gesetzen der narrativen Kausalität zu folgen. So ist zum Beispiel eine unbekannte Frau, die in das Büro eines Ermittlers spaziert kommt, grundsätzlich der erste Indikator dafür, daß der Betreffende bald in ziemlich ernsten Schwierigkeiten stecken wird, wobei sich der Grad der Schwierigkeiten meistens proportional zur Tiefe des Ausschnitts der Klientin verhält.
Araghast Breguyar hatte gerade eine Lampe entzündet, um in der Dämmerung den genauen Hergang der Verschwörung Nummer 37 (Die schreckliche Wahrheit über das große Turnier der Magier und die Verschwörung des Feuerkelches von Ebersweide, Mouldavien), als es leise an der Tür klopfte.
Der Püschologe seufzte. Anscheinend besagte ein weiteres ungeschriebenes Gesetz der narrativen Kausalität, daß man beim Lesen grundsätzlich immer genau an der spannendsten Stelle gestört wurde. Kurzfristig schob er einen Notizzettel als improvisiertes Lesezeichen zwischen die Seiten und sah auf.
"Herein." rief er schließlich, nachdem er das Buch in die oberste Schreibtischschublade geschoben hatte.
Knarrend schwang die Tür auf [15] und eine in einen dunklen Kapuzenumhang gehüllte Person trat ein.
"Araghast Breguyar, nicht wahr?" fragte sie mit rauher Stimme, die unmöglich erkennen ließ, ob es sich bei dem Besucher um einen Mann oder eine Frau handelte.
"Ja, der bin ich." Der Püschologe straffte seinen Rücken. "Kann ich Ihnen irgendwie helfen?"
"Sind wir allein?" fragte die Gestalt.
Araghast nickte. "Falls Papageien und neurotische magische Schwerter nicht zählen sind wir allein."
"Papageien und magische Schwerter?" Die Stimme klang aufrichtig erstaunt.
"Nicht so wichtig." winkte der Püschologe ab. "Ich sage nur so viel, daß sich außer uns kein auch nur entfernt humanoides Wesen in diesem Zimmer befindet. Reicht das?"
"Ja, eigentlich schon." antwortete die Gestalt und schlug Kapuze und Umhang zurück. "Es reicht, daß deine Kollegen nicht hören was ich zu sagen habe."
Araghast blinzelte erstaunt. Seine Erwartungen hatten auf eine perfekt geschminkte, bleiche, in ein tief ausgeschnittenes Kleid gehüllte Frau oder einen ein wenig verschlagen aussehenden Mann spekuliert. Auf gar keinen Fall hatte er mit einer schätzungsweise sechzehn bis achtzehn Jahre alten Person gerechnet, die man auch dem Aussehen nach nicht definitiv einem Geschlecht zuordnen konnte. Widerspenstiges, kurz geschnittenes, dunkelblondes Haar umgab ein keckes, stupsnasiges Gesicht mit smaragdgrünen Augen. Unter dem Umhang glänzte für einen kurzen Moment der Knauf eines Degens auf.
"Wenn ich mich vorstellen darf," erklärte der Besucher, als er die offensichtliche Verwirrung auf dem Gesicht des Püschologen entdeckte. "Ich bin Ny Maior. Und bevor du fragst, ich bin weiblichen Geschlechtes, nur hatte mein Vater keine Ahnung was er mit einer Tochter anfangen sollte. Und ich habe was wirklich wichtiges mit dir zu besprechen."
"Soso. Na dann setz dich erstmal." Araghast runzelte leicht die Stirn, während Ny sich in den Besucherstuhl fallen ließ. Was konnte ein halbes Kind, das zudem noch mit einem Degen durch die Gegend lief, abends um halb acht von einem wollen?
"Und was ist nun so wichtig?" fragte der Püschologe in jenem milden Tonfall, wie er in der 'Phänomenomenologie des Geistes' zur Verwendung bei eigensinnigen Kindern empfohlen wurde.
Ny beugte sich vor.
"Nimm mich bitte ernst, ja?" bat sie eindringlich. "Es ist wirklich wichtig! Es geht um eine wahnsinnige Verschwörung!"
"Eine Verschwörung?" fragte Araghast verwundert. Er hatte mit so ziemlich allem gerechnet, angefangen von Kinderhandel über Mord und Totschlag bis zu einem jener Angebote die man angeblich nicht ablehnen konnte. Eine Verschwörung... vielleicht hatte jemand Erich von Nichtsfjord allzu wörtlich genommen.
Ny nickte.
"Und worum geht es bei dieser... Verschwörung?" fragte Araghast mißtrauisch. "Sag besser etwas, womit ich etwas anfangen kann." fügte er in drohendem Tonfall hinzu. "Ich habe zur Zeit genug andere Probleme, als mir auch noch irgendwelche Märchen über Herrn Hongs Dreimal Glücklichen Fischimbiß oder das Verschwinden Lord Balmorals im Zusammenhang mit der verlorenen Stadt Iieeh anzuhören."
Ny Maior runzelte die Stirn.
"Ich bin kein dummes Kind, falls du das denkst." antwortete sie hitzig. "Jemand braucht deine Hilfe, Araghast Breguyar!"
"So?" gab der Püschologe zurück, nur wenig erstaunt über die Tatsache, daß das Mädchen seinen Namen kannte. "Worum geht es? Um einen selbstmordgefährdeten Spinner? oder sind deine Eltern kurz davor, sich gegenseitig an einen Kronleuchter zu hängen, nur um gemeinschaftlich damit drei Stockwerke tief das Treppenhaus herunterzustürzen?"
Ny verdrehte genervt die Augen.
"Ich wußte gar nicht, daß Püschologen so ekelhaft sein können." seufzte sie.
"Berufskrankheit." bemerkte Araghast ungerührt.
"Tja." Ny verschränkte die Arme. "Dann sagt Ihnen der Name Lord Idian von Canis Maior Alpha auch nichts?"
Araghast zuckte zusammen. Woher wußte dieses Gör bloß...
"Natürlich weiß ich, wer er ist. Neun Menschen am hellichten Tag, mitten auf dem Breiten Weg. Nach acht Jahren Haft aus dem Schloß von Wenn entflohen." antwortete er. "Wir sind ihm hart auf den Fersen. Nur noch ein wenig Geduld und wir haben ihn."
"Eben darum muß ich dringend mit dir reden."
Alle Selbstsicherheit war schlagartig von Ny abgefallen. Ihre Stimme klang fast flehend.
Araghast lächelte.
"Weißt du etwas über seinen Aufenthaltsort?" fragte er.
"Es ist der Lord von Canis Maior Alpha, der deine Hilfe braucht." Ny blickte in ihren Schoß.
"Wie?" Araghast glaubte, nicht richtig gehört zu haben. "Warum braucht ein neunfacher Mörder ausgerechnet die Hilfe eines Wächters? Hat er vor, sich endlich zu stellen?"
"Es steht viel mehr auf dem Spiel als du glaubst, Araghast Breguyar." antwortete Ny leise. "Hör dir an, was er zu sagen hat und entscheide dann, ob du deine Kollegen auf ihn losläßt um ihn wieder hinter Schloß und Riegel zu bringen. Bitte. Er und ich wissen, daß er unschuldig ist und es alles nur ein billiger Trick war, um ihn aus dem Weg zu schaffen."
"Du meinst, jemand sprengt die Straße in die Luft, gerade als er vorbeikommt, nur um ihm die Tat in die Schuhe zu schieben?" gab Araghast zurück. "das klingt ja wahrhaftig nach einer schönen Verschwörung. Wer sollte dahinter stecken? Dieser lächerliche Thomas Kreuzworträtsel etwa, der sich selbst Lord Todesschwinge nennt um weniger albern zu wirken? Wo dieser doch zu der Zeit selbst mit schwersten Verbrennungen gesegnet im Hospital der balancierenden Mönche lag? Glaubst du, daß sich die Götter bei von Canis Maior Alpha einen kleinen Scherz erlaubt haben?"
"Mein Vater weiß nicht, wer es gewesen ist." Ny sah auf. "Aber er ist unschuldig." flüsterte sie. "Das schwöre ich."
"Lord Idian von Canis Maior Alpha ist dein Vater?" staunte Araghast.
Ny nickte nur.
"Nun, und er hat dich geschickt, um mit der Wache zu reden? Das riecht doch geradezu nach einem Handel im Stil von Ihr laßt mich laufen und ich verrate euch dafür, wer Roland Wiesel und diese andere junge Frau umgebracht hat, von der wir bisher noch nicht wissen, wer es ist."
Nys Gesichtsausdruck läßt sich lesen wie ein Buch, dachte Araghast bei sich, während er sprach. Also doch eines dieser Angebote die man nicht ablehnen dürfen sollte.
"So etwas in der Art." gab das Mädchen widerwillig zu. "Ich sagte doch, es ist alles eine gigantische Verschwörung. Also, hilfst du uns? Du bist wirklich unsere letzte Rettung." Sie blickte ihn bittend an.
Araghast schwieg.
"Bitte! Es steht eine Menge auf dem Spiel für uns. Denk an das was mit dem armen Roland passiert ist."
Araghast schwieg immer noch. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Es konnte eine Falle sein. Aber andererseits... Wie sollten sie in diesem Fall jemals weiterkommen wenn niemand etwas riskierte?
"Also gut." sagte er schließlich. "Wie lautet das Angebot?"
Er beobachtete, wie die Anspannung von Nys Gesicht wich.
"Danke." sagte sie. "Du kannst dir gar nicht denken, wie dankbar wir dir sind. Morgen Abend, Acht Uhr, Akazienweg 22. Und komm allein."
Sie erhob sich.
"Du wirst es nicht bereuen, Araghast Breguyar. Das verspreche ich dir."

* * *


"Also, wo liegt denn nun das Problem, Schwester Immerschön?" Der kapuzenumhüllte Kopf des Meisters wandte sich ihr zu. "Ich hoffe doch sehr für dich, daß es diese außerplanmäßige Versammlung mehr als rechtfertigt. Bruder Puderquaste hat eine Menge Mühe damit gehabt, den Stammtisch der Volkstanzgruppe Ankertaugasse dazu zu überreden, ihr Treffen ausnahmsweise woandershin zu verlegen."
Selbst im Schatten der Kapuze konnte die Marquise Beatrice L' Etranger den stechenden Blick ihres Meisters spüren.
"Es... es gibt eine neue Figur auf dem Spielbrett." begann sie zögernd. "An diesem Nachmittag erhielt ich Besuch von einem Mitglied der Stadtwache, welches mir Informationen über den Aufenthalt meines ach so geschätzten Bruders entlocken wollte."
"Und, wo liegt das Problem?" griente Bruder Gebetsmühle, der Mann mit der Boxervisage. "Wenn du nichts verraten hast, Schwester, ist doch alles in Butter!"
"Eben nicht." seufzte die Marquise und stützte den Kopf in die Hände. "Der Wächter teilte mir mit, daß sie kurz davor sind, ihn zu schnappen."
Bruder Lockenherz stieß einen spitzen Schrei aus.
"Oh wie fürchterlich!" hauchte er und klappte einen seidenen Fächer aus, mit dem er sich hektisch Kühlung zuwedelte. "Er könnte uns alle verraten! Was tun wir denn nun?"
"Wir könnten den heiligen Sankt Tobsucht um Hilfe anflehen." schlug Bruder Gebetsmühle vor.
"Ruhe, ihr beiden!" fuhr sie der Meister an. "Und laßt endlich dieses alberne Getue, das macht mich noch ganz verrückt!"
Der Angesprochene quiekte leise auf und ließ den Fächer schnell unter der Tischplatte verschwinden. Sein Gesichtsausdruck ähnelte dem eines verängstigten Kaninchens.
"Sollen wir etwaige Wächter inhumieren, die sich auf die Spur des Lords gesetzt haben?" schlug Bruder Messer wieder einmal vor. "Wäre jemand bereit, dafür zu bezahlen?"
"Nein!" befahl der Meister. "Hier wird niemand inhumiert! Wir wollen die Wache doch nicht mißtrauisch machen. Wenn sie es nicht schon ist, wie Schwester Immerschön bereits angedeutet hat."
"Nun, dieser Wächter..." Die Marquise wühlte in ihrer Handtasche herum und legte einige Ikonographien auf den Tisch. "Hier, ich habe heimlich ein paar Bilder von ihm machen lassen. Seht ihn euch ganz genau an. Verblüffend, oder?"
Die übrigen beugten sich über die Bilder und allgemeines Stimmengemurmel wurde laut.
"Faszinierend."
"Diese Ähnlichkeit."
"Und du glaubst wirklich, daß..."

Die ganz in weiß gehüllte Gestalt wandte sich vom verhüllten Fenster ab und schob das Stethoskop in eine der zahlreichen Taschen ihres Gewandes. [16] Sie wußte, was sie zu wissen brauchte. Die Stadtwache war auf einer Spur? Sie würde es zu verhindern wissen. Herumschnüffelnde Wächter waren das allerletzte was sie brauchen konnte.


Tag 5: Interview mit einem Massenmörder oder von den fataleren Fehlern während einer Verfolgungsjagd


"Wir haben die Leiche identifiziert!" schmetterte Jack Narrator, welcher an diesem Morgen Dienst hatte, Kolumbini entgegen, kaum daß dieser das Obduktionszimmer betreten hatte. "Es handelt sich um eine gewisse Johanna Rollmops. Sie wurde von der Schriftstellergilde als vermißt gemeldet, als sie nicht wie geplant vorgestern Nachmittag ihr neuestes Werk dem Lektor übergeben hat."
"Soso." Der Ermittler nickte zufrieden. "Aber vermutlich konnte dort auch keiner sagen, warum sich das Gehirn eines Mitgliedes urplötzlich in eine Avocado verwandelt hat?"
Jack schüttelte den Kopf. "Johanna Rollmops hat, nach dem was wir bisher erfahren haben, bisher einige Romane über Mädcheninternate veröffentlicht, die allesamt nicht besonders erfolgreich waren. Der Gildenlektor, der sie schließlich identifiziert hat, meinte, vor wenigen Tagen hätte sie ihm noch erzählt, daß ihr jetziger Roman etwas ganz anderes sei. Er solle von einer Zaubereischule in Überwald handeln und einem jungen Magier, der dort einige Abenteuer erlebt."
"Und, hast du in die Geschichte reingeschaut?" fragte Kolumbini.
"Wieso? Sollte ich?" fragte Jack verwirrt.
"Nun, wenn sie eventuell auf dem Weg zu ihrem Lektor war, wird sie ihren Text wohl bei sich gehabt haben." erklärte Kolumbini geduldig. Metaphorische Zahnräder rasteten in seinem Gedächtnis in den richtigen Positionen ein. "Oder willst du mir gleich sagen, daß die Spurensicherung kein Romanmanuskript bei ihr gefunden hat?"
Jack griff hinter sich und reichte Kolumbini einen Korb.
"Das war alles was sie bei sich hatte." erklärte er und wies auf den Inhalt.
"Hm." Kolumbini wühlte nachdenklich darin herum. "Spiegel, Lippenstift, Puderdose, Geldbeutel, Hausschlüssel, keine Papiere..."
Warum schleppen Frauen bloß immer so viel unnötigen Plunder mit sich herum, überlegte er bissig und griff nach dem Schlüsselbund.
"Wenn ihr so klug wart und euch die Adresse von der Gilde habt geben lassen werde ich mich ein wenig in der Wohnung der Dame umsehen. Entweder hat sie ihr Manuskript nicht dabeigehabt als sie starb oder es wurde gestohlen."

* * *


Mißmutig hüllte sich Robin Picardo in seinen Mantel. Finde in der Schriftstellergilde alles über eine gewisse Johanna Rollmops und ihre geplanten Romanprojekte heraus lautete der Auftrag, der im Morgengrauen per Brieftaube vom Wachhaus am Pseudopolisplatz eingetrudelt war. Er seufzte leise. Immer blieb alles an ihm hängen. Einen Experten für die Schriftstellergilde gab es nicht und da er bereits einige Nachforschungen in der Alchimistengilde für den Avocado-Fall angestellt hatte, schien Hauptmann Daemon beschlossen zu haben, daß er die Sache nun auch zu Ende bringen konnte.

* * *


Kolumbini konnte die neugierigen Blicke der Nachbarn beinahe spüren, als er die Tür der Wohnung Johanna Rollmops' hinter sich schloß. Gründlich sah er sich um.
Der schmale Flur wirkte auf den ersten Blick wie so viele andere Flure Ankh-Morporks auch: Er enthielt einen Kleiderständer an dem mehrere Mäntel hingen, eine Kommode mit dem Bild eines Mannes in mittleren Jahren auf einem Zierdeckchen, sowie einen großen, ovalen Spiegel. Je eine Tür befand sich links und rechts vom Standpunkt des Ermittlers. Durch ein Fenster in der der Wohnungstür gegenüberliegenden Wand fiel trübes Tageslicht in den Raum.
Kolumbini trat an das Bild heran und warf einen näheren Blick darauf. Jetzt gewahrte er die feinen Risse welche die gesamte Ikonographie überzogen. Das Porträt sah aus, als ob es einmal zerrissen und anschließend wieder zusammengeklebt worden war.
Vermutlich ein verflossener Liebhaber, überlegte der Ermittler, zückte seinen Block und machte sich eine Notiz. Interessant.
Dann wandte er sich der linken Tür zu und drückte sie vorsichtig auf.
Vor ihm erstreckte sich ein Chaos jener Art, wie es bevorzugterweise in Räumen vorkommt, die mehreren Zwecken gleichzeitig dienen. Jeder freie Winkel des Zimmers war mit Büchern vollgestopft. Sie stapelten sich im Kohlenkasten des Ofens, oben auf dem Kleiderschrank, ja sogar der Himmel des ungemachten Bettes beulte sich unter der Last der literarischen Erzeugnisse. Vorsichtig zog Kolumbini ein Buch aus einem überfüllten Regal. Hihstorie der Magieh lautete der Titel. Ein weiteres wahllos herausgesuchtes Buch schien von der Verbindung der Alchimie mit der Zauberei zu handeln.
Der Ermittler runzelte die Stirn. Irgend etwas mußte diese Frau Rollmops vorgehabt haben.
Ein kleines, über dem altersschwachen Schreibtisch angebrachtes Regal weckte sein Interesse. Im Gegensatz zum Rest der Wohnung war es penibel sauber gehalten und nicht bis zu den Grenzen seines Fassungsvermögens vollgestopft.
Kolumbini legte den Kopf schief, um die Titel der dort aufgereihten Bücher lesen zu können.
Polly sucht eine Freundin hieß der erste der schmalen Bände. Polly - Wirbel in Klasse 2 der zweite. Es folgten Polly - Ein Pferd im Internat, Polly die Klassensprecherin, Pollys großer Tag und Polly - Abschied von der Burg, sowie einige Bücher die allesamt von zwei Mädchen namens Jenny und Penny zu handeln schienen. All diese Bücher hatten eines gemeinsam: Die Autorin Johanna Rollmops. Es mußten die Romane sein, die Jack Narrator erwähnt hatte.
Nun ja, ihr Ableben hat wenigstens einen positiven Aspekt für sie, ging ihm durch den Kopf. Gestern war sie noch eine erfolglose Autorin kitschiger Mädchenbücher und heute steht sie in allen Zeitungen. Vermutlich werden ihre Machwerke nach ihrem Tod mehr Wert haben als sie es zu ihren Lebzeiten je gehabt hatten.
Nach kurzem Überlegen bezweifelte der Ermittler, daß diese Bücher irgend etwas interessantes enthielten und wandte sich dem Chaos auf dem Schreibtisch zu.
Ein mit einem dicken Lesezeichen versehenes Buch weckte sein Interesse. Er zog ein paar Handschuhe aus den Tiefen seines MANTELs, streifte sie über und schlug das Buch an der markierten Stelle auf.

Und so geschah es am 24. Oktober im Jahre des hypnotisierten Stachelschweins, daß die vier Gründer der Schweinwärts-Schule für Zauberei und Hexerei ihr Institut für eröffnet erklärten. Jeder magisch begabten Person, ganz gleich ob männlich oder weiblich, sollte der Bildungsweg der Zauberei und Hexerei offenstehen, anders als in der bisher einzigen magischen Bildungsstätte der Scheibenwelt, der Unsichtbaren Universität von Ankh-Morpork. Denn Gordon Griff-im-Ohr, Rebecca Rabenkralle, Helene Hustenschluck und Salzhaar Sütterlin hatten eine Vision.
Doch sie ahnten nicht, daß einer von ihnen dunkle Pläne schmiedete...
Ohne das Wissen der anderen, verborgen in einem dunklen Kellergewölbe, begann Salzhaar Sütterlin mit seinen gefährlichen Forschungen nach der Essenz des Lebens. Ihm gelüstete es nach der Unsterblichkeit.
Und so entwickelte er schließlich die Theorie des Steines der Weisen, welcher in der Lage sein sollte, die Reaktion von Blei zu Gold zu katalysieren und dessen astrale Strahlung, wenn man sie sieben plus eins Tage lang auf destilliertes Wasser einwirken ließ, dem Trinker dieses Wassers bei regelmäßiger Anwendung die Unsterblichkeit gewähren sollte.


"Oh jemine." murmelte der Ermittler und ließ seinen Blick noch einmal über die stellenweise rot angestrichene Passage streichen. "Manche Leute glauben vermutlich an alles."
Doch seine Intuition verpaßte ihm einen mentalen Tritt. Es konnte kein Zufall sein, daß Frau Rollmops einen Haufen Bücher über Magie, Alchimie und Geschichte der Thaumaturgie gehortet und gleichzeitig offensichtlich großes Interesse für die Legende des Steins der Weisen gezeigt hatte. Und nun lag sie tot und mit einer Avocado in der Hirnschale in der Kühlkammer der Abteilung SUSI.
Kolumbini klappte das Buch zu und betrachtete den Titel.

Die 100 größten Verschwörungen der Scheibenwelt - Gesammelt, analysiert und entschlüsselt von Erich von Nichtsfjord

Araghast, überlegte der Hauptgefreite. Der kennt sich vermutlich mit solchen Sachen aus.
Behutsam nahm er das Buch an sich und verstaute es in den Tiefen seines MANTELs. Dann machte er sich daran, die Wohnung systematisch nach dem Manuskript zu durchsuchen.

* * *


Pi mal dem Radius zum Quadrat zu besticken. Das macht für den zu säumenden Rand zwei mal pi mal dem Radius. Viel zuviel für meinen Geschmack. Zumal ich fest entschlossen bin, es nicht zu lernen.
Lea holte aus und warf den Stickrahmen samt Nadel und Fadenknäuel in hohem Bogen aus dem geöffneten Wohnzimmerfenster. Sollte Elisabeth doch predigen bis sie blau anlief. Sie würde niemals sticken, so oft es Onkel Vermut und Tante Begonia auch von ihr verlangten.
Verstohlen sah Lea sich um. Antonia lag in eine warme Wolldecke gekuschelt auf dem Sofa und schien zu schlafen. Ansonsten befand sich niemand im Zimmer. Lea lächelte zufrieden, stemmte sich aus ihrem Sessel hoch und hinkte zum Flügel. So leise wie möglich klappte sie den Deckel auf und setzte sich. Ein Stapel Notenblätter lag auf dem Notenständer, doch Lea beschloß, sie nicht zu brauchen. Heute wurde kein Fondel gespielt.
Genüßlich ließ sie ihre langen Finger knacken und schlug mit voller Kraft in die Tasten.
Die ersten Akkorde von Blechallikas 'Meister der Puppen' ließen die Gläser in der Anrichte klirren.
Während Lea spielte, schweiften ihre Gedanken ab. Am vorigen Tag war Tante Begonia beinahe verrückt geworden, nachdem erst Elisabeth und dann Kolumbini sie über ihre Schwester und Harald Alonzo Trödelgreif ausgefragt hatten. Armer Kolumbini. Er hatte eine solche Behandlung wie ihm hier in diesem Haus zuteil geworden war nicht verdient.
Aber dennoch hatte das ganze eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf Tante Begonia gehabt. Lea lachte leise, als ihre Finger von Taste zu Taste sprangen. Bald war sie die Meisterin der Puppen, die die Fäden zog.
Und sie begann den Text zu singen, der so haargenau zu ihr paßte. Natürlich wenn man das böse Ende nicht mit einbezog. Doch so etwas würde es für Araghast und sie nicht geben. Sie konnten nicht von den Göttern zerschmettert werden.

* * *


"Erstaunlich." Araghast lachte leise. "Die 100 größten Verschwörungen der Scheibenwelt. Das Buch lese ich zufällig gerade. Und du glaubst, daß eine davon etwas mit dem Mord an dieser Schriftstellerin zu tun hat?"
"Nun, zumindest ist ihr neuestes Romanmanuskript spurlos verschwunden." erklärte Kolumbini und legte das Buch, welches er aus der Wohnung der Toten mitgenommen hatte, auf Araghasts Schreibtisch. "Und in ihrem Arbeitszimmer habe ich diverse Bücher über Alchimie und Magie gefunden. Ich glaube, irgend jemand wollte nicht, daß sie etwas per Geschichte an die Öffentlichkeit brachte."
"Zeig mal her." Der Püschologe griff nach dem Buch und schlug es an der Stelle auf, in der das Lesezeichen lag. "Hm..." murmelte er. "Verschwörung Nummer 78. Salzhaar Sütterlin und der Stein der Weisen. Soweit bin ich noch nicht gekommen. Aber es klingt auf jeden Fall hochinteressant."

* * *


Beobachten... Tagaus, tagein immer nur stumpfes Beobachten...
Gold Moon räkelte sich auf ihrem unbequemen Posten hinter einem Schornstein, von dem aus sie den Hier-gibts-Alles-Platz und das Haupttor der Unsichtbaren Universität überblicken konnte. Zu dumm, daß Kanndra sich hatte abordnen lassen. Jetzt blieb die ganze Arbeit an ihr hängen. Sie, die eigentlich ihr gemütliches Büro den kalten Straßen und Dächern der Stadt vorzog. Und seit anderthalb Tagen hatte sich keine Spur des besagten Studenten Harald Alonzo Trödelgreif gezeigt. Seufzend ließ die Späherin ihre Fingerknöchel knacken und rieb sich die spitzen Ohren, welche selbst unter der Tarnkapuze eiskalt geworden waren. Eigentlich war es an der Zeit, sich endlich eine kleine Pause und etwas zu essen zu gönnen. Müde rutschte sie das Dach hinunter und landete auf einem Stall. Dort angekommen ergriff sie die Regenrinne und rutschte an ihr hinunter auf die Straße. Nur ein kleiner Abstecher zum klatschianischen Imbiss und ein kurzer Besuch auf dem Abort...
Sie schlug die Kapuze ihres FROG-Kampfanzugs zurück und schüttelte ihr langes, blondes Haar aus.
"Entschuldigung." flüsterte eine Stimme hinter ihr.
Die Späherin fuhr herum.
Hinter ihr stand... jemand. Genauere Einzelheiten ließen sich im schwindenden Licht nicht erkennen, denn die Person war von Kopf bis Fuß in einen weißen Mantel gehüllt. Eine weite Kapuze verdeckte ihr Gesicht.
"Was wollen Sie?" gab Gold Moon zurück und musterte aus dem Augenwinkel die Straße. Niemand war zu sehen, außer dem Fremden. Ihr lief es kalt den Rücken herunter.
"Sie sind Wächterin, nicht wahr?" fragte die Gestalt. Aus ihrer Stimme ließen sich weder Alter noch Geschlecht bestimmen.
"Was ist los?" keuchte die Späherin und trat einen Schritt zurück.
"Du bist nahe dran." antwortete der Fremde. "Zu nahe für meinen Geschmack."
Gold Moon drehte sich um und rannte, was ihre Beine hergaben.

* * *


Während ihm durch den beginnenden Abend schlenderte überlegte Araghast, ob er nicht langsam wirklich verrückt wurde. Warum war er allein aufgebrochen, ohne die Rückendeckung einer wohlausgerüsteten FROG-Truppe? Sie hätten das Haus nur zu stürmen brauchen und schon hätten sie den Lord von Canis Maior Alpha gehabt. Aber andererseits, wer besagte, daß sich der Lord auch wirklich dort befand? Vielleicht würde dort auch nur jemand auf ihn warten, der ihn dann auf verborgenen Wegen zum wirklichen Treffpunkt führte. In den Romanen von Eddie Wollas war dieses Vorgehen jedenfalls schon fast Routine. Der Held wurde stundenlang mit verbundenen Augen durch die Gegend geführt, bevor er endlich zu Gesicht bekam was er wollte. Und nicht selten wurde er gleich danach gefangen genommen und konnte sich nur mit äußerster List und einer Menge schier unmöglicher Basteleien aus Schnürsenkeln, rostigen Nägeln und den Überresten der Gefängniskost wieder befreien. Warum war er, Araghast Breguyar, also so dumm und rannte geradewegs in eine Falle die offensichtlicher nicht sein konnte?
Es hatte an dem Mädchen gelegen, wurde dem Püschologen klar. Er hatte nichts Falsches an ihr entdecken können. Und wenn sie wirklich recht hatte und ihr Vater tatsächlich unschuldig war? Doch tief in seinem Inneren glaubte Araghast nicht daran. Es hatte zu viele Augenzeugen gegeben. Und doch war es die Aufgabe eines Wächters, die wirkliche Wahrheit herauszufinden.
Und wie weit wäre er selbst bereit zu gehen um jemandem zu helfen der ihm etwas bedeutete? Wozu war er fähig, wenn er nur Lea zurückbekommen würde? Hätte es ihr etwas geholfen, hätte er absolut keine Skrupel gehabt, Ephraim Farrux zu töten. Soviel war ihm zu seinem eigenen Erschrecken klar. War es doch seine Vampirseite, die, durch die Besuche in Olivanders Igordrom bedingt, langsam immer deutlicher hervordrang? Hätte er sich dieselbe Frage vor wenigen Jahren gestellt, hätte er vermutlich behauptet, niemals in der Lage sein zu können, einen Mord zu begehen. Magnarox' glänzende Klinge, die unaufhaltsam auf den Hälse Ephraim Farrux' und Wermut Bolzanos herabsauste, im Hintergrund eine kalt lächelnde Lea...
Mit einem Ruck schreckte Araghast auf. Vor ihm lag der Akazienweg im schwachen Licht des zunehmenden Halbmondes.
Langsam schlenderte er die Straße entlang und behielt dabei die Hausnummern im Auge.
Mein Bruder hat sich mit Dingen eingelassen von denen er besser hätte die Finger gelassen hätte. waren die Worte der Marquise L' Etranger gewesen. Also mußte etwas hinter dem Fall stecken, von dem weder Kolumbini noch er eine Ahnung hatten. Was konnte es sein? Eine Verschwörung, wie diejenigen in seinem Buch? Lauerte eventuell schon Erich von Nichtsfjord mit seinem Notizblock hinter der nächsten Gartenpforte? Und immer noch begriff der Püschologe nicht, welche Rolle Roland Wiesel und die Schriftstellerin in diesem bisher nur aus Einzelteilen bestehenden Puzzle gespielt hatten.

* * *


Es gehört zum Klischee der Verfolgungsjagden wie die Zitrone und das Salz zum Tequila, daß sich der oder die Fliehende früher oder später in einer Sackgasse ohne Ausweg wiederfindet. Warum, fragt sich der geneigte Zuschauer oder Leser. Nun, diese Tatsache läßt sich ziemlich einfach erklären. Die Flucht ist ein rein instinktiver Vorgang. Würde sich die flüchtende Person Gedanken über ihren Fluchtweg machen, wäre sie natürlich zu dem Schluß gekommen, daß sich Verfolger auf belebten Plätzen oder im Hauptberufsverkehr am besten abhängen lassen. Doch das ist das Problem mit den meisten Verfolgten: Sie denken in ihrer blinden Panik einfach nicht nach...
Und so fand sich auch Gold Moon schließlich in der obligatorischen Sackgasse wieder. Die fensterlose Rückwand eines Gebäudes schnitt ihr jegliche weiteren Fluchtwege ab.
Panik wallte in ihr auf wie Wasserblasen in einem Whirlpool. Ein letzter übriggebliebener Fetzen ihres gesunden Menschenverstandes [17] teilte ihr mit, daß es während ihrer lang zurückliegenden Ausbildung einmal einen Punkt gab, welcher den Namen 'auf keinen Fall in Panik geraten' trug, doch wurde er konsequent von der blanken Angst ignoriert und schließlich geradezu überrannt.
Nach Luft schnappend stolperte Gold Moon gegen die Wand.
"Hilfe!" keuchte sie, um den winzigen Funken Hoffnung auf Rettung, welcher ihr noch geblieben war, aufrechtzuerhalten. "Helft mir!"
Tränen schossen ihr in die Augen. Bestimmt hatte der Unbekannte sie verfolgt. Mit dem Ärmel wischte sie sich das Gesicht ab und schniefte.
Dann kreischte sie vor Schreck auf.
Mitten im Eingang der Gasse, als wäre er mitten aus dem Boden gewachsen, stand der Fremde. Ein leichter Windstoß blähte seinen weißen Umhang auf.
"N...nein!" jammerte Gold Moon. "Was hab ich Ihnen denn getan?"
Mit langsamen, fließenden Schritten kam der Fremde auf sie zu.
Gold Moon kauerte sich gegen die Mauer.
"Bitte... Tun Sie mir nichts!" flehte sie.
Doch die Gestalt im weißen Kapuzenmantel kam weiter auf sie zu.
Eine behandschuhte Hand löste sich aus den Falten des weiten Kleidungsstückes. Sie hielt einen langen, kunstvoll geschnitzten Zauberstab.
"Avocado Kadaver!" donnerte eine dunkle Stimme und das Letzte was Gold Moon in ihrem Leben sah war ein grellgrünes Licht, welches die leere Gasse erfüllte und ihren Verfolger in strahlende Helligkeit hüllte. Dann senkte sich schlagartig die Dunkelheit um sie.

