Drei Morde und eine Rettung

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von Lance-Korporal Dragor Nemod (RUM)
Online seit 28. 07. 2002
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Drei Morde, eine Familie, ein Neider und ein Gilde fordern Dragor diesmal heraus

Dafür vergebene Note: 11

Anmerkung: Einige Ränge und Positionen dieser Single stimmen nicht mehr, da ich drei Monate gebraucht habe um sie fertig zu stellen. Danke für ihr Verständnis.

Dragor schleppte grade einen Karton in sein neues Büro. In selbigem waren die Dinge mit denen er es einrichten wollte. Es war nicht sehr viel: Sein Schmink-Dich-Flink-Maskenkoffer, ein großer Briefblock, ein halbes Dutzend Dauerstifte, einen Stifthalter, einen kleinen Gaskocher, ein halbes Pfund Tee, ein kleiner Kessel, eine Blechtasse und ein Bilderrahmen, welchen er von Lena geschenkt bekommen hatte. Ihr letzter Tschob war in einer Schreinerei-Werkstatt gewesen. Langsam und vorsichtig, um nicht aus
Versehen den schönen Rahmen zu beschädigen, trug er die Kiste durch die Türe.
Plötzlich begannen seine Hände zu zittern. Dragor wollte es noch unterdrücken, doch bevor er reagieren konnte ging das Zittern in eine Zuckung über und der Karton erfuhr, was Schwerkraft ist. Scheppernd verteilte er seinen Inhalt über den Boden. Mit einem lang gezogenen Seufzer lies Dragor sich neben dem verteilten Kisteninhalt auf die Knie sinken und begann alles einzusammeln. Irgendwie war Dragor in letzter Zeit sehr nervös. Er wusste selber nicht woher es kam, aber eins stand fest: Er musste dafür sorgen, dass es genauso schnell wieder aufhörte, wie es begonnen hatte. Erst gestern hatte er dem armen Herrn Ohnezucker, Besitzer des Teeladens am Hier-Gibts-Alles-Platz, während des Probierens kochend heißes Wasser auf die empfindlichen Stellen gegossen. Heute morgen war ihm vier mal der Blut-Beutel seines Koffers hingefallen und geplatzt. So konnte das nicht weitergehen, dachte Dragor, als er den glücklicherweise unbeschädigten Bilderrahmen wieder zurück in den Karton legte. Es war nicht nur äußerst nervig, es war in seinem Beruf auch lebensgefährlich so nervös zu sein. Aber im Moment war sowieso nichts zu tun, also richtete Dragor sich erst einmal in seinem Büro häuslich ein. Er stellte die Pappschachtel auf seinen Schreibtisch. Der Briefblock kam in die Schreibtischschublade, daneben die Dauerstift-Packung. In die zweite Schublade platzierte Dragor den Tee, die Blechtasse und den auseinander gebauten Gaskocher. Aus Platzmangel kam der Kessel in das ansonsten gähnend leere Regal. Der Stifthalter wurde samt Stift auf den Schreibtisch gestellt. Der Koffer fand seinen Platz im Fußraum des Schreibtisches. Dann öffnete Dragor mit einer beinahe zeremoniellen Bewegung sein Buch. Auf der aktuellen Doppelseite war eine Ikonographie von Lena. Er hatte sich dafür extra einen anderen Ikonographen ausgeliehen [1]. Er steckte das Foto in den Bilderrahmen, klappte die Stütze aus und stellte den Rahmen auf den Schreibtisch. Als letztes legte er das Buch ebenfalls auf den Tisch. Das war also sein neues Büro. Und wieder ein neues Kapitel.

"Okay, Rekruten, aufgepasst!" Atera, ihres Zeichens Verkehrsexpertin und momentan Ausbilderin stand auf einer Strasse, vor ihr Galdos, Kamikhan, Eli Beissmich und Rogi Feinstich, allesamt vollwertige Wächter in spe. "Ich werde euch nun erklären was ihr zu tun habt wenn ihr einen Verkehrsunfall zu Protokoll nehmt. Und wenn wir Glück haben, dann können wir es auch gleich praktisch anwenden." Sagte Atera mit einem lächelnden Seitenblick auf die naheliegende und stark belebte Straßenkreuzung.
Sie wendete ihren Blick wieder den Rekruten zu. "Nun, was denkt ihr ist das wichti..."
"En...tfuldigung, Mä'äm..." meldete sich Rogi zu Wort.
"Ja, Rekrutin Rogi?" anstatt zu antworten zeigte die Igorin nach rechts, in Richtung der Straßenkreuzung. Die untote Ausbilderin drehte sich gehorsam in die entsprechende Richtung... ...und bekam einen Schock. Sie stand auf einer Strasse die eigentlich kaum Verkehr aufwies. Aber in diesem Moment kam ein Karren von der Kreuzung geschossen. Es sah aus wie ein normaler Eselskarren, wurde jedoch von einem Pferd gezogen. Auf der Ladefläche standen gut dreißig Personen, zwei bis drei Hühner, ein Wolf und ein Zombie hatte sich sogar in seinen Einzelteilen an den Rahmen binden lassen. Das Pferd keuchte jetzt schon, doch der Karrenlenker trieb es immer noch weiter an. Die gestaltgewordene Verkehrsgefährdung flog nur so auf Atera zu, welche gelähmt von diesem Anblick dastand. Schließlich reagierte sie doch noch, jedoch zu spät. Sie wollte gerade springen, da schlug sie der Huf des Pferdes nieder. Ihr Kopf, erst kürzlich angenäht, löste sich und flog im hohen Bogen davon, die Füße blieben stehen, im Gegensatz zum Rest des Körpers. Beim Aufprall auf dem Pflaster verlor Atera dann noch eine Hand. Mit einem Schrei flog der körperlose Stabsspieß auf die Rekruten zu und wurde von Galdos aufgefangen. Hastig drehte der Rekrut den Kopf so dass seine Ausbilderin ihn ansehen konnte.
"War das vielleicht einer der Unfälle die sie meinten, Mä'äm?"

