Einmal ein Held sein...

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von Korporal Braggasch Goldwart (FROG)
Online seit 01. 04. 2017
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 07. 07. 2014 datiert
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 Außerdem kommen vor: Septimus EbelGlum SteinstiefelSebulon, Sohn des SamaxMaganeRabbe SchraubenndrehrAraghast BreguyarSillybosRomulus von GrauhaarJargon SchneidgutMimosaKolumbiniPismireMenélaos SchmelzRea DubiataHuitztli PochtliLady RattenkleinMina von NachtschattenHatscha al Nasa

Der Glaube an die Gerechtigkeit hält den Wächter aufrecht.

Anmerkung: Diese Single erstreckt sich über einen Zeitraum von etlichen Monaten. Wenn der Zusatz (Gegenwart) verwendet wird, ist damit keine Konstante gemeint, sondern ein Zurückkehren auf den geschichtlichen Hauptstrang. Die Angaben zu den vergangenen Monaten der Rückblicke orientieren sich an der jeweils letzten Gegenwartszeits und sind übersichtshalber hinzu gefügt.

Dafür vergebene Note: 13

.oO 07. Gruni im Jahr des pendelnden Lamas Oo.

Mehr als ein schlanker, schwarzer Schatten war nicht zu erkennen, als Daniel Kostspiel, langjähriger Assasine und Träger der Auszeichnung für schmerzfreies Töten, die efeubewachsene Wand hinauf kletterte und sich auf den elegant hervortretenden Balkon schwang. Seine weichen Stiefel streiften nur kurz den Marmor des Geländers, dann stand er auch schon vor dem großen, teuren Fenster, das zeitgleich die Balkontür darstellte. Der Saugnapf des Diamantschneiders war schnell angesetzt, ein kreisrundes Loch flink herausgeschnitten. Unter leichtem Zug löste sich das runde Stück Fensterglas dicht neben dem Türgriff heraus, wurde sorgsam von Kostspiel des Schneiders entnommen und abgelegt.
Kaum der Hauch eines Klirrens ertönte dabei, doch Daniel war sich bewusst, dass ein solch leiser Ton für die beiden Wachhunde schon genug gewesen wäre um anzuschlagen, hätte er sie nicht vorher Mittels eines Blasrohrs und zwei winziger Dornen mit Schlafgift - seine Spezialität - ausgeschaltet.
Vorsichtig griff er durch das Loch und legte den Türgriff um. Der dicke Teppich des dahinter liegenden Schlafgemachs dämpfte seine Schritte noch weiter ab - nicht, dass dies notwendig gewesen wäre, ein Berufsmörder wurde nicht sonderlich alt, wenn er bei seinen Einsätzen zu hören war.
Die behandschuhten Finger griffen unter den Umhang und zogen ein hölzernes Töpfchen heraus. Umständlich wurde es aufgeschraubt und dem Deckel der kleine, feinporige Schwamm entnommen, um sanft in die Paste gedrückt zu werden, die das Pöttchen enthielt. Erst dann trat der Assasine an das breite Himmelbett heran, dass trotz seiner Größe nur eine Frau beherbergte. Daniel nahm sich die Zeit, sein Opfer zu mustern.
Sie war vielleicht gerade einmal sechzehn Jahre alt, Tochter eines äußerst einflussreichen Kaufmanns und für dessen Stellvertreter schlicht und ergreifend im Weg. So einfach konnten die Dinge sein.
Kostspiel strich mit dem Schwamm über den rechten, entblößten Arm des Mädchens und drückte ihn wieder an seinem vorherigen Platz. Dreißig Sekunden später konnte er sicher sein, dass die entsprechende Körperstelle betäubt war.
Wieder griff die Hand unter den Umhang, um das Töpfchen zu verstauen und einen länglichen Kasten von der Größe eines gefalteten Stück Papiers hervor zu holen. Fast liebevoll strich Daniel über das dunkle Mahagoniholz, bevor er die silbernen Verschlüsse zur Seite klappte und die Schachtel öffnete. In ihr ruhten, auf blauem Samt, zwei gläserne Spritzen, eine gefüllt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, die andere mit einer so dunkelblauen Substanz, dass sie fast schwarz wirkte. Der Assasine konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Natürlich war es mühsam, die Ingredienzien zu besorgen und sie im richtigen Verhältnis zu mischen, doch die Arbeit war es jedes Mal wert, sie versagten niemals.
Sorgsam setzte Kostspiel die erste, feine Nadel an die betäubte Stelle. Das farblose Fluid würde sein junges Opfer in ein traumloses Koma verfallen lassen, so dass diese nichts von der tödlichen Auswirkung der Schwarzen Flüssigkeit mitbekommen musste. Als die Spitze in Fleisch eindrang, murmelte das Mädchen verträumt ein paar Worte und seufzte wohlig. Daniel vermutete, dass sie einen angenehmen Traum hatte. Vielleicht von dem jungen, hübschen Liebhaber, mit dem er sie vorgestern beobachtete und dessen Existenz ihren Vater veranlasst hatte, die Sicherheitsvorkehrungen des Hauses zu erhöhen?
Langsam entspannte sich der Körper, als das Gift zu wirken begann. Kostspiel richtete sich auf und zählte die Sekunden. Ganze zwei Minuten würde es dauern, bis das Mädchen vollends betäubt wäre.
Ein zischendes Geräusch im Garten erregte seine Aufmerksamkeit. Daniel mochte es gar nicht, bei seiner Arbeit gestört zu werden. Murrend verstaute er die Spritzen, eine voll, die andere leer, wieder im Kästchen und jenes unter seinem Umhang, dann trat er auf den Balkon.
Gerade rechtzeitig, um die gewaltigste Rüstung, die der Assasine jemals gesehen hatte, von der hohen Gartenmauer springen zu sehen. Quietschend und Scheppernd landete sie auf dem gepflegten Rasen und sah sich um. Kostspiel hatte sich nie für Technik interessiert, so wie es einige seiner Kollegen taten, doch was immer dort im Garten stand, musste selbst er bewundern. Im Wesentlichen sah es aus wie ein breit gebauter Mann mit einem gewaltigen, metallenen Rucksack auf dem Rücken, der mit mehreren schlanken Schornsteinen besetzt war, aus denen unablässig dünne Rauchschwaden quollen. Durch ein kleines Fenster in der Apparatur sah man es dunkelrot glühen.
Die Gestalt richtete ihren Blick auf den Balkon. Kostspiel wusste, dass er auch Nachts mit seiner schwarzen Kleidung deutlich vor der weiß getünchten Wand zu sehen war, doch der Anblick dieses Kuriosums lähmte seine Gedanken, so dass diese ihm zu spät rieten in Deckung zu gehen. Der Berufskiller beobachtete, wie die Rüstung eine stark gepanzerte Hand zu ihrem eigenartig geformten Helm hob und dort mehrere, schmale Rahmen vor und aus dem Gesichtsfeld klappte.
Dann setzte sie sich in Bewegung.
Kostspiel wich in das Schlafgemach seines jungen Opfers zurück, als der Berg aus Eisen unter dem Balkon zum Stehen kam. Wieder war es die Rechte seines unerwarteten Gegners, die rücklinks an den Rucksack griff und dort zwei Hebel in eine neue Position einrasten ließ. Zischend wurde Luft eingesaugt - die Glut hinter dem Guckloch leuchtete weiß auf. Zeitgleich verebbte das Dampfen der Schornsteine so abrupt, als hätte man die schlanken Hälse verstopft.
Sich allmählich von dem Schreck des Anblicks erholend, griff Daniel zum wiederholten Male an diesem Abend unter seinen Umhang und zog ein Etui aus schwarzen Leder hervor, dass er schwungvoll entrollte.
Unter dem Balkon ging die gepanzerte Gestalt langsam in die Knie. Heißer Dampf zischte zwischen den Kolben hervor, Scharniere quietschten und Metall knarrte unter der hohen Belastung.
Kostspiel entnahm dem Etui drei Dolche, nicht länger und breiter als kleine Eiszapfen, und klemmte sie sorgsam in die Fingerzwischenräume. Dunkle Flüssigkeit sammelte sich an den Spitzen der Waffen, so dass die Hand des Assasinen den Eindruck einer nassen Klaue vermittelte.
Im Garten begann die gesamte metallene Konstruktion zu vibrieren und gab Geräusche von sich, als würde sie jeden Moment auseinander bersten. Mit dem Ächzen aneinander reibender Feststoffe stieß sich die Rüstung vom Boden ab, stieg in einer leichten Schräge gute vier Meter in die Luft landete krachend auf dem Balkon. Die zur Ferse hinaus verlängerten Stiefel gruben sich tief in den feinen Stein; Das gesamte Balkonkonstrukt gab ein einziges, warnendes Knacken von sich - hielt jedoch der enormen Belastung stand.
Daniel atmete aus. Und warf.
Wie todesmutige Bienen sausten die langen Dornen auf ihr Ziel zu - und zerschellten wirkungslos an dem dicken Metall. Selbstredend hatte Kostspiel auf die Zwischenräume, wo Platte durch feste Lederriemen an Platte gehalten wurde, gezielt, doch schien der Angreifer selbst diese durch eine darunter liegende Schicht abgesichert zu haben.
Der Mörder bekam es mit der Angst zu tun. Welche Kraft derjenige besitzen musste, der solche Mengen Stahl derart mühelos tragen konnte! Ein Troll konnte keinesfalls in der Rüstung stecken - sie selbst ging Kostspiel gerade einmal bis auf Augenhöhe. War es möglich, dass sich niemand hinter dem Visier befand? Welch dämonisches Wirken war das?
"Ha-Halt!", rief Daniel und bemerkte nicht einmal, dass sich seine Stimme überschlug. "Was bist du?"
Das zischende Monstrum trat einen Schritt in den Raum hinein und antwortete, zum Grausen des Assasinen: "Nenn mich Eisen-Män."
"Ich tue nichts unrechtes!", versicherte der zu Tode verängstigte und wich bis an die hinter ihm liegende Zimmerwand zurück. "Ich habe meinen A-Auftrag von oberster Stelle, alles völlig dem Protokoll entsprechend und le-legal!" Kostspiels Augen weiteten sich vor Entsetzen, als die Masse aus Eisen, Dampf und Bösartigkeit weiter auf ihn zu stampfte. "Ein Auftrag!", kreischte er, "Ich ha-handle nach einem A-Auftrag! Hier, die Quittung!" Hektisch wedelte er mit dem entsprechenden Formular vor dem Helm des Wesens herum.
Dieses schien tatsächlich einen Moment inne zu halten, doch bevor sich Daniel Kostspiel diesem Hoffnungsschimmer hingeben konnte, schoss die linke Hand der Rüstung hervor, umschloss mit mörderischer Kraft den zappelnde Arm des Berufsmörders und zog ihn ruckartig zu sich heran.
Das Schultergelenk knackte grässlich und Kostspiel stöhnte auf, bevor er in die Knie brach.
Mit einem schabenden Geräusch, das direkt aus einer der Höllen zu kommen schien, glitt unter dem rechten Handgelenk des Dampfkoloss eine zwanzig Zentimeter lange, glänzende, dicke Klinge hervor.
Der Assasine starrte tonlos auf den Arm seines Gegenüber, der ausholte - und ihm die Schneide bis zum Anschlag in den Brustkorb rammte.
Ein kurzer Ruck - dann verließ die Waffe seinen Körper wieder. Schaumiges Blut begann sich an den Lippen zu sammeln.
Die sterbenden Gedanken Daniels registrierten noch, dass sein Körper anscheinend angehoben wurde... dann war er frei... flog... der rabiate Aufprall brachte keinen weiteren Schmerz...


.oO 18. Spuni im Jahr des prophezeienden Frosches (zehn Monate zuvor) Oo.

