Der Heiler

Bisher hat keiner bewertet.

von Korporal D-N-T Vinni (RUM)
Online seit 30. 01. 2003
PDF-Version

Vinnis Ausbildungsfall bei RUM. Weniger als er sich vorgestellt hatte...und doch mehr als er weiß.

Dafür vergebene Note: 11

Vorwort...(mal wieder)

Ich frage mich, wann ich es mir mal wieder leisten kann, eine Single ohne ein solches Vorwort zu schreiben. Jedenfalls möchte ich mich bei meinem Abteilungsleiter und der ganzen Abteilung RUM für diese Single entschuldigen, der ich nicht von Anfang an den Aufwand und die Zeit gewidmet habe, die sie gebraucht hätte. Herausgekommen ist eine höchstens mittelmäßige Geschichte die am Ende unter großem Zeitdruck geschrieben worden ist und mit der ich selbst ganz und gar nicht zufrieden bin. Deshalb auch Entschuldigung an die Leser, denen ich das hier vor die Füße werfe.
Ich hoffe ihr verzeiht mir ;-)

Die Welt erwachte. Langsam und zähflüssig ergoss sich das goldgelbe Sonnenlicht über die Scheibenwelt, ganz so als ob jemand ein großes Honigglas umgekippt hatte. Hin und wieder blieben schwarze Flecken auf der Scheibe zurück, wenn das Licht an eine Vertiefung gelangte, die es nicht ausfüllen konnte, oder von den steinernen Händen eines Gebirges zurückgehalten wurde. In der Mitte, genau im Zentrum des weitläufigen Zentralmassivs, das gemeinhin als "die Spitzhornberge" bekannt war, erhob sich majestätisch der hoch aufragende Göttersitz dieser Welt, der Ort an dem die Geschicke von Völkern gelenkt wurden, der Ort an dem über Krieg, Frieden und Glück entschieden wurde, der Ort an dem man sich über die passenden Spielfiguren fürs nächste Spiel stritt und bisweilen deswegen zu schmollen begann.
Ließ man nun seinen Blick weiter nach unten gleiten, so fiel einem ein kleines, verschneites Tal ins Blickfeld, umgeben von gewaltigen Ausläufern der Berge, nicht weit von Gletschern und Moränen. An dieser Stelle wollen wir ein narratives Zoom anwenden und dieses kleine, in der Welt nicht sehr bekannte, aber dennoch schicksalsträchtige Tal aus der Nähe betrachten.

Zeit: Ein kalter Januarmorgen vor vielen Jahren. Ort: Irgendwo in den Spitzhornbergen.
Ziemlich verlassen stand eine kleine Blockhütte an einem der Zuflüsse des einzigen größeren Flusses in diesem Lande. Sie war aus groben Holzplanken gefertigt und ihr Dach war mit Reet und Stroh gedeckt um seinen Bewohner vor Regen, Schnee und Hagel zu schützen. Draußen neben der Tür stand ein alter Stuhl, der jedem seine quietschende und ächzende Leidensgeschichte erzählte, der sich auf ihn setzte. Unter ihm lag ein Paar alte Lederschuhe, ganz so als ob ihr Besitzer sie hastig abgestreift und dann einfach auf den Boden geworfen hatte. Ein schmaler Trampelpfad führte durch das hohe Gras zum Flüsschen hinunter von wo im Moment angestrengtes Schnaufen zu hören war. Folgte man dem Weg ein Stückchen nach unten, so kam man an einigen ebenso hastig abgeworfenen Kleidungsstücken vorbei: ein alter, aufgeweichter Filzhut mit breiter Krempe, ein Kettenhemd das sich bei genauerem Hinsehen als eine grobe Wolljacke entpuppte und vermutlich aus echter Lancre-Wolle bestand, eine bräunliche Hose, wie sie die Bauern in diesem Land trugen, ein Überwurf aus schwarzem, ziemlich mitgenommenem Samt und ein seltsames Häufchen aus Unterwäsche, das Gefahr lief von dem eisigen Wind weggeweht zu werden, der die Grashalme hin- und herwiegen ließ.
Das Gras reichte bis zu dem kleinen Flussbett hinunter, dessen Wasser so kalt und klar war, dass man jeden einzelnen Kieselstein auf dem Grund erkennen konnte und das, obwohl das Flüsschen durchaus bis zu den Knien eines ausgewachsenen Menschen reichte. Ein Stückchen draußen hörte man monotone Platschlaute und lautes Atmen. Ein Mann stampfte dort fröhlich und vor allem nackt durch das Gewässer, das genau die Temperatur hatte, die man an einem schneelosen aber frostigen Januarmorgen in einem Bergflüsschen in Lancre erwarten würde. Der Mann war schon von etwas höherem Alter, schien aber dennoch vor Lebenskraft zu strotzen, denn er lachte laut, sang ein Lied und schaukelte dabei so fröhlich hin- und her, dass seine spärlichen Haarsträhnen lustig mitwackelten. Dann, wie von einer plötzlichen Erkenntnis getroffen, hielt er während des Liedes inne, blickte nachdenklich ins Wasser und hörte dann mit dem kneippen auf. Ein breites Lächeln erhellte sein faltiges Gesicht und er stieß einen Freudenschrei aus und stürmte daraufhin aus dem Wasser. Wieder am Ufer blieb er stehen, völlig ungerührt von der Kälte die jedem anderen die Zähne hätte klappern lassen, und rief: "Gesund! Endlich gesund! Dank Om dem Allmächtigen, ich bin endlich gesund!!"[1]
Er schnaufte laut und blickte sich um. Ein Kaninchen war neugierig aus den Büschen gehoppelt und saß nun vor ihm auf den Hinterläufen und beobachtete ihn interessiert. Es schien an eine bestimmte Stelle zu schauen und zu grinsen, auch wenn das wohl nur eine Einbildung war. Der alte Mann errötete und fing dann an zu hüsteln. "Nun ja..." stammelte er, "das Wasser ist wirklich sehr kalt, weißt du..." Er blickte das Kaninchen unsicher an und bedeckte dann seine Blöße.