Dragor war kurz davor einzuschlafen. Nichts, aber auch wirklich gar nichts geschah hier! Aber eigentlich konnte er die Entspannung gut gebrauchen. In letzter Zeit hatte er sehr viel erlebt. Außerdem schien das Serum mit dem Sam, Barnabas und er selber die Kräfte der Untoten erlangt hatten irgendwelche ungeahnten Nebenwirkungen zu haben. Anders konnte sich Dragor seine momentane Nervosität nicht erklären.
Auf jeden Fall tat ihm ein wenig Ruhe einmal gut. So saß er da und dachte über sein Leben nach. Es war schon eine seltsame Sache. Seit ein paar Tagen waren Zeichnungen in seinem Buch deren Bedeutung er nicht kannte und die auch Lena unbekannt waren. Aber im Moment hatte er andere Sorgen. Zum Beispiel musste er erst einmal herausfinden wer er wirklich war. Obwohl... irgendwie hatte das Verlangen in letzter Zeit nachgelassen. Es war Dragor nicht mehr so wichtig herauszufinden wer er wirklich war.

"Okay, alles bereit?"
"Bist du dir sicher, dass der Präsident heute persönlich lenkt?"
"Na klar, es ist so etwas wie... wie..."
"Eine Eröffnungszeremonie?"
"Wollte ich gerade sagen! Unterbrich mich nicht immer!"
"'Tschuldigung Eduardo..."
"Und nenn mich nicht so! Mein Name ist... Moment, sei still, der Karren kommt!"
Das Trommeln von Hufen war zu hören. Ein prüfender Blick ging zur nahen Hauswand, welche die Kurve einleitete. Das Trommeln kam näher. Ein Nicken wurde mit einem Nicken beantwortet. Ein Seil wurde gespannt. Das Trommeln erreichte die zwei versteckten Gestalten und ging nahtlos in ein erschrecktes Wiehern und einen Schrei über. Der Schrei entfernte sich schnell. Dann hörte man einen dumpfen Aufprall.
"Sehr schön..."

Mit einem Gähnen schob Dragor seine Hand in eine der vielen Innentaschen die er eigenhändig an seine Uniform genäht hatte und ergriff den zappelnden Inhalt. Er holte die Faust wieder hervor und öffnete sie. Ein kleiner Dämon mit einem winzigen Notizblock und einem ebenso kleinen Stift im Gürtel sprang auf der Hand auf und ab.
"Ey Boss! Kannst mir wenigstens mal Bescheid sagen. Ihr behandelt unser Volk immer wie... wie... Küchengeräte! Nur weil ihr größer seid! Immer und immer..." die kleine Gestalt war in ihrem Element. Wäre sie nicht von Natur aus rot, spätestens nun hätte sie diese Farbe angenommen. Dragor verdrehte die Augen.
"Semmy..."
Der Dämon fluchte ungehemmt weiter.
"Wie würdet ihr euch denn fühlen wenn wir sagen würden: Hey, du mieser Mensch, der du nichts wert bist aufgrund deiner Körpergröße, mal mir in Sekunden ein Bild von einem bewegten Dingsda! Oder..."
"Semmy."
Immer noch keine Reaktion vom kleinen Flucher.
"Und wie wir leben müssen! Ich habe es ja noch gut erwischt, ich darf ohne Käfig arbeiten, aber denk mal an die armen Ikonographen-Dämonen! Sie leben in Dunkelheit und sehen die Welt immer nur ganz kurz in einem Fenster! Würde ein Mensch..."
"Semmy!"
Der cholerische Diekthier-Dämon verstummte und blickte zu seinem Boss auf.
"Was ist?"
"Hatten wir nicht eine Einigung erzielt?"
"Oh... stimmt... Sorry Boss..."
"Kannst du mir bitte die Uhrzeit sagen, Semmy?"
"Ja sehe ich aus wie ein Disorganizer-Dämon oder was?"
"Semmy..."
"Jajaja... es ist Siebzehn Uhr Neunundvierzig."
"Danke schön."
"Steck dir dein..."
Dragor schloss die Faust und die Stimme brach abrupt ab. Er verfrachtete Semmy zurück in seine Tasche. Bald Dienstschluss. Jetzt würde sowieso nichts mehr passieren. Dragor nahm den letzten Schluck des mittlerweile erkalteten Pfefferminztees und klappte sein Buch auf, nahm den Stift aus der Dose und begann zu schreiben. Leider endete das ganze nach drei Buchstaben in einem verwinkelten Strich. Oberfeldwebel Irina Lanfear stand in der Türe. Sie war nicht besonders geräuschvoll eingetreten, doch sie war trotz alledem eine erschreckende Störung der allgemeinen Stille.
"Oh, Entschuldigung Dragor, ich wollte dich nicht erschrecken."
Dragor sprang kerzengerade auf und salutierte.
"Nicht ihre Schuld, Mä'äm."
Der Oberfeldwebel verdrehte die Augen. Dragor konnte einfach nicht zum "du" übergehen, oder wenigstens mit dem Salutieren aufhören.
"Drag, wann gewöhnst du dir endlich an, mich Rina zu nennen, wie der Rest auch..."
"Wenn ich denselben Rang habe wie Sie, Mä'äm."
Ein resigniertes Stöhnen entrang sich Rinas Kehle. Er würde es wohl wirklich nicht eher lernen.
"Auf jeden Fall wollte ich mal vorbeischauen wie es dir geht. Es war sehr langweilig heute und da dachte ich vielleicht du wärest..."
"Eingeschlafen, Mä'äm?"
"Nun ja... ja."
"Danke, Mä'äm, aber ich schaffe es mich wach zu halten. Außerdem habe ich sowieso in..."
Aus der Tasche quietschte es.
"Fünf Minuten!"
"Ja, Fünf Minuten, Dienstschluss."
Rina wirkte leicht verwirrt.
"Was... Woher kam diese Stimme?"
"Stimme? Oh, ach ja, das war Semmy, mein Diekthier-Dämon."
Wieder wurde Semmy aus seiner Tasche gezogen. Die Faust öffnete sich und Semmy setzte zu einem neuerlichen Redeschwall an, als er die Wächterin erblickte.
"Hal-lo Zuckerpuppe!"
"Zuckerpuppe? Also... das ist doch wohl... du kleiner..."
"Semmy..." Dragor schloss die Faust und versetzte Semmy zurück in seine Tasche. Dann wandte er sich wieder seiner Vorgesetzten zu.
"Entschuldigen Sie bitte Mä'äm, er ist sehr schwer in Schach zu halten."
"Sch...on gut... ich... war nur überrascht..." sagte die immer noch sichtbar aufgebrachte Dame. "Nun denn, guten Abend."
"Ihnen auch Mä'äm.", antwortete Dragor und salutierte. Grummelnd verlies Rina das Büro. Als sie draußen war, sagte Dragor:
"Toll gemacht Semmy. Das war meine stellvertretende Abteilungsleiterin!"
"Das war eine heiße Braut!"
Dasselbe Stöhnen das Rina eben getätigt hatte kam nun auch über Dragors Lippen.
"Gehen wir heim."

