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von Wächter Araghast Breguyar (GRUND)
Online seit 29. 08. 2002
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Ein ganz normaler langweiliger Tresendienst für Araghast und Kanndra?

Dafür vergebene Note: 13

Es war schätzungsweise Sechs Uhr morgens in Ankh-Morpork.
Es gab immer noch Probleme, den genauen Zeitpunkt der vollen Stunde zu bestimmen, da jede Uhr der Stadt zu einer anderen Zeit schlug und bisher alle Abstimmungen, sich auf eine Uhr zu einigen, in Streit und einmal sogar in einer handfesten Schlägerei geendet waren. [1] Aber übersehen wir einfach diese kleine temporale Ungenauigkeit und behaupten, es sei sechs Uhr.
Zur Zeit ging es auf den Straßen der Metropole verhältnismäßig ruhig zu. Der nachtaktive Teil der Bevölkerung begab sich gerade in seine Betten, [2] während sich der überwiegende Teil der tagaktiven Bevölkerung noch nicht erhoben hatte. Lediglich einige Lieferanten und Bäcker bewegten sich durch das Gewirr der Straßen und Gassen.
Wer sich aber zur Zeit in der Nähe der Schatten befand, vernahm zusätzlich zu dem aufeinanderfolgenden Leuten der verschiedenen Gildenglocken das tiefe, dröhnende Geräusch eines Gongs.
Ein Fenster öffnete sich, eine Frauenstimme keifte etwas von wegen unerlaubter Ruhestörung und ein Nachttopf flog in hohem Bogen aus besagtem Fenster, welches daraufhin mit einem Knall wieder geschlossen wurde. Minuten später war der Gongschlag bereits aus dem kollektiven Gedächtnis der Bewohner gestrichen worden- Wer sich in Ankh-Morpork über jedes seltsame Geräusch aufregte, kam zu nichts anderem mehr.

Der Ursprungsort des plötzlichen Lärms war ein baufälliger Schuppen in den Schatten. Ein zufälliger Passant hätte festgestellt, daß die Fenster mit diversen undefinierbaren Materialien verhangen waren und aus dem Inneren ein seltsames monotones Summen zu hören war. Dort, unbemerkt von der Außenwelt, fand folgendes statt:

Die Gemeinde war vollzählig versammelt und bereit. Hohepriester Nasi Goreng spürte die Anspannung und Aufregung im Raum, als er angemessen würdevoll die rituelle Zeremonienmaske aufsetzte. Schließlich war heute auch ein besonderer Tag.
Mit einer schwungvollen Handbewegung brachte er die Menge zum Schweigen.
"Meine lieben Brüder und Schwestern!" begann er und machte eine Kunstpause.
Die versammelten Kultanhänger sahen ihn weiter erwartungsvoll an.
"Meine lieben Brüder und Schwestern!" wiederholte er und pausierte abermals.
Die Spannung besaß nun beinahe schon Substanz. Die Luft knisterte förmlich.
"Meine lieben Brüder und Schwestern! wir haben uns heute hier versammelt um einen besonderen Tag zu begehen." brachte der Hohepriester seinen Satz zur Befriedigung seines Publikums endlich zu Ende.
"Ein neues Jahr bricht an, ein neues Opfer wurde erwählt. Sie, die uns Segen und Glück beschert, hat entschieden."
Die Gemeinde jubelte.
Nasi Goreng winkte zwei in Lendenschürze gekleideten Männern zu.
"Bringt sie herein!" befahl er.
Die beiden verschwanden hinter einem Vorhang. Als sie wieder zum Vorschein kamen trugen sie eine Bahre, auf der eine geschmückte, spärlich bekleidete junge Frau lag. Aus ihrem Blick ließ sich schließen, daß sie sich derzeit im siebten Kräuterhimmel befinden mußte. Ihre Figur ließ sich am Besten mit ?stattlich gebaut? beschreiben, so daß die beiden Tempeldiener ziemlich schwer zu schleppen hatten. Sie trugen die Bahre durch die applaudierende Menge und setzten sie vor dem Hohepriester ab. Auf ein Zeichen von diesem hoben sie die Frau hoch, legten sie auf den runden Altar und ketteten sie darauf fest. Als die beiden damit fertig waren verschwanden sie nach Atem ringend in der Menge.
"Und nun," verkündete der Hohepriester, "Das heilige Blau der ewigen Erleuchtung!"
Die Gemeinde applaudierte wieder als ein weiterer Tempeldiener mit einem Farbeimer an das Opfer herantrat und es von Kopf bis Fuß mit himmelblauer Farbe bepinselte. Als dies vollbracht war verschwand auch er im Publikum.
Hohepriester Nasi Goreng wandte sich der achtarmigen Statue die den hinteren Teil des Altars bildete zu und nahm ein mit diversen Steinen und Verzierungen überladenes rituelles Zeremonienschwert aus dem Schoß des Heiligenbildes. Er führte die Klinge an seine Nasenspitze und hob sie dann mit beiden Händen hoch über den Kopf.
"Kahuluiiiiii!!!" brüllte er.
"KAHULUIIIIII!!!" grölte die Gemeinde.
Langsam ließ Nasi Goreng das Schwert sinken und zielte auf den Hals der jungen Frau. Dann holte er aus...
"Stop!" rief jemand dazwischen.
Verwundert hielt der Hohepriester inne. Wagte es doch tatsächlich jemand, das heilige Ritual zu unterbrechen... Seine Augen hinter den Sehlöchern der Maske verengten sich zu Schlitzen, als der Sprecher sich nach vorn drängelte.
"Was gibt es?" schnauzte er den jungen Mann an.
"Tut mir leid, daß ich das Ritual unterbrochen habe, aber wir können sie nicht opfern." entgegnete dieser.
"Ach ja?" Nasi Gorengs Stimme triefte nur so vor Ironie. "Und warum nicht, Bruder Mari Huana?"
Bruder Mari Huana wies auf die linke Hand der Frau.
"Sie trägt den Ring nicht, Meister Goreng!"
Der Hohepriester trat näher und senkte sein Gesicht über die Hand. Im Stillen beschloß er, sich demnächst eine dieser neumodischen achatenen Sehhilfen zuzulegen. Aber so nahe er auch beide Hände des Opfers in spe unter die Lupe nahm, es ließ sich nichts auch nur entfernt ringartiges entdecken.
"Da hast du recht." gab er schließlich zu. "Sie trägt den Opferring wirklich nicht."
Mittlerweile war Unruhe in der Gemeinde entstanden. Aus dem verwirrten Gemurmel ließen sich vereinzelt Sätze wie 'Und was machen wir jetzt?', 'Die Göttin wird nicht erfreut sein.' oder 'Och Mann, das heißt, jetzt fällt die Opferung flach? Und ich hab mir extra dafür freigenommen' zu hören.
"RUHE!" brüllte der Hohepriester.
Schlagartig verstummte die Menge.
"Brüder und Schwestern!" Er schielte nicht sonderlich begeistert in sein Publikum.
"Brüder und Schwestern! wie es scheint, haben wir ein klitzekleines Problem. Unser heiliger Opferring scheint verschwunden zu sein. Er befindet sich jedenfalls nicht mehr am Finger des Opfers."
"Können wir nicht trotzdem opfern?" rief jemand dazwischen.
Nasi Goreng seufzte.
"Ohne den Ring gibt es kein Opfer, denn wie ihr alle wißt, verlangt die Göttin das Blut desjenigen, der den Ring trägt." erklärte er geduldig. "Also schwärmt aus und findet den Ring! Dreht jeden Kieselstein um und durchsucht das Nest jeder Elster! Und nun raus mit euch! Ich werde hier auf Ergebnisse warten."
Die Gemeinde schlurfte von dannen.
Frustriert hockte Hohepriester Nasi Goreng auf dem Altar und sah ihnen nach. Nachdenklich ließ er die Beine baumeln und drehte die rituelle Zeremonienmaske, von der bereits das Blattgold abzublättern begann, in seinen Händen. Dann winkte er einen Tempeldiener zu sich.
"Hol einen Eimer Wasser, Ku Klux Klan. Mal sehen ob unser Opfer uns erzählen kann, was mit dem Ring passiert ist."

Sechs Uhr fünfzehn [3]
Müde wie üblich, aber ausnahmsweise einmal gut gelaunt betrat der Wächter Araghast Breguyar das Wachhaus in der Kröselstraße. Leise pfiff er ein Liedchen und schnippte dazu mit den Fingern.
"Könntest du bitte damit aufhören?" beschwerte sich eine metallisch kratzende Stimme von seinem Rücken. "Erstens pfeifst du miserabel, zweitens will ich noch schlafen und drittens ist das doch keine Musik, dieses Gedröhne das ihr jungen Leute heutzutage hört!"
"Ach halt die Klappe, Magnarox." rief Araghast übermütig und blieb vor dem Dienstplan stehen.
'Tresendienst' stand dort hinter seinem Namen.
"Also gut." dachte er laut, flankte schwungvoll über den Tresen, lehnte das Schwert an die Wand und begann zu singen.
"Aaacht Taaage die Woooche liiiehhhiiiehhieeebe ich dich..."
"Weißt du was," bemerkte Magnarox hämisch, "Du singst noch schlimmer las das du pfeifst. Oh je, meine armen Ohren... Und das ausgerechnet wo bei diesem Wetter meine Scharte dicht unter dem Heft..."
Araghast zupfte ein Taschentuch aus der obersten Tresenschublade, knüllte es zusammen und stopfte es dem Drachenkopf am Knauf ins Maul. Anschließend ordnete er die Fallaufnahmeformulare, sang dabei weiter und versuchte das erstickte Hmmpf-Mmpf zu ignorieren.
"Halt miiich... Lieb miiich... halt miii- Oh, Guten Morgen, Ma'am!"
Abrupt hörte er auf zu singen und salutierte.
Fähnrich Irina Lanfear, die soeben aus ihrem Büro gekommen war, verzog schmerzlich das Gesicht.
"Guten Morgen Araghast. Schön, daß du bei Dienstantritt mal nicht noch halb schläfst. Aber du würdest der gesamten Belegschaft einen großen Gefallen tun wenn du mit dem Singen aufhörst."
"Oh je, singe ich wirklich so schlecht?" fragte Bregs.
Irina lächelte und setzte sich auf den Tresen.
"Nun sagen wir, um so zu klingen wie die Pilzköpfe müßtest du noch eine ganze Menge üben."
"Ich weiß." war die kleinlaute Antwort.
"Aber worüber ich eigentlich mit dir reden wollte," Die Stimme des Fähnrichs nahm einen geschäftsmäßigeren Ton an, "Wie du weißt geht deine Grundausbildung bald zu Ende und ich wollte mal fragen ob du dir schon mal Gedanken darüber gemacht hast, bei welcher Abteilung du dich dann bewerben willst."
"Oh." Araghast versuchte, seine Gedanken um 180 Grad zu wenden. "Nun, ich habe gehört, daß händeringend ein Püschologe gesucht wird und glaube, daß mir so was wohl gefallen könnte."
"Nun, das ist ja immerhin schon etwas." freute sich Rina.
Sie erhob sich und wandte sich wieder in Richtung ihres Büros.
"Ach ja, und wenn du Charlie siehst, richte ihm bitte von mir aus, daß er sich umgehend bei mir in meinem Büro melden soll. Er muß mir den Bericht den er mir geschickt hat noch mal erklären."
"Mach ich, Ma'am." Araghast salutierte und ließ sich in den Stuhl hinter dem Tresen plumpsen. Nach kurzer Zeit fing er wieder an zu summen.

Sechs Uhr Fünfundvierzig
Eine schmale Gasse, etwa 10 Minuten vom Wachhaus entfernt.
Drei Männer stritten sich lauthals.
"Na toll!" schimpfte ein kleiner, dicker. "Einen Ring finden. Als wenn das so einfach wäre. Und wo sollen wir bitte anfangen?"
"Woher soll ich das wissen?" erklärte der zweite. "Vermutlich hat ihn längst jemand gefunden und verscheuert."
"Mensch jetzt hört mir doch mal zu." rief der dritte, bei dem es sich um niemand anderen als Mari Huana handelte. "Wenn jemand einen Ring findet, probiert er ihn normalerweise erst mal auf. Und da der Opferring bekanntlicherweise am Finger der Person stecken bleibt, müssen wir also nur genau auf die Hände aller Leute denen wir begegnen achten."
"Ach nee." beschwerte sich der erste wieder, "Ankh-Morpork hat eine Million Einwohner. Weißt du wie lange wir da suchen können? Und was ist wenn die Person die nächsten drei Tage nicht aus dem Haus geht?"
"Eben." stellte der zweite fest.
"Meine Güte." seufzte Huana, "Hier geht es um eine höchst heilige Sache und ihr debattiert hier rum als wären wir auf dem Hier-gibts-Alles-Platz. Könnt ihr euch nicht wenigstens einmal der großen Göttin würdig erweisen?"
"Entschuldigen Sie, darf ich hier bitte einmal durch?" fragte eine Stimme hinter ihm.
Mari Huana drehte sich um und sah eine ungewöhnlich braungebrannte junge Frau in der Uniform der Stadtwache die ihn freundlich anlächelte.
Er lächelte zurück und drückte sich an die Mauer damit sich die Wächterin an ihm vorbeischieben konnte.
"Also," fuhr er dann mit einem drohenden Unterton in der Stimme fort, "Wir werden diesen Ring finden, und wenn wir dazu den Ankh umgraben müssen! Auf geht's! Kahuluiiii!"
"Kahuluiiii!" stimmten die anderen beiden halbherzig mit ein und alle drei eilten in verschiedene Richtungen davon.
"He, wo wollt ihr denn hin?" rief Mari Huana ärgerlich.
"Na wir sind losgelaufen, wie du wolltest." verteidigte sich der Dicke, nachdem er den Weg wieder zurückgeschnauft war. "Du hast nicht gesagt in welche Richtung."

Sechs Uhr Fünfzig
Langsam verzogen sich die bunten Schlieren und auch die Blumen verblühten langsam. Die rosaroten Elefanten waren schon vor einiger Zeit in ihren Stall [4] zurückgekehrt. Die ehemalige Auserwählte blinzelte und sah über sich... die schlampig zusammengenagelte Decke des Schuppens der als Tempel fungierte. Sie blinzelte noch einmal, doch der Anblick blieb der gleiche. Außerdem war da so ein kaltes, nasses Gefühl. War dies das Leben nach dem Tode? Wenn ja, dann hatte sich Kahului aber keine große Mühe gegeben. Sie probierte es noch einmal. Augen schließen... warten... Augen wieder öffen. Immer noch Holzdecke. In diesem Moment schob sich ein feistes Gesicht mit einer riesigen Nase in ihr Blickfeld. Sie tat was die narrative Kausalität von ihr erwartete: Sie schrie aus vollem Halse.
"Na Na Na." sagte Hohepriester Goreng und schüttelte das Mädchen. "Wach gefälligst auf, Zadirah!"
Diese hatte immer noch leichte Probleme mit dem Fokussieren, aber so langsam wurde ihr ihre derzeitige Lage etwas klarer.
"Meister Goreng?" fragte sie matt.
"Wer soll ich sonst sein? Der Patrizier vielleicht?" brummte der Hohepriester unwirsch. "Also los, wo hast du den Ring gelassen?"
"Der Ring?" Sie hob langsam ihre Hand. "Oh ja, der Ring. Er ist nicht an meinem Finger. Seltsam..."
"Was für eine logische Feststellung." kommentierte Nasi Goreng bissig. "Wie bist du ihn überhaupt losgeworden?"
Zadirah schüttelte den Kopf. Langsam sah sie die Welt wieder wie sie war. Wenn bloß dieses nervige Poche hinter ihren Schläfen nicht wäre...
"Ich weiß es nicht." antwortete sie. "Vielleicht ist er abgefallen? Oder die große Göttin wollte mich nicht mehr als Opfer?"
Der Hohepriester seufzte.
"Und du kannst dich wirklich nicht daran erinnern wo der Ring ist?" hakte er noch einmal nach.
Zadirah schüttelte nur den Kopf.
"Ich kann es dir wirklich nicht sagen, Meister." hauchte sie.
"Na schön." sagte Nasi Goreng entnervt, "Geh erstmal nach Hause und wasch dir die blaue Farbe ab. Dann erwarte ich von dir, daß du wieder hier erscheinst und bei der Suche hilfst. Vielleicht fällt dir ja auch wieder ein wo du den Ring gelassen hast."
Mühsam stemmte sich Zadirah hoch und schwang ihre Beine vom Opferaltar. Sie wartete einen Moment, bis das Schwindelgefühl nachließ, dann griff sie sich eine Decke von einer Sitzbank, wickelte sich darin ein und verließ den Tempel. Ein aufmerksamer Beobachter hätte ein erleichtertes Lächeln auf ihren Lippen gesehen. Einige Meter weiter fing sie an zu pfeifen. Als sie um die nächste Ecke bog sang sie schon.
"Aaacht Taaage die Wocheeee... Lieeehieehieeebe ich dich..."

