Püschologische Pracksis, Pseudopolisplatz

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von Obergefreiter Tunnelblick (RUM)
Online seit 04. 08. 2001
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Tunnelblick soll eine Püschologenausbildung machen. Nur - wo macht man sowas?

Dafür vergebene Note: 11

"Ich will wissen, wo du die letzten vier Wochen gewesen bist!", brüllte Hauptmann Lewton.
"Nein, Sir."
"WAS SOLL DAS HEISSEN!!!" Das brüllte Hauptmann Lewton nur beinahe. Im letzten Moment warnte ihn ein wächterlicher Urinstinkt. Tunnelblicks Aussagen hatten eigentlich immer Hand und Fuß, nur halt meist an den falschen Gliedmaßen. Trotz schäumenden Adrenalins - aus des Hauptmanns Rücken sprossen schon Werwolfshaare - zwang Lewton sich zum Nachdenken. Wollte er wirklich wissen, wo Tunnelblick gesteckt hatte? Oder war er nicht vielleicht besser dran, wenn er keine Ahnung hatte, warum sein Püschologe vier Wochen unabgemeldet fehlte?
"Gut. Vergessen wir das.", grollte er. Zum Vergessen würde er Jahre brauchen. "Ich habe hier eine Beschwerde von Rince, weil dein Ausbildungsbericht noch nicht vorliegt. Ich habe ihm nicht gesagt, dass du verschwunden warst." Schließlich hätte ich den Ärger bekommen. "Du hast bis morgen mittag Zeit, einen Schnellkurs zu machen und den Bericht zu schreiben. Und jetzt geh mir aus den Augen."
Tunnelblick tat wie geheißen, und Lewtons Hand griff wieder zur Rumflasche. Dann sprangen ihm fast die Augen aus den Höhlen - ihm war eingefallen, was passiert war, als er sich das letzte Mal wegen Tunnelblick besoffen hatte. Zitternd griff er zum Mineralwasser und beschloss, seine Wut an anderer Stelle auszulassen.
"Trillian! Schmiede! Granit! Panther! Antreten zum Rapport!"
Trillian und Schmiede spielten weiter Karten, Panther bastelte seelenruhig an seinen Verkleidungen, und Granit versuchte ungeschickt ein Relief in seine Fingernägel zu feilen. Ein wächterlicher Urinstinkt warnte sie, das Büro zu betreten.

Tunnelblick hatte den Pseudopolisplatz schon überquert, als ihm auffiel, dass Lewton verschwiegen hatte, wo er den Schnellkurs machen sollte. Er machte sich auf den Rückweg, um den Hauptmann auf seinen Fehler aufmerksam zu machen, da fiel es ihm ein: Offiziere machen keine Fehler, das wurden sie niemals müde zu betonen. Es musste sich also bereits um einen Teil der Aufgabe handeln.

"Habe ich ihm jetzt eigentlich gesagt, dass die F.R.O.G.-Püschologin mit dem Schnellkurs nebenan auf ihn wartet? Egal, er wird schon drauf kommen. Und wo sind eigentlich meine anderen Leute? Alle unterwegs? Sehr fleißig, muss ich sagen. War ich früher nicht."

Schauen wir uns erstmal um, sagte sich Tunnelblick. Gute Idee, erwiderte er, aber was soll man hier auf dem Platz schon finden außer...
"Echte Schweinewürstchen! So gut wie frische Wabbel! Zwei zum Preis von drei! Und damit treibe ich selbst in den Ruin!"
"Schnapper!"
"Hallo Tunnel! Du siehst..." 'gut aus' wäre sogar für Schnapper eine ziemlich unverschämte Lüge gewesen. "...hier das beste Sortiment von Würstchen, Wabbeln und W... - irgendwas mit W, keine Ahnung, aber es hat Topfqualität! Was darf's sein?"
"Schnapper, wir haben da ein Problem." Echte Sorge befiel den fliegenden Händler. Schnapper hatte nicht gewusst, dass er überhaupt etwas mit Tunnelblick gemeinsam hatte, geschweige denn ein Problem. Eigentlich waren Tunnelblicks Probleme so etwa das letzte, was Schnapper haben wollte. "Wie werden wir in 24 Stunden Püschologen?"
"Püschologen? Sind das nicht diese..." verbrecherischen Halsabschneider, die irgendwelchen wehleidigen armen Würstchen ihr sauer verdientes Geld abknöpfen? "...hochangesehenen Mitglieder der Gesellschaft, die uns allen völlig uneigennützig helfen, die erdrückende Last des Alltags zu ertragen? In 24 Stunden? Kein Problem. Gute Idee. Ich... kenne jemanden, der braucht dafür keine halbe Stunde. Triff mich in - sagen wir einer halben Stunde. Da, wo früher mein Büro war. Nein, triff mich nicht - das geht ohne
Dich viel besser."
Wie so viele ablehnende Bemerkungen gelang es Tunnelblick, auch diese zu überhören.
"Wo war dein Büro?"
"Was? Du stehst doch genau vor meinem Schild!"
Tatsächlich prangte an einer altersschwachen Wand direkt hinter ihnen eine viel zu große nagelneue Messingtafel minderer Qualität: "Schnapp Dir's. Freude für alle! Massen in die Kassen!" Aber wieso "wo mein Büro war?" Irgendetwas stimmte hier nicht. Aber bevor Tunnelblick fragen konnte, war Schnapper schon verschwunden.