Kurze Zeit später stand Dragor vor dem Wache-Gebäude, seine Tasche über die Schulter gehängt, und beendete noch schnell die angefangene Notiz über die erstaunliche Ereignislosigkeit des zurückliegenden Arbeitstages. Der Schlusspunkt wurde gesetzt und das Buch geschlossen in die Tasche zurück verfrachtet. Dragor wollte gerade die Strasse hinabgehen als ein fernes Grollen zur vernehmen war. Recht schnell wurde es zu dem Geräusch, welches an diesem Tag schon viele Bürger zu fürchten gelernt hatten: Das schnelle Trommeln von Pferdehufen auf dem Pflaster, gepaart mit dem Geräusch auf und ab springender Holzräder. Dragor jedoch kannte das Geräusch noch nicht. Durch die berufsmäßige Neugier eines Wächters gesegnet blieb er stehen und wartete auf die Quelle des Geräusches. Plötzlich rauschte etwas an im vorbei, bog mit mörderischem Tempo in die Kurve und kam mit kreischenden, funkenschlagenden Hufen zum Stillstand. Was Dragor da um ein Haar verfehlt hatte sah aus wie ein Eselskarren.
Was davor gespannt war sah aus wie ein extrem erschöpftes Pferd. Was da auf dem Pferd saß sah aus wie ein stark vermummter Mensch. Er war recht klein und seine Statur war wegen der Kleidung, die keinen Quadratzentimeter Haut unbedeckt lies, schwer einzuschätzen. Sehen konnte der Mann durch zwei Gläser, welche in dicken Metallringen steckten. Diese Ringe wiederum waren mit einem Band aus diesem neuen elastischen Zeugs[2] verbunden, außerdem hielt das Band die Ringe am Kopf.
Das, was da auf der Ladefläche stand, sah aus wie ein Haufen Menschen, Untote, Zwerge, Trolle und Tiere, die eng gedrängt eine Fahrgelegenheit nutzten.
Der Mann welcher auf dem Pferd saß blickte sich erst kurz um, erblickte den am Boden sitzenden Hauptgefreiten, nahm seine Gläser ab und begann sie mit dem Schal, welchen er sich vom Mund wickelte, zu putzen.
"He Kleeneer" sagte der Mann, welcher jünger als Dragor wirkte "Is det et Wachhaus?"
"J... ja... ist es..."
"Gut."
Der Mann hörte auf seine Gläser zu putzen, klemmte sich die Brille auf die Stirn und stieg ab.
Er umkreiste den Karren, griff darunter und zog einen Speer hervor, an dessen unterem Ende ein Schild mit einem Wappen, einem Spruch auf ephebisch und einem Wort darauf befestigt war. Leider falsch herum, deshalb konnte Dragor es nicht lesen. Der Mann öffnete die Ladeluke des Karrens
"Haltestelle Wachhaus!" rief er woraufhin einige Passagiere abstiegen und in alle Richtungen davon strömten. Während sie das taten blickte der, den Dragor mittlerweile für den Karrenlenker hielt, suchend auf den Boden. Dann zeigte sich Freude in seinen Zügen. Er drehte den Speer um, holte aus und rammte ihn mit aller Gewalt in eine recht große Spalte im Pflaster. Jetzt konnte Dragor das Schild lesen. Das Wappen zeigte ein sich aufbäumendes Pferd, welches einen Eselskarren zog. Der Hintergrund war hellblau, der Bannerspruch lautete "Ad salum omnium". Darunter stand in absolut schmucklosen Druckbuchstaben "Wachhaus". Endlich sammelte Dragor sich wieder, stand auf und klopfte sich weitestgehend den Dreck ab.
"Sagen Sie mal..." begann er, an den Reiter gewandt. "Was tun sie da?"
"Ich markier de Haltestellen, wonach schauts denn aus?"
"Haltestellen? Eine Stelle an der gehalten wird? Was hält dort?"
"Na wat wohl? Sieht det aus wie en Wölkschen?" Der Mann deutet auf den Karren, welcher nun fast leer war.
"Ich... verstehe nicht..."
Der Mann verdrehte die Augen.
"Komm ma mit Kleeneer, ich erkläret dich underwechs."
Dragor blickte ein wenig misstrauisch auf den Karren. Jetzt erst fiel ihm auf, dass der Rahmen etwa doppelt so hoch wie normal war, und dass mit schwarzer Farbe eine extrem krakelige "3" auf die Seite gemalt worden war.
Das Gefährt wirkte nicht sehr Vertrauens erweckend. Trotzdem stieg Drag auf den Karren. Denn was wirkte in dieser Stadt überhaupt vertrauenerweckend? Er stieg also auf die Ladefläche. Ebenfalls dort standen noch ein Zombie, ein Zwerg und ein Wolf. Der Reiter nahm diesmal auf dem Sitzbrett des Karrens Platz und lies das Pferd langsam lostraben.
"Et is so Kleeneer: De Bürcher von Ankh-Morpork ham nich viel Geld." Irgendwie klang das was der Mann sagte seltsam. "Doch im Jahrhundert det Fluchhundes gibt et viele Möchlichkeiten zu mehr davon zu komm. Um diese Möchlichkeiten zu nutzen muss der Bürcher Zeit spar'n. Und da komm wir, de Gilde für günstigen öffentlichen Verkehr, ins Spiel. Wir bieten den Kunden de ..." er brach ab. Langes, nachdenklich wirkendes Schweigen trat ein "He Kleeneer! Komm ma her!"
Dragor, welcher aufmerksam zugehört hatte, ging nach vorne zum Lenker, welcher ihm eine kleine Broschüre in die Hand drückte und ihn fragte wie ein bestimmtes Wort hieß. Der Mann hatte die ganze Zeit aus einer Werbebroschüre gelesen. Dragor las weiter.
"Wir bieten den Kunden die Chance für wenig Geld viel Zeit zu sparen, indem sie unsere günstigen und schnellen Karrenverbindungen nutzen. Niemals zuvor kam man so schnell so weit für so wenig Geld." Eine zeitlang dachte Dragor drüber nach. Dann bemerkte er das Kleingedruckte "Wir haften nicht für verlorenes Gepäck. Als Gepäck zählen auch Körperteile und das Leben." Dies beunruhigte Dragor nun wirklich "Und dafür markieren sie diese Haltestellen?"
"Erfasst Kleeneer! Wo must du eigentlih hin?"
"Zur Kröselstrasse."
"Gut. Det liecht auf meinem Wech."
Langsam trabte das Pferd in Richtung der Kröselstrasse.