Sechs Uhr Fünfundfünfzig
Nachdenklich betrat Wächterin Kanndra Mambosamba das Wachhaus.
"Moin Kanndra!" rief ihr Araghast vom Tresen aus zu.
"Oh Hallo Bregs."
Sie lächelte flüchtig und kam zu ihn herüber.
"Du hattest recht," sagte sie und setzte sich auf den Tresen, "Das Konzert gestern Abend in der Kaverne war Wahnsinn. Diese Pilzköpfe machen wirklich geniale Musik!"
"Eben." Araghast grinste. "Ich habe hier heute Morgen schon Singverbot gekriegt."
"Wirklich?" Kanndra war erstaunt. "Aber die Lieder sind so gut, die muß man einfach mitsingen!"
"Deshalb ja auch das Singverbot."
"Sag mal Bregs," wechselte Kanndra das Thema, "Sind dir heute Morgen auf der Straße eigentlich auch dauernd so schräge Vögel über den Weg gelaufen?"
"Die normalen schrägen Vögel oder ganz besondere schräge Vögel?" fragte Araghast.
"Nun, sie waren irgendwie besonders komisch. Trugen irgendwelche Turbane und Lendenwickel und riefen dauernd Kahlua oder so was. Davon scheinen heute Morgen eine ganze Menge unterwegs zu sein. Ich hab mich an drei von ihnen vorbeidrängeln müssen und dabei aufgeschnappt, daß sie irgendwas zu suchen scheinen."
Araghast zuckte mit den Achseln.
"Keine Ahnung." sagte er. "Von denen ist mir keiner begegnet. Vermutlich so eine dieser neuen randwärtigen Religionen. Du weißt doch, die immer mit den Trommeln durch die Straßen laufen und Hase Grischnakh singen."
Kanndra nickte.
"Es gibt Leute die glauben an alles." bemerkte sie.
"Wenn es sie glücklicher macht." sagte Araghast.

Neun Uhr
Hohepriester Nasi Gorengs Laune verschlechterte sich von Minute zu Minute.
Nach und nach trudelten die Mitglieder des Kultes von Kahului wieder im Gebetsschuppen ein und keiner hatte auch nur die leiseste Erfolgsmeldung zu verbuchen- Der heilige Opferring war und blieb verschwunden.
"Meine Güte," stöhnte er, "Bin ich hier denn von lauter Idioten umgeben? Hat denn keiner einen Plan ?"
"Ääähm... Hast du denn einen Plan, Meister?" fragte Ku Klux Klan.
Nasi Goreng schluckte. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Normalerweise war seine Aufgabe das Herumkommandieren der Kultmitglieder und nicht das Beantworten von Fragen auf die er keine Antwort wußte.
"Nun," begann er und zögerte. Sein Hirn rauchte unter der ungewohnten Tätigkeit des angestrengten Nachdenkens.
"Also," zog er sich schließlich aus der Affäre, "Was gedenken wir nun zu tun? Ich warte auf Vorschläge."
Er blickte streng in die Runde der versammelten Gläubigen.
Ganz hinten meldete sich jemand.
"Ja, Bruder Gam Elan?" rief der Hohepriester ihn auf.
Der Genannte drängelte sich nach vorn so daß ihn alle sehen konnten.
"Wir könnten die Stadtwache fragen." schlug er vor.
Brüllendes Gelächter antwortete ihm.
"Die Stadtwache!" höhnte Goreng. "Was glaubst du was dir die Stadtwache erzählen wird wenn du da hereinspazierst und nach einem verlorengegangenen Opferring fragst? Sie werden dich höchstens auslachen oder zu ihrem Püschologen schleifen. Nein, Bruder, laß bloß die Stadtwache aus dem Spiel."
"War ja nur ein Vorschlag." brummelte Gam Elan und zog sich in den Schutz der übrigen Kultmitglieder zurück. "Da zeige ich schon mal Initiative und dann werd ich auch noch ausgelacht."
"Sonstige Vorschläge?" übertönte der Hohepriester ihn.
Stille.
Nasi Goreng räusperte sich.
"Nun, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig als auf diese Weise weiterzusuchen wie bisher. Während ihr sucht werde ich noch ein wenig mit Zadirah plaudern." verkündete er.
Brummelnd schoben sich die Kultmitglieder wieder in Richtung Tür.

Neun Uhr Vierzig
Immer noch vor sich hingrummelnd schlurfte Gam Elan durch die Schatten. Warum begriff der Hohepriester denn nicht, daß dieses Ziellos-durch-die-Gegend-rennen überhaupt nichts brachte? Ebensogut hätte man einen einzelnen Kürbis auf sämtlichen Kohlfeldern der Sto-Ebene suchen können. Gam beschloß, es trotz der Häme des Hohepriesters doch einmal bei der Stadtwache zu versuchen. Zielstrebig lenkte er seine Schritte in Richtung Kröselstraße.

Neun Uhr Fünfzig
Im Wachhaus herrschte an jenem Morgen absolute Tote Hose. Niemand schien auch nur die klitzekleinste Beschwerde loswerden zu wollen, und so waren Araghast und Kanndra hinter dem Tresen bereits bei der sechsten Runde Leg-Herrn-Zwiebel-Rein angelangt.
"Allmählich wird's langweilig." stöhnte Kanndra und warf ihre Karten auf den Stapel.
"Wir könnten was singen?" schlug Araghast vor.
"Du hast Singverbot." stellte Kanndra fest.
"Stimmt. Aber ich kenne da noch eine Geschichte von einem Mann in Klatsch der..."
"Nein!" rief Kanndra.
"Wir könnten 'Ich sehe was was du nicht siehst' spielen." startete Araghast einen letzten Versuch.
"Ja sicher. Ich sehe was was du nicht siehst und das ist schwarz. Was ist es wohl?"
"Stimmt."
Kanndra seufzte.
"Ich wünschte, es würde endlich mal was passieren." sagte sie sehnsüchtig.
"Weißt du, so wie du es sagst," bemerkte Araghast, "Könnte man fast glauben, daß bald mehr passiert als uns lieb ist."
Sie warteten eine Minute.
Nichts passierte.
"Hmmm." brach Araghast die Stille. "Anscheinend hat sich zur Zeit selbst das Klischee ins Bett begeben."
Sie warteten noch eine Minute.
Eine Fliege summte träge durch die Wachstube und ließ sich auf dem Kartenstapel nieder. Kanndra verscheuchte das Insekt.
"Wieder nichts." stellte sie fest.
"Gab es hier nicht mal eine Geschichte bei der sich die Langeweile selbständig gemacht hat und durch die Stadt gegeistert ist?" fragte Araghast. "Irgendein Möchtegern-Zauberer soll schuld daran gewesen sein."
"IIh, das klingt ja schrecklich." Kanndra schüttelte sich. "Aber es gibt ja auch den Ausdruck 'Personifizierte Langeweile...'"
Klischee erwachte langsam, reckte und streckte sich, quälte sich aus dem Bett und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Wachhaus in der Kröselstraße zu.
Mit anderen Worten: Etwas geschah.
Die Tür des Wachhauses öffnete sich und ein mit einem Turban umwickelter Kopf wurde vorsichtig in sie Wachstube gesteckt. Schnell wischte Kanndra mit einer geschickten Handbewegung die Spielkarten vom Tresen [5] und Araghast kroch aus den Tiefen des Stuhls in eine halbwegs senkrechte Haltung.
"Komm rein." rief Kanndra dem Kopf aufmunternd zu. "Wir beißen nicht."
Schüchtern näherte sich der Angesprochene dem Tresen. Außer dem Turban trug er noch eine buntbestickte Weste und einen Lendenschurz.
"Öhm... Bin ich hier richtig bei der Stadtwache?" fragte er ängstlich.
"Ja, das bist du." sagte Araghast und stützte sein Kinn auf die Hände. "Was können wir für dich tun?"
"Ich... Ich suche einen Ring." stotterte der sichtlich nervöse Mann.
"Hast du ihn verloren?" fragte Araghast.
Aber der Mann schien plötzlich wie erstarrt. Seine Augen fixierten Araghast. Dann machte er urplötzlich kehrt und stürmte davon als wenn eine Horde wütender Puzumas hinter ihm her wäre.
"He..." rief Araghast ihm noch nach, aber der Mann war schon verschwunden.
Araghast wandte sich Kanndra zu und zuckte mit den Achseln.
"Komischer Kerl." stellte er fest. "Was der wohl hatte?"
"Das war einer von diesen Kahlua-Leuten von heute Morgen." Kanndra machte ein gleichgültiges Gesicht. "Also haben sie tatsächlich etwas verloren. Und zwar irgendeinen Ring. Bloß seltsam, daß er einerseits wollte, daß wir ihm helfen, den Ring wiederzufinden, er aber andererseits plötzlich geflohen ist. Kanntest du ihn eigentlich? Er hat dich ziemlich komisch angestarrt."
"Hab ihn bis eben noch nie gesehen." erklärte Araghast. Er grinste. "Aaalso," begann er, "Der siebte Sinn für Wächter Lektion eins: Irgendwas ist faul an der Sache. Andererseits..." Er grinste noch breiter. "Ist das nicht mehr unser Problem. Er ist abgehauen."
"Na dann..." seufzte Kanndra, "Zurück zum alten Trott. Wer gibt?"

Zehn Uhr Elf
Bruder Gam Elan schlidderte um die letzte Straßenecke und erreichte völlig außer Atem das Sanktuarium. Mit letzter Kraft hämmerte er an die Tür. In Augenhöhe schwang eine kleine Klappe auf.
"Paßwort?" fragte eine Stimme im Dunklen.
"Das...Pferd....frisst...'keuch'....keinen...Gur...ken....Salat..." ächzte Bruder Gam Elan.
Die Tür wurde geöffnet und Ku Klux Klan schaute heraus.
"Bei Kahului Gam, du siehst aus, als wärst du das Derby von Quirm zu Fuß mitgelaufen." stellte er fest.
"Ist...der....Hohe....Priester...da?" keuchte der Angesprochene.
Ku Klux Klan schüttelte den Kopf.
"Der ist bei Zadirah, das hat er doch vorhin schon gesagt. Ist ja nicht wiedergekommen, das Weib."
Gam Elan schlug sich mit der Hand vor die Stirn, machte auf dem Absatz kehrt, stürmte wieder davon und ließ einen verdutzten Tempelwächter zurück der sich fragte, ob wieder einmal jemand verbotenerweise einige der heiligen Zeremonienkräuter probiert hatte.

Zehn Uhr Zwanzig
"Können wir zur Abwechslung mal eine Patience legen?" fragte Kanndra und schob die Karten auf dem Tresen zusammen. "Und hör bitte auf so dämlich zu grinsen, das macht mich nervös!"
"Besser nervös als gelangweilt." stellte Araghast fest. "Wer weiß ob sich hier nicht doch noch was manifestieren würde."
"Lieber nicht." sagte Kanndra. "So was ist gar nicht nett, da weiß ich Bescheid..."
"Seid mir gegrüßt, Wächterkollegen!" erklang eine wohntönende Stimme aus der Richtung der Büros.
"Vicoooo!" rief Araghast und schwang auf seinem Stuhl herum. "Na, was ist. Hast es fast überstanden, du Glücklicher?"
Vico trippelte den beiden herüber und setzte sich lässig-elegant auf den Tresen.
"Nun, sagen wir einfach, ich bin beinahe durch." sagte er glücklich lächelte. "Was haltet ihr davon wenn ich euch heute Abend zur Feier des Tages zu einem kleinen Weinchen einlade? Die 'Trommel' hat gestern erst wieder eine neue Lieferung aus Ephebe erhalten. Ein wahrhaft vorzüglicher Tropfen."
"Ich bin dabei." freute sich Araghast. Trotz oder gerade wegen seiner Marotten hatte er Vico ziemlich gern. "Du schuldest mir eh noch ein halbe Flasche."
"Und was ist mit Ihnen, Fräulein Mambosamba?" wandte sich Vico an Kanndra.
"Hmmm...Ich..." druckste diese herum.
Araghast gab ihr einen Rippenstoß.
"Komm schon, das wird bestimmt lustig." Er grinste sie auf genau diese Weise an von der er wußte daß sie es aus unerfindlichen Gründen nicht leiden konnte.
"Na schön, ich ergebe mich." seufzte sie. "Wann geht es los?"
"Um Halb Acht. Wenn die Damen und Herren dann so freundlich wären in der 'Geflickten Trommel' zu erscheinen." Er lächelte Araghast an. "Übrigens, einen schönen Ring tragen Sie da, Herr Bregs."
"Ring? Ich trage eigentlich nie..." Araghast starrte auf seine Hände. Tatsächlich, auf seinem linken Ringfinger steckte ein goldener Ring mit einem dicken roten Stein, von dem er schwören könnte, daß er ihn gestern noch nicht getragen hatte.
"Komisch..." murmelte er, "Wie kommt der denn da..."
Er stockte.
Er sah Kanndra an.
Kanndra starrte auf den Ring.
Kanndra sah Araghast an.
Beide verstanden.
"Aber das ist doch..." brachte Kanndra hervor.
"Stimmt was nicht?" fragte Vico unschuldig.
"Öhm, die Sache ist so, Vico, wir haben da ein kleines Problem." versuchte Araghast die Sache zu erklären. Er faßte kurz Kanndras morgendliche Begegnung und den seltsamen Besucher zusammen. "Und deshalb glauben wir, daß der Ring dieser Kahlua-Sekte gehört. Irgendwie müssen wir ihn wieder zurückbringen."
"Wir wissen doch gar nicht, wo der Kult seinen Tempel hat." wandte Kanndra ein.
"Das ist nicht das Problem." erklärte Araghast. "Wir schnappen uns einfach den nächstbesten Jünger, drücken ihm den Ring in die Hand und der Fall ist geritzt. Da laufen doch angeblich gerade genug davon draußen rum."
Er zog am Ring.
"Mist, er geht nicht ab."
"Lassen Sie mich mal versuchen, Herr Bregs." Vico nahm Araghasts Hand, schloß seine wohlmanikürten Finger um den Ring und zog.
"Aaaargh!"
Araghast wurde ruckartig nach vorn gezogen und lag nun bäuchlings auf dem Tresen.
"Aua, das tat weh."
Er rieb sich den schmerzenden Finger.
"Oh Jemine, habe ich Ihnen weh getan, Herr Bregs?" fragte Vico besorgt und begann, die Hand zu untersuchen. "Es tut mir wirklich leid..."
"Schon gut." unterbrach Araghast ihn. "Seltsam, das Ding scheint so fest zu sitzen wie eine Kneifzange."
"Versuchs mal mit Seife." schlug Kanndra vor. "Das hilft eigentlich immer."
Gesagt, getan. Araghasts Finger wurde eingeseift, beinahe gebrochen, mit kaltem Wasser zum Abschwellen gebracht und eine Menge in die Länge gezogen, doch vergeblich: Der Ring saß immer noch fest.
"Tja, da hilft wohl nur noch absägen."
Johann Wadenklotz steckte seinen Kopf aus einer der Abortkabinen hervor.
"Wehe..." sagte Araghast mit drohendem Unterton. "Meinen Finger absägen? Meinen armen malträtierten Finger? Den ich in den 25 Jahren meines Lebens mittlerweile ziemlich liebgewonnen habe? Nein, hier wird nichts abgesägt." Er barg die linke Hand schützend in der rechten.
"War ja nur ein Witz." maulte Johann. "Also soweit ich es verstanden habe muß der Ring von Bregs' Finger um ihn einer Sekte zurückzugeben. Was haltet ihr davon wenn wir versuchen, den Ring abzusägen?"
"Das ist eine Idee." sagte Araghast. "Also gut, wer kommt mit zum nächsten Juwelier? Wir können dem Kult ja immer noch erklären, daß es ein Notfall war."

Zehn Uhr Zweiunddreißig
Nachdem er diverse Kultmitglieder gefragt, sich viermal verlaufen und schließlich den stinkenden alten Ron mit ein paar Kräutern aus dem Tempelvorrat bestochen hatte, hatte Bruder Gam Elan schließlich die Wohnung von Zadirah gefunden und mußte feststellen, daß sie nur vier Straßen vom Sanktuarium entfernt lag und er die ganze Zeit mehr oder weniger im Kreis gerannt war. Nach Luft ringend hielt er inne und wartete einen Moment, bis sich die bunten Sternchen vor seinen Augen langsam verflüchtigten. Das erste was er sah war der Hohepriester, der mit dem Kopf zwischen den Knien im Eingang des Nebenhauses saß, offensichtlich ziemlich niedergeschlagen.
"Meister!" rief Gam und rüttelte ihn, indem er sich mehr oder weniger auf ihn stützte und dabei hingebungsvoll keuchte.
"Und dann hat sie mich mit ihrem Nudelholz bedroht." murmelte dieser nur und wiegte sich hin und her, "Und dann hat sie mich angebrüllt und gedroht wenn wir ihre Tochter noch einmal blau anstreichen wird sie uns höchstpersönlich einen Besuch abstatten..."
"MEIS...TER!" schrie Gam und trat Nasi Goreng vors Schienbein. Drastische Nachrichten erforderten drastische Methoden.
"Häh?" der Hohepriester sah auf.
"Ich...ha...habe...den... Ring...Meis...ter!" rief Bruder Gam Elan .
"Wie schön. Geh zurück und... Moment mal, du hast WAS?" der Hohepriester war plötzlich wieder hellwach. "WO?" Er packte Gam bei an den Schultern und schüttelte ihn.
"I-in der Wache, Meister." stammelte dieser. "E-Ein W-wächter trug i-ihn am Fi-finger!"
"Zurück zum Tempel!" rief Nasi Goreng und schleifte den völlig erschöpfen Bruder Gam Elan hinter sich her. "Laß den Gong läuten- Ich verlange eine sofortige Versammlung des Kultes! Und nun lauf los!"
Gam stöhnte, rappelte sich auf, lief los und schwor sich, nie, nie wieder Initiative zu zeigen.