Eine halbe Stunde später stand der Wächter wieder vor der Türe. In der Tat hatte der Laden mittlerweile einen neuen Besitzer - die Zeiten änderten sich schnell in Ankh-Morpork. Das Schild sah fast aus wie das alte, nur hatte der neue Eigner nicht so sorgfältig geplant wie Schnapper. Er hatte von Hand korrigieren müssen. Es las sich: (handschriftlich) Püschologische Pracksis (Farbfleck, dann graviert) D(Klecks)r(Kratzer)s. Freud (Fleck) alle (großer Fleck) Kassen.
'Prima,' dachte sich Tunnelblick, 'da haben wir aber wirklich Glück, dass der Laden genau jetzt aufgemacht hat. Ein bisschen püschologische Pracksis ist genau das, was ich brauche.'
Und trat ein.

Im gebrochenen Licht Schnappers ehemaligen Hauptquartiers begrüßte ihn eine eigenartige Gestalt. Sie trug eine kleine runde Brille, scheinbar ohne Gläser, einen kleinen Spitzbart, der wie angeklebt wirkte, und hielt in der Hand eine abnorm lange Zigarre, die erstaunlich an ein Würstchen erinnerte.
"Ah, treten Sie ein, junger Freund. Ich bin Doktor Freude. Treten Sie näher. Was führt Sie zu mir?"
Tunnelblick trat näher und stolperte über eine niedrige Couch. Mühsam rappelte er sich auf. Der Doktor redete unterdessen weiter, als würde er dafür bezahlt.
"Wenn ich Sie mir so ansehe, dann glaube ich, Du möchtest Püschologe werden."
"Woher wissen Sie d..."
"Das hast du mir vorhin selbst... äh... verraten mit der Art, wie dein Blick beim Eintreten durch die Pracksis geschweift ist, ja, genau!"
Der Doktor drückte ihn wieder auf die Couch herab. Hier war offensichtlich ein Mann, von dem Tunnelblick noch etwas lernen konnte. Er hatte gar nicht in Erinnerung, dass er sich umgesehen hatte. Sonst wäre er doch auch nicht über die Couch gestolpert, oder?
"Püschologe ist ein verantwortungsvoller Beruf und nicht für labile Naturen geeignet. Hältst du dich für labil?"
"Wir? Nein. Nie!" Mit aller Kraft seiner linken Hand hielt Tunnelblick die rechte davon ab, den Hals des Püschologen zu umfassen. "Warum fragen Sie?"
"Ich teile ungern. Ich meine, ich teile Ihnen nur ungern mit, dass viele Bewerber für diesen Job nicht qualifiziert sind. Hinlegen. Wie lange sind Sie denn schon unzufrieden mit Ihrem alten Job?"
Tunnelblick setzte sich wieder auf. "Ich bin nicht unzufrieden."
Das schien Doktor Freude kurz aus dem Konzept zu bringen. Er überspielte die Pause jedoch geschickt, indem er den Zipfel von der Zigarre abbiss und in die Ecke spuckte.
"Wenn Ihnen Ihr alter Job gefällt - warum wollen Sie dann Püschologe werden?" Er drückte den Wächter in die Waagerechte.
"Weil ich meinen Job mag."
Erneut Pause. Der Doktor grübelte. Irgendwie ging das Puzzle nicht auf.
"Mein Freund, Sie scheinen an einer zutiefst gespaltenen Persönlichkeit zu leiden."
'Der Junge ist gut,' dachte Tunnelblick. 'Ach was, das ist doch offensichtlich,' sagten die Stimmen.
"Fühlen Sie sich unglücklich?"
"Ich bin nicht unglücklich. Ich bin Wächter."
"Persönlichkeitsspaltung gepaart mit einer schweren Wahrnehmungsstörung. Das müssen wir in den Griff kriegen, bevor Sie ernsthaft überlegen, Püschologe zu werden. Ich verschreibe erstmal zwanzig Stunden Thära... Terro... Trärä... zwanzig Stunden in der püschologischen Pracksis. Geben Sie das Ihrem Vorgesetzten zum Unterzeichnen, dann kommt die Wache für die Kosten auf." Wie schöne Götterfunken glänzten Doktor Freudes Augen bei diesen Worten, als spiegele sich die Erfüllung, einem Menschen helfen zu können, darin wieder, oder nackte Geldgier. "Und jetzt erzählen Sie mal. Wann kamen Ihnen das erste Mal Zweifel am Sinn Ihrer Existenz?"
Tunnelblick macht es sich auf der Couch bequem.
"Zweifel? Das muss so etwa mit vier Jahren gewesen sein, als meine Eltern mich das erste Mal aus dem Schrank ließen..."