Die Tür wurde mit Wucht aufgeworfen. "He, kleine Tränendrüse!"
Braggasch schreckte von seinem konzentrierten Werken hoch und stieß dabei mehrere winzige Metallstifte und dazu passende Drahtfedern von dem Kasten, der ihm als Arbeitsfläche diente. Er selbst saß auf der Pritsche in seinem - mangels eines besseren Wortes als solcher bezeichneter - Wohnraum Nummer Zwei-Zwölf und hatte die eigens hierfür am Helm angebrachte Lupe über dam rechten Auge in Stellung gebracht. Dieser Umstand sogrte nicht nur dafür, dass jeder Besucher ihn anhand seiner ungleich groß erscheinenden Augen als verrückten Professor einstufte, sondern auch, dass Goldwart ein unglaublich verschwommenes Sichtfeld hatte, versuchte er beide Augen auf ein Ziel mehr als einen Meter entfernt zu richten. Der erste schauderhafte Gedanken des Spähers war, dass sich Rabbe aus dem Raum nebenan zu ihm gesellt hatte, doch schnell stellte er fest, dass der eindeutig braunhaarige Neuankömmling ebenso eindeutig kleiner war. Mit fahriger Handbewegung schob er die Luke und die Höhe und blinzelte. "Äh..."
"Ja, du hast dich wie erwartet kein bisschen verändert." Der Besucher blickte sich wenig beeindruckt um und zog wahllos einen Gegenstand aus dem wackeligen Stapel der Kisten und Tresore auf der von ihm gesehen rechten Seite.
Braggasch rappelte sich von seiner Pritsche auf. "Leg das bitte wieder, äh, hin."
"Wieso? Wozu ist das gut?"
"Zum Fensterputzen."
Der andere Zwerg zuckte mit den Schultern und warf den Lappen zurück.
"Was machst du, äh, hier, Grabbasch?", fand der stellvertretende Abteilungsleiter von FROG endlich seine Sprache wieder.
Der ältere Bruder mit dem dichten, geflochtenen Bart grinste ihn breit an. "Natürlich wollte ich mein kränkliches Brüderlein besuchen, was denn sonst?"
"Ich bin nicht..." Goldwart unterbrach sich und gönnte sich einen Moment der sozialen Anstrengung, um nicht prompt wieder in alte Formen zu verfallen. "Hast du über deine... äh... Begrüßung lange nachgedacht?", fragte er schließlich ungewohnt spitzfindig.
Grabbasch zwinkerte jedoch nur ungerührt. "Fast den ganzen Hinweg. Ich habe einen Lehrer oder so etwas unterwegs getroffen, der erklärte mir, was mit den Drüsendingern auf sich hat. Ist eine ziemlich ekelhafte Angelegenheit, kann ich dir sagen."
Da dem dürren Zwerg nie jemand etwas über Tränendrüsen erzählt hatte, wechselte dieser vorausschauend das Thema. "Warum bist du wirklich, äh, hier?"
"Brauche ich einen besonderen Grund, um die Familie zu besuchen?"
"Äh... ja."
Der Ältere nickte. "Vater meinte, es würde mir gut tun. Was baust du da schon wieder?"
"Es soll ein sehr kleines Türschloss werden, welches sich eigenständig wieder in den Urzustand zurück bewegt, wenn kein Druck ausgeübt wird. Äh... sich also selbst wieder verschließt. Da ich die Idee hatte, als ich, äh, von einem hiesigen Kaufmann im Fratzenbuch angeklackert wurde, nenne ich es Schnapper-Schloss." Braggasch fegte die kleinen Bauteile in die hohle Hand und bot seinem Bruder die Kiste als Sitzgelegenheit an.
Jener ignorierte das Angebot. "Du wurdest in Was gewast?"
"Unwichtig." Der Späher seufzte. "Ich weiß, dass Vater mich hier her schickte, weil er, äh, keinen Ausweg gesehen hat. Aber du bist, äh, sein Stolz! Warum glaubt er, dass Ankh-Morpork, äh, dir gut tut?"
Zum allerersten Mal in seinem ganzen Leben hatte der Korporal das Gefühl im Gesicht seines Verwandten einen Hauch von Bewunderung zu erkennen. Verwirrt tat er es schnell als Einbildung ab. Doch Grabbasch Goldwart sagte langsam: "Diese hässliche Stadt hat dich verändert, Braggi. Du bist ja wirklich ein Wächter geworden." Bevor Braggasch etwas erwidern konnte, fuhr der kleiner und breiter Gebaute fort: "Du hast recht, ich bin nicht einfach nur so hier. Es gab Probleme im Bergwerk. Ich habe mich mit Brokba angelegt, er hat einfach zu viel Mist erzählt. Naja, jetzt habe ich so eine Art Sonderurlaub bekommen, meint Vater."
"Äh... und?"
"Und damit ich währenddessen keine Dummheiten mache, wurde ich etliche Tagesreisen weg geschickt, bis sich die Sache ein wenig gelegt hat." Wieder zog der zwergische Zwerg etwas aus dem Stapel zu seiner Rechten. Dieses mal war es eindeutig mechanisch und eindeutig zerbrechlich.
Obwohl Goldwart bereits das Knirschen von Metall zwischen groben Händen zu hören glaubte, hatte eine andere, unausgesprochene Sache seine Aufmerksamkeit erregt. "Wie lange?"
Grabbasch zuckte mit den muskulösen Schultern. "Nicht lang. Zwei Jahre vielleicht. Eher etwas mehr. Vater meinte, so eine gebrochene Hand bräuchte Zeit, um zu heilen." Auf seinen Zügen erschien abermals das breite Grinsen. "Du solltest mir etwas zu Essen machen, ich habe Hunger. Dabei erzählst du mir etwas über diese Stadt und ich erzähle dir etwas von Gladdis, Brabbasch und Graggasch."
"Ja. Wir, äh, gehen besser wo anders hin und lassen die, äh, kochen. Weißt du, man kann sich hier seine Ratte direkt, äh, gebraten und so kaufen... und die können das besser als ich. Außerdem habe ich Angst, dass du etwas kaputt machst. Äh... dann müssen wir dir eine Wohnung oder so suchen. Hier darfst du, äh, leider nicht bleiben." Der Blondhaarige nahm seinem Bruder vorsichtig den Siebenundfünfziger Hammerzehdreher aus der Hand und komplimentierte den Kräftigeren dann aus dem Raum.


.oO 08. Gruni im Jahr des pendelnden Lamas (Gegenwart) Oo.

"Ah... eine Frage hätte ich noch..." Korporal Kolumbini wandte sich noch einmal zu dem Mann mittlerer Jahre um, der ihn seinerseits unwillig musterte.
"Ja? Was denn noch?", murrte Talius Goldtaler und bedeutete seinem Stellvertreter, der mit Block und Feder an seine Seite getreten war, durch eine ungeduldige Handbewegung zu warten.
Der Ermittler gönnte sich die Zeit, der Frau des Kaufmanns, welche ihre schluchzende und völlig verängstigte Tochter im Arm hielt und das Gespräch misstrauisch verfolgte, ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, bevor er antwortete: "Sie behaupten also, von alledem nichts mit bekommen zu haben?"
"Ich glaube, das habe ich bereits gesagt, ja."
"Nun... Die Schäden an Mauer und Balkon sind beträchtlich... ich frage mich wirklich, wie man ruhig in seinen Federn liegen kann, während einige Zimmer weiter eine solch... rabiate Handlung vollzogen wird." Unschuldig blickte Inspäctor zu dem Mann auf.
Dieser schnaubte. "Mein Tag ist lang, Wächter, und ich mache mir viele Sorgen um mein Handelsimperium, immerhin formt sich Seife nicht von allein, da ist es schwierig Schlaf zu finden. Aus diesem Grund besorgte ich mir schon vor Jahren eine Zusammenstellung gewisser Kräuter. Leider haben diese die Nebenwirkung, den Anwender erst nach einigen Stunden wieder aus den Armen der Träume zu entlassen."
"Und ihre werte Frau?"
"Nimmt diese ebenfalls."
"Hat sie denn auch ein Imperium zu leiten, Herr Goldtaler?"
Talius Stellvertreter räusperte sich vollendet. "Frau Goldtaler befindet sich rechtlich in keinem Zusammenhang mit..." Seine Stimme versagte, als ihn der Blick seines Auftraggebers traf.
"Meine Frau", stellte der gewichtige Mann kühl fest, "behauptet, ich würde schnarchen."
"Ah." Kolumbini nickte, als hätte er eine große Weisheit erfahren. "Dann drängt sich mir die Frage auf, welchen Sinn die Hunde haben, sollten sie zufällig einmal nicht schlafen."
Die Miene seines Gegenüber verzog sich vor Wut. "Ich sagte ihnen schon einmal, Wächter: Es sind Rassehunde, sie schlafen nie! Was die andere Frage betrifft: Das Personal kümmert sich normalerweise um die nötigen Handlungen, sollten die Hunde anschlagen."
"Dann müssten diese doch den Lärm gehört haben?"
"Möglich."
"Ich würde gerne mit ihnen sprechen."
Goldtaler lachte befriedigt. "Wenn sie sie finden, können sie mit ihnen tun, was sie wollen. Ich entließ sie heute morgen, noch während mein guter Mann hier die Wache benachrichtigte. Alle."
Inspäctor hob fragend eine Augenbraue. "Ich hoffe, sie sind sich bewusst, dass ein anerkanntes Mitglied der Bevölkerung heute Nacht wahrscheinlich in ihrem Haus ermordet und auf ihren Gartenzaun gespießt wurde, Herr Goldtaler. Ich würde sie bitten, ihren 'guten Mann hier' anzuweisen, mir eine Liste der Dienstleute anzufertigen, damit ich ihnen keine Klage wegen Behinderung der Nachforschungen anlasten muss."


.oO 10. Gruni im Jahr des pendelnden Lamas Oo.

Romulus von Grauhaar tippte ungeduldig gegen eines der Reagenzgläser. Das regelmäßige Pling! übertönte die sonstigen blubbernden, zischenden und rasselnden Geräusche des Labors. Der Abteilungsleiter von RUM wurde, wie so häufig, eigentlich nur noch durch diverse Inhaltstoffe von Superbulle auf den Beinen gehalten, von dem er sich alleine heute bereits sechs Dosen genehmigt hatte. Pling!
Was für ein vermaledeiter Monat! Zwei tote Anhänger der Diebesgilde, ein Narr und nun auch noch ein Assasine! Spuren gab es dabei so viele, dass seine Leute mittlerweile an gar nichts anderem mehr arbeiteten, als an diesem Fall. Pling! Natürlich hatte sich sofort der Patrizier eingeschaltet, kaum, dass die erste Leiche kalt war - und mit seinem Eingreifen hatte Araghast ebenso eilig Panik geschoben und den Experten für unlizensierten Mord - denn nichts anderes war es in allen vier Fällen gewesen, und zwar auf äußerst brutale und brachiale Art und Weise - ans Herz gelegt, möglichst schnell Erfolge bei den Ermittlungen zu erzielen. Pling! Klar! Sie hatten ja sowieso nichts zu tun! Täglich wollte der Kommandeur Erfolge sehen... gleich war es wieder so weit... Pling!
"He da! Ich bitte dich inständig, das sein zu lassen! Vorgesetzter hin oder her, es geht nicht schneller, wenn du uns mit deinem Rumgeklirre nervst - noch dazu während du dabei latent explosionsgefährdete Stoffe antippst."
Romulus schreckte aus seinen Gedanken hoch und bedachte die Lady mit einem grimmigen Blick. Befriedigt wandte sich die Gnomin wieder dem gläsernen Fläschchen zu, welches sie mit ruhiger Hand im Kreis drehte, damit sich Stoffe nach unten hin ablagerten.
"Ich hätte was, Sör", ertönte es von einer anderen Seite des Labors. Während Lady Rattenklein ihrem Auszubildenden keine Beachtung schenkte, wandte RUMs Abteilungsleiter den Kopf und sah den Wasserspeier an. "Ja, was denn?"
"Habe die Mageninhalte aus der Patologie nun weitestgehend untersucht, um eine These zu erstellen, Sör", verkündete Huitzli Pochtli.
Romulus nickt ungeduldig mit dem Kopf. "Und? Erwartest du einen Tusch? Raus damit!"
Der schwarze Wasserspeier zuckte mit den Schultern und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. "Ich war dabei, als Pismire die Leichen untersuchte und habe die Inhaltstoffe von Magen und Darm direkt entgegen genommen, so dass nahezu ausgeschlossen werden kann, dass sich in die Befunde Fehler geschlichen haben. Der Assasine war, wie es nicht unüblich ist, völlig nüchtern. Einer der Diebe, eher gesagt jene weibliche Ausübende dieses Berufs, hatte wohl einige Stunden zuvor noch Nahrung zu sich genommen, doch diese war schon derart zersetzt, dass dort keinerlei Stoffe übrig geblieben sein könnten, die mit zu seinem Zustand geführt haben. Der Spassmacher hatte eindeutig kurz zuvor Torte verspeist, doch diese war, wie es, glaube ich, die Regeln der Narrengilde verlangen, sehr hochwertig und mit keinerlei minderwertigen Substanzen versetzt. Bleibt der zweite Dieb, der ja in temporärer und lokaler Nähe des ersten gefunden wurde. Er hatte sowohl zwei Würstchen, wohl eine von Schnappers Marken, als auch Alkohol im Magen, bevor der Tod eintrat. Doch obwohl beides eine Vergiftung darstellt, würde ich nicht sagen, dass es etwas mit dem Ableben zu tun hat. Fazit: Keine der Leichen stand unter Drogen, wurde Vergiftet oder ist irgendwie sonst von Substanzen beeinflusst worden."
Huitzli klappte den Mund zu und verursachte dadurch ein schnappendes Geräusch in der desinfektionsmittelschwangeren Luft.
"Du hast gar nichts? Nicht mal eine kleine... was weiß ich... Überzuckerung?"
Der Hauptgefreite schüttelte den Kopf. "Tut mir Leid, Sör. Aber ich glaube auch nicht, dass Überzuckerung normalerweise zu einem Genickbruch führt, wenn ich einmal den Narr als Beispiel nehmen darf."
Der Werwolf rieb sich die müden, rot geränderten Augen und seufzte.
"Ich kann auch wenig hinzufügen, Chef", fügte Lady Rattenklein an. "Die Reaktionen weisen auf ein Schlafgift hin. Ist aber keines, welches ich kenne, müsste selbstgemischt sein."
"Und die Wahrscheinlichkeit, dass ein ausgebildeter Assasine, der nach Angaben von DOG für Gifte bekannt war, die Wachhunde des Hauses durch mit selbstgemischtem Schlafgift versetztem Fleisch ausschaltet ist weitaus wahrscheinlicher, als dass dies unser unbekannter, grausamer Unlizensierter tut, nicht wahr?", schlussfolgerte Romulus erschöpft.
Die Laborantin nickte. "Sieht ganz so aus."
"Na großartig. Jetzt freue ich mich erst recht auf das Gespräch mit Araghast..."


.oOo.

