Lose Enden

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von Oberfeldwebel Rogi Feinstich (GRUND)
Online seit 06. 10. 2018
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 15. 07. 2012 datiert
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 Außerdem kommen vor: MaganeOphelia ZiegenbergerRach FlanellfußKolumbini

Die Schatten der Vergangenheit holen die Igorina ein und halten neue Überraschungen bereit.

Diese Geschichte erzählt einen Großteil der Ereignisse direkt im Anschluss an "Rogis Nachlass".

Dafür vergebene Note: 12

Er stand wie immer neben seiner Lordschaft, jederzeit bereit, sich Notizen zu machen. Drumknott sah kritisch zu dem heutigen Gast. Er fragte sich noch immer, warum so ein Wirbel um die Igorina gemacht wurde. Laut seinen Informationen hatte sie sich weitestgehend auf ihren Posten als Ausbildungsleiterin zurückgezogen. Und sie mussten ebenso feststellen, dass die Belegschafft der Wache eher schrumpfte. Ob man dem Oberfeldwebel allerdings dafür die Schuld geben konnte, war noch fraglich. Laut Rach Flanellfuß bisherigen Berichten, schien sie ihren Pflichten nachzukommen. Der strafversetzte Mitarbeiter war schon lange zur jetzigen Situation befragt worden. Dennoch blieben Fragen offen, die sie nun beantworten sollte. Zumindest war dies die heutige Agenda. Die Igorina wusste von all dem noch nichts, doch sie war deutlich angespannt, wie immer, wenn sie zu seiner Lordschaft gerufen wurde. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre die ganze Angelegenheit schon längst geklärt worden. Allerdings wusste er auch, dass es gut war, dass dem heutigen Gespräch gewisse Ereignisse voran gegangen waren. Racul, der graue Schatten von Ankh, lebte inzwischen im Exil. Wäre die Igorina noch unter dessen Einfluss gebunden gewesen, so wäre das heutige Gespräch wohl tatsächlich undenkbar.
"Oberfeldwebel, du fragst dich sicher, warum du heute hier bist", sagte seine Lordschafft endlich an die Igorina gewandt. "Und ich werde schnell zum Punkt kommen."
Der Patrizier klappte den Deckel der Akte zu, die er noch bis eben durchgelesen hatte. Zufrieden stellte er fest, dass die Igorina sah, dass es sich dabei um eine Akte des Wachearchivs handelte. Um genau zu sein, eine Akte aus der Ablage für ungelöste Fälle. Seine Lordschafft sah kurz zu ihm und gab somit das Zeichen, den Kutscher - den ehemaligen Kutscher, korrigierte er sich – ihrer Majestät Ayami Vetinaris hereinzuführen. Drumknott tat wie ihm geheißen und öffnete die Tür für den nächsten Gast. Philip, wie er sich den Namen des jungen Mannes ins Gedächtnis rief, würdigte die Igorina keines Blickes. In seinen Händen hielt er eine schlichte schwarze Urne, die er vorsichtig auf dem Schreibtisch abstellte. Die Igorina machte große Augen und war sichtlich überrascht und schien auf dem Sprung. Havelock Vetinari hob beschwichtigend die Hand.
"Unser werter Philipp hier weiß sich zu benehmen und ich hoffe das gilt auch für dich, Oberfeldwebel."
Ayamis ehemaliger Kutscher hatte direkt neben dem Schreibtisch Stellung bezogen, so als wenn er die Urne beschützen müsse. Nach allem, was der Sekretär seiner Lordschafft wusste, war die Sorge vermutlich nicht mal unberechtigt. Die Geschichte darüber, wie der Kutscher um den Inhalt der Urne gekämpft hatte, um schließlich damit nach Ankh-Morpork zurückzukehren, war nervenaufreibend genug. Doch dass sich die Verwandte seiner Lordschaft sich nicht mehr wiederbeleben ließ, war leider die größere Tragödie. Der es nun auf den Grund zu gehen galt.
"Ich kenne seine Version, der Geschichte", sagte seine Lordschaft ruhig und legte die Fingerspitzen aneinander. "Und nun möchte ich die deine hören."
Die Igorina sah sich hektisch um, doch sie wusste, es war sinnlos sich zu wiedersetzten. Sie neigte demütig ihr Haupt.
"Wo foll ich Anfangen, Herr?", fragte sie leise.
"Dank meiner Mitarbeiter ist mir das meiste bekannt, was sich nach und vor deiner spektakulären Wiedererweckung ereignet hat.", sagte Vetinari gelassen und lehnte ich etwas zurück. "Wie wäre es also mit deinem Besuch bei der nun ehemaligen Kollegin Ophelia Ziegenberger. Kurz bevor du die Stadt verlassen hattest."
Die Igorina sah überrascht auf und nickte schließlich ergeben. Es fiel ihr sichtlich schwer über die Ereignisse zu reden und der Sekretär machte sich fleißig Notizen, um das Gesagte zu protokolieren. So nüchtern sein Bericht am Ende auch ausfallen würde - er kam nicht umhin, dass er sich bei der Erzählung wie in einem Klacker fühlte.