Zeit: 15. Januar. Ort: Der stinkende Sündenpfuhl, der gemeinhin als die große Zwillingsstadt Ankh-Morpork bekannt war.
Schweiß rann Vintongos Rücken hinunter und machte das alte Hemd, dass er unter dem fleckigen und verbeulten Brustharnisch trug, unangenehm feucht und kratzig. Mit zitternden Knien lehnte er an der Wand neben Humph MeckDwarfs Bürotür und kratzte sich immer wieder nervös an einer Narbe am Kinn[2]. Der Oberleutnant und Abteilungsleiter von RUM hatte ihn in sein Büro rufen lassen, doch warum nur? Vinni hatte absolut keine Ahnung, doch die Ereignisse der letzten Zeit hatten den Optimismus, mit dem der Korporal sonst ausgestattet war, fast gänzlich ausgemerzt. Aber was konnte der Grund sein? Tapire hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, ein Umstand den er in den vergangenen Wochen stets betont hatte, und sah sonst einfach keinen Anlass für einen Besuch bei MeckDwarf. Er atmete tief durch, rieb sich die schweißnassen Hände an der Hose ab und klopfte dann zaghaft an die Tür. Ein leises "Herein." war zu hören. Der Korporal räusperte sich kurz, trat dann ein und salutierte schlaff.
Obwohl der Raum eigentlich recht groß war, wirkte Humphs Büro wie eine Art Abstellkammer. Der breite Schreibtisch hinter dem der Oberleutnant saß, war völlig überlaufen von einzelnen Blättern, Aktenmappen, kleinen Schachteln und Briefbeschwerern von zweifelhaftem Geschmack. An der linken Wandseite waren fast bis zur Decke Kartons gestapelt, über deren Inhalt Vintongo nur rätseln konnte. Auf der anderen Seite stand die Wächterausrüstung, also Harnisch, Helm und Schwert des Oberleutnants umgeben von einigen seltsamen Objekten und weiteren Behältnissen auf die in dicken, roten Lettern "RUM" geschrieben worden war. Der Abteilungsleiter war noch ziemlich jung, für seinen hohen Posten, gerade einmal zweiundzwanzig Jahre alt. Durch sein jugendliches Aussehen und die geringe Größe, hätte man ihn fast für einen Knaben halten können, wären da nicht der ernsthafte Gesichtsausdruck und die Rangabzeichen an den Schulterklappen seiner Jacke gewesen, die ihn als Offizier auswiesen. MeckDwarf blickte nun von den Blättern auf, die er gerade las und ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, wie ein Eichhörnchen das eine Straße überquerte. "Hallo Vinni," begrüßte er Tapire ruhig, machte dann Anstalten zu salutieren, schüttelte dann aber den Kopf und sagte: "Ach, lassen wir das. Setz dich einfach." Er deutete auf den Stuhl, der ihm gegenüber stand.
"Kaffee?" fragte Humph freundlich und kramte in dem Chaos auf seinem Tisch herum, als ob er dort das aromatische Getränk finden könnte.
"Äh, nein danke, Sir." Antwortete Vinni und nestelte nervös an seinem Kragen herum.
"Gut, gut. Im Moment ist sowieso kein Gefreiter da, den ich hätte runterschicken können..." grinste der Oberleutnant und griff nach einem zerkauten und abgenutzten Federhalter. "Dann wir ja gleich zur Sache kommen."
Vintongo blickte ihn nur fragend an, immer noch unsicher, was der RUM-Chef von ihm wollte.
"Nun, ich habe gehört, dass du die Abteilung wechseln möchtest..."
Das war es also! Drei-Nervöse-Tapire erinnerte sich. Nach dem er diesen ganzen Ärger mit der Anwaltsgilde überwunden hatte und zurückgekommen war, hatte er in mehreren Gesprächen erzählt, dass er genug von den Gilden und ihren brutalen Methoden habe. An einem Abend, als er zusammen mit den Leuten der SEALS-Tagesschicht im Eimer gewesen war, hatten sie sogar darauf angestoßen, dass Herrn Schräg, dem Oberhaupt der Anwälte, bei passender Gelegenheit etwas Unangenehmes widerfahren möge. Natürlich war das nicht
der erste Toast gewesen, aber es war der einzige, an den sich der Korporal noch am nächsten Morgen erinnert hatte. "Äh," machte er, "Ja...also, in gewissem Sinne, stimmt das, Sir." Eine Ahnung regte sich in ihm und er dachte daran, dass derzeit bei RUM Personalmangel herrschte, was bei dem Aufgabenbereich der Abteilung fatal war. Schließlich waren unlizensierte Morde und Diebstähle in Ankh-Morpork an der Tagesordnung.
"Das trifft sich gut." Fuhr MeckDwarf zwischen Vinnis Überlegungen. "Ich suche zufällig im Moment einen fähigen Wächter." erklärte er und klopfte dabei geistesabwesend mit dem Federhalter auf die Schreibtischkante.
"Und warum hast du mich hergerufen?" fragte Vintongo schnell und ohne vorher zu nachzudenken, was Humph mit einem irritierten Gesichtsausdruck quittierte.
"Du bist ein fähiger Wächter, Vinni. Auch wenn du dir darüber vielleicht nicht im Klaren bist." lächelte er. "Und genau deshalb bist du hier." Dann schien sich die Stimme des Oberleutnants plötzlich zu verändern, rauchiger und älter zu werden. Auch das Büro schien plötzlich anders zu sein. Stickige Rauchschwaden waberten plötzlich durch den Raum und ein seltsames Surren das von der Decke zu kommen schien erfüllte den Raum. Und irgendwo im Hintergrund, glaubte der Korporal ganz leise eine Geige eine fremdartige Melodie spielen zu hören. Ein extrem gutmütiges Lächeln zierte das mittlerweile faltige und ältere Gesicht MeckDwarfs der jetzt neben Tapire stand und er sagte: "Ich mache dir ein Angebot, dass du nicht abschlagen kannst, mein Freund." Verwundert starrte Vintongo ihn an und stotterte verwirrt herum. Doch im nächsten Moment sah das Zimmer wieder völlig normal aus und Humph saß mit besorgtem Gesicht hinter seinem Schreibtisch. "Geht es dir gut, Vinni?" fragte er und zog die Augenbraue hoch. "Du warst gerade völlig abwesend..."
"Ähm...es tut mir Leid" stammelte der Korporal der immer noch völlig verdutzt war und sich unsicher umblickte. "Ich, ich-"
"Du musst wohl noch immer ziemlich kaputt sein, von dem Stress der letzten Wochen." Meinte MeckDwarf und schaute verständnisvoll drein. "Ich kenne die Geschichte."
Tief durchatmen, beruhigte sich Vinni. Der Oberleutnant hatte Recht, die letzte Zeit hatte ihm einfach nur ein wenig aufs Gemüt geschlagen und er hatte einen kurzen Wachtraum gehabt.
"Also," begann der Abteilungsleiter wieder und setzte einen geschäftigeren Ton auf. "Um nicht länger um den heißen Brei herumzureden: Ich will dich bei RUM: Und zwar als mein Stellvertreter."
Das musste Vintongo erst einmal verdauen. Was hatte Humph gesagt? Er wollte ihn? Als seinen Stellvertreter??
Eine Stimme im Kopf des Oberleutnants meldete sich zu Wort und sagte: "Was willst du denn mit dem Trottel da?", doch natürlich konnte der Korporal sie nicht hören. Er hörte nur das wütende "Halt die Klappe!" das MeckDwarf ausstieß.
"Wa-wa-was??"
"Äh, nicht du!" rief er und tippte sich etwas verlegen an die Stirn. "Ähm, also...nimmst du das Angebot an? Du kannst hier auch als verdeckter Ermittler weitermachen, müsstest dich also in keine neue Spezialisierung einarbeiten. Nur die Szene, darüber müsstest du dir noch Wissen aneignen. Im Gegensatz zu DOG, müssen wir uns unsere Informationen nämlich selbst beschaffen!"
Tapire nickte matt und überhörte die gehässige Bemerkung über seine alte Abteilung. Es war eine große Chance und außerdem ziemlich verwunderlich, direkt nach der Rückkehr aus dem Gefängnis. "Und du meinst wirklich, dass ich dafür geeignet bin??" fragte er nach einigen Sekunden nachdenklich?
"Ich kenne niemanden, der besser geeignet wäre!" meinte Humph bestimmt und setzte ein Lächeln auf.
Korporal Drei-Nervöse-Tapire Vintongo, verdeckter Ermittler und Stellvertreter von RUM, das klang gar nicht schlecht, fand Vinni.
"Ich bin froh, dich im Thiem zu haben, Vinni." Meinte der Oberleutnant, erhob sich und klopfte dem Korporal auf die Schulter. "Und wegen deiner Ausbildung...tja, derzeit sieht es ein wenig schlecht aus. Wir haben zwar viele Fälle, aber im Moment keinen auf den ich dich ohne Vorkenntnisse loslassen will. Es dauert noch ein paar Tage bis wir neue Leute bekommen. Hoffentlich ist unter den Gefreiten auch ein Anwerber, wir brauchen Informanten! Aber bis das soweit ist, kannst du dich schon mal im Archiv einlesen. Ich lass dich rufen, wenn ich einen Ausbildungsfall für dich habe, okay?"
"Ja, Sir!" rief Vintongo und salutierte fröhlich, aber nicht sehr elegant.
"Lass den Quatsch. Ich bin Humph und wäre froh wenn du mich einfach so nennen würdest. Aber wag ja nicht, dir irgendeinen bescheuerten Kosenamen auszudenken!" setzte der Oberleutnant hinzu und dachte an die kläglichen Versuche anderer Kollegen.
"Verstanden...Humph." sagte der Korporal ernst und nickte. Dann war es also beschlossen.