"Der Menge des Blutes auf dem Teppich nach zu urteilen wäre der Stich als solcher nicht unmittelbar tödlich gewesen. Hier kann die Pathologie sicherlich genauere Aussagen treffen. Gestohlen wurde, soweit wir das anhand der Aussagen über die im Raum befindlichen Gegenstände feststellen konnten, nichts. Die Spuren ähnelten, wie auch in den Fällen zuvor, denen eines klobigen Vogels oder Drachens, wie sie einst von Ptykmeh beschrieben wurden. Hier ist eine Abzeichnung dergleichen."
Breguyar rieb sich die Schläfen. "Was für eines Vogels?"
"Ich bin Spurensicherer und Philosoph, kein Zoologe", klärte ihn Sillybos auf. "Dennoch wurden die Abdrücke nach dem ersten Todesfall, der Diebin, verglichen. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass es sich nicht um ein Tier handelt. Wie es Dykeri ausdrückte: 'Misstraue dem Kamel, welches dich auf Händen trägt.' Ein Straus, beispielsweise, ist weder in der Lage ein Genick zu brechen, noch jemanden aus dem ersten Stock zu schleudern. Zudem sind die Abdrücke im Garten äußerst tief, der Balkon weist sogar eine gewisse Destruktion der Bausubstanz auf - das Wesen dürfte also ein nicht unerhebliches Gewicht aufweisen."
"Habt ihr die Spuren verfolgt?"
"Ich habe sie verfolgen lassen, natürlich. Wie schon beobachtet führten sie abermals auf schnellstem Wege zum Ankh, woraufhin man sie verlor." Der Ephebianer schniefte. Den Klauenabdrücken hatte man bereits zwei Mal nicht folgen können, er sah keinen Sinn darin, wertvolle Gedanken in diese kognitive Sackgasse zu verschwenden.
Der Kommandeur dachte da anscheinend anders. Seine vom Schlafmangel rot geäderten Augen fixierten den für seine Faulheit bekannten Denker. "Sicher hat man dieses mal die Stelle gefunden, wo der Unbekannte den Fluss wieder verließ. Schlammspuren, ein Boot, Schwimmflügel... irgendwas."
"Wie ich mir sagen ließ, ist eine solche Untersuchung aufgrund der vielen Privatgrundstücke äußerst schwierig. Kaum ein Bürger Ankh-Morporks lässt einen Wächter gerne in seinem Garten herum schnüffeln."
Die Tür des Büros öffnete sich und Romulus erschien mit gequältem Gesichtsausdruck und noch gequälterem Salut.
Araghast nickte ihm zu und wandte sich noch einmal an Sillybos. "Ich erwarte deinen Bericht. Dieses mal vollständig und ohne kryptische Abkürzungen. Such dir zur Not einen Rekruten, dem du diktieren kannst." Mit einem Wink entließ er den Hauptfeldwebel. Dieser nickte dem eintretenden Werwolf freundlich zu und trat ohne sonderliche Hast hinaus. Von Grauhaar schloss die Tür.
"Und?"
Der langjährige RUM-Abteilungsleiter schüttelte den Kopf. "Nichts. Kein Gift, keine Betäubung... einfach Nichts."
Breguyar drehte den Kopf zu Seite. Eine unangenehme Pause entstand, bis er sie leise fülle: "Gildenmitglieder der wichtigsten und einflussreichsten Gilden Ankh-Morporks werden planlos und rabiat ermordet. Vier Tote innerhalb anderhalb Monate. Die Mitglieder bedrängen voller Angst ihre Leiter. Der Gildenrat bedrängt den Patrizier. Wen, glaubst du, bedrängt Vetinari?"
Romulus schwieg düster.
"Ein bekanntes Diebespärchen in Ausübung ihres Berufs, ein Narr keine Woche später... und nach einer längeren Pause jetzt das. Alles, was wir habe, ist eine püschologische Beurteilung, dass der Täter aufgrund seines brutalen Vorgehens wohl an Wutausbrüchen, Minderwertigkeitskomplexen oder Angstzuständen leidet. Als ob eines der drei nicht auf neunzig Prozent der hiesigen Bevölkerung zutreffen würde. Die Wache eingeschlossen." Der Kommandeur blickte zu seinem langjährigen Freund auf. "Keine Beweise, keine Spuren, keine Zeugen."
"Genau das ist es ja gerade: Wir haben alles davon, und zwar jede Menge!" Der Oberfeldwebel wagte es nun endlich, auf dem Besucherstuhl Platz zu nehmen. "Alleine über dreißig Zeugenaussagen, die etwas gesehen oder gehört haben wollen - und seid dem letzten Fall werden es täglich mehr. Ein Zauberstudent schwört auf seiner Sauftour einen glühenden Schatten aus den Kerkerdimensionen gesehen zu haben, mindestens drei Personen sprechen von einem leibhaftigen, Qualm und Feuer speienden Drachen. Ein Parfummischerlehrling behauptet, dass es sich bei dem Mörder des Clowns um einen Wasserspeier handelt, der Bettler aus der gleichen Straße hingegen beschrieb nur einen normalen, allerdings äußerst kräftigen Mann. Man hetzt gegen die Golems oder verkündet, dass nur ein Troll derart stinken könnte und dabei eine solchen Lärm verursache. Zwei Aussagen zu einem flammenschwertschwingenden Dämon, Eine sah den Erlöser persöhnlich und vier Personen sind sich unzweifelhaft sicher ihre Schwiegermutter in dem Täter wiedererkannt zu haben. Wie nicht anders zu erwarten wird es seit kurzem zum Volkssport uns mit immer ausgefalleneren Geschichten zu belästigen."
Araghast verzog schmerzerfüllt das Gesicht. "Und welcher Aussage können wir trauen?"
"Der Bettler lügt. Er sagt nur was wir hören wollen und hofft auf die Güte eines zufriedengestellten Wächters. Trolle stinken im allgemeinen nicht - oder wenn doch nach dem Ort, an dem sie arbeiten. Drachen würden sich den Geschichten zufolge mit mehr Röstaroma ankündigen. Ansonsten..." Romulus zuckte mit den Schultern. "Könnte alles und nichts der Wahrheit entsprechen. Jedenfalls behauptet Laiza, dass keine Magie im Spiel gewesen sei."
Der nominelle FROG-Abteilungsleiter seufzte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Es musste irgendwann vor dem Assasinenmord gewesen sein. Zudem musste er eingestehen, dass er auch nicht mehr ganz nüchtern war. Alles in Allem ein verzweiflungslindernder, aber wenig konzentrationsfördernder Zustand. "Hat die Geruchsprobe dieses mal etwas Nützliches zutage gefördert?"
"Ich habe mich dieses Mal persönlich darum gekümmert und kann die Angaben der Gefreiten Major grundsätzlich bestätigen", erwiderte der Werwolf. "Über allem liegt stechend der Geruch der Angst - bei einem Assaninen bedeutet das schon einiges. Desweiteren konnte ich heißes Metall, Öl und Alkohol entziffern, Letzteres jedoch nicht ausgeschwitzt, sondern im Ursprungszustand und sehr hochkonzentriert. Es gab weitere Gerüche, die ich nicht zuordnen konnte... Ganz ehrlich? Ich werde daraus nicht schlau."
"Was wissen wir denn überhaupt über den Täter?"
"Mit Sicherheit? Wenig. Er muss über enorme Kräfte verfügen. Dem Dieb wurde die Hand gebrochen und der Schädel eingeschlagen, seiner Kollegin die Kehle unnötig tief durchgeschnitten. Quetschungen zeigen zudem, dass sie an der Schulter dabei festgehalten wurde. Dem Narrengildenmitglied brach der Mörder das Genick - dem Fund der Leiche nach zu urteilen von hinten, was nicht sonderlich leicht ist. Der Assasine wurde erdolcht... und zwar einmal von vorne und viermal von hinten, wobei die hinteren Stichwunden auf den Maueraufsatz aus Eisenspitzen zurückzuführen ist, auf den er geschleudert wurde. Laut pathologischem Befund wurde ihm zudem die Schulter ausgekugelt."
"Ein Profi? Wohl kaum."
"Richtig. Der Wurf war präzise, könnte aber auch nur ein Glückstreffer gewesen sein. Der Rest wirkt eher... ungeschickt, um nicht zu sagen: Brachial."
"Wir können den Berufskiller also entweder ausschließen", brachte es Breguyar auf den Punkt, "oder davon ausgehen, dass dieser versucht eine falsche Spur zu legen."
Von Grauhaar nickte.
"Weiter?"
"Viel mehr gibt es nicht", gab der Werwolf wider Willen zu. "Unser Täter kann nicht völlig unsportlich sein, denn er hat die wahrscheinlich flüchtende Diebin bereits nach einer Kreuzung eingeholt gehabt, den Spuren nach zu urteilen. Er benutzt kein Gift, hinterlässt keine Quittungen, beseitigt keine Spuren und nimmt keine Wertsachen. Er kommt, tötet und verschwindet wieder - und scheint dabei mögliche Beobachter völlig außer Acht zu lassen."


.oOo.

Die erst kürzlich aufgrund von Ophelias Zustand zur stellvertetenden Abteilungsleiterin von RUM ernannte Mina von Nachtschatten starrte auf die große Karte Ankh-Morporks. Neben ihr, in respektvoll-nervösem Abstand, hielt sich Jargon auf und beobachtete seinerseits die Vampirin, diverse Ausflüchte im Kopf durchgehend.
Sie seufzte. "Na gut, erklär es mir."
"Im Grunde ist es nur ein... sagen wir etwas anderes Verfahren, als wir bisher verwendet haben", erklärte der Rechtsexperte stockend und deutete auf das Gebilde. "Die Fähnchen symbolisieren die verschiedenen Opfer, die Nadeln den Aufenthaltsort von Zeugen zur Tatzeit, die, ähm, Zahnstocher die Stellen an denen der Mörder den Spuren nach in den Ankh gegangen ist. Die Punkte sollen die gefundenen Fußabdrücke darstellen, die Zettelchen... naja, da stehen halt die Zeiten drauf, zu denen die Markierungen gehören... Zur besseren Übersicht. Heftzwecken stehen für den vermuteten oder bekannten Aufenthaltsort anderer Krimineller unter Beobachtung... deshalb sind so viele in den Schatten. Die Kaugummistücke sind Streifenwächter... Rekruten sind hierbei Minze und... Naja, das ist glaube ich nicht so wichtig." Schneidgut leckte sich über die Lippen und versuchte herauszufinden, was die Vorgesetzte von all dem hielt, doch das Gesicht der noch immer der Karte Zugewandten war unlesbar. "Dann habe ich verschiedene Aspekte mit Fäden verbunden, um Muster zu suchen... Und mehrere Rahdi um die Leichenfundorte gezogen, um Zufälle und Begegnungen mit ein zu beziehen. Ah, und das dort... Sind Kaffeeflecken. Jemand hat sehr ruckartig eine Tür zugeworfen und mich erschreckt..."
Mina wandte ihre Aufmerksamkeit nun doch von dem völlig chaotischen, bunten Durcheinander ab und dem Lance-Korporal zu. "Was hast du herausgefunden?"
"Ähm... Nichts." Jargon schluckte. "Es gibt keine kausalen Zusammenhänge. Zumindest nicht in einem Maße, dass es mehr als reiner Zufall wäre."
"Kein Verweis auf einen Ausgangspunkt der Täters?"
Kopfschütteln war die Antwort. "Die Diebe erwischte es in der glatten Gasse, bei der Frau um genau zu sein Ecke morphische Straße. Der Narr wurde beim Nilpferd ermordet, der Assasine in einem Haus am Mondteichweg im Bezirk Siebenschläfer. Die Spuren führen immer fast auf direktem Weg zum Ankh..."


.oO 11. Gruni im Jahr des pendelnden Lamas Oo.

Verstört war für das junge Pärchen, welches Kolumbini hatte ausfindig machen können, gar kein Ausdruck. Weshalb keiner der beiden nachschauen gegangen war, hatte sich dem Ermittler bereits erschlossen, als er die innig verkeilten Hände erblickt hatte. Lagen die Herrschaften in ihrem Drogenkoma, konnte man die Nachtbeschäftigung ohne zu berfürchtende Unterbrechungen gestalten. Hier handelte es sich augenscheinlich um junge Liebe, was die Situation für den Korporal ein wenig unangenehm gestaltete - aus diesem Grund beschränkte er sich auf lächelndes Zuhören. Gesehen hatten die Zofe und der Leibdiener zwar nichts, doch die Schilderungen der Geräusche entpuppte sich als äußerst aufschlussreich.
Marise saß schräg hinter ihrem Sven, den einen Arm unter seiner Achsel durchgeschoben, die Hand des Anderen auf seine Schulter gelegt. Aufgeregt warf sie immer wieder Kommentare ein, während der Diener zu erzählen versuchte.
"Nun, es begann mit diesem Geräusch..."
"... als würde etwas brechen!"
"Ja. Es kam vom Garten her. Wir haben uns natürlich erschreckt, es aber dann abgetan..."
"... denn die Hunde waren still..."
"... denn die Hunde hätten ja angeschlagen, wenn es eine Bedrohung gewesen wäre. Dann aber war dieses gewaltige Knacken zu hören..."
"... ich bin mir sich, dass es vom Balkon kam!"
"Wir glauben, dass es der Balkon vor dem Zimmer der jungen Herrin war." Sven drückte seiner Geliebten beruhigend die Hand. "Es klang, als hätte jemand mit einem Hammer..."
"... einem riesigen Hammer..."
"... auf den Stein eingeschlagen, verstehen sie? Unsere Kammer neben der Küche ist fast unter dem der Herrin, deshalb hörten wir die Schritte..."
"... wie die Schritte eines Riesen!"
"Ja, aber dabei quietschte es immer komisch, wissen sie, wie bei einem Wetterhahn."
"Quietsch, quietsch!"
"Und wir hörten auch Knarzen und Zischen..."
"... wie von einem Ungeheuer..."
"... und Marise glaubt..."
"... wir glauben..."
"... und wir glauben auch Stimmen gehört zu haben. Wie eine Unterhaltung. Aber verstehen konnten wir nichts. Dann hörten wir den Schrei..."
"... ein grässlicher Schrei..."
"... aber ziemlich leise..."
"... eher ein Jaulen..."
"... klang irgendwie überrascht..."
"... wie ein Jappsen..."
"... und ungläubig..."
"... genauer gesagt ein heiseres Röcheln..." Marises Augen waren groß, ängstlich und unschuldig. Kolumbini glaubte nicht besonders viel von dem, was die Beiden erzählten. Verängstigte Gehirne projezierten häufig genug Ungeschehenes hinzu.
"Vielen Dank, das wäre vorerst alles. Kann ich sie hier finden, wenn ich weitere Fragen habe?"
Sven reichte ihm die Hand. "Ja..."
"... vielleicht", vollendete Marise und knickste.
"Stimmt. Wenn wir schnell eine neue Anstellung finden, sind wir natürlich dort."
Fred nickte und erhob sich. Fast schon hatte er die Tür der billigen Mietswohnung erreicht, da kam ihm ein Gedanke. "Noch eine Kleinigkeit." Er wandte sich um.
"Ja?"
"Was denn?"
"Hatte ihr ehemaliger Arbeitgeber irgendwelche Feinde?"
Der Leibdiener strich sich über den Zwei-Tage-Bart. "Der Herr war führend im Seifenhandel, soviel ich weiß. Reiche Männer haben doch immer Feinde, oder?"


.oO 13. Gruni im Jahr des pendelnden Lamas Oo.

Selten genug konnte Romulus die Tafel in seinem Büro für aktuelle Fälle nutzen. Er wusste selbst nicht woher, doch stets fanden sich sonst nur Informationen an ihr, die keine Relevanz mehr aufwiesen. Mehr aus einem Handlungtrieb heraus hatte der Abteilungsleiter das alte Ding bis in die Ecken geputzt und mit den Informationen versehen, die bisher zum Fall des 'Gildenmörders' - wie ihn das Volk getauft hatte - zusammengetragen worden waren.
Auf eilig herbei geborgten Stühlen saßen jene Mitglieder von Raub und Mord, welche es mindestens in den Rang eine Korporals geschafft hatten. Kolumbini hatte seinen Bericht soeben vollendet und die Tafel um einige wenige Stichpunkte erweitert.
"Gibt es neue Informationen von den Kontaktern?", wandte sich von Grauhaar an die übrigen Anwesenden. "Nichts, wo ihr euch mal umsehen könntet? Hat keiner von Reiners und Thasks Leuten einen Tipp für uns?"
Synchrones Kopfschütteln war die Antwort. "Wie hoffentlich aus ihren und sicherlich auch aus unseren Berichten hervorgeht", ergriff die Haubtgefreite Mimosa das Wort, "können wir das püschologische Gutachten weitestgehend unterstützen. Der Mörder scheint ein Neuling zu sein. Niemand im Untergrund kennt ihn oder seine Handschrift. Zumindest niemand, der uns oder den Jungs von SEALS gegenüber ein Mittteilungsbedürfnis verspürt."
Romulus schnaufte gereizt. "Redet man in den Straßen über ihn?"
"Zur Genüge", berichtete Mina von Nachtschatten. "Diejenigen, die in ihm kein Untier oder massakrierendes Zauberwesen sehen, jubeln ihm zu. Du weißt, wie das ist: 'Den Mächtigen geht es an den Kragen? Gut so! Gildenmörder! Gildenmörder!' Demnächst werden sicherlich Fähnchen gedruckt..."
"Das reicht nicht!", begehrte der Werwolf auf. "Die Gilden machen dem Patrizier Druck, der macht dem Kommandeur Druck - und ich muss euch nicht sagen..." Seine Rede wurde von einem fernen aber deutlichen Rumpeln und Quietschen unterbrochen. Romulus verdrehte genervt die Augen. "Ich muss euch nicht extra sagen, wem Araghast Druck macht."
Kolumbini legte den Kopf schief. "Was war das für ein Geräusch?"
"Das?" Der Oberfeldwebel hielt irritiert inne. "Das ist dieses Monstrum vom Goldwart eine Etage weiter oben. Du weißt schon, mit dem er sein Schundblatt druckt." Romulus deutete auf eine Ausgabe der Rohrpost im Papierkorb. "Eigentlich müsstest du den Lärm in deinem Büro auch hören."
"Wirklich? Das scheine ich auszublenden. [1] Interessant..." Der Ermittler tippte sich nachdenklich gegen die Lippe. "Sehr interessant..."


