Strafe muss sein

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von Spieß Ecatherina Erschreckja (DOG)
Online seit 06. 08. 2003
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Ecatherina wird dazu verurteilt, eine Woche lang in der Hafenkneipe "Zum grünen Hering" (Besitzer Herr Poller) hinter dem Schanktresen Dienst zu tun und von dort aus für die Sicherheit der drei Kellner verantwortlich zu sein.

Dafür vergebene Note: 11

Rhythmisch pochten mehrere Finger auf dass raue und teilweise verdreckte Holz. Drei Gestalten huschten von einer Ecke zur anderen und versuchten, in der abendlichen Dämmerung das Lokal von den schlimmsten Verunstaltungen der vergangenen Nacht zu befreien.
"... und des dort drüben is die Treppe runter in den Vorratskeller. Es werd'n die Bierfässer, Schnapsflascheln und alles andere unt'n gelagert. Es is meist recht kühl drin, also achte drauf, wennst Nachschub holst, dass de Tür wieder zu ist nachher. De.. Gäst' werd'n sonst sehr ausfallend. De Tür dort drüb'n..." Ein kleinwüchsiger Mann mit Glatze und schwarzem Vollbart war gerade dabei, seine wulstigen Finger in einer schmierig ausschauenden Schürze abzuwischen. In seinem sich andauernd bewegendem Mund, schaukelte eine Zigarettenkippe mit und verursachte somit eine kleinen Nebelpool über den Kopf des Sprechers. Neben ihm auf den Tresen hatte er den bereits aufgeschnittenen Fisch zwischengelagert, um seiner Aushilfe die Hand zu reichen. Doch diese verzichtete (mehr oder weniger) freundlich darauf. Deswegen nutzte er die Gelegenheit, das Blut wegzuwischen, um sich eine flüssige Stärkung zu genehmigen.
"Des hier is des Fass für gut zahlende Kundschaft oder für jemand, der sei Waffen nicht wegsteck'n kann. Alle andren zapfst von hier. Die gut polierten Gläser nimmst nur, wenn de von gestern aus sind. Putz halt kurz ma drüber. Wenn jemand an Schnaps hab'n will, frag zuerst, ob..." Die Angesprochene stützte sich missmutig auf den Tresen und beobachtete die drei Frauen, die hurtig kurz mal über die Tischplatten strichen und die Stühle grad stellten. Eine von ihnen war noch nicht erwachsen, doch ihre Züge waren zart und sinnlich. Die zwangsbeglückte Schankmaid fragte sich, wie so ein Mädchen hier nur landen konnte. Sicherlich hatte sie es nicht leicht, bei der Kundschaft, die hier üblich war. Was auch für Eca ein Problem darstellte, immerhin musste sie diesen Abend auch auf sie aufpassen.
"Pass aber bloß auf, dasst bei de Fischerbub'n kein falsches Wort sagst. Erst gestern hats ne Schlägerei geb'n. Und der Lüsterne Hafenwilli hat 'n Aug' auf de junge Maria geworfen. Schau, dass er's wieder find't. Wenn der Dunkle Peter kommt, dann verlangst du die Zeche, die er.." Irgendwie hatte die Wächterin das Gefühl, als sollte sie ihrem kurzfristigen Chef Beachtung schenken, doch da ihre Aufpasserin, Oberleutnant Venezia Knurblich, noch nicht vorbei geschaut hatte, war ihr das bis jetzt eigentlich nicht sonderlich wichtig gewesen. Und jetzt - so halb am Schluss - hatte es wohl auch keinen Sinn mehr. Also ließ sie den Mann weiter quasseln und holte sich während dessen eine schon sehr vergammelte Schürze. Nachdem, was sie über diese Kneipe gehört hatte, zog sie dies allem anderen in dem Lokal auf ihrer Kleidung vor.