"Sag mal, Schatz", begann Lena, die im Bett lag "Warum bist du noch immer in der Wache?" Sie stand auf und wickelte sich die Decke um den Körper. Mit langsamen Schritten ging sie zum Tisch hinüber, an dem ihr Verlobter saß und zeichnete. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und stützte ihr Kinn auf seine Schulter. "Du könntest viel Geld als Künstler verdienen. Wer ist das überhaupt?" Dragor sah von der Zeichnung auf.
"Das? Das ist meine Vorgesetzte, Oberfeldwebel Irina LanFear."
"Ach? Sie ist... hübsch, oder?"
"Ja. Aber keine Konkurrenz für dich Schatzi!", antwortete Dragor mit der nötigen Künstlerpause und lächelte.
"Genau das wollte ich hören.", lachte Lena und küsste Dragor auf die Wange. "Kommst du ins Bett?", fragte sie, während sie sich wieder zum Schlafplatz bewegte.
"Ja, ich komme gleich." Ein Griff in die schon bekannte Innentasche förderte den schlafenden Semmy zu Tage. "Der Kleine... springt herum als hätte er klatschianischen Kaffee getrunken und schläft dann wie ein Baby..." Dragor zog eine Schublade heraus. Sie war mit Stroh ausgelegt und enthielt etwas, das wie winzige Kissen und Decke aussah. Semmy wurde liebevoll gebettet und zugedeckt. "Er ist so niedlich wenn er nicht gerade meine Vorgesetzten beleidigt..."
Dragor schob die Schublade zu und ging zu seiner Versprochenen. Eine Weile lagen sie noch nebeneinander im Bett. Plötzlich fiel Lena etwas ein.
"Du hast mir noch immer nicht geantwortet. Wieso bist du noch immer bei der Wache?"
"Ich weiß es nicht... irgendwie... glaube ich das ich etwas in meinem neuen Leben besser machen sollte als in meinem letzten. Und was ist besser als ein Wächter zu sein?"

"Schatz, diese Milch schmeckt seltsam..."
"Hm... ich habe sie von diesen beiden Händlern gekauft, die da unten standen. Sind aber eben nach Hause gegangen. Sie sahen beide sehr vertrauenswürdig aus."
"Ach ehrlich? Weißt du, ich fühle mich ni..."
Ein Glas fiel zu Boden und zerbrach.
Aus einer Gasse war ein Kichern zu hören.

Und wieder ein langweiliger Tag in der Wache. Irgendwie nahm das in letzter Zeit überhand. Ein halbfertiges Portrait von Larius de Garde, aus der Erinnerung gezeichnet, schmückte die aktuelle Seite von Dragors Notizbuch. Es war die Seite neben dem Portrait von Irina Lanfear. Irgendwie fand Dragor das witzig. Als Dragor gerade an der Nase arbeitete öffnete sich die Türe, diesmal leiser als gestern, und die stellvertretende Abteilungsleiterin betrat das Büro. Als Dragor aufstand und salutierte sah er, dass sie ein Akte dabei hatte.
"Dragor..." seufzte sie.
"Ja, Mä'äm?"
"Ich habe hier einen Fall für dich. Wahrscheinlich war es Mord."
"Sehr wohl Mä'äm, ich werde sofort mit der Arbeit anfangen!"
Rina legte die Akte auf Dragors Schreibtisch und verlies das Büro. Dragor öffnete die Akte. Sehr viel enthielt sie noch nicht, eine Ikonographie vom Tatort, eines vom Opfer vor der Tat und eines vom Opfer nach der Tat. Einen kurzen Bericht woran das Opfer gestorben war. Dieser war jedoch eine reine Formalität, denn es war eine erwiesene Tatsache, dass es niemand überlebte wenn der eigene Schädel platzte wie ein Kürbis unter einem fallenden Troll. Außerdem enthielt die Akte noch einen Bericht wer das Opfer
gewesen war.

Dähr Schaffnähr
Alter 39
Geboren in Klatsch
Wohnhaft Kurze Strasse 66

Herr Schaffnähr ist Einwanderer aus Klatsch. Er kam in jungem Alter nach Ankh-Morpork. Er arbeitete zuerst als Verkaufskraft in verschiedenen Imbissen. Dann arbeitete er als Zweitlenker in einem Postkutschen Unternehmen und bekam dort die Idee für das Unternehmen was er vor einem Jahr gegründet hat. Er bot Fahrten zu kleinen Preisen an. Mittlerweile hatte er einen Antrag auf Gildenstatus gestellt. Die Chance standen gut, doch da er der Vorsitzende der Gilde war ist alles wieder gefährdet.


Ein Einwanderer also. Da hatte Drag wenigstens schon einmal das Motiv. Als nächstes würde er wohl den Tatort aufsuchen, denn scheinbar war SUSI dort noch nicht fertig, da der Bericht vom Tatort noch nicht vorlag. Also wurde die Akte zugeklappt, ins Buch gesteckt.