Zur selben Zeit an einem anderen Ort.
Der alte Mann lächelte gutmütig und reichte dem Knaben ein Handtuch. "Deine Gesundheit ist mir Lohn genug. Geh nun heim zu deiner Mutter." Sagte er mit seiner rauchigen, aber angenehmen Stimme und klopfte dem Jungen sacht auf die Schulter.
"Un-und du willst wirklich kein Geld?" piepste das Kind und pfiff laut durch eine seiner zahlreichen Zahnlücken.
"Nein. Aber wenn du mal wieder in der Nähe bist, dann denk an den alten Lorenz und komm mich besuchen. Weißt du, in meinem Alter komme ich nicht mehr so oft aus dem Haus und kann mir die neuesten Geschichten anhören." erzählte der Mann mit einem leicht traurigen Blick. "Aber du wirst mich bestimmt auf dem Laufenden halten, stimmt's?" fügte er mit einem verschwörerischen Lächeln hinzu und fuhr mit seiner faltigen Hand in eine der Taschen seines weiten, schwarzen Gewandes. Nach einem kurzen Moment kehrte die Hand mit einem Bonbon zurück und überreichte es dem begeistert nickenden Kind. "Jetzt aber hopp-hopp!" rief Lorenz und lachte. Der Knabe bedankte sich artig, verabschiedete sich dann und verließ das Haus.
Als er wieder alleine war, seufzte der Alte laut auf und ließ sich auf einen knarrenden Stuhl nieder. Der warmherzige Gesichtsausdruck war einer schmerzerfüllten und sorgenvollen Miene gewichen die mit trübsinnigen Augen um sich blickte, während die Hände einen Tabakbeutel, Blättchen und eine Streichholzschachtel aus dem langen Gewand zogen. Leicht zitternd drehte er sich eine Zigarette und steckte sie sich an. Lorenz hustete beim ersten Zug laut und keuchend auf. "Ach Herr! Mein ganzes Leben lang hast du mich vor den Lastern der Welt bewahrt und doch hast du mir im Alter dieses hier noch aufgebürdet!" sprach er mit einem leicht nach oben gerichteten Blick und nahm einen weiteren Zug an seiner Zigarette. Es knisterte plötzlich hinter ihm und sein Gesicht erhellte sich merklich. Ein Eichhörnchen war durch das schmale Fenster hineingehüpft und in dem trockenen Kobel gelandet, den er extra für die Nager gebaut hatte. Das Tier flitzte fröhlich durch den Raum und hüpfte vor dem alten Lorenz auf den Tisch. Vorsichtig strich er dem niedlichen Fellbüschel über die Pinselohren und kraulte es, woraufhin das Eichhörnchen einen vergnügten Laut von sich gab. Er kramte in den scheinbar unendlichen Tiefen seiner Taschen und zauberte eine Haselnuss daraus hervor die er dem Tier gab und dann milde lächelnd aufstand. Langsam schritt er zu seinem alten Schreibtisch hinüber, nahm dort Platz und schlug das Geschäftsbuch des neuen Jahres auf.
Lorenz Springquell war siebenundsiebzig Jahre alt und hatte die Blüte seines Lebens bereits lange überschritten, seine Popularität sollte jedoch gerade jetzt noch stark ansteigen, doch das wusste er nicht. Er war der Sohn einfacher Bauern aus Lancre und hatte sich, sehr zum Unmut seines Vaters, schon früh dazu entschieden, ein Verkünder von Oms Worten zu werden. Im Alter von fünfzehn Jahren war mit einem der Wanderpriester mitgezogen, die manchmal durch sein Dorf gekommen waren und von ihm hatte er auch das Priesterhandwerk gelernt und später in Ankh-Morpork die Weihe erfahren. Dann, nach einigen ereignis- und erfolglosen Jahren in seiner Heimat, hatte er sein Wunder erlebt. Und nun war er hier. Wieder mitten in der größten Stadt der Welt und jeden Tag damit beschäftigt Leute an seinem Wunder teilhaben zu lassen. Er erinnerte sich noch ganz genau an den Moment...
Erfrischend spritzte das eiskalte Wasser über seine Kranken Beine und ersetzte die dauernden Schmerzen mit einem Gefühl der Jugend und Beweglichkeit. Neue Lebenskraft strömte durch die verkrampften Adern und breitete sich im ganzen Körper aus...
Lorenz schüttelte fahrig den Kopf. Jetzt war keine Zeit in alten Erinnerungen zu schwelgen. Die Leute hatten ein wenig Gesundheit in dieser schmutzigen Stadt bitter nötig und wer außer ihm und seinen Leuten konnte sie ihnen geben? Wahrscheinlich niemand. Auch nicht der Haufen Quacksalber mit denen er sich nachher noch würde befassen müssen. In seinen Augen waren sie Abschaum, Leute die den Armen ihr letztes Geld aus der Tasche zogen um sich selbst zu bereichern. Aber in harten Zeiten musste man selbst mit solchen Verbrechern zusammenarbeiten, wenn man sein eigenes Geschäft am Leben erhalten wollte. Schließlich war es seine Aufgabe, sein Lebenswerk. Und doch merkte er, dass es bald vorbei sein würde. Er musste sich endlich entscheiden: Wen sollte er zu seinem Erben erklären und das Geschäft, nein, das Hospital, hinterlassen? So viele Gedanken und Fragen gingen ihm im Kopf umher dass er bald nicht mehr wusste was er tun sollte. Nach Konzentration suchend betrachtete er eines seiner Eichhörnchen wie es die Nuss, die er ihm gegeben hatte, genügsam aufsparte und sie zur sicheren Verwahrung in den Kobel hinüber schleppte.

Zeit: Derweil. Ort: Nur zwei Zimmer weiter.
"Alter Narr!" rief Consens Schmetterling erbost aus und schleuderte seinen Federhalter voller Wut gegen die Wand. Es war doch wirklich nicht zu fassen! Hatte Lorenz denn überhaupt keine Ahnung von geschäftlichen Dingen oder Politik?? Consens begriff es einfach nicht: Der Alte sträubte sich entscheiden dagegen, mit anderen 'Heilern' in der Stadt zusammenzuarbeiten aber gleichzeitig hielt er auch nichts davon sie auszustechen um das eigene Klientel zu erweitern. Was hatte ein Geschäft für einen Sinn wenn man nicht versuchte positiv zu wirtschaften?! Sogar Schnapper war ein besserer Geschäftsmann als der Alte!
Die springquellsche "Kurklinik" basierte auf dem Prinzip der freiwilligen Spende[3]. Hatte der Alte mit seinen seltsamen Behandlungsmethoden Erfolg, so zeigten sich die Leute dafür erkenntlich. Die Tatsache, dass er den Ärmsten sagte, sie bräuchten ihn nicht zu bezahlen hatte schnell seinen Ruf als "Armendoktor" und Wohltäter verbreitet und er war recht schnell in den ganzen Schatten bekannt geworden als der Mann, zu dem man gehen konnte, wenn man sich schlecht fühlte. Jeder liebte den alten Lorenz, sein gutmütiges Lächeln und seine aufmunternden Worte.
Consens Schmetterling war sein Verwalter, nannte sich selbst jedoch lieber 'Geschäftsführer'. Er war etwas über zwanzig Jahre alt und hatte dunkle, streng zur Seite gekämmte Haare. Auf seinem Kinn hatte er eine große, vom vielen Kratzen gerötete Warze aus der ein einzelnes, langes Haar spross. Als junger Bursche von der Straße war er beim alten Lorenz untergekommen und hatte in ihm eine Art Vaterfigur gefunden. Doch er stand der seltsamen Wasserbehandlung die sein Mentor praktizierte schon immer skeptisch gegenüber und hielt es für ein reines Schauspiel um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. So hatte Consens dann auch absolut kein Interesse daran gehabt, die "Heilkunst" zu erlernen. Schon früh begann er sich mehr für Statistiken und Bilanzen zu interessieren und begann, nachdem man ihm das Schreiben beigebracht hatte, alle Kunden mitsamt ihren Spenden fein säuberlich zu protokollieren und sie den Ausgaben des über die Jahre immer größer gewordenen "Spitals" gegenüberzustellen. Umso wütender machte ihn die marode Finanzpolitik die der Alte derzeit anordnete und die Tatsache, dass er aus unverständlichen Gründen die Zusammenarbeit mit anderen, ähnlichen Organisationen in der Stadt kategorisch ablehnte. Dieser Weg führte nirgendwohin, höchstens in den Ruin!
Mit trotzigem Gesichtsausdruck schlug Schmetterling seine Kopie des Geschäftsbuches zu und verließ sein kleines Büro. Mittlerweile musste man Springquell schon an seine Termine erinnern. Aber vielleicht war das bald vorbei. Hoffnung keimte in dem jungen Mann auf. Lorenz war alt und ganz und gar nicht mehr so gesund wie früher...