Zehn Uhr Vierzig
'Marcus Argentum, Juwelier und Goldschmied' stand über der Tür zu dem kleinen Kellerladen, vor dem die vier Wächter standen.
"Ob Schnitthelm wohl hinterm Tresen klarkommt?" fragte Kanndra ein wenig besorgt.
"Wird er schon." beruhigte Johann sie und grinste. "Für ein paar Freibier tut er vermutlich alles."
In diesem Moment rollte das Geräusch eines Gongs wie eine Woge durch die Schatten und die angrenzenden Viertel.
"Was war denn das schon wieder?" fragte Vico erstaunt.
"Genau das hat mich heute Morgen geweckt." bemerkte Araghast.
In dieser Sekunde raste ein Mann mit einem Turban in einer Staubwolke vorbei.
"Alle Mann zum Tempel!" brüllte er. "Kahuluiiii!"
Und schon war er hinter der nächsten Straßenecke verschwunden. Vier Wächter blickten ihm erstaunt nach.
"He, das war einer von den Ringkerlen." stellte Kanndra fest. "Also heißt es Kahului und nicht Kahlua."
"Nun, immerhin wissen wir nun, wo wir den Ring nachher vorbeibringen können." bemerkte Araghast bissig. "Einfach immer dem Gong und dem Geschrei nach."
Die Vier stiegen die Treppe hinab und betraten geduckt den Laden. Eine Glocke bimmelte.
"Hallo! Was kann ich für euch tun?" begrüßte sie der Zwerg hinter dem Verkaufstisch.
"Ähm, es geht um einen Ring." erklärte Araghast und beugte sich zu Herrn Argentum hinunter.
"Was darf es denn für einer sein?" fragte dieser und wühlte in diversen Ausstellungspaletten. "Ein Verlobungsring, Schmuckring, Ehering, Ohrring, Nasenring oder noch etwas ganz anderes?"
"Nun, eigentlich wollten wir keinen Ring kaufen." erklärte Kanndra, die sich ebenfalls zum Tresen vorgearbeitet hatte. "Wir wollen vielmehr einen Ring wieder loswerden."
"Och." Das freundliche Lächeln des Zwerges machte besorgter Geschäftsmäßigkeit Platz. "Ihr wollt also verkaufen? Nun, normalerweise..."
"Nein, Sie verstehen das falsch." unterbrach Araghast eilig. "Ich möchte nur diesen Ring wieder vom Finger kriegen!" Er legte seine Hand auf die Tischplatte.
"Hast du es schon mit Seife versucht?" fragte Argentum.
"Ja. Ich habe gut zehn Minuten geseift und gezogen und es hat nichts gebracht."
"Hmmm... Mal sehen was ich da machen kann."
Der Juwelier klemmte sich eine Lupe ins Auge und betrachtete den Ring gründlich. Dann verschwand er kurz in der allgemeinen Unordnung und kehrte mit einem Lederfutteral zurück, das er auf dem Tisch ausrollte. Verschiedene seltsame Geräte funkelten im dämmerigen Licht des Geschäfts und trugen nicht gerade zu Araghasts Wohlbefinden bei. Er schluckte.
Der Zwerg überlegte einen Moment und wählte schließlich eine kleine, scharf wirkende Feile. Er fuhr prüfend mit dem Finger darüber, nickte und setzte sie an.
Araghast kniff die Augen zu.
Das Geräusch ließ die Zehennägel vibrieren, kroch die Beine hoch, arbeitete sich durchs Rückenmark und verursachte schließlich einen eiskalten Schauer auf der Haut. Dann erstarb es.
Langsam öffnete Araghast die Augen wieder. Wider Erwarten war sein Finger noch in einem Stück. Dummerweise konnte man das auch vom Ring sagen- Er war nicht einmal angekratzt.
Der Juwelier schüttelte erstaunt den Kopf.
"Also so was ist mir bis jetzt noch nie untergekommen. Eigentlich hat diese Oktironfeile bis jetzt jedes Metall geschnitten. Habt ihr eventuell schon mal darüber nachgedacht, daß der Ring magisch sein könnte?"
"Magisch?" fragten Araghast, Johann und Kanndra wie aus einem Munde.
"Eigentlich nicht." ergriff Araghast das Wort. "Immerhin sind bis jetzt keine seltsamen Runen darauf erschienen."
"Seltsame Runen erscheinen höchstens, wenn man einen magischen Ring ins Feuer wirft." erklärte der Juwelier.
"Also wenn wir.." begann Johann.
"Nein!!" rief Araghast. "Zum letzten Mal, ich möchte meinen Finger gern behalten!"
"Wer weiß, vielleicht trägst du da ein Instrument größter Macht auf deinem Finger und weißt es noch nicht mal." spekulierte Johann weiter.
"Pah." schnaubte Araghast. "Hast du jemals davon gehört, daß jemand die Welt mit Hilfe eines Ringes unterjochen wollte? Nein, ich glaube nicht, daß ich hier gerade die Weltherrschaft auf meinem Finger spazierentrage."
"Und was jetzt?" fragte Vico, der sich schließlich vom verlockenden Funkeln der ausgestellten Schmuckstücke losgerissen und sich zu den anderen gesellt hatte.
"Also, ich schlage vor, wir gucken erst mal wer diese Kahului eigentlich ist." schlug Araghast vor.
"Ich hab da noch ein Götterverzeichnis im Schreibtisch liegen." meldete sich Kanndra zu Wort. "Mal sehen was das so hergibt."
Die Wächter dankten dem Juwelier für seine Mühe und machten sich auf dem Weg zurück ins Wachhaus. Unterwegs begegneten sie erstaunlicherweise keinem einzigen Turbanträger.

Zehn Uhr Fünfzig
"Bei Kahului," stöhnte jemand in der Menge, "Das ist jetzt das dritte Mal innerhalb von wenigen Stunden, daß wir hier alle antraben müssen! Mein Chef bringt mich um wenn ich nicht wenigstens heute Nachmittag noch auf der Arbeit aufkreuze..."
"Mensch, sei ruhig!" flüsterte ihm sein Nachbar zu, "Der Hohepriester guckt schon so zu uns rüber."
"Der müßte ja jetzt auch nicht eigentlich im Kontor sitzen." maulte der Nörgler weiter. "Also wird jetzt endlich geopfert oder nicht? Wenn nicht, gehe ich jetzt."
"Dann tu das, Hauptsache du nervst hier nicht weiter rum. Scheinbar gibt es ausnahmsweise wirklich etwas Wichtiges... Hallo?"
Doch der Nörgler war bereits gegangen.
Der Bruder zuckte mit den Achseln und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Nasi Goreng zu, der sich gerade mühsam auf den Opferstein hievte.
"Ruuuuhe!" brüllte er.
Die Gemeinde sah ihn erwartungsvoll an.
"Liebe Brüder und Schwestern," verkündete er, "Der Ring ist gefunden worden."
Ohrenbetäubendes 'Kahuluiiiiiii'-Geschrei unterbrach ihn für eine halbe Minute.
Nasi Goreng ruderte wild mit den Armen, um sich Gehör zu verschaffen.
"Es gibt," schrie er über die Menge hinweg, "Allerdings ein Problem."
"Wär ja auch zu schön gewesen wenn nicht..." flüsterte Ku Klux Klan seiner Nachbarin ins Ohr.
"Der Ring," rief der Hohepriester, "Steckt am Finger eines Stadtwächters. Bruder Gam Elan hat es für uns herausgefunden."
Tosender Applaus belohnte den Bruder, der mittlerweile das dritte Glas Wasser herunterstürzte.
"Die Frage ist jetzt," fuhr Nasi Goreng fort, "Wie bekommen wir unseren Opferring wieder und lassen die erhabene Kahului dann ein neues Opfer erwählen? Wir haben nur noch wenig Zeit. Bis zum Sonnenuntergang muß das Opfer erbracht worden sein. Ich warte auf Vorschläge."
"Warum opfern wir nicht einfach den Wächter?" rief Ku Klux Klan.
"Er ist kein Anhänger von Kahului, du Trottel." zischte ihm einer seiner Mitbrüder zu.
"Na und? Er trägt den Ring und das allein erklärt ihm zum Auserwählten. Also, Meister," Ku Klux Klan hob die Stimme. "Erbitte hiermit die Erlaubnis den Wächter einzufangen und zu opfern."
"Hmmm..." überlegte dieser. "Ich weiß nicht ob es so klug ist, sich mit der Wache anzulegen, aber andererseits... Du hast recht, Bruder, er trägt den Ring. Und wer den Ring trägt, ist von Kahului auserwählt, egal ob er ein Gläubiger ist oder nicht. Bruder Gam Elan, wie sieht unser Opfer aus?"
Der Angesprochene zuckte bei der Erwähnung seines Namens zusammen.
"Nun," begann er, ich habe ihn nur flüchtig gesehen Meister, ich habe hauptsächlich auf den Ring gestarrt..."
"Du wirst dich doch wohl noch grob erinnern können, Bruder." forschte der Hohepriester.
"Ähm... Er hatte eine Augenklappe." brachte Gam Elan hervor. "Glaube ich zumindest."
"Soso. Glaubst du es oder bist du dir sicher?" Langsam verlor Nasi Goreng die Geduld. Mußte er dem Mann denn alles einzeln aus der Nase ziehen?
"Ich-ich bin mir ziemlich sicher, Meister. Und er hatte schwarze Haare. Aber mehr weiß ich wirklich nicht."
"Na ja, ich schätze, das wird reichen." Hohepriester Nasi Goreng räusperte sich und hob seine Stimme wieder. "Brüder und Schwestern," verkündete er, "Sucht einen Wächter mit schwarzem Haar und einer Augenklappe und bringt ihn hierher, wenn nötig mit Gewalt, so daß wir das Opfer möglichst schnell durchführen können. Eimer mit blauer Farbe könnt ihr euch bei Mari Huana abholen, wenn ihr ihn unterwegs schon anmalt geht es nachher schneller. Ich erwarte euch dann hier und werde den Gong sprechen lassen wenn wir ihn haben. Alles klar? Dann ein frohes Gelingen. Kahuluiiiii!"
"Kahuluiiiiii!!" rief die Gemeide und drängelte sich zu Bruder Huana, der sich beeilte, kleine Farbdosen und Pinsel zu verteilen.
Draußen nahm Zadirah erschrocken ihr Ohr von einem Astloch in der Wand. Das hatte sie nicht gewollt! Sie mußte den Wächter warnen.

Elf Uhr Drei
"Irgendwo hab ich ihn hier doch gelassen..."
Kanndra grub hektisch ihre Schreibtischschubladen um. Auf der Tischplatte stapelten sich bereits diverse Akten, Lebensmittel, Büromaterialien und einige andere Gegenstände bei denen man besser nicht nachfragte.
"Ah, hier ist es ja." Schließlich förderte Kanndra ein schon recht zerlesenes Buch zu Tage.
Araghast las den Titel.
"Brigitte?" fragte er entgeistert.
"Beruhigender Ratgeber In Götter-, Ikonen-, Tempel-, Totem- und Entitätenfragen." erklärte Kanndra und verteilte das Chaos auf ihrem Schreibtisch wieder in die einzelnen Schubladen.
"Darf ich einmal, bitte?" Vico nahm Araghast das Buch aus der Hand und begann, darin zu blättern. "Laßt uns einmal sehen...Hyperopie, Göttin der Schuhe... Io (blinder)...Jugatrum, Gott der Verkäufer schmutziger Postkarten...Kaaba, Göttin des Kakaos... Kahului. hier steht es."
Vico nahm Haltung an, hielt das Buch mit einem Arm, hob die andere Hand in einer dramatischen Geste und begann feierlich vorzulesen:
"Der Kult der Göttin Kahului kam aus Bhangbhangduc zu uns nach Ankh-Morpork. Dort galt K. ursprünglich als Fruchtbarkeitsgöttin, der, um eine reichliche Ernte zu gewährleisten, jährlich ein durch einen komplizierten Ritus auserwähltes Menschenopfer dargebracht wurde. Des weiteren sind der Göttin Giraffen und die Farbe Blau heilig. Als Erscheinung hat sich K. eine achtarmige Frau gewählt."
"Und das ist alles was drinsteht?" fragte Johann nach einer kleinen Pause enttäuscht.
"Wie Sie unschwer erkennen können, Herr Wadenklotz, habe ich alles vorgelesen, was dort drinstand." konterte Vico ein wenig beleidigt und reichte Johann das Buch.
Dieser las den Eintrag noch einmal.
"Da steht wirklich nichts von irgendeinem Ring." erklärte er schließlich und schloß das Buch mit einem lauten Knall.
"Dann gehört der Ring vielleicht nur diesem Kerl der vorhin bei uns war und der Kult hilft ihm suchen." vermutete Araghast. "Wie dem auch sei- Ich brauche erstmal nen Kaffee. Kommt wer mit?"
Dieser Vorschlag wurde mit Begeisterung aufgenommen.

Elf Uhr Zwanzig
Nach einer zugegebenermaßen etwas länger ausgefallenen Kaffeepause saßen Araghast und Kanndra wieder hinter dem Tresen fingerten weiter am Ring herum. Inzwischen war Kanndra auf die Idee gekommen, es mit Schmierfett zu versuchen, und so hatte sie sich eine Dose aus Jacks Labor ausgeliehen und Araghasts Finger damit eingerieben. Allerdings brachte auch dieser Versuch nicht den geringsten Erfolg.
"So langsam kommt mir das Ding wirklich verhext vor." stöhnte Araghast.
"Vielleicht sollten wir zur Universität gehen und die Zauberer fragen?" schlug Kanndra vor und schraubte die Schmierfettdose zu.
"Zauberer? Nein, kommt nicht in die Tüte. Wer weiß was die alles mit meinem armen Finger anstellen. Der hat für heute schon genug gelitten." erklärte Araghast kategorisch und rieb das Fett mit einem Taschentuch ab. "Ein Wunder, daß ich ihn überhaupt noch krumm kriege."
Er wackelte damit vor Kanndras Nase auf und ab.
"Also, verstaucht ist er mindestens schon."
"Und was willst du jetzt damit machen?" fragte Kanndra.
Araghast zuckte mit den Achseln.
"Ich lasse ihn erstmal drauf. Was bleibt mir auch anderes übrig. Alles weitere wird sich ergeben. Irgendwie werde ich ihn schon wieder los."
"Bloß wie..." murmelte Kanndra. Sie griff nach dem Kartenpäckchen. "Also wer gibt?"
In diesem Moment wurde die Eingangstür aufgestoßen und eine junge Frau stürmte herein und sah sich suchend um. Dann steuerte sie geradewegs auf Araghast zu.
"Bist du der Wächter mit dem Ring?" fragte sie hastig.
"Ja, der bin ich. Leider." antwortete Araghast bissig. "Willst du auch noch mal dran ziehen oder sägen?"
Sie packte ihn am Arm.
"Du mußt dich sofort irgendwo verstecken!" drängte sie. "Du bist in höchster Lebensgefahr!"
Araghast blickte Kanndra verständnislos an. Diese zuckte nur mit den Schultern als Zeichen, daß sie mit den Worten der Frau auch nichts anfangen konnte.
"Es ist wirklich dringend." In der Stimme der Frau klang langsam ein Anflug von Verzweiflung mit. "Gibt es hier irgendeinen Ort wo wir ungestört reden können und uns niemand findet?"
"Mein Büro." schlug Araghast vor. "Aber daß uns niemand findet dafür kann ich nicht garantieren. Und was soll das ganze überhaupt?"
"Komm einfach mit!" flehte die junge Frau und wippte ungeduldig auf und ab.
Araghast seufzte.
"Na schön." sagte er, zwinkerte Kanndra zu und ging mit der Frau zu seinem Büro. Kanndra sah ihnen zweifelnd nach und fragte sich ob Araghast wirklich in Gefahr war und wenn ja in was für eine Sache sie da schon wieder geraten waren.