Am Tatort war alles normal. Das heißt in Ankh-Morpork, dass ein Troll mit den Armen die Menge zurückhielt, welche schon eine beträchtliche Größe angenommen hatte. Dragor erkannte in der Trolldame die ihm oft beschriebene Lady Steinschlag. Da es sich hierbei um eine Dame handelte klemmte Dragor den Helm unter den Arm und verbeugte sich.
"Guten Tag. Fähnrich LanFear schickt mich, ich bin Hauptgefreiter Dragor Nemod.", stellte Dragor sich vor.
"Ich Lady Steinschlag. Du Ermittler? Durchgehen!", antwortete die Trollin knapp und schob eine Reihe Leute wieder zurück. Dragor setzte seinen Helm wieder auf und bückte sich unter dem Arm, welcher wie eine Schranke über der Strasse hing, hindurch und betrat den Tatort. Ein Mann kniete neben einem daliegenden Pferd und schien es zu untersuchen. Dragor stellte sich daneben, klopfte zweimal auf eine Stelle an seiner Jacke[3] und räusperte sich. Keine Reaktion. Dragor räusperte sich etwas lauter. Wieder keine Reaktion. Dragor räuspert sich übertrieben lautstark.
"Damit solltest du mal zu einem Heiler gehen, Junge, hört sich übel an." raunte der Kniende. Dann sah er schließlich doch hoch. "Oh, du bist ein Wächter!" Er stand auf, rieb seine Hand an der Hose ab und streckte sie Dragor entgegen "Krapfen-Karl, Vätärinär." Dragor ergriff die angebotene Hand.
"Hauptgefreiter Dragor Nemod, sehr angenehm. Was ist ein Vätärinär?"
"Ein Tierarzt, Herr. Ein neu-modisches Wort aus dem achatenen Reich."
"Verstehe... nun, sie untersuchen dieses Tier, was haben sie festgestellt?"
"Nun ja... Rennen laufen wir er nicht mehr können aber sonst..."
"Wieso denn keine Rennen mehr?"
"Die Vorderbeine sind hinüber."
"Und wie ist das passiert?"
Karl zuckte mit den Schultern
"Frag nicht mich Herr, ich muss so etwas nur erkennen und beseitigen, nicht wissen woher es kommt."
"Schade... nun ja, danke für das Gespräch, Herr Karl." Dragor nickte, griff sich an die Helmkrempe und ging weiter, während sich Karl wieder dem Tier zuwand. Weiter hinten sah er einen Wächter angeregt mit einem Vergrößerungs-Dämonen diskutieren.
"...schließlich bist du Philosoph!", schloss der Dämon mit quiekender Stimme seine aktuelle Aussage. Der Wächter verdrehte die Augen.
"Bitte, ich liebe es zu diskutieren, aber lass uns erst unsere Arbeit tun, in Ordnung?"
"Nein!" Der Wächter seufzte, als er plötzlich spürte wie ihm jemand auf die Schulter tippte. "Ja?" fragte er und drehte sich um.
"Hauptgefreiter Nemod, Verdeckter Ermittler von R.U.M. Ich wollte mir einmal ansehen was S.U.S.I. schon so gefunden hat, weil in der Akte noch kein Bericht über den Tatort war."
"Achso. Ich bin Obergefreiter Sillybos, Spurensicherer. Sie müssen mich entschuldigen, wenn dieser kleine Dämon kooperativer wäre..." Bei diesen Worten machte das Wesen einen trotzigen Laut "... hätten Sie den Bericht schon lange lesen können."
"Ist nicht schlimm, sagen Sie mir einfach was Sie bisher herausgefunden haben."
"Nun ja, viel ist es nicht. Wir haben dort drüben ein Seil gefunden, außerdem viel Blut... aber das ist ja nicht verwunderlich, beim Zustand des Opfers..."
"Mehr nicht?"
"Nein, mehr nicht."
"Danke...", sagte Dragor nachdenklich und drehte sich wieder um, als Sillybos wieder anfing mit dem Dämon zu streiten.