"...und dann sagten die Stimmen: 'Schau nach, ob die Hintertür offen ist'..."
Eine Stunde später sprach Tunnelblick noch immer. Mittlerweile sah man nur noch das Weiße in Doktor Freudes Augen. Hatte er am Anfang noch mit einer gewissen morbiden Faszination gelauscht, so bannte ihn nun das blanke Entsetzen in seinen Sessel. Verkrampft umklammerte er die Lehne. Er war sich schon so oft fassungslos übers Kinn gefahren, dass der Bart nunmehr an seiner rechten Hand klebte. Seine Zigarre hatte alle Spannkraft verloren und sah mehr denn je wie ein gestärktes Würstchen aus. Dann schaltete irgendwo in seinem Hinterkopf der Autopilot auf Selbsterhaltungsmodus. Er schluckte verkrampft. Dann brach es aus ihm heraus:
"Die Zeit ist um! Ääh... nächster Termin... nächste Woche ist schlecht... nächster Monat auch... Fragen Sie doch Anfang übernächsten Jahres nochmal an... Und jetzt gehen Sie... bitte gehen Sie..."

Es klopfte an Lewtons Tür. Dann ein Schrei, ein Rumpeln und ein erneutes Klopfen.
"Was denn... Herein!"
Tunnelblick trat ein und reichte dem Hauptmann seinen Schein.
"Der Doktor meinte, Sie sollen das unterschreiben."
Lewton überflog den Zettel. "'Zwanzig Stunden püschologische Pracksis?' Du hast einen Kurs gemacht, während du weg warst? WARUM HAST DU DAS HEUTE MORGEN NICHT GESAGT!!!"
Heute morgen? Da hatte er den Schein doch noch gar nicht gehabt. Wenn er nicht genau gewusst hätte, dass Offiziere keine Fehler machten - man hätte denken können, der Hauptmann baue ab. Einfühlsam wie ein Püschologe formulierte er seine Antwort.
"Der... Zeitfaktor spielte eine entscheidende Rolle."
"Tunnel - muss ich das verstehen."
Wieder war Vorsicht geboten. Möglicherweise saß er einem kranken Menschen gegenüber.
"Nein, ich glaube nicht."
"Gut. Ausbildung bestanden. Bitte geh. Du hast Urlaub. Nein, hast Du nicht. Du warst gerade erst weg. Aber geh. Bitte geh. Wenigstens ein paar Stunden."
So schob der Hauptmann den Obergefreiten aus der Tür. Er atmete kurz durch, machte eine mentale Notiz über seine "fleißigen Mitarbeiter" beim Kartenspielen und winkte seinen Stellvertreter ins Büro. Das laute Scheppern aus dem Nebenzimmer erklärte er sich mit einer vor Wut randalierenden F.R.O.G.-Püschologin.
"Schmiede, sprich mit mir. War da nicht vorhin noch jemand draußen?"
"Das war Schnapper. Er wirkte irgendwie verstört. Er trug eine Brille ohne Gläser und versuchte, ein Würstchen anzuzünden."
"Und? Was wollte er?"
"Er hat sich über Farbe auf seinem Schild beschwert. Und dann ist er unter den Tisch gekrochen."
"---?"
"Als Tunnelblick kam. Kam erst wieder vor, als Tunnel bei Ihnen war. Murmelte nur noch: 'Mit diesem Jungen in der Stadt hat kein Betrüger mehr 'ne Chance.'"
"Tunnel? Aber der hat heute nur - also gut. Er hat also ein Verbrechen verhindert. Und wieder mal weiß keiner, was eigentlich los ist. Sag mal, Schmiede," des Hauptmanns Stimme verfiel in einen verzweifelt bittend resignierten Ton, "du weißt nicht zufällig, worum es da ging?"
"Nein, Sir."
"Gut. Ich auch nicht. Bitte gib mir jetzt eine ehrliche Antwort. Wenn du an meiner Stelle wärest - würdest du es wissen wollen?"
Schmiede überlegte gründlich.
"Ich glaube nicht, Sir."
"Danke."



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