***


Sie verharrte unschlüssig vor dem verschlossenen Eingang und atmete tief durch. Sie hatte lange genug auf einen Moment wie diesen gewartet. Frau Jawohl, die Verwalterin des Hauses, war noch unterwegs und würde ihr somit nicht in die Quere kommen. Doch jetzt vor der Tür war sie sich unsicher. Rogi strich sich kurz über das Gesicht und klopfte schließlich an. Sie durfte diese Begegnung nicht noch weiter hinaus zögern. Sie hatte schon viel zu lange gewartet. Sie lauschte angespannt den Schritten in der Wohnung und Ophelia öffnete ihr. Die Igorina sah direkt in die großen Augen ihres Gegenübers und die kurzen, schwarzen Haare, die das Gesicht umrahmten, irritierten sie kurz, doch als sie gerade etwas sagen wollte, wurde die Tür regelrecht zugeworfen. Die Reaktion hatte sie nicht erwartet und erste Zweifel überkamen sie, ob sie sich nicht hätte anders ankündigen sollen. Sie wagte noch einen Versuch und klopfte wieder an. Ophelia öffnete ein weiteres Mal, diesmal allerdings langsamer.
"Ef tut mir leid", sagte Rogi schnell. Und viel weiter wäre sie auch nicht gekommen, bevor Ophelia in Ohnmacht fiel.
Die Igorina konnte sie gerade noch rechtzeitig packen und nahm sie kurzerhand auf ihre Arme. Sie betrat schnell den langen Flur mit der Befürchtung, dass Frau Jawohl jeden Moment das Haus betreten konnte. Die Wächterin in ihren Armen regte sich und Rogi sah zu ihr hinab, als sie die Augen öffnete.
"Du lebst", sagte Ophelia so leise, dass die Igorina es kaum hören konnte und schlang so unvermittelt den Arm um sie, dass Rogi einen Augenblick taumelte.
Sie erwiderte den Druck leicht. Ophelias Körper bebte regelrecht vor Aufregung, so dass sie sich nicht traute, sie wieder abzusetzen.
"Ef tut mir leid", wiederholte sie ihre Worte, doch die Wächterin reagierte nicht darauf.
"Wie ist das möglich? Hat Roger..."
"Er hat mich wiederbelebt, ja", unterbrach sie Ophelia schnell und die Umarmung lockerte sich.
Rogi ergriff die Gelegenheit um sie abzusetzen, doch der Arm um ihren Hals löste sich nicht. Sie merkte, dass Ophelia weinte.
Sie griff mit ihrer linken Hand sanft nach Ophelias rechten Arm und lies deren Hand in ihre gleiten. Das durch die Tränen gerötete Gesicht wandte sich ihr wieder zu und Rogi brachte ein kurzes Lächeln zustande, obwohl sich ein Kloß in ihrem Hals bildete.
"Foll ich uns einen Tee machen?", fragte sie zaghaft. "Wir haben, denke ich, Einigef zu bereden."
Ophelia nickte ihr mit einem so breiten Lächeln zu und strahlte geradezu vor Glück, dass Rogi darüber nachdachte, ob sie sie je so erlebt hatte. In all den Jahren die sie sich schon kannten, wollte ihr keine gleichwertige Situation einfallen. Sie seufzte innerlich und drückte Ophelia ihr Taschentuch in die Hand, bevor sie den Weg zur Küche einschlug. Ophelia folgte ihr nicht gleich, sondern schloss erst die Eingangstür. Rogi fand sich zu ihrer eigenen Überraschung gleich wieder zurecht und setzte das Wasser auf, nahm das passende Geschirr aus dem Schrank und stellte zufrieden fest, dass die Türen genau so quietschten, wie sie es beabsichtigt hatte.
"Ich habe sie nie geölt, weißt du?", sagte Ophelia leise hinter ihr. "Ich konnte es einfach nicht."
"Danke", antwortete sie und starrte dabei die Tassen vor ihr an. "Daf bedeutet mir viel. Wirklich."
"Dein Zimmer habe ich auch gelassen, wie es war. Falls du also wieder einziehen möchtest..."
Ophelia ließ ihre Worte in der Luft hängen und Rogis Schultern sanken herab. Sie schwieg einen Moment und nahm den Kessel vom Herd, um die erwählte Teemischung hinzu zu geben.
"Ich werde die Ftadt verlassen", sagte sie schließlich.
"Du bist gekommen, um dich zu verabschieden?"
"Nicht nur.", sagte sie schnell und stellte die Kanne auf dem kleinen Tisch ab.
Rogi setzte sich auf einen Stuhl. Ihren Stuhl, wie sie dabei automatisch dachte und der kurze Blick zu Ophelia zeigte ihr, dass die anfängliche Euphorie nachgelassen hatte. Sorgenfalten bildeten sich auf dem Gesicht der Wächterin und ein nachdenklicher Ausdruck legte sich über ihre Züge. Die Igorina seufzte leise und schenkte ihnen beiden ein.
"Das Gewitter!", sagte Ophelia mit einem mal. "Kurz nach deiner Beerdigung gab es diesen Sturm, der die halbe Stadt verwüstet hat."
Sie sagte nichts dazu, sondern deutete auf die Teetasse ihr gegenüber. Die Wächterin setzte sich endlich zu ihr.
"Stimmt es?", fragte Ophelia weiter und starrte sie dabei regelrecht an. "Du lebst seit dieser Nacht, richtig?"
Sie nickte leicht angespannt. Die verdeckte Ermittlerin war schon immer gut darin gewesen, Zusammenhänge zu finden und richtig zu schlussfolgern, so auch in diesem Fall.
"Wo hast du solange gesteckt?"
"Tut mir leid, ich konnte nicht eher kommen", erwiderte sie so neutral wie möglich. "Ich muffte ein paar Dinge erledigen, über vieles nachdenken und eine Sprache lernen, die ich einft beherrscht habe."
Sie musste lächeln, als Ophelia sie irritiert ansah. Der Wächterin war sicher ihr überwaldischer Akzent aufgefallen. Doch den Zusammenhang zu ihrer Aussage schien Ophelia nicht klar zu erkennen.
"Fozufagen eine kleine Nebenwirkung der Wiederbelebung", sagte sie in der Hoffnung, dass dies als Erläuterung reichen würde.
"Hast du sonst noch etwas vergessen?", fragte Ophelia zaghaft und kaute gleich danach auf ihrer Unterlippe, als würde sie ihre Worte bereuen.
"Vielleicht", antwortete sie wahrheitsgemäß und seufzte.
Es gab sogar Einiges, das sie gerne vergessen hätte. Den Verlust ihrer Eltern oder Michael Machwas' Tod, hätte sie nur zu gerne aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Ebenso wie die die Schuld, die deswegen auf ihr lastete.
"Mach dir keine Sorgen!", sagte Ophelia um sie aufzuheitern. "Es wird sich alles schon irgendwie ergeben. Dass du jetzt hier bist, bedeutet mir sehr viel."
"Wie geht ef dir?", fragte sie, um das Gespräch erst mal von sich abzulenken. Sie hoffte herauszufinden, ob der Einfluss Aschers wirklich ausgelöscht war.
"Mir geht es wirklich gut, mach dir keine Sorgen", antwortete Ophelia und lächelte dabei. "Ich habe jemanden kennengelernt. Einen wundervollen Mann."
Sie runzelte über diese neue Information unbewusst die Stirn.
"Wir sind jetzt...zusammen."
Ophelia errötete nach ihren Worten und die Igorina hatte das nicht oft bei ihr beobachtet.
"Du hast einen Mann kennen gelernt?"
Rogi betrachtete bei ihren Worten den geschienten Arm und schämte sich gleich dafür. Sie sah schnell in ihre Teetasse. War sie selber wirklich so oberflächlich und zweifelte daran, dass jemand sich, trotz ihrer Behinderung, auf eine Beziehung mit Ophelia einlassen würde? Ihr Gegenüber nickte eifrig mit einem verträumten Lächeln auf dem Gesicht.
"Weiß er davon?", fragte sie und tippte sich dabei an ihre Schläfe.
Es war nicht einfach, das Thema zur Sprache zu bringen, doch eine bessere Gelegenheit, Ophelia nach der Verbindung zu Racul zu fragen, würde sich sicher nicht ein weiteres mal bieten. Die Wächterin schwieg einen Moment und nickte schließlich langsam.
"Ja, er weiß davon, dass es da noch etwas in meinem Leben gibt", antwortete die verdeckte Ermittlerin. "Noch jemanden, dem ich diesen Zugang unfreiwillig zugestehen musste. Ich habe mit ihm darüber gesprochen, weil es mir richtiger erschien. Immerhin geht es dabei ja auch darum, dass nicht alles, was wir einander anvertrauen, mit Sicherheit unter uns bleiben kann... Aber er ist ein ganz außergewöhnlicher Mensch und hat nach reiflicher Überlegung beschlossen, dass er bereit ist, es auf einen Versuch ankommen zu lassen."
Die Igorina zog die Augenbrauen zusammen und versuchte die Worte zu deuten. Allerdings war Ophelias Reaktion so nüchtern und überlegt! Diese zog gar nicht in Betracht, dass Rogi etwas von Racul wissen könnte. Die Worte konnten sich ebenso auf Ascher beziehen, was bedeuten würde, dass Ophelia sich dessen Trennung von ihr nicht bewusst war.
Sie seufzte tief.
"Nur, um ef klar zu ftellen: Ich rede nicht von Parsival Ascher."
Ophelia sah sie entsetzt an und wollte etwas sagen, klappte den Mund allerdings schnell wieder zu. Der Groschen war gefallen und die Wächterin versteinerte geradezu, so bewegungslos starrte sie ihr in die Augen.
Rogi nahm die Tasse in beide Hände und trank einen Schluck, um etwas Zeit zu gewinnen. Doch es machte wenig Sinn, sich weiter anzuschweigen. Irgendwie musste sie die Wogen wieder glätten.
"Ef tut mir leid. Ich hätte nicht damit anfangen sollen", wagte sie einen Versuch. "Diefer Mann, wie hast du ihn kennengelernt?"
Die Frage hörte sich in ihren eigenen Ohren plump an, doch alles war besser, als dieses erbitterte Schweigen.
"Woher weißt du davon?" Ophelia löste sich aus ihrer Starre und ignorierte die Frage einfach.
Rogi atmete tief durch und überlegte, wie viel sie ihr anvertrauen konnte, ohne dass Racul es gleich als persönlichen Angriff sehen würde. Doch sie wollte jetzt nicht ausweichen. Sie musste ehrlich sein.
"Meine ehemalige Herrin...", sagte sie und machte eine Pause. "Sie hat ein perfönlichef Interesse an... du weift fon wen..."
Beinahe hätte sie seinen Namen gesagt. Wenn er nicht schon längst mithörte, wäre es bei der Aussprache seines Namens sicher der Fall gewesen. Jeder Igor kannte das ziehende Gefühl, wenn der eigene Name genannt wurde. Bei dieser Verbindung stellte sich Rogi Ähnliches vor.
"Aber defwegen habe ich nicht gefragt", versuchte sie schnell klarzustellen. "Ich will wiffen wie es dir geht. Wie es dir wirklich geht."
Die Wächterin ihr gegenüber sprang entsetzt auf und tigerte durch die kleine Küche, nur um sich kurz darauf wieder zu setzten. Ophelia spielte nervös mit dem Deckel der Zuckerdose auf dem Tisch und wich ihrem Blick aus. Solange, bis sich ihre Stirn in Falten legte und sie sich mit der Hand genervt darüber strich.
"Wie es mir wirklich geht! Vielleicht solltest du ihr antworten?", sagte Ophelia leise und in einem sarkastischen Tonfall, den Rogi nicht von ihr kannte.
Sie spannte sich an, als ihr klar wurde, dass Racul wie befürchtet längst anwesend war, mischte sich allerdings nicht ein und beobachtete ihr Gegenüber mit Sorge.
Ophelia lehnte den Ellenbogen auf den Tisch, legte ihre Stirn in der Hand ab und sah so in ihren Tee, den sie bisher nicht angerührt hatte.
"Sagen wir es so", sagte Ophelia unter größter Anspannung. "Die Situation ist nicht optimal."
Die Igorina knirschte leicht mit den Zähnen und Ophelias Blick richtete sich wieder auf sie und ihr wurde bewusst, dass damit auch Racul sie ansah.
"Er ist erfreut, dich kennenzulernen und bittet dich, seine Grüße an die Überwäldlerin zu übermitteln. Es würde ihn interessieren, warum sie bei unseren letzten Begegnungen zu feige war, wie er sich ausdrückt, mir dieses Interesse an ihm persönlich einzugestehen und ihre Fragen zu stellen, als sich die Gelegenheit dazu bot. Anstatt jetzt einen Boten zu schicken. Wobei ich seine Einstellung nicht teile, Rogi. Ich bin sehr froh, dass du da bist und dass es dir gut geht."
Sie ließ Ophelias Worte kurz auf sich wirken und hob die Brauen. Sie presste ihre Lippen aufeinander. Doch kurz darauf musste sie doch laut lachen und hatte Mühe, sich zu beherrschen. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie wischte sie mit dem Handrücken beiseite.
"Verzeihung", japste sie, als sie den irritierten Blick der Wächterin bemerkte. "Ich bin nicht ihr Bote. Gewiss nicht."
Sie atmete ein paar Mal tief durch um sich wieder zu beruhigen, während Ophelia anscheinend ein weiteres Mal ein Wortgefecht mit Racul hatte.
"Ayami und ich gehen getrennte Wege. Fie hat mir diefe Information nur gegeben, um mich um den Finger zu wickeln. Aber darauf falle ich nicht mehr herein", sagte die Igorina ernst und war sich nicht ganz klar, ob ihre Worte an Ophelia, Racul oder vielleicht sogar an sich selbst gerichtet waren. "Ich weiß noch nicht, waf ich witziger finde. Die Tatsache, daf jemand der sich verfteckt Ayami als feige bezeichnet? Oder daf derjenige erwartet, daff sie daf Gespräch über einen Menschen suchen follte?"
Ophelia lächelte sie mit einem mal an und sie erwiderte die Geste unbewusst.
"Jetzt ist er verstimmt", sagte die Wächterin und Rogis Grinsen wurde noch breiter. "Aber wir kommen miteinander zurecht. Man gewöhnt sich an Vieles. Immerhin... es gibt jetzt Wichtigeres in meinem Leben. Wie beispielsweise Rach! Oder dass es dir gut geht!"
Das Lächeln gefror regelrecht auf ihren Lippen.
"Rach?", fragte sie und ihre Stimme überschlug sich in ungeahnte Höhen.
Ophelia bemerkte es gar nicht sondern plapperte munter wie ein Wasserfall darauf los.
"Ja, er ist der Mann, von dem ich dir erzählt habe, den ich kennengelernt habe. Er ist so unsagbar sympathisch! Ein gebildeter junger Mann, wie er im Buche steht. So freundlich und zuvorkommend, ganz und gar hilfsbereit. Er hört gerne zu und er... naja, ich bin da vielleicht aber auch nicht mehr ganz unvoreingenommen. Du müsstest ihn einfach kennenlernen, dann wüsstest du, was ich meine. Wir mögen uns sehr. Wir kennen uns jetzt zwar erst einige Wochen aber... ohne dass ich mir zu viel versprechen will... ich denke, also es könnte durchaus sein, dass das zwischen uns etwas... Längerfristiges werden könnte."
Sie hatte Rach Flanellfuß genau vor Augen und konnte kaum glauben, dass Ophelia und er ein Paar waren. Sie hatte den Eindruck gehabt, ihm vertrauen zu können. Nach allem, was er getan hatte! Doch konnte das ausgerechnet wirklich Zufall sein?
"Daf freut mich für dich", sagte sie und hoffte, dass ihre Unsicherheit nicht durchschien. Sie wollte dieses gefundene Glück auf keinen Fall durch unüberlegtes Handeln zerstören. Wie mochte es wirken, wenn sie Ophelia gestand, dass sie diesen wundervollen Mann schon kannte? Sie wollte zwar ehrlich sein, doch das ging sie nichts an. Allerdings würde sie Rach noch einen Besuch abstatten müssen, bevor sie die Stadt verließ. Sie musste Gewissheit haben, ob er wirklich so empfand wie es den Anschein hatte.
"Oh, genug über mich", sagte die Wächterin unvermittelt und Rogi sah sie überrascht an. "Wie geht es dir jetzt?"
"Gut", sagte sie schnell, immer noch viel zu überrumpelt von der Situation. Doch diese Antwort reichte der Wächterin nicht aus.
Aus Ophelia sprudelten beinahe alle Worte auf einmal und Rogis Entsetzen wuchs mit jedem Satz, der dazu kam.
"Bist du sicher? Das kam alles so überraschend. Der Kommandeur war der Meinung, dass das mehr als nur zufällig ausgerechnet an dem Abend geschah, als Michael starb. Er meinte... also, dazu muss ich vielleicht erwähnen, dass er mich zur Rede stellte. Und das auf eine Weise, die es mir unmöglich machte, dein Beruhigungsmittel zu verschweigen. Es tut mir sehr leid! Ich habe es wirklich versucht! Aber gegen diese Sache mit der Gedankenübertragung bin ich machtlos und das weiß er inzwischen auch. Jedenfalls hat er sofort behauptet, es könne eine Überdosis gewesen sein. Ich habe natürlich dagegen protestiert. Aber ihre Ladyschaft hat den gleichen Verdacht geäußert und das so vehement... sie meinte sogar, dass du... dass es Absicht war. Und, wie auch immer es gewesen sein mag, wenn du nicht darüber reden möchtest, ist das in Ordnung. Ich werde nicht darüber urteilen. Ich hoffe nur inständig... geht es dir jetzt wieder besser? Richtig besser? So, dass du nicht wieder... in solch eine Situation kommen wirst?"
Rogi fasste die Worte in ihrer Essenz für sich zusammen. Der Kommandeur wusste von dem Beruhigungsmittel, ja, hatte sogar einen Verdacht was ihren Tod anging. Ayami hatte Ophelia gesagt, dass jener Absicht gewesen war und ihr wurde klar, wie Ayami Ophelia dazu gebracht hatte, die HIRN zu infiltrieren. Die Vampirin hatte Ophelia schlichtweg provoziert und das ausgerechnet mit der Wahrheit! Rogi rieb sich kurz die Stirn. Die neuen Informationen bereiteten ihr Kopfschmerzen. Dabei war das noch harmlos, in anbetracht der Gedankenübertragung zu Breguyar! Was mochte das bedeuten? Klar war nur, dass Ophelia wissen wollte wie es ihr ging, egal was vorgefallen war. Und eine Antwort war sie der Wächterin sicher schuldig. Doch den Selbstmord einzugestehen... ausgerechnet ihr? Bei dem Gedanken begannen ihre Hände wieder stärker zu zittern und sie legte sie schnell in ihren Schoß.
"Ich...", sie stockte und Ophelia sah sie erwartungsvoll an. "Gut ift vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Aber ich kann dir verfichern, dass ich kein Verlangen mehr nach dem Beruhigungfmittel habe. Die Symptome allerdings, find mir wohl geblieben."
Sie atmete tief ein, als sie das ausgesprochen hatte, und schloss die Augen, um bei den folgenden Worten nicht Ophelias Reaktion sehen zu müssen.
"Und ja, es war Absicht", sagte sie und ließ den Kopf sinken.
Sie wollte sich erklären. Die Umstände verdeutlichen, die sie damals zu dieser Tat trieben. Doch sie konnte nicht. Zu schwer lasteten die unheilvolle Nacht und Michaels Tod auf ihren Schultern. Kleidung raschelte und das kratzende Geräusch von Stuhlbeinen über Holzdielen ertönte. Die Igorina blinzelte kurz. Ophelia war aufgestanden und umarmte sie, so gut dies mit einem Arm möglich war.
"Du musst nichts weiter dazu sagen, wenn du das nicht möchtest, Rogi." Ophelia richtete sich wieder auf.
"Ich sollte aber... oder etwa, nicht?"
"Außer dich erholen, sollst du nichts!", entgegnete Ophelia sofort und Rogi sah zu ihr auf.
"Ich fürchte daf wird nicht reichen. Das Problem fteckt, vermute ich, hier", antworte sie und tippte sich wieder an die Schläfe, bevor sie weiter sprach. "Und da kann ich nichtf dagegen machen."
Sie nahm einen Schluck aus dem inzwischen kalten Tee und trank ihn schließlich in einem Zug leer ohne die Tasse wieder abzusetzen, während die Wächterin sie nachdenklich ansah.
"Bitte”, sagte sie und deutete auf Ophelias Platz. "Ich weif nicht, ob ich den Mut noch einmal aufbringen werde."
Ophelia setzte sich, zögerte allerdings deutlich und Rogi schwieg einen Augenblick um die richtigen Worte zu finden.
"Warte!", sagte Ophelia gerade, als die Igorina etwas sagen wollte. "Vorher sollte, ja muss, ich dir etwas sagen."
Rogi beobachtete ihr Gegenüber genau, wie sie einen tiefen Atemzug nahm und ein weiteres mal mit der Zuckerdose hantierte.
"Ich habe dir von der Gedankenübertragung zu Breguyar schon erzählt und davon, dass es mir so nicht mehr möglich war, mein Versprechen dir gegenüber zu halten. Bei ihm wird es wohl hauptsächlich durch Blickkontakt ausgelöst. Doch bei Vampiren sickern meine Gedanken einfach durch und umgekehrt ist es genau so."
Ophelia sah ihr kurz in die Augen, wandte sich allerdings wieder ab und ihr wurde klar, dass sich ihre Haltung angespannt hatte.
"Egal was du mir sagen möchtest. Ich kann nicht sicher sein, dass es unter uns bleibt. Allein deine Anwesenheit hier..." Ophelia stockte und verzog die Mundwinkel. "Breguyar könnte es erfahren und Valdimier..."
"Wird es mit Ficherheit erfahren", unterbrach sie die Wächterin und seufzte innerlich. Doch machte das nun wirklich noch einen Unterschied? Sie wollte ohnehin die Stadt verlassen. Allerdings hatte sie gehofft, durch ihren Tod alles hier hinter sich zu lassen, wenn sie erst mal mit Ophelia geredet hätte. Jetzt sah es so aus, als müsste sie ihre Abfahrt weiter hinauszögern, um alle Eventualitäten einzuplanen.
"Feit wann ist daf so?", fragte sie vorsichtig und schenkte sich Tee nach.
Ophelia antwortete nicht gleich, sondern sah sie lange an. Der Deckel der Zuckerdose klapperte ein weiteres mal.
"An dem Abend...", sagte ihr Gegenüber stockend und senkte wieder den Blick. "Ich glaube der Anblick deiner... leblosen Hülle war der Auslöser. Doch ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich der Anfang war. Ab da wurde es jedenfalls von Tag zu Tag schlimmer."
Rogi hob überrascht die Brauen und atmete tief durch. Sollte sie Schuld an dem ganzen Chaos sein oder wäre es irgendwann ohnehin passiert? Rogi biss die Zähne zusammen, als ihr bewusst wurde was das alles für Konsequenzen hatte. Es war ein riesiger Fehler gewesen, hierher zu kommen! Oder konnte es ihr gleichgültig sein? Wenn sie alles hinter sich ließ und nach Überwald ging, war es da nicht egal, wer von ihrer Wiederbelebung erfuhr? Doch so einfach war es nicht.
"Ef ift vermutlich überflüssig, dich darum zu bitten, nicht an mich zu denken?", fragte sie mit einem schiefen Grinsen.
"Entschuldige bitte! Du wärst vermutlich nicht gekommen, wenn du das gewusst hättest?"
Ophelia sah sie unsicher an und schien die Antwort schon zu kennen.
"Nein, vermutlich nicht", antwortete sie und Ophelias trauriger Blick trübte die Stimmung weiter. "Und Rach weiß daf alles?"
Ophelia nickte und Rogi ballte unter dem Tisch ihre Fäuste. Weder Rach, noch Ayami, hatten sie vor diesem Problem gewarnt. Und sie würde herausfinden, warum. Racul als Mitwisser konnte sie tatsächlich ertragen. Doch wenn Breguyar von ihrem aktuellen Status und ihren Verfehlungen erfuhr, war das, als wenn sie sich selbst ihm gegenüber verraten würde. Sie war stolz auf das Vertrauen, dass er ihr entgegen gebracht hatte. Es zu verlieren, bereitete ihr trotz ihrer Pläne Sorgen. Die Igorina verschränkte die Arme und die abweisende Haltung veranlasste Ophelia zu einem leisen Seufzer, der sie aus ihren Gedanken riss.
"Und jetzt?", fragte sie ratlos, doch die Wächterin zuckte nur mit der Schulter.
Die Igorina fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und stand auf, um die Küche zu verlassen. Sie tigerte durch den langen Gang und sah dabei kurz zu dem Zimmer, dass sie zwei Tage lang bewohnt hatte. Sie blieb vor der Tür stehen und legte die Hand auf der Klinke ab. Doch sie verharrte nur weiter dort.
"Rogi, wenn ich könnte..."
"Fon gut", unterbrach die Igorina Ophelia und wandte sich von der Tür ab. "Ich wollte wiffen wie es dir geht. Und nicht verschwinden, ohne dir zu fagen, dass ich wieder lebe."
Sie atmete noch mal tief durch und Ophelia sah sie bedrückt an.
"Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen, bevor ich die Stadt verlaffe. Wenn ich alfo noch etwas für dich tun kann, laff es mich wissen."
Ophelia schien sogleich fieberhaft zu überlegen, doch sie hob beschwichtigend die Hand.
"Du kannst mich über die Geschäftsstelle 'Wir sind Igors' erreichen. Und folange ich noch hier bin, kannft du mir eine Nachricht im Poftamt hinterlegen lassen. Fach Nummer 705."
"Wirst du wiederkommen?", fragte die verdeckte Ermittlerin leise. "Irgendwann?"
"Ich weif es nicht", antworte sie wahrheitsgemäß. "Falls Breguyar von meinem Auftauchen erfährt, kannft du ihm ausrichten, wie er mich erreichen kann, doch mehr kann ich dir jetzt nicht mehr sagen."
Sie ging auf Ophelia zu, die verunsichert im Türrahmen der Küche stand, und umarmte sie.
"Ich bin froh, dass es dir gut geht, trotz der Umstände. Und ef tut mir wirklich Leid waf ich mit meinem Tod angerichtet habe. Doch ich hoffe, du kannst es verstehen, wenn ich daf alles nun hinter mir lassen möchte."
Die großen Augen starrten sie wieder an und Rogi hatte das Bedürfnis zu gehen, so schnell wie möglich, als wäre eine Bedrohung im Anmarsch, die sie nicht zuordnen konnte.
"Leb wohl", sagte sie schnell und drückte die zierliche Gestalt, die sichtlich gegen die Tränen ankämpfte, ein weiteres Mal, bevor sie sich abwandte und aus der Wohnung trat. Zähneknirschend stürzte sie die Treppe hinab und hastete an einer verblüfften Frau Jawohl vorbei, die gerade das Haus betreten wollte. Rogi rannte einfach weiter in die Nacht hinaus, unschlüssig, was sie nun tun sollte.