"Solltest Hilfe brauchst, schrei einfach. Die alte Trude is heut krank und ich werd in der Küch' die alt'n Fisch in die Pfann' werfen. Wennst Hunger kriegst, kannst ruhig einen Happ'n davon haben, aber achte bloß drauf, dasst vorher was Gescheites zwischen die Zähnt kriegt hast. Dei Chefin wird heut so gegen Mitternacht vorbeischauen, hab ich gehört. Wenn bis dahin nichts arg's passiert ist und die Madln OK, kannst gehn, wenn de wieder weg ist. Noch Frag'n?" Das erste Mal seit geraumer Zeit nahm der Mann seine Kippe zwischen die Finger, führte sie vom Mund fort und ließ statt dessen ein Glas voll gefüllter klarer Flüssigkeit in seine Kehle fließen. Nach dem Geruch zu urteilen, der sich schnell davon verbreitete, war der Alkoholgehalt jenseits von Gut und Böse. Nach der Stille, die herrschte, nachdem er seinen Durst gestillt hatte, konnte man erahnen, dass er auf etwas wartete.
"Ähm.. was.. genau hast du noch mal am Schluss gesagt? Ich hab mir grad noch mal das Lokal angeschaut." Die Augenbrauen des Lokalbesitzers stellten sich auf die Zehenspitzen und versuchten, sich gegenseitig zu berühren. Die Zigarette rauchte wieder vor sich hin. Langsam wurde es der Wächterin peinlich, doch dann brach er die Stille, indem er ihr einen Klaps auf dem Po gab und meinte: "Ach das kriegst du schon gebacken, Kleine."
Ihre Nägel kratzten leichte Furchen in das Holz, während sie quietschend nach unten gezogen wurden.
"Nicht genug, dass ich mich nun wegen Vico und Opal hier vor lauter Idioten zur Schau stellen muss - jetzt greift mit dieser fette, schmierige und verdammt eklige Typ auch noch..." Sie biss sich in die Zunge, als Herr Poller sich noch einmal umdrehte und ihr zuzwinkerte, nachdem er ein schmieriges Lächeln aufgesetzt hatte. Ecatherinas Magen drehte sich ein wenig, während ihre Zähne den Drang verspürten, stärker zuzubeißen. Doch die Zunge war dagegen.
"Lilli?"
"J', M'm?" Die Jüngste der Kellnerinnen, gerade erst 13 geworden, eilte herbei und versuchte dabei, an ihrem Daumen zu saugen. Ungeschickterweise hatte sie sich an einem Scherben geschnitten und versuchte jetzt wohl, eine Blutvergiftung zu verhindern.
"Wel... wart, zeig doch mal deinen Daumen her." Lilli im Anhang habend, ging Eca in das Zimmer, dass am Reinsten und Ungefährlichsten war - die Besenkammer.
"Moment, hier hab ich was, dass dir helfen wird. Es wird zwar ein wenig brennen.."
"AU!"
"...aber zumindest wird die Wunde dadurch gewaschen. Und jetzt würde ich am besten einen reinen Fetzen suchen - wenn es hier so etwas geben sollte - und damit den Daumen umwickeln."
"Danke."
"Hm, sag mal, Lilli..", zum ersten mal in ihrem Leben legte sie locker-lässig den Arm um eine Person[1] und lächelte freundlich, "...hier wird doch ziemlich viel ausgeschenkt, oder?"
"Mhm, fast jeden Abend zehn Fässer Bier und Dutzende Flaschen Schnaps. Aber..."
"Ja?"
"...nicht einmal die Hälfte wird getrunken."
"Darauf hättest du nicht unbedingt hinweisen brauchen. Bevor ich das Lokal betreten hatte, konnte ich noch achtlos atmen, ohne, dass mir andauernd das Bild eines gärenden Ozeans in den Sinn kam." Ecatherina lugte um die Ecke und sah bereits die ersten Gäste sich grölend, streitend und rülpsend der Theke zu wendend. Ihr Gesprächspartner wurde langsam nervös.
"Wir sollten..."