Nachdem Dragor sich noch am Tatort umgesehen hatte ohne noch etwas zu entdecken führten ihn seine nächsten Schritte zur Wohnung des Verstorbenen, wo er die Familie anzutreffen hoffte. In seiner gewohnten Höflichkeit nahm der Verdeckte Ermittler seinen Helm unter den Arm und klopfte kräftig aber dezent an. Nach kurzem warten hörte Dragor schritte hinter der Türe des mittelständischen Hauses. Ein Riegel wurde mit einem rostigen Scharren geöffnet und ein feingeschnittenes Frauengesicht mit Tränen in den Augen lugte durch einen Spalt.
"Ja?", wisperte das Gesicht mit tränenerstickter Stimme.
"Ähm... Stadtwache von Ankh-Morpork, Mä'äm.", antwortete Dragor zögernd "Misses Schaffnähr, nehme ich an?" Das Gesicht nickte "Dürfte ich vielleicht reinkommen?"
"Sicherlich", antwortete Miss Schaffnähr, schon ein wenig gefasster. Die Türe öffnete sich völlig und Dragor konnte sehen, dass das Gesicht zu einem recht attraktiven Körper gehörte, welcher in ein schwarzes Trauergewand gehüllt war. Die Trauernde trat zur Seite und machte eine halbherzige einladende Geste. Dragor betrat die Behausung und sah sich kurz um. Alles war mehr oder weniger funktional eingerichtet, zeugte im Stil jedoch von der latschianischen Herkunft des Besitzers. Dragor steuerte langsam auf eine Sesselgruppe in der Mitte des Raumes zu. Auf dem Tisch bei der Sesselgruppe stand eine Ikonographie, welche, wie Dragor annahm, den Verstorbenen zeigte. Alle dekorativen Objekte waren mit schwarzen Tüchern zugedeckt und die Vorhänge fast komplett geschlossen.
"Setzen Sie sich doch bitte.", ertönte die relativ dunkle Stimme der Frau, welche ihre Fassung wiedererlangt zu haben schien. "Ich gehe eben noch in die Küche und hole etwas zu trinken."
Während er hinter sich die Schritte von Frau Schaffnähr hören konnte, setzte Dragor sich in einen der Sessel und wartete. Scheinbar dauerte es etwas länger, also nutzte Dragor die Gelegenheit um eine Ikonographie von der Ikonographie auf dem Tisch zu machen und betrachtete das eingerahmte Bild einmal genauer. Der abgebildete Mann hatte eine Glatze und einen sehr gepflegten Kinnbart. Sein Gesicht erinnerte Dragor unweigerlich an einen Felsblock, da es sehr kantig war. Der Blick zeugte von viel Kampfgeist u
nd diverse Narben im Gesicht ließen vermuten, dass er ihn auch nötig gehabt hatte. Außerdem hatte Dragor das stechende Gefühl schon einmal ein ähnliches Gesicht gesehen zu haben.
Langsam näherten sich die Schritte der Hausherrin wieder und mit ihnen das Geklimper von Gläsern, die auf einem Tablett getragen wurden. Behutsam setzte sie das Brett ab, als sie den Tisch erreichte und setzte sich. In den Gläsern war eine bernsteinfarbene Flüssigkeit, nicht sehr viel. Frau Schaffnähr nahm sich ein Glas, nippte daran und stellte es wieder ab.
"Also, Herr Wächter, ich nehme an Sie wollen mir ein paar Fragen stellen..." Leise Abwesenheit schwang in der Stimme der Dame mit und Dragor konnte sehen, dass sie die ganze Zeit auf das Bild starrte.
"Ja, so ist es... ich nehme an Sie haben schon vom Tod ihres Mannes erfahren?" Ein zaghaftes Nicken war die Antwort. "Haben Sie etwas dagegen wenn ich das Gespräch aufzeichne?" Nicht mehr als ein Kopfschütteln kam als Erwiderung. Dragor hatte irgendwie das Gefühl diese Frau zu quälen, doch er würde ihr am meisten helfen wenn er den Mord an ihrem Mann schnell aufklärte. Also holte er Semmy hervor und setzte ihn auf den Tisch.
"Semmy."
"Ja, Chef?"
"Aufnahme bitte."
"Bist aber heute schwer beschäftigt... also, leg los."
"Nun, dürfte ich zunächst Ihren vollen Namen erfahren?"
"Ba'ahhn Schaffnähr. Aber alle nennen mich Ba."
Dragor trug es feinsäuberlich in sein Buch ein.
"Wann haben Sie ihren Mann das letzte Mal gesehen?"
"Gestern morgen, als er zur Ar..."
Ein lautstarkes Schlürfen war plötzlich vom Tisch her zu vernehmen. Dragor sah von seinem Buch auf und beobachtete wie Semmy kopfüber in seinem Glas hing und, während er sich mit den Füssen am Rand festhielt, den Inhalt ausschlürfte. Nach ein bis zwei Sekunden ungläubigen Starrens räusperte Dragor sich. Doch ganz wie er es gewohnt war reagierte der Dämon überhaupt nicht. Also nahm Dragor ihn am Gürtel und zog ihn aus dem Glas.
Semmy drehte sich zu seinem Besitzer um und wollte grade loswettern, als ihn ein vernichtender Blick traf. Sofort verstummte der Dämon und setzte sein zuckersüßestes Lächeln auf.
"Is was, Boss?"

Eine Stunde später war das Gespräch beendet. Dragor hatte gerade Semmy wieder in die Tasche verfrachtet, als es erneut an der Tür klopfte. Ba'ahhn ging zur Türe und öffnete. Dragor verstand nicht alles, aber er konnte ermitteln, dass dort wohl ein Eilbrief für die Dame des Hauses abgegeben wurde. Sie kehrte mit dem Brief zum Tisch, setzte sich wieder und begann zu lesen. Und während sie das tat konnte Dragor beobachten wie jegliche Farbe aus ihrem Gesicht wich, bis sie so bleich war wie ein Vampir. Sie krallte ihre Fingernägel an das Papier. Dragor wollte fragen was in dem Brief stünde, doch er spürte, dass jetzt jedes Wort zuviel wäre. Langsam und unter trockenen Schluchzern ging die Frau zu einem Schrank und nahm ein eingerahmtes Bild heraus. Es zeigte einen Mann der Ähnlichkeit mit Herrn Schaffnähr hatte, jedoch jünger sein musste. Außerdem hatte er kurzes, dunkles Haar und aus seinen Augen sprühte die Lebensfreude. Irgendetwas in Dragor sagte ihm, dass dies der Sohn der Familie war. Frau Schaffnähr stellte das Bild direkt neben das ihres Mannes. Dragor war sich sicher zu wissen was das hieß. Er machte noch schnell eine Ikonographie vom Bild des Sohnes und verlies dann still und leise die Wohnung.

"Also Boss, was hast du dir diesmal ausgedacht?"
"Hm... wie war das noch? Moment, ich habs mir aufgeschrieben..." Ein Rascheln wie von einer Jacke war zu hören. Dann wurde es hektischer.
"Ist was nicht in Ordnung, Boss?"
"Verdammt, ich hab den Zettel verloren! Jetzt muss ich mir für den Kerl was Neues ausdenken! Ich frag mich sowieso warum die drei Morde nicht gereicht haben um die Familie abzuschrecken..."
"Naja, du hast doch immer gesagt, dass die Schaffnähr's große Kämpfer waren, Eduardo."
"Jaja, ich weiß, aber ich dachte es ist wie mit einem Wolfsrudel: wenn man den Anführer tötet ziehen die anderen den Schwanz ein. Aber die Familie ist einfach zu groß. Und zum letzten Mal: Nenn mich nicht immer Eduardo! Und jetzt komm, wir müssen einen Mord planen."