Er grüßte beim Passieren des Tors die Palastwächter und warf einen kurzen Blick auf seine Taschenuhr. Er hatte noch etwas Zeit bis er sich heute Abend mit Ophelia treffen würde. Und er musste dafür noch einiges vorbereiten. Die Maronen hatte er zwar schon gestern geröstet, dennoch würde die Suppe etwas Zeit brauchen, um ihren Geschmack zu entfalten. Bevor er weiter abschweifte betrachtete er seine Spiegelung in einem Schaufenster. Er erkannte einen vertrauten Schemen. Rach blieb verwundert stehen und tat so, als würde er die Auslage des Ladens begutachten und musste grinsen als er merkte, dass er vor einem Blumenladen hielt. Kurz entschlossen betrat er das Geschäft und orderte einen Blumenstrauß mittlerer Größe und nahm noch eine einzelne Rose aus einem Eimer. Er roch beiläufig an der Blüte und sah dabei auf die Straße. Er hatte von hier einen hervorragenden Blick und nach kurzer Zeit, sah er was er suchte. Auf der anderen Straßenseite lehnte jemand an der Hauswand und starrte ihn direkt an. Dabei wusste er genau, dass die Person nur ihre eigene Spiegelung sehen konnte. Wen er dort allerdings erkannte, überraschte ihn etwas. Er ging näher an das Schaufenster, um sich zu vergewissern.
"Sonst noch etwas, der Herr?", fragte die Floristin und lächelte ihn breit an.
"Verzeihung, ich war in Gedanken", sagte er zu ihr und griff nach einer Grußkarte aus dem Ständer neben sich. "Hast du etwas zu schreiben?"
"Natürlich, Herr", sagte sie und ging auf der Suche nach dem Gewünschten wieder hinter den Verkaufstresen.
Rach beobachtete noch einen kurzen Augenblick seine Verfolgerin und war verblüfft, dass sie sich so einfach ausmachen ließ. Als wolle sie entdeckt werden? Er trat in dem Moment an den Verkaufstresen, als die Floristin Feder und Titanfass auf der Theke ablegte.
"Vielen Dank, Madame."
Während er ein paar Zeilen für Ophelia niederschrieb, achtete er nicht weiter auf seine Verfolgerin auf der anderen Straßenseite.
Liebe Ophelia,
ich freue mich schon auf heute Abend, doch ich fürchte ich werde mich etwas verspäten. Bitte warte nicht zu lange auf mich!
Dein Rach