"Ah, Conny mein Junge!" begrüßte der alte Heiler seinen Verwalter.
Consens hasste es, wenn er "Conny" genannt wurde, es gab für ihn neben unbezahlten Rechnungen und lückenhaften Tabellen kaum etwas Schlimmeres. "Hallo." sagte er dann auch dementsprechend mürrisch und trat an den Schreibtisch seines Mentors heran. "Ich hoffe, du hast deinen Termin nicht vergessen..."
"Termin? Was denn für einen Termin?" wollte Lorenz wissen und kramte in seinem Gewand nach dem Tabakbeutel.
"Vier Uhr Nachmittags: Treffen mit dem inoffiziellen Heilerkollegium Ankh-Morporks. Esoterische Straße 1." ratterte Schmetterling monoton herunter und seufzte danach vorwurfsvoll. "Du hast es vergessen, nicht wahr?" fragte er und legte die Stirn in Falten.
"Nun...jetzt da du mich erinnerst, fällt es mir wieder ein!" rief der Alte und zwinkerte. "Natürlich...Das Treffen mit den Quacksalbern und Scharlatanen. Blutsauger sind das, jawohl! Ziehen den Armen das Geld aus der Tasche mit esothermischem Unfug!" entrüstete er sich und stand schwerfällig auf.
"Erstens bin ich mir sicher, dass viele Leute das Selbe von uns behaupten und zweitens heißt es esoterisch." meinte Consens ernst und blickte angewidert auf einen großen, gelblichen Fleck den wohl eines dieser widerlichen Eichhörnchen auf dem alten Holz des Schreibtisches hinterlassen hatte. Er machte sich eine geistige Notiz später Schreibtischpolitur zu besorgen. Vermutlich würde er die giftige Sorte brauchen, die die Alchimisten herstellten um diese Sauerei wieder wegzubekommen.
"Und..äh, wie viel Uhr ist es?" fuhr Lorenz mit verwirrter Mine und müder Stimme zwischen seine Gedanken.
"Circa halb vier. Du machst dich also besser gleich auf den Weg." Sagte Schmetterling säuerlich und fügte dann noch sehr eindringlich hinzu: "Und hör bitte endlich auf meinen Rat, ja? Diese Leute versuchen, genau wie du, anderen Leuten zu helfen. Und es ist nicht verwerflich, dass sie dafür eine kleine Gegenleistung fordern! Es ist sogar gut, weil sie dadurch ihre Betriebe vergrößern können und somit mehr Leute heilen können, verstehst du das?"
Der alte Lorenz nickte matt, blickte aber leicht unbehaglich drein. "Trotzdem Consens...ich vertraue denen und ihren komischen Methoden nicht! Wie soll ich mit solchen Leuten zusammenarbeiten??"
"Tu es einfach. Bitte. Du wirst davon nur profitieren, das verspreche ich dir! Sieh mal, im Moment bist du nur in den Schatten bekannt und deine Kollegen haben auch nur Patienten aus ihren jeweiligen Stadtteilen. Tut ihr euch aber zusammen und werbt für die Gesundheit, so könnt ihr bald die ganze Stadt heilen!" rief der Verwalter freudig aus. "Und vielleicht, "seine Augen blitzten auf, als er das sagte, "wird man euch irgendwann sogar Gildenstatus verleihen!"
Müde rieb sich der Alte die Schläfen. "Nun gut, ich vertraue dir und deinem Rat. Ich werde versuchen mit ihnen zusammenzuarbeiten." murmelte er und kam dann hinter dem Tisch hervor. "Ich gehe zu Fuß." Kündigte er an und griff sich einen alten Gehstock mit Messingknauf, der an der Wand gelehnt hatte. Dann verließ er, plötzlich wieder aufrecht und gut gelaunt, fröhlich vor sich hin pfeifend das Haus.

Derweil in Drei-Nervöse-Tapires Büro.
Müde und gelangweilt sah sich der Korporal in dem so gut wie leeren Raum um. Der einzige Einrichtungsgegenstand war ein alter, zerkratzter Schreibtisch, der aber völlig leer und eingestaubt war. Die fahlen Lichtstreifen die durch das zum Platz ausgerichtete Fenster hineinfielen, ließen tanzende Staubkörnchen erkennen, die durch das Öffnen der Tür aufgescheucht worden waren. Tapire hatte es eigentlich gerne, wenn in seinem Büro ein paar persönliche Dinge herumstanden, aber als er vorhin bei seinen ehemaligen Kollegen von DOG gewesen war, hatte man ihm nur alles Gute für die weitere Karriere gewünscht und mit beschämten Blick erzählt, dass man den Schlüssel zu seinem Büro verloren habe. Und die Tür wollte man ja auch nicht einfach aufbrechen, doch man würde das Ding bestimmt bald wieder finden, hatte Mückensturm gemeint und gelächelt. Vintongo zuckte mit den Schultern. Er musste es eben erst einmal eine Weile ohne Einrichtung aushalten. Wahrscheinlich würde er als stellvertretender Abteilungsleiter bei RUM auch genügend zu tun und keine Zeit für solche Nebensächlichkeiten habe. Einen letzten Blick auf das unpersönliche Büro werfend verließ er es um sich in das Archiv einzuarbeiten, wie Humph es ihm aufgetragen hatte.

