Der erste Tag oder Der Dorftro(ll)tel

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von Wächter Felsspalter (GRUND)
Online seit 29. 01. 2004
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Für Rekruten (erste Mission):
Auf dem heutigen Ausbildungsplan steht "Durchführung einer Personenkontrolle".

Dafür vergebene Note: 10

Es gibt Sekunden im Leben eines Wächters, die jedem gestandenen Mann die Haare zu Berge stehen lassen. Das gilt natürlich auch für Trolle, und ganz speziell gilt es in diesem Moment einem großen Troll, der; auch zusammengekauert immer noch jeden Menschen überragend, in einem G.R.U.N.D.-Schlafsaal in der Kröselstraße sitzt und über die Unbequemlichkeit seiner Lage nachdenkt.

Momentan bezogen sich seine Sorgen auf seinen morgigen ersten Tag bei der Stadtwache von Ankh-Morpork. Bis gestern hatte er mit seinem Vater, der in einer Kneipe irgendwo in Ankh-Morpork als Rausschmeißer arbeitete, in den Schatten gewohnt. Doch sein Vater war bei einem Missverständnis zwischen einer Horde Zwerge, ihm und den Goldeinschlüssen an seinen Armen zu Kleinkies verarbeitet worden. Deshalb hatte sich Felsspalter in den späten Abendstunden zum Wachhaus begeben, um Arbeit zu finden. Er wurde auch prompt angenommen, aber wegen der doch sehr fortgeschrittenen Uhrzeit wurde ihm nur eine Ecke im Schlafsaal angeboten, anstatt unverzüglich mit seiner Ausbildung zu beginnen (da Trolle im Gegensatz zu anderen Rassen keinen Schlaf brauchen, besaßen sie kein Bett).
Als er die Ereignisse gerade zu verarbeiten versuchte, dämmerte es bereits. Also erhob sich der Troll, Felsspalter mit Namen, benannt nach seinem Urgroßvater Felsspalter, der sich während der Kriege zwischen Zwergen und Trollen durch aktives Nichtstun ausgezeichnet hat, und griff neben sich, um sein Eisbeutelbarett aufzusetzen. Es half ihm unwahrscheinlich beim Denken, denn Troll haben ein auf dem Halbleitersystem funktionierendes Gehirn. Diesen Eisbeutel hatte er von seinem Vater erhalten, der ihn aus einer Kneipe hat mitgehen lassen. Da Kühlschränke auf der Scheibenwelt noch völlig unbekannt waren, sorgte ein Dämon für eine gleichbleibende Temperatur.
Schließlich erhob er sich langsam, wobei ein Geräusch wie eine mittelgroße Gerölllawine zu hören war, und ging in Richtung Tür. Als er gerade die Klinke greifen wollte, wurde die Tür mit Schwung aufgestoßen.

"Guten Morgen, meine lieben Rekruten!! " Eine laute, befehlsgewohnte Stimme schallte durch den Saal. Im Türrahmen stand eine kleine, rothaarige Frau mit einer Sonnenbrille. Ein ungewöhnlich starker Geruch von Schwefel und Schießpulver haftete ihr an.
" ‘n Morgen", murmelten die meisten der Schlafenden und drehten sich um.
"Wie heißt das?", fragte sie mit honigsüßer Stimme, doch jeder, der sie kannte, wusste, dass diese Tonlage den Betreffenden in eine sehr unangenehme Lage bringen konnte.
Binnen Sekunden hörte man zuerst ein lautes Rauschen von Bettfedern, ein allgemeines unterdrücktes Fluchen und im Anschluss ein lautes "Guten Morgen, Chief-Korporal Charlotta!"
"Los, fertig machen! In einer halben Stunde komme ich wieder, und bis dahin seid ihr alle angezogen, satt und, vor allen Dingen, lernwillig. Habt ihr das verstanden?", fragt sie.
"Jawohl, Ma’am", erklang es wie aus einem Mund, der zehn unterschiedliche Oktaven umfasst.
Ein befriedigtes Grinsen schlich sich auf das Gesicht des Chief-Korporals. Sie wollte den Schlafsaal gerade wieder verlassen, als sie gegen einen riesigen Felsblock rannte. Ein überraschtes "AU" war zu hören. Sie wollte sich gerade umdrehen und fragen, wer dieses riesige Ding hier rein geschafft hatte, als der Stein sich plötzlich bewegte. Korporal Charlotta wich zurück. Plötzlich erklang eine Stimme, die wie zwei Mühlräder klang, die Kies mahlen.
"Wächter Felsspalter meldet sich zum Dienst, Ma’am!"
Chief-Korporal Charlotta dachte kurz nach. Endlich schien sie zu dem Ergebnis gekommen zu sein, dass es sich hier um einen neuen Rekruten handelte. Ihre Miene hellte sich auf.
"Ah, ein Neuer. Sehr gut. Wenn du mir bitte kurz folgen würdest, ich zeige dir alles..."
Und schon war sie verschwunden. Felsspalter stapfte hinterher und ließ sich alles vorstellen: die Eingangshalle, das Bad (Wofür braucht ein Troll Wasser? Davon rosten nur seine Eisenadern!), die Kantine und schließlich den Taubenverschlag. Am Ende der sage und schreibe zweiminütigen Führung standen sie wieder im Erdgeschoss am Wachetresen.
"Nun", fragte Charlotta mit einem leicht sarkastischem Ton, der aber selbst für den durch Kühlung verstärkten Verstand des Trolls nicht zu erkennen war,"gibt es eigentlich schon etwas, was du kannst, oder müssen wir dir alles von vorn beibringen?"
"Ich nicht wissen. Was heute auf Plan stehen?", fragte er.
"Heute zeige ich meinen Rekruten, wie man einen Verdächtigen untersucht. Ich glaube nicht, dass du das kannst, oder?"
"Doch."
Er bereute dieses Wort bereits 26 Minuten später.