Er seufzte leise, als er die Feder beiseite legte. Es war nicht das erste Mal, dass er sein Privatleben zurück stellen musste, doch bisher hatte er seine Entscheidung nie bereut. Bis heute.
"Bitte schick den Blumenstrauß zum Wachhaus an Feldwebel Ziegenberger", sagte er und der Blick der Verkäuferin brachte ihn zum Schmunzeln. Doch sie sagte nichts weiter dazu.
Er wusste genau was sie dachte – Seine Erscheinung passte in ihren Augen nicht zu einer Wächterin. Doch gleichzeitig machte sie sich Hoffnungen darauf, dass ihr ein Gentleman ebenso Blumen schicken würde. Er zwinkerte ihr kurz zu, während er seinen Kragen richtete und die Rose in das Knopfloch steckte.
"Wir arbeiten beide für die Stadt", sagte er schließlich und legte das Geld auf den Tresen.
Er achtete gar nicht auf die entschuldigenden Worte der Floristen als er den Laden verließ. Er konzentrierte sich stattdessen wieder auf den Schatten auf der anderen Straßenseite. Der dunkle Sekretär setzte seinen Weg schneller als üblich fort und nutzte die Spiegelungen der Fenster oder seiner Uhr, um seine Verfolgerin im Auge zu behalten. Erst beim Apothekergarten wurde er wieder langsamer und setzte sich auf eine Bank. Rach atmete tief ein und genoss einen Moment das Kräuteraroma, das hier herrschte.
"Hallo, Rogi", sagte er, als er sich sicher war, dass sie ihn hörte. "Ich dachte du bist auf dem Weg nach Überwald."
"Daf war der Plan", sagte sie und setzte sich zu ihm.
"Was ist passiert?"
"Ich war bei Ophelia."
Er seufzte und ahnte was auf ihn zukommen würde. Seine Haltung spannte sich unwillkürlich an, als die Igorina weiter sprach.
"Du und sie..."
"Das hat nichts mit dir zu tun", sagte er schnell. "Ich habe sie zum erstem Mal gesehen, als sie gegen die HIRN verdeckt ermittelte. Glaub mir ich war mehr als überrascht, als ich die Zusammenhänge erkannte."
Rogi musterte ihn abschätzig und schien zu überlegen, ob sie das wirklich glauben konnte.
"Und du kennst ihr Problem?", fragte sie und tippte sich an die Schläfe.
Er sah sie nur fragend an um sich nicht zu verraten, doch innerlich brodelte er. Die Igorina stellte tatsächlich seine Gefühle für Ophelia in Frage.
"Sie hat ef mir gesagt, du brauchft es alfo nicht zu leugnen."
"Was willst du von mir?", fragte er ernst und sie starrte ihn grimmig an.
"Du hättest mich warnen können.", sagte sie und er konnte nicht folgen, "Ihre Verbindung zu Racul, Okay, aber dass ihre Gedanken einfach..."
Rogi brach ab und schnaubte. Langsam verstand er, was das Problem der Igorina war. Doch eine Information schrie um Aufmerksamkeit. Racul! Das musste der Vampir sein, von dem Ophelia gesprochen hatte. Sie hatte ihm den Namen bewusst verschwiegen und diesen jetzt zu erfahren, fühlte sich nicht richtig an. Er seufzte und die Igorina starrte ihn weiter an.
"Mit Verlaub, aber warum hätte ich das tun sollen?", fragte er. Sie wollte etwas erwidern, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. "Du hast sehr deutlich gemacht, dass du nach Überwald gehen wirst und keiner erfahren sollte, dass du wieder lebst und ich habe das akzeptiert. Ophelia hat sich mir anvertraut und bisher habe ich es geschafft, Beruf und Privatleben auseinander zu halten..."
Er atmete tief ein um sich wieder zu bremsen und sah die Igorina abschätzig an. Sie wusste schon viel zu viel über ihn.
"Wann warst du bei ihr?"
"Liebst du sie?"
"Bitte?", erwiderte er überrascht von der Frage, "Ich wüsste nicht, was dich das angeht."
"Nichts", sagte sie kühl und beugte sich näher zu ihm. "Aber ich kann ef nicht glauben. Wenn du ihr weh..."
"Stopp!", sagte er wütend und stand auf. "Du hast dich in den Tod geflüchtet und klagst mich an? Du hast keine Vorstellung, wie sehr sie um dich getrauert hat und ich konnte ihr nichts sagen." Rogi sah ihn zweifelnd an und presste schließlich ihre Lippen aufeinander.
"Such dir einen anderen Sündenbock!"
Die Igorina stand ruckartig auf, doch er wich nicht zurück und so sahen sie sich beide direkt in die Augen. Sie schnaubte und er spürte ihren Atem in seinem Gesicht.
"Wann warst du bei ihr?", presste er zwischen seinen Zähnen hervor. Er wollte sich gar nicht ausmalen, wie sehr Ophelia das mitnehmen musste. Und die Igorina sah nur ihre eigenen Probleme.
Sie sah ihn nur wütend an und seine Geduld war erschöpft. Er trat einen Schritt zurück, um wieder etwas Abstand zu gewinnen und warf einen kurzen Blick auf seine Taschenuhr.
"Wenn du mich entschuldigst? Ich habe heute Abend noch eine Verabredung", sagte er, so ruhig er konnte. "Wir können gerne weiterreden, wenn du wieder zu Vernunft gekommen bist. Leb wohl!"
Mit diesen Worten machte er auf den Absatz kehrt und ließ Rogi an Ort und Stelle stehen. Er atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Dann fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar. Er durfte sich heute Abend nichts anmerken lassen. Normalerweise eine Leichtigkeit für ihn, allerdings war seine Privatsphäre noch nie so sehr durch seine Arbeit beeinträchtigt worden. Er blieb ruckartig stehen, als ein Gedanke sich in seinem Kopf breitmachte. Rach drehte wieder um und rannte so schnell er konnte zur Igorina zurück. Sie saß zu seiner Erleichterung wieder auf der Bank und schaute auf den Kiesweg zu ihren Füßen. Er kam schlitternd vor ihr zum Stehen und sie sah bedrückt zu ihm auf. Er packte sie an den Schultern und sah sie eindringlich an.
"Hast du ihr gesagt, dass wir uns kennen?"
Die Igorina blickte ihn verständnislos an und er hätte sie am liebsten durchgeschüttelt.
"Hast du Ophelia gesagt, dass du mich kennst!"
Allein bei der Vorstellung wurde ihm schlecht. Wie sollte er das erklären und wie würde sie reagieren? Die Igorina schüttelte langsam den Kopf und er ließ sich erleichtert neben ihr auf der Bank nieder. Er tastete nach seinem Zigarettenetui und klappte den Deckel auf, doch er starrte nur auf die aufgereihten Glimmstängel.
"Danke", sagte sie neben ihm und stand auf. "Und ef tut mir leid. Ich werde dich und Ophelia nicht mehr belästigen."
"Danke wofür?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen und starrte dabei immer noch auf sein Etui.
"Dafür, dass du für Ophelia da bift."
Er hakte nicht weiter nach und steckte seine Zigaretten wieder ein. Die Igorina hatte endlich ein Einsehen und er entspannte sich merklich.
"Du willst immer noch nach Überwald?", fragte er - nicht nur aus eigenem Interesse.
"Ja", sagte sie mit einem vagen Grinsen. "Doch erftmal brauche ich einen neuen Sündenbock."
Sie wandte sich zum Gehen und er sah ihr mit gemischten Gefühlen hinterher. Egal was die Igorina noch vorhatte, er hoffte, nicht in der Nähe zu sein. Oder sein zu müssen.