Johann war nicht da. Araghast schob seiner Besucherin einen Stuhl hin, setzte sich an seinen Schreibtisch und lehnte sich gemütlich zurück, was das Mädchen nur noch kribbeliger zu machen schien.
"Also nun noch mal von vorne, wer bist du eigentlich und was soll der ganze Unsinn von wegen Lebensgefahr?" fragte er.
"Ich heiße Zadirah." begann das Mädchen und atmete hastig. "Und sie wollen dich opfern."
"Opfern?" fragte Araghast erstaunt. "Wer will mich opfern? Und warum eigentlich? Ich gehöre keiner bestimmten Religion an und kann mich nicht erinnern, irgendeinen Gott..."
"Du trägst den heiligen Opferring!" schnitt ihm Zadirah das Wort ab. "Und das bedeutet, du bist von Kahului auserwählt, heute vor Sonnenuntergang geopfert zu werden. Also sieh zu, daß du verschwindest!"
"Kahului..." dachte Araghast laut. "Diese Kerle laufen schon den ganzen Tag durch die Stadt. Und woher weißt du eigentlich von der Sache?"
Zadirah schluckte.
"Nun... Eigentlich sollte ich heute geopfert werden." gestand sie.
Araghast starrte auf den Ring an seinem Finger.
"Und statt dessen soll ich nun dran glauben?" unkte er. "Wie gesagt, ich habe mit euren komischen Kult nichts zu tun und außerdem habe ich eigentlich nicht vor, heute zu sterben. Sucht euch einen anderen Dummen den ihr opfern könnt."
"Dafür ist es jetzt zu spät." erklärte Zadirah traurig. "Sie jagen dich bereits."
"Na wunderbar." stöhnte Araghast. "Und ich vermute du kannst mir nicht zufällig sagen, wie ich diesen verdammten Ring wieder loswerden kann?"
"Leider nein." seufzte Zadirah. "Ich weiß auch nicht wie ich hin wieder abbekommen habe. Schwupps hatte ich ihn plötzl..."
"Du hast WAS?" Araghast schrie diese Worte fast heraus.
"Nach der Zeremonie gestern Abend steckte er auf meinem Finger und ich wollte doch nicht sterben!" jammerte Zadirah. "Also ging ich auf diese Konzert in der Kaverne aber da fand ich es nur noch unerträglicher, alle waren am Feiern und ich sollte morgen nicht mehr leben. Und da hatte ich den Ring auf einmal in der Hand und..."
"und was?" fragte Araghast scharf. Ihm dämmerte etwas.
Zadirah fing an zu schluchzen.
"Und da tanztest du mit ein paar anderen in meiner Nähe und wegschmeißen mochte ich den Ring auch nicht und da hab ich dich angerempelt und dabei den Ring auf deinen Finger gesteckt." Jetzt weinte sie. "Es tut mir so leid, ich wollte das alles nicht!"
Araghast schwankte einen Moment zwischen Wut und Mitleid.
"Meine Güte," stöhnte er schließlich, "Hast du den Ring denn nicht im Ankh versenken oder sonstwie entsorgen können? Denkst du denn nicht weiter als von der Wand bis zur Tapete?"
Zadirahs Antwort bestand aus einem Schniefen.
"Na schön," sagte Araghast ein wenig versöhnlicher, "Hast du wenigstens einen Vorschlag wo ich mich verstecken könnte? Immerhin hast du mir die ganze Geschichte eingebrockt."
Von Zadirah kam immer noch keine Antwort.
Araghast überlegte fieberhaft. Als einziger halbwegs sicherer Ort fiel ihm der Patrizierpalast ein. Aber er konnte doch nicht einfach in Lord Vetinaris Büro marschieren und um Schutzhaft bitten... Und Vicos Feier am Abend konnte er auch vergessen. Moment. A propos Vico... Vicos Mutter besaß doch eine riesige Villa mit einem vermutlich entsprechend großen Keller. Vieleicht konnt er sich dort verstecken? Wenn er nur wüßte wo Vico steckte... Nach der Kaffeepause war dieser gegangen und hatte etwas von Streife gehen gemurmelt. Araghast würde sich solange irgendwo im Wachhaus verstecken müssen.
Er wandte sich wieder an Zadirah, die sich mittlerweile wieder ein wenig gefangen hatte.
"Vorläufig ist es wohl am Besten wenn ich hier im Wachhaus bleibe." erklärte er ihr. "Hier sind genug Leute, da passiert schon nichts.
Zadirah sah ihn zweifelnd an.
"Wenn du meinst," sagte sie schließlich, "aber die Brüder und Schwestern von Kahului wissen, daß du hier bist. Also paß auf."
Araghast lächelte schwach.
"Das werde ich schon. Aber verrat mir mal eins- Du heißt doch nicht wirklich Zadirah, oder? Ich meine, normalerweise stellt man sich unter jemandem mit dem Namen jemanden...äh...exotischeren vor."
Zadirah klemmte sich ihre blonden Locken hinter die Ohren und seufzte.
"Ich heiße auch nicht Zadirah." gab sie widerstrebend zu. "Ich wollte bloß ein wenig müst...müt...du weißt schon, geheimnisvoll wirken, wenn ich schon in so einem Kult mitmache. Eigentlich heiße ich Sibylle Ehrenspeck."
Araghast dachte sich seinen Teil. Manche Menschen wollten mit aller Kraft etwas Besonderes sein, selbst wenn sie sich damit unfreiwillig lächerlich machten. Zadirah Ehrenspeck war für eine Karriere als mysteriöse Tempelschranze in etwa so geeignet wie eine Hyäne als Koloratursopran.
Sibylle/Zadirah stemmte sich aus ihrem Stuhl hoch.
"Ich muß dann auch wieder gehen." erklärte sie. "Sie dürfen nicht wissen, daß ich hiergewesen bin. Wer weiß was Nasi Goreng dann mit mir anstellt."
"Opfern kann er dich schon mal nicht mehr falls es dich beruhigt." bemerkte Araghast bissig und hielt ihr die Tür auf. "Ist dieser Nasi Goreng euer Oberkultist?"
"Ja, er ist unser Hohepriester." antwortete Zadirah. "Paß auf dich auf."
Sie winkte ihm noch einmal und wogte davon. Kopfschüttelnd schloß Araghast die Bürotür und kehrte zum Tresen zurück.
"Und, was ist nun los?" fragte Kanndra begierig.
Araghast ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen.
"Ich fürchte du wirst nicht glauben was ich dir nun erzähle." seufzte er.

Elf Uhr Vierzig.
"Zitronenbusch an Bananenbüschel, alles klar?" rief Ku Klux Klan so leise er konnte über die Kröselstraße. Nach einigem Hin und Her hatte er vom Hohepriester das Oberkommando für die Operation 'Opferbeschaffung' erhalten und dirigierte die Kultmitglieder nun zu ihren verschiedenen Positionen rund um das Wachhaus. Hinter einer Hausecke verborgen stand das Sturmkommando, bewaffnet mit Farbeimern, Pinseln und Knüppeln. Zuerst hatte er einige Bedenken geäußert, was das Stürmen eines Wachhauses betraf, doch Nasi Goreng hatte argumentiert, sie seien auf einer Mission für Kahului und dienten somit einer höheren Macht und diese Erklärung war genug für Ku Klux Klan. Je länger man sie betrachtete, desto mehr Sinn schien sie zu machen.
"Bananenbüschel an Zitronenbusch, alles klar." kam es aus einer Einfahrt ein Stück die Straße herunter. "Alle Fenster stehen unter Beobachtung. Munition ist abschußbereit."
"Zitronenbusch an Bananenbüschel, weiter so." antwortete Ku Klux Klan. Er war stolz auf sich. Sein Plan konnte gar nicht schief gehen. Er war, das glaubte er zumindest, auf alle Eventualitäten vorbereitet.
"Himbeerstrauch an Zitronenbusch! Himbeerstrauch an Zitronenbusch! Ex-Opfer verläßt soeben Zielgebäude!" Ein wieder halbwegs zu Kräften gekommener Gam Elan winkte aufgeregt mit einem Fähnchen aus seinem Beobachtungsposten in einer leeren Regentonne.
Ku Klux Klan spähte um die Ecke. Zadirah trat aus dem Wachhaus, sah sich ängstlich um und versuchte, möglichst unauffällig die Straße herunterzuschlendern.
"Zitronenstrauch an Artischockenbaum und Kaffeebohne: Schnappt sie!" kommandierte der temporäre Anführer und wies mit dem Arm in die entsprechende Richtung. Doch statt des erwarteten Vorsturms begann hinter seinem Rücken eine Diskussion. Er drehte sich um.
"He, was ist los mit euch?" fuhr er seine Männer an. "Ich habe euch doch befohlen..."
"Wem befohlen?" fragte einer.
"Na Artischockenbaum, das bist du, und Kaffeebohne, das bist du." Er zeigte auf den Sprecher und dessen linken Nachbarn.
"Wir?" fragte letzterer, "Ich dachte, wir wären alle zusammen das Kommando Kartoffelsuppe."
"Das seid ihr auch." stöhnte Ku Klux Klan und seufzte. "Aber ihr habt alle auch noch einen eigenen Decknamen. Bei Kahului, muß ich denn alles dreimal erklären?"
Inzwischen war Zadirah an ihrem Versteck vorbeigeschlendert.
Ku Klux Klan wußte: Wenn er jetzt nicht selbst handelte, tat es niemand. Er schlich sich von hinten an Zadirah heran und packte sie am Arm.
"Wehe, du schreist." zischte er ihr ins Ohr und zerrte sie in das Versteck des Sturmkommandos. Zadirah war viel zu überrascht und erschrocken um überhaupt zu reagieren.
"Also los," begann Ku Klux Klan das Verhör, "Was hast du im Wachhaus gemacht?"
"Also, ääh, ich..." stammelte Zadirah, "Ich wollte nur...nun ja..."
"Was wolltest du nur?" forschte Ku Klux Klan weiter. "Sag bloß, du wolltest den Wächter warnen."
Zadirah schwieg und ihre Gesichtsfarbe wandelte sich durch alle Schattierungen von fleischrosa bis schließlich knallrot.
"Aha." sagte Ku Klux Klan nur. "Na ja, wir haben ihn sowieso in der Falle." Er ließ sie los. "Na dann hau meinetwegen ab. Du hast hier eh nichts zu suchen."
Zadirah starrte ihn an. Dann nahm sie die Beine in die Hand [6] und floh.
Ku Klux Klan räusperte sich und nahm Haltung an."Gut." sagte er befriedigt. "Auf Kahului stürmen wir. Sturmkommando Kartoffelsuppe bereit? Farbeimer in Position?"
"Sturmkommando Kartoffelsuppe? Sind wir das jetzt alle?!
"Ja, Mensch, das sind wir, du Trottel!"
"Mensch, ich krieg den Deckel nicht auf!"
"Gib mal her!"
-Plopp-
"Ja, Sturmkommando Kartoffelsuppe bereit."
Ku Klux Klan hob die Hand.
"Aaaachtung! Eins.....Zwei....Drei.....Kahuluiiiiiiii!!!!!"

Elf Uhr Dreiundvierzig
"Au weia, jetzt sitzt du aber ganz schön in der Tinte." sagte Kanndra mitfühlend, nachdem Araghast seine Erzählung beendet hatte.
"Welch wahres Wort." stöhnte dieser und starrte wütend auf den Ring. Er wurde das Gefühl nicht los, daß der große rote Edelstein ihn schadenfroh angrinste. "Diese blöde Kuh ist lustig. Steckt einfach dem Nächstbesten den Ring auf den Finger und glaubt, daß sie sich so ganz einfach aus der Affäre ziehen kann. Denkt nicht mal von Zwölf bis Mittag."
Kanndra schauderte.
"Sie hätte den Ring genausogut auch auf meinen Finger stecken können." sagte sie leise. "Ich stand nur etwa einen Meter von dir entfernt."
Ein lauter Schrei riß die beiden Wächter aus ihrem dumpfen Brüten.
"Das...das klang wie Kahului..." flüsterte Kanndra erschrocken.
"Die werden doch nicht das Wachhaus stürmen..." begann Araghast, doch wurde jäh unterbrochen: Die Tür wurde mit solcher Wucht aufgerissen, daß die Türflügel mit einem lauten Krachen mit der Wand kollidierten. Fünf Männer mit Turbanen auf dem Kopf und Farbeimern und Knüppeln in den Händen stürmten in die Wachstube und geradewegs auf Araghast zu.
"Hi-Hi-Hi-Hi-Hiiiiilfe!" stammelte dieser nur noch und ergriff die Flucht.
Kanndra warf sich gerade noch rechtzeitig unter den Tresen bevor über ihr eine Ladung blauer Farbe an die Wand klatschte.
"Kahuluiii!!!" brüllte das Sturmkommando Kartoffelsuppe und folgte Araghast, der mittlerweile den Flur hinunterflüchtete. Dummerweise endete der Korridor in einer Sackgasse und Araghast saß in der Falle.
"Verdammt" fluchte er leise, riß die nächstbeste Bürotür auf, hechtete in den Raum, schmiß die Tür hinter sich zu, schnappte sich den nächsten greifbaren Stuhl und klemmte ihn unter die Türklinke.
"Stimmt was nicht, Araghast? Und was ist das da draußen für ein Geschrei?"
Irina Lanfear saß mit verschränkten Armen an ihrem Schreibtisch und musterte ihren Rekruten mit leichter Verwunderung.
Dieser fuhr gehörig zusammen und sah sich panisch um.
"Sie-sie wollen mich umbringen, Ma'am!" stotterte er und fixierte das Fenster.
"Wer will dich umbringen?" fragte Rina. "Ist dir das Konzert gestern vielleicht doch nicht so gut bekommen?"
Jemand rüttelte kräftig an der Tür.
"Sehen Sie, sie sind schon da!" rief Araghast, sprintete zum Fenster und riß es weit auf.
"Kahuluiii!" schrie jemand draußen auf dem Flur.
"Wer beim Blinden Io ist schon da, Araghast?" fragte der Fähnrich verärgert, doch Rekrut Breguyar war bereits aus dem Fenster geklettert und hangelte sich aufs Dach.
Rina schüttelte den Kopf. Diese Rekruten... Manchmal waren sie schlimmer als ein Sack brindisianischer jodelnder Stabheuschrecken...
Weiter kam sie mit ihren Gedanken nicht. Ein Pfeil sauste an ihr vorbei und blieb in der Tür stecken. An ihm hing ein kleiner Beutel. Vorsichtig trat der Fähnrich näher heran um das Säckchen genauer zu untersuchen, als ein zweiter Pfeil durch das Fenster hereinschoß und besagtes Säckchen durchbohrte. Blaue Farbe spritzte an die Tür und hinterließ einen großen, sternförmigen Klecks. Gleich darauf rief jemand draußen etwas:
"Hei Zung du Pfeife, kannst du denn gar nicht zielen? Der Kerl ist doch längst auf dem Dach!"
Im selben Moment barst die Tür aus den Angeln und fiel Irina direkt vor die Füße, woraufhin sich fünf Männer mit Turbanen in ihr Büro drängelten.
"He, ihr!" rief sie mit aller Autorität in der Stimme die ihr zur Verfügung stand. Langsam wurde sie wirklich sauer. "Was soll das Ganze hier eigentlich? Habt ihr sie noch alle?"
"Er ist nicht hier." stellte einer der Männer fest. "Rückzuuug!"
Die Bande machte kehrt, stürmte wieder in den Flur zurück und ließ einen vor Wut kochenden Fähnrich zurück.

Elf Uhr Dreiundvierzig.
Die frischgebackene Gefreite Claudette Minze hatte gerade ihren Schreibtisch ausgeräumt und trat mit einer großen Kiste vor dem Bauch aus ihrem ehemaligen Büro, als sie von einer wild vorbeistürmenden Horde über den Haufen gerannt wurde und der Inhalt ihres Umzugskartons sich gleichmäßig über den Flur verteilte. Leise vor sich hinschimpfend rappelte sie sich wieder auf und hörte in der selben Sekunde auch schon die Stimme Rina Lanfears vom anderen Ende des Flurs:
"Rekruten! Haltet sie auf!"
Kanndra hörte den Ruf ebenfalls und schwang sich über den Tresen. Da kam das Sturmkommando Kartoffelsuppe auch schon auf sie zugerannt. Sie vollführte einen Hechtsprung und brachte die Nachhut der Truppe zu Fall. Während er versuchte wieder aufzustehen umklammerte sie krampfhaft sein Bein.
"Hab einen!" rief sie und hoffte auf baldige Hilfe. Lange konnte sie ihn nicht mehr halten.

Währenddessen stand Araghast auf dem Dach des Wachhauses und fragte sich verzweifelt, in welche Richtung er nun fliehen sollte. Mit den Fortbewegen auf Dächern an sich hatte er eigentlich soweit keine größeren Probleme, [7] nur die Richtung bereitete ihm noch Schwierigkeiten. In letzter Sekunde wich er einem zweiten Farbgeschoß aus und ging hinter dem Schornstein in Deckung. Dort überlegte er fieberhaft. Eine Flucht über das Dächergewirr der Schatten schied aus- Die Kröselstraße war zu breit zum Überspringen. Der einzige realisierbare Fluchtweg führte über den Hof hinter dem Wachhaus und von dort aus über diverse Hinterhöfe in Richtung Stadtzentrum. Ja, das schien eine Lösung zu sein. Im Gewirr der großen Plätze der Stadt konnte man leicht untertauchen.
Araghast macht sich sprintbereit. Jetzt oder nie.
Er stürmte den Dachfirst entlang, erreichte das Ende des Daches, schwang sich über den Rand, rutschte an der Regenrinne herunter, rannte über den Hof, flankte über den Bretterzaun, sah den auf der anderen Seite stehenden Kaninchenstall zu spät, brach bei der Landung mit dem Fuß durch das Dach und schlug lang hin. Ein braun-weiß geflecktes Kaninchen bschnupperte ihn neugierig.
"Bei Kahului, üb endlich mal richtig schießen!" hörte er jemanden hinter sich.
"Er war zu schnell, da konnte ich nicht richtig zielen!"
"Na ja auch egal, er ist da lang!"
Leise vor sich hinfluchend stemmte sich Araghast hoch und hinkte zum nächsten Zaun.