Ein gutes Dutzend besonders unauffälliger lernwilliger Rekruten hatte sich vor dem Wachhaus in der Kröselstraße versammelt. Sie bildeten einen Halbkreis um Chief-Korporal Charlotta. Ein Halbkreis bot sich in solch einer Situation an, da nun jeder der Rekruten den gleichen Abstand zu ihrer Ausbilderin einnahm und so niemand auffiel (abgesehen vielleicht von Felsspalter). Dies zeigt entweder die ungemeine Solidarität der G.R.U.N.D.-Mitglieder, einander in jeder Situation den Rücken zu decken, oder von der unbeschreiblichen Panik, die eine Unterrichtsstunde vor versammelter Mannschaft verursachte.
Plötzlich erhob Ausbilderin Charlotta die Stimme: "Also, wir nehmen heute die Untersuchungen von verdächtigen Personen durch. Ich habe sogar schon einen freiwilligen Rekruten dafür gefunden."
Sie lächelte Felsspalter auffordernd zu. Ungläubig wandten sich alle Blicke dem Troll zu. Dieser trat in Richtung Straßenmitte.
"Er wird uns nun am Beispiel einer verdächtigen Person zeigen, wie man diese auf Waffen oder andere verdächtige Gegenstände untersucht."
"Wie zum Beispiel Geldbörsen", sagt einer der Rekruten und erntete dafür von Charlotta einen unsanften Tritt auf den Fuß, begleitet von einem "Aufgepasst, die Vorstellung beginnt!"
Gespannt warteten alle, dass der Troll anfing.
Sekunden verstrichen.
"Was ist, worauf wartest du?", fragt Charlotta nach.
"Auf Verdächtigen", kam die Antwort nur Minutenbruchteile später.
"Tja, das ist Teil der Übung. Ein Passant hier ist ein verdächtiger, unauffällig wirkender Wächter. Finde ihn!"
Der Troll sah sich um. Die Straße wimmelte von Händlern, Dieben, den in jeder Geschichte immer wiederkehrenden Stadtbewohnern ohne Funktion, die generell nichts gesehen und gehört haben wollen, und jeder Menge sonstiger verdächtiger Personen. Doch einer stach ganz besonders aus der Menge heraus. Er trug eine komplette Wächteruniform, deren Wirkung allerdings mit gelben Tüchern und etwas Glitzerstaub verstärkt wurde. Besonders unauffällig wirkte auch das Schild, das jener Wächter mit sich herumtrug. Darauf stand in 10 Zoll hohen Buchstaben folgender Text: ICH BIN EINE BESONDERS UNAUFFÄLLIG WIRKENDE PERSON!
Diese Person musste selbst von einem Troll als unverdächtig eingestuft werden, denn Felsspalter ging direkt an ihm vorbei zu einem der Händler.
"Hallo, du sein verdächtig", sagte er in möglichst höflichem Ton.
"Bestimmt nicht, aber möchtest du meine Würstchen aus eigenem Anbau probieren?", lautete die Antwort.
Ohne Kommentar ging der Troll auf ihn zu, bis sein Gestein nur noch wenige Zoll von der Nasenspitze des Kaufmannes entfernt war.
"Ah, ich verstehe. Du möchest bestimmt etwas Zuckerstein, oder? Offiziell habe ich zwar keinen mehr, aber ich kann dir ein Angebot machen, dass du nicht abschlagen kannst. Hier, erstklassige Ware aus den Spitzhornbergen, wenn du wüsstest, was das für ein Genuss ist...."
Während der Händler weiterhin von tief unten seine Ware anpries, dachte Felsspalter darüber nach, was er jetzt als nächstes tun sollte. Seine bisherige Erfahrung mit Untersuchungen beschränkten sich darauf, seinem Vater zu helfen, Zwergen alle Äxte abzunehmen, die größer als ihre Unterarme waren und damit mehr als nur dekorativen Charakter besaßen. Da der Händler aber offensichtlich keine Waffe trug, half ihm auch diese Erfahrung nicht weiter. Deshalb griff er nach dem Mann, drehte in um und schüttelte ihn kräftig, so dass sämtliche in seinen Taschen befindlichen Gegenstände der Scheibenanziehungskraft gehorchten und nach unten fielen. Felsspalter ließ daraufhin sein Opfer fallen, das leise wimmerte und laut fluchte, und untersuchte den ehemaligen Tascheninhalt. Doch bis auf eine Ente und vier Geldbörsen fand sich nichts besonderes.
Der Troll erkannte nun, dass er einen Fehler gemacht hatte, woraufhin er errötete (Es ist bis jetzt ungeklärt, was dieses Phänomen verursacht, aber die meisten Magier sind der Meinung, dass durch den Scham im Inneren des Trolls weniger Platz für die Mineralien und Metalle ist. Deswegen treten die eisenhaltigen Bestandteile nach außen, was die Rotfärbung des Trollgesichts erklären würde.). Er trat mit einer tiefen Verbeugung zurück, wobei er jedoch zu spät bemerkte, dass er dabei mitten durch den Verkaufsstand lief. Als er zu seiner Truppe zurückkehrte, die mittlerweile vor Lachen auf dem Boden lag und eine Charlotta sah, die schadenfroh grinste, wurde er in dem Gefühl bestärkt, im Erdboden versinken zu wollen.
"Nun", meinte Charlotta mit ihrem üblichem, diesmal aber deutlich erkennbaren sarkatischen Unterton, "ich glaube, dass du noch sehr viel über das Leben als Wächter lernen musst..."

ENDE




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