"Ja ja, warte noch einen Moment. Weißt du, ich habe hier ein Pulver, dass den Geschmack des Bieres ein wenig aufhellen könnte. So wir ich den Wirt einschätze, is das sowieso nur verdünntes Spülwasser." Das Mädchen kicherte, wurde dann aber schnell wieder ernst.
"Na ja, es gibt auch gutes Bier. Aber das wird nicht so oft..."
"Und wenn wir dieses Pulver in das Bier geben, werden mehr Leute es trinken, anstatt es in der Gegend herumzuschütten. Ihr hättet also auch weniger zu putzen." Ecatherinas Grinsen wuchs schon dermaßen in die Länge, dass sie Gefahr liefen, sich zu überspannen.
"Hm. Aber Herr Poller sagt immer, je mehr wir verkaufen, desto mehr bleibt für uns über. Letzten Monat konnte ich mir sogar ein neues Kleid kau..."
"Ja, echt toll. Aber wenn das Bier besser schmeckt, wird es garantiert auch genauso oft verkauft - vielleicht sogar öfters. Vielleicht kannst du dir dieses Monat dann sogar zwei Kleider drum kaufen.... was sagst du dazu?" Lilli wurde langsam besorgt und sah nervös zwischen der Wächterin und der Theke hin und her. Ein paar der Lärmmacher hämmerten bereits auf die Theke und verlangten nach ihrem wohlverdienten Bier. Eine der anderen Kellnerinnen huschte schnell hinter den Tresen und vertrat Eca solang.
"Wir sollten..."
"Das Bier, Lilli. Das Bier. Denk dran, wenn die Typen da mehr trinken, werden sie auch ruhiger. Die konzentrieren sich dann sicher nur mehr auf ihr Bier." Nach den Gesichtszügen zu urteilen, dachte das Mädchen nun schon ernsthaft über die Möglichkeit nach und Ecatherinas Mundwinkel streckten sich noch weiter ihrem Hinterkopf entgegen.
"Und was muss ich dafür tun?" Das Lächeln der Wächterin flaute kurz ab, um kurze Zeit später noch heller zu erscheinen.
"Weißt du, es sind ja jetzt schon wirklich viele Kunden. Und sieh sie dir an, der Durst springt ihnen schon fast aus der Kehle. Ich werde also alle Hände voll zu tun haben, während du noch weitere zwei Helfer hast. Da fällt es sicher kaum auf, wenn du die Fläschchen hier nimmst...", im Redefluss gefangen drückte sie Lilli zwei Reagenzgläser in die Hand. Beider Inhalt zwar feinkörnig, doch die Farbe unterschied sich ein wenig. Leider hatte die ehemalige GIGA nur jeweils ein Fläschchen von den verschiedenen Reagenzien dabei.
"...und in jedes Fass - egal ob verwässert oder nicht, wir wollen ja ein allgemein gutes Aroma - cirka soviel...", sie formte einen knappen Zentimeter mit den Fingern, " hineinlehrst. Und wenn du dann vielleicht noch etwas Zeit hast, könntest du die Brühe auch noch umrühren." Skeptisch sah die junge Kellnerin auf ihre Hände hinab, doch waren die Worte der Wächterin ziemlich verlockend.
"Aber wenn Rosalie dich eh grad vertritt, dann könntest du doch selber..."
"Nnnnnnnnein. Das geht leider nicht. Hier könnte nämlich jeder Zeit eine Prügelei stattfinden, oder jemand zückt ein Messer. Oder schlimmer, ein Halunke könnte eine von euch bedrohen. Als Wächterin kann ich das nicht zulassen. Noch dazu könnte eine gewisse Vorgesetzte früher als angemeldet hier hineinschneien und wir wollen doch nicht, dass das fälschliche Gerücht entstünde, dass ich hier nichts arbeiten würde, oder?" Das Einzige, was Eca bis jetzt gemacht hatte war, den anderen beim Putzen zuzusehen - und jetzt, wo sie hinterm Tresen stehen sollte, stand sie hier und tratschte. Natürlich würde dem Mädchen nie in den Sinn kommen, ihr zu widersprechen.
"Natürlich nicht, wäre ja absurd."