* * *


Der Türklopfer besaß die Form einer Schlange, die sich in ihren eigenen Schwanz biß. Grüne Kristallaugen funkelten den Püschologen an, als er den schweren Metallring hob und gegen die Tür fallen ließ. Ein lautes Krachen hallte durch das Haus.
Überwald, schoß es Araghast durch den Kopf, während er wartete. Ganz gleich wie hoch die von Canis Maior Alphas über all die Jahrhunderte hinweg das Menschsein geschätzt haben mochten, so verströmte ihre Residenz bereits von außen die unverwechselbare Aura der Heimat seines Vaters.
Schlurfende Schritte näherten sich der Tür, welche schließlich quietschend geöffnet würde.
"Der Herr wünfen?" drang die mürrische, unverwechselbare Stimme eines Igors an sein Ohr. Araghast schluckte. Igors waren bekannt dafür, ziemlich kräftig zu sein. Vermutlich mußte der Lord mit einem solchen Diener an seiner Seite nichts befürchten.
"Das Fräulein Ny Maior hat mich hierhergebeten." erklärte der Wächter steif. "Falls es wichtig sein sollte, ich bin allein und unbewaffnet." Bis auf das Messer in meinem Stiefel, aber das muß ich dir ja nicht gerade auf die Nase binden...
"Treten Fie ein."
Araghast trat in die düstere Eingangshalle. Quietschend schloß sich die Tür hinter ihm. Jetzt war er völlig der Gnade und Ungnade des Lords von Canis Maior Alpha ausgeliefert.
"Mitkommen." brummte Igor unfreundlich und schritt im flackernden Licht der Kerze, die er trug, voran.
Araghast folgte ihm durch eine Flucht düsterer Gänge und eine knarrende Holztreppe hinauf. Wem auch immer dieses Haus gehören mochte, eines stand jedenfalls fest: Eine Renovierung war mehr als nur dringend notwendig. Eine offenbar fleißig von Igor verteilte Staubschicht bedeckte die schweren, dunklen Schippental-Holzmöbel und die mit scheußlichen Blumenmustern verzierten Tapeten hingen stellenweise in Fetzen von den Wänden. Wer auch immer hier gewohnt hatte, mußte unter akuter Geschmacksverirrung gelitten haben.
"Hier lang, der Herr." Igor wies mürrisch auf eine mit Schnitzereien verzierte Holztür. Araghast brauchte nicht einmal genau hinzusehen um zu erkennen, daß es sich bei den Bildern um Blumen und tanzende, geflügelte Feen handelte.
So, hier bin ich also, dachte er und drückte den Griff herunter. Mal schauen, was mich nun erwartet.
Mit einem widerlichen Knirschen schwang die Tür auf und Araghast blickte in ein heruntergekommenes Wohnzimmer. Das im Kamin lodernde Feuer bildete die einzige Lichtquelle, in deren Schein der Püschologe die Umrisse verschnörkelter Möbel ausmachen konnte.
"Araghast Breguyar!" Ny Maior schnellte aus den Tiefen eines Sofas hoch. "Du bist gekommen!"
"Ja, das bin ich." gab der Wächter zurück und rückte seinen Schal zurecht. "Und ich hoffe sehr für euch, daß das hier keine Falle ist."
"Das ist es nicht." antwortete eine rauhe Männerstimme aus den Tiefen eines großen Ohrensessels. "Komm näher. Ich möchte dich gern ansehen."
Araghast gehorchte.
"Sind Sie Lord Idian von Canis Maior Alpha?" fragte er. In seiner Stimme schwang Schärfe mit.
"Der bin ich." antwortete der Sessel und schwang urplötzlich herum.
Araghast erschrak.
Der Mann, der ihm entgegenblickte, hatte erschreckende Ähnlichkeit mit einem Zombie. Sein schmales Gesicht war eingefallen und hohlwangig und dunkle Schatten lagen um seine Augen. Ein Paar knochiger Hände umklammerte die Sessellehnen, als wären sie der Rettungsring eines Ertrinkenden. Schwarzes, grau gesträhntes Haar reichte dem Mann bis auf die Brust. Araghast war, als hätte er eine wandelnde Leiche vor sich- wenn nicht die Augen gewesen wären.
Smaragdgrün und scharf schienen sie geradewegs in seinen Verstand zu starren. Er kannte diese Augen. Ny besaß sie ebenfalls, genau wie die Marquise L' Etranger.
"Bevor du fragst, ich bin weder ein Zombie noch ein Vampir." erklärte der Lord, als hätte er Araghasts Gedanken gelesen. "Ich komme bloß nicht besonders viel nach draußen."
Die Tür quietschte.
"Bin eine rauchen." rief Ny leise und verschwand im Dunkel des Korridors.
Der Lord verzog das Gesicht.
"Sie sollte das nicht tun." sagte er leise. "Ich weiß, was das Zeug mit der Lunge anstellen kann."
"Also, was wollen Sie von mir?" Araghast hatte sich wieder gefangen. "Mit mir reden? Mir Ihre völlige Unschuld an der Ermordung von neun Menschen versichern? Oder mich gefangen nehmen und in ein Verließ sperren und mich dort langsam verschmachten lassen?"
Der Lord lachte humorlos.
"Du hast eine blühende Phantasie, Araghast Breguyar." bemerkte er. "Die ersten beiden Punkte treffen tatsächlich mehr oder weniger zu. Ersetze den letzten allerdings durch einige Aufklärung über die Abstammung deiner Mutter."
"Was interessiert Sie das?" gab Araghast zurück. "Ich weiß nicht, wo sie herkommt. Sie hieß Liese Kohlensack und war erst eine Zofe und dann freischaffende Näherin. Man hat sie umgebracht, als ich gerade mal sechs war. Ich kann mich nicht mal mehr wirklich daran erinnern wie sie überhaupt aussah. Und es ist auch nicht wichtig. Mein Leben war seitdem schlimm genug und ich habe absolut keine Lust, ausgerechnet mit Ihnen darüber zu reden. Was jedoch wichtig ist, ist einiges über einen gewissen Harald Alonzo Trödelgreif, Hirne die sich auf unerklärliche Weise in Avocados verwandelt haben, ein Mann namens Thomas Kreuzworträtsel der sich Lord Todesschwinge zu nennen pflegt, eine angebliche Verschwörung und die Frage, warum jemand ein Kinderbuchmanuskript stehlen und die Autorin ermorden sollte. Und ich habe schon genug eigene Probleme in der heutigen Zeit, als daß ich auch noch jemanden brauche, der in meiner Vergangenheit rumschnüffelt!"
Er ballte die Fäuste. Endlich, nach so langer Zeit, gab es jemanden den er gepflegt anschreien konnte.
Der Lord von Canis Maior Alpha seufzte leise.
"Das Temperament deiner Mutter." sagte er.
Araghasts Miene verfinsterte sich. Mit seinem verbliebenen Auge funkelte er den Lord wütend an. Für einen flüchtigen Moment kam ihm wieder, wie so oft in den letzten Tagen, der Gedanke, sich ebenfalls eine von Sidneys Anti-Aggressions-Strohpuppen zuzulegen. Ach was, wer brauchte schon Strohpuppen. Lebensgroße Abbilder von Ephraim Farrux, Wermut Bolzano und der Person die für die Avocados in den Köpfen verantwortlich war mußten es sein. Nur einmal jemandem richtig das Gebiß demolieren...
"Also, was haben Sie mir zu sagen?" preßte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Ich hoffe doch sehr, daß es etwas hilfreiches ist. Ansonsten könnte es sehr bald sein, daß Sie sich in einer hübschen Zelle im Wachhaus wiederfinden, nahrhafte Diät mit Schnappers Würstchen inklusive. Außer Ihnen sind nur Ny und Igor im Haus. Und falls Sie glauben, Sie könnten mich beseitigen, für diesen Fall habe ich auch vorgesorgt. Sie sind auf mich angewiesen, so oder so."
Er atmete tief durch, als er zusah, wie der Lord bei seinen Worten zusammenzuckte. Flüchtig keimte so etwas wie ein Funken Mitleid in ihm auf. Doch dieser verschwand sich schnell wieder. Dieser Mann war ein neunfacher Mörder. Bei solchen Personen half nur die püschologische Kriegführung, um vernünftige Informationen aus ihm herauszubekommen. Er hoffte nur, daß der Lord nicht durchschaute, daß seine letzte Behauptung ein Bluff war. In den Eddie Wollas-Heften kamen die Helden jedenfalls so gut wie immer damit durch.
"Also gut." Das verfallene Gesicht des Lords verhärtete sich. "Ich werde dir alles erzählen, Araghast Breguyar. Und bitte unterbrich mich nicht. Ob du es nun glaubst oder nicht, bleibt dir überlassen, aber es ist die reine Wahrheit."
Araghast nickte und zog Notizblock und Bleistift aus der Hosentasche. Dann ließ er sich auf dem Sofa, von dem Ny vorhin aufgesprungen war, nieder und verschränkte die Arme.
"Dann los." sagte er.
Und Lord Idian von Canis Maior Alpha begann zu erzählen.

"Ich bin das jüngste von den drei Kindern Artreus von Canis Maior Alphas und Belladonna Sütterlins. Meine beiden älteren Schwestern sind Beatrice und Lisa Karolina. Beatrice heiratete schon sehr jung den Marquis L' Etranger aus Gennua und folgte ihm dorthin. Lisa hingegen nahm eine Stellung bei der Lady von Eisenstein als deren Zofe und Gesellschafterin an. Sie verstand sich nie besonders gut mit Mutter und war froh, endlich aus dem Haus zu kommen. Du kennst doch unser Familienmotto. Immer menschlich. Tja, und dann geschah es. Die Lady von Eisenstein reiste durch Überwald und das obligatorische Unglück geschah. Sie landete zusammen mit meiner Schwester im Schloß des Grafen Alexeij Breguyar von Duschen-Duschen. Der Graf schien nicht besonders gut gucken zu können, jedenfalls landete er statt in demjenigen der Lady im Schlafzimmer meiner Schwester und das Ergebnis bist du. Als Mutter erfuhr, daß ihre eigene Tochter ein uneheliches Kind von einem Vampir bekommen hatte, warf sie sie aus dem Haus und sorgte dafür, daß sie nirgendwo eine Stellung fand. Ich war todunglücklich und begann, Mutter zu hassen. Vater hatte sich bereits einige Jahre zuvor bei einem Pferderennen den Hals gebrochen. Und drum war Mutter letztendlich wohl auch ziemlich froh, daß sie mich auf die Unsichtbare Universität schicken konnte. Dort freundete ich mich mit Johannes Trödelgreif an, mit dem ich mir ein Zimmer teilte. Hinzu kamen schließlich noch Renatus von Schweinewarze, ein junger Werwolf aus Überwald, und Petrus Schleichbein, Renatus' Zimmergenosse und stellenweise eine unmögliche Nervensäge. Doch alles kam ganz anders als geplant: Schon im zweiten Studienjahr flogen wir allesamt von der Universität, zusammen mit zwei anderen Studenten namens Severin Schnäppchen und Thomas Kreuzworträtsel. Der Grund war ein mißlungener Streich, den wir dem damaligen Erzkanzler spielen wollten. Ich erspare dir erstmal nähere Einzelheiten. Ich weiß nicht woran es gelegen hat, aber irgendwie schien die Alchimistengilde eine ziemliche Anziehungskraft auf Johannes, Severin und Thomas auszuüben und so wurden sie dort Mitglieder. Renatus kehrt für einige Zeit nach Überwald zurück, Petrus verdingte sich als Hilfsschreiber bei der neugegründeten Vetinari-Regierung. Ich hingegen übernahm, sehr zum Mißfallen meiner Mutter, den Familienbesitz und heiratete kurz darauf Violentia Venturii, eine der zahlreichen Töchter des alten Lord Venturii. Wenige Jahre später wurde meine Tochter Nyrialeviatha Thusnelda geboren. Und bevor du fragst, den Namen hat meine Frau verbrochen und nicht ich. Johannes hatte ebenfalls geheiratet, eine Frau namens Liliana Evanus, und einen Sohn bekommen: Harald Alonzo Trödelgreif. Nachdem Renatus zurückgekehrt war erneuerten wir vier unsere Freundschaft.
Und dann fing Johannes mit der Geschichte über den Stein der Weisen an. Letztendlich ist es alles meine Schuld. Meine Mutter, wie bereits erwähnt eine geborene Sütterlin, brachte die Aufzeichnungen ihres Urahnen Salzhaar Sütterlin mit in die Ehe und das uralte Tagebuch lag jahrelang ungelesen in der Bibliothek herum, bis ich es eines Tages Johannes zeigte. Dieser war sofort Feuer und Flamme für das Projekt und machte sich sogleich unter großer Geheimhaltung an die Arbeit. Und schließlich hatte er es geschafft: Das Rezept für die Herstellung des Steins der Weisen war vollendet.
Doch eines wußten wir nicht. Petrus verriet die Existenz des Rezeptes an Thomas Kreuzworträtsel, ebenfalls ein Nachfahre Salzhaar Sütterlins aus einer Nebenlinie der Familie. Und dieser beschloß, zusammen mit seinem alten Freund und Kollegen Severin Schnäppchen und einigen anderen Vertrauten, das Rezept an sich zu reißen. Die Bande füllte das Haus der Trödelgreifs von oben bis unten mit Pulver Nummer Eins. Dann ging Kreuzworträtsel, welcher sich inzwischen aus unerfindlichen Gründen den Künstlernamen Lord Todesschwinge zugelegt hatte, hinein und bat Johannes um die Herausgabe des Rezeptes. Der Plan sah vor, daß sobald Kreuzworträtsel das Haus verließ, egal ob mit oder ohne Rezept, die Lunte für die Sprengladungen gezündet werden sollten. Während die übrigen Mitglieder der Bande warteten, öffnete sich auf einmal die Haustür. Natürlich in Erwartung, daß es Kreuzworträtsel war, wurde die Ladung gezündet, doch aus der Tür trat der kleine Harald. Das Haus explodierte wie geplant. Johannes und Liliana wurden buchstäblich in Stücke gerissen, Kreuzworträtsel überlebte mit schwersten Verbrennungen.
Doch das Rezept hatte die Bande nicht bekommen. Es lag zu dieser Zeit wohlversteckt in der Bibliothek meines Elternhauses. Schnell kamen wir dahinter, daß nur Petrus Schleichbein der Verräter gewesen sein konnte. Und so gründeten Renatus, seine beiden Freunde Korbirian Launisch und Wladislaw Krumm und ich den Orden des ziemlich rosaroten Huhnes, mit dem Ziel, das Rezept zu beschützen und Kreuzworträtsel und Co ein für allemal das Handwerk zu legen. Unterstützt wurden wir in unserem Vorhaben von Doktor Albertus Umbel, unserem ehemaligen Mentor an der Unsichtbaren Universität. Er half uns dabei, die Namen der gesamten Bande ausfindig zu machen, unter denen sich zu meinem Entsetzen auch meine eigene Schwester Beatrice und ihr Ehemann befanden.
Und dann geschah es, daß mir am hellichten Tage Petrus Schleichbein mitten auf dem Breiten Weg entgegenkam. Ich ging auf ihn zu, um ihn zur Rede zu stellen, als plötzlich die Straße um uns herum explodierte. Als sich der Staub verzogen hatte, lagen neun Leichen um mich herum, eine davon war Petrus. Ich war wie betäubt. Was war passiert? War es eine Falle von Kreuzworträtsels Bande gewesen, der ich nur durch größtes Glück entkommen war? Und wenn, warum hatten sie dann einen der ihren geopfert? Doch da ich nicht beweisen konnte, daß ich es nicht getan hatte, wurde ich verhaftet, des neunfachen Mordes für schuldig befunden und ins Schloß von Wenn geworfen. Meine Frau reichte die Scheidung ein, gab Ny an Renatus weiter und beschloß, die Zeit ihrer Ehe mit mir aus ihrem Leben zu streichen.
Nach acht Jahren Gefängnis hatte ich genug und brach zusammen mit einem Mithäftling auf ziemlich abenteuerliche Weise aus. Renatus, bei dem außer Ny auch Harald umgekommen war, versteckte mich für eine Weile, bis ich schließlich in mein Elternhaus, hier im Akazienweg 22, zurückkehrte. Es stand leer. Mutter war vor Gram über ihre mißratene Familie gestorben und spukt seitdem als ständig schlecht gelaunter Geist auf dem Dachboden. Lange Zeit hörten wir nichts von Thomas Kreuzworträtsel und seiner Bande, bis schließlich Anfang vorigen Jahres Harald, welcher frisch von der UU angenommen worden war, seltsame Drohbriefe bekam. Er wendete sich an die Wache, welche Thomas Kreuzworträtsel ausfindig machte, verhaftete und wieder aus der Stadt wies. Da beschlossen wir vom Orden des ziemlich rosaroten Huhnes, das Rezept an einem sichereren Ort zu verstecken und gaben es Harald, welcher ein Versteck in der Kammer des Schreckens fand. Dies ist der Spitznahme für die Abstellkammer der Unsichtbaren Universität, aufgrund der kaputten und nicht richtig funktionierenden thaumathurgischen Apparaturen, die dort aufbewahrt werden. Dort blieb es, und nach Kreuzworträtsels Verhaftung war es erst einmal wieder ruhig. Bis er vor wenigen Wochen plötzlich von Umbel wieder in der Stadt gesehen wurde. Und dann wurde Haralds bester Freund Roland Wiesel tot aufgefunden. Der Rest dürfte dir bekannt sein.


Araghast klappte betont langsam seinen um mehrere Seiten Notizen reicheren Block zu und steckte ihn weg. In seinen Kopf hatte sich ein unübersichtliches Durcheinander aus Informationen und gemischten Gefühlen gebildet. Hatte der Lord ihm wirklich die Wahrheit erzählt? Auf den ersten Blick schien die ganze Geschichte sogar logisch zu sein. Nur der Teil, der seine Mutter betraf... Er mußte Klarheit gewinnen. Und dies ging nur, indem er sich am folgenden Tag die Lady von Eisenstein vorknöpfte und sie danach fragte, ob sie wirklich einmal eine Zofe und Gesellschafterin namens Lisa Karolina von Canis Maior Alpha gehabt hatte.
"Salzhaar Sütterlin." sagte er leise, um seinen inneren Aufruhr vor seinem Gegenüber zu verbergen. "Falls das wirklich stimmt, was Sie mir hier aufgetischt haben, könnte es wirklich einen Grund gegeben haben, Johanna Rollmops aus dem Weg zu räumen."
Lord Idian von Canis Maior Alpha musterte ihn lange und gründlich.
"Araghast Breguyar, du bist wirklich die mit Abstand abgebrühteste Person, die mir je untergekommen ist." stellte er fest.
"Nun, so ist das Leben." gab Araghast zurück und klemmte sich den Bleistift hinters Ohr.
Die Tür quietschte lautstark.
"Was Vater auch immer erzählt hat, es ist die Wahrheit." erklärte Ny trotzig und trat ins Licht, während sie ihren Tabaksbeutel am Gürtel befestigte. "Und du bist ein verdammt sturer Bock, wenn du ihm nicht glaubst. Wir beide brauchen deine Hilfe, verflucht! Harald braucht deine Hilfe! Der Orden des ziemlich rosaroten Huhnes braucht deine Hilfe! Da draußen läuft ein verrückter Magier herum, der die Gehirne von Leuten in Avocados verwandelt und ziemlich offensichtlich handelt er im Auftrag von Kreuzworträtsel und seinen Lebenstrinkern! Und dann..."
"Moment!" unterbrach sie Araghast. "Ein Magier ist für die Toten verantwortlich?"
Der Lord nickte.
"Hast du schon einmal von den drei unvergeßlichen Flüchen gehört?"
Der Püschologe schüttelte den Kopf.
"Angeblich heißen sie unvergeßliche Flüche weil man sie wenn man ihre Wirkung einmal mitbekommen hat nie wieder vergißt." Ny zuckte mit den Schultern. "Anscheinend braucht man dafür nicht einmal sein Kurzzeitgedächtnis."
Der Lord warf ihr einen strengen Blick zu und begann mit seiner Erklärung.
"Die drei unvergeßlichen Flüche sind ziemlich neu und wurden aus fatalen Fehlern des thaumathurgischen Anfängerpraktikums entwickelt. Da wäre zuerst Pohls unheimlicher Resonator. Dieser Zauber bewirkt, daß die Person, die von diesem Zauber getroffen wird, augenblicklich kein Glied mehr rühren kann und auf der Stelle hin- und herzuschwingen beginnt, bis sie seekrank wird. Der zugehörige Spruch lautet Resonatio Pohlus."
Araghast runzelte die Stirn. Zauberer waren vermutlich mindestens genauso schlimm wie Alchimisten, was lebensgefährliche Experimente anging. Ein Wunder, daß die Welt immer noch auf den Rücken der Elefanten stand.
"Der zweite Fluch ist Demtröders brutaler Magnetisierer." fuhr Lord Idian fort. "Das Opfer zieht in Windeseile sämtliche sich in einem Umkreis von zirka 20 Metern befindenden Metallgegenstände an sich. Die Folgen kann man sich wohl denken."
"Vor allem wenn sich eine Sammlung Küchenmesser in der Nähe befindet." unkte Araghast und holte seinen Notizblock wieder hervor. 'Unvergeßliche Flüche' notierte er hastig, während der Lord weitererzählte.
"Und nun der dritte Fluch, der namenlose Todesfluch. Die Beschwörungsformel lautet Avocado Kadaver und geht mit einem grünen Lichtblitz einher. Das Opfer ist sofort tot, weil sich dessen Gehirn in eine Avocado verwandelt."
"Faszinierend."
Araghast kritzelte rasch eine weitere Notiz und sah auf.
"Wie lange muß man studieren, um diesen Zauber hinzukriegen?" fragte er scharf.
"Nun, einige Semester sind dafür schon nötig." erklärte der Lord. "Und soweit ich weiß, hat keiner der Mitglieder von Kreuzworträtsels Bande lange genug Thaumaturgie studiert, um so etwas fertigzubringen. Deshalb haben wir vom Orden die Theorie, daß sie einen Zauberer in ihren Diensten haben. Ich habe Albertus Umbel bitten lassen, sich in der Universität umzuhören, ob es dort eventuelle Gerüchte gibt."
"Und wenn Sie die Bande angeblich so gut kennen, haben Sie dann vielleicht auch einige Namen für mich?"

Eine halbe Stunde später marschierte Araghast wie betäubt durch die nächtlichen Straßen. In seinem Kopf schien ein Wirbelsturm zu toben. So viele Informationen, und die Überzeugung wuchs langsam aber stetig in ihm, daß Lord Idian von Canis Maior Alpha die Wahrheit gesagt hatte. Es paßte einfach alles. Wie in dem Buch Erich von Nichtsfjords. Am nächsten Tag würde es eine Menge Arbeit geben. Und seine Mutter... War er wirklich adelig? Und der Lord und Ny wirklich sein Onkel und seine Cousine? Mit diesem Gedanken konnte er sich nicht besonders anfreunden und er hoffte insgeheim, daß die Lady von Eisenstein den Angaben des Lords widersprechen würde. Denn immerhin hatte seine Mutter ihre Familie ihm gegenüber nie erwähnt gehabt. Und ihr Name war Liese Kohlensack gewesen. Und nicht Lisa Karolina von Canis Maior Alpha. Aber Lord Idian... Araghast kannte sein Spiegelbild nicht besonders gut, weil er Spiegel aufgrund seines Speziesproblems so gut wie er nur konnte mied, aber eines war ihm klar. Trotz dessen verwüsteten Aussehens war er dem Lord wie aus dem Gesicht geschnitten. Die gleichen grünen Augen, die gleiche Raubvogelnase, das gleiche Haar... Ein Wunder, daß mich nach seinem Steckbrief noch niemand an seiner Stelle verhaftet hat, dachte Araghast. Vermutlich hatten die Narbe und die Augenklappe von den ganzen offensichtlichen Ähnlichkeiten abgelenkt. Er seufzte tief und dachte an die Namen, die ihm sein potentieller Onkel gegeben hatte. Außer dem der Marquise L' Etranger kannte er einen weiteren nur allzu gut.
Erich von Nichtsfjord hätte sich auch nichts besseres zusammenspekulieren können, ging ihm durch den Kopf. Er würde sich mit Freuden darauf stürzen. Die 101. Verschwörung. Und ich weiß, was ich jetzt brauche, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Und entschlossen lenkte er seine Schritte in Richtung Klopfdrehgasse und Olivanders Igordrom.


Tag 6: Entschuldigen Sie, aber leiden Sie zufällig unter Verfolgungswahn?


Die aufgehende Sonne schien durch das Fenster in Oberleutnant Venezia Knurblichs Büro und tauchte den Raum in warmes, orangefarbenes Licht. Doch derzeit war die Gnomin an weitaus wichtigeren Dingen als der Tatsache interessiert, daß zum ersten Mal seit Tagen die Sonne wieder zu sehen war. Vor ihrem Schreibtisch stand eine leicht nervöse Rogi Feinstich, deren linke Hand eine frische, saubere Naht zierte.
"Wirklich absolut keine Nachricht?" hakte Venezia verärgert nach.
Rogi schüttelte den Kopf.
"Auch Mindorah hat nichtf bekommen, fonft hätte fie ef dir fukommen laffen, Ma'am. Ef befteht aber immer noch die Möglichkeit, daf der Taube etwaf fugeftofen ift. Manche Wafferfpeier feinen unfere Tauben immer noch nicht von gewöhnlichen Tauben unterfeiden fu können."
Venezia schlug mit der Faust auf den Tisch.
"Zwei Tage ohne Meldung." grollte sie. "Die bekommt was zu hören, wenn sie zurückkommt." Sie seufzte. "Und, wie kommst du mit der Eule voran?" wechselte sie abrupt das Thema, um sich nicht noch weiter aufzuregen.
"Geftern hat fie mich in die Hand gebiffen." Rogi wies auf die Naht. "Aber eigentlich macht fie fich foweit ganf gut, bif auf den Punkt, daf fie die Nachrichten immer noch aufrifft. Da müffen wir unf noch etwaf wirkfamef einfallen laffen."
"Dann tu das." Venezia zuckte mit den Schultern. Manchmal war diese Abteilung wirklich schlimmer als ein Sack brindisianischer jodelnder Stabheuschrecken. Gold Moon machte keine Meldung, Rogi bemühte sich, im Auftrag des Kommandeurs, welcher die Suche nach alternativen Kommunikationsmöglichkeiten angeordnet hatte, ein Tier zur Postbeförderung abzurichten, dessen Sturheit schon beinahe an die eines Felsens grenzte und Araghast schien sich in letzter Zeit ausschließlich mit obskuren Verschwörungen und einem noch seltsameren Fall zu befassen, welcher strenggenommen eigentlich in den Zuständigkeitsbereich von RUM gehörte. Konnten sie sich nicht so langsam mal wieder einen eigenen Püschologen zulegen, so daß sie ihren nicht dauernd entbehren mußte? Die Gnomin überlegte ernsthaft, ob sie ihm nicht wenigstens dieses Buch von diesem Nichtsfjorder wegnehmen sollte, bis er sich wieder beruhigt hatte. Sein letzter Bericht, den sie an diesem Morgen in ihrem Postkorb [18] gefunden hatte, war ihr reichlich verworren erschienen.
"Äh, darf ich gehen, Ma'am?" fragte Rogi vorsichtig.
Venezia nickte abwesend und nahm kaum wahr, wie die Obergefreite salutierte und das Büro verließ. Irgendwie mußte sie endlich einmal Grund in die Abteilung bringen. [19]

* * *


Eine lautstarke Schimpftirade riß Leopold von Leermach abrupt aus dem Schlaf. Er blinzelte müde, wälzte sich auf seiner Hälfte des Himmelbettes herum und streckte sich ausgiebig.
"Was issn los?" brummte er verstimmt. "Kann man nicht mal in Ruhe ausschlafen?"
"Hör dir das an!" rief Robin Picardo. Er stand im Schlafanzug neben dem Schreibtisch und wedelte mit einem Zettel herum.
"Was soll ich mir anhören?" brummte der Vampir. "Daß die Nachricht für mich war und du derjenige warst der aufstehen mußte?"
"Nein." antwortete Robin kurz. "Ausgerechnet jetzt, wo unser Dobermann für Bruderschaften irgendwie von der Bildfläche verschwunden zu sein scheint, schneit hier ein Fall rein, in dem es um, na rate mal was geht."
"Bruderschaften?" Leo stemmte sich auf die Ellenbogen hoch.
"Du hast es erfaßt. Und nun rate mal, wer den Fall nun höchstwahrscheinlich aufs Auge gedrückt bekommt."
"Verstehe." nickte der Vampir und setzte sich auf. "Das heißt, du darfst unter Leuten ermitteln, die komische Kapuzen mit Löchern drin tragen und die Weltherrschaft einfordern?"
"So ähnlich." seufzte Robin. "Hier steht, daß wir hier einige Männer überprüfen sollen. Einen gewissen Geronimo Lockenherz, der einen Schönheitssalon betreibt, ein Mitglied der Assassinengilde namens Mucius Vollreif und Severin Schnäppchen, einen Alchimisten. Es heißt, daß sie Mitglied einer Bruderschaft namens Die Lebenstrinker seien, die unter anderem den Mord an einem Alchimisten und dessen Frau zu verantworten haben und in Verdacht stehen, etwas mit den Avocados in den Köpfen zu tun zu haben. Die Akte soll irgendwann heute Vormittag hier in der Boucherie eintreffen."
"Ach ja, die Avocados." Leopold schwang die Beine aus dem Bett. "Langsam reicht es damit. Übrigens, wer ist heute damit dran, Mina zu füttern?"

* * *


"Also, das ist wirklich interessant."
Kolumbini trat ans Fenster, um die Liste, welche Araghast ihm soeben übergeben hatte, besser lesen zu können.
"Vor allem der letzte Name." stimmte ihm der Püschologe zu. "Du hattest wirklich recht mit deiner Bemerkung damals, daß mehr hinter der Sache steckte als nur die Rache eines Irren an einer verschmähten Liebe."
Kolumbini nickte wissend.
"Mario Sandmann. Wir haben ihn ziemlich unterschätzt." erklärte er und legte die Liste auf Araghasts mit aus dem Block herausgerissenen Notizzetteln bedeckten Schreibtisch. "Die Lilien-Tätowierung auf seinem Arm, die von SUSI so genau in der Obduktionsakte vermerkt wurde. Es paßt so ziemlich alles zusammen. Was allerdings nun wieder die Frage aufwirft, was er wirklich mit der Puppe vorhatte." Nachdenklich klopfte er sich mit dem Finger gegen sein Glasauge. "Woher hast du diese ganzen Informationen über die sogenannten Lebenstrinker und die Geschichte mit dem Rezept für den Stein der Weisen eigentlich?" erkundigte er sich plötzlich.
"Ein Informant." antwortete Araghast ausweichend. "Besser gesagt, eine Informantin. Das Mädel von dem ich dir erzählt habe. Sie hat mich zu jemandem gebracht, der gesungen hat wie eine Nachtigall, um es in der Gaunersprache auszudrücken."
"Ahja." sagte Kolumbini nur. "Und was hast du ihm dafür geboten?"
"Ihn nicht festzunehmen."
"Soso."
Der Ermittler trat an den Schreibtisch heran und nahm sich ein weiteres Blatt Papier. "Also wenn ich dich richtig verstanden habe, sind der junge Wiesel und die Rollmops durch einen Zauber namens Avocado Kadaver gestorben." dozierte er und ließ den eng beschriebenen Bogen wieder fallen. "Somit haben wir schon mal die sogenannte Tatwaffe. Aber du mußt schon zugeben, daß die ganze Sache ziemlich absurd klingt. Andererseits sind wir hier in Ankh-Morpork. Hier ist so ziemlich alles möglich."
Araghast brummte eine Zustimmung.
"Ich habe eine Nachricht an DOG geschickt, daß sie einige dieser Lebenstrinker mal genauer unter die Lupe nehmen sollen." sagte er schließlich. "Was wir tun können ist, hier erst einmal die ganzen Notizen von gestern in eine vernünftige Form zu bringen und uns diejenigen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich von DOG fallen, einmal anzusehen." Er wies auf das Chaos auf seinem Schreibtisch. "Was meinst du, können wir den Kantinentisch in Beschlag nehmen? Außerdem habe ich nachher noch etwas zu erledigen."
In diesem Moment flog die Bürotür auf und schmetterte krachend gegen die Wand. Oberleutnant Venezia Knurblich stand im Rahmen, die Hände in die Hüften gestemmt und hektische rote Flecken im Gesicht.
"Kommt sofort mit, ihr beiden!" befahl sie mit eisiger Stimme, welche ihre mühsam beherrschte Wut verbarg.
"Was ist passiert, Ma'am?" fragte Araghast erstaunt und setzte seine Schäffin auf seiner Schulter ab.
"Auf zu SUSI." befahl diese nur knapp.