"Was willst du von mir, Igorina?", sagte ihre Majestät kühl. Und scheinbar gelangweilt von der Gestalt ihr gegenüber. Er war sich nicht sicher, wie viel davon gespielt war. Dafür, dass der Sonnenuntergang erst in einer Stunde bevorstand, war ihre Hoheit erstaunlich gelassen.
Philipp stand direkt hinter dem Sessel der Igorina und beobachtete jede ihrer Regungen. Ihm gefiel es nicht, dass sie sich das Recht herausnahm, unangekündigt aufzukreuzen. Und ihr auch noch eine Audienz gewährt wurde! Ayami war viel zu nachsichtig mit der Igorina. Er ballte unbewusst die Fäuste.
"Warum habt ihr mir Ophelias mentalef... Leck verschwiegen?"
"Du warst bei ihr?"
"Antwortet einfach!"
"Wie kommst du darauf, dass ich etwas darüber weiß?", erwiderte Ayami und hob amüsiert eine Braue – eine Geste, die ihn immer wieder vor Ehrfurcht erstarren ließ.
"Allef andere würde ich Euch nicht glauben und ich weiß, daff ihr mindestens einmal Kontakt zu ihr hattet", sagte die Igorina und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Ich hätte nicht gedacht, dass du Ophelia vor deiner Abreise aufsuchst", sagte Ayami und ging immer noch nicht auf die Frage der Igorina ein, die die Luft zischend einsog.
"Ihr wisst alfo schon, daff ich die Stadt verlaffen möchte." Die Igorina stellte dies ruhig fest und er hatte den Eindruck, dass es sie viel Beherrschung kostete.
"Ich bin nach unserem letzten Treffen davon ausgegangen. Und ich bin gerne dazu bereit, dich mitzunehmen. Wenn du einverstanden bist."
Ihm wurde bei dem Gedanken schlecht und Ayami sah direkt zu ihm, um ihn zu beschwichtigen. Er senkte entschuldigend den Blick und betrachtete das Teppichmuster. Rogi Feinstich hatte sich bisher nicht geregt und das Angebot schien ihr in ähnlicher Weise zu schaffen zu machen wie ihm. Das Schlimme daran war allerdings, dass die Igorina nicht direkt ablehnte.

Sie liefen schweigend nebeneinander her. Hendrik sah die Igorina mit anderen Augen. Es war Rogi, sicher, doch es hatte sich etwas geändert. Und das war unheimlich. Die Igorina war einfach am Friedhof bei ihrem Grab aufgetaucht und als er sie vorsichtig fragte, ob sie auf einen Spaziergang mit Mortimer mitkäme, zuckte sie einfach mit den Schultern und ging schweigend neben ihm her. Der Hund war so glücklich wie immer und trabte folgsam an der Leine hinterher, während er aufgeregt umher schnüffelte.
"Rogi, was ist los?", fragte er schließlich um das Schweigen zu brechen.
"Haft du schon mal daran gedacht, jemanden zu töten?"
"Klar", sagte er sofort. "Gernot, diesem Trunkenbold, hätte ich ein paar Mal gerne eine mit der Schaufel übergezogen. Was denn? Daran zu denken ist kein Verbrechen!"
Rogi sah ihn immer noch mit einer Mischung aus Entsetzten und Erleichterung an, sagte allerdings nichts weiter dazu. Er bekam langsam eine Ahnung davon, was die Igorina beschäftigte. Er hatte natürlich mitbekommen, dass sie erst vor kurzem einen Vampir getötet hatte. Und bei diesen Kreaturen erhob er auch sicher keine Einwände. Soweit er wusste, ging es der Igorina ähnlich. Was also brachte sie nun ins Grübeln? Ihm war klar, dass er nicht der Schlaueste war, doch auf sein Bauchgefühl konnte er sich eigentlich immer verlassen.
"Du hast doch nicht etwa...", setzte er vorsichtig an und entschied sich doch für einen anderen Ansatz. "Du bist Wächterin..."
"Ich war Wächterin!"
"Spielt das eine Rolle?", entgegnete er verwundert, "Willst du mir etwa sagen, dass sich bei deiner Wiederbelebung dein Gewissen verabschiedet hat?"
Rogi knirschte mit den Zähnen und beschleunigte ihre Schritte, was Mortimer wieder mal als ein Spiel auffasste und an der Leine zog, um die Igorina einzuholen.
"Also?", hakte er nach und sie drehte sich abrupt zu ihm um.
"Alfo was?" Seit ihrer Wiederbelebung war Rogi leicht aus der Fassung zu bringen. Und wenn sie wütend war hatte er einen riesen Schiss vor ihr.
"Hast du wieder... du weißt schon..." Hendrik druckste um das Thema herum, um die Igorina nicht noch mehr zu verärgern. Zum anderen wusste man auf offener Straße nie, wer gerade etwas Falsches aufschnappte.
"Noch nicht", brumme die Igorina vor sich hin, so dass er es gerade noch hören konnte.
"Warum fragst du mich überhaupt, wenn du dich wohl schon entschieden hast?" Er folgte der Igorina, die sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. "Willst du nun etwa Vampirjäger werden?"
Rogi lachte, als hätte er einen Witz gemacht, über den sie sich köstlich amüsierte. Ihm war alles andere als zum Lachen zu Mute.
"Rogi, bitte tu das nicht!", brachte Hendrik verzweifelt hervor und blieb stehen. "Denk an Roger..."
Die Igorina wirbelte um ihre eigene Achse und packte ihn am Kragen. Mortimer zog den Schwanz ein und winselte, während er sich hinter seinem Herrchen versteckte.
"Ich denke an ihn. Nur an ihn! Und ich erwarte keine Hilfe von dir. Doch du solltest auch nicht versuchen, mir im Weg zu stehen!"
Sie ließ ihn genauso ruppig los, wie sie ihn gepackt hatte und marschierte davon.
Er wagte es nicht, wieder zu ihr aufzuschließen. Erst als sie nicht mehr zu sehen war, löste er sich aus seiner Erstarrung. Er zog schniefend die Nase hoch und wischte sich schnell mit der flachen Hand über die Augen. Er ging mit gesenktem Blick weiter durch die Stadt, in der Hoffnung, dass niemand seine Tränen bemerkte. Er wusste nicht mal genau warum er weinte, doch das Gefühl, für immer eine Freundin verloren zu haben, wurde mit jedem Schritt größer.

Ott Leutram begutachtete den Dolch in seiner Hand, ließ dabei aber seine Kundin nicht aus den Augen. Sie hatte ihr Gesicht verhüllt, doch er hatte sie schon längst durchschaut. Es war nicht das erste Mal das er eine Mordwaffe versetzen sollte. Diebesgut war ihm zwar weitaus lieber aber die Waffe war gut ausbalanciert und er hatte genug Kontakte, die diese Arbeit zu schätzen wüssten. Er wäre den Dolch schneller wieder los, als Schnapper seine Würstchen anpreisen konnte.
"Ich gebe dir fünf Dollar dafür", sagte der Hehler gelassen.
"Die Waffe ist viel mehr wert", sagte sie.
Er unterdrückte ein Lachen.
"Mag sein. Aber du willst sicher nicht, dass ich die Stadtwache verständige, oder?" Sie stand wie erstarrt vor ihm und er musste grinsen. "Dachte ich es mir doch. Leute wie du kommen hier zu Hauf vorbei."
"Und wenn ich dir fage, dass die Waffe magife Eigenschaften hat?"
Er runzelte kurz die Stirn als er das Lispeln bemerkte und sah sie ein weiteres Mal an. Entweder hatte die Frau einen Sprachfehler oder er hatte es mit einer Igorina zu tun. Igors waren ihm schon immer unheimlich gewesen. Doch die Armbrust unter dem Tresen beruhigte ihn.
"Wirklich?", sagte er schließlich und betrachtete den Dolch ein weiteres Mal.
Sie nickte und er legte den Dolch wieder ab, um ein altes Thaumometer aus dem Regal hinter sich zu holen. Die Anzeige schlug deutlich aus und er pfiff leise.
"Nicht schlecht, doch die Waffe ist nicht leichter oder gibt mir das Gefühl von besonderen Fähigkeiten. Sprechen kann der Dolch auch nicht, das wäre schon aufgefallen, denn magische Klingen, die reden können, haben meistens die Angewohnheit, einem das Ohr abzukauen. Also, wo auch immer du das Oktarin her hast, es reicht nicht, um mich zu überzeugen. Da brauche ich schon einen Beweis."
"Du wirst schon sehen", sagte sie nur und er schüttelte den Kopf über ihr einfältiges Verhalten. Er war schon zu lange im Geschäft, um sich von jemanden wie ihr einschüchtern zu lassen.
Was bildete sich dieses Weibsbild überhaupt ein?
Allerdings musste er sich eingestehen, dass sie nun wesentlich selbstbewusster auf ihn wirkte, als noch vor wenigen Minuten. Er nahm den Dolch wieder auf und drehte ihn in seinen Händen bevor er den Griff wieder fest umfasste und die Klinge leicht an seinen Tresen anschlug um sie zum Vibrieren zu bringen.
"Ich bleibe bei den fünf Dollar", sagte er schließlich entschlossen.
"Manuf refelli!"
"Was?", fragte er irritiert und sah von dem Dolch zu der Frau ihm gegenüber.
"Verzeihung. Manus Refelli!"
Kaum hatten die Worte ihren Mund verlassen, entwickelte die Waffe in seiner Hand ein Eigenleben. Er merkte nur noch den stechenden Schmerz in seiner Brust.
"Ich denke, das war überzeugend genug", sagte sie ruhig, während er zusammenbrach.

Er war wie immer gut vorbereitet. Umso mehr wunderte ihn, dass sein Klient sich nicht an den Zeitplan hielt. Jules Ledoux überprüfte ein weiteres Mal die Schlinge, auch wenn er schon beim ersten Mal sicher war, dass alles seine Ordnung hatte. Der Strick baumelte einen Moment hin und her und er überlegte, ob es vielleicht besser wäre, das Ganze abzubrechen. Als ein Schrei ihn aus den Gedanken riss und zur Eile antrieb. Das lief ganz und gar nicht nach Plan. Er hatte hier in Ruhe warten wollen, um Ott Leutram seine Situation erklären zu können. Was dem Patrizier über dessen Geschäfte bekannt war und welche Optionen ihm deswegen blieben. Jules mochte die "Engels"-Aufträge nie sonderlich. Die meisten Dunklen Sekretäre kannten Vetinaris Ansprache über Engel und dass jeder nur einen bekam - da die meisten Kollegen eben jene Predigt zu hören bekamen, bevor sie in die Dienste des Patriziers eintraten. Und manchmal sandte Vetinari seine Engel aus, auch wenn einem nicht die Wahl zwischen Leben und Tod blieb. So wie in diesem Fall. Ott Leutram bekam nur die Wahl still und heimlich abzutreten, denn die Alternative war, alle Details seiner Machenschaften öffentlich zu machen.
Jules atmete einmal tief ein, um Ruhe zu bewahren, und blickte sich um. Schnell rückte er den Stuhl wieder an dessen Platz beim Schreibtisch. Feder und Tintenfass verschloss er und legte das Papier zurück in die Schublade. Einen Abschiedsbrief würde Herr Leutram nicht mehr verfassen. Lautlos machte er sich auf den Weg nach unten. Er hasste es, wenn etwas nicht nach Plan lief. Improvisieren gehörte ganz und gar nicht zu seinen Stärken. Doch er musste wissen, was passiert war, um entscheiden zu können, ob er den Auftrag an dieser Stelle abbrechen musste. Er konnte nur noch hören wie jemand den Laden verließ und die Stille gab ihm die Zuversicht, den Verkaufsraum zu betreten. Der Pfandleiher lag hinter dem Tresen und rührte sich nicht mehr. Jules konnte den Seufzer nicht unterdrücken. Er fragte sich, ob die neuen Umstände ein Segen oder ein Fluch wären. Er machte sich an die Arbeit, seine Spuren zu beseitigen und verließ das Gebäude, wie er es betreten hatte. Auf dem Dach machte er den Kollegen auf der anderen Seite aus und gab diesem ein Zeichen. Danach nahm er die Verfolgung auf. Er war mehr als überrascht, als er die Igorina erkannte. Er würde ein ernstes Wörtchen mit Rach reden müssen, denn irgendwie hatte er das Gefühl, dass sein Freund mit sehr hohem Einsatz spielte.