"Dann sind wir uns einig, ja?"
"Eh, ja?"
"Perfekt. Du bekommst auch etwas davon ab, was ich heute einnehme." Lillis Mine erhellte sich plötzlich, doch blöderweise hatte Ecatherina vergessen zu erwähnen, dass sie für diese Strafarbeit kein Geld bekam.
"Ich werde Rosalie nun ablösen. Wäre schön, wenn du gleich mit die ersten Fässer hier oben anfängst. Ich werde auch versuchen, dich zu verdecken, damit dich keiner sieht. Abgemacht?"
"Mhm."
"Sehr brav." Sie tätschelte Lillis Wangen und schickte sie dann los. Sie selber blieb noch etwas stehen.
"Puh! Ich hoffe, das Gift wirkt bald. Lang halte ich es hier sicher nicht durch." Langsam schlenderte sie zum Tresen, entschuldigte sich bei der nun schon sehr gestressten Kellnerin und versuchte die Klapse, die sie auf den Weg bis dahin erhielt, zu ignorieren. Die drei Angestellten schienen diese Gesten wohl schon gewöhnt zu sein, Ecatherina hingegen musste sich jedes mal stark zusammenreißen, um den entsprechenden Männern keine Pfeile in die Gegend zu rammen, die am meisten weh tat.


Das Bier spritzte nur so in der Gegend herum, als eine Gruppe ausländischer Seeleute sich zuprostete und mit lautem Gebrüll leerte. Mit lautem Scheppern wurden zwei der Gläser an die Wand geschmettert und eine Kellner wäre fast von einem Splitter getroffen worden, wenn sie sich nicht geduckt hätte. Sofort holte Jeanette Schaufel und Besen, um das angerichtete Malheur zu beseitigen. Nicht ohne Mühe drängte sie sich durch die fröhliche Menge und wurde plötzlich zu Boden gestoßen. Die umgrenzende Meute lachte, als ein mit einer Augenklappe verzierter Raubein dem Mädchen unter dem Rock schaute, anstatt ihr aufzuhelfen. Ecatherina holte eine kleine Armbrust hervor, die sie extra für diese Arbeit besorgt hatte.
"SOFORT AUFHÖREN! IHR LASST DIE KELLNERINNEN JETZT VERDAMMT NOCHMAL IN RUHE ODER ICH SCHIEß EUCH EINEN BOLZEN MITTEN DURCH EURE ZUGESOFFENEN SCHÄDEL!" Zur "Warnung" zielte der Spieß auf ein in der Nähe befindliches Kerzenglas, traf jedoch die Lehne eines Stuhls seitlich. Der Minibolzen prallte ab, veränderte seine Flugbahn und bohrte sich schlussendlich in das linke Bein eines Zuschauers.
"Ups." Schnell ließ sie ihre Waffe unter den Tisch wandern und schluckte.
"Das tut mir wirklich leid. Ich werde die Wunde sofort behandeln." Doch der Angeschossene lachte nur und schlug sich auf den Schenkel, als wäre nichts passiert. Der Rest hingegen verlor den Spaß an der Szene und widmete sich wieder ihrem Bier. Nur die Kellnerinnen sahen sie mit offenen Mündern an.
"Was ist los? Geht sofort an eure Arbeit. Ich kümmere mich darum. Hopp, hopp, die Gäste sind durstig." Die Wächterin klatschte ein paar mal in die Hände und schickte Rosalie wieder zum Ausschenken.
"Hinten ist es schön ruhig und ich habe dort meine Chemikalien. Es ist wirklich nicht weit." Der Angesprochene schien weiterhin erheitert über die Situation zu sein und keine Schmerzen zu verspüren, obwohl sich unter seinem Fuß in der kurzen Zeit bereits eine kleine, rote Lache gebildet hatte. Behutsam torkelte sie mit dem Verwundeten Richtung Besenkammer.