Zeit: Später Nachmittag des 15. Januars. Ort: Esoterische Straße, AM.
Lorenz ächzte laut, als er in die esoterische Straße einbog und hielt sich den Rücken. Er hatte mit der Zeit fürchterliches Rheuma bekommen, doch nie daran gedacht, sich selbst behandeln zu lassen. Seine eigenen Probleme denen anderer vorzuziehen fand er egoistisch und hielt es Ehrensache sich zuerst um alle Patienten zu kümmern.
Die Esoterische Straße war eine der etwas außergewöhnlicheren Gegenden der Stadt. Nicht das die Leute hier besonders arm oder besonders reich gewesen wären, sie schlichtweg anders: Ein Irrenhaus mit Straßennamen, nannten sie einige Leute. Hier wohnten Leute die sich selbst als alternativ ansahen und darauf bedacht waren, dass sich dies auch verbreitete. So gab es verrückte Verschwörungstheoretiker, spinnende Spiritisten, durchgeknallte Denker, manische Medien und natürlich wahnsinnige Wunderheiler, die sich auf die Kraft von Kräutern, Steinen, freier Energie und schimmeligem Brot beriefen. Im Gegensatz zur restlichen Bevölkerung die solche Methoden entweder für Humbug hielt, oder nach dem Prinzip "Schaden kann's ja nicht" handelte, glaubten die Bewohner dieser Straße wirklich an diese Dinge. Mit der Zeit war der "gute Ruf" entstanden, der sagte, dass dies ein Ort der Wunder sei. Doch die meisten Bewohner zuckten nur lächelnd mit den Schultern, wenn man sie darauf ansprach.
Kam man aus Richtung Patrizierpalast, so lagen am Anfang der Straße mehrere kleine Wohnhäuser aus Stein mit hölzernen Dächern und ein kleines Geschäft dessen angelaufene Glasscheibe die Aufschrift "Huberts Lädchen" trug. Weitere Läden und mittelgroße Häuser, deren Bewohner teilweise auf kleinen Holzbänken herumsaßen, rauchten und sich unterhielten, folgten wenn man entlangging. Am Ende erhob sich dann ein großes Gebäude mit dicken Wänden und gut gedecktem Dach, das jedoch ohne irgendeine Aufschrift war. Der alte Lorenz hielt darauf zu, denn er ging davon aus, dass dies das "Hauptquartier" seiner Kollegen sei. Ein runzliger, alter Mann mit Augenklappe grüßte ihn freundlich als er an ihm vorbeihumpelte und stopfte sich die Pfeife.
Als der Heiler an seinem Ziel angelangt war, klopfte er dreimal kurz mit seinem Spazierstock gegen die schwere Tür und wurde kurz darauf von einer jungen Frau eingelassen. Drinnen sah es genauso aus, wie Lorenz es von diesen Firlefanz-Möchtegernmagiern erwartet hatte: Ein großer Tisch mit edlen Schnitzereien stand im Zentrum, während die Fenster von weinroten Vorhängen verdeckt waren. Ein teuer aussehender Kerzenständer schuf mit seinem flackernden Licht eine leicht mystische Atmosphäre und ließ mehrere Türen und eine Treppe, die nach oben führte, erkennen. Um den runden Tisch saß eine Hand voll seltsam gekleideter Leute: Ein Mann mittleren Alters mit langem Schnauzbart und einem unansehnlichen, grünen Hut, eine ältere Dame mit mehr Schminke im Gesicht als eine Näherin und weitem, violettem Gewand, ein junger Bursche mit wachem Blick und kurzen, blonden Haaren und noch ein paar weitere Personen.
"Ah, Herr Springquell!" rief der mit dem Hut freudig, als er den Alten erblickte und erhob sich. "Setz dich doch gleich! Möchtest du etwas zu trinken? Vielleicht einen belebenden Tee?" brabbelte er in seinen Bart und führte den Wasserheiler zu einem freien Stuhl.
"Danke nein." Erwiderte dieser, setzte sich und blickte sich skeptisch um. War es wirklich nötig, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten?? Er hasste diese verfluchten Quacksalber mit ihrer Geheimniskrämerei und ihren komischen Gewändern! Sein Wasser hingegen war etwas Klares, Verständliches. Etwas auf das sich die Leute verlassen konnten.
"Lasst uns gleich zur Sache kommen." sagte der junge Mann, der ihm gegenüber saß und lächelte freundlich. "Es wird Zeit die Leute in dieser Stadt gesund zu machen!" rief er und erntete dafür fröhlichen Beifall. "Und das können wir nur erreichen, indem wir zusammenarbeiten. Wir alle, die wir uns heute hier versammelt haben, arbeiten auf ein gemeinsames Ziel hin. Warum also sollen wir nicht unsere Kräfte vereinen? Zusammen können wir unsere Hilfe populär machen! Jeder Bürger Ankh-Morporks würde, selbst wenn er sich auf dem Sterbebett glaubt, wissen, dass es Heilung gibt. Wir können uns nicht länger gegenseitig ausstechen - wir müssen uns zusammenschließen. Das sind wir den Kranken und Hilflosen schuldig!" sprach er eindringlich und blickte dabei die gesamte Gesellschaft mit seinen durchdringenden, blauen Augen an. "Was auch immer eure Methode sein mag, Heilsteine, Kräuter, Energie" und mit einem anerkennenden Seitenblick auf Herrn Springquell: "oder einfach die reine Kraft des Wassers - die Zeit ist gekommen, da diese Stadt zu einem besseren Ort gemacht wird!"
"Pah!" rief Lorenz plötzlich dazwischen und erschrak dann ein wenig als sich alle Köpfe zu ihm drehten. Verlegen starrte er auf die Tischplatte und nestelte an seinem Gewand herum. "Äh nun..."
"Ja, Herr Springquell?" fragte der Redner verständnisvoll und mit einem widerlich freundlichen Lächeln.
"Ach..ach verdammt noch mal!" knurrte der Alte und sprang auf. "Euch geht es doch gar nicht ums Heilen und Helfen! Ihr wollt euch nur zusammenschließen um die Patienten unter euch austauschen zu können und ihnen mit euren Betrügereien noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, als ihr es jetzt schon tut!" Er schnaubte wütend und deutete mit einem knorrigen Zeigefinger auf den jungen Mann. "Ihr seid Diebe! Nichts weiter als dreckige Diebe!" schrie er. "Ich sollte euch bei der Gilde anzeigen, weil ihr ohne Lizenz stehlt! Ihr seid keine Heiler, die ihr ganzes Leben dafür aufwenden anderen zu helfen! Ihr seid nichts weiter als Fallobst!" Seine Schultern bebten und Hass flammte in seinen Augen auf, während er immer noch mit erhobenem Finger da stand und die Herren der Esoterischen Straße zurechtwies.
"Ich glaube du bist nicht ganz auf dem Stand der Zeit, Herr Springquell." Durchschnitt auf einmal die scharfe Stimme einer violett gekleideten Dame von mittlerem Alter die drohende Stille. "Ich würde an deiner Stelle nachdenken, bevor ich spräche. Du bist nicht mehr der Jüngste. In wenigen Jahren wird man dir wohl ein armseliges Begräbnis und einen groben Grabstein spendieren und sie werden dich auf dem Hinterhof irgendeines Tempels einbuddeln. Und das ist noch eine der besten Aussichten. Sieh es ein, Alter: Du bist so gut wie tot und du hast nur noch zu entscheiden ob du deine letzten Jahre glücklich verbringen möchtest oder nicht." Stille schloss sich an und verdichtete sich nach kurzer Zeit zu einer unheilvollen Atmosphäre. Lorenz war bleich geworden. Er sah nicht mehr aus, wie der vor Lebenskraft strotzende, immer gut gelaunte Wasserheiler, der nachts unbehelligt durch die Schatten spazieren konnte, weil man ihn mochte. Jetzt sah er nur noch wie ein alter Mann aus. Jemand an dem das Leben vorbeigezogen war und eine müde, traurige Figur hinterlassen hatte. Mit leeren Augen setzt er sich wieder.
"Und natürlich geht es uns auch um die Leute..." fügte der junge Redner hinzu. "Sieh mal: Wenn wir unsere Kräfte vereinen, so erfahren immer mehr Leute, dass es jemanden gibt der ihre Krankheiten behandeln kann. Irgendwann können wir vielleicht die gesamte Stadt versorgen und bekommen Gildenstatus verleihen! Stell dir das einmal vor, Herr Springquell!"
Aber der alte Lorenz schüttelte nur müde den Kopf. Er wusste, dass sie ihn brauchten um ihr Einflussgebiet auch auf die Schatten auszuweiten, doch er wollte es nicht. Rau und krächzend war seine Stimme als er sie wieder erhob: "Selbst wenn ich bald sterbe, ich habe jemanden der mein...Geschäft fortführen wird." Sagte er und spie das Wort 'Geschäft' so verächtlich aus wie er nur konnte.
"Achja?" Die violette Frau grinste gemein. "Du meinst doch nicht etwa den jungen Herrn Schmetterling, oder? Erst vor einigen Tagen hat er einem von unseren Leuten erzählt, dass er gleich nach deinem Tod euer Haus verkaufen und sich eine Anstellung bei einer der Gilden sichern würde."
"Lügen!!" schrie Lorenz erbost und hub mit der Faust auf den Tisch. "Und die die Zwietracht unter euch säen, sollen brennen in den ewigen Flammen der Quisition. Ossory 14." rezitierte er in giftigem Ton und fasste die kleine Schildkröte, die er um den Hals trug. Er war immer noch ein Diener Oms, auch wenn weitaus liberaler war als die meisten anderen Priester. Doch er kannte die Bücher der Propheten gut und die gemeinen Stellen hatte er sich besonders gut einprägen können. Doch zu seinem Erstaunen löste der Spruch nur verächtliches Gelächter aus. Die Herren der Esoterischen Straße lachten laut und grell über ihn, dem Einzigen dem es wirklich um die Leute ging. Die Laute fraßen sich tief in sein Gehör und seine Seele ein und er sollte sie bis ans Ende seines Lebens nicht mehr vergessen.
Wütend sprang er vom Tisch aus, so dass sein Stuhl zu Boden fiel und stapfte fluchend aus dem Raum. Man hörte nur noch den lauten Türknall als er das Gebäude verließ.