* * *


Ny trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und rauchte mittlerweile die fünfte Zigarette in Folge. Harald schien seinem Nachnamen wieder einmal alle Ehre zu machen. Und das, obwohl sie zur Zeit wirklich ernste Probleme hatten. Vermutlich würde er sich wieder mit wichtigen thaumathurgischen Übungen herauszureden versuchen, doch Ny kannte all seine Ausreden längst auswendig.
Mißmutig sah sie zu, wie der Zeiger des Alten Tom langsam um das Zifferblatt herumwanderte. Fünf Minuten würde sie Harald geben, dann konnte er sich die wichtigen Nachrichten dorthin schieben wo die Sonne nicht schien. Knirschend zermalmte der Absatz von Nys Stiefel den Kippenrest. Falls Harald sich nicht zu ihrem Treffen bequemte, würde sie Umbel kontaktieren müssen. Sie kannte den Zugang über die Mauer der Unsichtbaren Universität nur zu gut von diversen heimlichen Besuchen.
"Ny!" Seine Magierroben zusammengerafft damit er besser rennen konnte, kam Harald auf die Toreinfahrt, in der sie sich verbarg, zugeeilt. Seine Brille war ihm bis auf die Nasenspitze gerutscht.
"Es tut mir wirklich leid, aber ich mußte noch..."
"Das übliche erledigen, ich weiß." beendete Ny seinen Satz kurzangebunden. "Mittlerweile habe ich aufgegeben, auf den Tag zu warten, an dem du mal pünktlich bist. Aber was viel wichtiger ist:" Sie senkte ihre Stimme. "Ist es immer noch gut versteckt?"
Harald nickte und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. "Das ist es doch schon seit ich studiere. Was ist los, daß du plötzlich danach fragst?"
"Du weißt, was mit Roland passiert ist, Harald. Es kann nur ein Zauberer gewesen sein. Und du befindest dich mitten unter welchen. Ich glaube zwar nicht, daß irgendwer dein Gehirn in eine Avocado verwandelt bevor er dir das Versteck aus der Nase gezogen hat, aber paß auf dich auf! Es könnte so ziemlich jeder Zauberer sein. Keiner weiß, wen Todesschwinge angeheuert hat, aber langsam wird es ernst. Vater hat über meinen Vetter Kontakt mit der Wache aufgenommen, auf deren Hilfe können wir zählen." Kurz berichtete sie Harald, was in den vergangenen Tagen vorgefallen war. Und es war ihr eine heimliche Freunde zuzusehen, wie das Gesicht des Zaubereistudenten von Minute zu Minute bleicher wurde.
"Aber... aber was kann ich denn tun?" stammelte Harald panisch, nachdem Ny geendet hatte. "Ich..."
"Halt dich an Umbel." riet sie ihm. "Vater hat ihn bei seinem letzten Besuch gebeten, ein Auge auf dich zu haben. Er wird schon auf dich aufpassen, so gut er kann."
Harald seufzte.
"Ich wünschte, ich hätte dein Selbstvertrauen." sagte er resigniert. "Warum muß ausgerechnet ich in dieser Sache drinstecken? Warum kann ich nicht einfach alles hinschmeißen und eine Stelle als Hilfsbeamter im Patrizierpalast annehmen?"
"Weichei." bemerkte Ny unsensibel und strich über den Degenknauf, den sie unter ihrem Umhang verborgen hielt. "Wir können auch nichts dran ändern. Hier müssen wir durch, bis Todesschwinge und seine Lebenstrinker endgültig aus dem Weg geschafft worden sind." Sie biß sich auf die Lippen. "Und wenn ich den Kerl in die Finger bekomme, der für Vaters Verurteilung verantwortlich ist..."
"Warum kannst du nicht der Junge und ich das Mädchen sein?" jammerte Harald.
"Schnauze!" fauchte Ny ihn an. "Verkriech dich doch unter deiner Bettdecke und heul dich aus! Damit änderst du auch nichts! Und falls du Umbel unterwegs triffst, sag ihm, daß Vater ihn heute Abend gern treffen würde. Akazienweg 22 wie immer."
"In... In Ordnung." Harald schluckte. "Wir... sehen uns dann übermorgen um dieselbe Zeit wieder."
"Hoffentlich dieses Mal auch wirklich um dieselbe Zeit." bemerkte Ny bissig, schlug sich die Kapuze über das kurzgeschnittene Haar und schlenderte aus der Toreinfahrt, während sie in ihrem Tabaksbeutel nach einer Zigarette wühlte. Harald hat gut jammern, dachte sie wütend, als sie sich auf den Weg in Richtung Pseudopolisplatz machte. Er sollte mal versuchen, in Vaters Haus zu wohnen, den ganzen Tag hinter verschlossenen Fensterläden, eingesperrt mit dem sich ständig über alles aufregenden Geist ihrer Großmutter, welcher sich auf dem Dachboden eingenistet hatte, und einem mürrischen Igor. Letzterem hatte sie noch nie über den Weg getraut. Er war Belladonna Sütterlin treu ergeben gewesen und hatte seine unübersehbare Abneigung gegenüber dem Rest der Familie über die Jahre gerettet. Doch entlassen konnten sie ihn nicht. Er wußte zuviel.
Ny brauchte drei Anläufe, um ihre Zigarette zu entzünden. Fluchend warf sie das Streichholz in den Rinnstein und inhalierte tief. Nun war es ihre Aufgabe, den Orden des ziemlich rosaroten Huhnes zusammenzurufen.

* * *


Mit gemischten Gefühlen stand Robin vor dem Schaufenster des Schönheitssalons Verführung der Sinne und musterte scheinbar interessiert die Auslagen. Verschwommen konnte er durch die Fensterscheibe das Innere des Geschäftes beobachten. In dem in sanften Rosatönen gehaltenen Ladenlokal trippelte ein aufgeputzter Mann um einen Sessel herum, in dem ein menschliches Individuum saß. Einzelheiten der sitzenden Person konnte Robin nicht erkennen, da ihr Gesicht mit einem bräunlichen Schlamm beschmiert war.
Der Dobermann seufzte tief und bereute aus tiefstem Herzen, nicht Vico van Vermeer auf diese Mission schicken zu können. Der würde in diesen Salon passen wie die Faust aufs Auge. Doch Ecatherina Erschreckja zu vertreten war keine Kleinigkeit, und er glaubte nicht, daß Vico der Aufgabe gewachsen war. Vermutlich würde er exzessiv mit dem Besitzer über die neueste Mode plaudern, sich einige Gesichtsmasken verpassen lassen und das Ganze anschließend auf die Spesenrechnung der Wache setzen.
Warum konnten nicht alle der zu überprüfenden Personen so einfach auszuhorchen sein wie Severin Schnäppchen? Ein kurzes Gespräch mit seiner Liebsten Alice und schon hatte diese dem Meister der giftigen Gebräue äußerst elegant auf den Zahn gefühlt. Mit Mucius Vollreif hatte die DOG ebenfalls leichtes Spiel gehabt. Kurz bevor der Dobermann sich auf den Weg zu seinem jetzigen Ermittlungsort gemacht hatte, war Hatscha al Nasa bereits mit der vollständigen Biographie des Assassinen zurückgekehrt. Doch warum um alles auf der Scheibe mußten diese Lebenstrinker einen wie Geronimo Lockenherz in ihren Reihen aufgenommen haben?
Robin verzog das Gesicht als hätte er schweres Zahnweh und wandte sich zur Tür.
Ein Glockenspiel bimmelte in perfekt aufeinander abgestimmten Tönen, als der Dobermann den Laden betrat und augenblicklich nach Luft rang. Eine Wolke schwülstiger Düfte, die geradewegs einem klatschianischen Serail entwichen zu sein schien, hüllte Robin ein und ließ seine Augen tränen.
Der aufgeputzte Mann, den er bereits durch das Fenster beobachtet hatte, wandte sich als er das Läuten hörte um und bedachte seinen Gast mit einem strahlenden Lächeln. Seine makellos weißen Zähne schienen förmlich zu funkeln und Robin fragte sich insgeheim, ob der Ladeninhaber sie wohl lackiert hatte.
"Einen Moment bitte!" säuselte der Mann und pirouettierte elegant, um sich wieder über seinen Kunden zu beugen. "Ich bin gleich bei Ihnen, mein Lieber. Wenn Sie bitte so liebenswürdig wären, dort drüben auf dem Sofa Platz zu nehmen?" Graziös nickte er in Richtung einer dunkelroten, scheinbar größtenteils aus Plüsch bestehenden Couch.
Wie betäubt schlurfte Robin quer durch den Raum und ließ sich vorsichtig auf der vordersten Kante des Sitzmöbels nieder, welches augenblicklich unter ihm nachgab und ihn in seinen samtigen Tiefen versinken ließ. Mühsam befreite er sich wieder aus den Unmengen von Stoff und nahm den Laden genauer in Augenschein.
Der erste Eindruck beim Blick durch die Fensterscheibe hatte nicht getrogen: Verschiedene Rosatöne waren tatsächlich die vorherrschende Farbe, und gut verborgene Lampen tauchten alles in ein sanftes, warmes Licht.
Ein seltsames Gefühl der Nervosität befiel den Dobermann, ähnlich dem, welches er normalerweise in der Nähe der Bewohnerinnen des Erdgeschoß der Boucherie Rouge verspürte. Ihm gefiel dieser Ort ganz und gar nicht. Ganz ruhig bleiben, beschwor er sich selbst. Du bist nur hier, um dir eine Hautcreme empfehlen zu lassen. Verzweifelt kämpfte er gegen die Dunstglocke an, die die süßen klatschianischen Düfte über sein Hirn zu legen drohten und konzentrierte sich auf den Kosmetiker, der gerade dabei war, seinem Kunden behutsam den Schlamm vom Gesicht zu wischen.
Robin schätzte sein Alter auf ungefähr fünfzig Jahre, vielleicht auch etwas mehr, wenn man die dick aufgetragene Schminkeschicht berücksichtigte. Goldgelocktes, kinnlanges Haar umspielte seinen Kopf und seine erlesene, ein wenig protzig wirkende Kleidung schien aus reiner Seide zu bestehen. Seltsamerweise hatte die schlammige Gesichtsmaske seines Kunden bisher keinen einzigen Fleck auf seinen blütenweißen Spitzenmanschetten hinterlassen.
Um den Kosmetiker nicht allzu offensichtlich anzustarren wandte sich Robin dem Tischchen zu, welches neben dem Sofa stand und auf dessen Platte sich ein Stapel jener Sorte von Zeitschriften stapelte, welche beinahe ausschließlich von Frauen gelesen wurden. [20] Noch so eine Sache, die ein Buch mit sieben Siegeln für ihn darstellte.
"So, jetzt stehe ich voll und ganz zu Ihrer Verfügung." riß ihn die melodische Stimme des Kosmetikers aus seinen Überlegungen.
"Äh... ja. Sind... Sind Sie Herr Geronimo Lockenherz?"
Mühsam befreite sich Robin aus den flauschigen Tiefen des Sofas und reichte dem Mann, der mittlerweile zu ihm herübergekommen war, die Hand. Der nervtötend harmonische Klang der Ladenglocke verkündete, daß der Kunde mit der Gesichtsmaske, der sich übrigens als ein dem Dobermann flüchtig bekannter Kaufmann herausgestellt hatte, den Laden verließ.
"Selbiger in Person zu Ihren Diensten." Lockenherz deutete eine leichte Verbeugung an.
"Äh, ich... ich wollte nach einer guten Anti-Falten-Creme fragen." brachte Robin seinen sorgfältig zurechtgelegten Vorwand zu einem Gespräch über das Altern an. Wenn wirklich stimmte, was in der Akte gestanden hatte, die am Morgen in der DOG eingetroffen war...
"Soso." Lockenherz musterte Robin mit einem abschätzenden Blick. "Sind Sie wirklich sicher, daß Sie schon eine benötigen?" Er gab dem Dobermann einen spielerischen Stups auf die Nase, was diesen erschrocken zusammenzucken ließ. "Sie sehen doch eigentlich noch sehr jung aus. Und ein richtig Hübscher sind Sie noch dazu." Er kicherte affektiert.
Robin schoß das Blut in den Kopf. Ich will hier raus, schrie es in seinem Kopf. Nichts wie weg von hier! Er schluckte.
"Ich habe panische Angst vor dem Altwerden." preßte er schließlich heraus. Ihr Götter, laßt ihn denken, mein komisches Verhalten habe mit meiner Aussage zu tun...
Doch die Lady schien es gut mit ihm zu meinen. Das Gesicht Lockenherz' wurde schlagartig ernst.
"Hach ja, der Alterungsprozeß, die Geißel jedes Lebewesens." Er seufzte bekümmert. "Der Verlust der Jugend. Der unaufhaltsame Verfall des Fleisches. Und es gibt kein Mittel, welches dieses langsame Sterben aufhalten kann. Glauben Sie mir, ich werde mir jede Mühe geben, Ihr hübsches Gesicht so lange zu konservieren wie nur möglich."
Zärtlich strich er Robin über die Wange.
Dem Dobermann brach der kalte Schweiß aus. Er gab seinen Instinkten nach und floh.

* * *


Entsetzt starrten Araghast und Kolumbini auf den reglosen Körper, der dort vor ihnen auf dem Seziertisch lag.
"Nein!" sagte Araghast schließlich leise. "Das darf nicht wahr sein."
"Es ist aber wahr." knurrte ihm Venezia ins Ohr. "Und ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, daß derjenige der das getan hat, das Fell über die Ohren gezogen bekommt!"
Doch Araghast hörte nur halb hin. Schockiert lauschte er den Ausführungen Leopold von Leermachs.
"...bekamen vor etwa anderthalb Stunden Bescheid von einem Angestellten Paul Königs, daß sie im Müllhaufen hinter der Unsichtbaren Universität eine herausragende Hand gefunden hatten. Daraufhin hat er uns gleich alarmiert. Und als wir von der Spurensicherung dann den Haufen vorsichtig abgetragen haben, lag sie da. Äußerlich völlig unversehrt, aber mausetot."
"Und ich wage zu behaupten, daß ihr, wenn ihr ihren Schädel aufsägt, eine frische Avocado in der Hirnschale finden werdet." sagte Kolumbini ernst.
"Avocado Kadaver." murmelte Araghast. "Der Todesfluch."
Der Ermittler nickte. "Bezeichnend ist es außerdem, daß der Mörder sie ausgerechnet auf dem Abfallhaufen der UU versteckt hat. Entweder ist er wirklich zu dumm, eine bessere Möglichkeit zu finden, eine Leiche loszuwerden, oder er wollte, daß wir sie irgendwann finden."
"Eine Warnung, die Finger von der Angelegenheit zu lassen." brummte Venezia. "Aber jetzt will ich erst recht, daß ihr der Sache auf den Grund geht! Niemand bringt ungestraft einen meiner FROGs um!"
Araghast blickte traurig auf Gold Moons stilles Gesicht. Insgeheim fühlte er sich schuldig an ihrem Tod. Er war es gewesen, der dafür gesorgt hatte, daß jemand Harald Trödelgreif beschattete und sie so letztendlich zum Versteck Lord Idian von Canis Maior Alphas führte. Eine Sache, die sich mittlerweile erledigt hatte.
Mit einem Ruck zog Leopold das weiße Laken wieder über Gold Moons Körper.
"Bregs, ich will alle FROGs und unseren Ermittler hier in fünf Minuten in meinem Büro sehen." befahl Venezia. "Beruf eine Krisensitzung ein. Ich will von euch beiden einen ausführlichen Bericht über den Fall haben. Und du siehst zu, daß ich das Autopsieergebnis noch heute Mittag auf meinem Schreibtisch habe." wandte sie sich an Leo. "Haben mich alle verstanden?"

* * *


Als Araghast nach der Krisensitzung in sein Büro zurückkehrte wartete Ny dort auf ihn. Sie hatte Havelock irgendwie dazu gebracht, auf ihrer Schulter zu sitzen und war damit beschäftigt, ihr Gefieder zu streicheln.
"Normalerweise macht sie das fast nie bei Unbekannten." bemerkte er lahm.
Ny lächelte verschmitzt.
"Vermutlich weiß sie, daß ich zur Familie gehöre." Ihr Gesicht verdüsterte sich. "Es tut mir so Leid wegen deiner Kollegin. Die Wächterin hinter dem Tresen hat es mir erzählt."
"Falls du es wissen willst, sie hatte den Auftrag gehabt, Harald zu beschatten." Araghast ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. "Deshalb würde ich jede Wette darauf abschließen, daß auch sie dem Avocado Kadaver zum Opfer gefallen ist."
Ny nickte nur und setzte Havelock zurück auf ihren Käfig.
"Du verstehst doch hoffentlich, daß wir nun dringend handeln müssen." fuhr der Püschologe fort. "Meine Kollegen überprüfen gerade sämtliche Lebenstrinker deren sie habhaft werden können auf möglichst unauffällige Weise. Dieser Spuk muß verdammt noch mal endlich aufhören!"
"Eben drum bin ich hier." Ny setzte sich auf die Schreibtischkante. "Vater hat für heute Abend den kompletten Orden zusammengerufen und möchte, daß du ebenfalls kommst."
"Hm, sie könnten durchaus etwas zu erzählen haben." Nachdenklich rieb sich Araghast das bartlose Kinn und erinnerte sich plötzlich an seine Pflichten als Gastgeber.
"Kaffee?"
"Nein Danke. Da werde ich nur noch kribbeliger von."
Der Püschologe mußte grinsen. Sein eigener Körper hatte sich bereits daran gewöhnt, jeden Tag mehrere hohe Dosen destillierten Koffeins zu sich zu nehmen, doch er wußte nicht, wie Nicht-Wächter auf das Gebräu reagierten.
Ny hatte sich währenddessen die Liste geschnappt, welche zuoberst auf einem Aktenstapel gelegen hatte und studierte sie neugierig.

-Thomas Kreuzworträtsel: Ehemaliger Magiestudent und Alchimist, nennt sich Lord Todesschwinge, wurde zweimal aus der Stadt verbannt, durch Brandnarben entstelltes Gesicht, welche er sich beim Mord an den Trödelgreifs zuzog
-Mucius Vollreif: Mitglied der Assassinengilde, gilt als Perfektionist, Markenzeichen ist sein langes, weißblondes Haar
-Marquis Roberto L' Etranger: Exzentrischer reicher Adeliger aus Gennua, verstarb im vorletzten Februar an einer Fischvergiftung
-Marquise Beatrice L' Etranger, geborene von Canis Maior Alpha: Seine Ehefrau
-Gregor Speier, Priester des heiligen Sankt Tobsucht, Gott der sinnlosen Gewalt und der unkontrollierten Wutanfälle
-Severin Schnäppchen: Lehrmeister für giftige Gebräue an der Alchimistengilde
-Mario Sandmann: Ehemaliger Magiestudent, danach Arzt, hatte eine ungesunde Neigung für kranke oder behinderte junge Mädchen, beging im letzten Gruni Selbstmord in einer Zelle im Wachhaus
-Geronimo Lockenherz: Besitzer von Lockenherz' Kosmetiksalon, ein radikaler Verfechter des Jugendwahns
-Vinzent Krabbe: Möbelpacker bei AEKI, wurde vermutlich nur wegen seiner Muskelkraft von den Lebenstrinkern rekrutiert
-Petrus Schleichbein: Verräter am Orden des ziemlich rosaroten Huhnes, gilt seit dem Tag der Verhaftung Lord Idian von Canis Maior Alphas offiziell als tot, muß irgendwie untergetaucht sein


"Wie ich sehe, hast du gründlich recherchiert, Araghast." lächelte Ny und ließ die Liste zurück auf den Schreibtisch fallen.
"Gemeinschaftsarbeit und einige Auskünfte deines Vaters. Und du darfst mich Bregs nennen, das tun eigentlich alle." wehrte der Püschologe ab. "Aber ich muß nun langsam wirklich weiter arbeiten. Gleiche Zeit, gleicher Ort wie gestern?"
Ny nickte.
"Das Paßwort lautet Draco vulgaris dormiens numquam titillandus aus explodiat" erklärte sie. "Es bedeutet so viel wie 'Schlafende Sumpfdrachen sollte man niemals kitzeln sonst explodieren sie'."

Nachdem Ny gegangen war, starrte Araghast lange an die Wand. Er konnte nicht sagen warum, da er sie kaum kannte, aber das Mädchen erschien ihm einfach sympathisch. Sie war keiner der albernen Backfische ihres Alters und ihres Standes, die stundenlang kichernd vor dem Spiegel standen und vor Ungeduld auf ihren ersten Ball beinahe platzten. Im Gegenteil, Araghast bezweifelte, daß Ny überhaupt etwas von Bällen hielt. Und wenn dann könnte er sie sich höchstens als eleganten Kavalier in Kniehosen und weißem Rüschenhemd vorstellen. Irgendwie erinnerte sie ihn ein wenig an Lea.

Entschlossen erhob er sich. Er würde die Lady von Eisenstein aufsuchen und endgültig Klarheit in seinen Stammbaum bringen.

* * *


Es war nicht besonders schwer gewesen, die Wohnung Vinzent Krabbes zu finden. Seine Kollegen in der Lagerhalle von AEKI hatten nur allzu breitwillig Auskunft gegeben.
Ein Gespräch mit seiner hünenhaften Ehefrau über ihren Mann zu führen ohne dabei von ihrem Nudelholz erschlagen zu werden hatte sich als weitaus schwieriger erwiesen. Kolumbini wunderte sich mittlerweile überhaupt nicht mehr, daß Krabbe seine Freizeit lieber in der Gesellschaft obskurer Geheimbünde verbrachte als in der Nähe dieser Dampfwalze auf Beinen, die ihn vermutlich regelmäßig mit diversen Küchenutensilien bearbeitete. Nur zu gut, daß er klug genug gewesen war, sich als Vertreter für achatenen Tee auszugeben. Wenn Frau Krabbe dahinterkam, daß sich die Wache für ihren Mann interessierte, würde sie Vinzent vermutlich zu Mus stampfen und das Letzte was Kolumbini gebrauchen konnte war ein von seiner eigenen Frau ermordeter Tatverdächtiger.
Der Ermittler zückte Block und Bleistift und hakte den Namen Vinzent Krabbe von seiner Liste ab. Jetzt blieb ihm noch Gregor Speier, der Priester des heiligen Sankt Tobsucht und, aufgrund seines Status, mutmaßlicher Schreiber der Schriftrolle im Kopf der Puppe Mario Sandmanns. Um ihn würde er sich morgen mit Hilfe einiger FROGs kümmern, nachdem er sich aus dem Register des Tempels der geringen Götter seine Adresse besorgt hatte. Während der Mittagspause hatte er sich im B.R.I.G.I.T.T.E. [21] über den heiligen Sankt Tobsucht informiert und wunderte sich immer noch, für welche absurden Dinge Götter existierten. Da war zum Beispiel der Oh Gott des Katzenjammers. Lamentatio, Göttin endloser Opern. Kaba, die Göttin des Kakaos. Ichwarsnicht, Gott der unlizenzierten Diebe. Und dann der heilige Sankt Tobsucht, Gott sinnloser Gewalt und unkontrollierter Wutanfälle. Kolumbini fragte sich, wer ihn wohl verehrte. Berufsmäßige Tavernenschläger? Berserker? Nun, vermutlich gab es Leute, die an alles glaubten. Ansonsten hätte der heilige Sankt Tobsucht wohl niemals einen Hohepriester gefunden, der sich sein Hohheitszeichen, eine orangefarbene Faust an einer Juteschnur, um den Hals hängte, die rituellen Schlagringe über die Finger streifte und die Zeremonienkeule mit dem geweihten spitzen Nagel darin am Gürtel trug. Laut dem B.R.I.G.I.T.T.E. bestanden die Gottesdienste darin, daß sich die Gläubigen im Sanktuarium gegenseitig die Schädel einschlugen. Es ist wohl kaum nötig zu erwähnen, daß Kolumbini nicht plante, im Zuge seiner Ermittlungen an einer solchen Andacht teilzunehmen. Aber er ahnte, daß er die FROG-Unterstützung brauchen würde, wenn er Gregor Speier zu einem Verhör ins Wachhaus schleifen wollte.

* * *


Igors Laune war noch schlechter als am vorigen Tag.
"Daf waren noch Feiten, alf die alte Lady noch lebte." beschwerte er sich ungefragt, während er Araghast, welchem die Wohnungsdekoration noch häßlicher als bei seinem letzten Besuch vorkam, zum Wohnzimmer führte. "Damalf herrfte noch Ordnung im Hauf und keiner diefer widerlichen Untoten wagte ef, einen Fuf über die Türfwelle fu fetfen."
"Aber was hast du gegen Untote, Igor?" wollte Araghast wissen. "Ich meine, du kommst doch gewiß aus Überwald. Und es liegt doch sozusagen in deiner Familie, Vampiren und Werwölfen zu dienen und Spinnweben überall zu verteilen und die Türangeln anzurosten oder was auch immer. Also warum dieser Haß?" Neugierig wartete er auf die Antwort. Ein speziesistischer Igor- Das war ihm in seiner ganzen Püschologenlaufbahn noch nicht vorgekommen.
"Eben darum bin ich vor vielen Jahren nach Ankh-Morpork aufgewandert." stöhnte Igor und verzog angeekelt das narbenzerfurchte Gesicht. "Ich konnte ef allef nicht mehr ertragen. Fuerft diente ich einer Familie von Werwölfen, die allefamt eine ftarke Ftauballergie befafen. Wie foll ein Igor da noch vernünftig Igor fein? Meine nächfte Anftellung bekam ich bei einer Vampirin mit panifer Angft vor Fpinnen." Er schüttelte sich. "Und fo ging ef immer weiter. Keinen von ihnen konnte ich ef recht machen. Untote find einfach frecklich. Und auferdem find fie wieder der Natur. Leichen die herumlaufen... Gleichfam ewig leben... Und auferdem alf Erfatfteillager unbrauchbar."
"Schon mal daran gedacht, zu einem Püschologen zu gehen?" schlug Araghast vor. Innerlich schüttelte er den Kopf. Dieser Igor hatte ja wirklich mehr als nur eine Schraube locker. [22]
Der Diener schüttelte den Kopf.
"Püfologen!" schnaubte er. "Ich brauche fo etwaf nicht. Der Lord unf feine Tochter könnten wahrhaftig einen gebrauchen. Der würde ihnen aufreden, fich mit diefen Gefindel abfugeben."
"Nun, zufällig bin ich Püschologe." gab Araghast zurück. "Und ein halber Untoter noch dazu. Und außerdem gehöre ich zur Familie, wie mir an diesem Nachmittag offiziell bestätigt wurde." Böse funkelte er Igor an.
"Blutfande." knurrte dieser. "Blutfande! Warum laffen fich Menfen bloß fu fo etwaf herab?" Er beugte sich zu Araghast hinunter und sein Blick sagte dem Püschologen, daß er ihn am liebsten mit einer Hand zerquetschen würde. "Fei froh, daf du von meinem Herrn eingeladen bift." zischte er. "Fonft würde ich dich in einem fo hohen Bogen hinaufwerfen, daf du dich in einer halben Ftunde noch wunderft wann du wieder auf dem Boden aufkommft!"
"Irgendwelche Probleme hier?" fragte eine schnippische, dunkle Frauenstimme. Ny lehnte an der Wohnzimmertür, eine Zigarette zwischen den Fingern, und blies Rauchringe in die Luft.
"Mir gehts gut, danke." antwortete Araghast sarkastisch. "Aber Igor scheint leichte Schwierigkeiten mit der Spezies meines Vaters zu haben."
"Verschwinde!" fauchte Ny den Diener an. "Schieb dir dein hirnloses Gerede dorthin wo die Sonne nicht scheint! Und wehe, du sagst noch einmal ein böses Wort zu Araghast. Er ist genausogut ein Enkel deiner heißgeliebten Herrin wie ich!"
Igor knurrte etwas und verschwand.
"Da geht er hin." Ny winkte mit ihrer Zigarette. "Vermutlich hockt er sich jetzt in das Kabuff neben der Küche und schmollt. Das macht er dauernd. Solange er nicht im Keller an irgendeiner neuen Maschine arbeitet. Ich sorge allerdings immer wieder dafür, daß sie nicht funktioniert." Sie grinste schelmisch. "Schließlich kann man nicht riskieren, daß er einem eines Tages das Haus unter dem Hintern wegsprengt. Aber jetzt geh schon rein. Der Orden des ziemlich rosaroten Huhnes wartet auf dich."
"Äh, eine Frage noch. Da ich ja jetzt bewiesenermaßen Mitglied der Familie bin... Was bedeutet eigentlich Canis Maior Alpha?" wollte Bregs wissen.
"Korrekt übersetzt bedeutet es so viel wie 'Großer Hund A." erklärte Ny und zog an ihrer Zigarette. "Die Geschichte wie es zu dem Namen kam ist eh ziemlich interessant. Der erste Lord von Canis Maior Alpha war ein Kaufmann namens Procyon Schwarz. Als er dann von König Wubbeldorn dem Bewußtlosen geadelt wurde brauchte er natürlich einen Namen. Nun litt Schwarz unter wahnsinniger Hundephobie. Und das Schicksal wollte es, daß wenige Tage vor seiner Erhebung in den Adelsstand vor versammelter Gesellschaft ein ziemlich großer Kampfhund über den Weg lief und er daraufhin letztendlich schreiend vom Kronleuchter baumelte, bis man den Hund entfernte. Die Geschichte brachte ihm den Spitznamen 'Großer Hund Aaaaarrrgh' ein. Und Wubbeldorn der Bewußtlose, der einen ziemlich seltsamen Humor gehabt zu haben schien, übersetzte das Ganze einfach ins Latatianische und adelte unseren Urahnen zum Lord von Canis Maior Alpha."
"Interessant." bemerkte Araghast spöttisch. "Also ich möchte nicht wissen, wie die anderen adeligen Familien der Stadt zu ihren Namen gekommen sind."
Ny zwinkerte ihm zu und zog die Wohnzimmertür auf.
"Viel Spaß mit den alten Herren!" flüsterte sie ihm zu. "Ach ja, und verrate Vater bitte nicht, daß ich im Haus geraucht habe. Er regt sich sonst nur wieder auf und das ist gar nicht gut für seine Gesundheit."