"So, wenn du dann bitte diesen Fetzen auf die Wunde drücken würdest. Nein, nicht hier, da ist die Wunde und fest drücken. Ja genau. NEIN, da sollst du nicht hingreifen, bleib mit deinen Pfoten bei dir, verdammt noch mal." Ecatherinas Nerven waren schon leicht angeschlagen, obwohl die Hafenkneipe erst eine Stunde offen war. Die Wächterin war bis jetzt ruhige, gemütliche Lokals gewöhnt gewesen, in denen es ziemlich zivilisiert zuging[2], doch das Gesindel, das hier herumlungerte, hätte man nicht einmal in die Wache gelassen. Und es war ja allgemein bekannt, dass diese jeden nahm.
"So, jetzt nur mehr das Blut wegwischen und du bist fast wie neu. Wenn du wieder zu Sinnen kommst, wirst du gar nicht bemerken, dass man dich... eh... gepiekst hat." Ecatherina hatte ein Stück von ihrer Schürze abgerissen und damit den Fuß des Kunden abgebunden. Wenn sie Glück hatte, konnte sie den Verband noch entfernen, bevor Veni zum Kontrollbesuch kam. Sie wollte nichts riskieren.
"Und jetzt beweg deinen A...allerwertesten in das Lokal zurück. Dein nächstes Bier geht auch aufs Haus." Sie packte den Mann beim Arm und zerrte ihn zur Theke und sah sich um.
"Lilli? Haben wir noch einen freien Sitzplatz irgendwo."
"Äh, nein... Ma'am. Es... ist alles besetzt." Das Mädchen sah ihr Gegenüber mit gemischten Gefühlen in die Augen. Ihr Blick hatte weniger Kindliches an sich, als man glauben sollte.
"Gut, dann, ähm, sollten wir jemanden vom Stuhl schmeißen, damit wir diesen hier setzen können." Das Mädchen riss die Augen auf, doch folgte gehorsam zu einem Tisch, an den zwei Betrunkene saßen - oder besser gesagt, sie lagen darauf.
"Der schläft sicher genauso gut am Boden weiter, findest du nicht auch? Halt mal bitte." Ecatherina lehnte den Mann neben die junge Kellnerin und packte den Trunkenbold an den Schultern.
"Man, ist der schwer." Lilli beobachtete, wie die Aushilfswirtin einen ihrer Stammgäste mitten auf den Gang legte und führte dann den noch immer lachenden Verletzten zum Stuhl.
"So und jetzt hol bitte ein Bier für unseren werten Gast. Der fühlt sich dann sicher gleich besser." Nicht auf die Umgebung achtend, bückte sich der Spieß zu dem Liegenden hinunter, legte zwei Finger auf dessen Hals und wartete.
"Äh, ja. Sofort, Ma'am." Die Kleine zwängte sich mit Ellbogenhilfe durch die teils herumstehenden - oder besser gesagt, herumwankenden - Leute hindurch zu ihrer Kollegin, um die Bestellung abzugeben. Was die Wächterin jedoch nicht mitbekam, war das kurze Getuschel, dass darauf folgte.
"Ruhiger und leichter Puls. Sehr gut, es wirkt also schon." Zu sich selbst redend fühlte sie auch dem zweiten Schlafenden den Puls.
"Und dir wird es auch gleich so ergehen, keine Bange." Sie klopfte dem Verletzten auf die Schulter und wartete, bis Lilli ihr einen Humpen Bier in die Hand drückte, um dann schnell wieder davon zu eilen.
"Mund aufmachen und trinken. Brav, weiter so. Tu dir keinen Zwang an, du tust sonst sicher auch nichts anderes. Ja, so ist's gut. Noch ein Schluck." Eca hatte dem Bier noch schnell eine Brise der übrig gebliebenen Chemikalie beigemischt, um die Wirkung ein wenig zu beschleunigen.
"AAAAHAHAHAAAHAAHAHAAAaaahaa...." Mit einem Knall schlug der Kopf des zuvor noch sehr erheiterten Mannes auf die Tischplatte und verblieb dort.
"Na bitte, es geht doch." Noch einmal klopfte sie ihm auf die Schulter, um dann erleichtert auf ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.