Elf Uhr Fünfzig.
Mit einem lauten Klonk schloß sich die Zellentür hinter dem Kahului-Jünger. Johann Wadenklotz, der durch den plötzlichen Lärm angelockt in genau jenem Moment aus dem Keller gekommen war, war Kanndra zu Hilfe geeilt und gemeinsam hatten sie den Mann überwältigen können. Nun hatten sie ihn auf Befehl von Rina Lanfear in eine der Zellen gesperrt und sollten ihre theoretischen Kenntnisse der Verhörtechnik in die Praxis umsetzen.
"Name?" fragte Johann.
"Feng Shui." antwortete der Gefangene mürrisch.
"Aaalso," erklärte Johann und setzte dabei eine wichtige Miene auf, "Sie sind angeklagt, am 13. Spuni in ein öffentliches Gebäude, auch bekannt als Wachhaus, Kröselstraße, mit der Absicht auf Freiheitsberaubung und tätlichem Angriff auf einen Wächter eingedrungen zu sein. Außerdem wird Ihnen die Mitverursachung einiger Sachschäden, unter anderem betreffend eine eingeschlagene Bürotür und diverse blaue Farbkleckse auf Eigentum der Stadt Ankh-Morpork zur Last gelegt. Sie haben das Recht zu schweigen. Sie haben das Recht, nicht einfach so in die Skorpiongrube geworfen zu werden. Er wäre jedoch einfacher und auch vermutlich auch gesünder für Sie, wenn Sie reden würden."
Johann war stolz auf seine Rede. Er hatte nicht einmal in seinen Seminarnotitzen nachschauen müssen.
Kanndra gab ihm einen unauffälligen Rippenstoß.
"Also bist du jetzt der böse Polizist und ich der gute Polizist?" erkundigte sie sich flüsternd.
"Genau." gab Johann ebenso leise zurück. "Hast du die Zigaretten?"
Kanndra nickte.
"Gut." wisperte Johann und fuhr dann mit lauterer Stimme fort:
"Glauben Sie wirklich, Sie könnten sich mit Schweigen vor der gerechten Strafe drücken? Nein nein mein Freund, da sind Sie bei mir aber an den Falschen geraten. Sie werden singen wie ein Vögelchen, wenn ich mit Ihnen fertig bin. Also spucks aus, wer ist dein Boß?"
"Bei Kahului, ich sage gar nichts."
Der Gefangene verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
"So?" Johanns Stimme schaltete auf Vetinari-Autopilot. "Nun, vielleicht ändert die Tatsache, daß diesen Anklagen höchstwahrscheinlich noch eine weitere wegen Beihilfe zu unlizenziertem Mord folgen wird, Ihre Meinung. Und es dürfte allgemein bekannt sein, daß die Kerker des Patrizierpalastes keinen besonders guten Ruf genießen."
Er nickte Kanndra zu. Diese zückte das Zigarettenpäckchen und hielt es an die Gitterstäbe direkt ins Blickfeld des Gefangenen.
"Zigarette?" fragte sie freundlich lächelnd.

Zwölf Uhr dreißig
Auf diversen Um- und Schleichwegen hatte Araghast es schließlich geschafft, die Kahului-Jünger abzuhängen. Nun saß er in seinem Kellerloch und versuchte, seinen mittlerweile ziemlich angeschwollenen Knöchel aus dem Stiefel zu befreien. Havelock thronte auf Araghasts Souvenirtruhe und putzte in aller Ruhe sein Gefieder.
"Du bist lustig." brummte der Wächter, "Dein Herrchen wird von einer Gruppe Irrer durch die Stadt gehetzt und du hast die Ruhe weg."
Ein letztes Dagegenstemmen und der Stiefel sauste quer durch die Kammer, prallte an der Truhe ab und ließ den Papagei aufflattern. Krächzend ließ er sich auf der Schulter seines Besitzers nieder und begann, mit dessen Ohrring herumzuspielen.
Währenddessen bewegte Araghast vorsichtig seinen Knöchel. Seufzend humpelte er zu seinem Sarg, verscheuchte Havelock, ignorierte dessen lautstarken Protest, legte sich auf den Rücken und schloß den Deckel über sich. Hier hatte er wenigstens seine Ruhe, zumindest für eine kleine Weile.
Und während er den immer noch im Sarg hängenden leichten Modergeruch, der noch von dessen Vorbesitzer stammte, zu ignorieren versuchte, rekapitulierte er noch einmal die Vorgänge am gestrigen Abend.
Zusammen mit Johann, Alberich und Kanndra war er etwa eine Stunde vor Konzertbeginn in der 'Kaverne' eingetroffen. Dort hatten sie ein gutes Stück hinter den kreischenden Mädchen, die schon in Scharen die Bühne belagerten, erst mal einen Tisch in Beschlag genommen und sich ein schönes Bier gegönnt. Von dort aus hatten sie sich auch noch die Vorgruppe angesehen, zwei Männer und zwei Frauen namens 'Die Mütter und die Väter', deren Musik sich eigentlich auch nicht besonders zum Mittanzen geeignet hatte- Ihnen fehlte einfach der nötige Schwung. Als dann schließlich die Pilzköpfe die Bühne betraten, hatten auch sie sich schließlich auf die Tanzfläche begeben und am Ende irgendwo in der Mitte des Publikums, in einem gewissen Sicherheitsabstand zu den bereits erwähnten kreischenden Mädchen, ihren Steh- bzw. Tanzplatz gefunden. Lieder wie 'Eines harten Tages Nacht' oder 'Feldwebel Pfeffer's Kapelle der einsamen Herzen' gingen einem nun mal geradewegs in die Beine. natürlich war er b!
ei!
dem ganzen Herumgetanze das eine oder andere Mal angerempelt worden, aber er konnte sich nicht daran erinnern, Sibylle in seiner Nähe gesehen zu haben. Sie mußte ihn also von hinten geschubst haben. Ja, das war möglich. Beim Refrain von 'Ich kann mir keine Liebe kaufen' hatte ihn jemand ziemlich hart in der Leistengegend erwischt. Unmöglich, daß er in diesem Gedränge und dieser Hochstimmung gemerkt haben konnte, wie ihm jemand etwas auf den Finger schob. Und erst Vico hatte den Ring überhaupt bemerkt. Komisch, dachte Araghast, wenn man nicht sieht, daß man ihn am Finger trägt, spürt man ihn nicht einmal. Er fragte sich, ob der Ring nicht doch magisch war- Vielleicht gab es so etwas ja, Ringe mit einem Haltezauber... Er beschloß, noch ein wenig zu warten bis die Kahului-Jünger die Jagd auf ihn aufgegeben hatten und dann zum Wachhaus zurückzukehren und den anderen von seinen Überlegungen zu berichten. Außerdem fühlte er sich dort sicherer als hier ganz allein in einem winzige!
n !
Kellerloch dessen einziger Zugang eine Falltür in einem Lagerschuppen war. In diesem Moment fiel ihm eine Textzeile aus 'Gestern' ein. Gestern... schien aller Ärger noch so weit weg...Aber heute brauch ich ein Versteck... Manchmal schienen Lieder wirklich genau zur Situation zu passen.

Dreizehn Uhr Dreißig
"Nein, wirklich nichts. Der Kerl schweigt wie ein Grab, Ma'am. Nicht mal die...(flüchtiges Blättern in Notitzen)...Schmutziger-Harald-Methode hat was bewirkt." erstattete Johann Wadenklotz seiner Ausbilderin Bericht. "Er behauptet die ganze Zeit nur, er handele auf göttlichen Befehl und sei uns damit keine Antworten schuldig. Wenn Sie mich fragen, der Mann ist verrückt."
Rina Lanfear seufzte. Seit einem Zwischenfall bei dem ein Gott kurze Zeit von ihr Besitz ergriffen hatte, war sie auf sakrale Entitäten und deren Anhänger nicht mehr allzu gut zu sprechen.
"Jaja, diese Fanatiker." sagte sie resigniert. "Sie glauben, sie könnten sich alles erlauben wenn es nur ihrem Gott dient und meinen, sie hätten die Welt für sich gepachtet. Du und Kanndra, ihr habt trotzdem gute Arbeit geleistet, immerhin habt ihr gut anderthalb Stunden durchgehalten. Ihr wißt auch nicht zufällig, wo Araghast jetzt ist und ob er den Verrückten entkommen konnte?"
Kanndra schüttelte kummervoll den Kopf.
Johann klopfte ihr auf die Schulter.
"Kopf hoch Kanndra, Unkraut vergeht nicht." versuchte er, sie aufzuheitern.
"Eben." Rina grinste schief. "Ach ja, und es wäre schön, wenn ihr eure restlichen Kollegen aus den Büros zerren und in zehn Minuten in der Kantine versammeln könntet. Sagt ihnen, es wird eine Krisensitzung.. Außerdem werdet ihr wohl Gelegenheit bekommen, eure Außeneinsatzerfahrung zu erweitern. Wir sehen uns also gleich."
Die beiden Rekruten salutierten und verließen das Büro. Die Ausbildungsleiterin starrte ihnen durch den türlosen, blau gesprenkelten Rahmen nach und versank in wütendes Schweigen. Soweit war es also schon gekommen, daß eine Gruppe religiöser Spinner einfach so farbespritzend und knüppelschwingend durch ihr Wachhaus toben konnte. Sie dachte daran, was Kanndra ihr über den Ring erzählt hatte. Rituale, so ein Quatsch. Sie würde diesen Kahului-Clowns schon zeigen, was es bei der Wache so für Rituale gab, angefangen bei einem schönen Plätzchen hinter Nichtsfjord-Gardinen und nichts als Schnappers berühmte Würstchen zum Abendessen... Fähnrich Irina Lanfear konnte da sehr erfinderisch werden wenn jemand einem ihrer Rekruten an den Kragen wollte.

Dreizehn Uhr Einundvierzig
Krisensitzung. Diese Drohung hatte gereicht um sämtliche anwesenden Rekruten und Ausbilder tatsächlich innerhalb der gegebenen Zeit in die Kantine zu beordern. Einige der frischeren Rekruten kratzten sich verstohlen blaue Farbe von den Fingern- Sie waren damit beauftragt worden, die heilige Sauerei wieder aufzuwischen.
Rina Lanfear stand am Kopfende des langen Tisches. Nach außen hin wirkte sie völlig ruhig, aber der aufmerksame Beobachter konnte feststellen, daß ein Muskel an ihrer Schläfe zuckte. Ein Zeichen dafür, daß der Fähnrich innerlich kochte.
"Wächter," begann sie, "Aufgrund der Vorfälle der letzten Stunden habe ich hier eine Krisensitzung zusammengerufen: Einer unserer Wächterkollegen befindet sich in akuter Lebensgefahr. Wenn du die Geschichte noch einmal kurz zusammenfassen könntest, Kanndra?"
Die Angesprochene seufzte und erhob sich. Kurz berichtete sie, was sie von Araghast, aus dem BRIGITTE und von dem Gefangenen erfahren hatte, was bei letzterem außer dem Namen eigentlich so ziemlich gar nichts war.
"Also," fuhr Rina fort, nachdem Kanndra geendet hatte, "Wir brauchen folgende Informationen: Erstens: Wo steckt Araghast? Zweitens: Wie bekommt man den Ring wieder von seinem Finger? Drittens: Wo befindet sich der Tempel des Kultes? Viertens: Wie bekommen wir unseren gefangenen zum Reden?"
"Moment!" rief Charlie Holm plötzlich, der bisher die ganze Zeit nur abwesend an die Wand gestarrt und an seiner Pfeife gezogen hatte.
"Ja, Charlie? Irgendein Vorschlag?" fragte der Fähnrich.
"Was das Ring am Finger-Problem betrifft, da hätte ich eine Theorie." erklärte Charlie und blies einen Rauchring.
Kollektives Gemurmel.
"Ruuuhe!" rief Irina und wandte sich wieder an Charlie. "Na dann erzähl doch mal was du da wieder ausgebrütet hast."
Charlie räusperte sich.
"Also," begann er, "Gehen wir einfach davon aus, daß der Ring tatsächlich magisch ist. Das würde auch das Versagen der Oktironfeile erklären. Und es soll magische Ringe geben, die, einmal aufegsetzt, so lange am Finger der betreffenden Person hängenbleiben bis er oder sie eine ganz bestimmte Handlung durchführt oder eine bestimmte starke Emotion durchlebt. Dann haben wir da das Mädchen. Sie schaffte es, den Ring loszuwerden. Bleibt sie Frage, wie. Stellen wir es uns einmal vor: Eine junge Frau, die eigentlich noch ihr ganzes Leben vor sich hat, findet den Ring an ihrem Finger, was bedeutet, daß sie am darauffolgenden Tag sterben muß. Und was fühlt eine solche Person? Angst und Verzweiflung. Darum ging sie zu diesem Gedröhne in die 'Kaverne' um sich dort noch ein letztes Mal zu amüsieren. Und als sie dort die ganzen fröhlichen Menschen sieht, überkommen sie die Angst vor dem Tod und die Verzweiflung erst recht. Und plötzlich, schwupps, hat sie den Ring in der Hand. Wenn man a!
ll!
e diese Fakten und Schlußfolgerungen miteinander verknüpft, kann dies eigentlich nur eines bedeuten: Todesangst ist der Schlüssel. Um den Ring von seinem Finger zu bekommen müssen wir ihn in akute Todesangst versetzen."
"Aber dann müßte der Ring doch eigentlich jedem Opfer kurz vor der Opferung vom Finger fallen!" warf Alberich ein.
"Bei den meisten Kulten wird das Opfer vor der Zeremonie mit diversen Kräutern betäubt." erklärte Charlie und reinigte seine Pfeife. "Es merkt eigentlich so gut wie gar nichts bis es sich plötzlich Kommandeur Tod gegenüberfindet."
"Hmmm... Klingt trotzdem nicht gerade beruhigend." brummte Alberich. "Da wacht man aus einem schönen Traum auf und ist tot..."
"Wenigstens wissen wir jetzt, wie man den Ring wieder abkriegt. Danke, Charlie." unterbrach ihn Rina. "Jetzt müssen wir nur noch Araghast und den Tempel finden und einige Leute festnehmen. Vorschläge?"
"Wir könnten den Gefangenen noch einmal verhören?" schlug Dennis Schmied vor. "Vielleicht redet er ja doch noch."
"Vergiß es." unkte Johann. "Der hält so dicht wie ein Ohnesorge."
"Und wenn wir ihm eins von Schnappers Würstchen vorsetzen?" kam es von Alberich.
"Igitt." Kanndra schüttelte sich bei dem bloßen Gedanken.
Johann versetzte ihr einen Rippenstoß.
"Sag mal, Kanndra," wisperte er ihr zu, "Wenn du neulich einen Troll hinbekommen hast, könntest du auch eine achtarmige Frau schaffen?"
"Eine was soll ich wie schaffen?" flüsterte sie zurück.
"Kahului." hauchte Johann.
"Aaah, du meinst, ich... He, das müßte eigentlich klappen. Seiner Göttin gegenüber wird er bestimmt ziemlich plötzlich ziemlich gesprächig." Kanndra grinste. "Ma'am!" rief sie, "Johann und ich haben da eine Idee..."

Dreizehn Uhr Fünfundfünfzig
Auch Nasi Goreng versuchte, sich ein wenig zu entspannen. Zu diesem Zweck lag er auf einem Nagelbrett und inhalierte einige illegal aus dem Tempelvorrat abgezweigte Zeremonienkräuter. Da sah die Welt doch gleich viel besser aus. Seine Jünger waren auf Opferjagd und er brauchte jetzt nur noch abzuwarten. Das war das Schöne daran, der Chef zu sein- Die Drecksarbeit mußten immer die anderen erledigen.

Vierzehn Uhr
Vorsichtig hob Araghast die Falltür zu seinem Kellerloch an und horchte angestrengt in die Dunkelheit. Nichts. So leise wie möglich stieß er die Falltür ganz auf und rollte sich, in jeder Hand und zwischen den Zähnen einen Wurfdolch, hinter ein paar Säcke. Wieder stürzte sich weder jemand auf ihn noch zappelte er plötzlich mit einer Schlinge ums Bein unter der Decke. Vorsichtig kroch er auf allen Vieren zurück zur Falltür, schloß sie genauso leise wie er sie geöffnet hatte, zog einen Sack darüber, richtete sich auf und sah sich noch einmal suchend um. Wieder blieb alles still.
Hinkend schlich Araghast zum Eingang des Lagerhauses, spähte vorsichtig hinaus und verfluchte sich selbst weil er sein Schwert bei seiner überstürzten Flucht im Wachhaus vergessen hatte. Nun mußte er sich mit kleineren Klingen behelfen, wenn es hart auf hart kam. Die Straße war menschenleer. Araghast drückte sich an der Wand entlang und glaubte so langsam, in jedem Schatten einen Verfolger zu sehen. War er wirklich in so kurzer Zeit schon so paranoid geworden? Wenn er vorhin bloß nicht über diesen dämlichen Kaninchenstall gestolpert wäre. Mit einem mittlerweile auf die doppelte Dicke angeschwollenen Knöchel war an eine Tour über die Dächer nicht mehr zu denken und so mußte er wohl oder übel auf dem Boden bleiben und das Beste hoffen.