"Sieht so aus, als hätte uns jemand einen Gefallen getan", sagte Kolumbini und zog an seiner Pfeife, um den Geruch aus Veilchen und Balsamierflüssigkeit ertragen zu können, während Magane die Leiche weiter untersuchte.
"Wieso? Was hat der Mann verbrochen?", fragte sie und sah dabei nachdenklich auf die Stichwunde.
"Er steht schon lange unter Verdacht, doch nachweisen konnte man ihm bisher nichts. Jetzt haben wir... habt ihr...", korrigierte er sich schnell, als er den Blick der Abteilungsleiterin bemerkte, "die Bücher gefunden, in denen die ganze Hehlerware aufgelistet ist, die er versetzt hat."
"Ein Verbrecher fällt einem Verbrechen zum Opfer", stellte die Gerichtsmedizinerin trocken fest.
"Weißt du schon, um was für eine Waffe es sich handelt?", fragte der Brindisinaner schließlich.
Er war nicht gerne in der Pathologie. Doch er wollte die Ermittlung so schnell es ging weiterführen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass dies nicht der letzte Mord sein würde. Doch den Gedanken behielt er wohlweislich für sich. Bei nur einem Mord konnte man schlecht von einem Serienmörder sprechen. Es wurmte ihn nur, dass er keinen Ansatz fand. Befragungen ehemaliger Kunden führten ins Nichts, da die meisten ein Alibi hatten. Die Diebesgilde hätte Leutram direkt an der Wetterfahne aufgeknüpft. Und es wurde nichts entwendet. Bis auf die Tatwaffe natürlich. Bei einem Serienmörder hingegen musste sich erst ein Muster bilden, nach dem man ermitteln konnte.
"Die Klinge ist etwa 25 bis 35 Zentimeter lang und wird zum Schafft hin breiter. Mehr kann ich dir im Moment nicht sagen."
"Ein Dolch also? Warum haben wir nichts vom Täter gefunden?", fragte er mehr sich selbst und tippte sich an sein Glasauge. "Um jemanden mit einem Dolch von vorne zu erstechen muss man schon nahe heran. Dann hätte er sich doch gewehrt!"
"Ich habe dafür keine Anzeichen gefunden." Magane deutete auf die Hände des Hehlers. "Sie sind sauber. Keine Hautpartikel oder Stofffetzen unter den Nägeln."
"Da stimmt doch was nicht!", sagte er aufgeregt und zog mehrfach an seiner Pfeife, was den Geier dazu veranlasste, mit den Flügeln zu schlagen.
"Saugi mag Rauch nicht sonderlich", entgegnete Magane nur und er merkte, dass er einen ganzen Satz von dem Tier weggesprungen war, obwohl der Geier sich sonst nicht von seinem Platz entfernt hatte. So hässlich der Vogel auch war, seine Flügelspannweite war beeindruckend.
"Schon gut. Ich gehe schon", sagte er nur und machte auf dem Absatz kehrt. "Halt mich einfach auf dem Laufenden."

Sie klopfte erst gar nicht an, als sie das Dachgeschoss betrat und Rogi dabei beobachtete, wie diese ihre Sachen packte. Magane ging auf die Igorina zu und versuchte, jedes Detail auf einmal wahrzunehmen.
"Es ist also soweit?", fragte sie laut. "Du gehst?"
Die Igorina nickte nur kurz und beachtete die Wächterin nicht weiter, während sie weiterhin Dinge in einen Sack stopfte, die wie alte Lumpen aussahen.
"Wo ist der Dolch?", fragte sie schließlich nach ihrem eigentlichen Anliegen.
"Ich werde ihn dir nicht geben."
"Rogi, die Wache untersucht einen Mordfall und ich will verdammt sein, wenn die Mordwaffe nicht dieser Dolch ist."
Ein Bluff, doch Magane wollte sicher sein. Die Wunde konnte auch von einer anderen Waffe stammen. Von der Machart her war der Dolch nicht sonderlich ausgefallen, und eigentlich zu simpel für eine magische Waffe. Allerdings war der Tatortbericht deutlich. Der Mann musste, so wie er aufgefunden worden war, hinter dem Tresen gestanden haben. Es war einfach nicht möglich, jemanden über den Tresen hinweg zu erstechen, ohne dass das Opfer sich wehrte. Und sie erinnerte sich nur zu gut an Rogis Zustand nach deren, mehr oder weniger erfolgreichen, Anschlag auf Ascher.
"Ich musste den Dolch testen", entgegnete die Igorina, als würde das alles erklären.
"Ich dachte das hättest du schon..."
Endlich sah Rogi sie an, doch ihr Blick war finster und abweisend.
"Du solltest nicht hier sein", sagte die Igorina in einem Tonfall, der nicht viel Spielraum ließ. "Ich bin tot..."
"Das rechtfertigt einen Mord?", unterbrach sie die Igorina.
"Du kannst ef nicht beweisen, oder?"
"Nicht ohne die Tatwaffe..."
"Alfo was willft du von mir?"
"Rogi, ich habe dir bisher gerne geholfen, doch es gibt Grenzen und die hast du eindeutig überschritten!"
"Wirklich?", entgegnete Rogi mit einem Tonfall, der Magane so fremd und bedrohlich vorkam, dass es ihr einen kurzen Schauer über den Rücken jagte.
"Wirklich!" Sie war nun ebenfalls aufgebracht. Wie konnte Rogi nur so stur sein. "Was hast du überhaupt vor? Ich habe nicht bei deiner Wiederbelebung mitgewirkt um jetzt mitansehen zu müssen, dass du dich zu einer Mörderin entwickelst!"
Die Sache mit dem Vampir hatte sie ja noch eingesehen. Irgendwie. Aschers Einfluss auf Ophelia konnte man schließlich alles andere als gesund bezeichnen und immerhin hat es keiner in der Wache mitbekommen. Aber diesmal war die Sache anders. Egal was der Hehler für Dreck am Stecken gehabt hatte, man konnte nicht einfach Selbstjustiz üben.
"Ich habe keine Feit dafür! Ich werde noch heute Nacht aufbrechen. Ich bin offiziell begraben. Ef gibt keine Tatwaffe, die ihr finden könntet, keine Verbindung. Alles waf du tun musst ift, deinen Bericht fu schreiben."
Magane presste die Lippen aufeinander, als es am Türrahmen klopfte.
"Wenn ich hier intervenieren dürfte?" Rach Flanellfuß gesellte sich zu den beiden.
Rogi und Magane wandten sich ihm zu und sprachen wie aus einem Mund: "Was willst du hier?"
"Feldwebel, würdest du mich auf einen Sparziergang begleiten? Wir sollten unter vier Augen reden." Er machte eine einladende Handbewegung zur Tür und deutete einen Diener an.
Sie sah kurz zu der Igorina, deren grimmiger Gesichtsausdruck nun auf Rach ruhte. Magane gab sich mit einem Seufzer geschlagen. Die Igorina war keiner Argumentation zugänglich. Sie wusste selbst nicht, was sie sich erhofft hatte.
"Bitte, das kann so nicht weiter gehen!", sagte sie ein letztes Mal an Rogi gewandt, bevor sie mit Rach das Gebäude verließ.
"OK, was ist hier los?", fragte sie und blieb mitten in der Gasse stehen.
Rach war schon weitergegangen und schritt schnell zu ihr zurück.
"Alles zu seiner Zeit. Wir sollten gehen." Seine Stimme klang leise, jedoch eindringlich. "Jetzt!"
Sie seufzte und folgte ihm schließlich. Sie sah noch ein letztes Mal zurück. Wenn er glaubte, sie aus dieser Situation rausholen zu müssen, dann konnte sie vielleicht wenigstens auf eine Erklärung hoffen.

Als sie beim nächstbesten Kaffeehaus eingekehrt waren, registrierte sie mit etwas Verwunderung, dass er Hagebuttentee bestellte. Sie selbst bevorzugte trotz so später Stunde Kaffee. Sie hatte das Gefühl, dass Koffein noch nützlich sein würde.
"Ich höre.", sagte sie leise und Rach beugte sich nur leicht vor, sobald die Bedienung den Tisch verlassen hatte.
"Wolltest du wirklich noch dort sein, wenn Ayami Vetinari aufgetaucht wäre?" Seine Frage klang mehr rhetorischer Natur. "Ich hoffe, du weißt noch, wie das für so manchen Beteiligten ausgegangen ist."
Er musste ihr das garantiert nicht zweimal sagen. Sie wusste um Rogers Körper im Keller jenes Gebäudes, das sie eben verlassen hatten. Sie hatte bisher keine Gelegenheit gehabt, die Igorina darauf anzusprechen, doch sie verstand, dass Roger einer der Gründe dafür war, warum die Igorina die Stadt verlassen würde.
"Wie... Ich dachte Rogi hat sich von Ayami abgewandt?" Sie war irritiert. Rach nickte ihr zu.
"Sie reisen gemeinsam nach Überwald", sagte er und hob beschwichtigend die Hand, bevor sie ihn unterbrechen konnte. "Wie es zu diesem Arrangement kam ist unklar und es ist zu spät für Spekulationen."
"Bei Om", machte Magane sich ihrer Frustration Luft. "Wir lassen sie einfach so davonkommen?"
"Nicht meine Entscheidung", entgegnete er und trank von seinem Tee.
"Sie hat einen Mord begangen!"
"Wenn es dir nur um Herrn Leutram geht... glaube mir, sein Ende war schon lange vorherbestimmt." Er zog unbekümmert ein Stück Papier aus seiner Innentasche. "Und Hehlerei ist nur die Spitze des Eisbergs. Ihr werdet sicher bald mehr wissen, doch ich möchte nichts vorweg nehmen."
Als er das Blatt vor ihr entfaltete, erkannte sie den Inhumierungsvertrag sofort. Sie runzelte verwundert die Stirn und sah ihn fragend an. Rach wiederum steckte das Blatt mit einem Seufzer schnell wieder ein.
"Was für ein Zufall", sagte sie und nippte an ihrem Kaffee. "Willst du mich für dumm verkaufen?"
"Madame?", spielte er den Unwissenden und sie war geneigt, ihm zu glauben, selbst wenn ihr Bauchgefühl etwas Anderes sagte.
"Wie hat Rogi ihr Opfer ausgesucht? Denn wenn es stimmt, was du sagst, ist sie nur einem Assassinen zuvorgekommen. Was wiederum ein Verbrechen gegen das Gildensystem wäre…"
"Ein Fehler meinerseits, den ich noch bitter bereuen werde", unterbrach er sie mit einem Seufzen und holte seine Taschenuhr hervor. "Feldwebel, du musst mir nicht glauben, doch Rogi und Ayami müssten in diesem Moment die Stadt verlassen haben. Es ist vorbei."
Der Fall sollte einfach so zu den Akten gelegt werden? Nein, schlimmer noch. Sie war die Einzige die wusste, was wirklich geschehen war! Die Ermittlungen würden weitergehen, bis die Akte im Fach für ungelöste Mordfälle abgelegt würde. Doch Rach hatte Recht: Sie konnte nichts mehr tun. Rogi war offiziell begraben worden. Es war vorbei.