Araghast betrat zögernd das düstere Zimmer. Nun würde er also den mysteriösen Orden des ziemlich rosaroten Huhnes treffen. Ein Name, der beinahe so peinlich war wie Lord Todesschwinge.
Das niedrig brennende Kaminfeuer warf dunkle Schatten an die Wände. Nichts deutete darauf hin, daß sich irgend jemand im Raum befand. Sehr klassisch für einen Geheimbund, überlegte Araghast. Jetzt fehlt nur noch, daß sie alle in schwarzen Kapuzenmänteln aus diversen Nischen kommen und ihre Gesichter hinter irgendwelchen absolut ungruseligen Pappmasken verborgen haben.
"Araghast!" erklang in diesem Moment die Stimme Lord Idian von Canis Maior Alphas aus dem Ohrensessel. "Komm doch her und setz dich."
Araghast tat wie ihm geheißen.
Die hagere Gestalt seines Onkels saß im Sessel, als hätte er den Platz seit seinem letzten besuch nicht verlassen. Auf dem Sofa jedoch saßen vier weitere Männer. Der dem Püschologen am nächsten sitzende war groß und schlank. hellbraunes, zerzaustes Haar fiel ihm in die leicht gelbstichigen Augen. Araghast zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß es sich bei ihm um einen Werwolf handelte. Sein Nachbar erweckte den Eindruck eines Mannes der sich nicht den geringsten Deut um sein Aussehen kümmerte. Sein Körper steckte in einer häßlichen, karierten Strickjacke und seine schlammgrünen Cordhosen waren an den Knien ausgebeult. was jedoch am meisten an ihm auffiel waren die bleiche Gesichtsfarbe und die unnatürlich weit vorstehende obere Zahnreihe. Er war nicht einmal in der Lage, den Mund richtig zu schließen. Araghast kennte nur eine Gruppe von Personen, die mit aller Entschlossenheit an einem derart uncoolen Aussehen arbeitete. Die Wirklich-Mensch-sein-Front. Dem nächsten Mann sah man sein Zombie-sein vermutlich schon auf einige Meter Entfernung an. Nähte über Nähte zierten die sichtbaren Teile seines leichenblassen, an einigen Stellen bereits grünlich angelaufenen Körpers und sein linkes Auge war so offensichtlich falsch, daß es schon fast wieder wie ein bewußt modisches Accessoire anmutete. Der vierte Sofabesetzer hingegen wirkte so würdevoll, daß man ihn auch ohne seine buntbestickten Roben, den spitzen Hut und den langen, weißen Rauschebart sofort als Zauberer erkannt hätte. Ein kunstvoll verzierter Zauberstab lehnte neben ihm an der Wand.
"Darf ich vorstellen: Der Orden des ziemlich rosaroten Huhnes - Mein Neffe Araghast Breguyar. Derjenige der dir zunächst sitzt ist Renatus von Schweinewarze," -der Werwolf lächelte scheu- "Daneben sitzt Wladislaw Krumm, dessen Mitgliedschaft in der Wirklich-Mensch-sein-Front ihn dazu bringt, seine Spezies völlig zu verleugnen," -der Vampir schnitt eine Grimmasse, was durch sein Gebiß dermaßen lächerlich wirkte, daß Araghast sich wirklich beherrschen mußte um nicht laut loszuprusten- "Dann haben wir Korbirian Launisch, auch genannt das Irre Auge," -der Zombie nickte vorsichtig, als ob er befürchtete, daß seine Nähte reißen würden- "Und schließlich unser allseits hochgeschätzter Ratgeber und Helfer, Doktor Albertus Umbel."
Der Zauberer musterte Araghast gründlich und zwinkerte ihm schließlich zu.
Dieser ließ sich auf dem dicken, mottenzerfressenen Eisbärenfell vor dem Kamin nieder.
"Also gut." begann er. "Was könnt ihr mir erzählen?"

* * *


Wie nicht anders erwartet lehnte Valdimier van Varwald am Tresen von Olivanders Igordrom und ein halb geleertes Glas Menschenblut stand bereits vor ihm. Araghast hatte bei all dem wirren Knoten, der derzeit sein Leben darstellte, plötzlich das Gefühl, nach Hause zu kommen. Wortlos schenkte Olivander ihm ein Glas des angewärmten roten Lebenssaftes ein und zog sich taktvoll zurück.
"Und, schon eine Spur, was Gold Moons Tod betrifft?" fragte Valdimier geradeheraus. Die Neuigkeit hatte auch bei GRUND bereits die Runde gemacht.
"Also, wenn ich dir die komplette Geschichte erzähle, beziehungsweise alles was ich weiß, hältst du mich für komplett verrückt." antwortete Araghast und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Warum beruhigte der Geschmack von menschlichem Blut ihn nur so?
"Was ist denn die komplette Geschichte? fragte Valdimier.
Und Araghast begann zu erzählen. Von Ny, Onkel Idian, den unvergeßlichen Flüchen, dem Adelstitel dem er nicht entrinnen konnte, den Lebenstrinkern und den Orden des ziemlich rosaroten Huhnes und der Klemme, in der er zur Zeit steckte.
"Wie soll ich nur verantworten, daß ich derzeit hinter dem Rücken der halben Wache operiere? Aber egal was ich tue, entweder verrate ich meine Kollegen oder meine Familie." Er nahm einen tiefen Schluck Blut. "Und das Schlimme ist, die einzigen wirklichen Anhaltspunkte sind die drei Leichen mit der Avocado im Schädel, ein Haufen verrückter Sektierer, die hinter einem ominösen Rezept her sind das angeblich erklären soll wie man den Stein der Weisen erschafft, und die Geschichte über diesen Verrückten namens Salzhaar Sütterlin, mit dem ich zu allem Übel auch noch verwandt sein soll. Aber Gold Moons Tod bedeutet nun wiederum, daß wir auf der richtigen Spur sind. Warum sonst hätte sich jemand die Mühe gemacht, sie zu beseitigen? Und dazu noch Doktor Sandmann. Erinnerst du dich noch an das Blechallika-Konzert? Lea hat mir dort erzählt, daß er ihr einmal die Unsterblichkeit angeboten hätte. Und wer weiß, wozu die Puppe wirklich gut war. Wen er wirklich mit ihrer Hilfe töten wollte. Onkel Idian? Harald Trödelgreif?"
Valdimier nickte nachdenklich.
"Bregs, Bregs." sagte er kopfschüttelnd. "Du scheinst wirklich ein Talent dafür zu haben, in absurde Fälle hineinzuschliddern. Ein Rezept für den Stein der Weisen. Wers glaubt wird selig."
"Aber etwas muß dran sein!" erwiderte Araghast. "Warum sollten diese Lebenstrinker sonst so hinter dem Rezept her sein? Und vor allem, wer von ihnen besitzt genug magisches Können, um Hirne in Avocados zu verwandeln, beziehungsweise welchen Zauberer haben sie dafür angeheuert? Irgendwie habe ich das Gefühl, daß ich in eine riesige Verschwörung hineingeraten bin. Du weißt doch, daß Lea mir dieses Buch geschenkt hat: Die 100 größten Verschwörungen der Scheibenwelt. Und ich fühle mich gerade, als würde ich mitten in der 101. stecken."
"Du solltest weniger lesen." bemerkte Valdimier trocken.
"Warum? Lesen bildet."
"Eddie Wollas bildet?" Der Vampir runzelte in gespieltem Erstaunen die Stirn. "Vermutlich in der Hinsicht wie man etwas auf gar keinen Fall anpacken sollte und der falschen Annahme, daß dem Helden einer Geschichte letztendlich gar nichts passieren kann und er immer überlebt, aus gar keinem anderen Grund weil er sonst nicht der Held wäre."
"Das stimmt gar nicht." protestierte Araghast. "Feldwebel Abernicht begeht am Ende von Aus dem Pandämonium Selbstmord indem er sich mit Sinthab und Kleinbonum zu Tode trinkt." Er seufzte leise und starrte trübsinnig in sein Glas. "Und somit schließt sich der Kreis wieder. Die erste Erwähnung des Trödelgreif-Falles durch Gralon, meine erste Begegnung mit Lea und eine Diskussion über Aus dem Pandämonium - Alles ist an ein und demselben Tag passiert. Und jetzt kommt wieder alles zusammen. Ich frage mich gerade, wer ist eigentlich der Held unserer Geschichte? Sind wir es, oder ist es jemand ganz anderes und wir selbst sind nur unbedeutende Nebenfiguren, die der Schreiber der Geschichte bei der ersten Gelegenheit über die Klinge springen läßt?"
"Sag mal, wieviel hat du heute Abend schon getrunken, Bregs?" fragte Valdimier ernst.
"Eine Menge, glaube ich." Der Püschologe grinste schief. "Onkel Idian hat irgendein ausgezeichnetes Gesöff serviert. Nicht ganz so gut wie Untervektor-Rum aber äußerst beachtlich."
"Du trinkst zuviel." stellte der Vampir fest.
Araghast zuckte mit den Schultern. "Solange ich im Dienst halbwegs wieder nüchtern bin... Hör zu, alles ist zur Zeit so schlimm wie es nur sein kann. Ich brauche einfach einen kleinen püschischen Krückstock zur Zeit, um es mal so auszudrücken. Ach ja, und übrigens, Gold Moons Beerdigung wurde morgen auf halb zwölf angesetzt." wechselte er schnell das Thema. "Du kommst doch, oder?"


Tag 7: Hinter den ehemaligen Bürovorhängen des Quästors oder was passiert wenn ein eigentlich so schöner Plan völlig in die Hose geht



"Unfähig!" bölkte Onkel Wermut quer über den Frühstückstisch. "Ich habe doch schon immer gesagt, daß das ein Haufen Versager ist. Der dritte Mord innerhalb einer Woche, und dieses Mal hat es sogar einen von ihnen erwischt. Nun ja, ich sage, sie haben es verdient." Als müsse er seinen Worten mehr Nachdruck verleihen, schlug er mit der flachen Hand auf das aufgeschlagene Exemplar der Ankh-Morpork Times, welches neben ihm in einem Ständer lag.
"Wermut, du sollst dich doch nicht immer so aufregen." flötete Tante Begonia. "Doktor Sandmann hat dir immer erzählt, dein Blutdruck sei viel zu hoch!"
Lea grinste in sich hinein, als sie sah, wie Antonia bei der Erwähnung des Namens des Doktors zusammenzuckte.
"Nun, ihn hat die Wache immerhin zur Strecke gebracht." bemerkte sie. "In eben diesem Haus, wie ihr euch vielleicht erinnern könnt."
"Halt den Mund!" schnauzte Onkel Wermut sie an. "Hat dich jemand nach deiner Meinung gefragt?"
"Ja, ich selbst." gab Lea zurück.
"Jetzt werd mir bloß nicht frech!"
Lea unterdrückte den Drang, ihrem Onkel ihr Brötchen gegen den Kopf zu werfen und legte den Kopf schief, um mindestens zum zwanzigsten Male die Schlagzeile zu lesen.
Stadtwächter heimtückisch ermordet! stand dort in riesigen Blockbuchstaben. Und darunter etwas kleiner aber immer noch gut lesbar: Ist die Wache einem Verrückten hilflos ausgeliefert? Lea hoffte inbrünstig, daß ihr Onkel seine Lektüre bald beendet hatte. Sie wollte wissen, wer der Tote war. Nur in einer Hinsicht war sie nach Onkel Wermuts Vortrag zu ihrer grenzenlosen Erleichterung sicher: Araghast konnte es gar nicht sein. Über seine Ermordung hätte ihr Onkel todsicher bereits einige hämische Kommentare von sich gegeben. Trotzdem saß sie wie auf Kohlen. War der Tote jemand den sie kannte? Die junge Späherin Kanndra aus Gennua oder Araghasts bester Freund Valdimier van Varwald?
"Nur gut, daß Vater deine Beziehung zu dem Wächter unterbunden hat." bemerkte Elisabeth kühl. "Du würdest den Brautschleier schneller gegen einen Witwenschleier eintauschen als dir lieb wäre."
"Wer sagt, daß dir das nicht passiert, wenn Farrux weiter so rund um sich zu frißt?" giftete Lea zurück. "Wetten, er stirbt innerhalb der nächsten fünf Jahre an akuter Verfettung?"
"Leonata!" brüllte Onkel Wermut. "Noch ein Wort von dir und ich sperre dich höchstpersönlich in dein Zimmer, hast du verstanden? Halt deinen Mund!"
Hätten Blicke töten können, wäre Wermut Bolzano auf der Stelle tot von seinem Stuhl gefallen. Lea setzte schon zu einer schnippischen Antwort an, doch dann fiel ihr Blick auf die Zeitung. Wenn sie jetzt auf ihr Zimmer geschickt wurde, hatte sie jede Chance verspielt, die Times auf irgendeinem Wege in die Hände zu bekommen. Wütend biß sie die Zähne zusammen und ihre Fingernägel bohrten sich in ihre Unterarme.

* * *


Bleigraue Wolken zogen über den Himmel, als wüßten die für das Wetter verantwortlichen Götter und Naturgewalten, daß in diesem Augenblick ein Wächter zu Grabe getragen wurde. Viele waren gekommen, um Gold Moon die letzte Ehre zu erweisen, denn die Elfe war ein langjähriges Mitglied der Stadtwache gewesen und es gab viele, denen der Tod einer Person, die sie schon so lange kannten, sehr nahe gegangen war.
Kommandeur Rince hatte eine feierliche Rede gehalten. Sie hatte sich größtenteils um die Gefahren die das Wächterleben mit sich brachte und die Verdienste Gold Moons für die Wache gedreht.
Araghast seufzte leise, als er das stille Gesicht der Elfe in dem billigen Brettersarg betrachtete. Pismire hatte wirklich ganze Arbeit dabei geleistet, die Tote so herzurichten, daß keine Spuren der Obduktion mehr sichtbar waren. In ein schlichtes Hemd und einen Rock gekleidet [23] lag sie dort. Jemand hatte ihr den Krustenbrecherfrosch-Aufnäher der FROGs an den Kragen gesteckt.
Schuldgefühle nagten wieder einmal an der Seele des Püschologen. Er hatte Gold Moon nie besonders nahe gestanden, aber dennoch war es letztendlich sein und Kolumbinis Fall gewesen, bei die Späherin ihr Leben gelassen hatte. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als ihm plötzlich bewußt wurde, wie leichtsinnig er selbst gewesen war. Der Avocado-Zauberer hatte herausgefunden, daß Gold Moon Harald observierte, ohne daß die beiden je in Kontakt getreten waren. Da war es vermutlich ein Leichtes für ihn gewesen, seine eigenen Gespräche mit Harald auszuspionieren. Und dann die nächtlichen Wanderungen zum Akazienweg, Olivander und wieder zurück, allein und schutzlos. Laut SUSI war Gold Moon am vorgestrigen Abend gestorben, etwa zu der Zeit in der er selbst zum Akazienweg unterwegs gewesen war. Er hätte ebenfalls hier mit einem leeren Schädel in einem Sarg liegen können.
"Bregs!" Kanndra stieß ihn an. "Du schläfst schon wieder im Stehen."
"Ich habe nur gerade daran gedacht, daß es genauso gut mich hätte erwischen können." antwortete der Püschologe wahrheitsgemäß. "Ich war in den letzten Tagen ziemlich viel nachts und allein unterwegs und habe am gleichen Fall gearbeitet."
"Es hätte genauso gut mich treffen können." erwiderte Kanndra. "Wenn ich nicht zu GRUND gegangen wäre, läge ich jetzt vermutlich in der Kiste."
"Verdammter Mist." murmelte Araghast und machte sich daran, den übrigen Wächtern zu folgen, die sich in Richtung des Grabes begaben. "Warum passieren in letzter Zeit andauernd solche Sachen?"
"Sie war meine Ausbilderin, damals." sagte die Späherin.
Schweigend beobachteten sie, wie Kommandeur Rince den Sargdeckel schloß. Dann banden Sidney und Valdimier ein Seil um den Sarg und Madame Massiv ließ ihn langsam ins Grab hinab.
"Weißt du, was sie mir einmal gesagt hat?" flüsterte Kanndra Araghast plötzlich ins Ohr. "Sie meinte, der Tod sei nur ein weiteres Abenteuer, was man noch nicht erlebt hat. Damals war es nur ein harmloser Scherz..."
"Nun, jetzt hat sie ja genug Gelegenheit, es herauszufinden." murmelte der Püschologe beinahe unhörbar. Das dumpfe Klopfen der Erde auf dem Sargdeckel, als einer nach dem Anderen eine Schaufel des schweren morporkianischen Bodens ins Grab warf, verstärkte das Gefühl der inneren Leere, welches er schon seit Tagen mit sich herumschleppte, nur noch mehr.

* * *


Die drei Ermittler im Fall Trödelgreif hielten Kriegsrat. Eigens dazu hatten sie eine Wand von Araghasts Büro mit einem Tapetenrest bespannt, welcher mittlerweile mit hastig hingekritzelten Namen und Pfeilen übersät war.
"Damit haben wir die Aufenthaltsorte von allen Lebenstrinkern außer Kreuzworträtsel und Schleichbein." Araghast malte zwei große Fragezeichen neben die beiden Namen. "Bleibt noch die Frage wie sie untereinander in Kontakt bleiben."
"Also unter den Gilden ist die Kommunikation per Brieftaube recht üblich." brachte Robin sein Wissen ein. "Da ließen sich ohne weiteres Nachrichten mit dem üblichen Gildenpostverkehr verschicken. Auf diese Weise werden Vollreif und Schnäppchen wohl Informationen verschicken. Wahrscheinlich ist, daß die zentrale Nachrichtenverteilung über einen dieser beiden läuft."
"Gut." nickte Kolumbini. "Nehmen wir also an, ich werde heute Abend zusammen mit einigen FROGs Gregor Speier zu einem Verhör betreffend den Mordversuch an Fräulein Leonata Eule auf die Wache schleifen. Derweil wird Rogi Feinstich versuchen, seine Kommunikationswege herauszufinden und eine wunderbare gefälschte Nachricht schicken, daß Speier angeblich etwas entdeckt habe und es ihnen dringend mitteilen müßte. Die Botschaft wird einen Treffpunkt und eine Uhrzeit enthalten, und sobald alle am vereinbarten Ort eingetroffen sind, lassen wir unsere Falle zuschnappen."
"Am wichtigsten sind Kreuzworträtsel und Schleichbein." Araghast klopfte mit dem Zeigefinger auf die beiden Namen. "Ein lebender Schleichbein gibt uns die Möglichkeit, die Unschuld Lord Idian von Canis Maior Alphas zu beweisen, welcher dann wiederum einige belastende Aussagen gegen die übrigen Lebenstrinker machen kann. Ich wette mit euch, unter zehn Jahren Kerker kommt keiner von ihnen davon. Roland Wiesel, Johanna Rollmops, Gold Moon... Das müßte eigentlich dicke reichen."
Kolumbini musterte ihn ein wenig merkwürdig.
"Also, dein Informant muß wirklich sehr gute Kontakte zu dem Lord haben." bemerkte er. "Es sei denn, du hast sogar mit ihm persönlich gesprochen." Er hob eine Augenbraue. "Du kannst es uns ruhig sagen. Wir verraten dich nicht."
"Na gut." seufzte Araghast. Lautlos schlich er zur Tür, riß sie weit auf und spähte auf den Flur. Niemand war zu sehen. Schnell schloß er die Tür wieder und lehnte sich dagegen.
"Also schön, ich habe mit dem Lord gesprochen. Zweimal sogar. Er und ein paar seiner Freunde haben den Orden des ziemlich rosaroten Huhnes gegründet, um Harald zu beschützen."
"Der Orden des was?" fragte Robin entgeistert. "Wie kommt man auf so einen Namen?"
"Frag mich nicht." brummte Araghast und streckte seinen Arm aus um Havelock, die auf ihn zugeflogen kam, einen Landeplatz zu bieten. "Vermutlich gehört es einfach dazu wenn man einen Geheimbund gründet." spekulierte er, während er der Papageiendame das Gefieder kraulte. "Der Hexer von Ankh und die anderen Eddie Wollas-Helden schlagen sich auch andauernd mit so seltsamen Bruderschaften herum. Da gabs zum Beispiel einmal die Freiheitsklempner in Aus dem Pandämonium. Und in den 100 größten Verschwörungen der Scheibenwelt erst. Und diese Gruppierungen sollen sogar real gewesen sein. Warum also keinen Orden des ziemlich rosaroten Huhnes? Es gibt ja wie ihr wißt auch Leute die sich Lord Todesschwinge nennen." Er setzte Havelock auf seine Schulter und klemmte sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.
"Also." faßte er schließlich ihre Pläne zusammen. "Kolumbini, du kümmerst dich um die Falle. Ich werde den Lord überreden, gegen die Lebenstrinker auszusagen, und ich sehe auch ehrlich gesagt gute Chancen, daß er es tut."
"In Ordnung." nickte Robin. "Ich werde in der Boucherie die Stellung halten. Schickt eine Taube, wenn ihr mich braucht."

Nachdem seine beiden Kollegen den Raum verlassen hatten nahm Araghast vorsichtig den bekritzelten Tapetenrest von der Wand und rollte ihn zusammen. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und öffnete die oberste Schublade. Verstohlen hob er die 100 größten Verschwörungen der Scheibenwelt heraus, schlug es auf und vertiefte sich in die Frage, ob nicht letztendlich das Handeln sämtlicher Bewohner der Scheibenwelt von mysteriösen Energiefeldern gelenkt wurde, welche die Druiden der Wirbel-Ebene mit Hilfe ihrer großen Steinkreise beherrschten. Bis zum Abend war noch eine Menge Zeit und er wollte zumindest für eine kleine Weile den Fall, Ephraim Farrux' Niedertracht und Gold Moons Tod aus seinem Kopf verbannen.

* * *


Die Uhr in Leas leerem Regal zeigte an, daß es bereits halb sieben am Abend war. Im Laufe des Tages hatte sie sich ihren Plan zurechtgelegt. Es mußte einfach klappen. Der Rest ihrer Familie war dumm genug, darauf hereinzufallen, und in den Romanen von Eddie Wollas funktionierte es auch regelmäßig. Und dann, wenn sie erst einmal frei war, würde sie diesen Harald Trödelgreif finden und ihn dazu bringen, im Zweifelsfall überall zu verbreiten, wie Begonia Bolzano, geborene Evanus, ihn nach dem Tode seiner Eltern im Stich gelassen hatte. Somit hatte sie das perfekte Druckmittel in der Hand. Ihre Beziehung mit Bregs gegen das Versprechen, niemandem von der Trödelgreif-Geschichte zu erzählen.
Der letzte Anhaltspunkt war laut Tante Begonias Wutausbruch die Gilde der Alchimisten. Vielleicht konnte sie ja dort etwas über den Verbleib des Jungen herausfinden. Allzu schwer durfte es eigentlich nicht sein, ihn zu finden. Falls die Gildenaufzeichnungen nicht während einem der zahlreichen Brände in Gildenhaus zerstört worden waren (was eigentlich nicht gerade unwahrscheinlich war) oder sich niemand mehr an Johannes Trödelgreif erinnern konnte (was weniger wahrscheinlich war).
Dieser Plan mußte einfach klappen.
Lea holte tief Luft und schrie aus voller Kehle.

Sie mußte nur wenige Minuten warten, bis sie eilige Schritte auf der Treppe hörte. Ein breites, hinterhältiges Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht und beinahe zärtlich strich sie über den Rücken ihres einzigen verbliebenen Mathematikbuches. Zufälligerweise handelte es sich dabei um die Geometrica Ephebiana, das selbe Buch, mit dem sie sich bereits erfolgreich gegen Doktor Sandmanns Puppe zur Wehr gesetzt hatte.
"Leonata?" hörte sie Antonias besorgte Stimme. "Geht es dir gut?"
Lea stöhnte leise.
Hastig näherten sich die leisen Tritte ihrer Cousine und das Rauschen ihres Kleides der verschlossenen Tür und schließlich verkündete ein leises Schaben, daß der Schlüssel ins Schloß gesteckt wurde. Gleich...
Es klickte leise und der Türgriff wurde heruntergedrückt. Lea preßte sich flach an die Wand und hob das Buch. Was gegen eine mechanische, verhexte Metallpuppe geholfen hatte, mußte bei Elisabeth, die vermutlich noch niemals in ihrem Leben jemandem auch nur einen einzigen Faustschlag verpaßt hatte, auf jeden Fall wirken.
"Wo bist du, Leonata?" Die Tür schwang auf und Elisabeth steckte ihren Kopf ins Zimmer. Ihre Augen suchten den Boden ab.
Mit einem dumpfen Laut kollidierte das Buch mit ihrem Hinterkopf und mit einem leisen Seufzer ging sie zu Boden.
Lea nickte zufrieden, bückte sich und packte ihre Cousine am Arm. Mühsam zerrte sie sie ins Zimmer und schloß die Tür.
Elisabeth stöhnte leise und ihre Brust hob und senkte sich schwer. Schnell ergriff Lea ein Paar Strümpfe, stopfte es ihr in den Mund und befestigte den improvisierten Knebel mit einer Strumpfhose. Dann ergriff sie die bereitgelegten sechs Meter Korsettschnur und begann damit, ihre Cousine sorgfältig zu fesseln.
Wenige Minuten später erhob sie sich mühsam und betrachtete zufrieden ihr Werk. Elisabeth, mittlerweile wieder bei vollem Bewußtsein, glotzte sie wütend an und wand sich auf dem Boden. Ihre Protestschreie wurden durch den Knebel gedämpft.
"Tja." Lea blickte triumphierend auf sie herab. "Erstaunlich, daß es immer noch jemanden gibt, der auf diesen uralten Trick hereinfällt. Es ist kaum zu glauben, daß die Leute wirklich so unglaublich naiv sind wie in den Eddie Wollas-Romanen." erklärte sie, während sie in ihren Mantel schlüpfte und ihren Hut mit einer Nadel an ihrer Frisur befestigte. "Wenn ein Gefangener urplötzlich um Hilfe schreit, schicken sie immer eine Einzelperson um nachzuschauen, was mit ihrem Häftling los ist. Und schwupps bekommt der Wächter den Nachttopf über den Schädel sobald er die Zelle betreten hat und der Gefangene ist frei. Aber soviel Dummheit muß bestraft werden."
Sie nahm ihre Aktentasche vom Schreibtisch, verstaute das Mathematikbuch darin und griff nach ihrer Krücke.
"Hmmm-mmmpf!" protestierte Elisabeth erstickt.
"Einen schönen Tag noch!" Grüßend tippte sich Lea an die Hutkrempe. "Ach ja, und bevor ich es vergesse..." Sie zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Manteltasche und ließ es auf Elisabeths Brust fallen. "Sag zum Abschied leise Servus." flötete sie zuckersüß und hinkte zur Tür.
Vorsichtig spähte sie hinaus. Der Flur war leer. Schnell schloß sie die Tür ihres Zimmers und drehte den Schlüssel im Schloß herum. Ein paar Stunden wird es bestimmt dauern, bis jemand kommt um sie zu suchen, dachte Lea gehässig. Einen flüchtigen Moment überlegte sie, den Schlüssel in den Abort zu werfen, doch kam schnell zu dem Schluß, daß sie diesen Umweg besser nicht riskierte und ließ den Schlüssel in ihre Umhängetasche gleiten.
Und Schritt für Schritt, Treppenstufe für Treppenstufe, ständig auf eventuelle Geräusche lauschend, stahl sich Lea die Treppe hinunter.
Der Rachefeldzug der Meisterin der Puppen hatte begonnen.

* * *


Schritt für Schritt schlichen die drei Wächter die Treppe zur Wohnung Gregor Speiers hinauf. Voran ging Kolumbini, gefolgt von Sidney, welchen er für den Fall mitgenommen hatte, daß sich der Verdächtige der vorläufigen Festnahme widersetzen würde. In der Gasse stand Rogi Feinstich verborgen in einem Hauseingang und beobachtete das schwach erleuchtete Fenster, während Max Schreckt sich in den tiefen Schatten des Hinterhofes verbarg. Gregor Speier, Priester des heiligen Sankt Tobsucht, Mitglied der Lebenstrinker und mutmaßlicher Helfer Mario Sandmanns, saß im wahrsten Sinne des Wortes in der Falle.
Eine Treppenstufe knarrte leise und Kolumbini runzelte die Stirn. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit. Nichts rührte sich. Mit einem Wink bedeutete er Sidney, weiterzugehen. Nun war er also schon wieder mit dieser Haudrauf-Truppe im Einsatz. Warum konnte er nicht wenigstens einmal einen vernünftigen Verbrecher verhaften, der kein Priester irgendeines Schlägergottes oder sonstwie püschisch aus der Bahn geraten war?
Irgendwo in den Straßen der Stadt bellte ein Hund.
Kolumbini trat vor und hämmerte kräftig mit der Faust gegen die Wohnungstür.
"Aufmachen, Stadtwache! Herr Gregor Speier, Sie sind vorläufig festgenommen wegen Mithilfe zur versuchten Ermordung von Fräulein Leonata Eule sowie mutmaßlicher Verschwörung mit Todesfolge. Ihre Wohnung ist umstellt. Es ist das beste für Sie, wenn Sie ohne Widerstand mit erhobenen Händen herauskommen!"
Mehrere Minuten verstrichen ohne jegliche Reaktion jenseits der Tür.
"Dies ist unsere letzte Aufforderung." verkündete Kolumbini. Andererseits sehen wir uns gezwungen, Gewalt anzuwenden."
Ein leises Klicken verkündete, daß Sidney seine zweite Armbrust hervorholte und spannte.
"Jetzt?" fragte er flüsternd und tat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
Kolumbini nickte.
Der Werwolf nahm Anlauf und warf sich mit voller Wucht gegen die Tür, welche krachend in die Wohnung kippte. Geschmeidig rollte Sidney sich ab, richtete sich auf und zielte wild mit seinen beiden Pistolenarmbrüsten in diverse Richtungen. Schwungvoll trat er die ihm am nächsten befindliche Tür auf, richtete seine Waffen in den Raum, sprang wieder zurück und wiederholte den Vorgang bei den übrigen Türen.
"Nichts." sagte er schließlich zu Kolumbini gewandt. "Der Vogel scheint ausgeflogen zu sein. Im Wohnzimmer steht eine brennende Öllampe auf dem Tisch, das ist alles."
Kolumbini atmete tief durch und trat in die Wohnung. Alles war wie Sidney es gesagt hatte: Die Lampe stand auf dem Schreibtisch.
"Nun, da wollte sich wohl jemand ein Alibi verschaffen." bemerkte der Ermittler und begann, sich umzusehen. Hastig blätterte er durch einen Stapel Papiere, welcher auf dem fadenscheinigen Sofa lag. Sie entpuppten sich als Preislisten für Opferkerzen, Weihrauch, Sandsäcke, Boxhandschuhe und Arztrechnungen. Kolumbini nahm sich insgeheim vor, sich demnächst einmal genauer über diese Religion zu informieren. Eine lange, mit dem getrockneten Blut zahlreicher rituell gebrochener Nasen verkrustete Robe mit einer aufgestickten, orangefarbenen Faust hing unordentlich über einem Kleiderbügel, als sei sie in größter Eile dort aufgehängt worden.
"Verdammt." fluchte Sidney in der Küche, begleitet von einem lauten Poltern. "Ich hasse Mülleimer!"
Kolumbini nahm sich die Robe vor und untersuchte schnell die Taschen. Wenn er sie vielleicht an diesem Nachmittag noch getragen hatte, steckte wohlmöglich ein Hinweis irgendwo... Seine suchenden Finger berührten ein Stück Papier. Hastig zog er es heraus und eilte zurück zur Lampe, um es zu lesen.
Haben den Jungen. Heute Abend Acht Uhr Unsichtbare Universität, Kammer des Schreckens. Todesschwinge stand dort in krakeliger Handschrift.
Treffer, dachte Kolumbini. Verbrecher machten doch immer wieder die gleichen Fehler.
"Ich glaube, ich bin fündig geworden." rief er. "Änderung der Pläne! Es scheint, daß uns allen heute Abend noch ein Ausflug zur Unsichtbaren Universität bevorsteht."

* * *


Eine Aussage, überlegte Araghast, während er den Akazienweg entlangschlenderte. Er konnte sich vorstellen, daß Lord Idian mit Vergnügen gegen sämtliche Lebenstrinker und Schleichbein im Besonderen aussagen würde. Schließlich hatten sie ihm über fünfzehn Jahre seines Lebens gestohlen. Grübelnd bog er in den kurzen Gartenweg zu Hausnummer 22 ein. Kolumbini war gerade dabei den Köder auszulegen. In Gedanken malte sich der Püschologe aus, wie die Lebenstrinker traurig in den Zellen des Wachhauses hockten, mit der Aussicht auf Schnappers Würstchen als einzige Verpflegung. Einen Tag lang würde er sie mürbe werden lassen. Und dann würde er sie einzeln nach allen Kunstgriffen der püschologischen Kriegführung verhören und jedem ein volles Geständnis aus der Nase ziehen, zur Not mit Sidneys tatkräftiger Unterstützung.
Auf der obersten Treppenstufe blieb er stehen und warf den Klopfer mit Schwung gegen die Tür. Das mittlerweile wohlvertraute Dröhnen hallte durch das Haus.
Während er wartete, streichelte er die kleine Taube, welche Rogi ihm mitgegeben hatte und die nun friedlich und leise gurrend in seiner Manteltasche saß. Dies war das Praktische an Tauben. Man konnte sie beinahe überall verstauen. Mit Fridawulfa würde es vermutlich um einiges schwieriger werden, zumal Rogi ihm während einer Kaffeepause von dem Desaster mit der TK-Anlage der DOG erzählt hatte. Entweder besaßen Eulen eine natürliche Abneigung gegen enge Räume oder die gute Fridawulfa litt schlicht und einfach an Klaustrophobie.
Die Tür quietschte in ihren Angeln, als sie aufgezogen wurde.
"Draco vulgaris dormiens numquam titillandus aut explodiat." leierte Araghast das Paßwort herunter.
"Fofo." Igor lächelte. "Nun, da muf ich leider enttäufen. Die Herrfaften find nicht fu Haufe."
"Sie sind was?" Araghast schrie es beinahe heraus. "Onkel Idian hat das Haus seitdem er sich hier versteckt nicht mehr verlassen! Was ist passiert, Igor?"
"Nun, ef haben fich gewiffe Dinge ereignet." Igors mit Nähten übersätes Gesicht drückte die Selbstzufriedenheit in Person aus. "Und ich weif nicht, waf dich daf etwaf angeht."
"Jetzt hör mir zu." Araghast funkelte den Diener an. "Es geht hier um die Aufklärung eines Verbrechens. Also, wo sind sie?"
"Daf möchteft du wohl gern wiffen, waf, du halbef Garnichtf, du."
Etwas in Araghasts Kopf machte leise 'klick'. Der ganze Ärger der letzten Wochen schien endlich sein Ventil gefunden zu haben. Leas Verwandte, Schwallsack Farrux, die Lebenstrinker - Alles schien sich auf einen Punkt zu konzentrieren. Ein bösartiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und entblößte die beiden angespitzten Eckzähne. Völlig beherrscht griff er an seine Hüfte und zog sein Schwert.
"Wenn ich bekannt machen darf: Magnarox, das ist Igor. Und Igor, das hier ist Magnarox." Mit seiner Stimme hätte man ein fallendes Seidentuch ohne Mühe zerschneiden können. "Und eins versprechen wir beide dir: Wenn du mir nicht sofort sagst wo Onkel Idian, Ny und die anderen stecken wirst du dich wohl nach einigen neuen Ersatzteilen umsehen müssen."
Er trat einen Schritt vor und zielte mit der Schwertspitze auf Igors Kehle.
Der Diener rührte sich nicht.
"Fie find in der Unfichtbaren Univerfität." gab er widerwillig zu. "Und ich verfpreche dir, daf du fie niemalf lebend wiederfehen wirft, du Fande des Blutef der Familie!"