Vierzehn Uhr Zehn
"Und du bist dir wirklich sicher, daß es klappt?" fragte Kanndra immer noch ein wenig skeptisch. "Ich weiß doch nicht mal wie diese Kahului nun wirklich aussieht."
"Egal, Hauptsache du hast acht Arme, das wird schon reichen. Versuch einfach, irgendwie exotisch auszusehen." Johann gab sich Mühe, wenigstens halbwegs optimistisch zu klingen. Ihm war nicht ganz wohl bei der Sache. Zwar hatten sie den Segen ihrer Ausbilder erhalten, aber was die Göttin von ihrem Plan hielt, darüber wollte Johann lieber nicht nachdenken. Er schloß die Augen.
Kanndra griff nach ihrem Amulett und konzentrierte sich. Acht Arme, dachte sie. Exotisch. Vermutlich eher achatenisch-exotisch als klatschianisch-exotisch. Hoffentlich wirkte sie wenigstens halbwegs göttlich...
"Du kannst die Augen wieder aufmachen, Wadenklotz." hörte Johann eine Stimme, von der er nur hoffte, daß seine Kollegin dahintersteckte. Man konnte sie am Besten als schnurrenden Tiger mit einer Prise Eiszapfen beschreiben. Johann öffnete die Augen- und machte vor Schreck einen Satz rückwärts. Was da vor ihm stand ließ sich kaum beschreiben. Um die Leser nicht zu enttäuschen soll hier aber doch ein deskriptiver Versuch gestartet werden. Die Frau, die jetzt vor Johann stand, maß mindestens zwei Meter. Ihr langes, schwarzes Haar war zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt und um den Hals trug sie eine lebendige Schlange. Ihr formvollendeter, nahezu unbekleideter Körper schimmerte leicht bronzefarben und die zahllosen goldenen Armreifen klirrten leise, wenn die Erscheinung ihre acht Arme bewegte. Aber das fürchterlichste waren die katzengrünen Augen mit den schlitzförmigen Pupillen. Sie schienen von innen heraus unheilvoll zu glühen.
"Wow." murmelte Johann schwer beeindruckt. Die Schlange schnappte nach ihm und Johann machte einen Schritt rückwärts.
"Keine Angst." beruhigte Kanndra ihn. "Auch die Schlange ist nur eine Illusion."
"Na dann ist ja gut." brummte Johann und schloß die Tür zum Zellentrakt auf.
"Warte!" kam es von hinten. Alberich, Valdimier und Charlie eilten auf ihn zu. "Wir wollen nichts verpassen!"
"He du Opferjäger!" rief Johann in den Zellenkorridor. "Du hast Besuch!"
Und Kahului-Kanndra baute sich vor der Zelle des Gefangenen auf.
"Soso, so weit ist es also schon mit dir gekommen, Feng Shui!" donnerte sie.
"Kahului! Kahului!" wimmerte dieser und warf sich platt auf den Boden.
"Schämst du dich denn gar nicht?" Den drei Zuschauern lief es beim Klang der Stimme kalt den Rücken herunter.
"Gnaaade, oh Herrin, Gnaaade!" wimmerte Feng Shui.
"Gnade?" fragte Kahului-Kanndra ungläubig. "Glaubst du wirklich, daß ich dich nach alldem was du angeblich in meinem Namen angerichtet hast, ohne Prüfung in meine heiligen Hallen lasse?"
"Oh Gnaade, ich tue alles was Ihr wünscht, große Kahului!" bettelte der Gefangene und starrte Kanndra mit nackter Panik im Blick an. Johann biß sich in den Handrücken um nicht laut loszuprusten. Neben sich bemerkte er, wie Alberich in seinen Bart kicherte.
"Wenn du deine Seele wirklich retten willst, Feng Shui," sagte Kahului-Kanndra in strengem Tonfall, "Dann versuche den Schaden den du angerichtet hast zumindest teilweise wieder gutzumachen. Dein Schweigen gegenüber der Stadtwache war ein grober Fehler. Wenn sie dich noch einmal befragen dann sage ihnen die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Denke daran, ich werde dich beobachten. Und solltest du lügen oder schweigen, wirst du dir ziemlich schnell wünschen, nie geboren worden zu sein." Sie wandte sich ab und ihre Konturen verschwammen.
"Kahului! Dein Befehl ist mein Leben!" rief Feng Shui ihr hinterher und wiegte sich auf dem Fußboden hin und her.
Kanndra schwebte aus dem Zellentrakt und nahm draußen wieder ihre normale Gestalt an.
"Meine Güte, das war wirklich beeindruckend." lobte Charlie.
Kanndra lächelte scheu.
"War ich auch nicht zu grob zu ihm?" fragte sie schüchtern.
"Ach was." winkte Alberich ab. "So einer wie der hat's verdient."
Johann grinste hinterhältig. "Wollen wir auslosen wer ihn nun verhören darf?"

Vierzehn Uhr Fünfundzwanzig
Die restlichen Mitglieder der Eingreiftruppe schlurften mißmutig durch die Schatten und stritten darum wer dem Hohepriester nun ihr Versagen beichten mußte.
"Warum gerade ich?" fragte Ku Klux Klan zum x-ten Mal.
"Weil du nun mal das Kommando hast." argumentierte Artischockenbaum.
"Eben." unterstützte ihn Kaffeebohne, der sich ebenfalls nicht gerade danach sehnte, Nasi Goreng mit einer weiteren schlechten Nachricht gegenüberzutreten.
"Warum gehen wir nicht einfach einen trinken?" schlug Gam Elan müde vor. Er hatte endgültig die Nase voll vom sinnlosen durch-die-Gegend-rennen und träumte schon seit Stunden von einem schönen kühlen Bier. "Wir können ja hinterher immer noch sagen, daß wir gesucht haben."
"Und alles wegen Zadirah." maulte Mari Huana. "Er wäre so eine schöne Opferung geworden aber diese dumme Nuß mußte ja den Ring verlieren."
"Und jetzt hat die Wache auch noch Feng Shui." brach Ku Klux Klan die Diskussion ab. "Brüder, wenn wir uns nicht ziemlich schnell was einfallen lassen, stecken wir bis zum Hals im Ankh."
"Können wir nicht wieder stürmen?" fragte Bananenbüschel. "Wir sind doch genug. Wenn wir alle reinrennen sind wir immerhin zu zehnt."
"Danke, ich bin nicht lebensmüde." erklärte Gam Elan. "Das sind ausgebildete Kämpfer, diese Wächter. Jetzt sind sie bestimmt auf Zack und hacken uns in Stücke."
"Und was machen wir dann?" wollte Bananenbüschel wissen.
"Einen trinken gehen?" Gam Elan ließ in dieser Hinsicht nicht locker.
"Damit das mal klar ist," mischte sich Ku Klux Klan ein, "Niemand geht hier jetzt einen heben oder sonstwo hin. Wir haben eine heilige Mission zu erfüllen und bis zum Sonnenuntergang haben wir nur noch knapp vier Stunden Zeit."
Nachdem Klischee sich nach ihrem kurzen Gastauftritt in dieser Geschichte wieder ins Bett begeben hatte, rasselte in diesem Augenblick der Wecker auf Zufalls Nachttisch. Er schrak hoch, griff nach seinem Terminkalender, schlug den heutigen Tag auf und las als Eintrag: Vierzehn Uhr Siebenundzwanzig Schundgasse Ecke Schätzchengasse Ankh-Morpork: Unglückliches Zusammentreffen. Grummelnd machte Zufall sich auf den Weg.
Nachdenkliches Schweigen senkte sich über die Gruppe.
Und so kam es, daß Araghast Breguyar ahnungslos aus einem Hinterhof geschlichen kam und sich plötzlich Auge in Auge mit Mari Huana wiederfand.
Nach einer Schrecksekunde machte Araghast auf der Stelle kehrt und lief hinkend den Weg zurück den er gekommen war.
"HINTERHER!" brüllte Bruder Huana und schwang seine Keule.
"Kahuluiii!" brüllte die Truppe und stürmte dem fliehenden Wächter nach.
Auf seinem Beobachtungsposten auf einem nahegelegenen Dach nickte Zufall zufrieden und begab sich zurück in sein Bett. Sein Part in dieser Geschichte war erledigt, das hieß er konnte erst einmal ungestört weiterschlafen und von einer Welt ohne Regeln und Chancen von eins zu einer Million träumen.

Vierzehn Uhr Dreißig
Glücklich lächelnd betraten Johann Wadenklotz und Charlie Holm die Kantine. Mit einem vor Informationen nur so sprudelnden Gefangenen hatte das Verhör richtig Spaß gemacht.
"Und, hat er geredet?" fragte Rina Lanfear ungeduldig.
"Sogar eine ziemliche Menge." berichtete Johann stolz. "Sie hätten ihn sehen sollen als Kanndra ihn in die Mangel genommen hat." Er mußte sich schon wieder das Lachen verkneifen.
"Schön." sagte der Fähnrich, "Und was hat er euch nun alles erzählt?"
Charlie blätterte in seinem Notizblock.
"Also, zum Ersten ist sein wirklicher Name nicht Feng Shui sondern Arthur Kleeblatt und er arbeitet beim König des goldenen Flusses als Altpapierstapler. Weiterhin meinte er, ihr Hohepriester hätte ihnen den Auftrag gegeben, den Wächter einzufangen der den Opferring Kahuluis trägt und daß dieser Hohepriester im Sanktuarium des Kultes in der Ramschgasse auf Erfolgsmeldungen wartet. Dann hat er noch eine Menge anderer Dinge über den Kult erzählt, die mir aber in diesem Fall im Moment nicht so wichtig erscheinen."
Rina nickte. "Wenigstens wissen wir jetzt, wo sich der Kult trifft. Johann, Charlie- Ihr schaut euch diesen Tempel mal unauffällig an."
Die beiden Rekruten salutierten und machten sich auf den Weg.

Vierzehn Uhr Zweiunddreißig
Mittlerweile saß Araghast endgültig in der Klemme. Da er aufgrund seines verdrehten Knöchels nunmehr hinken als rennen konnte, war es Ku Klux Klans Truppe ein Leichtes gewesen, ihn einzuholen und nun stand er mit dem Rücken zur Wand, in jeder Hand ein Wurfmesser, und mußte zusehen, wie sich der Ring knüppelschwingender Kahului-Jünger immer enger um ihn schloß. Seine Gedanken rasten. Zwei konnte er auf der Stelle erledigen, vielleicht noch einen dritten. Dann blieben allerdings immer noch sieben Gegner übrig. Und außerdem fehlte ihm einfach der Killerinstinkt. Einen Bruchteil einer Sekunde überlegte er, um Hilfe zu schreien, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder: In den Schatten wurden Hilferufe konsequenterweise ignoriert. Seine einzige Hoffnung blieb, daß seine Gegner ihn einer nach dem anderen hübsch in einer Reihe angreifen würden. Dann hätte er zumindest eine kleine Chance.
Doch Klischee schlummerte zu diesem Zeitpunkt tief und fest und bekam so überhaupt nicht mit, daß sie dringend gebraucht wurde.
"Brüder," kommandierte Ku Klux Klan, "Auf Kahului schnappen wir ihn uns! Und zwar alle zusammen. Habt ihr das kapiert?"
"Ähm, aber er ist bewaffnet." wandte Gam Elan ein. "Und wir haben keine blaue Farbe mehr."
"Na und? Dann pinseln wir ihn halt im Tempel ein." fuhr Ku Klux Klan ihn an und ignorierte den Hinweis auf die beiden scharfen Klingen in Araghasts Händen. Er holte tief Luft und machte ein wichtiges Gesicht.
"Eins....Zwei...Drei...Kahuluiiiiii!!!!!"
Der arme Araghast hatte tatsächlich keine Chance. Nach einem kurzen Kampfwuhling war er überwältigt, gefesselt, geknebelt und in einen Sack gesteckt worden und wurde von den Kahului-Jüngern im Triumphzug zum Tempel getragen. Es hätte ihn wohl auch kaum getröstet wenn er gesehen hätte wie sich einige seiner Angreifer blutende Stichwunden abbanden oder andere Prellungen rieben.

Vierzehn Uhr Vierzig
"Das sieht aber nicht besonders nach einem Tempel aus." kommentierte Johann.
Die beiden Wächter standen halb verborgen in einem Torweg und beobachteten den alten Schuppen auf der anderen Straßenseite, der nach den Beschreibungen Feng Shuis alias Arthur Kleeblatt das Sanktuarium des Kahului-Kultes sein sollte.
Charlie kritzelte bereits wieder eifrig in seinem Notizbuch.
"Was schreibst du da eigentlich dauernd?" wollte Johann wissen.
"Ich halte meine Beobachtungen fest." erläuterte Charlie geduldig. "Jedes noch so kleine Detail könnte später einmal wichtig werden."
"Und was hast du bis jetzt beobachtet?"
"Die Fenster sind verhangen." erklärte Charlie. "Und in der Tür befindet sich ein Klappe. Das heißt, daß nicht jeder einfach so dort hineinspazieren kann. Der Kahului-Kult mag vermutlich keine Neugierigen."
"Kein Wunder, wenn sie Menschen opfern." brummte Johann und gähnte. "Mensch bin ich müde. Ist aber auch kein Wunder, erst die ganze Tanzerei gestern Abend und dann heute früh aufstehen... Aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt, du hast echt was verpaßt, Charlie."
"Habe ich das wirklich?" fragte Holm. "Nun, Geschmäcker sind verschieden. Ich für meine Person kann nun gar nicht nachvollziehen was an dieser Gennuanermusik so... wie sagt man noch mal... kühl sein soll. Richtige Musik enthält mindestens ein Violinensolo und vor allem springt das Publikum bei solchen Konzerten nicht die ganze Zeit vor der Bühne auf und ab."
"Ach komm, so alt bist du doch auch noch nicht, Charlie." seufzte Johann. "Und in 'Eleonore Reckbei' spielt auch eine Violine mit."
"Es ist aber nicht dasselbe." erklärte Charlie. "Richtige Musik sollte entspannen. Nichts ist schöner als ein paar Sonaten von Fondel nach der Arbeit."
"Fondel?" fragte Johann.
"Ein Komponist zur Zeit des kichernden Lord Smince. Er schrieb unter anderem auch den berühmten Hochzeitsmarsch."
"Oh."
"Was, das wußtest du nicht?"
"Nein, ich meine die Männer mit dem zappelnden Sack, die da hinten kommen."
"Ohje." Charlie war erschrocken. "Glaubst du sie haben ihn wirklich erwischt?" flüsterte er.
"Ich weiß nicht." gab Johann zurück. "Kannst du etwas erkennen?"
"Moment, sie müßten gleich hier vorbeikommen."
Die beiden Wächter preßten sich so flach wie möglich an die Wand. Als die sichtlich fröhliche Truppe passierte konnten sie einige Wortfetzen aufschnappen:
"...den Gong schlagen."
"...opfern wir aber so schnell wie möglich, sonst..."
"...dir nur mal diese Wunde an, ich durfte mal wieder das Katapultfutter..."
Die Kahului-Jünger hielten auf den Tempel zu. Einer, vermutlich der Anführer, klopfte an. Die Klappe in der Tür schwang zurück und ein erregter Wortwechsel fand statt. Leider verstanden die beiden Wächter kein Wort. Der sack bewegte sich weiterhin heftig, als ob jemand wider aller Vernunft sich zu befreien versuchte.
"Ich habe da ein ganz mieses Gefühl." wisperte Johann.
"Wir müssen ihm so schnell wie möglich helfen." forderte Charlie.
"Bist du dir sicher, daß es Bregs ist?" fragte Johann.
"Wer sollte es sonst sein? Und selbst wenn er es nicht ist, hier braucht trotzdem jemand unsere Hilfe. Renn du zurück zum Wachhaus und hol Verstärkung, ich werde hier weiter beobachten. Und beeil dich!"
Johann nickte und eilte los. Als er etwa ein Drittel des Weges hinter sich gebracht hatte hörte er das Dröhnen eines großen Gongs, das einer Flutwelle gleich durch die Straßen schwappte.