Am nächsten Tag wartete Oberfeldwebel Lanfear schon in Dragors Büro. Als Dragor die Tür zu seinem Büro öffnete[4], stand Rina an seinem Schreibtisch und hielt eine Akte in der Hand. Dragor stand stramm und salutiere zackig, was Rina mit einem unhörbaren Seufzen beantwortete.
"Guten Morgen, Mä'äm! Was gibt mir die Ehre ihres Besuches?"
"Uns wurden zwei weitere unlizensierte Morde gemeldet und wir glauben, dass sie mit deinem Fall zu tun haben."
"Weshalb, Mä'äm?"
"Nun ja, es handelt sich um den Sohn und den Neffen des Opfers aus deinem Fall. Hier ist die Akte." Mit diesen Worten legte die Vorgesetzte die Mappe mit den Dokumenten auf dem Schreibtisch ab.
"Danke sehr Mä'äm."
Rina wollte scheinbar noch etwas sagen, schloss den Mund dann aber wieder wortlos und verließ leicht kopfschüttelnd das Büro. Nachdem die stellvertretende Abteilungsleiterin das Büro verlassen hatte, machte sich Dragor daran die neue Akte zu studieren. Bei den Opfern handelte es sich um Aisnban Schaffnähr, der Sohn, und Ohmnybuhs Schaffnähr, der Neffe. Der Sohn ist an einer Vergiftung gestorben und der Neffe wurde von einem Streifenwächter diesen Morgen an einem Baum baumelnd im Park gefunden. Ein paar ab
gebrochene Fingernägel zeugten davon, dass er diesen Platz nicht freiwillig eingenommen hatte. Beide Male wurde keine Quittung gefunden.
Vom Tod des Sohnes hatte Dragor ja bereits erfahren, doch dass auch der Neffe noch das zeitliche gesegnet hatte war eine Überraschung. Doch Rina hatte Recht, die Verwandtschaft war bestimmt kein Zufall. Also, was hatte es mit der Familie auf sich? Was hatte Frau Schaffnähr ihm noch alles erzählt? Semmy wurde aus seiner Tasche geholt und auf den Tisch gesetzt.
"Ja, Boss?"
"Spiel mir doch mal bitte die Aufnahme von Frau Schaffnähr's Aussage vor."
"Klar, Boss..." Eine zeitlang gab Semmy seltsam quietschende Geräusche von sich und zuckte mit dem Kopf, dann sprach er plötzlich mit der Stimme von Ba'ahn. Dragor setzte sich auf den Tisch und hörte geduldig und konzentriert zu. Die Zeit verstrich während sich das Gespräch wiederholte. Plötzlich fiel Dragor etwas auf.
"Halt!" Mit einem Geräusch von Kreide auf einer Tafel stoppte Semmy und stellte seine Stimmbänder wieder auf seine eigene Stimme ein.
"Zurück... Halt... Abspielen!" Wieder erklang die Tafelkreide als Semmy mit einem Augenrollen seine Stimmbänder wieder einstellte.
"Es gab da einmal einen Kerl, hat mein Mann mir erzählt. Er hieß... Eddy oder so in der Art, und er wollte Schutzgeld von meinem Mann kassieren, doch ich glaube nicht, dass er gefährlich ist. Er drohte zwar die Familie auszurotten, doch er wirkte wie ein trotteliger Angeber."
"Stopp... Noch mal!"
Er hörte es sich noch einmal an. Da war es. Familie ausrotten. Doch wie viele Eddy's gab es wohl in AM? Hundert? Tausend? Zahntausend? Wo also mit der Suche beginnen? Nach langem Überlegen ging Dragor zunächst einmal in das Archiv der Wache, ob es eventuell einen Eddy gab, der schon einmal kriminell auffällig gewesen war.

"Also, hast du alles bereit?"
"Ja, alles fertig Edua... ich meine Eddy."
"Sehr schön. Hoffentlich kommt der Kerl bald nach Hause..."

Nach ein wenig suchen war Dragor schließlich fündig geworden. Es gab zwar keinen "Eddy" in den Akten, aber einen Eduardo van Gomar. Er war wegen verschiedener Erpressungsversuche verurteilt, war jedoch aus dem Gefängnis entflohen. Außerdem war in der Akte vermerkt, dass er oft unter dem Decknamen "Eddy" arbeitete. Eigentlich ein kleiner Fisch, doch die einzige Spur die Dragor hatte. Nun wollte Dragor dem Herrn erst einmal einen Besuch abstatten. Als er auf die Strasse hinaustrat blies ihm ein heftiger Win
d Laub ins Gesicht. Dragor zog die Jacke fester um seine Schultern und machte sich mit einem leichten Frösteln auf den Weg zur Behausung des Verdächtigen. Sie lag im mehr oder weniger guten Viertel Ankh- Morporks, was durch die verarmte Adelsherkunft Eduardos zu erklären war.
Schließlich stand Dragor im schneidenden Wind schlotternd vor der weiß-blau gestrichenen Türe und klopfte seit geschlagenen fünf Minuten. Als Dragor resignierte und sich umdrehte frischte der Wind erneut auf. Eine eisige Windböe trieb Dragor erneut Laubblätter ins Gesicht. Als er sie mit der Hand vom Gesicht wischte fiel ihm auf, dass auch ein Schriftstück darunter war. Wahrscheinlich nur eine alte Zeitung, doch Dragor war es egal von wann sie war, er las gerne Zeitung. Also entfernte Dragor alle Blätter
von dem Schriftstück, musste jedoch erkennen, dass es sich dabei nicht um eine Zeitung handelte. Und beim Studieren der Zeichnungen und Notizen auf dem plan-ähnlichen Zettel wurde Dragor ganz anders. Er stopfte den Zettel in die Jackentasche und rannte los.

"Da, Boss, er kommt die Strasse runter. Soll ich schießen?"
"Nein, erst wenn er in der Wohnung ist... mein Gott, ich hab noch nie in meinem Leben jemanden so langsam eine Strasse entlang schlendern sehn..."

Dragor musste sich beeilen. Er wusste nicht wie viel Zeit er noch hatte, oder ob es nicht schon zu spät war. Er konnte nur hoffen, dass er die Strasse finden würde ohne sich zu verirren. Es gab da zwar noch ein paar Details die Dragor noch nicht verstand, doch erst die Bürger beschützen, dann fragen.

"Braucht der etwa noch drei Jahre um seine karge Behausung zu erreichen?"
"Hey Boss! Hey Boss! Da! Da hinten!"
"Was denn? Hä? Was ist das denn? Gib mir mal das Fernrohr."
"Hier Boss."
"Danke... Hm... Was? Kann das wahr sein? Da kommt ein Wächter die Strasse herunter gerannt!"