* * *


Im Büro Venezia Knurblichs herrschte mittlerweile jener Zustand, welcher normalerweise euphemistisch mit dem Ausdruck "kuschelig gemütlich" beschrieben wird, was vor allem der Anwesenheit Madame Massivs zu verdanken war, welche einen ziemlich großen Teil des Zimmers mit ihrer ausladenden Gestalt ausfüllte. Die übrigen Wächter saßen und standen überall, wo sich noch ein kahles Fleckchen Erde finden ließ. Erregtes Getuschel bildete die allgemeine Geräuschkulisse.
"Stimmt es wirklich, daß Kolumbini Gold Moons Mörder gefunden hat?" flüsterte Gina van Dalismus der neben ihr stehenden Rogi Feinstich ins Ohr.
"Ich weif ef nicht." antwortete die Kommunikationsexpertin, welche es sich auf einem halbhohen Regal sitzend so gemütlich wie möglich gemacht hatte und strich abwesend über das Gefieder der auf ihrer Schulter hockenden Fridawulfa. "Meiftenf kommen die Gerüchte nicht bif fu meiner Felle."
"Aber warum wurde dann Hals über Kopf die gesamte Abteilung zusammengetrommelt?" Gina ließ nicht locker.
"Wer weif. Vielleicht wieder eine Geifelnahme?"
"Gold Moons Mörder würde mir besser gefallen. Die Beerdigung heute Vormittag..." Gina schwieg.
Plötzlich verspürte sie ein Zupfen an ihrem Hosenbein und sah hinunter. Rib hangelte sich an ihrer Kleidung hinauf bis zu ihrer Schulter und ließ sich dort nieder. Gina beäugte ihn mißtrauisch.
"Bitte sei so nett und kipp keine ätzenden Retorten auf mich solange du da oben bist, klar?"
Der blaue Gnom nickte nur.
"Keine Angst, das ist alles gesichert."
"Wirklich?" Gina blieb skeptisch. "Und warum wurde Mindorah neulich selig schlafend von einem Einsatz zurückgebracht, wenn dir nicht aus Versehen eine deiner Schlafgaskugeln abhanden gekommen wäre?"
"Ein kleiner Betriebsunfall." Rib zuckte mit den Schultern. "Hör zu, es war so rutschig mit all dem Schnee und..."
"FROGs! Ruhe!" schallte die Stimme der Abteilungsleiterin durch den Raum.
Hinter ihrem Rücken hielt Ortbe im Aufschieben des Fensters inne und wandte sich zu seiner Schäffin um.
Venezia Knurblich stand mit in die Hüften gestemmten Fäusten auf dem höchsten Aktenstapel ihres Schreibtisches und blickte streng in die Runde. Sämtliche Gespräche verstummten augenblicklich.
"Wie ihr wißt, hat derzeit die Fahndung nach Gold Moons Mörder über allem anderem zu stehen! Und, wie das Glück so wollte, hat der Hauptgefreite Kolumbini soeben eine ziemlich heiße Spur entdeckt, die eventuell zur Ergreifung dieses Schweins führen könnte!"
"Ja, geben wirs ihm!" rief Sidney dazwischen.
Venezia runzelte die Stirn. "Dein Enthusiasmus ist wirklich sehr begrüßenswert, aber laß mich bitte erst einmal ausreden, Sidney." Sie räusperte sich. "Also wie Kolumbini herausgefunden hat, befindet sich der Tatverdächtige, oder zumindest jemand der in dringendem Verdacht steht, sich mit dem Tatverdächtigen in Kontakt zu befinden... Ja, Madame Massiv?"
"Wie das nun sein mit Verdächtigem?" fragte die Trollin verwirrt.
"Wir sind mehr oder weniger dabei, ihn festzunehmen." erklärte Venezia äußerlich ruhig, doch ihr war nur allzu deutlich anzusehen, daß sie kurz davor stand, loszubrüllen.
"Also, um es abzukürzen, wir werden heute Abend um Kurz nach acht Uhr eine gewisse Kammer des Schreckens stürmen, die sich irgendwo in der Unsichtbaren Universität befinden muß, um eine Geisel zu befreien und einige Verschwörer festzunehmen, unter anderem einen gewissen Thomas Kreuzworträtsel, auch bekannt unter dem Namen Lord Todesschwinge." Sie schnaubte. "Was für ein Name... Nun ja. Ich erwarte, daß der gesamte, ich wiederhole, der gesamte Trupp in zehn Minuten abmarschbereit in der Eingangshalle steht. Und wer den Hauptgefreiten Kolumbini findet, sage ihm, daß er sich ebenfalls bereithalten soll zum Mitkommen. Rogi, du schickst eine Taube zu GRUND und bittest um Verstärkung und benachrichtigst Chief-Korporal Picardo von der DOG, daß wir dabei sind, seinen Fall abzuschließen. Hat noch jemand Fragen?"
Mit grimmigem Gesichtausdruck sah sie sich um.
"Äh, wo steckt eigentlich Bregs?" fragte Max.
"Der ist gerade dabei einen Zeugen zu einer Aussage zu überreden soweit ich es mitbekommen habe." antwortete der Oberleutnant. "Am Besten wir hinterlassen ihm eine Nachricht, wo wir stecken. Obwohl ich glaube, daß bei diesem Einsatz püschologisches Geschick eher eine untergeordnete Rolle spielt. Er kann sich nachher um die Verhöre... He, was soll das?"
Während Venezias Rede war Fridawulfa auf Rogis Schulter immer unruhiger geworden. Schon seit einer ganzen Weile hatte sie neugierig das kleine blaue Wesen, welches dort auf der Schulter der Vorderfrau ihrer Bändigerin saß beobachtet und schien schließlich zu einem Entschluß gekommen zu sein. Heftig mit den Flügeln schlagend hob sie ab.
"He!" rief Rogi und versuchte, nach der Eule zu greifen. "Bleib hier! Komm fofort furück!"
Doch Fridawulfa hörte nicht auf die Schreie hinter sich. Im Vorbeifliegen packte sie den kleinen Kobold, welcher dort so verlockend griffbereit mitten in ihrer Flugbahn saß, und verließ mit einem gewagten Manöver das Zimmer durch das halb offene Fenster.
Zurück blieb ein ratloser, soeben seinem Gift- und Gasexperten verlustig gegangener FROG-Trupp.
"Auch das noch!" fluchte Venezia lautstark und funkelte Rogi wütend an. "Nun, ich hoffe, er schafft es, das Viech zumindest grob in Richtung UU zu steuern. In zehn Minuten! Araghast- Schult... Oh, er ist ja gar nicht da. Also, Obergefreite Mindorah, nimm mich auf die Schulter!"

* * *


"Verdammter verräterische Schlange von einem Igor!" fluchte Araghast laut. "Dreimal vermaledeite Lebenstrinker! Hirnverbrannte Idioten! Lebenslang in die Skorpiongrube werfen sollte man sie!"
Mit vor Wut verzerrtem Gesicht stapfte er durch die Straßen in Richtung Unsichtbarer Universität, während sich die Passanten erstaunt nach ihm umdrehten. FROG würde er ihnen auf den Hals hetzen, diesen Möchtegern-Unsterblichen. Wenn sie nicht unterwegs von einem Wasserspeier gefressen worden war, mußte die Taube mittlerweile im Wachhaus eingetroffen sein und der Einsatztrupp formierte sich vermutlich just in diesem Moment. Roland Wiesel, Johanna Rollmops, Gold Moon- Er würde ihnen keine weiteren Opfer mehr gönnen. Schaudernd stellte er sich vor, wie Ny und Onkel Idian reglos am Boden lagen, ihrer Gehirne beraubt.
"Das lasse ich nicht zu!" knurrte er leise. "Eher schwimmt jemand durch den Ankh!"
Hektisch tastete er die Taschen seiner Zivilkleidung nach seiner Dienstmarke ab und fand sie schließlich in der Brusttasche seines Hemdes, wo sie sich den zur Verfügung stehenden Platz mit einem Eddie Wollas-Roman teilte. Insgeheim wünschte er sich, beim Verlassen des Wachhauses einige seiner Wurfmesser eingesteckt zu haben. Er und der Orden des ziemlich rosaroten Huhnes gegen sämtliche Lebenstrinker... Selbst wenn man Doktor Umbel, Harald und Ny hinzuzählte, waren sie immer noch in der Unterzahl. Zudem befand sich ein ausgebildeter Assassine unter ihren Gegnern. Dazu eventuell noch ein Magier, der in der Lage war, ziemlich schreckliche Dinge mit Personen anzustellen.
Ein bösartiges Grinsen erschien auf den Lippen des Püschologen. Egal wie die Chancen standen, wenn der FROG-Einsatztrupp erst einmal eingetroffen war, würde es den Lebenstrinkern nach allen Regeln der Kunst an den Kragen gehen. Und als unmittelbare Folge der Festnahme des lebenden Petrus Schleichbein würde Onkel Idians Verurteilung endlich aufgehoben werden und er, Araghast Breguyar, konnte den unmittelbaren Nachweis seiner adeligen Abstammung Onkel Wermut und Tante Begonia um die Ohren schlagen und Lea von ihnen loseisen. Was würde er darum geben, das vor Wut tomatenrot angelaufene Gesicht Ephraim Farrux' zu sehen, wenn er von der Sache erfuhr. Und Lea und er würden sich eine kleine Wohnung suchen, bevorzugterweise im Erdgeschoß, oktotags bei Onkel Idian und Ny im Akazienweg 22 zum Essen vorbeischauen und irgendwann heiraten, mit Valdimier und Hermione Vanderby als Trauzeugen.
Alles würde gut werden. Diese Überzeugung versuchte er tief in seinem Inneren zu bewahren, als er mit verschränkten Armen vor dem großen Tor der Unsichtbaren Universität stand.
"Draco vulgaris dormiens numquam titillandus aut explodiat." flüsterte er, zückte seine Dienstmarke und bereitete sich mental auf die Auseinandersetzung mit dem diensthabenden Brüller vor.

* * *


Valdimier schrak auf, als jemand kräftig gegen die Tür seines Büros hämmerte.
"Wehe dem Rekruten, der sich so etwas erlaubt." knurrte er und rief ungeduldig "Herein!"
Doch entgegen seiner Erwartung war es kein Rekrut, der wie ein Wirbelwind ins Zimmer gestürmt kam und eine Nachricht auf seinen Schreibtisch warf.
"Order von Oberleutnant Knurblich." erklärte Kanndra knapp und strich sich hektisch einen ihrer zahlreichen Zöpfe aus dem Gesicht. "Wir sollen uns sofort zur Unsichtbaren Universität begeben. Scheint ein Großeinsatz zu werden. Also pack deine Armbrüste ein und komm."
"Äh, was?" stammelte der Vampir und musterte seine Kollegin verwirrt. Sie trug bereits ihren FROG-Kampfanzug und Dienstdolch und Pistolenarmbrust steckten in ihrem Gürtel. "Was ist denn los?"
Kanndra zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß auch nicht genau, aber ich glaube, sie sind Gold Moons Mörder auf der Spur. Und bei so einem gefährlichen Kerl der Gehirne in Avocados verwandelt wollen sie bestimmt auf Nummer sicher gehen."
"Leuchtet ein." brummte Valdimier und sprang auf. "Warte am Eingang auf mich. In drei Minuten bin ich bei dir, und dann geht es rund, das schwöre ich dir!"

* * *


Licht in den seltsamsten Farben flackerte hinter diversen Fenstern des Gebäudes und der stechende Geruch von Ammoniak lag in der Luft, als Lea entschlossen auf den mit Eisenplatten gepanzerten Eingang der Alchimistengilde zuhinkte. Etwas knallte lautstark und ein leichtes Beben erschütterte die Straße. Schnell duckte sich Lea hinter einen parkenden Eselskarren. Kurz darauf zerbarst eine der Fensterscheiben im zweiten Stock und eine gelbliche Rauchwolke trieb ins Freie.
"Verflixte Retorte!" fluchte eine unsichtbare Stimme und Lea sah im Geiste einen Alchimisten mit qualmendem Bart vor den kläglichen Überresten seines Experimentes stehen und sich die angesengten Haare raufen. Schnell musterte sie aus ihrer Deckung heraus die übrigen Fenster und kam zu dem Schluß, daß sich die Wahrscheinlichkeit für eine zweite Explosion innerhalb weniger Minuten vermutlich sehr in Grenzen hielt.
"Ach was." murmelte sie und rückte ihren Hut zurecht. "Es wird schon nichts passieren."
Zerbrochenes Glas knirschte unter ihren Tritten, als sie die Straße überquerte. Der Beruf des Alchimisten kam wirklich nur für akut lebensmüde Personen in Frage, überlegte sie bissig. Tante Begonias Schwester und ihr Ehemann hatten in dieser Hinsicht ein mahnendes Beispiel geboten. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, daß nicht auch Harald Alonzo einer der zahlreichen Explosionen des Gildenhauses zum Opfer gefallen war.
Energisch hämmerte sie mit dem Griff ihrer Krücke gegen die Tür.
Eine kleine Klappe öffnete sich quietschend und der obere Teil eines Gesichtes erschien in der Öffnung. Lea war nicht im geringsten erstaunt festzustellen, daß auch der Pförtner seiner Augenbrauen verlustig gegangen war.
"Was gibts?" brummte er mißmutig.
"Ich suche einen gewissen Harald Alonzo Trödelgreif." erklärte Lea mit fester Stimme. "Seine Eltern waren Gildenmitglieder und kamen vor einigen Jahren ums Leben als vermutlich eine ihrer Mixturen detonierte."
Die Antwort bestand aus einem undefinierbaren Grunzen.
"Wie bitte?" hakte Lea gereizt nach. Sie war nicht in der Stimmung, dem Pförtner jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen zu müssen.
"Trödelgreif...." kam die gemurmelte Antwort.
"Was ist denn nun? Können Sie mir etwas sagen?" Lea seufzte leise. Warum schienen sich manche Menschen bloß einen Spaß daraus zu machen, zu zögern?
"Komisch, daß Sie nach ihm fragen, junge Frau." brummte der Pförtner
"Wieso? Habt ihr ihn gerade begraben oder wie?"
Der Pförtner schüttelte den Kopf.
"Wissen Sie, Sie sind nicht die erste, die nach ihm fragen. Vor ein paar Tagen war schon mal jemand hier, ein Wächter. Ich hab ihn zum alten Flanell geschickt, der hat so ziemlich die gesamte Gildengeschichte in seinem alten Schädel. Ich weiß nur, daß Trödelgreif Junior schon lange nicht mehr hier war. Es heißt, er würde jetzt an der Unsichtbaren Universität studieren." Er legte seine Stirn in Kummerfalten. "Also wenn Sie mich fragen, junge Frau, ich glaube nicht, daß da etwas Gutes bei herauskommt. Zauberei ist eine verdammt gefährliche Sache."
Das sagst gerade du, dachte Lea und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln.
"Vielen Dank." sagte sie. "Ich glaube, Sie haben mir gerade sehr weitergeholfen."
Und leise die Melodie von 'Meister der Puppen' vor sich hinsummend machte sie sich auf den Weg zur Unsichtbaren Universität.

* * *


Der Wind brauste Rib um die Ohren, während Fridawulfa höher und höher in den abendlichen Himmel stieg. Neugierig sah er auf die Stadt herab. Unter ihm erstreckte sich ein Meer aus kleinen Lichtern, getrennt durch das dunkle Band des Ankh. Schwärzliche Flecken deuteten an, wo sich der Hide Park, die Gärten des Patrizierpalastes und die Friedhöfe befanden und eine Zone gedämpften Lichtes im randwärtigen Teil Ankh-Morporks wies auf das Gebiet der Schatten hin.
"Also gut." schrie Rib die Eule an. "So ein Rundflug ist ja schön und gut, aber nun laß mich gefälligst wieder runter, verstanden?"
"Schu-huuuuh!" antwortete Fridawulfa fröhlich und scherte sich nicht im geringsten um das zappelnde Etwas in ihren Klauen.
"Verdammt!" knurrte der Kobold und wand sich in dem festen Griff der Eule, welche weiter ihre Kreise über den Dächern der Stadt zog. Schließlich gelang es ihm, einen Arm zu befreien. Hektisch tastete er nach seinen Kugeln mit dem Betäubungsgift. Wo steckten sie bloß...
Endlich fand er was er gesucht hatte, eingeklemmt zwischen seiner Hüfte und einer Eulenklaue. Mit aller Kraft zerrte er an dem kleinen Lederbeutel in dem die Kugeln steckten und brachte es schließlich fertig, das Verschlußband zu zerreißen. Einige der Kugeln fielen hinunter in die Stadt. [24]
Leise vor sich hinfluchend ließ Rib die übrige Munition in seine Hand gleiten. Jetzt würde er diesem Federvieh schon zeigen, wer hier das Sagen hatte. Mit geübtem Handgriff zog er sich das mit Asche durchsetzte Tuch vor Nase und Mund und warf eine der Kugeln gegen den gekrümmten Schnabel der Eule.
Das Glas zerbrach und die Wirkung trat augenblicklich ein.
Auf eine von Ornithologen bisher nicht für möglich gehaltene Weise verdrehte Fridawulfa die Augen. Ihre gleichmäßigen Flügelschläge stoppten abrupt und der feste Griff um Ribs Körpermitte lockerte sich. Plötzlich fühlte sich der Gnom sonderbar leicht. Sein Magen fühlte sich an, als ob er Ameisen zu Mittag gegessen hatte. Verwundert riß er das Tuch vom Gesicht und sah nach unten.
Das Lichtermeer Ankh-Morporks näherte sich ihm mit rapide anwachsender Geschwindigkeit.
Zwanzig Sekunden bis zum Aufschlag, schätzte er und klammerte sich an den schlaffen Krallen der mittlerweile komplett weggetretenen Fridawulfa fest. Er mußte sich möglichst schnell etwas einfallen lassen. Ihm selbst würde die unsanfte Landung zwar nicht viel ausmachen, doch graute ihm davor, den Tod der Eule vor Oberleutnant Knurblich und Rogi verantworten zu müssen.
Fünfzehn Sekunden...
Hektisch überlegte Rib. Hatte er nicht irgendein Mittel bei sich, mit dem er Fridawulfa rechtzeitig wieder aufwecken konnte? Sein Giftring fiel ihm ein. Doch konnte er wirklich eine zum Berserker werdende Eule gebrauchen?
Zehn Sekunden...
Nein, der Giftring kam auf gar keinen Fall in Frage. Siedendheiß war ihm der Krater eingefallen, den die Explosion im Fußboden seines Büros hinterlassen hatte, als ihm versehentlich einmal beide Gifte durcheinandergeraten waren. Mittlerweile war er in der Lage, die einzelnen sich bewegenden Punkte auf den Straßen als Menschen zu identifizieren. Zwar verhinderte die Stokes-Reibung eine weitere Zunahme der Fallgeschwindigkeit, doch Rib war sich ziemlich sicher, daß der Aufprall Fridawulfa wirklich nicht gut bekommen würde.
Fünf Sekunden...
Riechsalz! Das war es! Hastig riß Rib die Flasche aus seinem Medizinbeutel und schüttelte sie. Wo hatte eine Eule bloß ihre Nasenlö...
Der Aufprall war weich, feucht und stinkend. Durch die schiere Wucht wurde Rib seine Munition aus der Hand geschleudert. Die Flasche zerbrach und der Inhalt verstreute sich über den Landungsort.
Die Wucht der darauf folgenden Explosion des Misthaufens im Hinterhof von Hobsons Mietstall ließ noch mehrere Straßen entfernt die Fensterscheiben klirren.

* * *


"Halt, Schusi! Brrr!" Mindorah Giandorrrh riß kräftig an den Zügeln. "Bleibst du wohl stehen!"
Widerwillig hielt das feuerrote Zugtier des FROG-Einsatzkarrens vor dem Tor der Unsichtbaren Universität an und schnaubte mißmutig.
"Hallo Schusi!" Valdimier van Varwald trat aus dem Schatten und tätschelte den Kopf des Esels. "Na, haben sie dich wieder nicht rennen lassen?"
"GRUND meldet sich zur Stelle, Ma'am." Kanndra salutierte zackig vor Venezia, die mit steinerner Miene auf Mindorahs Schulter hockte.
Die Gnomin nickte kurz.
"Also gut." erklärte sie. "Dann sind wir ja alle versammelt. Ist Chief-Korporal Picardo auch hier? Gut. Wir gehen sofort rein. Diese spontane Massenohnmacht da hinten zu umfahren hat uns schon genug Zeit gekostet. FROGs, seid ihr bereit?"
"Ja, Ma'am!" schallte es wie aus einer Kehle. Robin und Kolumbini begnügten sich mit einem Nicken.
Der Ermittler trat vor und klopfte an.
Schwungvoll wurde die Klappe aufgerissen und der diensthabende Brüller funkelte Kolumbini böse an.
"Stadtwache Ankh-Morpork." erklärte dieser kurz angebunden und hielt seine Dienstmarke hoch. "Wir ermitteln im Fall einer Geiselnahme und dreier Morde."
"Sagt mal, für was haltet ihr dieses Tor eigentlich!" schnauzte ihn der Brüller unerwartet an. "Eine Durchgangsverkehrsstraße? Andauernd kommt hier irgendwer vorbei der in der Universität eigentlich nichts zu suchen hat und will hier rein! Mir reichts!"
"Moment!" unterbrach ihn Venezia scharf. "Wen haben Sie hier heute Abend schon reingelassen?"
Der Brüller knurrte unwillig.
"Erst diesen nichtsnutzigen Studenten namens Trödelgreif mit einem Haufen komischer Leute im Schlepptau. Dann kam diese andere Truppe, die wiederum hinter dem Studenten her war. Anschließend einen Stadtwächter der wiederum was von Gruppe 2 wollte. Eine Frau die unbedingt diesen Trödelgreif sprechen wollte. Eine reine Furie war das. Hätte mich beinahe mit ihrem Krückstock verprügelt. Also, dieses Tor ist für heute geschlossen, verstanden?"
"Gefreite Madame Massiv!" Venezias Stimme klang so ruhig als säße sie auf einer sonnigen Wiese an einem schönen Sommertag. "Würdest du bitte deines Amtes walten? Dieses Tor hier steht zwischen uns und der Ausführung unserer Wächterpflicht."
"Ich sollen schießen?" fragte die Trollin.
Ein Knirschen wie von überbeanspruchten Gewinden verkündete, daß die große MUT gespannt wurde. Sämtliche Farbe wich aus dem Gesicht des Brüllers, als er plötzlich einen Bolzen von der Größe eines kleinen Baumstammes auf sich gerichtet sah.
"Wenn Sei so freundlich wären beiseite zu treten," forderte Venezia ihn mit zuckersüßer Stimme auf. "Es sei denn Sie überlegen es sich doch anders und lassen uns rein."
"Aber... aber natürlich, Madam!"
Das Scharren hastig zurückgeschobener Riegel ertönte und kurz darauf schwang das große Tor auf.
"Das heißen ich nicht schießen dürfen?" Enttäuschung schwang in Madame Massivs Stimme mit.
"Später vielleicht." antwortete Venezia kurz und winkte den versammelten Wächtern. "Jetzt müssen wir nur noch diese Kammer des Schreckens finden und dann Wehe diesen Lebenstrinkern! Picardo, du bleibst hier und paßt auf den Karren auf!"

* * *


Der Keller der Unsichtbaren Universität erwies sich als weitaus verwinkelter als Araghast angenommen hatte. Schon seit einer ganzen Weile hatte er aufgehört zu zählen, wie oft er schon in die Irre gegangen war. Insgeheim war er sich nicht einmal mehr allzu sicher, sich überhaupt noch unter dem Gebäude zu befinden. Schaudernd dachte er an die Gerüchte, die sich um die Universitätsbibliothek rankten. Ob das gleiche wohl auch auf den Keller zutraf? Die Magiekonzentration war vermutlich hoch genug, um so ziemlich alles möglich werden zu lassen. Araghast zog sein Schwert. Falls er es hier mit einem durch thaumische Strahlung mutierten Wesen zu tun bekommen sollte, würde es ihn zumindest nicht völlig unvorbereitet antreffen. Wo steckte bloß der Hexer von Ankh mit seinem magischen Stockdegen wenn man ihn brauchte... Magnarox war zwar ebenfalls magisch, doch beschränkte sich diese Magie leider darauf, die Klinge zu befähigen, sämtliche Personen im Umkreis von zwanzig Metern zu beleidigen oder unmotiviert herumzujammern. Im Kampf gegen potentielle Dämonen war das Schwert, abgesehen von der Tatsache daß es sich um siebzig Zentimeter scharfen Stahl handelte, in etwa so nützlich wie eine Kartoffel.
Ein dumpfes Donnern ließ den Boden erbeben und wenig später knisterten bunte Funken über einige der unter der Decke verlaufenden Metallrohre. Araghast schluckte und versuchte krampfhaft, an etwas anderes als an randalierende Zauberbücher und Tentakelwesen aus den Kerkerdimensionen zu denken. In diesem Augenblick wünschte er sich sehnlich, seine blühende Phantasie für einige Stunden loszusein oder zurück zum Wachhaus zu rennen und sich in seinem Sarg zu verkriechen.
"Feigling!" schimpfte er laut mit sich selbst. "Godric Adana, der Hexer von Ankh, würde jetzt auch nicht umkehren. Also vorwärts, du mußt deine Familie retten!"
Und Schritt für Schritt tastete er sich, in der Linken die Fackel und in der Rechten das Schwert, weiter in das labyrinthische Gewirr von Gängen hinein, wachsam nach ungewöhnlichen Geräuschen lauschend.
Schließlich erreichte er eine weitere Weggabelung. Zu seiner grenzenlosen Überraschung wies ein deutlich sichtbarer Kreidepfeil auf dem Boden in den linken Gang.
Araghast zögerte. War dies eventuell eine Falle der Lebenstrinker? Oder hatte der Orden das Zeichen hinterlassen, um eventuelle nachkommende Wächter auf ihre Spur zu bringen?
Araghast entschloß sich für die zweite Möglichkeit und folgte dem Pfeil.
Der Gang wand sich langsam aber stetig abwärts, bis er in einem kleinen Raum endete. Ein schmaler Lichtspalt drang aus einer angelehnten Tür und Araghast glaubte, leises Stimmengemurmel zu hören.
Leise löschte er die Fackel und preßte sein Ohr an den Türspalt, um zu lauschen.
"...spinnt doch alle!" Das war Nys Stimme und sie schien mächtig wütend zu sein.
"Aber meine Nichte, wer wird sich denn aufregen?" ertönte die herablassende Stimme der Marquise L' Etranger. "Alles was wir wollen ist das Rezept. Sag Harald, daß er es rausgeben soll und wir werden euch nichts tun."
"Wers glaubt wird selig." höhnte Onkel Idian. "Roland Wiesel, die Rollmops und die Wächterin habt ihr doch auch eiskalt umlegen lassen. Der Avocado Kadaver-Fluch! Wie originell von euch! Also, welcher Zauberer hat euch geholfen?"
"Wir haben nichts damit zu tun." erklärte eine leise, gefährlich sanfte Stimme. Araghast konnte förmlich hören, daß der Sprecher sich gefährlich nahe am Abgrund des Wahnsinns befand.
"Erzähl das deiner Großmutter, Kreuzworträtsel!" knurrte Onkel Idian.
"Es spielt doch letztendlich keine Rolle, wer es war." mischte sich eine weitere männliche Stimme ein, die Araghast nicht kannte. "Schnappen wir uns das Rezept und verschwinden von hier!"
Ein anderes Geräusch drang an Araghasts Ohr. Schritte auf dem Gang!
Hektisch überlegte er. War FROG endlich eingetroffen oder handelte es sich um einen Zauberer, der zufällig einige seiner mißglückten Zaubereien besuchen wollte?
Doch dann bellte eine männliche Stimme im Gang einen Befehl.
Araghast biß sich auf die Lippe. Wer bei allen Göttern war das? Es klang absolut nicht nach der Wache. Und er wollte lieber nicht herausfinden was passierte wenn er hier beim Lauschen erwischt wurde, egal von wem. Also blieb ihm nur noch eine Möglichkeit.
Den Griff seines Schwertes fest umklammert, schob er die Tür auf und schob sich in die Kammer, innerlich bereit, im Falle einer Entdeckung sofort loszuschlagen.

* * *


"Harald Alonzo Trödelgreif." brummte Mustrum Ridcully und schlug mit der Faust auf den Tisch. "Der Junge hat uns in den letzten Tagen schon Ärger genug gemacht. Was hat er denn dieses Mal verbrochen, Fräulein? Ist er wieder paranoid geworden?"
"Nun eigentlich wollte ich ihn lediglich abholen, Herr Erzkanzler." Nervös spielte Lea mit dem Griff ihrer Krücke. Die zahlreichen an den Wänden hängenden ausgestopften Tierköpfe, welche sie aus ihren Glasaugen ununterbrochen anzustarren schienen, erhöhten ihr Wohlbefinden nicht gerade. "Es gibt dort ein paar familiäre Dinge die unbedingt geklärt werden müssen."
Der Erzkanzler strich sich über seinen Bart.
"Also wenn Sie mich fragen, ist der Junge geistig nicht ganz gesund." erklärte er. "Er bewegt sich zu wenig an der frischen Luft und hockt stattdessen dauernd bei Stibbons und diesem Denkapparat. Ein Universum aus schimmeligem Quark mit Würmern drin! Kein Wunder, daß er völlig durchdreht." Ridcully schnaubte. "Ach ja, die heutige Jugend... A propos, wie geht es eigentlich Ihrem Onkel, dem alten Bolzano-Weierstrass? Der hockt doch auch andauernd in seinem Keller und bastelte verrückte Maschinen."
"Er ist tot." antwortete Lea kurz. "Schon seit fast einem Jahr. Sein Gehilfe hat ihn ermordet."
"Oh." Der Erzkanzler runzelte die Stirn. "Na ja, bekomme nichts mehr mit hier. Zuviel Papierkram! Und zu viele Quanten! Alle reden andauernd davon aber keiner macht sich die Mühe, einem alten Mann zu erklären, was es damit auf sich hat!"
"Entschuldigung, aber was ist nun mit Harald, Herr Erzkanzler?" versuchte Lea, Ridcully wieder auf das ursprüngliche Thema ihres Gespräches zu bringen.
In diesem Moment wurde die Bürotür aufgerissen und ein ziemlich aufgeregter, lauthals schnaufender Dekan wogte ins Zimmer, das Gesicht puterrot aufgrund der ungewohnten Anstrengung, sich beeilen zu müssen.
"Es gibt ein Problem, Mustrum." schnaufte er und wischte sich mit einem rotgetupften Taschentuch die Stirn ab.
"Und das wäre?" fragte Ridcully nicht sonderlich begeistert. "Versucht der Quästor gerade wieder, auf einem Besen Krocket zu spielen? Fragt mich nicht woher er diese Fixe Idee von Ballsport im Flug hat." murmelte er, zu sich selbst gewandt. "Holt ihn runter und sperrt ihn in sein Zimmer." ordnete er an. "Und bestellt ihm einen schönen Gruß von mit, in meiner Universität wird kein Kwittitsch gespielt, was auch immer das sein mag. Wenn er sich unbedingt sportlich betätigen muß soll er ein paar Dauerläufe machen. Das ist gesund und strafft die Waden."
"Äh, es ist nicht der Quästor, Mustrum." Mittlerweile war der Dekan wieder zu Atem gekommen. "Es treiben sich ein Haufen Leute herum, die alle löchrige Bettbezüge über ihren Köpfen tragen und in Richtung Keller streben. Die erste Gruppe ist vor etwa fünf Minuten vorbeigekommen und die zweite kurz dahinter. Das kommt mir ziemlich komisch vor."
"Und warum habt ihr sie verdammt noch mal nicht aufgehalten und gefragt was sie eigentlich hier zu suchen haben?" polterte Ridcully.
"Sonst hätte mir der Oberste Hirte den Schokoladenpudding vor der Nase weggegessen!" entrüstete sich der Dekan. "Er läßt einem nie etwas übrig wenn man nicht aufpaßt!"
Ridcully seufzte resigniert. Mittlerweile kannte er seine Fakultät gut genug um zu wissen, daß eine sinnvolle Handlungsweise von einem aus ihrer Mitte einem Wunder gleichkam.
"Na dann wollen wir doch mal nachschauen, was die mit ihrer Bettwäsche vorhaben." Er erhob sich und nahm eine Jagdarmbrust aus einem Gestell an der Wand. Mit der anderen Hand ergriff er seinen Zauberstab.
"Dekan, schleif den Rest der Fakultät aus dem Ungemeinschaftsraum zum Kellereingang. Diese Kerle werden wir uns mal vorknöpfen."
Er nickte Lea zu.
"Es tut mir leid, Fräulein Eule, aber ich glaube, hier braut sich was zusammen. Ich werde nachsehen. Vielleicht finden Sie diesen Trödelgreif ja im Forschungstrakt für hochenergetische Magie bei Stibbons, wo sie sich über unverständliche Dinge unterhalten."