Vierzehn Uhr Fünfzig
Es war stockdunkel und die Fesseln schnitten schmerzhaft in seine Glieder. Das einzige was Araghast wußte war, daß er bis eben in einem Sack durch die Straßen Ankh-Morporks transportiert und dann unsanft abgestellt worden war. Zur Zeit schien seine Lage ziemlich hoffnungslos zu sein- Er war allein und in der Hand einer Gruppe opferwütiger Irrer. Fieberhaft überlegte er, wo er sich eigentlich überhaupt befand. Eben schien jemand einen Gong geschlagen zu haben. Das Geräusch war ziemlich ohrenbetäubend gewesen, daher schloß er, daß er sich in ziemlicher Nähe des Gongs, also in einer Art Tempel befinden mußte. Er fragte sich, wie lange es noch dauern würde bis man ihn opferte. Als halber Untoter wußte er nicht was passieren würde wenn man ihn tötete, allerdings verspürte er auch nicht das geringste Bedürfnis, es herauszufinden. Sibylle. Diese einfältige Möchtegern-Mystikerin hatte ihm die ganze Sache überhaupt erst eingebrockt. Andererseits konnte er sie irgendwie verstehen. Nie!
ma!
nd starb gern. Aber den Ring einfach jemand anderem aufzustecken...
Jemand machte sich am Sack zu schaffen. Na endlich. Nun würde er zumindest sehen können, wo er gelandet war.
"Bringt ihn rüber zum Altar und kettet ihn schon mal fest." befahl jemand.
Jetzt wurde der Sack anscheinend über den Boden geschleift.
"Jetzt schon?" fragte eine andere Stimme.
"Sicher ist sicher." erklärte die erste Stimme wieder. "Es dauert mindestens noch zwanzig Minuten bis alle hier sind und ich will nichts mehr riskieren. Wenn du hier fertig bist hol schon mal die Kräuter, Ku Klux Klan."
An einem Altar festgekettet. Araghast fand, daß sich das Ganze gar nicht gut anhörte.
Der Sack wurde geöffnet und Araghast blinzelte in dämmrigen Fackelschein. Vier Männer packten ihn und hoben ihn auf eine Art Podest.
"Also gut," kommandierte die zweite Stimme wieder, "Ihr haltet ihn fest während ich ihn losmache. Kenung Sarong, halt schon mal die Ketten bereit."
Araghast spürte, wie seine Fesseln durchschnitten wurden. Verzweifelt versuchte er sich zu wehren, doch der Griff der vier Männer war zu fest. Eiserne Hand- und Fußschellen schnappten um seine Handgelenke und Knöchel.
"Sollen wir ihm den Knebel auch rausnehmen, Meister?" fragte Ku Klux Klan.
Nasi Goreng winkte müde ab.
"Macht was ihr wollt." sagte er. "Schreien nützt ihm hier eh nichts."
Und so wurde Araghast auch der Knebel abgenommen.
Er schnappte nach Luft. Wenn er auch gefesselt war, immerhin konnte er nun wieder reden. Vielleicht konnte er diesen Hohepriester ja mit Argumenten überzeugen, ihn am Leben zu lassen.
Zwar glaubte er in seinem tiefsten Innern selbst nicht daran, aber er konnte es ja zumindest versuchen. Aus diversen Geschichten wußte er, daß man mit den erstaunlichsten Dingen durchkommen konnte.
"He, Hohepriester!" rief er.
Ein feistes Gesicht erschien in seinem Blickfeld.
"Was gibt es?" fragte Nasi Goreng mürrisch.
"Ähm... Wäre es vielleicht möglich, daß ihr mich nicht opfert?" fragte Araghast vorsichtig. "Ich meine nur, Menschenopfer gelten vor dem Gesetz mittlerweile als unlizenzierter Mord. Und außerdem ist das Ganze doch ziemlich antiquiert. Könnten ihr nicht symbolisch zu Beispiel... etwas Gemüse oder so opfern? Das wäre immerhin eine Zeremonie wert und niemand muß mehr um sein Leben fürchten." Er seufzte leise. Was redete er sich da eigentlich für einen Unsinn zusammen? Na ja, egal. Vielleicht brachte es ja doch etwas. "Und wissen Sie, was man mit unlizenzierten Mördern macht?" fuhr er fort. "Lord Vetinari kennt in solche Fällen keine Gnade. Man sagt, es bereitet ihm ziemliches vergnügen, solche Menschen in der Skorpiongrube zappeln zu sehen..."
Der Hohepriester seufzte. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, diesen Ungläubigen zu opfern, obwohl er den Ring trug. Er schein einfach nicht zu begreifen, daß es eine Ehre war, für Kahului zu sterben.
"Ku Klux Klan," rief er genervt, "Beeil dich bitte mit den Kräutern."

Vierzehn Uhr Fünfundfünfzig
Völlig außer Atem stieß Johann Wadenklotz die Tür zur Kantine, die inzwischen zur Krisenkommandozentrale erklärt worden war, auf, salutierte hastig und stürmte geradewegs auf seine Ausbilderin zu.
"Sie...haben...ihn." keuchte er.
"Wie, sie haben wen? Araghast?" fragte Rina Lanfear ungeduldig.
Johann ließ auf den nächsten Stuhl fallen.
"Ja. Sie haben ihn vor gut zehn Minuten in den Tempel geschleppt. Charlie beobachtet weiter."
"Oh nein..." murmelte Rina. Dann stand sie auf, riß die Kantinentür auf und brüllte in den Flur:
"Rekruteeeeen! Alle bewaffnet antreten! Wir rücken aus!"
"Äh, Ma'am?" fragte Johann, "Darf ich eben meine Armbrust holen?"
"Ab mit dir." antwortete seine Ausbilderin. "Aber beeil dich. Jede Minute zählt."
Drei Minuten später verließen Johann, Kanndra, Alberich, Dennis, Valdimier, Arthur, Gropack, Fürst Missy, Dennis Schmied und Korporal Sidney unter der Führung von Fähnrich Irina Lanfear das Wachhaus um ihren Kollegen zu retten.

Währenddessen füllte sich in Charlie Holms Notizbuch eine Seite nach der anderen. Kurz nachdem sich Johann auf den Weg zum Wachhaus gemacht hatte, hatten die Mauern der umliegenden Häuser unter einem ziemlich lauten Gongschlag gebebt. Und seitdem strömten eigentlich die ganze Zeit Turbanträger und über und über mit billigem Folkloreschmuck behangene Frauen zum Tempel. Charlie hatte laut seiner Strichliste bereits siebenunddreißig Personen gezählt. Das schien geradezu nach einer baldigen Opferung zu riechen. Hoffentlich beeilte Johann sich...

Fünfzehn Uhr Zehn
"Hier lang!" rief Johann und wies auf eine Gasse.
"Ist es noch sehr weit?" fragte Valdimier. Er war am Vormittag bereits Streife gegangen und war nicht besonders erpicht auf weitere lange Fußmärsche.
"Nur noch eine Straßenecke." beruhigte Johann ihn.
"Ähm, wäre es vielleicht nicht doch besser wenn wir die Sache FROG überlassen würden?" meldete Kanndra Bedenken an. Sie trug Magnarox auf dem Rücken.
"Papperlapapp." erklärte Rina. "Ein bißchen Nahkampferfahrung kommt euch nur zugute. Außerdem," Sie nickte Sidney zu, der gerade zum fünften Mal seine Armbrüste untersuchte, "Haben wir einen FROG dabei. Er weiß, wie solche Einsätze ablaufen."
"Hoffentlich." murmelte Kanndra so leise, daß nur Alberich sie hörte.
"He," sagte er und gab ihr einen aufmunternden Rippenstoß, "Wenn du in der Klemme steckst, verwandle dich einfach wieder in Kahului. Glaub mir, sie werden vor dir kriechen."
Kanndra grinste schief. Ein genauer Beobachter hätte festgestellt, daß es genau jenes Grinsen war, das sie an Araghast immer verrückt machte.
"Stop!" rief Johann plötzlich. "Also, etwa ein Drittel der Straße runter liegt der Tempel. Charlie steht in dem Torbogen gegenüber."
"Also gut," übernahm Sidney das Kommando, ich werde mich jetzt zu Charlie begeben und mir seinen Bericht anhören. Ihr wartet am Besten hier." Und fort war er.

Fünfzehn Uhr Zwölf
Durch einen Schlitz in ihrem Schleier überblickte Zadirah Ehrenspeck die Lage. Es sah gar nicht gut aus. Der Wächter mit der Augenklappe lag bereits festgekettet auf dem Altar. Und es sah so aus, als ob das Ritual gleich beginnen würde. Zadirah biß vor Wut in ihren Schleier. Wie hatte sie nur so bescheuert sein können, den Ring einfach jemandem auf den Finger zu stecken? Der Wächter hatte recht gehabt. Sie war eine dumme Nuß. Und nun mußte sie tatenlos zusehen wie er ihretwegen sterben mußte. Eine Träne lief ihr aus dem Augenwinkel die Wange herunter. Warum verbockte sie bloß immer alles? Eigentlich war sie der Sekte nur beigetreten weil sie sich ein wenig Aufregung erhofft hatte. Das Gesicht ihrer Mutter erschien vor ihrem inneren Auge. Wie würde sie darauf reagieren wenn herauskam, daß ihre Tochter eine Mörderin war? Sibylle Ehrenspeck gab sich einen inneren Ruck. Es mußte doch irgendeinen Ausweg geben...

Fünfzehn Uhr Vierzehn
"Dieses Warten macht mich noch ganz verrückt!" wisperte Kanndra Johann und Alberich zu.
"Eben wolltest du das Ganze doch noch am liebsten FROG überlassen," gab Johann zurück, "Und nun würdest du am Liebsten gleich angreifen. Stimmt was nicht?"
"Ich meine nur," erwiderte Kanndra, "Wer weiß was vielleicht jetzt gerade passiert. Nachher kommen wir zu spät..."
"Kanndra?" fragte Johann und zog eindeutig eine Augenbraue hoch.
Die Antwort seiner Kollegin war ein leichtes Erröten.
"Ähm... was hat dieser Feng Shui euch eigentlich noch erzählt?" wechselte sie schnell das Thema.
"Eine Menge." erklärte Johann. "Unter anderem auch, wie das Opfer überhaupt normalerweise erwählt wird. Der Hohepriester inhaliert einige Kräuter die ihn in Trance versetzen, so daß er angeblich den Willen der Göttin spüren kann. Dann wird der Tempel völlig verdunkelt und der Hohepriester schreitet durch die Menge und steckt irgend jemandem dem Ring auf. Tja, und der ist dann am nächsten Morgen dran."
"Wie grausam!" Kanndra schüttelte sich. "Das ist ja quasi Borogravisches Roulette."
"Das Verrückte an der Sache ist ja, daß die Leute sich eigentlich sogar ziemlich gern opfern lassen wollen. Sie glauben, daß sie dann in eine Art Paradies gelangen."
"Na ja, der gute Arthur Kleeblatt bestimmt nicht mehr." grinste Alberich.
Da bogen endlich auch Sidney und Charlie Holm um die Ecke.
"Also, wie ist die Lage?" fragte Rina Lanfear.
Charlie blätterte in seinem Notizblock.
"Gegen Vierzehn Uhr fünfzig wurde ein ziemlich lautes, gongartiges Signal gegeben und kurze Zeit später strömten ziemlich viele Leute zum Tempel, es waren genau, Moment..." erneutes Blättern, "Siebenundsechzig Männer, acht Frauen und ein verschleiertes Individuum das vermutlich ebenfalls eine Frau ist. Zu den Personen ist noch anzumerken, daß sie alle ziemlich seltsam gekleidet waren. Sogar nach Ankh-Morpork-Maßstäben seltsam."
"Waren sie bewaffnet?" fragte Sidney.
"Nein, jedenfalls nicht offen."
"Gut." sagte der Korporal. "Mit Unbewaffneten müßten wir eigentlich ziemlich leicht fertig werden. Wächter!" rief er, "Wir bereiten uns nun auf die Stürmung des Gebäudes vor. Jeder bekommt einen Posten zugeteilt und auf mein Zeichen dringen wir in den Tempel ein. haben die Fenster Glasscheiben, Charlie?"
"Nein, sie sind nur von innen verhangen." antwortete dieser.
"Wunderbar. Johann, Alberich, Dennis, Missy und Arthur, ihr postiert euch jeweils vor einem der Fenster. Valdimier, Charlie und ich werden nach eventuellen Nebenausgängen Ausschau halten, während Rina, Gropack und Kanndra sich den Haupteingang vornehmen. Alles klar?"
"Jawohl Sir!" kam die einstimmige Antwort.
"Also gut." rief Sidney. Hier war er völlig in seinem Element. "Dann los!"

Fünfzehn Uhr Sechzehn
Die Gemeinde war vollzählig versammelt und bereit. Hohepriester Nasi Goreng spürte die Anspannung und Aufregung im Raum, als er angemessen würdevoll die rituelle Zeremonienmaske aufsetzte. Schließlich hatte er nun endlich sein Opfer.
Mit einer schwungvollen Handbewegung brachte er die Menge zum Schweigen.
?Meine lieben Brüder und Schwestern!? begann er und machte eine Kunstpause.
Die versammelten Kultanhänger sahen ihn weiter erwartungsvoll an.
?Meine lieben Brüder und Schwestern,? wiederholte er und pausierte abermals.
Die Spannung besaß nun beinahe schon Substanz. Die Luft knisterte förmlich.
?Meine lieben Brüder und Schwestern, wir haben uns heute hier versammelt um einen besonderen Tag zu begehen.? brachte der Hohepriester seinen Satz zur Befriedigung seines Publikums endlich zu Ende.
"Langsam wiederholt er sich." wisperte Gam Elan Mari Huana zu.
?Ein neues Jahr bricht an, ein neues Opfer wurde erwählt." fuhr Nasi Goreng fort. "Sie, die uns Segen und Glück beschert, hat entschieden.?
"Siehst du, er war sogar zu faul, eine neue Rede zu schreiben." kommentierte Gam Elan weiter.
"Ach sei still." zischte Ku Klux Klan schräg ihm. Immer hast du was zu meckern. Schon schlimm genug, daß ich keine Zeit mehr hatte, die Zeremonienkräuter fertigzukochen. Nun wird er bei vollem Bewußtsein geopfert."
Hinter Ku Klux Klan mußte Sibylle schlucken.
Nasi Goreng winkte huldvoll. Bringt das Opfer herei- Ach nein, unser Opfer liegt ja schon da. Also holt die blaue Farbe der Erleuchtung!"
"Die Farbe ist alle, Meister!" rief Ku Klux Klan. "Wir haben auf der Jagd alles verbraucht!"
Der Hohepriester seufzte.
"Na schön," sagte er, "Dann bilden wir uns halt ein, daß wir ihn angemalt haben. Ich hoffe doch stark, daß wenigstens das Zeremonienschwert noch da ist."
Er wandte sich der Statue zu und siehe da- Das Schwert lag erstaunlicherweise noch an seinem Platz. Zufrieden hob Nasi Goreng es auf. Zumindest darauf konnte man sich noch verlassen.
Er hielt das Schwert hoch über seinen Kopf.
"Kahuluiii!!!!!" rief er.
"KAHULUIII!!!!" antwortete ihm die Gemeinde.
Der Hohepriester umklammerte den Griff des Schwertes als wäre es sein letzter Rettungsanker. Er hatte ein ungutes Gefühl. Ohne die Farbe war es einfach keine richtig gute Opferung.
Mit zusammengekniffenen Augen visierte er Araghasts Hals an. Irgendwie schien der gesamte Tempel ein wenig zu schaukeln. Vielleicht waren die Kräuter vorhin ihm doch nicht so gut bekommen. Er holte aus und verharrte, um die Spannung doch noch ein wenig zu steigern. Die Gemeinde schwieg andächtig. Doch plötzlich schrie jemand.
Und dann explodierte die Welt um Nasi Goreng.

Araghast hatte inzwischen jegliche Hoffnung auf Rettung aufgegeben. Er würde sterben müssen. Und das alles nur wegen eines dummen Ringes. Verzweiflung packte ihn. Was geschah mit Halb-Untoten wenn man ihnen den Kopf abschlug? Wenn er sich nur fest genug wünschte weiterzuleben, würde er dann als Zombie wiederauferstehen? Er glaubte, hinter dem Altar einen dünnen, schwarzen Schatten gesehen zu haben. Nein, diese Gedanken hatten doch alle keinen Sinn. Er würde sterben, begraben und vergessen werden. Vermutlich würden seine Kollegen ihn auf dem Friedhof beim Tempel der geringen Götter bestatten. Was für eine Vorstellung. Das Opfer eines Kultes, neben einem Tempel verscharrt. Das wäre doch eine gute Geschichte. Bloß seine eigene würde hier in wenigen Sekunden enden. Wie immer in den letzten Sekunden zog sein Leben im Zeitraffer an ihm vorbei. Seine Mutter. Seine Flucht aus dem Waisenhaus. Jorge DiAguila. Seine Zeit auf See. Der plötzliche Tod seines Freundes. Der Schlüssel. 1968.!
L!
ord Vetinari und der hohle Grabstein. Sein Schwert. Die Suche nach seinem Vater. Sein Eintritt in die Wache. Das Konzert am vorigen Abend. Der Ring. Seine Gefangennahme. Der Hohepriester, der in diesem Moment mit seiner Waffe ausholte. Da durchzuckte ihn eine Welle der Angst. Todesangst.
Der Ring glitt von seinem Finger und fiel dem Boden entgegen. Jemand schrie. Millisekunden danach explodierte die Welt.

"Jetzt!" brüllte Sidney.
Schreiend sprangen sie Wächter durch diverse Fenster und Türen in den Tempel und schwangen dabei bedrohlich ihre Waffen. Im Sanktuarium brach das Chaos los und es bildete sich eine wahre Menschentraube vor das Tür, als zu viele Personen versuchten, sich gleichzeitig durch die ziemlich enge Tür zu quetschen.
Johann hatte zufällig das Fenster erwischt, das zum Lagerraum hinter dem Altar führte. Hastig sah er sich um und zielte mit seiner Armbrust in diverse Ecken. Niemand war zu sehen. Nur ein kleines Feuer brannte in einer Blechschüssel und ein Topf hing darüber. Dampfschwaden stiegen daraus hervor. Neugierig trat Johann näher. Durch die Tür zum Altar drang gedämpfter Lärm. Johann beugte sich über den Topf und schnupperte an der dunkelgrünen Pampe die dort blubbernd vor sich hinköchelte. das roch doch schon mal gar nicht schlecht. Er nahm noch ein paar Nasen von dem Aroma. He, das Zeug ist Klasse, dachte er. Man fühlt sich auf einmal so leicht...
Lautes Gezeter lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Einsatz. Johann hob seine Armbrust, stieß ein markerschütterndes Gebrüll aus und stürmte ins Sanktuarium um seine Kollegen zu unterstützen. Wenn jemand darauf geachtet hätte, hätte er in Wadenklotz' Kampfgesang die Melodie von 'Lucinda im Himmel mit Oktironen' wiedererkannt. Doch bereits nach drei Metern wurde Johanns Vorsturm abrupt unterbrochen, als er gegen einen dicken Mann mit einer goldenen Maske prallte.