Ein keuchender Dragor holte das letzte aus sich raus. Er musste jetzt in der richtigen Strasse sein. Gehetzt sah er sich um. Schließlich entdeckte er auf einem Dach in der Nähe hinter einem Schornstein zwei Männer, einer davon hielt eine Armbrust in der Hand, der andere ein Fernrohr. Selbiges war in Dragors Richtung gerichtet. Dragor sah dahin wo er den Blickpunkt des Armbrustschützen vermutete und sah einen Mann der gerade seine Haustür aufschloss. Dragor war kein Mathematik-Genie, doch selbst er konnte berechnen, dass er den Mann niemals erreichen würde. Der Mann mit dem Fernrohr schien den selben Gedanken zu haben wie Dragor, denn im selben Moment in dem er loslief und dem Opfer zurief das er sich ducken sollte wurde dem Schützen das Kommando zum Schuss gegeben. Der Bolzen bohrte sich zitternd in die Tür über dem zusammengekauerten Mann. Dann geschah etwas, das alle beteiligten überraschte, bis auf das Opfer.
Das Opfer federte regelrecht in den Stand zurück, zog dabei eine Armbrust unter seiner Kleidung hervor und feuerte ohne zu zielen auf den Mann mit dem Fernrohr. Der Bolzen traf die Schulter des Beschossenen, welcher daraufhin einen Schmerzensschrei ausstieß, zusammenbrach und vom Dach rollte. Als er auf der Strasse aufschlug, löste sich der Schütze aus seiner schockierten Starre und suchte das Weite. Dragor kam bei dem bewusstlosen Körper an, stützte sich erst einmal an die Wand und keuchte ausgiebig.
"Okay... zwei Fragen... wer ist das... und... wo haben Sie... so... schießen gelernt..."
Das vermeintliche Opfer steckte die Armbrust wieder weg und trat an den Abgeschossenen heran.
"Nun, Kleener, ich hab keene Ahnung wer det is, aber schießen kann ich seit ich denken kann, bin en Naturtalent..."
Dragor kannte diese Stimme und diesen Akzent. Er blickte in das Gesicht des anderen und erkannte den Karrenlenker, welcher ihn vor zwei Tagen mit in die Kröselstraße genommen hatte. Und er erkannte noch etwas, und zwar woher ihm das Gesicht von Dähr Schaffnähr bekannt vorgekommen war. Dieser Karrenlenker sah dem Verstorbenen zum Verwechseln ähnlich, nur dass der Lenker weniger Narben und mehr Haare hatte. Außerdem zierte ihn kein Bart. Dragor war erstmal ganz perplex.
"Sagen Sie, Sie sind doch nicht etwa mit Dähr Schaffnähr verwandt, oder?"
"Doch, bin ich. Er is min Bruder, doch wir san als Kinners getrennt worden. Ich kam hierher, er blieb in Klatsch."
"Soso..."

Nachdem "Eddy" verhört worden war, stellte sich heraus, dass er die Schaffnährs vernichten wollte, da sie seiner Meinung nach an dem Ruin seiner Familie Schuld gewesen sind. Doch die verhörenden Wächter waren sich einig, dass aus seinen Schilderungen hervorging, dass die Gomars sich selber in den Ruin geführt hatten.
Eddy wurde wieder eingebuchtet, sein Komplize wurde nicht gefasst.

Einige Tage später fand eine Veranstaltung zur feierlichen Ernennung der neuen Gilde auf dem Pseudopolis-Platz statt. Der neue Vorsitzende, Hermann Schaffnähr, wurde vorgestellt. Es handelte sich um den Karrenlenker der dem vierten Mord zum Opfer hätte fallen sollen. Er trat auf die Bühne, gekleidet in einen rot-weißen Gala-Anzug, räusperte sich und sprach:
"Damen und Herren, Trolle, Zwerge und Untote! Ich möcht sie herzlichst willkomm'n heiss'n zu dieser Veranstaltung. Meene Gilde hat det Ziel euch det Leben... 'tschuldigung, det Dasein zu erleichtern. Um die Welt für wenich Geld... na ja, fast um die Welt. Also, viel Spaß!"

EPILOG:

Eine regnerische Nacht. Das Wasser bildete kleine Bäche auf den Strassen. Eine Gestalt hetzte über das Pflaster in das Wachhaus. Drinnen schlug sie ihre tropfende Kapuze zurück und enthüllte ein bildhübsches Gesicht.
"Guten Abend.", begrüßte der diensthabende Wächter sie. Sie ging an den Tresen und flüsterte:
"Gute Nacht"
Dann blies sie ihm ein Pulver ins Gesicht und er schlief auf der Stelle ein.
"Danke, ich finde die Kerker schon selber..."
In den Verliesen schlich die Frau an den Zellen vorbei in denen die Insassen allesamt schlummerten. Nur in einer Zelle schliefen die Gefangenen nicht.
"Hallo Samuel... Hallo Barnabas..."
"S... s... serin?" stotterte einer der Angesprochenen und versuchte seine Zuckungen zu unterdrücken "b... b... bist dus wi... wi... wirklich?
"Ihr Jungs habt Glück, dass der Chef euch noch braucht."
"Ha... ha... hast du es?"
"Es? Oh ja, ich habs."
Zwei Phiolen flogen durch das Zellengitter und wurden von gierigen Händen aufgefangen und mit zitternden Fingern entkorkt. Mit einem Zug wurde der Inhalt geschluckt und man konnte etwas wie freudiges Wolfsgebrüll durch die Strassen hallen hören.

Am nächsten Morgen fand man den betäubten Wächter und ein Loch in einer Zellenwand.
[1] Der Dämon in Dragors Ikonograph war farbenblind, deshalb konnte er nur Schwarz-Weiss-Ikonographien machen.

[2] Vor kurzem haben die Alchimisten eine neue Entdeckung getätigt, die sie DeZe nennen, die Kurzform für "dehnbares Zeug". Es ist dem irdischen Gummi nicht unähnlich, jedoch mit höherer Elastizität, bei größerer Straffheit, da es ein zwar weiches aber hartnäckiges morphisches Feld besitzt.

[3] Das Geheimzeichen für Semmy zur Aufnahme

[4] Dragor schließt sein Büro normalerweise nicht ab, da er seinen Kollegen vertraut




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