* * *


Hektisch sah Araghast sich um.
Der Raum in dem er gelandet war wirkte auf ihn wie eine Rumpelkammer, in der ein durchgedrehter Igor sein Labor eingerichtet hatte. Zwei lange Reihen von mit den unmöglichsten Dingen vollgestopften Regalen erstreckten sich links und rechts von ihm bis zur Wand. Ein Aquarium, in dem mehrere Gehirne schwammen fiel ihm besonders ins Auge. Widerwillig riß er sich von dem Anblick los und nahm seine weitere Umgebung in Augenschein.
Etwa in der Mitte des Raumes schienen die Regalreihen ein Ende zu haben und Araghasts Blick fiel geradewegs auf einen halbverfallenen Torbogen, welcher mit einem Vorhang verhangen war. Der Püschologe meinte, ein bläuliches Glühen um den brüchigen Stein herum wahrzunehmen.
Und vor dem Bogen standen die Lebenstrinker. Araghast erkannte die Marquise L' Etranger sofort. der Mann neben ihr mußte der Beschreibung nach die Robin ihm gegeben hatte Geronimo Lockenherz sein. Die übrigen Personen kannte er nicht.
Zwei große, scheinbar nur aus Muskeln bestehende Männer hielten Onkel Idian und Ny fest im Griff. Einer von ihnen sah aus, als sei er ein in die Jahre gekommener Preisboxer. Renatus von Schweinewarze stand stocksteif an Ort und Stelle, während ein Mann, dessen Haar zu einem langen, weißblonden Pferdeschwanz zusammengebunden war, eine Armbrust auf ihn richtete. Araghast zweifelte nicht daran, daß der Bolzen versilbert war. Ein Haufen Asche neben seinen Füßen ließ keinen Zweifel daran, daß sich Wladislaw Krumm derzeit in einer äußerst unangenehmen Lage befand und einzelne Gliedmaßen, die vermutlich noch vor einigen Minuten in ihrer Gesamtheit den Körper Korbirian Launischs gebildet hatten, lagen überall verstreut. Harald Alonzo Trödelgreif war nirgendwo zu entdecken.
"Tja, mein Junge, wie du siehst hast du keine andere Wahl." sagte in diesem Moment die Marquise L' Etranger. "Ich fordere dich zum letzten Mal auf. Gib uns das Rezept, oder wir werden dieses Mal jemandem von eurem armseligen Orden etwas antun von dem er sich nicht wieder erholen kann."
"Nie im Leben!" erklang Haralds zitternde Stimme aus dem Off.
"Richtig! Stopf es dir ins Maul und erstick dran, du Sau!" fauchte Ny und wehrte sich heftig gegen ihren Aufpasser.
"Ts ts ts." antwortete die Marquise tadelnd. "Und so etwas will meine Nichte sein. Was hat dein Vater dir nur alles durchgehen lassen!" Und sie gab Ny eine schallende Ohrfeige.
Schnell drückte sich Araghast zwischen die Regale. Er hatte wirklich Glück gehabt, daß die Lebenstrinker dermaßen mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen waren, so daß sie ihn nicht bemerkt hatten.
"Das Rezept!" forderte die Stimme in der der schleichende Wahnsinn mitschwang. "Oder es geht dem Werwolf an den Kragen!"
Krachend flog die Tür der Kammer auf.

Mit festem Schritt wanderte der fackeltragende FROG-Trupp durch die Kellergänge und erweckte den Eindruck eines überdimensionalen Glühwürmchens. Voran schritt Doktor Albert Umbel, seinen Zauberstab, von dem ein bläuliches Glühen ausging, hoch erhoben. Ihm folgten Rogi Feinstich, welche Venezia auf der Schulter trug, und Kolumbini. Die übrigen FROGs bildeten eine Reihe.
"Und jetzt links herum." kommandierte Umbel und winkte mit seinem Stab.
"Bilde ich mir das nur ein oder sehen wirklich alle Gänge hier unten gleich aus?" wisperte Kanndra Valdimier ins Ohr.
Der Vampir zuckte mit den Schultern. "Es hat irgendwie etwas von der Kanalisation." antwortete er ebenso leise. "Aber solange dieser Zauberer zu wissen scheint, wo wir lang müssen..."
"Und uns die Tentakelwesen aus dem Weg räumt." mischte sich Mindorah in die Unterhaltung ein. "Also, mir ist hier unten alles andere als geheuer."
"Und dieser Umbel." Kanndra runzelte die Stirn. "woher weiß er eigentlich so gut über alles Bescheid? Er schien genau zu wissen was wir vorhatten."
"Bregs hat mir erzählt, daß er ein Vertrauter von diesem Trödelgreif-Jungen ist." erklärte Valdimier. "Er macht sich vermutlich auch Sorgen."
Ein Ruck ging durch die Prozession, als Doktor Umbel urplötzlich stehenblieb. Kanndra stolperte gegen Sidneys Rücken, dankbar für den Umstand, daß Madame Massiv weit vorn in der Reihe marschierte.
"Was ist denn los?" rief Max, welcher das Schlußlicht bildete.
"Hier liegt ein Toter." informierte Venezia den Rest der Truppe. "Jemand mit einem roten Kissenbezug über dem Kopf."

Doch es waren nicht die FROGs, welche in die Kammer gestürmt kamen.
Araghast besaß gerade noch genug Geistesgegenwart, um sich hinter eine schubladenlose Kommode zu ducken. Über ihm balancierte ein ausgestopfter Alligator in einem gefährlich instabilen Gleichgewicht auf zwei von Regal zu Regal gespannten Seilen.
Vorsichtig spähte der Püschologe durch ein Astloch in der Kommodenrückwand.
Etwa zwölf Personen standen in kampfbereiter Haltung im Mittelgang. Ihre Köpfe waren mit etwas verhüllt was verdächtig nach dunkelroten Kissenbezügen aussah, in die jemand Löcher für die Augen geschnitten hatte.
Mittlerweile schienen auch die Lebenstrinker die Neuankömmlinge bemerkt zu haben.
"Was... wer sind Sie?"
Die Stimme der Marquise L' Etranger zitterte leicht. Ihre überhebliche Selbstsicherheit mußte sich spontan verflüchtigt haben.
Araghast sah, wie einer der Vermummten in die Mitte des Ganges trat und ein Schwert zog.
"Wir sind der geheime Bund der Obskuriaten." verkündete er drohend. "Und das Rezept für den Stein der Weisen und das Geheimnis der Unsterblichkeit gehören uns, den wahren Erben Salzhaar Sütterlins!"
Und wie ein Mann zogen auch seine Begleiter die verschiedensten Waffen und stürmten los.
In seinem Versteck schnappte Araghast nach Luft. Der geheime Bund der Obskuriaten. Wer war das überhaupt? Konnte die Situation denn noch verrückter werden? Woher wußten sie überhaupt von dem Rezept?
Jemand schrie.
Meine Familie, schoß es Araghast durch den Kopf. Warten auf den Rest der FROGs oder nicht, sie brauchten jetzt seine Hilfe. Er sprang auf, zog sein Schwert, verfluchte sich kurz selbst für seine Leichtsinnigkeit und stürzte sich in den erbitterten Kampf, der bereits rund um den Torbogen mit dem Vorhang tobte.
"Araghast!" Ny war es gelungen sich zu befreien und kam, sich geschickt unter den geschwungenen Waffen der Kämpfenden duckend, auf ihn zugelaufen. Mit einem Hechtsprung entging sie einer nach ihrem Knien geschwungenen Axt, rollte sich elegant ab und trat einem weiteren Kämpfer die Beine weg.
"Geh in Deckung!" rief Araghast ihr zu und parierte den Hieb eines Vermummten, welches sein Schwert mit durch den Knebel ersticktem Protest kommentierte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Onkel Idian sich gegen Geronimo Lockenherz und einen Obskuriaten zur Wehr setzte. Renatus hatte sich in seine Wolfsgestalt verwandelt und biß und kratzte wild um sich. Der langhaarige, blonde Mann, welcher vorhin die Armbrust auf den Werwolf gerichtet hatte, schien durch das Gemenge zu tanzen. Zwei der Obskuriaten lagen bereits reglos am Boden.
"Nix da." knurrte Ny und ergriff ihren Degen, welcher an der Wand lehnte. "Ich kämpfe." Und sie stürzte sich wieder in das Getümmel.
Die nächste halbe Minute verbrachte Araghast damit, sich einen Obskuriaten, welcher es partout darauf angelegt hatte, ihm mit seiner Axt den Schädel zu spalten, vom Leib zu halten. Was er auch unternahm, der Angreifer schien einfach nicht aufgeben zu wollen. Mehr als einmal entging er nur knapp der Enthauptung und ein blutiger Schnitt zierte seine linke Schulter. Doch schließlich machte der Obskuriat den entscheidenden Fehler. Er holte weit aus, um dem Püschologen endgültig den Schädel zu spalten und Araghast nutzte den Moment der Blöße aus und trat seinem Gegner kräftig zwischen die Beine. Stöhnend sackte dieser zusammen und Araghast hieb ihm den Knauf seines Schwertes über den Kopf. Mit einem leisen Seufzer ging der Mann zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Araghast war immer wieder erstaunt, wie gut dieser alte Tavernenschlägerei-Trick funktionierte. Durch zahllose Abende in den verschiedensten Hafenkneipen der gesamten Scheibenwelt hatte er eines gelernt: Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder man kämpfte fair oder man überlebte. Schnell sah er sich nach den anderen um. Onkel Idian hatte Lockenherz mittlerweile ins Reich der Träume geschickt und rang nun mit seinem zweiten Gegner. Nicht so gut sah es mit Renatus aus. Er wälzte sich in Krämpfen am Boden. Ein silbern schimmernder Bolzen ragte aus einem seiner Augen. Wenige Meter entfernt lud der blonde Mann in Ruhe eine kleine Pistolenarmbrust nach. Ny focht mit einem schmierig wirkenden Lebenstrinker, in dessen Gesicht die Augenbrauen fehlten. Harald war nirgendwo zu sehen.
"Soso, das Schlammblut." keifte die Stimme der Marquise hinter ihm. Sie hatte sich hinter eine der Säulen des Torbogens gerettet und betrachtete von dort aus das Kampfgeschehen. "Hast deine Nase doch in Dinge gesteckt die dich nichts angehen. Wächter." Sie schnaubte verächtlich.
Wächter, dachte Araghast und schickte ein Stoßgebet zu sämtlichen möglicherweise zuhörenden Göttern. Wo blieben sie bloß? Entsetzt sah er, wie Renatus von einem zweiten Bolzen derselben Machart getroffen wurde, noch einmal krampfhaft zuckte und sich nicht mehr rührte.
Da, das Trappeln von Stiefeln auf Stein!
Doch die Gruppe, die in die Kammer drang, sah den FROGs nicht auch nur im geringsten ähnlich. Weiße Kissenbezüge verhüllten die Gesichter der insgesamt sieben Neuankömmlinge und alle waren sie bis an die Zähne bewaffnet.
"Ewig lebe der Schu-Rucks-Klan!" brüllten sie wie aus einem Munde. "Der Stein der Weisen gehört uns!"

Nach einiger Diskussion hatten sie die Leiche vorläufig am Fundort liegen gelassen und waren weitermarschiert.
"Warum habe ich bloß das Gefühl, daß der Zauberer auch nicht weiß, wo er lang muß?" unkte Kanndra.
"Nun, er weiß vermutlich den Weg." kommentierte Valdimier gehässig. "Nur der Weg hat beschlossen, sich nicht um sein Wissen zu kümmern. Du weißt ja, ein Zauberer würde eher sterben als zugeben, daß er sich in irgendeiner Hinsicht geirrt hat."
Kanndra murmelte etwas unverständliches und musterte eingehend die Wände des Ganges durch den sie gerade eilten.
Der Vampir seufzte. Hoffentlich waren sie bald da...

Mittlerweile hatte sich der Kampf in der Kammer des Schreckens zu einem einzigen Tumult entwickelt. Jeder schien jeden zu bekämpfen. Das Klirren von Waffen mischte sich mit dem unterdrückten Keuchen und gelegentlichen schmerzhaften Aufschreien der Kämpfer.
So unauffällig wie möglich drückte sich Araghast an der Wand entlang und versuchte, zwischen die Regale zu spähen. Er mußte Harald finden, bevor dieser in seiner Panik irgend etwas unüberlegtes mit dem Rezept anstellte. Dicht neben ihm stürzte ein Träger eines weißen Kissenbezuges zu Boden. Aus seiner Brust ragte ein Wurfmesser mit geschwärzter Klinge.
Ein Freudenschrei ließ Araghast herumfahren.
Beatrice L' Etranger stand direkt vor dem Torbogen und focht mit ihrem Bruder. Soeben hatte sie ihm mit ihrer Klinge den Ärmel seines Hemdes zerrissen.
Doch Lord Idian von Canis Maior Alpha wehrte sich tapfer. Geschickt parierte er die nächsten Hiebe der Marquise und nahm sich sogar noch Zeit, hinterhältig zu lächeln.
"Selbst wenn du mich jetzt tötest, hilft es dir rein gar nichts!" rief er ihr entgegen. "Vergiß es, Schwester!"
"Ich bin nicht mehr deine Schwester!" kreischte sie wütend und griff erneut an.
So ging es eine Weile weiter. Beide hieben wie wild aufeinander ein, doch keiner von ihnen konnte einen entscheidenden Vorteil erringen, während um sie herum die Schlacht ungemindert weitertobte.
Doch schließlich schien die Marquise müde zu werden. Sie strauchelte und bei ihrer verzweifelten Parade hätte Lord Idian ihr beinahe die Waffe aus der Hand geschlagen.
"He, komm, du dumme Nuß!" verhöhnte er sie. "Das kannst du aber besser!"
Ihr Wutschrei ließ die Einmachgläser und Aquarien in den Regalen klirren. Mit letzter Kraft warf sie ihren Degen nach ihrem Bruder.
Araghast blieb beinahe das Herz stehen, als er sah, wie sein Onkel ungläubig auf die in seiner Brust steckende Klinge starrte und seine Waffe klappernd zu Boden ging. Lord Idian von Canis Maior Alpha fiel auf die Knie. Seine Lippen formten unhörbare Worte.
"Vater!"
Wild mit ihrem Degen um sich schlagend bahnte sich Ny einen Weg durch die Menge. Doch sie kam nicht weit. Beinahe beiläufig zückte der blonde, schwarzgekleidete Mann, bei dem es sich wie Araghast klargeworden war nur um den Assassinen Mucius Vollreif handeln konnte, ein Messer und warf es. Ny sackte lautlos zusammen und ihr Körper verschwand in der Menge der Kämpfenden. Beatrice L' Etranger lachte schrill auf.
Das war zuviel. Araghast hob Magnarox. Er würde diesen feigen Mörder in Stücke hacken für das, was er getan hatte. Und anschließend war die Marquise dran, auch wenn sie zehnmal seine eigene Tante war.
Doch der Anblick des bleichen, bebrillten Gesichtes hinter einem der Regale ließ ihn inne halten. Schnell ließ er das Schwert sinken und versuchte, Harald mit den Armen zu signalisieren, daß er verschwinden sollte. Deutlich gewahrte er ein zusammengerolltes Pergament in der Hand des Jungen.
Du verdammter Vollidiot, fluchte er lautlos. Hau ab! Versteck dich irgendwo und steh nicht rum wie ein Troll in der Wüste! Doch Harald schien ihn nicht auch nur im geringsten zu beachten. Stocksteif schritt er aus seiner Deckung und durch den Kampf hindurch, zum Torbogen hin, zu dessen Füßen Lord Idian mittlerweile endgültig zusammengebrochen war.
"Harald!" schrie Araghast ihn an. "Lauf weg, verdammt noch mal!"
Doch dafür war es zu spät. Die noch auf ihren Beinen stehenden Lebenstrinker hatten den Jungen bemerkt und ließen von ihren Gegnern ab, welche den Thaumathurgiestudenten ebenfalls neugierig musterten.
"Harald Alonzo Trödelgreif!" schallte die Stimme Thomas Kreuzworträtsels durch den Raum und der Anführer der Lebenstrinker trat aus den Schatten eines Regals, wohin er sich während des Kampfes geflüchtet hatte. "Endlich sehen wir uns wieder!"
Verzweifelt suchte Araghast den Boden ab. Die Gliedmaßen Korbirian Launischs waren nirgendwo zu sehen, ebensowenig der Aschehaufen, welcher einmal Wladislaw Krumm gewesen war. Der Körper eines großen Wolfs lag halb unter einem Regal verborgen. Ny und Onkel Idian lebten ebenfalls nicht mehr. Er war allein. Der Orden des ziemlich rosaroten Huhnes war bis auf das letzte Mitglied vernichtet worden.
"Warum laßt ihr mich nicht alle einfach in Ruhe? Ich will doch nur Buchhalter werden und mit alldem nichts mehr zu tun haben!" rief Harald weinerlich und schritt rückwärts auf den Torbogen zu. Der Halbkreis aus Lebenstrinkern, Obskuriaten und Brüdern des Schu-Rucks-Klans schloß sich immer enger um ihn. Es schien, als hätten sie Araghasts Anwesenheit einfach vergessen.
"Dann gib uns das Rezept!" forderte ihn Kreuzworträtsel auf. Ein roter Kissenbezugträger ging röchelnd zu Boden. Offenbar hatte ihn jemand von der weißen Konkurrenz hinterrücks erstochen.
Harald sah auf- und direkt in Araghasts Auge.
"Niemals!" schniefte er und warf das Rezept über die Köpfe seiner versammelten Gegner hinweg dem Püschologen zu. Nach einer Schocksekunde stürzte sich der größte Teil der Anwesenden auf ihn. Der Rest wandte sich um und nahm Araghast aufs Korn.
Der Püschologe fing die Pergamentrolle und hob drohend sein Schwert, als Mucius Vollreif, der Lebenstrinker mit der Schlägervisage und zwei rote Kissenbezugträger auf ihn zukamen. Es schien, als hätten sie einen vorübergehenden Waffenstillstand untereinander beschlossen.
"Ja, schnappt euch das Schlammblut!" kreischte die Stimme der Marquise im Hintergrund. "Er darf auf keinen Fall überleben!"
Araghast fletschte die Zähne.
"Ihr wollt das Rezept? Dann kommt doch her und holt es euch!" knurrte er.
Einen Augenblick schienen die vier Angreifer zu zögern.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
Die Tür der Kammer des Schreckens barst aus ihren Angeln und rutschte mehrere Meter weit über den Fußboden.
"FROOOGs! Zum Angriff!" erscholl Venezia Knurblichs durchdringende Kommandostimme und die gesamte Abteilung stürmte mit gezogenen Waffen die Kammer.
Mucius Vollreif reagierte wie der Blitz. Er zauberte eine geladene Pistolenarmbrust aus den Tiefen seines Gewandes und schoß.
Alles schien wie in Zeitlupe zu geschehen. Aus dem Augenwinkel nahm Araghast wahr, wie Harald Alonzo Trödelgreif von Beatrice L' Etranger durch den verhangenen Torbogen geschubst wurde und die FROGs sich auf die Anwesenden stürzten. Valdimier sah zu ihm herüber und seine Augen weiteten sich vor Schreck.
Dann spürte Araghast einen Schlag gegen seine Brust, gefolgt von einem stechenden Schmerz. Ungläubig sah er an sich herunter und erblickte den Bolzen, welcher sich direkt durch sein Herz gebohrt haben mußte. Er stolperte nach hinten und verlor das Gleichgewicht. Der Klicker seines Lebens zog im Zeitraffer an ihm vorbei. Mit einem dumpfen Pochen kollidierte sein Hinterkopf mit einem Regalbrett und ihm wurde schwarz vor Augen.

Innerhalb von Sekunden hatte sich das Blatt völlig gewendet. Der Sturmangriff der FROGs hatte sowohl Lebenstrinker als auch Obskuriaten und Schu-Rucks-Klan völlig unvorbereitet angetroffen und unversehens sahen sie, die sie sich gerade allesamt am Ziel ihrer Wünsche angelangt gesehen hatten sobald sie mit den jeweils anderen beiden Parteien fertig geworden waren, sich plötzlich mit einer Gruppe erprobter Kämpfer konfrontiert, die ihnen in punkto Kampfkraft mindestens ebenbürtig waren.
Ein breit grinsender Sidney prügelte sich fröhlich unter fleißigem Einsatz seines achatenen Katanas mit zwei roten und zwei weißen Kissenbezugträgern. Er schien sich prächtig zu amüsieren. Severin Schnäppchen umklammerte schreiend sein Knie, welches unangenehme Bekanntschaft mit Venezia Knurblichs Gnomensäbel gemacht hatte. Derweil war der Oberleutnant damit beschäftigt, an seinen Kleidern hochzuklettern, um ihn mit einer gezielten Kopfnuß ins Reich der Träume zu schicken. Madame Massiv hatte ihre MUT beiseite gelegt und hielt in der linken Hand Vinzent Krabbe und in der rechten Gregor Speier gepackt, welche sie zum wiederholten Male mit den Köpfen zusammenschlug. Ein roter Kissenbezugträger versuchte derweil vergeblich, ihr sein Messer in den Rücken zu stoßen. Währenddessen war Kanndra vollauf damit beschäftigt, einem Mitglied des Schu-Rucks-Klans die Schienbeine grün und blauzutreten, während sie gleichzeitig einem weiteren Gegner mit der Zeremonienkeule des heiligen Sankt Tobsucht einige Kopfschmerzen bescherte. Rogis Skalpell blitzte im Fackellicht, als sie sich erfolgreich gegen Geronimo Lockenherz und Petrus Schleichbein wehrte, welche es sich in den Kopf gesetzt zu haben schienen, sie niederzustechen. Zwei Obskuriaten rannten schreiend durch das Getümmel, nachdem Max urplötzlich hinter ihnen aufgetaucht war. Mindorah und Gina schlugen sie mit ihren Dienstknüppeln nieder, während Ortbe mit wohlgezielten Bolzen diverse Kämpfer zum Jaulen brachte.
"Laß mich durch!" fuhr Valdimier Mucius Vollreif an, welcher sich mit einem überheblichen Lächeln auf den Lippen und einer kleinen, zusammenklappbaren Armbrust in der Hand zwischen Araghasts Leiche und ihn gestellt hatte.
Der Assassine lachte höhnisch.
"Dein Freund ist tot, Wächter. Du kannst ihm nicht mehr helfen. Was allerdings keine Rolle spielen wird, da du dich bald bei ihm befinden wirst, du Blutsauger!"
"So, bist du dir da so sicher, du Schwein?"
Valdimier entsicherte seine beiden Armbrüste und richtete sie auf die Brust seines Gegners.
"Du bist verhaftet, Mucius Vollreif, wegen unlizenzierten Mordes." erklärte er mit eisiger Stimme. "Und ich glaube nicht, daß Lord Witwenmacher etwas für deine Inhumierungseskapaden übrig hat, wenn wir dich ihm ausliefern werden."
Der Assassine schnappte nach Luft und sah sich hektisch nach seinen Getreuen um, mußte jedoch feststellen, daß diese größtenteils gerade von den Wächtern überwältigt wurden.
"Stirb, Blutsauger!" zischte er hilflos und stürzte sich, mit seinem hastig gezogenen Degen zielgenau nach Valdimiers Hals schlagend, auf den Vampir.
Dieser drückte rein instinktiv die Abzüge seiner Armbrüste und warf sich auf den Boden, um der heranzischenden Klinge zu entgehen. Doch das erwartete sausende Geräusch scharfen Metalls, welches die Luft durchschnitt, blieb aus. Stattdessen fiel die Waffe klirrend zu Boden. Valdimier sah auf. Mucius Vollreif sackte lautlos in sich zusammen und schlug mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden auf. Eine Blutlache breitete sich unter ihm aus.
Valdimier sprang auf und lud hastig seine Armbrüste nach. Araghast war gerächt. Jetzt galt es, aus dem Rest dieser verdammten Sektierer Kleinholz zu machen. Der Vampir warf einen letzten, bedauernden Blick auf den reglosen Körper seines Freundes, hob das Schwert auf, das dem Püschologen bei seinem Sturz aus der Hand gefallen war und stürzte sich in den Kampf.

Kolumbini stand neben Doktor Umbel und bewachte den Durchgang zwischen den Regalen, während er mit ausdrucksloser Miene den vor ihm tobenden Kampf beobachtete. In der Hand hielt er einen kurzen, länglichen Gegenstand, welcher von allen Umstehenden ohne Zögern als Schlagstock identifiziert worden wäre. Der Ermittler sah, wie Valdimier den Assassinen niederstreckte und Sidney den letzten seiner Gegner gegen die Wand warf, daß es nur so krachte.
Plötzlich sah er eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Ein magerer Mann in roten Gewändern beugte sich über Araghasts Leiche und zog etwas aus den starren Fingern des Püschologen. Sofort war ihm klar, um wen es sich dabei nur handeln konnte.
"He!" rief Kolumbini und trat einen Schritt vor. "Drehen Sie sich um und geben Sie her, was auch immer Sie da haben!"
Der Unbekannte sah auf.
"Vergiß es, Wächter!" zischte er und zog etwas aus seinem Gürtel. Die scharfe Klinge eines Dolches schimmerte im Fackellicht.
"Warum sollte ich das tun?" antwortete Kolumbini ruhig. "Sie haben die Wahl, Herr Kreuzworträtsel. Entweder Sie ergeben sich friedlich oder diese Truppe dort hinter Ihnen, die gerade so fröhlich dabei ist Ihre Bruderschaftsmitglieder zu dezimieren, wird sich auch Ihnen mit Freuden annehmen."
Der selbsternannte Lord Todesschwinge zischte ärgerlich und sprang auf den Ermittler zu. Dieser hob seinen Knüppel und drückte auf das kleine Knöpfchen am Griff. Ein lautes FUMMP erscholl und der Schlagstock entfaltete sich, wobei die aus dem Rest des Knüppels herausschießende Spitze unsanft mit der Stirn Thomas Kreuzworträtsels kollidierte und ihn mehrere Meter durch den Raum schleuderte. Derweil entfaltete sich der Schlagstock zu einem Regenschirm. Zufrieden ließ Kolumbini den Regenschutz zu Boden sinken und näherte sich seinem ohnmächtigen Gegner, auf dessen Stirn sich eine farbenprächtige Beule zu bilden begann.
Er bückte sich und zog die Pergamentrolle aus Thomas Kreuzworträtsels schlaffer Hand. Dann holte er Hand- und Fußschellen aus den Taschen seines MANTELs und machte sich daran, den Bewußtlosen zu fesseln.

Auf dem Bauch robbte Beatrice L' Etranger unter den Regalen entlang, sorgfältig diversen undefinierbaren Gegenständen ausweichend. Die Wächter waren doch so blind... Sie scheinen ihre Existenz völlig vergessen zu haben. Nachdem der Wächter mit dem seltsamen Mantel den Meister geschnappt hatte, schienen er und dieser vermaledeite Zauberer völlig von dem Rezept eingenommen zu sein. Zwei Regale noch und sie hatte es geschafft. Selbst wenn dieser Wächter-Kampftrupp und diese Kissenbezugträger deren Ankunft sie sich immer noch nicht erklären konnte den großen Plan vermasselt hatten- immerhin blieb ihr selbst immer noch aller Grund zum Triumph. Ihr Bruder, seine Tochter und Lisas Bastard waren tot. Die Ehre des noblen und uralten Hauses von Canis Maior Alpha war gerettet. Mit ihr würde die Familie ehrenvoll aussterben. Niemand konnte ihr vorwerfen, das Motto semper humanus nicht immer hochgehalten zu haben.
Noch ein Regal...
Erschrocken hielt die Marquise inne. Beinahe hätte sie eine kompliziert aussehende Glasapparatur umgestoßen. Mühsam schlängelte sie sich unter den verkrusteten Rohren hindurch, bis sie schließlich zwischen einem mit antik aussehenden Holzkästen bestückten Regal und der Wand ins Freie kam. Verstohlen sah sie sich um. Nur wenige Meter trennten sie von der Tür...
In den Taschen ihres Mantels befanden sich der geknebelte Kopf Korbirian Launischs und ein Teil der Asche Wladislaw Krumms. Ein wenig Säure und auch diese beiden würden endgültig der Vergangenheit angehören.
Die Marquise L' Etranger atmete noch einmal tief durch, stürmte aus der Tür und floh durch das Labyrinth der Kellergewölbe.

Zufrieden ließ Oberleutnant Venezia Knurblich ihren Blick über das Schlachtfeld schweifen. Sämtliche Gegner lagen tot, verwundet oder ohnmächtig am Boden und ihre Mannschaft hatte keinen allzu großen Schaden davongetragen. Doch wer auch immer hier vor ihnen gegen die Lebenstrinker gekämpft hatte, hatte eindeutig den kürzeren gezogen. Sidney hatte die Leichen die sich keiner Gruppierung zuordnen ließen in der Mitte des Raumes nebeneinandergelegt. Ein Werwolf in Wolfsgestalt, ein Mann in mittleren Jahren mit verfallenem Gesicht und, was ihr einen besonderen Stich versetzte, ein halbes Kind von höchstens sechzehn, siebzehn Jahren. Dazu kamen einige versteckte Gliedmaßen eines Zombies und ein halber Haufen Vampirasche. Von einem Zaubereistudenten, lebendig oder tot, war nicht die geringste Spur zu entdecken.
"Wer waren sie?" fragte die Gnomin scharf.
Valdimier war neben sie getreten. Sein Gesichtsausdruck konnte nur als leer bezeichnet werden und aus unerfindlichen Gründen hielt er Araghasts Schwert in der Hand.
"Sie nannten sich der Orden des ziemlich rosaroten Huhnes." erklärte er leise. "Und Oberleutnant... da gibt es noch etwas was ich dir zeigen muß..."
Hilflos wies er auf Sidney, welcher einen weiteren Toten herantrug.
Trotz der Zivilkleidung erkannte Venezia den jungen Mann sofort. Schlaff hing sein Körper in den Armen des Werwolfs und sein langer, schwarzer Zopf schleifte beinahe auf dem Boden. Die Gnomin fragte nicht einmal ob er noch lebte. Der Bolzen, welcher in der Brust ihres Püschologen steckte, sagte mehr als tausend Worte.
Wenige Sekunden später erschütterte ein Wutschrei die Abstellkammer.