Sibylle konnte gar nicht mehr hinsehen.
"KAHULUI!!!!" brüllte die Gemeinde.
Nun war es endgültig zu spät, um noch zu handeln. Wie in Zeitlupe sah sie, wie der Hohepriester mit dem Schwert ausholte. Ihr Blick sprang zu Araghast, besser gesagt auf seine Hand. Langsam glitt der Ring von seinem Finger und fiel. Sibylle reagierte instinktiv:
Sie schrie.
Dann schien die Welt um sie herum zu explodieren.
Durch diverse Fenster und Türen stürzten Bewaffnete ins Allerheiligste. Panisch drängte die Gemeinde in Richtung Tür. Sibylle hatte ordentlich Mühe, gegen den Sog vorwärtszukommen. Doch schließlich hatte sie es geschafft. Sie stand direkt vor dem Altar. Schnell bückte sie sich und hob den Ring auf. Dann beugte sie sich über Araghast, der immer noch an den Altar gekettet lag.
"Alles in Ordnung?" fragte sie besorgt.
"In Ordnung?" fragte Araghast, "Ich wurde hier gerade um Haaresbreite ermordet und du fragst ob ich in Ordnung bin?"
Doch Sibylle hörte schon gar nicht mehr zu. Nasi Goreng stand vor ihr, in der Hand immer noch das Schwert.
"Gib mir den Ring, Zadirah!" befahl er.
"Nein!" rief diese. "Der Ring hat schon genug Unheil angerichtet. Ich werde ihn vernichten."
"Wirklich?" fragte der Hohepriester und hob seine Waffe. "Da bin ich mir nicht so si..."
Weiter kam er nicht. Ein weiterer Wächter, der urplötzlich aus dem Raum hinter dem Altar geschossen kam und dabei etwas grölte das verdächtig nach einem Lied der Pilzköpfe klang, rannte geradewegs in Nasi Goreng und riß ihn um.
Eine Idee durchzuckte Sibylles Gehirn. Sie setzte ein triumphierendes Lächeln auf.
"Den Ring wolltest du haben, Meister?" fragte sie bissig. "Bitte schön, nimm ihn."
Sie beugte sich herunter und schob dem vom Sturz immer noch benommenen Nasi Goreng den Opferring auf seinen Mittelfinger.

Währenddessen hatte Alberich mit Hilfe seiner Axt Araghast von seinen Fesseln befreit.
"Oh je," stöhnte dieser, "Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll. Wie habt ihr mich eigentlich überhaupt gefunden?"
"Wir haben einen von den Kerlen festgenommen und verhört. Das war übrigens eine sehr lustige Angelegenheit." erklärte Alberich.
Araghast starrte derweil auf seine Hand. "Ich verstehe immer noch nicht, wieso der Ring plötzlich abgefallen ist." sagte er leise.
"Er ist magisch. Lösen läßt er sich nur durch Todesangst. Charlie hat es übrigens herausdeduktiert." Alberich sah sich rund um den Altar um. "Wo ist er eigentlich geblieben?"
"Liegt er nicht mehr dort?"
"Nein. Ich kann ihn nirgendwo finden. Komisch..."
Ein Aufschrei erschütterte die Bretterwände des Tempels.
"Nein! Das kannst du mir doch nicht antun! Zadirah! Komm sofort zurück!"
Die beiden Wächter wandten sich um. Am Rand der Altarplattform, gut sichtbar für jedermann, stand der Hohepriester und riß an seinem Finger herum.
"Du Miststück!" schrie er rasend vor Wut. "Na warte nur, wenn ich dich kriege..."
"He!" rief Ku Klux Klan mitten aus dem Getümmel."Er trägt den Ring! Er ist auserwählt!"
"Wie..." stammelte Nasi Goreng. "Ihr könnt mich doch nicht einfach... He, hört mal, ich bin euer Hohepriester! Ihr braucht mich noch!"
Doch Ku Klux Klan arbeitete sich bereits durch die sich fröhlich prügelnde Menge, hob das Zeremonienschwert, das unter eine Bank gefallen war, auf und rannte auf Nasi Goreng zu.
"Halt!" rief Alberich. "Im Namen der Stadt Ankh-Morpork, Du bist verhaftet!"
Doch der Hohepriester hatte sich bereits in Panik aus dem nächsten Fenster geworfen, dicht gefolgt von einem schwertschwingenden, Kahului-brüllenden Ku Klux Klan.
Araghast und Alberich sahen sich nur an und schüttelten die Köpfe.
"Komplett übergeschnappt." stellten sie unisono fest.

Fünfzehn Uhr Fünfundvierzig
Stabsspieß Atera und Hauptgefreiter Cim Bürstenkinn schlenderten den breiten Weg entlang, als sie auf einmal seltsame Schreie hörten, die schnell lauter wurden.
"Was ist denn das schon wieder?" fragte Cim und schaute seine Vorgesetzte fragend an.
Diese zuckte nur mit den Schultern.
"Ich weiß es nicht." antwortete sie. "Aber Moment... Es klingt wie 'Hi-Hi-Hilfe!"
"Sollen wir nachschauen?" fragte Cim.
Doch innerhalb der nächsten fünf Sekunden hatte sich die Frage bereits erledigt.
Ein dicker, schnaufender Mann mit einer goldenen Maske kam urplötzlich zwischen den Häusern hervorgeschossen und rannte Atera über den Haufen. Wenige Meter hinter ihm folgte ein zweiter Mann, der eine Art Schwert schwang und unverständliche Laute von sich gab.
So schnell wie sie erschienen waren, waren die beiden auch schon vorbei.
"Verrückte gibt es..." murmelte Cim und reichte seiner Vorgesetzten ihren Arm.
"Was hat der zweite Kerl eigentlich gebrüllt?" fragte Atera und packte ihr Nähgarn aus.
"Keine Ahnung." erklärte Cim. "Es klang wie Kahlua oder so ähnlich."

Sechzehn Uhr Fünfzehn
Fähnrich Irina Lanfear saß in ihrem türlosen, blau gesprenkelten Büro und schrieb den Einsatzbericht. Nachdem der Hohepriester völlig überstürzt geflohen war hatten sie mit dem Rest des Kultes leichtes Spiel gehabt- der Zellentrakt quoll von turbantragenden Männern geradezu über. Die meisten von ihnen würde sie zwar am nächsten Tag nach einem Verhör wieder gehen lassen, aber eine Nacht in einer kahlen, feuchten Zelle und eine aus original T.M.S.I.D.R. Schapper-Würstchen bestehende Mahlzeit hatten sie in ihren Augen allemal verdient. Gern hätte sie auch noch diesen Hohepriester in die Finger bekommen, aber von einem anderen Verrückten mit einem Schwert durch die halbe Stadt gejagt zu werden schien ihr auch eine vernünftige Strafe. Das würde ihn vermutlich endgültig vom Opfern kurieren. Rina lächelte hinterhältig. Und außerdem trug er den Ring...
Nun, insgesamt konnte man den Fall allemal als erfolgreich abgeschlossen betrachten. Sie überlegte, ob sie Steingesicht bitten sollte, Kanndra auf die Verhöre anzusetzen. Das würde bestimmt lustig werden...
Dann bemerkte Rina die Memo auf ihrem Schreibtisch. Sie zog den leuchtend orangenen Zettel unter einem Stapel von Protokollen hervor, las ihn- und stutzte. Dann las sie die Nachricht erneut, in der Hoffnung, daß sie sich verlesen hatte, doch der Inhalt blieb derselbe. Nein, dachte sie, das kann doch nicht sein, da muß sich jemand geirrt haben. Entschlossen stand sie auf und marschierte mit der Memo zu Steingesichts Büro, als ihr einfiel, daß der Feldwebel mit ein paar Neuzugängen auf dem Schießplatz war. Also lenkte sie ihre Schritte in Richtung Sidneys Büro. Doch bevor sich auch nur die Hälfte der Distanz hinter sich gebracht hatte, schwang die Tür ihres Ziels auf und ein ziemlich perplexer Korporal kam herausgestiefelt, in der Hand einen leuchtend orangefarbenen Zettel.
"He, Rina!" rief er. "Hast du auch eine Memo bek..."
"Sidney!" Rina ließ ihn gar nicht ausreden. "Dann ist es also keine Falschmeldung?"
"Also wenn sich nicht ein paar Rekruten einen ziemlich dummen Streich erlaubt haben, nicht." seufzte der Korporal. "Ich werde noch mal nachfragen, aber für mich scheint die Memo echt zu sein."
"Bitte nicht!" stöhnte Rina. "Das hat mir gerade noch gefehlt!"

Neunzehn Uhr
In der 'Trommel' tobte die Stimmung. Die gesamte Abteilung GRUND hatte sich zum Feiern dort eingefunden und diejenigen die nicht dabei gewesen waren lauschten mit einem gewissen Neid oder einer gewissen Erleichterung [7a] den Erzählungen ihrer Kollegen. Auch Araghast war froh, endlich die ganze Geschichte zu erfahren, nachdem er die Stunden nach seiner Rettung damit verbracht hatte, seine Zeugenaussage zu Papier zu bringen.
"Ach komm, mach uns noch mal die Kahului, Kanndra!" rief Johann ausgelassen und schwenkte seinen Bierkrug.
Kanndra grinste ihn an und konzentrierte sich.
"Nehmt euch in Acht, Ungläubige!" brüllte sie durch die Taverne. "Wenn ihr nicht schön brav aussagt werdet ihr auf ewig in den hintersten Höllen schmoren!"
Alberich kicherte in sein Bier.
"Die Herren werden sich ganz schön wundern wenn ihre Göttin plötzlich die Stadtwache unterstützt."
Kanndra verwandelte sich wieder zurück und ließ sich neben Valdimier, fallen, der sich ebenfalls lachend an seinem Wasserglas festkrallte.
"Meine Güte Kanndra," japste er, "Du solltest eine eigene Sekte aufmachen. Mit so was kann man ziemlich schnell ziemlich reich werden. Weißt du schon, daß Missy und Dennis fast Fünfzigtausend AM-Dollar unter den Bodenbrettern des Altars aufgestöbert haben?"
"So viel?" staunte Kanndra. "Na ja, irgendwo müssen sie ihre Tempelschätze ja verstecken."
Einen Tisch weiter setzte Johann seinen Kollegen gerade seine Erfahrungen mit der zeremoniellen Kräutermischung auseinander.
"Es fühlte sich an als ob du durch lauter Watte gehen würdest! Doch dann bin ich gegen irgend jemanden gegengerannt und als ich wieder aufwachte war's leider vorbei."
"Das war wahrscheinlich das Zeug das man mir verabreichen wollte." Araghast grinste schief.
"Ganz einfach," erklärte Charlie, "Das Opfer wurde vor dem Ritual grundsätzlich betäubt, denn spätestens wenn der Hohepriester das Schwert hob fiele sonst vermutlich der Ring ab. Die Kräuter haben die Opferung überhaupt erst möglich gemacht."
"Na dann kann ich ja von Glück sagen, daß sie nicht mehr rechtzeitig fertig geworden sind." bemerkte Araghast.
"Was ist jetzt eigentlich aus dieser Zadirah geworden?" wollte Dennis wissen. "Sie scheint sich irgendwie verdrückt zu haben."
"Ich weiß wie sie wirklich heißt." sagte Araghast grimmig. "Und ich habe mir von Rina höchstpersönlich die Erlaubnis abgeholt, sie morgen verhaften und verhören zu dürfen."
"Du bist ziemlich sauer auf sie, nicht wahr?" fragte Charlie.
"Und ob. Wärst du das nicht, wenn dich jemand durch pure Beschränktheit beinahe umgebracht hätte? Ich weiß, sie war in Panik, aber hätte sie den Ring nicht einfach im Ankh entsorgen können? Manche Leute denken einfach nicht vernünftig."
"Wem sagst du das..." murmelte Charlie und wollte gerade zu einem längeren Vortrag über die Vorzüge rationalen Denkens ansetzen, als die Tür der 'Trommel' ruckartig aufgerissen wurde und Fähnrich Irina Lanfear die Taverne betrat.
"Ruhe!" brüllte sie.
Sofort verstummten die Rekruten, begaben sich in eine mehr oder weniger senkrechte Haltung und salutierten. Was stimmte denn jetzt schon wieder nicht?
Rina räusperte sich.
"Meine lieben Rekruten," verkündete sie, "Wir werden bald einen neuen Ausbilder bei GRUND begrüßen dürfen- Unser Kommandeur Rince höchstpersönlich hat sich entschieden, Mir und meinen Kollegen unter die Arme zu greifen. Nicht daß ich euch jetzt bei eurer kleinen Feier stören wollte- Ich wollte euch nur schon mal vorwarnen. Also seit spätestens übermorgen wieder nüchtern, dann tritt der Kommandeur nämlich seinen Dienst bei und an." Sie atmete tief durch. Nun war es heraus. "Euch dann noch einen schönen Abend." schloß sie ihre kleine Rede und verließ die 'Trommel' so abrupt wie sie dort erschienen war.
Unter den Rekruten brach wildes Gemurmel aus.
"Der Kommandeur als Ausbilder? Au weia, da müssen wir uns ja sogar mal wirklich anstrengen!"
"Hab ich das eben wirklich nicht geträumt?"
"So betrunken bist du noch nicht, Johann."
"Och schade... Dann wäre es wenigstens wirklich nicht wahr."
Zur leichteren Verdauung des Schocks wurde erst einmal eine neue Runde Bier [9] bestellt. Und dann noch eine... und noch eine...


Derweil in einem Zimmer im Gildenhaus der Musiker am Blechdosenweg:
Die letzten Töne eines Liedes verklangen.
"Das war doch schon mal gar nicht schlecht." stellte einer der vier jungen Männer fest, die dort probten.
"Fehlt nur noch der Name." meldete sich ein anderer zu Wort.
Der Schlagzeuger legte seine Stöcke beiseite und erhob sich.
"Wie wär's mit 'Wir leben alle in einem gelben Sicher-unter-der-Meeresoberfläche-reisen-Gerät?" schlug er vor.
Stille antwortete ihm.
Schließlich sprach der erste wieder:
"Ich weiß nicht, Ringo. Es klingt irgendwie...beknackt. Na ja, aber eigentlich wolle ich mit euch noch mal über das andere Lied reden. Heute Nachmittag ist mir da was ganz Komisches begegnet. Ein Kerl mit einer goldenen Maske kam brüllend den Blechdosenweg langgerannt und schrie um Hilfe, während ihn ein anderer mit einer Art Machete verfolgt hat. Daraufhin haben Paul und ich den Text noch mal umgeschrieben."
"Moment mal," fragte Ringo, "Redest du da von 'Springender Jakob Blitz'? Ich fand den alten Text richtig gut!"
"Dann warte bis du den neuen hörst." grinste Paul. "Also ran an die Instrumente, wir singen ihn euch mal vor."
Die Band griff wieder nach ihren Instrumenten. Einen Moment war es wieder still im Probenraum, dann zählte Paul leise:
"Eins...zwei...Eins, zwei, drei, vier,"

Hilfe
Ich brauche jemanden
Hilfe
Nur irgend jemanden
Hilfe
Ich weiß ich brauche jemanden
Hi-Hilfe!

Als ich noch jünger war, viel jünger als zur Zeit
Brauchte ich niemals irgendwelche Hilfe weit und breit
Doch dies ist lang vorbei und langsam wird mir klar
Ich muß mein Leben ändern, die Tür steht offen da

Hilf mir wenn du kannst ich liege unten
Ich hoffe doch sehr, du hast mich gefunden
Hilf mir denn mein Ego ist geschunden
Bitte hilf mi-ir, hilf mir!

In so vielen Punkten veränderte sich mein Leben
Meine Unabhängigkeit hab ich aufgegeben
Doch hin und wieder fühle ich Unsicherheit
Aber wenn du da bist fühle ich mich wie befreit

Hilf mir wenn du kannst ich liege unten
Ich hoffe doch sehr, du hast mich gefunden
Hilf mir denn mein Ego ist geschunden
Bitte hilf mi-ir, hilf mir, hilf mir, hilf mi-ir, oh-oooooooooh

Das Lied klang in einem langgezogenen Ton aus.
"Also, ihr habe mich überzeugt." gab Ringo schließlich zu. "Das Ganze könnte tatsächlich ein Hit werden."

ENDE


In Memoriam John Lennon und George Harrison

Anmerkung der Autorin: Diese wahnsinnig bekloppte Single basiert lose auf dem ebenso wahnsinnig bekloppten Beatles-Film 'Help'.
[1] Die Uhrmachergilde hatte allzu hart auf ihr Recht gepocht, die einzig wahre Zeit zu verwalten

[2]  bzw. Särge oder andere Schlafmöglichkeiten

[3] Anmerkungen zu allen weiteren Zeitangaben siehe oben

[4] oder wo sich rosarote Elefanten auch immer aufhalten wenn sie nicht gerade durch das Delirium irgendeiner Person taumeln

[5] Dieses gehört zum inoffiziellen Teil der Rekrutenausbildung

[6] Man stelle sich das mal bildlich vor!

[7] Wer jahrelang bei jedem Wetter in gefährlich schwankender Schiffstakelage herumgeklettert war konnte auf so ziemlich allem herumklettern.

[7a] letzteres bezog sich vor allem auf Vico

[9] oder Wein, Schwefellimo oder Mineralwasser, je nach Vorliebe und/oder Spezies




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