Währenddessen in einem kleinen Laden am anderen Ende der Stadt...
Keuchend lehnte sich Consens Schmetterling gegen die Tür und schnaufte hingebungsvoll. Er war auf dem Weg zu dem kleinen Geschäft recht unachtsam und in Gedanken gewesen. Als er den Grunimarkt überqueren war plötzlich ein seltsames Gefährt mit einer lauten Tröte am vorderen Ende herangerast, dessen Fahrer wie irre geschrieen hatte. Consens wäre von dem Gestell-mit-zwei-Reifen-dran-zum-durch-die-Gegend-rollen, wie es der Besitzer später genannt hatte, beinahe überfahren worden, hätte er nicht in allerletzter Sekunde einen beherzten Sprung zur Seite gewagt. Dadurch war er zwar im Rinnstein gelandet und hatte mit einigen übel riechenden Dingen Bekanntschaft gemacht, doch war er nun immerhin noch am Leben. Der Fahrer des Gefährts hatte allerdings gleichzeitig ein Ausweichmanöver gestartet und war mit dem Karren einer alten Gemüsefrau zusammengestoßen, wobei sein Fahrzeug ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden war. Sofort hatte die Alte begonnen den Zwerg zu verfluchen und ihm mit unerschütterlicher Autorität befohlen die Möhren wieder aufzusammeln, die vom Karren gefallen waren. Denn niemand rühre ihr Gemüse an, sagte sie und der, wie sie ihn nannte, kleine Mistkerl, könne froh sein, dass ihr Karren nicht beschädigt worden war. Und obwohl der Zwerg sich das Gefallen ließ, suchte er sofort ein Ventil für seinen Zorn und schrie den jungen Consens an, der immer noch leicht benommen im Rinnstein lag. Doch als Schmetterling die große, schartige Axt erblickte, die der Zwerg plötzlich herausgezogen hatte, rannte er so schnell wie noch nie die Straße hinunter, nahm dann eine Abkürzung durch zwei Gässchen und war voller Panik in den kleinen Laden für Reinigungsutensilien gestürmt.
Mit immer noch pochendem Herz schritt er zum Tresen und grüßte den Verkäufer.
"Tag! Was kann ich für dich tun?" sagte der ältere Mann, dessen mehr oder weniger weißer Kittel ihn als Alchimisten auszeichnete und dessen ansonsten kahler Kopf von einem grauen Haarkranz gekrönt war.
"Ich brauche Schreibtischpolitur." Sagte Consens und wischte sich mit der anderen Hand den Schweiß von der Stirn während er seine Brille nach oben schob, was er für gewöhnlich ungefähr dreimal pro Minute machte.
"Welches Holz, welche Flecken?" wollte der Alchimist wissen und zupfte sich an einem letzten Rest noch verbliebener Augenbrauen herum.
"Ääh...Eiche." stammelte Lorenz Springquells Ziehsohn und nach kurzem Zögern fügte er hinzu: "Eichhörnchen-äh-pis-"
"Au Weia!" rief der Verkäufer aus und begann sofort auf dem langen Regal hinter ihm herumzusuchen. Nach einigen Sekunden nahm er einen schmierigen Bottich herunter und knallte ihn auf den zerkratzten Tresen. "Tinktur 187." sagte er ernst und fachmännisch. "Löst alle Flecken auf und noch ein bisschen was von dem was drunter ist. Hat uns Jahre gekostet, das Zeug zu entwickeln und der alte Zinkzahn spuckt morgens immer noch Blut." Ein irres Grinsen huschte über das Gesicht des Alchimisten und entfachte eine böse Vorwarnung in Herrn Schmetterling. Aber egal, er wollte den Schreibtisch wieder sauber kriegen, wie jedes Mal. Nur schien es diesmal endgültig zu sein.
"Nur mit 'nem Atemschutz benutzen! Und lass den Raum danach mindestens zwei Stunden gut durchlüften, klar?" gab der Verkäufer seine Instruktionen und holte schon einmal den Beutel mit dem Wechselgeld hervor.
Consens nickte nur. Egal was das die Alchimisten da wieder zusammengepanscht hatten, es würde sicher helfen die Flecken dieser unseligen kleinen Mistviecher wegzukriegen, die aus für ihn unerfindlichen Gründen ständig ins Büro des alten Lorenz hereinkamen. Er hasste sie abgrundtief mit ihren widerwärtigen kleinen Klauen und Nagezähnen und dem drahtigen Fell das sich in Büscheln im ganzen Raum verteilte. Einmal hatte er sogar eine Eichhörnchenfalle gebaut und aufgestellt, aber der Alte hatte sie stillschweigend wieder entfernt bevor Consens damit eins der Biester hatte erwischen können. Vielleicht könnte er ein oder zwei von ihnen in die Politur tauchen wenn er die Flecken entfernt hatte. Verdient hätten sie es ja diese dreckigen, kleinen Nager.
Und während Consens Schmetterling seinen grausamen Gedanken nachging bezahlte er schnell und verließ dann mit dem Bottich voller Tinktur 187 den Laden und kehrte zum 'Hospital' zurück.

Dort angekommen begann er sofort mit der Reinigungsaktion. Er band sich ein Handtuch um den Kopf, so dass die Augen zwar frei, Mund und Nase aber geschützt waren. Dann streifte er sich ein paar alte Lederhandschuhe, die einer der Patienten letzten Winter hier vergessen hatte, über und nahm einen Lappen zur Hand. Vorsichtig hievte er den Bottich mit der giftigen Politur in das Büro des alten Lorenz und stellte ihn neben dem breiten Schreibtisch ab. Er glaubte ein Rascheln gehört zu haben, als er die Tür geöffnet hatte und blickte sich misstrauisch nach eventuell anwesenden Eichhörnchen um.
Herr Schmetterling überprüfte noch mal den Sitz seines Atemschutzes und öffnete dann vorsichtig den Deckel des Eimers mit der Tinktur 187. Es zischte bedrohlich und ein übel riechender Dampf strömte heraus. Ein gefährliches Glitzern huschte durch Consens' Blick.

Inzwischen vor dem 'Hospital'...
Zweifel nagten an dem alten Mann wie eines seiner geliebten Eichhörnchen an einer Haselnuss. Was war, wenn diese Quacksalber Recht hatten? Was, wenn er Consens wirklich nicht vertrauen konnte und dieser nur auf seinen Tod wartete um dann endlich alles aufzulösen? Nie hatte der junge Kerl sich für Lorenz' Heilmethoden interessiert, er hatte es sogar vehement abgelehnt, als der Alte ihm angeboten hatte, ihn darin zu unterrichten. Immer war Consens nur auf Bilanzen und Tabellen und volle Geldbeutel aus gewesen, doch Herr Springquell hatte sich nichts dabei gedacht. Schließlich sollte jeder nach seiner eigenen Faßong leben und tun. Hinzu kam noch der unheimliche Hass des Jungen auf die kleinen Eichhörnchen, die Lorenz oft besuchten, weil sie genau wussten, dass der gutmütige alte Kerl immer ein paar Nüsse und ähnliches für sie übrig hatte. Er fragte sich woher dieser Hass wohl kam? Wahrscheinlich war es eine Art Kindheitstrauma von Consens gewesen. Als er nämlich um die acht Jahre alt gewesen und gerade erst bei dem Wasserheiler aufgenommen worden war, hatte ihn Eines gebissen. Lorenz erinnerte sich genau: Der Junge betrachtete die kleinen Geschöpfe lächelnd und versuchte sie zu streicheln. Und im nächsten Moment schrie er plötzlich wie am Spieß und als der Alte aufgeregt herangestürmt war, sah er das braunrote Fellbüschel, das sich im rechten Zeigefinger des Jungen verbissen hatte. Wütend schleuderte der junge Schmetterling es gegen eine Wand und zwar so lange bis es losgelassen hatte. Dann hatte ihn die Raserei gepackt und er hatte blind vor Wut mit dem Fuß nach dem armen Geschöpf getreten, welches ein schmerzvolles Ende unter einem Ekel erregenden Knirschen nahm.
Lorenz legte die Stirn in Falten. Der rachsüchtige Blick in Consens' Augen hätte ihn schon damals beunruhigen sollen, aber er hatte es abgetan. Kindliche Tollheit hatte er gedacht, aber jetzt sah er klarer. Irgendeine verborgene Wut hatte schon immer in Consens Schmetterling geschlummert. Zurzeit mochte er sie noch im Zaum halten, aber sie würde sicher bald in Kaltherzigkeit umschlagen, wovon er viel brauchen würde um das 'Hospital' aufzulösen und zu verkaufen. Ja, vermutlich hatten diese...esoterischen Leute ausnahmsweise die Wahrheit gesprochen. Auch wenn Herr Springquell immer versucht hatte, wie ein Vater für den Jungen zu sein, merkte er nun doch, dass er sich nicht auf ihn verlassen konnte. Hah!, dachte er. Nur die Eichhörnchen sind verlässlich. Sie kommen mich jedes Jahr wieder besuchen, wenn ihr Vorrat in den Bäumen aufgebraucht ist. Ihr Vorrat...
Es ging nicht nur darum, den Leuten weiterhin zu helfen, Lorenz wollte auch einen Erben. Jemand der seine Arbeit fortführen wurde und dem er seine Ersparnisse anvertrauen konnte, auf dass er sie zum Wohle der Patienten einsetzen würde. Wusste Consens überhaupt von der kleinen Truhe im Schlafzimmer unter dem Bett? Dem alten Springquell kam eine Idee.