"Äh ja und nun können wir weiter machen, ohne dass etwas passiert ist, nicht?." Räuspernd blickte sie in drei fragende Gesichter, die sich um sie geschart hatten.
"Immer wieder kippen Gäste um und bleiben einfach am Boden liegen. Andere wiederum sind ungewohnt gut gelaunt. Zum Beispiel hat der Mürrische Rassel dem Angewiderten Unkhart ein Bier spendiert." Jeannette trippelte fordernd auf den Tresen.
"Ja und? Das ist doch gut fürs Geschäft, oder?" Die Wächterin zuckte die Schultern und setzte eine unschuldige Miene auf.
"Ja, wenn die beiden nicht eine BLUTSFEHDE hätten!"
"Oh, ja. Na ja, vielleicht haben sie sich... öhm.. eh... versöhnt?" Ecatherina setzte ein versuchsweise strahlendes, wenn gleich auch verzweifelndes Lächeln auf.
"Für eine dieser lausigen Wächter kannst du ziemlich schlecht lügen." Rosalie stütze sich an die Wand und war es leid, andauernd die Arbeit anderer zu tun. Noch dazu mochte sie Wächter nicht. Ihr Sigmund musste einmal eine Woche in deren verschmutzen Zellen sitzen, nur weil er einem Kerl die Zähne ausgeschlagen hatte.
"Ich weiß nicht, was ihr habt. Seht sie euch doch an: Sie sind halbwegs ruhig - auch wenn noch immer aufdringlich -, schlagen sich nicht und die Einrichtung sieht noch fast wie vorher aus. Was kümmert es euch, wenn ein paar dieser Tiere ein Nickerchen halten? Dann habt ihr zumindest weniger Kunden, die aber gleich viel trinken - oder vielleicht sogar darüber. Was will man mehr?" Gelassen straffte Ecatherina ihre Schürze und holte neue Gläser, um die rufenden Bestellungen abzufertigen. Innerlich hoffte sie, dass die Kellnerinnen auf ihr "unmoralisches Angebot" einsteigen würden, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen.


Zwölfmal hallten die Schläge der Turmuhr durch die Nacht, bevor sie im Getöse des Windes unter gingen. Letzte Pfützen erinnerten an das Gewitter, das der Metropole der Scheibenwelt für wenige Sekunden eine reine und saubere Luft bescherte. In einem Lokal in der Nähe der Docks wurde die Tür aufgeschlagen und ein kleiner Schatten wurde durch das Mondlicht in das Innere geworfen.
"WIRT, ICH WILL SOFOORT EIN BI... was ist denn hier los?" Oberleutnant Knurblich hüpfte über mehrere am Boden liegende und den Weg versperrende Körper hinweg und versuchte, den weitgehendst abgeschotteten Tresen zu erreichen. Hinter diesem stand ein relaxter Spieß und putzte die noch verbleibenden Gläser, die nicht irgendwo auf Tischen standen, am Boden lagen oder stückchenweise an Wänden klebten. Außer ihr befanden sich noch vier Gestalten im Raum, die nicht auf irgendwelche Weise im Land der Träume schwebten. Venezia erkannte in diesen den Besitzer des Lokals und seine drei Kellner - sie spielten Karten.
"Willst du ein Bier, Veni? Geht aufs Haus." Ecatherina holte ein Schnapsglas aus dem Regal hinter ihr und fühlte aromatisch riechendes Bier ein, dass eigentlich für gut zahlende Kunden reserviert gewesen wäre.
"Warum schlafen hier denn alle?" Herr Poller nickte dem Neuankömmling zu und legte dann breit grinsend seine Karten auf den Tisch.
"Tja, dieser Teil des Trinkgelds gehört jetzt wohl mir." Teils enttäuscht, teils verbittert warfen die Mitspielerinnen ihre Karten auf den Tisch und der Besitzer schob die Münzen zu sich hinüber. Lilli mischte die Karten erneut.
"Da de Leut' heut so spendabel war'n, verdopple ich den Einsatz. Also strengt's euch an." Poller schob die Hälfte seines Gewinns zurück auf seinen ursprünglichen Platz und nahm vorfreudig seine Karten entgegen. Verwirrt nahm Veni ihr Glas entgegen, trank jedoch noch nichts.
"Na ja, weißt du, Veni. Die Leute haben heute wohl mehr als sonst getrunken. War ein guter Tag für das Lokal. Und jetzt schlafen die meisten ihren Rausch aus. Ein paar haben es schon geschafft, sich nachhause zu schleppen, den Rest konnten wir leider noch nicht raus bekommen. Da es aber eh nicht aussieht, dass jetzt noch neue Kundschaft auftaucht, haben wir sie einfach liegen gelassen." Gemächlich lehnte sich Eca wieder an den Tresen und polierte das Glas nun jetzt schon zum zehnten Mal.
"Nein, wirklich? So ein Zufall, dass so was gerade passiert, während du hier Dienst schiebst. Muss dir wohl sehr passend gekommen sein, wie?" Misstrauisch hob sie eine Augenbraue und musterte den "Sträfling".
"Nun, ich kann nicht klagen. Freu mich schon auf morgen. Herr Poller hat mir angeboten, ich könnte öfters bei ihm aushelfen, wenn seine Küchenfee ausfällt. Sogar das Gehalt würde stimmen, wenn wir genauso viel einnehmen, wie heute." Mit einem Schmunzeln auf den Lippen lächelte sie zu dem Besitzer hinüber, welcher fröhlich zurückwinkte. Kurze Zeit später schlug er auf den Tisch - Jeanette hatte ihn im Spiel geschlagen.
"So so, wie nett von ihm." Von der Seite her beäugte die Gnomin ihr Glas und roch dann zaghaft daran.
"Riecht nicht schlecht."
"Ja, feinstes Bier. Ist nur für gute Kunden reserviert." Ecatherina griff nun zu einem Lappen und wischte zum x-ten Mal über die hölzerne Oberfläche des Tresens. Schön langsam lösten sich sogar die eingetrockneten Flecken von letztem Jahr. Veni musste hin und her hüpfen, um von dem Lappen nicht erwischt zu werden.
"Heute habt ihr sicher viel davon verkauft." Prüfend nippte sie daran.
"Och ja, man kann nicht klagen." Eca versuchte einen Schlafenden wegzuschieben, doch ihre Kraft reichte nicht aus. Nach kurzem Überlegen verwendete sie ihn einfach als Leiter und holte Flasche mit grünem Inhalt herunter. Diesen schüttete sie vorsichtig auf die Platte und schruppte weiter.
"Sag, hast du noch immer deinen Mantel mit deinen Mittelchen darin?" Venezia setzte sich auf den Rand und beobachtete ihre Untergebene.
"Natürlich."
"Auch mit?" Sie stellte ihr zum Bierglas umgewandeltes Schnapsglas neben sich.
"Ja. Man weiß ja nie, was kommt." Der Spieß schmiss den Lappen im hohen Bogen von sich und überlegte, was sie nun tun könnte. Immerhin hatte sie wichtigen "Besuch".
"So so." Mit einem Satz verschwand das Bier im Rachen der Wergnomin und verlangte dann neues.
"Du würdest die aber nie missbräuchlich einsetzen, oder?" Venezia nahm das wieder gefüllte Glas entgegen.
"Was?" Ecatherina hatte sich Wasser geholt und versuchte nun, den erstbesten Schlafenden damit zu wecken.
"Deine Mittelchen." Erschreckja drehte den Kopf und sah ihre Vorgesetzte übertrieben angegriffen an.
"Wer ich? Also Veni, ich bitte dich. Das würde ich doch nie tun." Der gerade "Behandelte" gab ein Grunzen von sich, doch anstatt richtig munter zu werden, drehte er sich zur Seite und schlief weiter - mit dem Kopf auf der Hand eines Anderen liegend, welche selbst auf dem Helm eines Zwergs verweilte.
"Gut. Dann kann ich diese Probe ja bei SUSI abgeben, ohne dass du etwas dagegen hast." Knurblich hob das Glas auf Augenhöhe und begutachtete es.
"Klar, tu dir keinen Zwang an." Ein weiteres Schmunzeln huschte über die Lippen des Spieß- immerhin war sie so klug gewesen und hatte "vorgesorgt".
"Sehr schön. Und sicher hast du auch nichts dagegen, wenn ich Proben aus den noch nicht ausgetrunkenen Gläsern, die hier rumstehen, ziehe." Mit einmal und wie aus Reflex heraus, schoss der Oberkörper der Wächterin nach oben und brachte den Kopf dazu, dass er an eine Kante des Regals prallte.
"AU, VERDAMMT!" Umständlich stand der Spieß auf und rieb sich den Hinterkopf. Die Gnomin wippte derweil ruhig mit ihrem Fuß. Ecatherina räusperte sich.
"Ich kann das erklären. Es ist alles nicht so, wie du vielleicht glaubst. Ich sollte die Kellnerinnen beschützen und das habe ich auch gemacht. Keiner ist zu Schaden gekommen, das Geschäft ging aber genauso gut wie sonst und die Gästen waren immer gut drauf. Und morgen werden sie nur einen lustigen und netten Abend in Erinnerung haben und werden wieder herkommen..."
"Damit du sie wieder betäuben kannst."
"Nicht doch. Ich habe nur zuviel erwischt von dem Zeug, morgen werden sie einfach nur gut gelaunt sein und nicht einschlafen. Das ist doch nichts Schlimmes, oder?" Würde Veni der Gedanken kommen, eine Probe der verwendeten Chemikalien einzufordern, würde sich die Ausrede in Nullkommanix in Luft auflösen.
"Findest du?" Venezia trippelte langsam mit einem Finger auf den Tisch, doch ihre Miene veränderte sich kaum merklich.
"Natürlich. Und bedenke die Ersparnisse, die Herr Poller hat, durch die nicht zerstörte..."
"Hm!" Veni hob den Zeigefinger und unterbrach Ecatherina mitten in ihrer Rede.
"Was war noch mal der Grund, warum du hier bist?" Mit der flachen Hand wischte sich Eca über die Stirn - es schien langsam warm zu werden.
"Na ich sollte auf die Kellner..."
"Hm!" Knurblichs Finger stand wie ein Pranger im Raum.
"Ich solle lernen, das Aggressionspotensdingsda einschätzen zu können oder so irgendwie?"
"Mhm."
"Nu ja, also ich habe es geschätzt und vermindert, reicht das nicht?" Veni verengte die Augen.
"Weißt du, Eca. Am besten du gehst jetzt nachhause. Schläfst dich aus, erholst dich von deinem ach so anstrengenden Tag und wir sehen uns dann morgen." Ein kurzer - aber wirklich nur kurz - Hoffnungsschimmer keimte in der Wächterin auf.
"Wirklich?"
"Ja und ich werde bis dahin ein Wörtchen mit Ras wechseln." Wie gesagt, es war wirklich nur kurz.
"Aber, Veni, also..." Ecatherina versuchte, einen süßlichen Ton anzunehmen.
"Versuchs erst gar nicht. Kann ja sein, dass ich ihn nicht finde, vielleicht läuft er mir erst morgen Abend in die Arme - oder gleich jetzt. DAS erfährst du dann morgen. Schlaf schön." Mit einem Satz sprang der Oberleutnant vom Tresen, hüpfte von einem Körper zum Anderen und ließ einen missgelaunten Spieß in dem seit geraumer Zeit herrlich ruhigen Lokal zurück.

[1] Ich mochte zwar keinen direkten Kontakt zu anderen Leuten, doch erstens sah sie in der Kellnerin noch ein Kind und zweitens die Chance, hier unbeschadet und bald wegzukommen.

[2] Wenn man das von der Bahre sagen konnte.




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