Die Vampirin wartete ungern, doch sie gewährte der Igorina die nötigen Vorbereitungen um ihre Sachen zu verstauen. Dass es sich dabei um einen ihrer eigenen Koffer handelte, regte ihren Kutscher immer noch auf. Doch nach dem, was nun darin gelagert wurde, war der Koffer für seinen eigentlichen Zweck ohnehin unbrauchbar geworden. Ayami hoffte immer noch, Rogi in ihre Pläne einzuspannen, um Racul zu finden. Der alte Vampir verkroch sich in seinen Sarkophag und setzte alles daran, unentdeckt zu bleiben. Umso mehr konnte sie es kaum erwarten, ihm von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Sie hatte nichts Persönliches gegen den alten Vampir. Bis auf die Tatsache natürlich, dass er sich erdreistet hatte, ihr Anweisungen geben zu wollen. Sie solle sich nicht einmischen! Die erste Wut darüber wich schnell ihrer Belustigung. Nachdem sie Erkundigungen über ihn eingezogen hatte, störte sie allerdings, dass er das System unterwanderte. So sehr sie auch Havelocks Art zu regieren missbilligte – er war ihr Urenkel! Und Blut war dicker als Wasser. Vermutlich hatte Havelock selbst seine Netze nach Racul ausgeworfen. Doch für den 'Tausendjährigen' brauchte es vermutlich mehr als seine dunklen Sekretäre. Sie würde Racul mit Freuden den Handlangern ihres Urenkels aushändigen. Für die Igorina musste sie nur den richtigen Anreiz finden. Als hätte sie nach ihr gerufen, erschien ihre ehemalige Dienerin in der Tür und warf einen Teil ihrer Habseligkeiten auf die gepolsterte Bank. Dabei stach der Vampirin der Griff einer Klinge ins Auge, die aus dem Seesack ragte. Die Igorina bestieg kommentarlos die Kutsche und schloss selbst die Tür. Ayami bemerkte Philipps Ärger darüber nur zu deutlich. Dann setzte er die Kutsche in Bewegung. Die Igorina schwieg beharrlich und sah nur zu ihren Füßen. Ayami sah aus dem Fenster und seufzte innerlich, als sie die Stadttore passiert hatten.
Sie sah zur Igorina und ihr Blick glitt wieder zu deren Habseligkeiten - und der Klinge.
"Eine Waffe?", fragte sie schließlich, um das Schweigen zu brechen. "Das sieht dir gar nicht ähnlich."
Rogi zog den in Leder gehüllten Dolch kommentarlos aus dem Sack und reichte ihn ihr. Ayami Vetinari umfasste den mit glattem braunem Leder umwickelten Griff und zog die Waffe aus dem Schutzumschlag. Mit der anderen Hand fuhr sie sanft über die Klinge. Doch ihre Finger zuckten gleich wieder zurück, als sie sich diese regelrecht verbrannte. Sie zog eine Braue in die Höhe und versuchte den Schmerz in der Hand zu ignorieren.
"Ein Andenken von Parsival Ascher", sagte die Igorina und schien auf der Lauer zu liegen. Ein ungewohnter Anblick für die Vampirin. "Er hatte eine merkwürdige Fammelleidenschaft. Alle Waffen, die er besaß, find tödlich für einen Vampir."
Ayami versuchte, sich ihr Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Ausgerechnet eine solche Waffe in ihrer Nähe! Unbewusst schloss sich ihre Hand fester um den Griff.
"Warum erzählst du mir das?"
"Ihr habt gefragt. Ich antworte." Rogis Lächeln war knapp, ebenso wie deren angedeuteter Diener.
Ayami betrachtete die Waffe in ihrer Hand kritisch und ein seltsames Gefühl von Unwohlsein ermächtigte sich ihrer.
"Hast du ihn etwa mit einer seiner eigenen Waffen getötet?", fragte sie so ruhig wie möglich.
"Nein, in dem Fall habe ich auf einen Pflock gefetzt", antwortete Rogi monoton und die Instinkte der Vampirin schlugen endgültig Alarm.
"Was macht diese Waffe dann zu einem Andenken?"
Die Igorina sagte nichts, sondern zog ihr Hemd soweit aus der Hose, dass Ayami die frische Naht [1] direkt neben dem Bauchnabel begutachten konnte. Ayami sah von der verheilenden Wunde zu der Klinge in ihrer Hand.
"Ich dachte, wir hätten eine Vereinbarung? Und du bringst dein Leben wissentlich in Gefahr?"
Die Bedrohung, die von der Igorina derzeit ausging, wurde von ihrer Wut beinahe fortgeschwemmt. Sie hatte so viel investiert, um die Igorina zurückzuholen und hatte bisher doch nur Vorwürfe von jeder Front dafür gehört.
"Ich lebe noch. Oder etwa nicht?"
Der spöttische Tonfall der Igorina gefiel ihr ganz und gar nicht und Ayami verzog ihre Mundwinkel.
"Was fällt dir ein, nach allem was ich für dich getan habe?"
"Ha! Was Ihr getan habt?", sagte die Igorina abfällig. "Alles was Ihr tut, dient nur dem Zweck, Euch einen weiteren Vorteil zu verschaffen. Und ich werde das nicht mehr länger hinnehmen!"
Ayami nahm die unterschwellige Drohung sehr deutlich wahr und sah auf den Dolch in ihrer Hand. Was hatte die Igorina vor? Die Vampirin sah wieder auf und wagte einen Vorstoß in die Gedanken der Igorina. Doch jene bot ihr keine Angriffsfläche. Rogi grinste nur, als hätte sie den Versuch erwartet. Aber natürlich waren die Andeutungen auch nur zu deutlich gewesen.
"Das wagst du nicht wirklich", sagte sie trocken.
"Wer sollte mich hier und jetzt aufhalten? Ihr habt mir mehr als deutlich gemacht, dass Ihr mich lebend braucht." Alle Körpersignale ihrer ehemaligen Dienerin waren auf Angriff eingestellt. "Doch ich brauche Euch nicht."
"Dann hättest du mir nicht den Dolch geben sollen, der meine Existenz beenden soll", zischte sie und richtete die Waffe auf die Igorina.
"Oh, der ist bei Euch genau richtig", sagte Rogi und ein Lächeln umspielte kurz ihre Lippen, bevor sie weitersprach. "Manus refelli!"
Der Griff fühlte sich mit einem Mal warm an in ihrer kalten Hand und ein Kribbeln fuhr durch ihre Fingerspitzen bis hinauf zur Schulter. Die Klinge, die bis eben noch auf die Igorina zeigte, wandte sich direkt ihr zu. Und ihr Arm folgte der Bewegung ungehindert. Während die Waffe ihr Brustbein durchstieß, sah sie fassungslos zu der Igorina, die sich von ihrem Platz erhoben hatte. Das einzige, was sie noch wahrnahm, waren die Schmerzen, die ihr die Klinge bereitete. Sie schloss die Augen und hörte den aufgeregten Herzschlag der Igorina, sowie den ruhigen Herzschlag auf dem Kutschbock.
Philipp!
Ihr einziger Gedanke. Und der Kutscher reagierte mit einer Vollbremsung, die sie nach vorne schleuderte. Doch er würde ihr nicht mehr helfen können. Der Schmerz wurde unerträglich und sie fühlte, wie der Verfall sich ihrer bemächtigte. Ihr Körper zerfiel langsam zu Asche. Der Schmerz ließ erst nach, als ihre Gedanken sich im Nichts auflösten und sie nur noch unendliche Schwärze umgab.

Es gab Situationen, die erforderten seine Aufmerksamkeit. Diese war eine davon – in mehrfacher Hinsicht. Er stand etwas abseits der Straße, wie immer unbeachtet. Die Kutsche näherte sich und Tod griff in seinen Mantel und zog eine Sanduhr hervor. Die Pferde wieherten und die Kutsche kam schlitternd zum Stehen.
"Hoheit!", hörte die antropomorphe Persönlichkeit den Kutscher aufschreien. Doch jener achtete nicht auf ihn, in diesem Augenblick.
Faszinierend, sagte er mehr zu sich selbst, während er das Schauspiel beobachtete. Die Sanduhr hatte noch genug Zeit zur Verfügung, der Sand rann weder schneller noch langsamer. Doch der sonst so silbrig weiße Sand dieser Uhr begann sich ins Dunkle zu verfärben, als hätte etwas seinen Schatten darauf geworfen. Bis er schließlich ganz schwarz war. Während Tod noch immer fasziniert die Sanduhr betrachtete, brach zwischen dem Kutscher und der Igorina ein Kampf aus. Viele Worte fielen nicht und die Igorina steckte die Schläge einfach ein. Er griff in seinem Mantel nach einer weiteren Sanduhr. Igors und ihre Lebenszeit waren ein Phänomen für sich. Welches er meistens sich selbst überließ. Diese Lebensuhr hatte feine Risse und mehrere Windungen im Gehäuse, wo es eigentlich keine geben sollte. Was dazu führte, dass der Sand an einer Stelle rückwärts zu fließen schien. Ihr Zeitfluss war danach stabil. Er steckte die Uhr wieder zurück in die Tiefen seiner Robe. Er konzentrierte sich auf die Geschehnisse vor ihm. Schließlich ließ der Kutscher von der Igorina ab und wandte sich dem Inneren der Kutsche zu. Der Fahrer nahm ein Tuch und fegte damit schnell die Asche im Inneren zusammen. Mit einem Messer stach er sich in einen seiner Finger und ließ das Blut auf die Asche tropfen. Es zischte und rauchte kurz, doch nichts weiter geschah. Der junge Mann schrie verzweifelt auf, was die Igorina mit einem lauten Lachen kommentierte. Der Mann ignorierte sie und suchte hastig etwas in seinem Gepäck. Kurz darauf kehrte er die Asche in ein Behältnis, das verdächtig nach einer Brotbox aussah. Die Igorina rappelte sich währenddessen mühsam auf und bestieg den Kutschbock. Als der eigentliche Wagenlenker dies merkte, fluchte er lautstark und sprang aus der Kutsche. Zeitgleich schnalzte die Igorina mit der Zunge und trieb die Pferde an. Der junge Mann machte keine Anstalten, die Verfolgung aufzunehmen, als die Kutsche davon rollte. Stattdessen umklammerte er das Behältnis mit der Asche, als würde sein Leben davon abhängen. Tod schüttelte bei dem Anblick leicht den Kopf und erklomm sein Pferd. Hier gab es für ihn nichts zu tun.