Leise war er durch das Haus geschlichen. Den jungen Consens hatte er nirgendwo gesehen, vermutlich war er unterwegs um irgendetwas einzukaufen. Lorenz stand in seinem kleinen Schlafzimmer neben dem quietschenden Bett ging langsam in die Knie. "Verdammtes Rheuma.." murmelte er vor sich und zog dann eine kleine Truhe, mehr eine Schatulle unter dem Bettkasten hervor. Sie war alt, mit schönen Schnitzereien verziert und hatte Messingbeschläge an den Angeln. Langsam öffnete er sie und betrachtete lächelnd die funkelnden Rubine darinnen. Vor einigen Jahren hatte er genügend Geld zusammen gehabt und einer seiner Patienten, ein Zwerg der mehrere Minen besaß, hatte ihm geraten, seine Ersparnisse in Edelsteinen anzulegen, weil deren Preis in den nächsten Jahren erheblich steigen würde, da es irgendein Problem bei der Ausbeutung gäbe. Auf diesen Rat hin war Herr Springquell zu einem Juwelier für reiche Leute gegangen, der den alten Mann zuerst von seinen Türwächtern wieder hinauswerfen lassen wollte, weil er gedacht hatte, der Greis im Priestergewand würde zum Betteln kommen. Doch als Lorenz die klirrenden Geldsäcke herausgeholt hatte, hatte sich die Stimmung des Juweliers schlagartig geändert.
Hier saß der alte Priester nun mit seinem ganzen über die Jahre durch großzügige und vor allem freiwillige Spenden angehäuften Ersparnissen.
Nein, Consens sollte sie nicht bekommen und sie für seine eigenen, egoistischen Zwecke ausgeben. Wenn er schon bald sterben würde, und darin war sich Lorenz seltsamerweise ziemlich sicher, dann wollte er wenigstens noch etwas annähernd Gutes tun. Er wollte dem Schicksal selbst den Reichtum anvertrauen.

Es hatte Herrn Springquell eine Menge Kraft und einige Kratzer gekostet auf den alten Baum im Garten hinter dem Hospital zu klettern, der schon dort gestanden hatte als Lorenz in die Stadt gekommen war. Es war eine dicke, alte Eiche wie man sie selbst im Hide Park kaum finden konnte. Und er wusste genau, dass sich dort oben einmal ein Eichhörnchennest befunden haben musste. Er fand es auch sofort: ein großes Loch hinter dem ein tiefer Hohlraum lag. Hastig schob er die Schatulle hinein und ließ sich dann vorsichtig vom Baum gleiten. Doch er verlor auf dem letzten Drittel den halt und stürzte hinunter.

Stöhnend hielt er sich den schmerzenden Rücken und richtete sich langsam auf. Ein Eichhörnchen kam neugierig herangeflitzt und beäugte den Alten interessiert. Er lächelte und vergaß für einen Moment die Schmerzen.
"Du hast mich wohl bei etwas Verbotenem beobachtet. Ich hoffe du wirst mich nicht verraten."
Das Eichhörnchen schnüffelte ein wenig und näherte sich dem Wasserheiler.
"Na gut, aber du musst schwören. Sprich mir nach: Ich, ein Eichhörnchen, schwöre hiermit feierlich den Eichhörncheneid und gelobe niemandem vom Schatz des alten Lorenz Springquell zu erzählen, andererseits soll mein Leben verwirkt sein." intonierte er feierlich mit erhobener Hand und ernstem Blick auf das Nagetier.
"Gut." sagte er dann nach einer Weile und erhob sich schwerfällig. "Vergiss nicht, du bist jetzt vereidigt." Sagte er noch lächelnd und umrundete dann das Gebäude um bei der Vordertür hineinzugehen.

Consens Schmetterling war indessen dabei die stinkende Politur auf dem Schreibtisch zu verteilen. Gefährliche Dämpfe stiegen auf und entflohen nur teilweise durch das geöffnete Fenster und die Tür. Er murmelte Flüche unter seinem Mundschutz als er plötzlich ein Geräusch hinter sich hörte. Erschrocken fuhr er herum und erblickte den alten Lorenz der keuchend in das Zimmer stapfte und sich sein Priestergewand über Mund und Nase zog.
"Was machst du denn?!" fragte er durch den Stoff hindurch und warf Consens einen entsetzten Blick zu.
"Polieren." erwiderte der Verwalter der 'Praxis' und trat missmutig gegen den Tisch. Er wollte nicht, dass der Alte ihn bei dieser Arbeit beobachtete und ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf.
"Was ist das für eine alchimistische Teufelei?" keuchte Lorenz und näherte sich vorsichtig seinem Ziehsohn, den er misstrauisch anstarrte.
"Tinkur Eins-Acht-Sieben..." sagte Consens langsam und blickte auf den mittlerweile blassgelben Schreibtischplattenpoliturlappen in seiner Hand. Am Rande seines Gedankenfeldes zog blitzartig ein Bild vorbei, das den alten Mann mit weit aufgerissenen Augen und blasser Haut am Boden liegend zeigte. Herr Schmetterling schüttelte angewidert den Kopf und versuchte seine Gedanken mit einer Frage davon abzulenken. "Wie war das Treffen?" fragte er mühsam und zwang sich von dem Lappen wegzusehen.
"Schrecklich! Ich habe diesen Scharlatanen aber mal ordentlich die Meinung gesagt!" antwortete Lorenz und ein selbstzufriedener Ausdruck legte sich auf sein faltiges Gesicht.
Consens konnte es nicht fassen. Seit Monaten hatte er auf den Alten eingeredet und sogar heute, kurz bevor er aufgebrochen war, hatte Schmetterling noch einmal versucht ihm klar zu machen, dass er kooperieren müsse. Aber dieser verfluchte Tattergreis war einfach zu stur! Dachte er denn nur an sich und seine altbackenen Prinzipien? Was war mit ihm, Consens Schmetterling? Was sollte er in Zukunft tun, wenn er auf dem schlecht laufenden Geschäft des Alten sitzen blieb?? Zorn stieg in ihm auf, wie der giftige Dampf der Schreibtischpolitur und er starrte wieder den triefenden Lappen an, dessen Tinktur schon ein Gutteil der Schreibtischplatte angeätzt hatte. "Du...du hast ihr Angebot nicht angenommen?" fragte er Herrn Springquell düster.
"Hah! Eher sterbe ich!" rief der Alte und war sehr erstaunt, als genau das plötzlich geschah.

Am Morgen des nächsten Tages in Korporal Vintongos Büro...
Tapire schreckte auf und sagte "Gnhhgn". Er war in seinem neuen Büro mit dem Gesicht auf einem Stapel vergilbter Akten und Berichte eingeschlafen und hatte eine dementsprechend zusammengedrückte Nase.
"Guten Morgen, Vinni." Sagte Oberleutnant MeckDwarf und schloss die Tür hinter sich. Sein plötzliches Auftauchen war der Grund gewesen, warum Vinni aufgewacht war.
"Morgen Sir-äh-Humph..." murmelte er müde, versuchte zu salutieren, ließ es dann wegen dem Steifen Rücken und einem hastigen Abwinken MeckDwarfs sein.
"Du scheinst fleißig gewesen zu sein." grinste Humph und stellte eine der beiden dampfenden Kaffeetassen auf dem Schreibtisch ab. "Bist du etwa die ganze Nacht über diesem Zeug gesessen?"
"Äh ja...ganz wie du gesagt hast. Einarbeiten und so." sagte der Korporal, doch der zweite Satz ging in einem lauten Gähnen unter.
"Löblich, löblich Dann kennst du die Materie ja jetzt." meinte der Oberleutnant und nippte an seinem Morgentrunk. "Ich habe nämlich einen kleinen Fall für dich. Nichts großes, ja eigentlich nicht mal eine verdeckte Ermittlung. Ein Mord an einem alten Mann in der Wasserstraße. Nur damit du mal wieder einen richtigen Tatort siehst und dich wieder an die normale Wächterarbeit gewöhnst. Wenn du diesen Routinefall hinkriegst, lass' ich dich auf die großen Fische los." redete Humph weiter und grinste beim letzten Satz breit, aber nicht unbedingt freundlich. Nach den Silvesterfeiertagen, an denen die Selbstmordrate traditionsgemäß ziemlich hoch gewesen war, begannen die Leute nun wieder sich gegenseitig umzubringen und den Schreibtisch des Abteilungsleiters in einen chronischen Überladungszustand zu versetzen. "Die Leute von SUSI müssten eigentlich noch da sein, um dich über ihre Erkenntnisse zu informieren. Wasserstraße Nummer 44 ist das Haus. Ich hätte dir ja noch jemanden mitgegeben, aber unsere spärliche Mannschaft ist komplett beschäftigt und die Bewerbungsgespräche mit einem ganzen Bündel neuer gefreiter beginnen erst heute. Also, schau das du einigermaßen wach wirst und mach dich dann auf. Ich erwarte heute Abend einen ersten Bericht. Besser noch wäre es aber, wenn du den Fall bis dahin schon gelöst hättest, denn nach dem was ich darüber weiß ist es nichts Kompliziertes." Erzählte MeckDwarf und zwinkerte. Dann verabschiedete er sich und verließ Vintongos Büro.
Nach einigen Minuten machte sich dann auch der Korporal auf den Weg.