.oOo.

"Ob, äh, was möglich ist?"
Der Oberfeldwebel presste sich die Hände auf die naturgemäß guten Ohren. "Könntest du...?"
"Was? Oh, äh, natürlich. 'Tschuldigung." Braggasch eilte zu der vor sich hin dröhnenden Maschine, zog an zwei Hebeln und löste eine Klammer. Das metallene Schaben wurde augenblicklich leiser, die großen Pressrollen liefen langsam aus und die Papiere wurden nicht mehr eingezogen.
"Danke."
"Ob es möglich wäre", schaltete sich Kolumbini wieder ein, "ein mechanisches Tier, beispielsweise einen Drachen, zu bauen. Ähnlich deiner... Druckerpresse hier."
Goldwart war die zweifelhafte Ehre zu Teil geworden, eine kurze Weile mit dem Ermittler arbeiten zu dürfen. Zwar hatte er Respekt vor dessem analytischen Intellekt, hielt ihn in vielen Dingen - und Mechanik gehörte dazu - allerdings für äußerst ignorant. "Das kommt darauf, äh, an...", meinte der Zwerg vorsichtig. Bereits jetzt hatten sich seine Ohren tief rot gefärbt und er starrte verlegen zu Boden.
"Auf was?"
"Mehrere Faktoren." Wie stehts gewann Braggasch an verbaler Sicherheit, als er bekanntes Terrain kognitiv durchschritt. "Wie groß soll das Tier sein? Bewegt es sich eigenständig oder ist es mit einer stationären Anlage verbunden? Was soll es können? Mit welchem Material wird gearbeitet? Wird es gesteuert? Wie funtkioniert der Antrieb?"
"Auf kaum etwas davon habe ich eine Antwort. Zeugen sprachen von Quietschen und Knarzen. Geräusche, die auch dein... Ding hier von sich gibt. Wäre so etwas möglich?"
Der Herausgeber der Rohrpost schwieg eine Weile, bevor er antwortete: "Eine, äh, laufende Druckerpresse? Ich glaube nicht. Siehst du, dieses, äh, Ding, wie du es nennst, funktioniert mit einem Gegengewicht." Er deutete auf einen gut befestigend Eisenklotz, der sich an mehreren Drahtseilen sehr langsam dem Boden näherte. Einige Zahnräder drehten sich wie wild, doch gab es nach Goldwarts Handgriffen kein Gegenstück, in das sie gegriffen hätten, um die Presse anzutreiben. "Ich ziehe den Amboss per Hand über diese Kurbel da hinauf und während der dann von der Erdkraft wieder herunter gezogen wird, sorgen die Winden dafür, dass sich diese Räder drehen, wodurch..."
"Ist es möglich?", unterbrach Romulus ungeduldig.
Goldwart zuckte zusammen. "Ich, äh, glaube nicht. Nicht auf diese Weise." Noch immer traute sich der Zwerg nicht, einem der beiden Besucher in die Augen zu blicken. "Ein, äh, mechansicher Drache müsste dafür eine Art... äh... Turm besitzen, an dem der Amboss aufgehängt ist. Er würde dauernd an Dächer stoßen und, äh, so."
"Und sicher nicht in ein Zimmer passen...", kombinierte Kolumbini.
Der stellvertretende Abteilungsleiter von FROG nickte. "Äh... Aber es gäbe andere Möglichkeiten. Eine große Spule, die sich aufzieht, zum Beispiel. Pedale. Kurbeln. Wasserdruck. Gnomenräder."
"Schon gut. Danke.", Romulus blickte auf den schüchternen Korporal herab. "Wir wollen nicht wissen, was denkbar ist, sondern was machbar ist. Ich lasse dir die wenigen Fakten, die wir zu dem Fall haben, zukommen und du überlegst, was das gewesen sein könnte."
"Ja, äh, Sör."


.oO 18. Spuni im Jahr des prophezeienden Frosches (zehn Monate zuvor) Oo.

"Das musst du mir jetzt wirklich noch einmal erklären, Braggi...", begann der Bruder mit durchdringendem Bass, einen Bierkrug schwenken.
Der jüngere Goldwart rieb sich verzweifelt über den Helm. "Bitte, Grabbasch, ich weiß, dass die Stadt, äh, kompliziert ist... Aber ich kann dir, äh, nicht alles an deinem ersten Tag erklären." Die wässrig grünen Augen blickten sich gequält um. Sie wanderten ziellos durch die Straßen Ankh-Morporks. Jeder Passant, so kam es Braggasch vor, grinste die ungleichen Geschwister hämisch an, doch Hilfe war nirgens zu entdecken. "Zudem muss ich zurück. Es gibt, äh, Berichte zu schreiben und..."
Der Braunbärtige unterbrach ihn ruppig. "Du hast deinen Bruder seit... naja... sehr lange nicht gesehen und kannst nicht einmal ein paar Augenblicke mit ihm verbringen?"
"Wir laufen schon den halben Tag gemeinsam herum!", stöhnte der Wächter. "Wir haben, äh, gegessen, du hast mir von Mutter erzählt..." Grabbasch verzog bei dem ungewohnten und -wollten Wort angewidert das Gesicht, was der Redente zu ignorieren versuchte. "Zumindest hast du drei, äh, Sätze über sie verloren, bevor du in... äh... peinliche Nostalgie abgeglitten bist und den halben Eimer mit Geschichten über mich belustigt hast. Äh, und jetzt sind wir schon bei der fünften guten Wohnung gewesen, ohne das dir etwas zusagt. Alles, äh, Keller, alle solide gebaut, alle nicht allzu sauber..."
"Komm schon Kleiner, die waren ja nun wirklich nicht zu gebrauchen", murrte der Ältere und schien sich köstlich zu amüsieren.
"Was war an der, äh, Tiefenwohnung in der Blutgasse falsch?"
"Die Menschenfrau hat gefragt ob wir ein Paar wären!"
"Und am Gänsetor..."
"Nicht einmal eine ordentliche Schmiede in der Nähe!"
"Äh, genau, aber auf dem Steinbruchweg..."
"Das kann nicht dein Ernst sein! Da wohnte ein Troll in der Nähe! Du kannst ja behaupten, was du willst, aber es sind und bleiben Wilde. Ich hätte mich nicht zurück halten können ihn Bruchstein für Bruchstein auseinander zu nehmen!"
"Dann wenigstens bei, äh, Frau Kuchen!"
"Die hat das Gespräch doch selbst wegen ihrer Kopsschmerzen abgebrochen!"
Braggasch war den Tränen nahe. "Du hast dich ja auch, äh, geweigert deine, äh, Fragen zu stellen..."
Burkhards Erster lachte grob. "Warum denn auch? Sie hat sie ja eh schon beantwortet, bevor ich überhaupt gefragt habe."
"Ja, aber sie, äh, braucht trotzdem... äh..." Der stellvertretende FROG-Abteilungsleiter blickte seinem Bruder in die Augen und gab auf. "Ich kenne keine weiteren, äh..."
"Dann übernachte ich eben bei dir."
"Ich, äh, sagte dir doch schon, das, äh, geht nicht..." Der Korporal verfluchte sich selbst, dass es sein Bruder innerhalb eines halben Tages schaffte, das jahrelang wachsende Selbstvertrauen wieder zu zerstören.
Grabbasch leerte den Krug und warf ihn - und damit einen kleinen Teil von Braggaschs Ersparten - von sich. "Die Pritsche reicht mir schon, keine Sorge. Ich bin schlimmeres gewohnt."
"Es ist das Wachhaus!"
"Das stört mich nicht. Wenn ich einmal schlafe, weckt mich auch euer Alarm oder was auch immer nicht auf."
"Du, äh, verstehst nicht... es... ich..." Plötzlich durchzuckte den Blonden ein Geistesblitz. "Ich habe ein, äh, Wirtshaus", sagte er mehr zu sich selbst.
"Ach?" Die unverholene Gier in den Worten des Älteren ließ Burkhards Jüngsten augenblicklich wünschen, er hätte diese verhängnisvollen Worte niemals gesprochen. Doch nun war es zu spät.
Braggasch seufzte. "Zum speienden Drachen. Sie hat ein, äh, Lager... und du könntest dort deinen Unterhalt verdienen, wenn du, äh, willst. Es ist nichts großes..."
Sein Gesprächspartner grinste breit. "Sieh an, sieh an, der kleine Braggi, unsere Heulsemmel, unser Stollensitzer, unser Zinntröpfchen..."
"... komm zum, äh, Punkt..."
"... hat eine eigene Taverne."
Der Wächter hob abwehrend die Hände. "Ich habe sie gewonnen." [2]
"Klar hast du das. Schickst der lieben Gladdis doch nicht den größten Teil deines Lohns, was?"
"Doch, äh, natürlich. Und es heißt Sold."
Grabbasch schlug ihm lachend auf den Rücken, so das der Schmächtigere einen Ausfallschritt nach vorne machen musste. "Keine Sorge, ich werde es ihr sagen. Scheint ja ein ordentlicher Lohn zu sein, wenn man sich eine Bierhöhle davon leisten kann!"
"Ich... äh... kann nicht... äh..." Ein weiteres kleines Stückchen in Braggasch zerbrach. "Willst du es, äh, dir ansehen?"
"Da fragst du?"
Schweigend stapften sie in eine neue Richtung. Vielleicht hätte der Korporal gejammert... Hätte ihn die Angst vor dem beißenden Spott seines Bruders nicht davon abgehalten. Zudem war er ein Wächter, nicht wahr? Das bedeutete nicht nur zu wissen wie man unangenehme Flecken aus der Dienstkleidung entfernte oder für alles eine Ausrede parat zu haben - Nein, ein klein wenig Stolz schlummerte in jedem Wächter. Er war ein Zwerg des Gesetzes, ein Diener der Stadt, jemand, der genug erlebt hatte, um voller Selbstachtung auf sich herunter blicken zu können, ein wichtiges Bestandteil der...
"Jetzt fällt mir wieder ein, was ich dich fragen wollte, Tg'w'lim'cha", unterbrach die Stimme des älteren Bruders seine Gedanken. Wie zum Hohn verwendete er Sebulons häufig genutzte Anrede, doch lag nichts von der liebevollen Vertrautheit des Agenten darin. "In der letzten Hütte, die du mir andrehen wolltest, sagte der Besitzer, dass der vorherige Mieter ausziehen musste, da er ausgeraubt worden war. Irgendwelche Kriminellen haben dem also all sein Hab und Gut genommen, während er gerade gebuckelt hat, um das bisschen zu verdienen, was er zum Leben brauchte." Der Zwerg machte eine bedeutungsvolle Pause. "Doch die Diebe hätten irgendeinen Wisch hinterlassen, der das ganze legal machte. Der Besitzer sagte ja sogar, bei ihm sei nie ungesetzlich eingebrochen worden."
Braggasch, der eine böse Ahnung hatte, worauf das Gespräch hinauslief, nickte schwach. "Es war, äh, sowohl eine Besitzerin als auch eine Mieterin... aber, äh, ansonsten hast du recht."
"Du bist ein Zwerg, Braggi. Du hast dein Y'ard... Auch wenn das in deinem Fall nicht viel heißt." Der Muskelprotz machte sich keine Mühe, den Vorwurf aus seiner Stimme zu verbannen. "Ein Gesetz besteht aus Worten - und Worte sind uns heilig. Wie kann ein Einbruch legal sein?"
"Es... äh... In dieser Stadt gibt es Gilden. Auch eine Diebesgilde. Die, äh, kümmern sich selbst, äh, um ihre Leute." Der Korporal hasste dieses Thema. "Eine gewisse Anzahl Einbrüche ist... äh... legal. Das sagt der Patrizier. Dafür kümmert sich die Gilde mit um die, die, äh, nicht legal sind. Sie helfen also der Wache... äh... Irgendwie. Wir wären eh nicht genug..."
"Das ist doch Schwachsinn!", begehrte Grabbasch auf. "Diebstahl ist ein Verbrechen und du bist ein Wächter. Ihr solltet die einfach alle fest nehmen oder so."
"Ja...", murmelte der Dünnere. "Ja... Das sollten wir."


.oO 04. Asche im Jahr des pendelnden Lamas (Gegenwart) Oo.

"Er ist wieder da."
Breguyar öffnete langsam das Auge. Er hatte sich mitsamt Stuhl an die Wand des Büros zurück gelehnt und genoss einen seltenen Moment der Ruhe. Sein ungebetener Gast war Romulus von Grauhaar. "Wer?", erkundigte er sich.
"Der Gildenmörder." Ohne Aufforderung trat der Abteilungsleiter an den freien Stuhl und ließ sich mit verkniffenem Gesicht nieder.
Araghast war augenblicklich hellwach. "Wer?" Die geänderte Stimmlage deutete darauf hin, dass er dieses mal nicht den Verbrecher meinte.
Romulus kannte den Kommandeur lange genug um zu erkennen, was dieser wissen wollte. "Ein altgedientes Mitglied der Anwaltsgilde. Sie ist heute Nacht in seinem Bett ermordet worden. Das Vorgehen entspricht dem bekannten Muster: Hinter- und Zimmertür des Anwesens im Bezirk Siebenschläfer wurden mit großer Kraft aufgebrochen, der Marmorboden weist die zuvor bereits beobachteten, vogelähnlichen Abdrücke auf. Die Anwältin, eine gewisse Emilia Strack, wurde offensichtlich mit mehreren Messerstichen in die Brust getötet, hierbei wurden etliche Rippen gebrochen. Zudem gibt es eine weitere Leiche: Ein Wärter, der wohl an seiner Gesichtsfraktur verstarb. Beide Kohrpi wurden bereits in die Pathologie gebracht."
"Zeugen?"
"Bislang keine. Niemand der Angestellten wohnte im Anwesen selbst. Eine Köchin fand den Leichnam des Wärters heute in der Früh, seine Identität wird noch geklärt. Frau Strack wurde dann erst von Korporal Schraubenndrehr und der Obergefreiten von Grantick entdeckt."
Der Halbvampir rieb sich durch das Gesicht. "Der letzte Mord mit dieser Handschrift ist fast vier Monate her... Ich höre schon die Skorpiongrube rufen..." Das ernste Gesicht strafte den schwachen Witz lügen und augenblicklich stieg der Wunsch nach einem guten Tropfen in Breguyar hoch. Das Ziegenberger-Problem hatte sich erst vor wenigen Tagen aufgrund des Verschwinden Ophelias auf unbestimmte Zeit gelöst und der Kommandeur hatte sich tatsächlich der irrsinnigen Hoffnung hingegeben, sich für einen Moment nur um den üblichen morporkianischen Wahnsinn kümmern zu müssen. "Findet dieses Monstrum. Zieh dafür meinetwegen Wächter aus den übrigen Bereichen ab. Ich brauche irgendwelche Erfolge, die ich dem Patrizier auftischen kann!"


.oOo.

"Was haben ein Narr, zwei Diebe, ein Assasine und eine Anwältin gemeinsam?"
"Klingt wie der Anfang eines schlechten Witzes...", murrte Rabbe. Ihre Laune befand sich auf einem üblichen Tiefpunkt – nach der Abgabe ihres Berichts war der halbe freie Tag zugunsten dieser Sondersitzung gestrichen worden.
Mina von Nachtschatten hob eine Hand. "Vergisst du nicht den Hauswächter, Sör?" Der Hauptteil ihrer Gedanken weilte nach wie vor bei Ophelia, doch zwang sie sich mit eiserner Selbstbeherrschung, den Ausführungen von Grauhaars zu folgen.
Dieser schüttelte den Kopf. "Es ist davon auszugehen, dass es sich bei ihm nur um einen Kolleteralschaden handelt."
"Das entspräche aber nicht dem Profil", gab seine Stellvertreterin zu bedenken. "Bisher gab es keinerlei Zeugenbeseitigung."
"Vielleicht wollte der Mörder den Wärter ja nicht umbringen?", warf Hatscha schniefend ein.
"Pah!", kommentierte Schraubenndrehr. "Bei der eingedrückten Nase? Wenn ich jemandem so die Kauleiste demoliere, dann nicht, um ihn nur zu ärgern... Mäm."
"Warten wir den Pathologischen Befund ab", unterbrach Romulus die aufkeimende Diskussion, "und konzentrieren wir uns auf das, was wir wissen." Er klopfte mit der Kreide gegen sein Brett, auf dem die Namen und Daten der Mordopfer prankten. "Also?"
"Es handelt sich sämtlichst um Gesetzesbrecher", ertönte die ruhige Stimme Kolumbinis in die Stille hinein.
Verhaltenes Gelächter war die Antwort.
"Ich bitte dich..." Von Grauhaar schlug einen leicht tadelnden Tonfall an. "Das alle Anwälte Verbrecher sind, wissen wir. Aber ein Narr?"
"Der Mann nannte sich Voluminus. Ein Künstlername, wie anzunehmen ist", erwiderte Inspäctor ungerührt.
"Ja, ich habe seinen Leichnam gesehen, doch soviel ich weiß ist Fettleibigkeit kein Verbrechen."
"Nein. Ich habe jedoch ein wenig in den Archiven geforscht. Es wurden bereits vier Anzeigen gegen diesen Voluminus eingereicht, mussten jedoch sämtlichst aufgrund fehlender Beweise recht zügig wieder zu den Akten gelegt werden."
Nun erwachte Argwohn in dem Abteilunsgleiter, doch es war Lance-Korporal Ebel, der seiner Neugierde als erster freien Lauf ließ: "Was wurde ihm vorgeworfen?"
Kolumbini zuckte mit den Schultern. "Er soll eine gewisse Vorliebe für minderjährige Mädchen gehabt haben."
Mehr als ein Gesicht wurde angewidert verzogen.
Romulus verschränkte die Arme. "Wissen wir genaueres zu der Anwältin?"
"Frau Strack war eine bekannte Verteidigerin", wusste al Nasa zu berichten. "Mehr als einmal hat sie ziemlich üble Burschen vor ihrer gerechten Verurteilung bewahrt. Eine meisterliche Rechtsverdreherin."
Wortlos wandte sich Romulus um, zog Striche von jedem Opfer zu einem Mittelpunkt und schrieb dort 'Verbrecher'. Er betrachtete das Wort eine Weile und seufzte tief. "Also haben wir es mit einem selbsterklärten Helden zu tun?"
"Das wird Frau Kostspiel sicher anders sehen...", murmelte Mina. Auf die fragenden Gesichter der Kollegen hin winkte sie ab. "Die Frau des Assasinen war wohl nach dessen Ableben hier und drohte mit Selbstmord, sollten wir nicht alles in unserer Macht stehende tun... Ihrer Aussage nach war ihr Mann nur ein überbezahlter Schreiber."
"Jene, um die sich niemand schert", sinnierte Inspäctor Kolumbini philosophisch.
"Was ist eigentlich aus dem Kind der Diebe geworden?", wollte Hatscha mitfühlend wissen.
"Ein Waisenhaus, was sonst." Romulus schüttelte den Kopf. "Wir brauchen irgendetwas, das uns weiterbringt. Ich habe bereits vor Monaten einen achtunddreißig Seiten langen Bericht von Korporal Goldwart darüber erhalten, was es alles gewesen sein kann. Ich verstehe kaum etwas von dem Zeug und manches macht mir Angst, hilfreich ist es aber nicht. Noch irgendetwas zum neuen Tatort zu sagen, Korporal?"
"Steht doch alles im Bericht", verteidigte sich Rabbe. "Die Grantick fand Spuren vom Ankh und zum Ankh zurück. Zwei Türen waren aufgeschlagen, die Leute tot. Sör."
"Geh noch einmal hin und sieh nach, ob die Obergefreite noch etwas entdeckt hat." Schraubenndehr verzog fast so säuerlich den Mund wie Kolumbini auf die weiteren Worte des Abteilungsleiters hin: "Chief-Korporal, da du dich ja jetzt so gut mit Akten auskennst, sieh nach, ob es irgendwelche Übereinstimmungen mit unserem Gildenmörder zu einem anderen früheren der zahlreichen Verbrechensbekämpfer aus eigenen Gnaden gibt. Der Rest beschäftigt sich vorerst mit Informationsbeschaffung. Befragt die Nachbarn der Strack, findet alles zu diesem Wärter heraus, horcht auf den Puls der Stadt. Ich will wissen, ob es irgendwelche Gildenstreitigkeiten gibt oder ob die bereits Vergeltungsmaßnahmen vorbereiten. Vielleicht gibt es bereits eine Fangemeinde des Gildenmörders... Tut euren Dschob." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Ich denke, ich muss nicht betonen, dass dieser Fall gerade oberste Priorität hat!"


.oO 05. Asche im Jahr des pendelnden Lamas Oo.

Korporal von Nachtschatten beschlich das unangenehme Gefühl, dass der Gerichtsmediziner Pismire mit seiner Schnabelnase auf sie zielte, während er das zweite Tuch anhob und den Blick auf einen männlichen Kopf freigab, dessen verschiedenste Knochen an der rechten Gesichtshälfte eingedrückt waren. Die Haut war mehrfach aufgeplatzt und nicht völlig beseitigte Blutkrusten klebten noch in dem gestutzten Bart.
"Anders als bei Korpus A", er deutete auf die entblößten und übel zugerichteten Leichnam Frau Stracks, "hatten die groben Gewalteinwirkungen in diesem Fall keine lethalen Folgen."
Mina erwiderte verwirrt den Blick der grauen Augen. "Das heißt er ist nicht an den Kopfwunden verstorben, Sör? Sie sehen sehr brachial aus..."
"Sind sie zweifellos, doch weder ist das Nasenbein bis in das Hirn vorgedrungen, noch wäre der Blutverlust hoch genug gewesen. Auch nachhaltige Auswirkungen der Wucht auf die Hirnrinde oder innere Blutungen können ausgeschlossen werden." Der langhaarige Alte deutete auf die grobe Naht, welche einmal um den teilgeschorenen Schädel des Opfers herum führte.
Die stellvertretende Abteilungsleiterin leckte sich nachdenklich über die Zähne. "Weshalb also ist er tot?"
"Gift", war die simple wie überraschende Antwort. "Atropin, um genau zu sein."
"Tollkirsche...", murmelte Mina.
Pismire nickte zustimmend. "Dazu in übertrieben hoher Menge. Nachdem ich den Schlag auf den Kopf ausschließen konnte, habe ich Lady Rattenklein eine standardmäßige Blutuntersuchung durchführen lassen. Das Atropin wurde ihm intravenös verabreicht. Bereits eine halb so große Dosis hätte mit Sicherheit zur Atemlähmung geführt."
"Also wollte der Mörder entweder ganz sicher gehen...", mutmaßte seine Besucherin.
"… oder er hatte einfach keine Ahnung", vollendete der Hauptmann.


.oOo.

Hatscha schüttelte entschieden den Kopf. "Das ergibt doch keinen Sinn! Es passt überhaupt nicht in sein sonstiges Vorgehen." In einer seltenen Laune der Großzügigkeit hatte der Abteilungsleiter jedem eine Dose Superbulle spendiert. Obwohl der Tag lang gewesen war und sie sich erst zu sehr später Stunde zusammen fanden, hatte al Nasa es bisher nicht über sich gebracht einen Schluck von dem beißend riechenden Gebräu zu nehmen.
"Dennoch ist es offensichtlich so", erwiderte Mina erschöpft. "Tollkirschengift kann jeder, ich zitiere Hauptmann Pismire, Grünschnabel herstellen. Im Grunde muss man nur die Früchte sammeln und ausquetschen."
"Das bedeutet, er nietet den Kerl um, aber statt ihm einfach die Rübe zu zertreten nimmt er sich die Zeit um ein selbst gepanschtes Gift in eine nicht direkt einsehbare Stelle zu spritzen?", schaltete sich nun auch Rabbe Schraubenndrehr ein.
Septimus Ebel kletterte auf die Lehne seines Stuhls und meinte enthusiastisch: "Vielleicht hatte er einen Komplizen? Jemand, der aufräumt?"
"Und warum - Hatschi - haben ihn die Zeugen zuvor nie interessiert?", hielt al Nasa entgegen und schnäuzte sich lautstark.
"Ruhe jetzt!", bellte Romulus genervt, während er grübelnd auf die mittlerweile vollgekritzelte Tafel starrte.
"Na, mit denen hat er ja nicht geredet!" Rabbe war zu sehr in Fahrt gewesen, um sich von dem Einwurf ihres Abteilungsleiters abhalten zu lassen. Nun schloss sich eine gespannte Stille an.
Von Grauhaar hob eine Augenbraue. "Wie kommst du denn darauf?"
"Wäre ich schon noch zu gekommen, wenn wir endlich zu meinem Bericht gekommen wären", nörgelte die Angesprochene. "Von Grantick hat die Spuren noch einmal genauer in Augenschein genommen. Dabei ist ihr aufgefallen, dass sie sich in der Nähe des Hauswächters gesammelt haben. Aber nich' bei der Leiche, sondern da, wo der vorher gestanden haben muss, also zwei Meter entfernt. So als hätte der Gildenmörder da ne Weile auf der Stelle getreten."
"Die haben sich unterhalten?", fragte Septimus ungläubig.
"Was wissen wir über den Mann?", wollte der Werwolf fast gleichzeitig wissen.
Hatscha blätterte niesend in ihren Papieren. "Der Name ist Karlos Unterzieher. Eine Art Söldner, ließ sich als Nachtwächter anheuern. Soll aber ein ziemlicher Feigling gewesen sein – den letzten Dschob verlor er, weil er sich vor einem Einbrecher versteckte. Frau Strack war also so etwas wie seine zweite Chance."
"Er stellt sich dem Angreifer entgegen, versucht ihn zu bequatschen und findet plötzlich seinen Mut wieder, worauf dieser ihn erst nieder schlägt und dann mit Gift beseitigt?", mutmaßte von Grauhaar. "Das klingt mir wenig überzeugend..." Das von Sepimus eingeworfene "Oder sein Partner!" ignorierte er. "Haben deine Recherchen schon etwas ergeben, Kolumbini?"
Inspäctor, der bisher nur gelauscht und nichts geäußert hatte, schüttelte den Kopf. "Ich habe mir erlaubt, Rekruten hinzu zu ziehen. Jedoch hatten wir bisher keinen Erfolg."
Romulus hatte eine wage Vision von einem Ermittler, der die Füße hoch legte und Anfänger herum scheuchte, sagte aber nichts.


.oO 01. Mai im Jahr des pendelnden Lamas (Sechs Monate zuvor) Oo.

"Gürtel, bist du da?" Die dünne Stimme wurde begleitet von einem zaghaften Pochen.
Sebulon lächelte. "Komm herein, Goldi."
Noch während sich die Tür öffnete, fischte der Agent eine zusätzliche Tasse aus dem Regal und stellte sie zu der Eigenen neben den dampfenden Kessel. "Ich, äh, hoffe ich störe nicht?"
"Du störst nie", erwiderte der Sohn von Samax lächelnd, er hatte auffallend gute Laune. "Schau nicht so! Ich habe vor wenigen Minuten eine Akte geschlossen und wollte mir nun eine Pause gönnen."
Braggasch schob sich zur Gänze ins Zimmer. "Ich dachte, nachdem ich bei deinem Selbstverhör so, äh, unangemeldet..."
"Es war genau das, was ich brauchte." Über die Miene des Schwarzbärtigen huschte leiser Kummer. "Du warst nicht oft bei mir seit des... Vorfalls."
Sein Freund nickte und setzte sich ungefragt auf den Besucherstuhl. "Ich... Es... Ich... Äh... Es tat weh", gestand er vorsichtig. "Außerdem ist mein, äh, Bruder bereits acht Monate in Ankh-Morpork."
"Ich weiß." Der kurze verwirrte Blick Goldwarts ließ Sebulon auflachen. "Selbst wenn es nicht mein Dschob wäre genau solche Dinge in Erfahrung zu bringen - er arbeitet von Anfang an in deiner Taverne. Du hast uns sogar mal vorgestellt!" Sorge wallt auf. "Ist alles in Ordnung mit dir, Tg'w'lim'cha?"
Der Späher lächelte säuerlich. "Naja, er macht mich schon manchmal ein wenig wütend..."
"Er hat ein äußerst offenes Gemüt", erwiderte sein Gesprächspartner vorsichtig und goss Tee ein. "Aber das meinte ich nicht. Du scheinst vewirrt. Abwesend."
"Äh, ich hatte einen seltsamen Traum..." [3]
Sebulon schob ihm die Tasse herüber. "Denkst du ich bin der Richtige für ein püschologisches Gespräch?"
Der Blondgelockte schüttelte mit dem Kopf und zuckte kurz darauf die Schultern. "Ich wollte nur gerne mit jemandem, darüber reden."
"Was war es für ein Traum?"
"Es... äh... ging um einen Schmetterling. Ich habe eine Geschichte darüber geschrieben, mit Jargon zusammen. Es geht darum, äh, dass er sehr lange in seinem Kokon bleibt und auf den richtigen Moment wartet zu fliegen... Und als er es tut, wird er fast gefressen. Nun, äh, naja, in meinem Traum wird er wirklich gefressen, aber nicht in der Geschichte... äh..." Braggasch hatte sich selbst durcheinander gebracht und brach ab.
"Möchtest du fliegen, Goldi?"
"Möchte das nicht jeder?"
Samax Sohn schüttelte mit leisem Lächeln den Kopf. "Ich bin fest mit der Erde verankert."
Nachdenklich genehmigte sich der Dünnere der beiden einen Schluck des Heißgetränks. "Was, äh, wenn der Traum etwas zu bedeuten hat?"
"Für dich?"
"Ja."
"Als Püschologe würde ich sagen, dass du Angst hast den richtigen Moment zu verpassen etwas Großes zu leisten. Als Freund sage ich dir, dass du dein Leben oft genug für das Wohl anderer eingesetzt hast. Du hast dich Vampiren entgegen gestellt und sperrst sogar einen finsteren Kobold in deinem Kopf ein. [4] Es war nur ein Traum. Denk nicht weiter darüber nach." Sebulon beugte sich über den Tisch und legte seinem Freund die Hand auf die Schulter.
Dieser lächelte dankbar und versuchte den Rat in die Tat umzusetzen. "Und... wie, äh, geht es dir?"


.oO 09. Ekel im Jahr der trudelnden Maus (Gegenwart) Oo.

Sanft senkten sich die Flocken auf die zugefrorene Erde. Es war einer jener wenigen Morgende, an denen der Moloch schön aussah. Die gerade aufgehende Sonne beleuchtete die dicht mit Weiß verhangene Stadt, ihr träges Licht zwängte sich in verschneite Gassen und schwappte über glitzernde Dachgiebel. Der allgegenwärtige Schnee dämpfte die letzten nächtlichen Geräusche zu einem Flüstern ab.
Zufrieden mit seiner Arbeit ließ Kunbert das verschnürte Bündel Kerzenleuchter in eine Verwehung sinken. Sie wollten also den jährlichen Betrag nicht zahlen? Kein Problem - die Gilde holte sich das Hundertfache. Es folgte ein Lederetui mit gestohlenem Schmuck, wenn auch hauptsächlich aus Kupfer und Halbedelsteinen, sowie eine recht wertvolle Geige, welche sicherlich ein Erbstück darstellte. Die Metzger besaßen nicht viel. Nun besaßen sie weniger.
Mit dem beschwinglichen Gedanken gute Arbeit geleistet zu haben vertsaute Kunbert die Habseeligkeiten in einem mitgebrachten Sack und schwang sich diesen über die Schulter. Ein Scheppern ertönte... Doch stammte dies nicht von dem Diebesgut.
Der Einbrecher stierte in den Schneefall. Während er mit der Linken den Sack auf dem Rücken hielt, zog die rechte Hand seinen altgedienten Knüppel.
Rot glühende Augen schälten sich aus der Umgebung, begleitet von einem rythmischen Stampfen und dem Geruch nach Schwefel.
Der Dieb knurrte und ließ die Beute nun doch fallen. "Ich weiß, wer du bis', Dämon. Glaubs' ich hab Angs' vor dir?"
Mit einem Knirschen kam sein Gegner keine fünf Schritte von ihm entfernt zu stehen. Kunbert meinte das matte Glänzen von Metall zu erkennen sowie Rauch, der aus dem Rücken des Untiers stieg. "Nein", antwortete es blechern. "Dafür bist du anscheinend zu dumm."
"Pass auf, was du sags'!", bellte der kräftig gebaute Mann. "Wärs' nich' der Erste, der den Knüppel spühr'!"
"Du bist unnötig brutal", sagte der Dämon. "Du meldest dich gerne freiwillig für die Opfer, die bereits zu wenig haben. Du quälst."
"Hasse die Anderen auch totgequatsch'?", höhnte Kunbert und schwang den Knüppel für einen kräftigen Hieb.
Der erste Schlag zertrümmerte ihm den Unterarm und prellte ihm die Waffe aus der Hand, der Zweite trieb ihm die Luft aus dem Leib und zerquetschte einige Organe. Mühelos wurde der Einbrecher angehoben und an die Wand des Hauses gedrückt, welcher er soeben noch um Teile der Einrichtung erleichtert hatte.
"Du wurdest oft gefangen genommen und machst dennoch immer weiter. Jemand wie du wird sich niemals bessern." Dann fuhr die gepanzerte Faust auf sein Gesicht herab. Einmal, zweimal, dreimal.


.oO 15. Ekel im Jahr der trudelnden Maus Oo.

Der Kommandeur krallte sich nahezu in sein Pult. "Der Patrizier hat uns die Erlaubnis erteilt, eine groß angelegte Suchaktion an den Rändern des Ankh und seiner Hauptkanäle durchzuführen. Hierfür wird jeder auch nur irgendwie abkömmliche Wächter eingesetzt."
Die Abteilungsleiter nickten.
"Gut, dann..."
"Sör?", unterbrach Rea Dubiata.
Breguyar knirschte mit den Zähnen und fixierte die Hexe. "Ja? Was noch?"
"Bevor jetzt alle losstürmen: Es gab eine Interessante Zeugenaussage zu dem betreffenden Fall."
Romulus hob beide Brauen. "Von wem?"
"Frau Metzger."
Der Abteilungsleiter von RUM schüttelte den Kopf. "Sie wurden am Tag der Tat befragt und gaben an, im Schlaf bewusstlos geschlagen worden zu sein."
"Sie hatten Angst", erwiderte seine Kollegin von SEALS trocken. "Aber wer täglich halbe Hammelhälften durch die Gegend hieft, ist robust gebaut - und offensichtlich nach ein wenig Bedenkzeit auch mutig. Die Frau stellte sich während des Einbruchs ohnmächtig und konnte so ein Gespräch belauschen, wie sie der heute Mittag in der Gegend Streife laufenden Gefreiten Major anvertraute. Eine exakte Wiedergabe war ihr nicht möglich, doch sie schwört, eine Stimme vernommen zu haben, die klang, als würde der Kopf in einem Kochtopf stecken."
"Ein Kochtopf?", echote Magane.
"Laut eigener Aussage ist es eine bei ihr beliebte Bestrafung, wenn Herr Metzger und sie unterschiedlicher Meinung sind..."
Araghast rieb sich die Schläfen. "Konnte sie sich denn an irgendeinen groben Wortlaut erinnern?"
"Oh ja", bestätigte Dubiata. "Sie schwört, der Unbekannte hätte den Dieb mehrerer Vergehen beschuldigt und schließlich zum Tode verurteilt."
"Also doch ein Held...", stöhnte von Grauhaar.
"Ein Held mit Helm", ergänzte die Abteilunsleiterin von SUSI.
Glum Steinstiefel, der sich bei solchen Treffen der Schönen und Mächtigen selten einmischte, ließ ein nachhaltiges Räuspern hören. "Hat die gute Frau Metzger auch gesagt, warum ihr das dann doch so plötzlich eingefallen ist?", murrte er.
"Wie ich bereits sagte: Angst." Rea wandte sich dem Zwerg zu. "Zuerst vor dem Mörder. Einige Tage darauf zunehmend vor einer eventuellen Vergeltung der Diebesgilde. Deshalb wollen die Metzgers, dass der Kerl so schnell wie möglich geschnappt wird."


.oO 03. Offel im Jahr der trudelnden Maus Oo.

Langsam schlenderte Kolumbini den Gang des Wachhauses hinab. Fast vier Tage hatte die Suchaktion beansprucht. Zuerst an den Ufern des Flusses, schließlich am Hafen. Dort war man tatsächlich fündig geworden, hatte ein altes, aufgebrochenes Kontor entdeckt und auch Spuren, die auf den Gildenmörder hinwiesen. Es war offenkundig sein Versteck gewesen... Doch von dem behelmten Killer fehlte jede Spur.
Soweit der Ermittler wusste, war das Gebäude von untern bis oben auf den Kopf gestellt worden. Man hatte getrocknete Reste von Waschwasser sowie Ölspuren gefunden. Obwohl die wacheeigenen Werwölfe und neuerdings -hunde jeden Winkel durchschnüffelt hatten, musste man einsehen, dass ihr Gesuchter offensichtlich sehr gründlich Terpentin versprüht hatte, um jede noch so auffällige Nuance zu überdecken. Der Lance-Korporal Schneidgut, welcher am wenigsten Erfahrung mit seinen erst kürzlich 'erworbenen' Fähigkeiten hatte, musste aus diesem Grund sogar mit beginnenden Halluzinationen von der Aktion abgezogen werden. Heute vormittag erst konnte der Besitzer des Kontors ausfindig gemacht werden. Der halbblinde Fischer gab an, dass Grundstück geerbt zu haben, jedoch seit vielen Jahren dort nicht mehr gewesen zu sein, da es für eine Nutzung hätte vollständig renoviert werden müssen. Insgesamt waren sie also in etwa so schlau wie zuvor.
Inspäctor klopfte an die Bürotür, als niemand antwortete trat er ein.
Von Goldwart waren nur die Beine zu sehen, der Rest steckte unter einem wuchtigen, mit allerlei Rädern, Seilen ud Platten versehenen Regal. Der Eindringling nutzte die Zeit für einen umfassenden Blick über das allgemeine Chaos, dann meinte er ruhig: "Korporal?"
Ein Leises Klong verriet den Kontakt eines Helms mit einem Brett.
"Äh... Sör?", ertönte es unsicher.
"Ich hätte eine kurze Frage an dich..."
Braggasch machte keine Anstalten hervor zu kriechen. "Ja...?"
Der Chief-Korporal legte den Kopf schief. "Würde es dir etwas ausmachen, deine... Arbeit für einen kurzen Moment zu unterbrechen?"
Der Liegende zögerte. "Das, äh, ist hier alles sehr empfindlich... äh... Ich arbeite schon sehr lange an dieser Ablage... Die Federung ist fast perfekt kalibriert und die Hauptzugkurbel..."
"Wie du meinst." Kolumbini blickte auf die Akte in seinen Händen hinab. "Ich konnte in den Archiven kürzlich einige Hinweise zu einem Fall entdecken, in welchem bereits einmal selbst ernannte Helden die Stadt tyrannisiert haben. Sie nannten sich Ankh-Män. [5] Sagt dir das etwas?"
"Ja, äh, natürlich", erklang es unter dem Regal. "Ich war... äh... dabei."
"In der Tat. Wenn ich mich nicht irre, warst du auch der Erfinder von etwas, das als, ich zitiere, 'Eisen-Män' bezeichnet wurde."
Dieses mal war das Zögern deutlich länger. "Ja, äh, Sör. Äh... es war eine Rüstung."
"Mit Helm?"
"Natürlich..."
"Soso... Hältst du es für möglich, dass diese... Rüstung nachgebaut werden könnte und dem gesuchten Gildenmörder dient?", fragte der Ermittler weiter.
Etwas surrte und die Füße von Burkhards Sohn zuckten leicht. "Ich, äh... äh... Ich bewahre alle Baupläne in meinen Tresoren auf. Dort sind sie absolut sicher..."
"Eventuell hat sie jemand neu entworfen?"
"Seinerzeits nutzten wir ein, äh, Ei."
Kolumbini zog verwirrt die Brauen zusammen. "Ein Ei?"
"Ja. Es, äh, es war eine Art Energiequelle. Ich konnte nicht wirklich herausfinden wie es funktionierte. Ohne dieses Ei wäre die Rüstung niemals in der Lage gewesen die hydraulischen Verstärkungen ausreichend..."
Inspäctor unterbrach ihn abermals. "In deiner vor einigen Monaten verfassten, umfassenden Auflistung der möglichen mechanischen Täter erwähnst du ein Gefährt, welches offenbar über eine neue Form des Antriebs verfügt, welcher - Wie auch immer - hauptsächlich Öl und hochprozentigen Alkohol verwendet. Feldwebel Magane zog dich, wenn ich mich nicht irre, zu einem entsprechenden Fall hinzu. [6] Könnte so etwas dieses... Ei ersetzen?"
Als Goldwart zu einer Antwort anhob, schwang unverkennbar eine gewisse Bewunderung mit. "Das wäre eventuell, äh, möglich, Sör."
"Danke, Korporal. Du hast mir sehr geholfen."
Erst etliche Augenblicke, nachdem Braggasch die Tür in das Schloss hatte fallen hören, erlaubte er sich aufzuatmen. Während er die zitternden Finger massierte, dankte er im Stillen dem Regalboden, welcher sein unzweifelhaft schuldbewusstes Gesicht vor den Augen des Ermittlers verborgen hatte.


.oO 19. Mai im Jahr des pendelnden Lamas (Acht Monate zuvor) Oo.

"Schön hast du es hier", murmelte Hauptgefreiter Schmelz mit einem Hauch von Melisse. Zwar war er bereits oft in dem speienden Drachen gewesen, doch hatte sie sich seit dem Eintreffen von Braggaschs Bruder deutlich gewandelt - und das nicht unbedingt zum Negativen. Wenig überraschend hatte Grabbasch Goldwart mit einer gezielten Einrichtungsveränderung dafür gesorgt, dass der Ort für traditionsreiche Zwerge deutlich heimeliger wurde. Äußerst überraschend hatte sich hingegen herausgestellt, dass der Bergmann ein guter Koch zwergischer Spezialitäten war. Manche Gäste schworen, niemals eine derart saftige Ratte am Spieß gegessen oder ein ähnliches formschönes Zwergenbrot angesehen zu haben.
Die Folge war natürlich ein hauptsächlich zwergisches Klientel.
Braggasch nickte nur gedankenversunken und zog einen Schwanz aus seiner Pastete.
Menélaos war offensichtlich nicht der einzige Mensch, der ein Intresse an der zwergischen Küche gefunden hatte: Direkt am Nebentisch saß ein junges Paar, welches sich sowohl einen Humpen Bier als auch eine Rattenpizza teilten. Der Kondichemiker lächelte in sich hinein, doch dann spitze er misstrauisch die Ohren.
Goldwart schien die Nachbarn bisher nicht wahrgenommen zu haben. Gemächlich zutzelte er sein Fundstück aus, während der Blick ins Leere starrte. Erst, als ihm der säuerliche und für das Etablissement gänzlich unpassende Geruch von Zitrone in die Nase stieg, blickte er fragend zu seinem Kollegen und Freund seit der Rekrutenzeit.
Dieser hatte eine steife Haltung angenommen und lauschte offensichtlich angestrengt.
Als der Späher sich konzentrierte, konnte auch er das Gespräch von Nebentisch erhaschen.
"... hat die alte Pute doch endlich noch einmal ein Ei gelegt."
"Richtig, ein prächtiges noch dazu. Ärgerlich sind natürlich die vier Gänse, die immer mit ihr herumwatscheln und jedesmal laut zu schnattern beginnen, wenn man ihr und dem Ei zu nahe kommt."
"Gänse haben keine Zähne. Größere Sorgen macht mir, dass die Pute ihr Nest jetzt unweit vom Vielfraßbau aufgeschlagen hat."
"Aber auch Geflügel muss essen. Wenn wir also..."
Die weiteren Worte gingen darin unter, dass Grabbasch ein halbes Dutzend Zwergen an einem Ecktisch dazu ermutigte, mit ihm das Gold-Lied zu singen.
"Äh... was ist?", erkundigte sich Goldwart bei dem Hauptgefreiten.
Dieser schüttelte den Kopf und entspannte sich langsam. "Nichts weiter. Hast du gehört was die beiden links von uns beredet haben?", fragte er leise.
"Naja... es, äh, sind Bauern oder so..."
Menélaos lachte und der Rest Zitrone verflog. "Nein, Brags. Es sind Diebe, die einen neuen Beutezug planen. Sie nutzen Diebessprache."
Verwirrt runzelte Burkharts Sohn die Stirn. "Dann sollten wir sie aufhalten, bevor sie... äh..."
"Nein", entgegnete der Szenekenner kopfschüttelnd. "Hast du nicht ihre Abzeichen gesehen? Sie gehören zur Gilde. Wahrscheinlich ist es ein offizieller Auftrag."
"Das ist einfach nicht richtig..."
"Glaub mir, ich finde es ebenso verwerflich wie du." Schmelz zuckte unglücklich mit den Schultern. "Aber was sollen wir machen? Die Stadt funktioniert halt nur so. Du weißt genau, dass wir mittlerweile so wenige sind, dass wir einzeln Streife laufen müssen um überhaupt noch das Ruhten-Kontingent zu erfüllen. Wenn die Gilden kein Auge auf die unlizensierten Verbrechen halten würden... Naja, wahrscheinlich würde hier bald alles in Flammen aufgehen. Hörst du mir überhaupt zu?"
Das tat Braggasch nicht. Seine Gedanken kreisten. "Ich bin ein Wächter...", murmelte er. "Ich bin ein Schmetterling..."
Sein Freund beugte sich herunter um besser hören zu können. "Wie bitte?"
Goldwart winkte ab, ohne den Gedanken loszulassen. "Nichts..."


.oO 03. Offel im Jahr der trudelnden Maus Oo.

Als Sebulon das vollgestopfte Zimmer betrat, saß Braggasch auf seiner Pritsche, drehte seinen achtundreißiger Winklerantsch in den Händen und starrte an die Wand.
"Na, kleiner Schmetterling?", riss ihn der Agent milde aus den Gedanken.
Der Angesprochene schreckte auf und starrte seinen Besucher aus großen ängstlichen Augen an. "Was?"
Samaxsohn lächelte, doch es lag Sorge darin. "Ganz ruhig, Goldi. Du hast mir vor fast einem Jahr eine Geschichte erzählt, weißt du noch? Von deinem Traum?"
"Äh... Ja...?", antwortete der Späher unsicher und noch immer leicht panisch.
Sebulon ließ sich mit einem unguten Gefühl auf dem Rand der Pritsche nieder. "Es ist schade, dass ihr den Täter nicht finden konntet", meinte er langsam. "Chief-Korporal Kolumbini hat heute einen Bericht vorgelegt, in dem er sehr detailliert schildert, womit wir es seiner Meinung nach zu tun haben. Er vergas auch nicht deine Hilfe lobend zu erwähnen... am Rande. Der Kommandeur hat seine These als die momentan sinnvollste erklärt." Unbewusst tätschelte er das verspannte Bein des Freundes. "Was meinst du? Ihr habt einen guten Tag am oberen Ankh gesucht, dann einen Halben an seinen Ausläufen und den Rest im Hafen... Wie schnell wird der Täter von der Suche erfahren haben? Reichte ihm die verbliebende Zeit um ein so gewaltiges und auffälliges Konstrukt wie eine mechanische Rüstung samt neuwertigen Antriebes unbemerkt durch eine von Wächtern wimmelnde Stadt zu einem anderen Ort zu transportieren? Zudem anschließend noch das ganze Gebäude vor den Spührnasen zu sichern?"
Braggasch zuckte nur krampfhaft mit den Schultern.
Der IA-Stammagent zögerte. "Mittlerweile konnte RUM die meisten Tathergänge wohl recht gut rekonstruieren... Nur der Mord an dem Wärter bereitet ihnen weiterhin Kopfzerbrechen."
Goldwart schlug entsetzt die Hand vor den Mund. "Äh... Es... Es, äh, wurde ein, äh...."
"Ja", nickte sein Freund. "Er wurde vergiftet. Nun, zuerst wohl zusammen geschlagen und dann vergiftet."
Die wässrig grünen Augen, die Sebulon aus dem bleich gewordenen Gesicht anstarrten, sprachen von einem namenlosen Schrecken... und einer großen Schuld.
Der Sohn des Samax schloss die Augen. Er wünschte sich sehnlichst, er wäre seiner Intuition heute nicht gefolgt. Er wünschte, er hätte Menélaos besorgten Worte vor vielen Monaten über das ungewöhnliche Verhalten Braggaschs vergessen. Er wünschte er würde seinen Freund nicht so gut kennen und genau wissen, das er bereits in Extremsituation zu Gewalt gegriffen hatte. Er wünschte... Er würde keine Beweise für seine Vermutung finden. "Wenn ich es richtig mitbekommen habe...", murmelte Sebulon unendlich langsam. "Hat Frau Kostspiel vor einigen Wochen Selbstmord begangen... Wahrscheinlich um den Druck auf die Wache zu erhöhen oder auch nur, weil sie ohne ihren Mann nicht leben wollte. Auch die Metzgers machen Druck... Obwohl der Täter sie vor dem Raub bewahrt hat wollen sie, dass er gefasst wird..." Die gequälte Grimasse Goldwarts bereitete ihm unglaubliche Pein, dennoch zwang er sich weiter zu sprechen. "Wenn diese Morde doch endlich aufhören würden... Wenn der Täter doch einsehen würde, dass man auf diese Art keine Gerechtigkeit verbreitet..."
Braggasch antwortete nicht. Hätte wahrscheinlich nicht ein mal Worte gefunden, wenn er es gewollt hätte.
"Du brauchst Ruhe", beschied ihm der Schwarzbärtige leise. "Ich gehe besser."
Er legte kurz die Hand an die dünn behaarte Wange und ging dann steif hinaus.


.oO 04. Offel im Jahr der trudelnden Maus Oo.

Mit gemischten Gefühlen ließ sich Sebulon auf dem Barhocker nieder.
Grabbasch trat aus der kleinen Küche und rieb sich die Hände dabei an einem Tuch ab. "Was willst du trinken?", begrüßte er den Agenten rau.
"Ein Bier wäre für den Anfang gut", antwortete dieser mit einem falschen Lächeln. Der speiende Drache war vollkommen leer - was nicht unüblich war zu solch früher Stunde. "Wo ist eigentlich Harrasch? Hat er sich über deine Hilfe gefreut?"
Der muskulöse Sohn Burkhards hebelte ein Fass auf und tauchte zwei Krüge hinein. "Hat sich mittlerweile an mich gewöhnt, die alte Hakenhand."
"Du hast ihm die Nase gebrochen, stimmts?"
"Zweimal", grinste der älteste der Goldwarter Söhne und knallte Sebulon eines der Gefäße hin.
"Und du?", wollte der Wächter wissen und gönnte sich einen Schluck. "Mittlerweile eingelebt nach anderhalb Jahren?"
Grabbasch zuckte mit den Schultern und leckte sich Schaum vom Bart. "Es gibt immer noch einiges, was ich nicht leiden kann an dieser Stadt. Beispielsweise irgendwelche Fatzges, die meinen, ich wäre ein Vollidiot und würde nicht merken, dass sie nur hier sind um mir irgendwelche Fragen zu stellen."
Samax Sohn seufzte. "Wie du willst. Ich mache mir Sorgen um Braggasch", gab er offen zu. "Hast du ihn im letzten Jahr öfters hier gesehen? Hat er sich ungewöhnlich verhalten?"
Der Wirt und Koch in Personalunion musterte seinen Tresengast aufmerksam. "Hat hin und wieder nach dem Rechten geschaut, manchmal auch was gegessen, ein oder zweimal sogar mit Kollegen. Oft würde ich aber nicht grade sagen. Und ungewöhnlich? Er ist Braggi! Der ist immer ungewöhnlich!"
"Auf eine... Braggaschunübliche Art und Weise, meine ich."
"Was soll das werden?", schnauzte Goldwart und lehnte sich auf den Tresen. "Hat es was mit dieser Gildenmördersache zu tun, von der alle reden? Braucht ihr jetzt ein schwarzes Schaf, weil ihr es von der Wache einfach nicht gebacken bekommt, den Kerl zu fassen - und mein Brüderlein soll jetzt der Wächter sein, der es verbockt hat und von den Bürgern zerissen werden darf?"
Sebulon blickte ihn entsetzt an. "Nein. Das war nicht Grund meiner Frage..."
"Und was dann?"
"Nun... Fakt ist, dass er seit Beginn dieser Sache einige Verhaltensänderungen aufweist..." Das konnte er zwar nicht wirklich belegen, doch als Behauptung würde es seinen Zweck erfüllen.
"Pah!", machte Grabbasch, kippte das restliche Bier hinunter und warf den Holzkrug ins Waschbecken. "Wir reden hier von Braggasch Burkhardssohn Goldwart, ja? Von Goldlöckchen? Von Zimperlinchen?"
Der Agend machte eine ärgerliche Handbewegung. "Wenn du ihn so nennen willst."
Der Zwerg hinter dem Tresen stemmte die Fäuste in die Seite. "Hör mal zu, du Kameradenschwein: Wenn Braggi irgendwelche, wie nennts du es, Verhaltensänderungen deswegen bekommt, dann deshalb, weil es ihn wahrscheinlich ganz schrecklich traurig macht und er am liebsten den ganzen Tag weinen würde weil die Welt so schlimm ist. Er ist ein Weicherz! Der könnte nichtmal einen Menschen im Armdrücken schlagen, geschweige denn jemandem weh tun! Der jammert ja schon los, wenn ich hier jemanden etwas unsanfter vor die Tür setze! Und jetzt kommen Leute wie du und machen sich angeblich Sorgen! Bezahl dein Bier und verzieh dich oder ich verhaltensändere dich gleich!"
"Wo warst du eigentlich zu den Zeitpunkten der Morde?", entgegnete Sebulon völlig ruhig.
"Kein Plan, dafür müsste ich ja wissen, wann die waren", schnauzte sein Gegenüber. "Aber wahrscheinlich war ich entweder hier und habe dafür etliche Zeugen oder ich war da hinten und habe geschlafen... Was dann natürlich keiner beweisen kann. Dann könnt ihr mir gerne was an den Schuh haften!"
Der Wächter nickte langsam, erhob sich und warf einige Münzen auf den Tresen. "Der Rest ist Trinkgeld."
Ohne auf die gemurmelten Zwergenflüche zu achten verließ Sebulon Samaxsohn die Taverne. Er wusste, dass Grabbasch als Gildenmörder kaum in Frage kam - manche der Morde waren zu Zeiten geschehen, in denen der speiende Drache üblicherweise noch gut besucht war. Was war mit seinen Worten? Hatte der unaustehliche Bruder seines Freundes recht? Sich Braggasch als skrupellosen Killer vorzustellen, war mit etwas klarerem Kopf jenseits des Möglichen. Wahrscheinlich war der Agent einfach ein wenig überarbeitet oder litt noch an Schuldgefühlen aufgrund des eigenen fingierten Todes. Wie konnte er auf den Gedanken kommen, dass sein Freund etwas mit den Taten zu tun gehabt haben könnte? War das nicht recht albern?
Eine warnende Stimme in ihm rief, dass er dies alles nicht zu locker sehen dürfe und die Indizien vergas, welche zu seiner Befürchtung geführt hatten. Sebulon versuchte zwanghaft sich an die vielen schönen Jahre zu erinnern, die er mit Braggasch verbracht hatte, und diese bohrende Stimme zu ignorieren... Doch er konnte es nicht. Im Endeffekt war er eines: Agent der Intörnal Affärs.
Er investierte etliche Tage darin, Rekruten ausfindig zu machen, welche an den Zeitpunkten der Morde Tresendienst hatten. Er verhörte sie, brachte einige von ihnen an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Er verglich die Aussagen, zeichnete ein Diagramm, bohrte tiefer... Und schließlich überkam Sebulon eine tiefe Erleichterung. Sowohl während des Mordes des Assasinen Kostspiel als auch jener der Anwältin und des Wärters hatte sich Goldwart nachweislich innerhalb des Wachhauses aufgehalten. Einmal wusste einer der Rekruten gar zu berichten, dass er ihn fast zwei Stunden an einer einzigen Tasse Kakao in der Kantine habe sitzen sehen - genau in der Phase der Nacht, in welcher laut Pathologie der Tod Frau Stracks fiel.
Samax Sohn verfasste eine Notiz, lehnte sich zurück... Und gab sich den bohrenden Schuldgefühlen hin, einen Freund verdächtigt zu haben. Hatten alle Recht? War er letzendlich doch ein Kameradenschwein...?


.oO 25. Offel im Jahr der trudelnden Maus Oo.