"Was verdammt noch mal ist hier los?" bollerte eine laute Stimme in befehlsgewohntem Ton.
Erzkanzler Mustrum Ridcully stand in der Türöffnung, eine geladene Jagdarmbrust hoch erhoben. Hinter ihm drängelten sich der Dekan, welcher seltsame Geräusche die wie 'Hutt-Hutt' klangen von sich gab, einige weitere hochrangige Zauberer und ein sichtlich nervöser Ponder Stibbons.
Sämtliche Wächter, welche gerade dabei waren, die gefangenen zu handlichen Paketen zu fesseln, sahen erstaunt auf.
"Ah, der Herr Erzkanzler!" Doktor Albertus Umbel straffte sich und marschierte schnurstracks auf seinen Vorgesetzten zu. "Sie kommen gerade rechtzeitig. Es gibt ein gewisses Problem, wissen Sie, der junge Trödelgreif ist durch diesen Vorhang da hinten gefallen und ich bin mir da nicht so ganz sicher was seine Rückkehr betrifft. Wenn Sie es sich vielleicht einmal ansehen können."
"Verdammt." stieß Ponder Stibbons unwillkürlich hervor.
Ridcully brummte etwas und ließ die Armbrust sinken.
Währenddessen drängelte sich der Dekan nach vorn.
"Meinetwegen können wir es uns mal angucken." erklärte er. "Da der Kampf eh schon ohne uns ausgefochten wurde..." fügte er mit leisem Bedauern hinzu und schritt durch die Regale hindurch in Richtung des Torbogens. Der Rest der Zauberer, bis auf Umbel, folgte ihm.
Der Doktor gesellte sich zu Kolumbini, welchem die Aufgabe zugefallen war, das Rezept für den Stein der Weisen zu halten.
"Darf ich?" fragte er höflich.
Ehe der Ermittler noch etwas erwidern konnte, hatte Umbel ihm die Pergamentrolle schon aus der Hand gezogen.
"Vielen Dank." Er lächelte zufrieden in die Runde, griff neben sich und zog einen Besen aus einem Regal. "Ihr habt mir wirklich fabelhaft dabei geholfen, das zu bekommen was ich wollte. Nach so vielen Jahren..."
Venezia begriff am schnellsten.
"Haltet ihn auf!" brüllte sie, noch während sich Umbel auf den Besenstiel schwang. Eilig griffen diverse Hände nach dem Zauberer, doch zu spät- Schwungvoll riß er sein Fluggerät hoch und zischte durch die weitgeöffnete Tür aus der Kammer. Sidneys letzter Bolzen verfehlte seinen Rücken knapp und bohrte sich in den Türbalken, ein Stück Stoff von der buntbestickten Robe des Zauberers aufspießend.
"Na was glotzt ihr so?" schrie Venezia. "Hinterher!"
Die FROGs stürmten los. Nur Mindorah blieb zurück, um den Stofffetzen zu sichern und einzustecken.
"Bleibt doch hier!" rief Kanndra ihnen hinterher.
Valdimier bremste abrupt ab.
"Was hast du vor?" fragte er.
"Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn einzuholen." Kanndra sah sich suchend um und griff schließlich triumphierend in einen alten Schirmständer. "Damit."
"Bist du verrückt?" rief Valdimier. "Kannst du mit so einem Ding überhaupt umgehen?"
"Das werde ich gleich herausfinden." antwortete die Späherin entschlossen und schwang ihr Bein über den Besenstiel. "Das sind wir Bregs' Andenken schuldig, diesen Mistkerl zu schnappen."
"Ich bin dabei." Mindorah stieg hinter Kanndra auf.
"Valdimier?"
"Na schön."
"Plaaaatz daaaa!" brüllten alle drei aus Leibeskräften, als der Besen samt seiner schreienden Fracht durch die engen Kellergänge sauste.
"Kanndra, ich hoffe wirklich, du weißt was du da tust." murmelte Valdimier leise.

* * *


Nach einer halben Stunde ergebnislosem Absuchen des Campus reichte es Lea. Im Forschungstrakt für hochenergetische Magie hatte sie lediglich einen ölverschmierten Jungzauberer angetroffen, der gerade dabei war, die Rohre einer gigantischen thaumathurgischen Rechenmaschine zu fetten. Sie hatte ihm einige Fragen über den Apparat stellen können, bevor er sie unter dem Vorwand, daß Frauen hier nichts zu suchen hätten wieder herauskomplimentiert hatte. Immerhin wußte sie nun erstens, daß Harald Alonzo Trödelgreif sich garantiert nicht in diesem Gebäude befand und zweitens, daß es sich bei dem sogenannten Hex um eine ähnliche Apparatur wie das AGLA ihres Onkels handelte, nur daß die Rechenmaschine der Universität durch Käse und nicht durch irrationale Zahlen angetrieben wurde. Und überhaupt schien die durchschnittliche Verrücktheit der Zauberer alles zu übertreffen, was Onkel Hieronymus ihr je erzählt hatte. Vor einiger Zeit war ein mit einem Magier besetzter Besen aus dem Haupteingang geschossen gekommen, ein zweiter, auf dem sich drei schreiende Personen festklammerten, war wenige Minuten später gefolgt. Lea vermutete, daß es sich um eine neue Sportart handelte. Sie schüttelte den Kopf. Sport auf Besen... Die Leute wurden auch immer verrückter. Demnächst würde noch jemand anfangen, Ankhschlamm-Wetttrinken als Sport zu deklarieren.
Stirnrunzelnd musterte die junge Frau die dunklen Flügel des Tores und das Häuschen in dem der wohl mittlerweile schlechtestgelaunte Brüller der Universität saß. Nun, sie würde morgen wiederkommen. Jetzt brauchte sie erst einmal einen ordentlichen Schluck irgendeines hochprozentigen Getränkes. Vielleicht sollte sie Julius und Hermione einen Besuch abstatten. Die beiden würden ihr bestimmt helfen und Julius würde vermutlich noch in dieser Nacht anfangen, einen tragischen Familienroman über die Geschichte zu schreiben. Falls Bregs ihn nicht schon dazu gebracht hatte...
"Fräulein Eule!"
Lea wandte sich um und traute ihren Augen kaum. Der Hauptgefreite Kolumbini kam ihr entgegen, im Schlepptau einen mit Handschellen gefesselten Mann mit verbranntem Gesicht und einer ziemlich großen Beule auf der Stirn. Weitere Wächter folgten ihnen, einige davon ebenfalls mit Gefangenen im Schlepptau. Ein großer, muskulöser junger Mann trug ein in eine Decke gehülltes Bündel auf dem Arm.
"Was ist denn hier los?" staunte Lea. "Eine Massenverhaftung?"
Kolumbini nickte.
"Hat Ihr Onkel Sie nicht eingesperrt?" wunderte er sich.
"Ich habe mich heute selbst entlassen." knurrte Lea. "Jetzt muß ich nur noch einen gewissen Harald Alonzo Trödelgreif finden, meinen Verwandten eins auswischen und dann steht Bregs und mir nichts mehr im Wege."
"Ähm..." Kolumbini zögerte. "Ich glaube, da gibt es einiges, was ich Ihnen sagen muß." erklärte er schließlich und reichte seinen Gefangenen an Ortbe weiter. "Sidney, wenn du bitte mal herkommen würdest?"
"Wieso? Was ist denn?" wunderte sich Lea. "Sag bloß, Trödelgreif ist gerade vor wenigen Minuten hier ermordet oder in sonstwas verwandelt worden und ihr habt gerade die Verantwortlichen verhaftet?"
"So ungefähr." Der Ermittler seufzte leise. "Es tut mir so Leid für Sie."
Er trat beiseite um Sidney Platz zu machen, welcher das Bündel auf den Boden legte und vorsichtig die Decken auseinanderschlug.
Als Lea sah, was dort vor ihr lag fühlte sie sich, als hätte ihr jemand seine Faust mit voller Wucht in die Magengrube geschmettert.

* * *


"Also daß du uns da heil rausgebracht hast muß wirklich eine Chance von eins zu einer Million gewesen sein." stöhnte Valdimier, als der Besen aus dem Eingang der Universität ins Freie schoß. "Ein paar Mal war es wirklich sehr knapp. Wie oft wir uns wohl verflogen haben?"
"Immerhin, wir sind draußen." Kanndra lenkte den Besen aufwärts in den Nachthimmel. "Und ich glaube, so langsam bekomme ich ein Gefühl für das Ding hier."
"Nun, allgemein betrachtet ist es auch nicht existenzgefährdender als eine Einsatzfahrt mit Schusi bei voller Geschwindigkeit." Valdimier grinste breit.
"Na ja, dir hätte ein Zusammenstoß mit einer Wand auch nicht wirklich was ausgemacht." stellte Mindorah fest. "Meine Güte, war das ein Ritt. Und ich dachte immer, das Leben als Kommex wäre vergleichsweise friedlich. Na ja, wer weiß, vielleicht treffen wir ja auch noch Rib und Fridawulfa hier irgendwo."
"Ich gehe noch mal etwas höher." kündigte Kanndra an. "Von da oben haben wir einen besseren Überblick. Wir müssen diesen Umbel unbedingt finden."

Mit zitternden Händen zog Robin Picardo die Plane über die Ladefläche des Einsatzwagens und verdeckte somit den leblosen Körper Araghast Breguyars vor den Blicken der Schaulustigen, die sich bereits eingefunden hatten. Irgendwo in der Menge versuchte Schnapper, seine Würstchen an den Mann beziehungsweise an die Frau zu bringen.
Robin nahm die Stimme des Händlers nur gedämpft wahr, als er auf den Kutschbock kletterte und das Gesicht in den Händen vergrub. Warum hatte der Einsatz so enden müssen? Zu viele Tode... Erst Gold Moon und nun Araghast. Unbarmherzig sah er sich mit der Tatsache konfrontiert, daß der Beruf des Wächters doch weitaus lebensgefährlicher sein konnte als er es sich gedacht hatte. Traurig dachte er an die junge Frau, die wortlos zugesehen hatte, wie Sidney die Leiche auf den Wagen verladen hatte, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Anschließend hatte sie sich ihm zugewendet.
"Schnappt den verdammten Mistkerl der dafür verantwortlich ist und macht in meinem Namen Hackfleisch aus ihm." waren ihre Worte gewesen, bevor sie sich umgedreht hatte und davongegangen war. Ob sie wohl jemals darüber hinwegkommen würde?
Schusis unruhiges Schnauben riß Robin aus seinen Gedanken.
"Ganz ruhig, alter Junge." murmelte er und stand auf, um dem Esel die Kruppe zu tätscheln.
Seine Knie wurden weich wie Pudding, als sie plötzlich sein ganzes Gewicht zu tragen hatten, und stolpernd fiel er zurück auf den Kutschersitz. Dummerweise verfing sich die Leine, die zu Schusis Ohrenschützern führte, an seiner Hand und die schalldämpfende Mütze wurde dem Esel von den Ohren gerissen. Das Geschirr klingelte leise, als Robin beim Versuch, sich von der Leine zu befreien, gegen die Zügel schlug.
Dies war Schusis Startsignal.

"Also, ich weiß nicht..."
Nervös blickte Mindorah nach unten und versuchte mühsam, ihr Zittern zu unterdrücken. "Alles sieht so... klein aus. Wie Spielzeug. Und die Vorstellung, daß sich zwischen einem und mehreren hundert Metern freiem Fall nur ein dünner Besenstiel befindet..."
Mittlerweile waren sie mehrmals über der Stadt gekreist, hatten jedoch keine Spur von Doktor Albert Umbel gefunden. Völlig durchgefroren klammerten sie sich am Besen fest und hofften insgeheim, daß die Suche bald ein Ende hatte.
"Wer weiß, vielleicht ist er ja auch irgendwo gelandet und flieht gemütlich zu Fuß, während wir hier oben herumkurven." brummte Valdimier mißmutig.
"Soll ich tiefer gehen?" schlug Kanndra vor und klapperte leise mit den Zähnen. "Vielleicht sehen wir dann ja mehr."
"Oh ja." Mindorah klang erleichtert. "Dann ist es wenigstens nicht mehr ganz so hoch. Jetzt weiß ich, wie sich unsere Brieftauben fühlen müssen." seufzte sie. "Abgesehen davon, daß sie aus eigener Kraft fliegen können und keine Angst vor irgend etwas haben müssen. Es sei denn, sie geraten einem Wasserspeier in die..."
"He!" unterbrach Valdimier sie. "Guckt mal, was da unten über dem Ankh fliegt!"
Die beiden Wächterinnen strengten ihre Augen an, um auf dem dunklen Band, welches sich mitten durch die Stadt schlängelte, etwas zu erkennen. Doch schließlich sahen sie es. Ein kleiner Punkt bewegte sich mit hoher Geschwindigkeit den Flußlauf entlang.
Kanndra nickte.
"Festhalten!" rief sie und lenkte den Besen steil nach unten.

Robin schrie aus voller Kehle, als Schusi über den Hier-gibts-Alles-Platz stürmte. Bürger retteten sich mit waghalsigen Sprüngen vor dem Überfahrenwerden. Hastig versuchte der Dobermann, nach den Zügeln zu greifen, doch diese schlackerten dem Esel bereits um die Ohren. Und immer noch nahm die Geschwindigkeit zu.
"Haaaalt!" brüllte Robin verzweifelt. "Bleib stehen, du Vieh! Ich sagte Stoooopppp!"
Doch sein Rufen schien Schusi nicht im geringsten zu interessieren. Schlingernd bog der Karren auf den Platz der gebrochenen Monde ein und trieb dort die Passanten auseinander. Der Schwung schleuderte Robin gegen den Kutschbock und er stöhnte auf, als sein Steißbein unsanft mit dem harten Holz kollidierte. Aus unerfindlichen Gründen mußte er plötzlich an das Wort Husarenritt denken. Wenn dieses hier nicht perfekt der Definition dieses Wortes entsprach wußte er nicht was sonst damit gemeint sein könnte...

"Mwaaa..." stammelte Mindorah, als Kanndra den Sturzflug des Besens wenige Meter über der Ankhoberfläche wieder unter ihre Kontrolle brachte.
"Da vorne ist er!" rief Valdimier unbeeindruckt der Tatsache, daß sie gerade nur knapp einer Kollision mit dem wohl übelriechendsten Ort der gesamten Scheibenwelt entgangen waren und zeigte an Kanndra vorbei in Richtung der Schlechten Brücke, über der gerade eine kleine Gestalt auf einem Besen eine enge Kurve flog und in die Sirupminenstraße einschwenkte.
"Na schön." kommentierte Kanndra. "Immer schön festhalten, Leute!"
"So holen wir ihn nie ein." stellte Mindorah fest, die sich mittlerweile von dem Schrecken wieder erholt hatte. "Wir sind zu schwer! Er ist schneller als wir!"
Kanndra riß den Besen herum und mehr oder weniger elegant taumelnd bogen auch sie in die Sirupminenstraße ein. [25]
"Also, wenn alles ein Ballastproblem ist... Ich glaube, dem kann ich abhelfen." erklärte Valdimier.
Ein leises 'Plopp' ertönte und eine kräftig mit den Flügeln schlagende Fledermaus erschien neben Kanndra.
"He!" rief diese. "Absteigen gilt nicht!"

Das Erste was Araghast verspürte waren stechende Schmerzen im Hinterkopf und ein kräftiges Schütteln. Verwirrt fragte er sich, wo er steckte. War die 'Sonne von Herscheba' mitten auf dem randwärtigen Ozean in einen Orkan geraten und er lag unter Deck in seiner Koje und versuchte zu schlafen? Ein Gedanke sickerte durch sein Gehirn. Er fuhr doch schon seit Jahren nicht mehr zur See... Das Wort 'Stadtwache' tauchte in seinem Geist auf. Richtig. Jorges Tod durch den Puzuma, das Erbe, die Jahre in Überwald und nun... Lea. Genau. Die Frau die er liebte und die er bald heiraten wollte. Und Ephraim Farrux hatte dafür gesorgt daß... Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Natürlich. Der Einsatz, Onkel Idian und Ny, wie sie starben. Und dann der Pfeil, der sich in seine Brust gebohrt hatte. Er war nach hinten gefallen, mit dem Kopf gegen das Regal geschlagen und dann war der Klicker gerissen.
Und nun eine harte Oberfläche auf der er lag, ein immerwährendes kräftiges Rütteln und Schlingern und eine Männerstimme, die lautstark um Hilfe schrie, begleitet von etwas, das sich wie das Klappern von Hufen auf Stein anhörte. War dies das Pandämonium? Wenn ja, dann mußte er die Begegnung mit Tod irgendwie verpaßt haben. Vorsichtig öffnete er sein Auge.
Dunkelheit erstreckte sich rings um ihn. In diesem Moment sorgte eine weitere Schlingerbewegung dafür, daß er gegen eine Holzwand rutschte und sich schmerzhaft den Ellenbogen stieß. Diese Nervenreaktion ließ ihn zu dem Schluß kommen, daß er ganz und gar nicht tot war. Aber was war dann passiert? Der Pfeil hatte ihn doch sicher...
Oh je, schoß es ihm durch den Kopf. Ich bin doch wohl nicht komplett zum Vampir geworden? Seine Hand fuhr zu seiner Halsschlagader. Ein gleichmäßiges Pulsieren teilte ihm mit, daß sein Vitalitätsstatus unverändert geblieben war.
Nun war er völlig verwirrt. Nachdem ihm der nächste Schwung an die gegenüberliegende Holzwand geschleudert hatte, tastete er nach seiner Brust. Da steckte er, der Pfeil, oder was davon übrig war. Irgend jemand hatte den größten Teil des Schaftes abgebrochen. Vorsichtig zog Araghast den Mantel über den Stumpf hinweg und befühlte sein Hemd.
Plötzlich mußte er leise lachen.
Behutsam öffnete er die Brusttasche und zog den von der Pfeilspitze durchbohrten Eddie Wollas-Roman heraus.

"Er ist in die Ankertaugasse abgebogen!" rief Mindorah gegen den Fahrtwind an. "Und Valdimier hat schon ein Stück aufgeholt!"
"Na wenigstens ist die Kurve nicht so schlimm." seufzte Kanndra. "Aber aufgeholt scheinen wir bisher kaum zu haben. Wenn man ihn bloß irgendwie stoppen könnte..." Sie lenkte den Besen nach links. "Hoffentlich strengt sich Val ordentlich an!"
"Sag mal, wie funktioniert das eigentlich mit deiner Voodoo-Puppe?" erkundigte sich Mindorah plötzlich.
"Wie kommst du denn da drauf?" wunderte sich Kanndra und wich im letzten Augenblick einer quer über die Straße gespannten Wäscheleine aus. "Man braucht ein Stück was der jeweiligen Person gehört, dann spricht man ein paar Formeln und benutzt die Nadeln und..."
"Dann können wir ihn aufhalten." Während sie sich mit der linken Hand am Besenstiel festklammerte, zog Mindorah mit der Rechten einen Umschlag aus ihrer Hosentasche. "Ich habe ein Stück von Umbels Umhang. Funktioniert es damit?"
"Ja!" rief Kanndra. "Das ist es! Schaffst du es, für einen Moment den Besen zu steuern?"
"Ich kann es versuchen." Mindorah reichte Kanndra den Umschlag.
"Gut. Wenn du mich mit einer Hand festhältst könnte es klappen. Und paß auf die Kurven auf! Gleich müßte die Kreuzung zur Leichten Straße und Willkommensseife kommen!"
Hastig kramte die Späherin in ihren Hosentaschen nach ihrer Puppe und den Nadeln.

Mittlerweile überlegte Robin ernsthaft, ob er nicht doch lieber vom Karren springen und sich sämtliche Knochen brechen sollte, anstelle im Fall einer Frontalkollision mit einer Hauswand eines grausamen Todes zu sterben. Dann würde die Wache nicht nur Araghast Breguyar sondern auch ihn der Tradition folgend auf dem Friedhof hinter dem Tempel der geringen Götter beerdigen dürfen. Inzwischen war er dazu übergegangen, die Augen zuzukneifen und zu sämtlichen Göttern zu beten, daß dieses Monster von einem Esel irgendwann einmal müde werden würde. Wie konnten FROG es bloß verantworten, ein solches Tier vor ihren Einsatzwagen zu spannen? Und vor allem, welcher Wächter war in der Lage, diesen Esel zu lenken? Voller Sehnsucht dachte Robin an sein Himmelbett im Knahbenzimmer in der 'Boucherie Rouge'. Wenn er dies hier lebend überstand würde er Leos komische Pflanze bis in alle Ewigkeit freiwillig füttern...
Der Eselskarren raste an der dunklen Front des Patrizierpalastes vorbei und schwenkte schlingernd in die Filigranstraße ein. Und noch immer machte Schusi nicht auch nur die geringsten Anstalten, langsamer zu werden oder sogar anzuhalten. Robin fürchtete, daß ihn nur noch die Anwesenheit eines Mohrrübenstandes retten konnte.
"Aaachtung! Staadtwacheee!" schrie er verzweifelt, um die Passanten zu warnen.

"Alles klar?" rief Mindorah gegen den Fahrtwind an und gab sich Mühe, den Besen auf Kurs zu halten. Inzwischen hatten sie Willkommensseife gut zur Hälfte hinter sich gebracht.
Die Späherin nickte und wickelte des Umhangfetzen Doktor Umbels um die Puppe.
"Paß auf, der Fahnenmast!" rief sie gerade noch rechtzeitig und Mindorah riß den Besen herum, was in einem unfreiwilligen Überschlag des Fluggerätes resultierte. Im letzten Moment hielt Kanndra ihre Puppe fest.
"Paß jetzt besser auf, klar?" zischte sie. "Ich muß mich jetzt konzentrieren!"
Mindorah nickte betreten und blickte über Kanndras Schulter hinweg nach vorn. Valdimier hatte bereits weiter aufgeholt und mühte sich redlich ab. Im Vorbeifliegen beobachtete Mindorah, wie zwei Trolle aus einem Geschäft traten. Zwischen sich schienen sie nichts zu tragen. [26] Instinktiv lenkte sie den Besen aufwärts und die Füße der beiden Wächterinnen schrammten haarscharf an der oberen Kante der Glasscheibe vorbei.
Währenddessen murmelte Kanndra leise vor sich hin. Nur von ihren Beinen und Mindorahs Griff an ihrem Gürtel gehalten hockte sie rittlinks auf dem Besenstiel, in der linken Hand die Puppe und in der rechten eine spitze Nadel.
Und kurz bevor der Besen den kleinen Platz erreichte, der schließlich in die Filigranstraße mündete, stach sie zu.

Robin traute seinen vom Fahrtwind tränenden Augen nicht. Vom Ende der Straße kam ein ziemlich großes Flugobjekt auf ihn zugeflogen. Was war das schon wieder? Wenige Sekunden und einige Meter rasender Fahrt später konnte er genauer erkennen, um was es sich handelte. Ein Zauberer, dessen Umhänge theatralisch hinter ihm herwehten, saß auf einem Flugbesen. Seine rechte Hand preßte einen länglichen Gegenstand an seine Brust.
Trotz seiner erbärmlichen Notlage begriff Robin.
"He, Sie!" schrie er in Richtung des Zauberers. "Sie sind verhaftet, hören Sie!"
Plötzlich geschah etwas seltsames mit dem Besenreiter. Sein gesamter Körper schien sich zu verkrampfen. Der längliche Gegenstand, bei dem es sich, wie Robin sich plötzlich bewußt wurde, nur um das ominöse Rezept handeln konnte, daß ihm den ganzen Ärger letztendlich eingebrockt hatte, fiel zu Boden. Der Zauberer bäumte sich auf und brüllte vor Schmerzen. Wohl eher unbewußt riß er den Besenstiel nach unten.
"Neeeiiiiinnnn!" brüllte Robin, als er sah, wie Zauberer und Flugbesen einige Meter entfernt direkt vor dem Eingang der 'Geflickten Trommel' in einem Gewirr von buntbestickten Kleidungsstücken und zappelnden Gliedern auf der Straße aufschlugen. "Schuuusiiii! Haaaalt!"
Der Esel hätte genausogut taub sein können. Ungerührt galoppierte er auf die am Boden liegende Gestalt zu. Das gräßliche Knirschen, als sie erst unter Schusis Hufe und anschließend unter die Räder des Karrens geriet würde Robin sein Lebtag nie wieder vergessen.
Während er noch unter Schock stand, stand auch schon die nächste unangenehme Überraschung kurz bevor. Urplötzlich, als hätte jemand einen Holzpflock in sein metaphorisches Getriebe geklemmt, blieb Schusi wie angewurzelt stehen. Der Karren schleuderte in einem Halbkreis um den Esel herum und kam schließlich zum Stehen.
"Mwaa..." brachte Robin hervor und rappelte sich stöhnend vom Boden des Kutschbocks auf. Jeder einzelne Knochen im Leib tat ihm weh und zu seinem Unmut stellte er fest, daß sein linker Ellenbogen und seine Nase bluteten.
"He, guckt mal, da liegt ne Leiche!"
Unbemerkt von Robin war die Tür der 'Geflickten Trommel' aufgeschwungen und eine neugierige Meute angeheiterter Gäste hatte sich ins Freie ergossen.
"Zurücktreten, Zurücktreten, Stadt-hicks-Wache!"
Ein deutlich angetrunkener Ledamahn arbeitete sich durch die Zuschauermenge und fuchtelte mit seiner Dienstmarke vor ihrer Nase herum.
Robin sackte in sich zusammen. Der zweite Tote, den er an diesem Abend zu Gesicht bekam. Dieser verdammte Esel... Warum hatte er nicht angehalten? Der Dobermann registrierte kaum, wie ein Windhauch ihn streifte und ein leises 'plopp' neben ihm ertönte.
"Alles in Ordnung?" fragte Valdimier van Varwald besorgt.
Robin sah zu ihm auf. "Nein, bei allen Göttern noch mal!" stöhnte er. "Ich habe gerade den schlimmsten Husarenritt meines Lebens hinter mir und dazu noch einen Mann überfahren. Seid ihr FROGs eigentlich lebensmüde oder warum arbeitet ihr mit diesem... Tier?"
"Oh, so übel ist Schusi gar nicht." Valdimier klopfte ihm auf die Schulter, tätschelte Schusi, der hingebungsvoll auf etwas zu kauen schien, den Kopf und marschierte zu Ledamahn hinüber, der gerade die bereits beträchtlich angewachsene Zuschauermenge mehr schlecht als recht im Schach hielt. Eine laute Stimme, die erstklassige Würstchen in Brötchen anpries, reihte sich nahtlos in die allgemeine Geräuschkulisse ein.
Valdimier ließ Zuschauer Zuschauer sein und bückte sich neben dem reglosen Körper Albert Umbels. Dünne Blutrinnsale liefen dem Zauberer aus Mund und Nasenlöchern und sein Atem glich mehr einem leisen Röcheln.
"Doktor Albert Umbel." Ein breites Grinsen, welches seine spitzen Eckzähne entblößte, erschien auf Valdimiers Gesicht. "In Namen der Stadt Ankh-Morpork verhafte ich sie wegen der Anstiftung zur Verschwörung, der Ermordung von Roland Wiesel, Johanna Rollmops und Chief-Korporal Gold Moon sowie der Beihilfe zum Mord an Lord Idian von Canis Maior Alpha, seiner Tochter Ny, Harald Alonzo Trödelgreif, Renatus von Schweinewarze, Wladislaw Krumm, Korbirian Launisch und, was ich dir ganz besonders übel nehme, Korporal Araghast Breguyar. Dazu kommt der Diebstahl eines wertvollen Dokumentes. Also, haben Sie noch etwas zu sagen, bevor wir..."
Er hielt inne. Die Augen des Zauberers wurden glasig. Ein letztes Stöhnen kam ihm über die blutverschmierten Lippen und dann rührte er sich nicht mehr.
"Tja." bemerkte Valdimier kalt und wandte seinen Blick von der Leiche Albertus Umbels an. "Jetzt hilft dir auch der Stein der Weisen nichts mehr."
"Sag bloß, du hast keine Ahnung, wie man so ein Ding landet." erklang es in diesem Moment über seinem Kopf. Er sah auf.
Kanndra und Mindorah kreisten über dem Tatort und schienen eifrig darüber zu diskutieren, welcher Plan für ein Landemanöver mit den wenigsten Knochenbrüchen enden würde. Die Zuschauermenge rief ihnen hilfreiche Ratschläge zu.
"Probierts auf dem Ankh! Die Kruste soll nicht so hart sein heute!"
"Der Misthaufen hinter Hobsons Mietstall!"
"Halts Maul, der ist doch heute Abend explodiert!"
"Typisch Frauen! können nicht mal mit nem Besen umgehen!"
"Erwin, wenn du noch einmal, ich wiederhole, einmal Witze über Frauen machst bekommst du meine Handtasche zu spüren, das schwöre ich dir!"
"Kanndra!" schrie Valdimier über das allgemeine Stimmenwirrwar hinweg. "Hinterm Wachhaus steht ein Karren mit Heu für die Einsatzesel. Versucht da euer Glück! Und schickt gleich ein paar Leute von SUSI hierher!"
Kanndra nickte erleichtert und lenkte den Besen über die Häuserdächer in Richtung der Götterinsel.
Valdimier seufzte. Es war vorbei. Sie hatten den Täter. Doch zu welchem Preis...
So viele waren bereits gestorben, nur wegen dieses verfluchten Rezeptes.
Suchend sah sich Valdimier um. Das Rezept. Wo steckte es eigentlich? Auf der Straße konnte er es nirgendwo entdecken. Steckte es immer noch in Umbels Kleidern? Oder hatte es sich einer der Zuschauer geschnappt?
Lautes Schmatzen riß ihn abrupt aus seinen Gedanken. Dieser Esel hatte doch wohl nicht etwa...
Schneller als der Blitz stand er neben dem Tier und sah gerade noch, wie der letzte Fetzen angegilbten Pergamentes zwischen Schusis Lippen verschwand.
"Du verfressenes Ungeheuer!" schimpfte er den Esel aus und lachte hemmungslos. Nun würde niemand mehr hinter das Geheimnis der Unsterblichkeit kommen. Schusis Magen war sicherer als der sicherste Tresor. Immer noch lachend kraulte er dem Esel das feuerrote Fell.
"Schusi, du bist doch der allerbeste." kicherte er. "Dafür, daß du diesem Umbel überfahren hast werde ich dir für ewig dankbar sein." Lautes Rufen aus der Zuschauermenge lenkte seine Aufmerksamkeit für einen Augenblick auf Ledamahn, der gerade dabei war, dem kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehenden Robin einen doppelten Knieweich einzuflößen.
"Prost." murmelte Valdimier und ließ sich auf den Kutschbock fallen. Nach Dienstschluß würde er ebenfalls einen kräftigen Schluck in Olivanders Igordrom nötig haben.
"Mein Güte. Was ist denn hier los?" stöhnte eine schwache Stimme von der Ladefläche des Karrens und das raschelnde Geräusch einer Abdeckplane ließ den Vampir erschreckt auffahren. Er wandte sich um und seine Kinnlade klappte herunter, als er sah, was sich dort hinter ihm tat.
"Aber... aber du bist doch tot!" stammelte er, völlig aus dem Konzept gebracht. "Ich meine... wir alle haben dich sterben sehen! Sag bloß, du bist jetzt zu einem..."
Araghast Breguyar grinste schief. Es war genau jenes schelmische Grinsen, welches Kanndra zu ihrer Anfangszeit in der Wache regelmäßig hatte verrückt werden lassen. Mit der rechten Hand hielt er einen zerfledderten Roman hoch, in dessen Mitte ein abgebrochener Armbrustbolzen steckte.
"Versprich mir eins, Val."
"Wie? Was?" Verwirrung machte sich auf dem Gesicht des Vampirs breit.
"Sag nie wieder etwas gegen Eddie Wollas und den Hexer von Ankh!"

* * *


Mühsam setzte sich Doktor Albertus Umbel auf und musterte seine Umgebung. Verwirrung überkam ihn. Was war bloß mit der Straße los? Alles wirkte seltsam irreal. Die Häuser, die Pflastersteine auf denen er saß, die Zuschauermenge- nur die hochgewachsene Gestalt im schwarzen Kapuzenmantel nicht. Zu seiner großen Beunruhigung lehnte sich der Fremde auf eine Sense.
"He du!" rief Umbel. "Welchem Geheimbund gehörst du an, den ich vergessen habe, in meinen Plänen angemessen zu berücksichtigen?"
"ICH GEHÖRE ZU NIEMANDEM." antwortete die Gestalt und wandte sich zu ihm um. Zu seinem größten Entsetzen erblickte Umbel an der Stelle wo sich eigentlich ein Gesicht befinden müßte nur einen Totenschädel, in dessen leeren Augenhöhlen es bläulich glühte.
"Nein!" stöhnte der Zauberer auf. "Ich bin doch nicht..."
"DOCH." erwiderte Tod und wies mit einem knöchernen Zeigefinger auf einen verdrehten Haufen aus Kleidern und Gliedmaßen, welcher ein Stück entfernt auf der Straße lag. Beinahe feierlich holte er mit der Sense aus und durchtrennte das dünne Band, welches den verstorbenen Albertus Umbel noch an seinen Körper gebunden hatte.
"Ich hätte unsterblich werden können!" jammerte der Zauberer und rang die geisterhaften Hände. "Für ewig leben!"
"ICH HABE DIE EWIGKEIT GESEHEN." Tod zuckte mit den Schultern. "SIE IST STERBENSLANGWEILIG, FALLS DU MIR DIESES KLEINE HUMORVOLLE WORTSPIEL ERLAUBST."