In der Wasserstraße und an dem großen, etwas baufälligen Holzhaus angekommen sah Drei-Nervöse-Tapire gleich einen Gnom in Wächteruniform der auf zwei Stelzen vor dem Haus herumtorkelte und verbissen versuchte nicht hinunterzufallen. "Halt! Im Namen der Wache! Dies ist ein Tatooorwaaaah!!" wollte der Gnom noch rufen, bevor ihm eine seiner Stelzen wegrutschte und er unter lautem Gekreische zu Boden sauste.
"Hast du dir was getan?" wollte Vinni etwas besorgt wissen und näherte sich dem Wächter.
"Weg hier!!" schrie er beleidigt, "Dies ist ein Tatort!" Und dann, nach einem Blick auf Tapires Rangabzeichen: "Oh-äh-oh...Entschuldigung, Sir!"
Vintongo grinste etwas verlegen und half dem Gnom auf. Das "Sir" wirkte für ihn immer noch so, als ob man eine andere Person meinte, die irgendwo hinter ihm stand. Er erfuhr den Namen des Gefreiten, Gnomen est Nomen, verabschiedete sich dann von ihm und betrat das Gebäude.

Drinnen sah er schon den Spurensicherer Charlie Holm grübelnd an einer Wand lehnen und seine Pfeife rauchen. Er schien eine Art universeller Einrichtungsgegenstand eines jeden Tatorts zu sein, dem sich SUSI annahm, denn schon viele Wächter hatten die hagere Gestalt in Gedanken versunken gesehen und unter den Rekruten hatten sich schon Gerüchte über Wächter verbreitet, die Fälle "allein durch Nachdenken" lösen konnten. Traf man Charlie aber persönlich und bat ihn seine Methoden an einem Beispiel zu erläutern, so wünschten sich die meisten es nicht getan zu haben. "Deduktionen" war derzeit eines der größten Unwörter der SUSI-Wächter, denn wenn Charlie erst einmal mit diesen begonnen hatte, dann war es nicht leicht ihn wieder aufzuhalten.
"Guten Tag, Korporal." Sagte Holm und salutierte leicht.
"Guten Morgen Gefreiter äh..." Vintongo warf ihm einen verlegenen Blick zu, weil er den Namen nicht kannte. Als er noch bei DOG gewesen war, hatte er schon vom Standort der Boucherie her nicht allzu viel Kontakt mit anderen Abteilungen gehabt und während seines Gefängnisaufenthalts war eine ganze Kompanie neuer Leute zur Wache gestoßen, von denen viele die Grundausbildung schon hinter sich hatten.
"Holm. Charlie Holm." Stellte sich selbiger vor und deutete auf die mit Kreide nachgezeichneten Umrisse am Boden, direkt neben dem breiten Schreibtisch. "Wir haben den Tatort schon untersucht. Ich wurde nur hier gelassen um dich zu informieren...und um aufzupassen, dass der Täter nicht flieht, wobei ich das für recht unwahrscheinlich halte." Redete der Spurensicherer weiter.
"Der Täter?? Ihr habt ihn schon gefunden?" unterbrach Vinni den Gefreiten verwirrt.
"Wir schlossen es aus der Tatsache, dass er sich im oberen Stockwerk in einem Zimmer verbarrikadiert hat und 'Ich wusste nicht, dass es ihn umbringen würde!' und 'Bald ist mein Anwalt da, bis dahin sage ich gar nichts!' rief."
Vintongo nickte anerkennend und froh. Denn die Zweifel an seinen eigenen Fähigkeiten als Wächter hatten bis heute nicht abgenommen und er hatte befürchtet von MeckDwarf einen schwereren Fall bekommen zu haben, als der Abteilungsleiter gesagt hatte.
"Aber eins nach dem anderen." sagte Holm und schritt zu der Kreidezeichnung. "Sein Name war Lorenz Springquell, eine Art Wunderheiler in den Schatten und recht beliebt bei der Bevölkerung, wie wir von einem SEALS-Szenekenner wissen. Der Mann der sich oben eingeschlossen hat" Charlie paffte an seiner Pfeife, "heißt Consens Schmetterling und ist der Ziehsohn des Verstorbenen. Wir fanden hier einen Eimer mit hochgiftiger Schreibtischpolitur, wie wir herausgefunden haben, vom Typ 187, und einen mit ihr getränkten Lappen auf Herrn Springquells Gesicht. Obwohl wir mit dem neuen Fingerabdrucksystem an der Tatwaffe nichts feststellen konnten, sind wir dennoch ziemlich sicher, dass Herr Schmetterling die Tat begangen hat. Ein Bericht wurde bereits an deinen Abteilungsleiter gesandt." beendete der Gefreite den Monolog und blickte selbstzufrieden drein.
Übermannt von der Informationsflut kratzte sich Tapire am Kopf und brachte dann nicht mehr heraus, als: "Äh...gute Arbeit. Wie lange habt ihr dafür gebraucht?"
"Ein paar Stunden." erwiderte Charlie und lächelte leicht.

Zwei Minuten später standen die beiden Wächter vor dem Zimmer in dem sich Consens Schmetterling eingeschlossen hatte und flüsterten leise miteinander. Dann trat Charlie an die Tür.
"Herr Schmetterling?" fragte er unsicher.
"Verschwindet! Ich will mit einem Anwalt reden!" kam es sofort wütend zurück.
Jetzt trat auch Vintongo an die Tür. "Hallo?" rief er ohne groß zu überlegen und sah sich das Türschloss an.
"Wer bist du? Etwa auch ein Wächter?!" maulte Schmetterling und brachte drinnen irgendetwas zum Rumpeln.
"Nein, ich bin kein Wächter!" log der Korporal und kam sich unbeschreiblich dumm dabei vor.
"Dann...dann bist du ein Anwalt?" Verunsicherung war nun in der Stimme von Herrn Schmetterling zu hören.
"Ich äh bin, dein Anwalt!" sagte Tapire und legte die Betonung dabei auf das Pronomen.
Irgendeine innere Stimme flüsterte Consens ein, dass es keinen Zweck mehr hatte sich länger zu verstecken. Entweder würde ihn draußen ein hilfreicher Anwalt oder ein gnadenloser Wächter erwarten. Er hatte immer Verantwortung übernehmen wollen und jetzt war wohl der Zeitpunkt gekommen es für sich selbst zu tun.
Rasselnd öffnete sich das Türschloss und Herr Schmetterling kam heraus. Sein Blick trübte sich, als er sah, dass die Wächter ihn hereingelegt hatten.

Alles Weitere war nicht der Rede wert. Consens Schmetterling hatte aufgegeben und sich widerstandslos von der Wache verhaften lassen. Was nach seiner Verurteilung aus ihm wurde, hat niemand erfahren.

Später, in einer gefährlichen Situation deren Geschichte ein anderes Mal erzählt werden wird, dachte Drei-Nervöse-Tapire an diesen Tag zurück. Und er wünschte sich, dass seine "Ausbildung" ausbildender und herausfordernder gewesen wäre...

[1] Na? Welches Zitat hab ich da umgemodelt, hm? Strengt mal eure grauen Zellen an ;-)

[2] Siehe Single "Die Schuld der Unschuldigen Part II", die entweder schon erschienen ist, gerade eben erschienen ist oder demnächst erscheinen wird.

[3] Und wer würde einem freundlichen, alten Mann der sich für die Gesundheit seines Patienten einsetzt, keine angemessene Gegenleistung erbringen wollen?




Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung