Liebesrausch

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von Obergefreite Lady Rattenklein (SUSI)
Online seit 28. 02. 2003
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Frühling und Drogen - kann das gut gehen?

Dafür vergebene Note: 9

An diesem Tag sah das morgendliche Licht der Scheibenwelt anders aus. Es schimmerte nicht mehr oder minder oktal, es war immer noch wie Honig, der sich zäh in Unebenheiten ergoss und an Bergen staute. Jedoch empfand Jim den sonnigen Schein hinter den Gardinen als Schleier, der sich über seine Augen legte; unmöglich ihn zu durchdringen. Er hätte es gestern nicht übertreiben sollen, aber jede Ware musste getestet werden, und diesesmal war es verdammt gute Ware.
Jim war diese Nacht wieder mit dem Nashorn in der Wüste gewesen. Es hatte ihm zugehört, wie es es immer tat. Sie waren nebeneinander hergegangen, und Jim hatte dem ledrig verschrumpelten Tier zum 500sten Mal von den Anfängen seiner "Karriere" erzählt, von den Anfängen seines Wahns, seiner Abhängigkeit. Scheiß Winterdepression.
Jim gehörte eben zur schwachen Sorte, er machte sich schon lange keine Hoffnungen mehr, dass er lebend aus der Sache rauskommen würde.
"Keiner kommt hier lebend raus." Murmelte er und stand auf.
Mit der Morgentoilette hielt er sich gar nicht erst lange auf. Die Arbeit rief schon wieder.
Jim ging ins Bad, nicht um sich zu waschen, nein, dort hatte er alles versteckt. Der Spiegel hatte verdeckte Scharniere an der Seite und ließ sich aufklappen. Dahinter war ein schönes, großes Fach für seine Ware. Meist Platte, aber auch exotischere Drogen wie Opaum aus Klatsch und W.O.W. aus Überwald - der letzte Schrei.
Seit 13 Jahren handelte Jim nun schon mit illegalen Drogen und nie wurde er geschnappt. Seit zwei Jahren war er erst in Ankh Morpork. Die schlimmsten zwei Jahre seiner Laufbahn, denn die Stadtwache hier war wirklich anstrengend.
Viele seiner Unterhändler wurden schon festgesetzt und jedesmal kam dabei das Risiko auf, dass er selber erwischt wurde. In diesen zwei Jahren musste er alleine 11 mal seine Identität wechseln. Nicht zu fassen, wie teuer Perücken und falsche Bärte heutzutage waren! Aber trotzdem hatte er Glück gehabt; bei jeder "Ratzia" wusste er schon vorher Bescheid, teils zufällig, teils durch seine Informanten. Dennoch war es langsam an der Zeit, sich einen neuen Markt zu suchen. Vielleicht mehr zum Rand hin?
Es klopfte an der Tür.
Jim zuckte etwas zusammen. Es wusste nur eine Person wo er wohnte und das war er selber. Er schloss das Geheimfach und ging zur Tür. Ein kleines Guckloch ermöglichte ihm den Blick nach draußen. Jim stutzte als er hindurchblickte und öffnete schließlich die Tür.
"Guten Tag?" es war mehr eine Frage als eine Begrüßung, denn vor ihm stand ein klines Mädchen von etwa 8 Jahren mit einer Schachtel in der Hand.
"Keksä?" war die Gegenfrage. Die piepsige Stimme drang scharf an Jims Ohr, er war noch auf Platte und versuchte Krampfhaft, das Keks-Mädchen nicht anzuglotzen. Waren ihre Augen violett?
"Möchtäst du Keksä kaufän?" kam es aus dem grinsenden Mund der Kleinen. "Ganz frisch, ist auch für nen gutän Zwäck."
Sie grinste. Er glotzte.
Nach einer Ewigkeit zog er irgendein Geldstück aus der Tasche, gab es dem Mädchen wortlos und schloss die Tür. Zeitlupe. Alles war in Zeitlupe. Zäh wie der Schleier auf seinen Augen, schwerfällig wie die Bewegungen des Nashorns. Er musste wieder runterkommen. Ein bisschen schlafen, durch die Wüste wandern.

Eine Wohltat war das hypnotische Schaukeln des dicken Nashorns. Es sagte nie etwas sondern hörte nur zu. Die stämmigen Füsse drängten wuchtig den warmen Sand auseinander. Jims Schritte und das Stampfen des Nashorns bildeten einen Rhythmus und Jims Stimme formte den Gesang. Sein persönliches Lieblingslied. Aber gleich würde wieder Realität und das erstickende Verlangen ihr sofort wieder zu entfliehen über ihn herfallen. Ihn wegschwemmen, auseinander reißen.

Arbeit. Fast ein gutes Mittel um nicht an seine Vergangenheit zu denken. Jim war aufgestanden. War das Keks-Mädchen gestern da? Oder vor einer Woche? Oder war es überhaupt dagewesen? Dieses Violett in ihren Augen?
Zuschneiden, Abwiegen, Einpacken. Fast immer dasselbe. Jim machte sich auf den Weg zu Sticky. Sticky nannte sich selber der Mir-graut-vor-gar-nichts-Mann, er habe vor keiner Droge, die je auf dem Markt war, halt gemacht. Doch er war einfach noch nicht kaputt genug, als das man ihm hätte glauben können. Aber er war zuverlässig.
Als Jim an Stickies Wohnsitz ankam, schaute er sich nocheinmal unauffällig um. Zu seiner Verwunderung standen an der Ecke gegenüber zwei Wächter. Eine Gnomin saß auf der Schulter eines menschlichen Wächters mit einem auffallendem Helm. Doch eigentlich brauchte Jim sich nicht wundern; Stickies Wohnung war in der unmittelbaren Nähe des Hier-gibts-alles-Platzes und dort hatte er schon des öfteren Wächter gesehen. Außerdem sahen die beiden nicht so aus als würden sie nach irgendetwas auf der Suche sein. Jim verschwand schnell im Schatten des Hauseinganges.
"Jim, da bist du ja, du alter Hydrophober! Du kannst dir nicht vorstellen, wer schon alles bei mir war!Wo warst du die letzten Tage? Man du siehst schlimm aus. Tee?" Sticky sah mindestens genauso "schlimm" aus, wie Jim, dachte dieser bei sich und antwortete:
"Zu Hause. Nein ich möchte gar nichts außer gleich wieder verschwinden. Hast du nicht gesehn, dass hier zwei Wächter rumlungern? Sei also vorsichtig, hörst du?"
"Ja schon klar, Jim. Was hast du heute für mich?"

"Denkst du wirklich, dass wir heute noch was spannendes sehen, Larius? Ich weiß nicht was Pismire damit gemeint hat, als er sagte wie sollen . Wir hatten dich lange kein Drogenproblem hier - jedenfalls kein großes."
Lady Rattenklein zappelte unruhig auf der Schulter ihres Kollegen herum. Eine Stunde noch bis Dienstschluss.
"Ich glaube, Pismire hat sich schon seinen Teil gedacht. Immerhin haben wir gute Informanten, auf die man sich bis jetzt verlassen konnte - mehr oder weniger." Larius lächelte schief. Auch er hatte nach 8 Stunden Beobachten, Herumlungern und Auflauern ohne Ergebnisse keine große Lust mehr und wollte endlich Feierabend machen.
"Lass uns nochmal über den Platz gehen und dann Schluss machen." Schlug Lady vor. Larius hatte nichts dagegen, er wandte sich um und ging Richtung HGA-Platz.
Im selben Moment ging die Tür von Satickies Wohnung auf und Jim trat auf die Straße. Er sah noch, wie die Wächter weggingen und machte sich seinerseits wieder auf den Weg nach Hause. Jim hatte Sticky 4 Kilo Platte geliefert. Diese galt es nun, unters Volk zu mischen. Von Unterhändler zu Unterhändler zu kleinen Straßendealern, die ihrerseits schon gar nicht mehr wussten wo das Zeug überhaupt herkam? darauf hoffte Jim jedenfalls - er kante lang nicht alle Männer, die für ihn arbeiteten. Und jeder war ein Risiko. Sein ganzes Leben bestand eigentlich aus einer einzige Gratwanderung. Er hatte Angst seit er sich erinnern konnte. Es hörte nie auf. Entweder konnte ihm etwas weggenommen werden, woran er sehr hing. Mariaan. Und dann dieser einsame Winter?oder er konnte erwischt werden, oder niedergeschlagen werden, oder sogar getötet werden. Ja, davor hatte er am meisten Angst - nicht vor dem Leben nach dem Tod (wenn es eines gab), sondern vor den Schmerzen, der Hilflosigkeit, dem Ungewissen, nicht Geplantem. Jim merkte schon wieder, wie er anfing zu zittern. Er musste schleunigst hier raus. Ein bisschen Platte, ein bisschen Wüstensand spüren, vor sich selber flüchten. Das Rhinozeros empfing ihn wie immer mit geduldiger Gleichgültigkeit.

"Hier, den haben die Leute von gestern am späten Abend dabei erwischt, wie er reinste Platte in der Pfirsichblütenstrasse vertickt hat. Kleiner Mistkerl, und dumm dazu, sich mitten auf die Straße zu stellen. Den Kunden konnten sie leider nicht schnappen." Der Schamane schloss die Zelle auf und ging mit Lady Rattenklein und Larius de Garde hinein.
In der Ecke saß trotzig der Straßendealer. Er hatte mürrisch den Mund verzogen und bedachte den schmutzigen Zellenboden mit einem finsteren Blick.
"Hat er schon was erzählt?" fragte OG Rattenklein.
"Nein. Er war von seinem eigenen Zeug so benebelt, dass er nur Unbrauchbares gebrabbelt hat", erwiderte Pismire. "Aber wir haben die Drogen schon zu Isis ins Labor geschickt, du kannst nachher dazustoßen und dir das auch mal angucken, Lady. Aber jetzt versuchen wir erstmal herauszufinden, was der Kerl weiß."
"Aye Sir. Nehmen wir heute die Daumenschrauben? Oder doch lieber wieder die Peitsche?", vorwitzig schaute die Gnomin den Schamanen an, dieser verstand, verkniff sich ein Grinsen und sagte mit bierernster Stimme: "Nein, ich finde es ist mal wieder an der Zeit, das Brenneisen zu benutzen, sonst staubt es noch ein."
Die Augen des Dealers hatten sich inzwischen beträchtlich geweitet. Nein, gebrandmarkt wollte er nicht werden und auch nicht ausgepeitscht und gedaumengedingstschon gar nicht! Voller Angst entschloss er sich dazu, während Rattenklein und Pismire - jetzt hatte sich auch Larius begeistert und ausgesprochen fantasiereich eingeschaltet - fröhlich über diverse Foltermethoden debattierten, seine guten Vorsätze der Loyalität und Verschwiegenheit über Bord zu werfen und zu reden.
"Nein! Keine Eiserne Jungfrau!", rief er. Die drei Wächter drehten sich unbekümmert zu ihm um und betrachteten ihn erwartungsvoll.
"Nein? Naja, wir hätten da noch die Streckbank, wenn dir das lieber ist", bemerkte Pismire sarkastisch.
"Bitte!", jetzt kauerte der Mann vor den Wächtern auf dem Boden "Ich bin doch neu im Geschäft, und Sticky hat mich einfach ins kalte Wasser geschmissen! Er hat mir das Päckchen in die Hand gedrückt und gesagt, wenn ich das nicht bis morgen in AM-Dollar verwandelt habe, werde ich....werde...ich...", er brach ab und rollte sich schluchzend auf dem Boden zusammen.
"Wenn du ne milde Strafe willst, mein Freund, wirst du für uns den Lockvogel spielen müssen, das ist deine einzige Chance. Aber erzähl uns erst einmal noch ein bisschen was über diesen Sticky." OG Rattenklein empfand nie Mitleid für solche Menschen.

"Man, kommt dieser Kerl auch mal raus aus seiner Wohnung?"
Zad war als Triffinsziel zur Verstärkung mit Lady und Larius mitgekommen und trippelte nun unruhig von einem Bein aufs andere. Larius und seine Nomenkollegin hatten durch Herrn Zange, so hieß der kleine Straßendealer, herausgefunden, wo diverse Übergaben stattfanden, und wie Sticky aussah. Sie wollten Herrn Zange als Lockvogel benutzen; er sollte Sticky kontaktieren und während sie die Ware tauschten, wollten die Wächter überraschend eingreifen. Doch als Pismire in die Zelle von Herrn Zange kam, sah er ihn tot von der Decke baumeln.
Dennoch hatten sie recht viele Informationen und schon bald hatten die Szenekenner der Wache Sticky ausfindig gemacht. Jetzt musste sie ihn nur noch auf frischer Tat ertappen und ein weiterer Drogenring konnte vielleicht gesprengt werden.
Sticky hatte einen Fehler gemacht. Bei nem Deal oder ner Übergabe musste man immer einen klaren Kopf haben, sich nie den falschen Leuten zeigen und vor allem den Neuen nicht blind vertrauen. Diesesmal war er noch auf einer der zahlreichen Drogen, die er täglich einschmiss. Früher oder später machte jeder Drogenhändler diesen oder einen ähnlichen Fehler und davon profitierten nun Lady,Larius und Zaddam, die in der Abenddämmerung in einer dunklen Ecke vor Stickies Wohnung standen. Es war ein unscheinbares Haus mit allen möglichen Leuten, die dort wohnten.
Nach einer weiteren Stunde des Wartens, es war schon halb elf Uhr nachts, gähnte Larius de Garde herzhaft. Gerade wollte er unsinnigerweise anmerken, dass er müde sei, da spürte er Rattis Finger wie sie seine Schulter drückten; ihre Kopfbewegung deutete auf den Hauseingang auf der anderen Straßenseite.
Ein Mann ging langsam und bedacht auf die Tür zu. Er trug einen dunklen Mantel, hatte kurze Haare und sah gebeugt und müde aus. In seiner Haltung spiegelte sich Resignation.
Jim hatte keine Lust mehr. Er wollte endlich ein anderes Leben führen...sein Lieblingslied war ihm zuwider. Das Nashorn hatte ihn angeguckt, seine einzigen Worte waren in seinem Kopf. Sie flossen durch seinen Körper wie Lava nach einem Vulkanausbruch. Jim wollte zu Mariaan. Sie war die eine. Sie war das Glück, "Sie ist der Tod", hatte es gesagt.
"Das könnte ein Kunde sein..", wisperte Lady. "Zad, leg an... Larius, gehn wir hin."
"Na, wen haben wir denn da?", stieg Larius sofort ein. "Stehenbleiben!"
Jim drehte sich um. Sie ist der Tod...er fasste sich unter den Mantel an die Brust und ging auf die Wächter zu.
"Stehenbleiben hab ich gesagt! Zad! Schieß!"

Sterne funkelten, das Nashorn lächelte, genauso wie Jim, der mit Mariaan den warmen Sand genoss.



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