* * *


"Fräulein Leonata?" James verneigte sich kurz, als Lea die Haustür weit aufstieß. "Sie sind zurück."
Nicht die Spur einer Emotion. Einfach nur eine Feststellung, wie es sich einem Butler geziemte.
"Schweig." führ Lea ihn hochmütig an und hinkte, den Kopf hoch erhoben, in die Eingangshalle. "Du kannst Onkel Wermut und Tante Begonia ausrichten, daß sie mich sehr bald für immer los sein werden." Sie sah zur Seite und hoffte inständig, daß der Butler ihre rotgeweinten Augen nicht sah.
James eilte davon und Lea machte sich daran, die Treppen zu ihrem Zimmer hinaufzusteigen.
Nur gut, daß Vater deine Beziehung zu dem Wächter unterbunden hat. Du würdest den Brautschleier schneller gegen einen Witwenschleier eintauschen als dir lieb wäre. schossen ihr Elisabeths hämische Worte am Frühstückstisch durch den Kopf und Tränen schossen ihr erneut in die Augen. Entschlossen biß sie sich auf die Lippen. Sie würde nicht weinen. Nicht vor ihren Verwandten.

In ihrem Zimmer angekommen öffnete sie das Fenster weit und lehnte sich hinaus. Plötzlich mußte sie an den Beginn ihrer Beziehung denken. Mit einem Tod ihres Onkels hatte es begonnen. War es wirklich erst ein knappes Jahr her, jener Abend, der ihr Leben völlig umgekrempelt hatte? Tod, dachte sie bitter. Jeder Wendepunkt ihres Lebens hatte mit dem Ableben einer ihr lieben Person zu tun. Zu viele traurige Erinnerungen hingen an Ankh-Morpork. Jedes Mal wenn ihr auf der Straße ein Wächter über den weg lief, würde sie an Araghast Breguyar denken müssen. Da gab es nur eines. Sie mußte fort aus der Stadt. Flüchtig kam ihr das Lord Winder Internat in den Sinn, doch schnell verwarf sie den Gedanken wieder. Es war zu nahe an der Stadt. Aber vielleicht konnte eines der Mädchenpensionate in Quirm eine fähige Mathematiklehrerin gebrauchen.
Mühsam bückte sie sich und schob das lose Dielenbrett beiseite. Die noch zu einem Drittel gefüllte Rumflasche gluckerte leise, als sie herausgezogen wurde. Lea zog den Korken mit den Zähnen heraus, spuckte ihn in eine Zimmerecke und leerte die Flasche in einem Zug. Sie spürte das Brennen des scharfen Getränks in ihrer Kehle kaum.
Schwungvoll warf sie die leere Flasche gegen die kahle Wand, wo sie zersplitterte. Ihre Hand glitt in die Tasche ihres Rockes und umschloß den Miniaturkerzenhalter aus Messing, den Araghast ihr bei ihrer ersten Begegnung geschenkt hatte.

"Sie mögen Eddie Wollas?" fragte Araghast ungläubig. "Wirklich, Fräulein Eule?"
Sie nickte. "Obwohl immer alle sagen, Monster und irre Mörder seien keine Lektüre für ein junges Mädchen. Aber wie wir ja heute gesehen haben, sieht die Wirklichkeit auch nicht viel besser aus." fügte sie in einem schmerzlichen Tonfall hinzu. "Und bitte nennen Sie mich nicht 'Fräulein Eule'. Das paßt nicht zu mir. Ich bin Lea."
Der Püschologe lächelte. "Ich heiße Araghast Breguyar. Aber da der Name den meisten Leuten einen Knoten in der Zunge zu verpassen scheint, nennen mich eigentlich alle Bregs."


Lea biß sich auf die Lippen. Warum stürzte sie sich nicht eigentlich gleich aus dem Fenster? Niemand würde sie wirklich vermissen, im Gegenteil. Die Bolzanos würden vermutlich noch froh sein, wenn sie sie endlich los waren. Dieses Mal gab es niemanden der sie nach ihrem Verlust trösten würde. Sie war allein.
Doch den Gefallen des Ablebens würde sie Onkel Wermut und Tante Begonia nicht tun. Sie würde sich schon etwas ausdenken, um sie richtig leiden zu lassen für das was sie ihr und Harald Alonzo Trödelgreif angetan hatten. Doch in einem war sie sich sicher. Nie nie wieder würde sie einen der Hexer von Ankh-Romane in die Hand nehmen.
Nun war es also doch gekommen wie in dem Gedicht Jakob von Offenbachs. Der Meister der Puppen hatte verloren.

* * *


Nachdem der Spuren- und Tatortsicherungstrupp eingetroffen war, hatte sich die neugierige Menge wieder in die 'Trommel' verzogen, um die Ereignisse genauer zu diskutieren. Robin, welcher beschlossen hatte die Erinnerung an die Ereignisse des Abends in hochprozentigen Alkoholika zu ertränken, wurde von den Tavernengästen als der Held des Tages gefeiert.
"Es tut mir wirklich wahnsinnig Leid um deine Familie." Valdimier lenkte Schusi, welcher wieder vorsorglich mit seinen Ohrenschützern versehen worden war, vorsichtig durch die Straßen. "Glaub mir, ich weiß wie es ist, wenn sie plötzlich alle fort sind."
"Und ich wußte erst wenige Tage, daß ich sie überhaupt habe." Wütend schlug Araghast mit der Faust auf die Sitzbank und warf einen haßerfüllten Blick hinter sich, wo gerade Leopold von Leermach und Hegelkant die Leiche Albertus Umbels auf den Karren der Spurensicherung hoben. "Warum geht zur Zeit wirklich alles was ich anfasse, den Bach runter? Bin ich irgendwie verflucht?" Abwesend rieb er sich den immer noch schmerzenden Kopf.
Valdimier schwieg. Ihm fiel keine passende Antwort ein.
"Und du sagtest, die L' Etranger ist entkommen." knurrte Araghast eine Weile später. "Ich kann immer noch nicht glauben, daß sie meine Tante ist. Liefert ihre eigene Familie eiskalt ans Messer! Warum mache ich mich nicht daran sie zu suchen, ihr mit Magnarox den Schädel zu spalten, dann das gleiche mit Schwallsack Farrux zu tun und anschließend hänge ich mich auf? Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich heute auch gestorben wäre. Ich werde mir in Zukunft abgewöhnen, meine Eddie Wollas-Romane in der Brusttasche zu tragen."
"Sag sowas nicht!" wehrte Valdimier entsetzt ab.
"Ach komm, jetzt halt mir nicht vor, daß ich es gerade als Püschologe besser wissen sollte." sagte Araghast müde und lehnte sich auf dem Beifahrersitz zurück. "Was hat mir mein Leben schon gebracht? Selbst meine Zeugung war nichts als ein Unfall. Und wen habe ich jetzt noch?"
"Du hast die Wache." erklärte Valdimier versöhnlich. "Und uns. Glaub mir, sie sind alle völlig durchgedreht, als sie dachten, du wärest tot. Es gibt auch Leute, denen du etwas bedeutest. Du hättest Kanndra sehen sollen, wie entschlossen sie war, dich zu rächen. Sie hätte sich selbst, Mindorah und mir beinahe mit diesem Flugbesen den Hals gebrochen, nur um Umbel zu schnappen. Und wenn du fort wärest, mit wem sollte ich mich dann über schlechte Literatur streiten und in Olivanders Igordrom einen trinken?"
Schweigend starrte Araghast in den Himmel, während der Karren gemächlich über die Messingbrücke zuckelte. Valdimier hatte recht gehabt. Die übrigen Wächter brauchten ihn. Sowohl seine Arbeit als Püschologen als auch ihn selbst als Freund. Seine eigenen Sorgen waren unwichtig im Vergleich zum Wohl der Stadt. Aber dennoch...
"Wer therapiert den Püschologen?" fragte er leise die Scheibenwelt im allgemeinen. "Das habe ich mich schon oft gefragt. Ich meine, wir werden dazu ausgebildet, anderen zuzuhören und ihnen Ratschläge zu geben, wie sie aus ihrem Dilemma wieder herauskommen. Und uns selbst hört oft nur die Flasche Untervektor-Rum in der untersten Schreibtischschublade zu."
"Vermutlich bin ich genau deshalb nicht Püschologe geworden." stellte Valdimier fest. "Zu viele Probleme anderer Leute."
Araghast seufzte.
"Wenn meine nur diejenigen anderer Leute wären, wäre ich glücklich. Ephraim Farrux oder der verdammten Marquise würde ich sie mit Freuden aufhalsen. Ich würde ihn gerne mal sehen wenn Onkel Wermut ihm verbieten würde, Elisabeth zu heiraten. Nicht daß es an dieser Frau irgend etwas begehrenswertes gibt, aber der Anblick wenn seine Fettringe vor Wut beben und er völlig machtlos ist..."
"Dann hol dir deine Lea zurück, Lord Araghast Breguyar von Canis Maior Alpha." Valdimier lächelte plötzlich. "Ein offizielles Dokument der Wappenherolde, das deine Abstammung bescheinigt, wird doch wohl gut genug für Onkel Wermut sein."
"Ein Stammbaum..." Araghast schüttelte den Kopf und bereute es sofort, da die taubeneigroße Beule an seinem Hinterkopf schmerzend protestierte. "Wozu sollte ich so etwas brauchen? Ich bin doch kein Rasse-Sumpfdrache aus Lady Käsedicks Zucht!" Er verzog das Gesicht. "Nun, was solls. Du weißt doch, daß ich für Lea so ziemlich alles tue. Und du hast recht." Seine Miene hellte sich auf. "Das noble und uralte Haus von Canis Maior Alpha sollte für Onkel Wermut wirklich gut genug sein. Auch wenn Lea und ich, sobald wir verheiratet sind, uns dringend ein neues Familienmotto zulegen müssen. Und vergiß den Titel ab morgen bitte sofort wieder. Ich, ein Lord! das ist doch mehr als peinlich, zumal meine Meinung vom Adel in der Wache mehr als hinreichend bekannt sein dürfte."
"Warum regst du dich denn so darüber auf?" fragte Valdimier verwundert. "Ich denk, dein Vater war der Baron der Umgebung von Duschen-Duschen."
"Das ist ausländischer Adel." erklärte Araghast kategorisch. "Der zählt nicht."
"Wenn du meinst..."
Valdimier ruckte an den Zügeln und hielt Schusi direkt vor dem Wachhaus an, in dessen Eingangshalle ein hektisches hin und her stattzufinden schien. Lautes Gezeter scholl aus der halb geöffneten Tür in die Nacht hinaus.
"Verdammte Stadtwache! Ich werde euch alle vernichten, so wahr ich Lord Todesschwinge bin!"
"Sieben waagerecht oder fünf senkrecht, Herr Kreuzworträtsel?" erwiderte Kolumbinis spöttische Stimme.
Araghast lachte leise.
"Komisch, genau das hab ich auch gedacht, als ich den Namen zum ersten Mal gehört habe." bemerkte er. "Und ich hatte wirklich recht mit der Behauptung, daß er total übergeschnappt ist. Wetten, daß er versuchen wird, sich mit einer schweren Kindheit herauszureden? Angebliche schwere Beeinträchtigung der Püsche durch frühkindliche traumatische Erlebnisse." Er schnaubte verächtlich. "Wenn das so wäre, dann säße mittlerweile vermutlich die halbe Wache im Kerker."
"Ich glaube, langsam geht es dir wieder besser und der alte Bregs ist wieder da." lachte Valdimier, während er Schusi abschirrte.
"Warum?"
"Du wirst schon wieder gemein."

Als sie die Kantine des Wachhauses betraten, verstummten sämtliche Gespräche abrupt. Kinnladen klappten herunter und ungläubig aufgerissene Augen starrten sie an.
"Wie? Was?" Oberleutnant Venezia Knurblich fand als erste die Sprache wieder.
"Bregs?" fragte Kanndra erstaunt.
"Daf ift doch..." brachte Rogi hervor.
"Du lebst?"
"Aber du warst doch..."
"Eddie Wollas in der Brusttasche." erklärte Araghast. "Das Buch hat mir das Leben gerettet."
Das Jubelgeschrei der FROGs kannte keine Grenzen. Immer und immer wieder umarmten sie ihren Püschologen und Kanndra und Mindorah gelang es sogar, einen kleinen Kriegstanz aufzuführen.
Plötzlich flog die Kantinentür auf und etwas, das auf den ersten Blick wie ein angesengtes, schmutzigweißes Federbündel wirkte, erschien auf der Schwelle.
Ein ebenso rußgeschwärzter und schmutziger Rib trat hinter dem traurigen Haufen hervor und salutierte zackig.
"Melde gehorsamst, Eule ist wieder eingefangen, Ma'am!"
"Fridawulfa!" Rogi stürzte sich auf das Federbündel und hob es behutsam auf. Ihr anklagender Blick richtete sich auf den Gnom.
"Waf haft du mit ihr angeftellt?" fuhr sie ihn an.
"Keine Bange, sie ist bloß etwas weggetreten." erklärte Rib lässig. "Bei der Landung gab es einen kleinen, nun ja, Zwischenfall."
"Sag bloß, du warst für die Explosion hinter Hobsons Mietstall verantwortlich." stöhnte Will Passdochauf, die sich gerade mit der Kaffeemaschine beschäftigte.
"Ähm..." Rib bemühte sich, unschuldig dreinzublicken, doch seine unter den Tätowierungen knallrote Gesichtsfarbe machte sämtliche Bemühungen in dieser Richtung zunichte. "Also, äh, irgend eine Flasche muß beim Aufprall zu Bruch gegangen sein."
Venezia winkte ab.
"Das spielt heute Abend auch keine Rolle mehr. Wir haben unseren Einsatz heute glücklicherweise doch ohne Verluste in unseren Reihen hinter uns gebracht und Gold Moon mehr als gerächt würde ich sagen. Ich glaube, eine kleine Feier im Eimer ist wohl angemessen. Wegtreten!"


Tag 8: Wann man sich doch mit einer Leiche verloben sollte


Vorsichtig schloß Lea die Knöpfe des strengen schwarzen Kleides und befestigte die Brosche ihrer Mutter am Kragen. Dann hob sie den schlichten Hut vom Kopf der Perückenpuppe und setzte ihn sich auf die Frisur. Der schwarzgepunktete Schleier fiel ihr in eleganten Falten über das Gesicht.
Seufzend trat sie einen Schritt zurück. Eine junge Witwe blickte ihr aus dem Spiegel entgegen.
Lea biß sich auf die Lippen. Gleich würde sie sich zum Wachhaus begeben und sich nach dem Termin für die Beerdigung erkundigen. Anschließend ein Abstecher zur Lehrergilde um einen Antrag auf Mitgliedschaft und eine Anstellung außerhalb Ankh-Morporks zu stellen.
Es klopfte.
"Leonata?"
Elisabeths Stimme klang ängstlich, als befürchte sie, zum zweiten Mal ein Mathematikbuch über den Schädel geschmettert zu bekommen.
"Was gibts?" fragte Lea kalt.
Die Tür wurde geöffnet und ihre Cousine trat ein und lächelte zögernd.
"Soeben ist ein Brief bei Vater eingetroffen. Der Lord von Canis Maior Alpha hält offiziell um deine Hand an."
Lea verzog nicht eine Miene.
"Dann laß seiner Lordschaft eine Nachricht schicken, daß er sich seinen Heiratsantrag dorthin schieben kann wo die Sonne nicht scheint. Und damit meine ich nicht den Ort in der Nähe von Schnitte in Lancre. Ich bin gerade dabei, die Liebe meines Lebens zu begraben und anschließend werde ich die Stadt verlassen. Und wenn ich schon mal dabei bin: Bestell Schwallsack Farrux einen schönen Gruß von mir, daß ich aus tiefstem Herzen hoffe, daß er an einer seiner Pastetchen erstickt und nach seinem Tod ins Pandämonium fährt." Sie zupfte an ihrem Hut. "Und jetzt verschwinde und tu was ich dir gesagt habe."
Elisabeth zuckte zusammen.
"Sag nicht sowas über Ephraim." jammerte sie. "Und denk daran, was du da einfach wegwirfst! Die Gelegenheit, in die höchsten Kreise der Stadt einzuheiraten!"
"Dann heirate du ihn doch, wenn du so begeistert von der Aussicht bist. Oder biete ihn Antonia an, die freut sich bestimmt über Ehemann Nummer drei und sie hat endlich was, was sie von ihrer ewigen Krankspielerei ablenkt." gab Lea zurück. "Fräulein Leonata Eule wird ein Fräulein blieben bis an ihr Lebensende."
Elisabeth schluckte, als ihre Cousine nach ihrer Krücke griff und sich anschickte, ihr Zimmer zu verlassen.
"Und deine Mutter könnte sich auch etwas aufraffen und um ihren Neffen trauern." fauchte Lea sie im Vorübergehen an. "Er kam gestern soweit ich weiß ebenfalls ums Leben." Sie blieb stehen. "Erinnerst du dich noch daran, was ich dir über Harald Alonzo Trödelgreif erzählt habe? Ein Haufen schlimmer Sachen wäre nie geschehen, wenn diese Familie nicht so verdammt verbohrt wäre!" Entschlossen trat sie ins Treppenhaus und warf die Zimmertür krachend hinter sich ins Schloß.
"Lord von Canis Maior Alpha." murmelte sie trotzig auf dem Weg abwärts. "Meinetwegen könnte es der Patrizier höchstpersönlich sein, ich würde ihn trotzdem nicht nehmen. Der Seriph von Klatsch! Der Kaiser des achatenen Reiches! Der einzige den ich je wollte war Korporal Araghast Breguyar von der Stadtwache Ankh-Morpork! Und wenn es sein muß werde ich diesem Lord von Canis Maior Alpha meine Antwort auf seinen verfluchten Heiratsantrag, aus welchen seltsamen gründen er ihn auch immer gestellt haben mag, höchstpersönlich mit meiner Krücke in seinen verdammten hochwohlgeborenen Schädel prügeln!" fluchte sie laut.
"Würdest du das wirklich tun, Lea?" fragte eine vertraut klingende Stimme aus einem der Sessel in der Eingangshalle.
Lea hinkte die letzten Stufen herunter und erblickte zu ihrem Erstaunen Valdimier van Varwald, welcher sie freundlich anlächelte. Er trug seinen schwarzen Umhang über seiner Ausgehuniform und erstaunt bemerkte Lea die beiden Blumen, die an seiner Jacke befestigt waren.
"Wenn nichts anderes hilft, würde ich das tatsächlich tun." sagte sie in entschlossenem Tonfall.
"Sicher?"
Das Lächeln des Vampirs wuchs zu einem breiten Grinsen an, welches seine spitzen Eckzähne zur Schau stellte.
Lea nickte ernst.
"Was machst du eigentlich hier?" fragte sie. "Willst du mich zur Beerdigung abholen? Und hör auf, so bescheuert zu grinsen!" fuhr sie ihn an.
"Nun, eigentlich bin ich hier, um ein Heiratsgesuch abzugeben." erklärte Valdimier und strich über die Blumen.
Leas Augen funkelten wütend.
"Sag mal, hast du völlig den Verstand verloren?" zischte sie. "Einer deiner besten Freunde ist gestern ums Leben gekommen und du besitzt die unverschämte Frechheit, jemandem zu helfen, seine Freundin zur Ehe zu überreden? Valdimier van Varwald, ich hatte eigentlich eine weitaus bessere Meinung von dir. Du kannst dir vermutlich denken, was Seine Lordschaft mit seinem Heiratsgesuch anstellen kann."
"Nun, ich glaube, das würde Araghast gar nicht gefallen, daß du eine Ehe mit ihm urplötzlich so entschieden abzulehnen scheinst." bemerkte Valdimier trocken. "Ich dachte, ihr beiden liebtet euch."
"Was?" rief Lea und trat einen Schritt zurück. "Aber er... Ich habe ihn doch gesehen... gestern..."
Plötzlich zeichnete sich Verständnis auf ihrem Gesicht ab.
"Du... du hast ihn rechtzeitig gebissen?"
Valdimier schüttelte den Kopf und lachte.
"In gewissem Sinne hat der Hexer von Ankh ihm das Leben gerettet. Der Pfeil, der auf sein Herz gezielt war ist in dem Eddie Wollas-Heft, das er in der Brusttasche seines Hemdes aufbewahrt hat, stecken geblieben. Er ist mit dem Kopf gegen ein Regal gefallen und ohnmächtig geworden, und das und der Pfeil der in seiner Brust zu stecken schien... im Kampfgetümmel dachten wir alle, er wäre tot..."
Während er noch erzählte, hatte Lea plötzlich zu lachen angefangen. Tränen liefen ihr über das Gesicht.
"Verrückt." kicherte sie. "Ihr Wächter seid doch alle verrückt."
Valdimier stand auf und legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie fiel ihm um den Hals.
"Das ist die beste Nachricht die ich je in meinem Leben bekommen habe." sagte sie und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab. "Aber... was soll das ganze mit dem Lord? Ist das irgendein Trick?"
Valdimier grinste breit. "Nun, wie Lord Araghast Breguyar von Canis Maior Alpha zu seinem Titel kam ist eine ziemlich lange Geschichte."
"Erzähl sie mir auf dem Weg zum Arbeitszimmer meines Onkels." Lea hakte sich bei ihm ein. "Du kommst doch mit, ihm zu sagen, daß ich in die Verlobung mit seiner Lordschaft einwillige?"


Epilog: Alles wird gut... oder auch nicht


Eine Woche später...

"Und du bist dir wirklich ganz sicher, daß du nicht weißt, wer das hier getan haben könnte?" Prüfend musterte Irina Lanfear Araghasts Gesicht, konnte jedoch keine Regung darin entdecken, als dieser die weibliche Leiche mit der zerfetzten Kehle noch einmal eingehend musterte.
"Ich habe es dir doch schon gesagt." Er strich sich eine widerspenstige Haarsträhne hinter das Ohr und drehte sich zu ihr um. "Die Marquise Beatrice L' Etranger war vermutlich nicht besonders beliebt."
"Vermutlich ist gut." bemerkte Rina kalt. "Vergiß nicht, daß du selbst ganz oben auf der Liste der Tatverdächtigen stehst, Korporal. Diese Frau hat tatkräftig dabei mitgeholfen, deine Familie auszulöschen. Das wäre für einige Motiv genug um dich einem Verhör zu unterziehen. Hinzu kommt, daß durch einen äußerst merkwürdigen Zufall eine Villa niederbrannte, deren Adresse Akazienweg 22 lautet. Selbiges Grundstück befindet sich offiziell in deinem Besitz."
Araghast nickte.
"Das ist mir wohlbekannt, Ma'am. Nicht daß es mich stört, daß jemand den alten Kasten angezündet hat." bemerkte er. "Ich hatte eh vor, das Grundstück zu verkaufen."
"Soso." Seine ehemalige Ausbilderin runzelte die Stirn. "Trotzdem werden wir dem Mordfall natürlich nachgehen müssen. Ich kann mir zwar nicht denken, daß du mitten in der Nacht Kehlen durchbeißt, aber wir müssen sicher gehen, daß dir wirklich niemand etwas anhängen kann." Sie seufzte. "Auch wenn es aussieht als sei die Tat von einem Werwolf verübt worden."
"Also wenn du ein Alibi von mir brauchst, Ma'am..." Ein schelmisches Lächeln erschien auf Araghasts Lippen. "Ich glaube, damit kann meine Verlobte auf jeden Fall dienen." Beinahe zärtlich strich er über den schmalen Goldring an seinem linken Ringfinger.

Nachdem er Leutnant Lanfear im Obduktionszimmer allein gelassen hatte, lehnte sich Araghast aufatmend an die kühle Wand und schob verstohlen die Hand in die Hosentasche. Er mußte den Brief vernichten, brachte es jedoch nicht übers Herz. Am Morgen hatte der schlichte Umschlag auf dem Boden vor seiner Bürotür gelegen. Weder Adresse noch Absender zierten das weiße Kuvert, nur ein in ungelenker Handschrift geschriebener Satz: Draco vulgaris dormiens numquam titillandus aut explodiat
Hastig hatte er den Umschlag aufgerissen und den kurzen Brief verschlungen, der sich darin befunden hatte.

Lieber Bregs,

Es tut mir leid, aber ich konnte nicht anders. Ich mußte es tun.

Deine Ny


* * *


-Das Experiment 'Eulenpost' wurde nach dem Vorfall welcher zur Explosion des Misthaufens hinter Hobsons Mietstall geführt hatte, trotz der Proteste Rogi Feinstichs eingestellt. Fridawulfa die Spitzhornberg-Eiseule bekam ein neues Zuhause in der Menagerie des Patrizierpalastes, wo sie täglich von staunenden Kindergruppen angestarrt wurde.
-Severin Schnäppchen wurde einige Wochen nach seiner Einlieferung in die Kerker des Patrizierpalastes tot in seiner Zelle gefunden. Er hatte sich am Gitter des Fensters mit seinem eigenen Gürtel aufgehängt.
-Nachdem sich mangels anderer Verdächtiger der verdacht gegen Igor erhärtete, daß er für den Brand im Akazienweg 22 verantwortlich gewesen war, verschwand er spurlos. Vermutlich ging er fort, um sich einen neuen Meister zu suchen. Oder auch nicht. Dieser Igor war bestimmt zu allem fähig.
-Wenige Monate nach den Geschehnissen erschien ein neuer Roman des Schriftstellers Julius Herr, welcher im wesentlichen auf den Erzählungen Fräulein Leonata Eules über die Verhältnisse in ihrer Familie beruhte. Der Titel lautete: Butterbrots- Verfall einer Familie. Eine Fortsetzung mit dem Titel 'Harald Trödelgreif und der Orden des ziemlich rosaroten Huhnes' ist in Planung.
-Thomas Kreuzworträtsel alias Lord Todesschwinge erteilte schließlich die Ehre, der Skorpiongrube des Patrizierpalastes einen Besuch abzustatten. Eine nähere Beschreibung der letzten Minuten seines Lebens erübrigt sich wohl.
-Und zu guter Letzt: Da der Fall der Ermordung Beatrice L' Etrangers nie aufgeklärt werden konnte, wanderte die Akte schließlich von Wächter zu Wächter, bis sie auf dem Schreibtisch Korporal Araghast Breguyars landete. Seitdem wurde sie nie wieder gesehen, doch seltsamerweise schien dies allerdings niemanden zu kümmern.


ENDE




Diese Single ist Sirius Black gewidmet, ermordet von Joanne K. Rowling am 21. 6. 2003. Ohne ihn wäre der Charakter Araghast Breguyar letztendlich nie zustande gekommen.



[1] Es war jenes Schlendern, welches jeden eventuellen Beobachter dessen IQ über dem eines Blumenkohls lag sofort darauf bringen würde, daß die entsprechende Person etwas im Schilde führte.

[2] Nun, diese Bezeichnung ist nicht ganz korrekt. Der wirklich durchschnittliche und normale Bürger Ankh-Morporks sah völlig anders aus. Seine Körpergröße war ein gutes Stück geringer als die eines Menschen und mindestens eines seiner Glieder bestand aus Fels. Zudem war ein anderer Körperteil bereits mit mehreren Nahtstellen verziert, sein Gesicht etwas blasser und die Eckzähne etwas länger als gewohnt und zumindest einmal in zehn Jahren verwandelte er sich in ein haariges Etwas in Wolfsform. Doch dies nur am Rande bemerkt.

[3] Sie hatte das Gefühl, diese Drohung aussprechen zu müssen. In diversen Eddie Wollas-Romanheften folgte daraufhin so gut wie sicher ein Rachefeldzug des betreffenden Protagonisten.

[4] Selbstmord kann in Ankh-Morpork bekannterweise fast alles bedeuten- es gibt zehn Millionen Wege, in Ankh-Morpork Selbstmord zu begehen, such dir einen aus...

[5] Offensichtlich Widerspenstige Luftzufuhrröhre, dient dazu, die animalischen Komponenten der Rechenmaschine mit genügend Sauerstoff zu versorgen, neigt leider hin und wieder zu erstaunlichen (und ziemlich übelriechenden) Gasausstößen

[6] Was in etwa so viel bedeutete wie 'Ich setze mich in den großen Saal und schlage mir den Bauch voll bis endlich jemand vorbeikommt den ich anständig anbrüllen kann oder mal sehen, vielleicht probiere ich es auch mal mit ein paar Schießübungen auf das Mobile mit den lustigen Plüschtieren im Büro des Quästors, jetzt wo die Gardinen weg sind kann man ja auch endlich wieder was sehen in der Bude'

[7] Wenn man den Fakt betrachtet, daß das Durchschnittsgewicht eines Zauberers weit über dem der übrigen Bevölkerung liegt ist die stabile und massive Konstruktion der Sitzmöbel nur allzu nachvollziehbar

[7a] Nun, ein ziemlich großer Prozentsatz der in der UU lebenden Zauberer vertrat dieses Klischee auch mit Vergnügen

[9]  Das 'Lexikon-seltsamer-Wörter-die-einem-die-Tränen-in-die-Augen-treiben' definiert den Begriff 'Muggel' als eine uralte, mindestens schon dreimal während ihrer Existenz wieder zusammengeklebte Kaffeetasse mit fehlendem Henkel und einer scheußlichen, humorvollen Inschrift, auf deren Boden eine mittlerweile über eins komma sieben vier Millimeter hohe Schicht eingetrockneten Kaffees klebt und die trotz dieser akut gesundheitsgefährdenden Tatsache noch niemand aus dem Verkehr gezogen hat. Die Haupt-Fundorte von Muggeln sind die Büros des Patrizierpalastes und die Kantine der Stadtwache Ankh-Morporks.

[10] Aus unerfindlichen Gründen lauten die meisten Paßwörter Schwertfisch. Vermutlich halten sich die jeweiligen Erfinder für außerordentlich gerissen. Doch gerissen zu sein hilft nicht weiter. Die eigentliche Kunst besteht darin, gerissener als die anderen zu sein.

[11] Hier handelt es sich um einen weiteren typischen, absolut klischeehaften Racheschwur.

[12] Die Bezeichnung 'giftig' trifft streng genommen auf so ziemlich alle Produkte der Alchimistengilde zu. Aber irgendwer muß ja den Titel abbekommen.

[13] Vermutlich hatte er soeben einen Sechserpasch gewürfelt

[14] Nach dem fünften Einsturz innerhalb weniger Monate hatte das AEKI-Regal den Umzug zum Sperrmüll angetreten. Araghast wäre sicher erstaunt gewesen wenn er je erfahren hätte, daß das Möbelstück ein zweites Leben als eine Ladung Armbrustbolzen begonnen hatte, welche in just diesem Moment nur wenige Zimmer entfernt in Sidneys Büro in einem Schrank lagen

[15] Dies hat nichts mit dem Klischee zu tun sondern schlicht und einfach damit, daß Bregs in letzter Zeit konsequent vergessen hatte, die Angeln zu ölen

[16] Früher oder später taucht in Geschichten, in denen es um geheime Bruderschaften und ähnliches geht, immer eine mysteriöse verhüllte Gestalt auf. Keiner weiß so recht woher sie kommt, aber irgendwie schleicht sie sich immer ein.

[17] Jaja, Elfenverstand, der Political Correctness zuliebe

[18] Beziehungsweise in der Wand gegenüber der Klappe zum Röhrensystem

[19] Kein Wortspiel beabsichtigt...

[20] An dieser Stelle möchte ich auf ein weitverbreitetes Phänomen aufmerksam machen. In so ziemlich jedem Wartezimmer des Multiversums befindet sich grundsätzlich ein Tischchen mit Boulevardzeitschriften, welche erstaunlicherweise wirklich von so ziemlich jedem Wartenden gelesen werden. Es mögen sich noch so viele Leute ein Buch von daheim mitbringen, irgendwann greifen sie doch alle nach den Klatschblättern und vertiefen sich fasziniert in die Schwänke aus dem Leben der mehr oder weniger Reichen, Schönen und Berühmten.

[21] Beruhigender Ratgeber In Götter-, Ikonen-, Tempel-, Totem- und Entitätenfragen

[22] Was bei einem Igor durchaus nicht nur als Metapher zu verstehen ist

[23] Derweil freuten sich einige hier lieber anonym bleibende Wächter über die unverhoffte, günstige Aufstockung ihrer Ausrüstung.

[24] Und so geschah es, daß mitten auf dem Hier-gibts-Alles-Platz urplötzlich einige Leute ohne ersichtlichen Grund in Ohnmacht fielen. Einer von ihnen, ein gewisser Kornelius Futsch, behauptete daraufhin, während er weggetreten gewesen war hätte sich Hackritt, Gott der Bonsais, ihm offenbart. Futsch verbrachte daraufhin den Rest seines Lebens damit, limettengrüne Hüte zu tragen und eine Menge um kleine Bäume herumzuschleichen, bis er schließlich von einem umstürzenden Mammutbaum erschlagen wurde.

[25] An dieser Stelle der Geschichte ist das Geräusch quietschender Reifen beinahe unerläßlich. Es widerspricht zwar völlig der Logik, ein solches Geräusch bei einer Besenverfolgungsjagd einzubauen, doch die Gesetze der narrativen Kausalität sind nun einmal zumindest auf der Scheibenwelt eindeutig stärker als die Gesetze der Logik...

[26] Achtung! Klischeewarnung!

Die Autorin möchte gern, daß diese Single aufgrund der Länge für zwei Wochen zur Bewertung stehen bl



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