***


"Das reicht!", sagte der Patritzier entschlossen.
Die Igorina senkte ihren Blick zu Boden.
Den Rest der Geschichte kannte er nur zu gut von Philipp. Zu lange hatte er dieses Gespräch aufgeschoben. Doch er hielt es für besser, der Igorina mehr Zeit zu geben, ihren Platz in der Wache wieder zu finden. Nicht zu vergessen, dass die Wellen der Ereignisse, in welche die Igorina verwickelt gewesen war, sich endlich legten. Allerdings hatte er sich davon mehr erhofft, als lediglich eine zurückgezogene Ausbildungsleiterin. Seine Urahnin hatte in der Hinsicht schon immer Recht gehabt, wenn sie darauf bestand, dass es für gewisse Personen eine bestimmte Motivation brauchte. Da waren sie sich ausnahmsweise einig. Und bei diesem Gedanken betrachtete er die Urne. Die Sonne war nur noch zu erahnen und würde jeden Augenblick hinter dem Horizont verschwinden. Es war an der Zeit, die Igorina zu motivieren. Wie selbstbewusst und zielstrebig Rogi Feinstich wirklich sein konnte, hatten ihre Bemühungen während der Rettungsaktion für die ehemalige Wächterin Ophelia Ziegenberger gezeigt. Jetzt galt es, dieses Potential voll auszuschöpfen.
"Ich erwarte, dass du mir die Waffe aushändigst, Oberfeldwebel", sagte er und nahm eine Kerze aus der Schublade. "Und behaupte jetzt nicht, du seiest nicht mehr in ihrem Besitz."
"Wie Ihr wünscht, Herr", antwortete sie und wirkte scheu und angriffslustig zugleich. Immerhin war ihr klar, dass Widerworte keinen Zweck haben würden.
Er platzierte die Kerze direkt neben der Urne und die Wächterin beobachtete ihn irritiert. Philipp trat einen Schritt zur Seite, als er die Kerze entzündete.
"Oberfeldwebel, ich möchte mich klar ausdrücken. Ich bin alles andere als erfreut, über deinen Werdegang. Es wird Zeit, dass sich das ändert." Er rückte die Kerze näher an die Urne und deutete auf die Wand. "Und der Ansicht bin nicht nur ich."
Ihr Blick folgte seinem Fingerzeig. Der Schatten, den die Urne an die Wand warf, flackerte. Und vor ihnen erschien Ayami. Nicht in Persona. Doch es war eindeutig ihre Silhouette. Die Igorina sprang auf und der Stuhl krachte laut auf den Boden hinter ihr. Der Patritzier beachtete sie nicht weiter, als er die Kerze verrückte und somit den Schatten der Igorina einschloss. Sie zuckte merklich zusammen und sah zu ihrer Schulter. Ayamis Schatten hatte den ihren berührt.
"Wie...", fragte sie in purer Panik und wandte sich schließlich an ihn. "Waf wollt ihr?"
Der Stuhl richtete sich wie von Geisterhand wieder auf, als Ayamis Silhouette dessen Schatten bewegte. Sie schob den Stuhl hinter die Igorina und zwang diese damit, sich zu setzten.
"Für das 'Wie' benötigen wir die Waffe, die diesen Schaden angerichtet hat. Ich nehme an, du hast keine Gebrauchsanweisung?" Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. "Und was ich will ist, dass die Wache wieder eine Igorina hat, auf die sie vertrauen kann."
"Ich komme allen meinen Pflichten nach!", entgegnete die Ausbildungsleiterin selbstsicher. Seine Mundwinkel zuckten nach oben bei dem Gedanken, dass das Attentat auf Ayami seinen Teil dazu beigetragen hatte.
"Es geht mir um deinen aufgegebenen Posten als Sanitäter. Als Igorina bist du durchaus zu mehr in der Lage, als dein Potential an Rekruten zu verschwenden."
"Rea und Cim find durchaus in der Lage, die anstehenden Notfälle zu bewältigen!", protestierte sie und er seufzte innerlich.
Eine Igorina mit Sturkopf war etwas Einzigartiges. Er fragte sich wirklich, warum seine Urahnin darauf bestand, diesen Scherbenhaufen reparieren zu wollen.
"Schluss mit den Ausflüchten!", sagte er bestimmt.
Die Igorina hob nur ihre zittrigen Hände, um ihren Standpunkt zu verdeutlichen.
"Ich kann nicht." Sie hatte nur leicht ihre Stimme erhoben, starrte allerdings deutlich frustriert auf die Hände, die ihr schon lange den Dienst verweigerten.
"Die Arbeit als Sanitäter besteht nicht nur aus Notfällen. Und soweit ich weiß, kommen Wächter in den meisten Fällen noch immer zu dir, ob du es wahrhaben willst oder nicht. Dein medizinisches Talent ist nicht nur von deinen Händen abhängig. Und wenn doch ein solcher Fall eintritt bin ich sicher, dass alles Nötige sich delegieren lässt, Oberfeldwebel."
"Aber wenn ich im entscheidenden Moment falsch handle…", sagte sie mit einem nun doch wieder zweifelnden Unterton.
"Wie im Fall Michael Machwas etwa?"
Für einen Moment kehrte Stille ein und die Igorina sah ihn nur grimmig an.
Er stand gelassenen auf und umrundete den Schreibtisch. Er beugte sich zu der Igorina vor und sah ihr direkt in die so unterschiedlichen Augen.
"Dies ist keine Bitte oder Befehl. Als Igorina der Stadt ist es deine Pflicht. Ich rate dir also, aktiv an dem Problem zu arbeiten. Und solange wird Ayami dich begleiten."
Die Igorina sah ihn entsetzt an, während er ein Medaillon aus seiner Robe zog und es ihr anlegte.
"Waf ift daf?"
"Darin ist genug Asche, damit Ayami dich begleiten kann, aber nicht genug, damit du irgendwelchen weiteren Schaden anrichten kannst."
Die Igorina vor ihm sah hinab auf ihre Hände und schien der Verzweiflung nahe. Ayamis Schatten hatte sich schon längst von dem der Igorina gelöst. Doch die Wächterin wagte es nicht, sich zu bewegen.
"Ich hoffe, dies ist Motivation genug, den Schaden, den du angerichtet hast, auch wieder zu beheben." Er begab sich wieder an seinen Platz. "Wegtreten!"
Die Igorina war beinahe so schnell fort wie sie erscheinen würde, wenn man ihren Namen nannte.
"Auch du, Philipp", sagte er zum Kutscher. Jener machte Anstalten, die Urne mitzunehmen. Er winkte ab. Der Kutscher ging mit wehmütigem Blick. Schließlich entfernte sich auch Rufus Drumknott und der Patrizier war wieder allein mit seinen Gedanken. Zumindest fast.
Er spürte die kalte Hand seiner Urahnin auf der Schulter und er seufzte vernehmlich.
"Ich hoffe, du bist dir sicher, was die Igorina betrifft. Wenn du mich fragst, hat sie keine weitere Chance verdient."
Sie klopfte ihm auf die Schulter. Schließlich begann sich sein Füllfederhalter durch ihren Schatten in Bewegung zu setzten. Das Blatt Papier vor ihm begann sich mit ihren Worten zu füllen.
[1]  Igors und ihre Nähte waren speziell und was frisch aussah, konnte schon Jahre alt sein. Doch ein Vampir war zu vertraut mit den Gepflogenheiten der Igor-Kultur, um auf Ziernähte hereinzufallen.




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Feedback:

Von Jargon Schneidgut

04.11.2018

Gefällt mir! Es gab einen Moment, wo ich verwechselt habe, ob jetzt Magane oder Rogi mit Rach gegangen ist. Aber das kann auch an mir gelegen haben.
Ich mochte die entschlossenen, kalten Momente von Rogi. Und mir gefällt die Idee mit Ayamis Schatten sehr, hat etwas sehr ominöses.
Gerne mehr!

Von Ophelia Ziegenberger

12.10.2018

Und auch hier... wie könnte ich diese Single nicht mögen? Eine weitere Lücke, die sich schließt. Ich liebe das Gespräch zwischen Rogi und Ophelia - es war so immens wichtig. Darüber hinaus finde ich es aber vor allem beeindruckend, mit was für einer Härte du den Cut im Wesen deiner Figur durchgezogen hast. Rogi wird härter. Stärker. Kantiger. Eine Figur, mit der zu rechnen ist, mit der man sich nicht anlegen sollte. Und das, ohne dass man es ihr von außen sofort ansehen täte. Es ist ein heimlicher Prozess, den nur jene in ihr erkennen können, die sie im Laufe der Jahre an sich heran gelassen hat. Sie lässt einen nun frösteln. Und das ist ein gruselig-angenehmes Prickeln, wenn ich daran denke, dass sowohl Ophelia, als auch neuerdings Wilhelm, sie dennoch mögen und ihr vertrauen. Dass beide auf ihre jeweils eigene Art weiter Rogis Nähe suchen werden.
Und das, mit ihrer Hoheit im Hintergrund! Ich bin saugespannt!

Von Sebulon, Sohn des Samax

11.11.2018

... ich konnte mit der Geschichte nichts anfangen. Gerade der Gedanke, dass ein unlizensierter Mord von allen Seiten (Täterin, Wache, Assassinengilde, Patrizier) fast beiläufig abgetan wird, irritiert mich hochgradig.
Auch sonst fiel es mir schwer, der Geschichte zu folgen, obwohl sie im Kern ja einen unheimlich brisanten Knackpunkt hat. Ich nehme an, das lag an den vielen Querverweisen, die ich nicht mehr alle so präsent habe ...

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