Die elegante zwergische Dame erhob sich und straffte die kaum traditionell geschmiedeten Kettenhemdsärmel. "Ah, du kommst spät."
Dampfend und quietschend kam die Rüstung zum stehen.
"Nun, Eisen-Män, ich habe eine weitere Information für dich. Es ist wieder ein Dieb, der..."
Eine helle Stimme aus einer dunklen Ecke des Treffpunkts, eines Lagershauses für Holz, unterbrach sie, begleitet von dem Zischen einiger Ausgleichventile des noch immer sprachlosen Konstrukts: "Warum hast du den Hauswächter umgebracht?"
Arabella zauberte ein elegant-verdutztes Gesicht hervor. "Wie meinen?" Sie blickte in Richtung der Stimme und schaffte es sämtliche Überraschung zu unterdrücken.
"Warum du den, äh, Wärter bei der Anwältin umgebracht hast!", forderte Braggasch Goldwart mit einer Mischung aus Wut und Jämmerlichkeit. Langsam und auf leisen Sohlen trat er in den Schein der Kerze.
"Ich fürchte hier liegt ein Missverständnis vor..."
"Kein Missverständnis." Eisen-Män erhob nun das erste mal blechern und tief seine Stimme. Drohend machte er einen stampfenden Schritt auf sie zu. "Warum?"
Die Informantin bewahrte eine professionelle Ruhe. "Ich wollte dich nicht damit belasten, doch wenn du darauf drängst: Es war eine Notwendigkeit aufgrund deines Fehlers."
Die wandelnde Rüstung verharrte regungslos. "Mein..." Düster glühte der Treibstoff durch das Sichtfenster des Antriebs auf dem Rücken.
Mit einer bedauernden Geste öffnete Arabella die Hände. "Im Allgemeinen bist du hinter deine Maske unsichtbar... einzig und allein dieses Ding... Doch als Herr Unterzieher um sein Leben bettelte, konntest du den Mund nicht halten. Hast ihm erklärt, was du tun würdest. Hätte Herr Unterzieher überlebt, wäre es einem aufmerksamen Stadtwächter leicht gefallen, anhand der mannigfaltigen Beschreibungen den wahren Täter zu identifizieren. Sie hätten gewusst, dass ein Lebewesen hinter den Morden steckt, nach einigen nachbohren, dass es ein Zwerg war. Dann hätten ihr Spezialisten die Wortwahl analysiert... und so weiter. Ich sah mich in der unangenehmen Situation dein Leben und unsere Zusammenarbeit retten zu müssen."
"Er war, äh, unschuldig!", brach es jämmerlich aus Braggasch hervor, der neben die Rüstung getreten war.
"In der Tat", stimmte seine Gesprächspartnerin zu und wandte sich sofort wieder an Eisen-Män. "Solche Fehler solltest du in Zukunft vermeiden."
Eine gespannte Stille schloss sich diesen Worten an, welche erst von knarrendem Metall unterbrochen wurde, als die Rüstung das Gewicht verlagerte. "Nein. Es gibt keine Zukunft für uns."
Die Zwergin nickte sachte. "Wie genau kann ich das verstehen?"
"Wir werden nicht länger, äh, deine Mörder sein!", antwortete der Späher anstatt des Konstrukts.
Ein Schnauben erklang hinter dem Visier. "Für wen arbeitest du?"
Arabella, falls dies überhaupt ihr richtiger Name war, lachte leise auf. "Wie kommst du denn jetzt auf diesen Gedanken?"
"Leute wie du arbeiten nie allein", war die bestimmte Antwort.
"Hör mal, Eisen-Män: Ich habe akzeptiert, dass du unserer Abmachung monatelang nicht nach kamst, da dein... Mitarbeiter für irgendeine Wächterin Helme entwerfen musste. [7] Doch nun gehst du zu weit." Das Gesicht der feinen Zwergendame hatte sich verfinstert, als sie mit einer abfälligen Handbewegung auf Goldwart deutete.
"Nein", ertönte die dunkle Stimme hinter dem Helm müde. "Ich bin noch nicht weit genug gegangen."
Etwas in der Tonlage des Gildenmörders ließ alle Alarmglocken Arabellas aufläuten. Ohne weiteres Wort wandte sie sich ab und stürmte aus dem Lager.
Eisen-Män legte mit einem geschickten Griff an die hinten befestigte Steuerung einen Hebel um und drehte ein Rad fest, damit die Hauptdampfenergie in die hydraulischen Beinverstärker floss, dann rannte er mit gewaltigen Schritten hinterher. Gegen die Dunkelheit der Nacht schob er das getönte Visier vor, welches ihm ermöglichte Schemen und Bewegungen besser wahr zu nehmen. Auch Braggasch nahm die Verfolgung auf, hielt sich aber vorsichtshalber hinter dem stählernen Verbündeten.
Die Zwergin war weder sonderlich trainiert, noch konnte sie es mit der Erfahrung des Spähers im Verstecken aufnehmen - doch sie hatte den Treffpunkt weise gewählt: Eine kurze Gasse nur trennte das Lager vom Ankh und einem am Kai dümpelnden Boot. Arabella schaffte es einen Haken zu schlagen, was den heranpreschenden Mörder mit einer Wand kollidieren ließ und dazu zwang das Gleichgewicht mit mehreren Ausfallschritten zu wahren. Goldwart musste vor abplatzenden Gestteinsbrocken in Deckung gehen. Unachtsam schüttelte Eisen-Män die Mörtelsplitter ab und setze die Verfolgung fort. Die Informantin nutzte den geschaffenen Moment, um in das wartende Ruderboot zu springen, das Haltetau vom Bug zu reißen und die bereiteten Riemen durch die Kruste des Flusses zu rammen.
Braggasch erkannte, dass er sie nicht mehr rechtzeitig erreichen würde. Auch der Gerüstete kam anscheinend zu diesem Schluss. Sie stoppten beide am Kai und ein wütendes Brummen drang unter dem Helm hervor. Der Wächter jedoch schätzte die Entfernung ab, dann betätigte er wortlos dieselben Hebel an seiner Schöpfung, welche diese auch vor einigen Monaten auf den Balkon des Kaufmanns befördert hatten. Druck wurde umgeleitet, der Ausstoß verhindert. Eine kleine Anzeige am Arm der Rüstung schickte ihren Überdruckzeiger in den roten Bereich und meldete damit die Lebensbedrohliche Situation. Metall stöhnte, Kolben rieben aufeinander, die Holzbohlen unter den verlängerten Panzerschuhen knarrten bedrohlich.
"Tauchmodus", kam es hektisch von Braggasch.
Ohne zu zögern blies der Gildenmörder kräftig in das hinter dem Visier montierte Schlauchstück, damit sich die Isolation des Helms aufblähte und somit das Eindringen von Ankhwasser verhinderte. Ein weiterer Handgriff Goldwarts löste die Reisleine für den angebrachten Gummischlauch [7a] mitsamt Schwimmer, der sich daraufhin schlaff entrollte.
"Äh, Bereit?" Als Antwort ging die Rüstung langsam und mit trommelfellhäutendem Quietschen in die Knie. "Noch nicht...", murmelte der Späher. "Noch nicht... Äh... Jetzt!" Kräftig drückte sich Eisen-Män ab und katapultierte hunderte Kilogramm Stahllegierung in die Luft.
Noch im Flug verschob er den Knauf, der sämtliche Luftzufuhr in den Verbrenner abschnitt - fast augenblicklich erstarb das Feuer seines Exoskeletts. Nun würde der Dampfdruck nur noch für einige gut kalkulierte Bewegungen ausreichen. Atemschlauch und Schwimmer flatterten wie ein Schweif hinter dem Konstrukt her.
Arabella erkannte zu spät, was da durch die Nachtluft auf sie hernieder kam, während sie mit kräftigen Zügen auf den Fluss hinaus paddelte. Burkhards Sohn hatte gut gezielt: Holz splitterte, Schlamm spritze auf und eine dunkle Frauenstimme schrie.


.oOo.

Klack.
Goldwart murmelte leise etwas undeutliches und zog den Funkengeber, ein langes Metallstück, welches am Brenner der dampfbetriebenen Rüstung montiert war, wieder zurück. Nur um ihn mit möglichst viel Wucht wieder hinein zu stoßen.
Klack.
Leise tropfte Ankh-Wasser, von matschenden Geräuschen begleitet, von Eisen-Män auf den Lagerhausboden. In einer gepanzerten Faust hielt er die bewusstlose und stark blutende Zwergin an ihrem Kettenhemd gepackt, doch schien auch er nicht in der Lage zu sein sich zu bewegen.
Klack.
Endlich erwachte ein Funke hinter dem kleinen Sichtfenster und setzte sofort das Brandgemisch in Flammen. Wassertanks erhitzten sich. Hochkonzentriert ließ Braggasch über etliche Kurbeln, Rädchen und Hebel den ersten Druck kontrolliert entweichen, während die Rüstung knarzend ihre Funktion wieder aufnahm.
"Das war knapp. Dachte schon ich komme gar nicht die Kaimauer hinauf", ertönte die metallene Stimme hinter dem Helm.
"Ja... äh...", erwiderte Goldwart, noch immer arbeitend und Werte prüfend.
Eisen-Män hob versuchsweise die ohnmächtige Arabella an. "Ist was anderes sich mit dem Fluss treiben zu lassen und die Hafentreppen am Meer hoch zu stapfen, als sich aus dieser stinkenden Brühe zu ziehen."
Der Späher antwortete nicht.
Mit leisem Ächzen meldete die Zwergin ein beginnendes Erwachen.
Das metallene Exoskelett packte sie mit beiden Fäusten und drückte sie an einen Holzstapel. Sie stöhnte und schlug die Augen auf. Mit stiller Furcht starrte sie auf das mitleidslose Visier.
"Für wen arbeitest du?", wiederholte Eisen-Män seine Frage.
Arabella schüttelte den Kopf. "Sie würden mir weit schlimmeres antun, als ihr beide könnt", murmelte sie schwach. Blut lief aus einer Platzwunde am Haaransatz über eines der Augen.
"Willst du es ausprobieren?" Knurrte der Gildenmörder grob.
Braggasch legte eine Hand auf den gepanzerten Arm. "Äh, nicht."
"Was ist?"
"Es ist genug geschehen. Ich, äh, will nicht mehr. Keine Folter. Keine Angst." Goldwarts große, wässrige Augen blickten den selbsternannten Helden flehend an.
Die Zwergin lachte gehässig, mit einem Anflug von Wahnsinn. "Bevor ich euch gefunden habe, brachtet ihr zwei Diebe um, die kaum etwas getan haben! Aber nun traut ihr euch nicht jemandem ein paar Schmerzen zuzufügen?"
"Es war ein Versehen! Wir wollten ihnen nur, äh, Angst machen, sie auf den... Richtigen Weg bringen! Aber die Kraft der Rüstung war zu stark! Und dann, äh, schrie er... und..." Die weinerlichen, entsetzten Worte des Spähers erstarben und ließen eine anklagende Stille zurück.
"Ich habe euch daraufhin wenigsten richtige Opfer gesucht", brach Arabella das Schweigen. "Solche, die es verdient hatten. Ich kann es weiterhin tun, ihr müsst nur..."
Eisen-Män schnitt ihr das Wort ab, indem er mit düsterer Stimme an Braggasch gewandt fragte: "Was tun wir jetzt?"
Dieser musterte die verstummte Zwergendame lange und unglücklich. "Wir geben der Stadtwache einen Gildenmörder."


.oO 26. Offel im Jahr der trudelnden Maus Oo.

Der Stammagent klopfte kurz und trat auf die dumpfe Aufforderung hin ein.
Araghast Breguyar stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen am Fenster und blickte hinaus. "Hauptfeldwebel", begrüßte er Sebulon.
Dieser salutierte ungesehen. "Sör."
"Gestern Nacht gab es einen Brand nahe des Flusses."
"Ich hörte davon. Ein Lagerhaus, nicht wahr?"
Der Kommandeur wendete sich seinem Besucher zu. "Richtig. Es wurde kein größerer Schaden angerichtet, außer dem Verlust von einigen Klaftern Bauholz."
Der Sohn des Samax nickte und musterte seinen Vorgesetzten fragend.
"Brandursache war offensichtlich ein... Gerät", fuhr Breguyar fort. "Genauer gesagt eine Vorrichtung, die wie eine Rüstung getragen werden konnte und eine Art Ofen auf dem Rücken trug. Korporal Goldwart untersucht gerade die Überreste, konnte aber bereits melden, dass dieses Ding seines Erachtens nach explodierte. Er faselte etwas von Überdruck und möglicher Fehlfuktion. In dieser Rüstung steckte die stark verbrannte und teils zerissene Leiche eines Zwergs. Der erste pathologische Befund zeigt, dass es sich um einen weiblichen Zwerg handelte. Spuren in der Umgebung des Lagerhauses lassen darauf schließen, dass es eine Auseinandersetzung gegeben hat, doch gibt es keine weiteren Tote. Laut Oberfeldwebel von Grauhaar verhindern sowohl der Brand als auch der Ankh jede Form der Geruchsidentifikation."
Abermals bestätigte Sebulon das Gehörte nickend, erwiderte jedoch nichts.
"Das Tiehm von RUM ist sich einig, dass es sich bei dem gefundenen Leichnahm, genauer gesagt dem ganzen mechanischen Teil, um den Gildenmörder handeln könnte. In diesem Fall ist von einer Reaktion der Gilden auszugehen. Wahrscheinlich wurde das Gerät so beschädigt, dass es in die Luft flog."
"Das wäre nicht der ideale Ausgang, aber immerhin erspahrt es uns weitere Morde", begegnete der Agent dem Gesagten.
Araghast sah keinesfalls zufrieden aus, behielt seine neutrale Tonlage jedoch bei. "Weshalb ich dich zu mir bat, hat folgenden Grund: Mir drängt sich der Verdacht auf, dass die Täterin über unser Vorgehen gut informiert war. Sie hinterließ nur jene Art von Spuren, die uns kaum weiter brachten, nutzte Methoden gegen unsere Supernasen, wusste eventuell über die Razzia des Kontors frühzeitig Bescheid. Hatte sie einen Informanten? Steckt ein Wächter mit drin in dieser Angelegenheit?" Das Auge des Kommandeurs blitze. "Hast du einen Verdacht?"
Sebulon ließ sich Zeit mit seiner Antwort, ging Möglichkeiten durch. Wieder sah er das treue, gequälte Gesicht seines Freundes vor sich, wieder durchströmten ihn Schuldgefühle. "Keinen Begründeten, Sör."


.oO 26. Spuni im Jahr der trudelnden Maus Oo.

Zwei Zwerge standen am latschenden Tor. Der eine etwas größer und dünner, der andere untersetzt und muskulös.
"Grüß Vater und... äh..."
"Ja, ich werde unsere Väter grüßen", unterbrach Grabbasch den jüngeren Bruder hart.
Der Späher nickte nur schwach. "Äh, und auch..."
"Unsere Brüder. Natürlich. Was denkst du von mir, Tränendrüse?"
Sie schwiegen eine Weile. Der Braunbärtige wuchtete schweigend das Bündel von einer auf die andere Schulter.
Schließlich brach Braggasch die Stille. "Ich werde dich... äh..."
"Klar, weiß ich doch!"
"... nicht vermissen", beendete der Blondgelockte den Satz tapfer.
Burkhards Ältester stutze, dann lachte er schallend und schlug dem Jüngsten auf die Schulter, dass dieser fast zur Seite umkippte. "Ich dich aber, Zinntröpfchen. Ich werde dich vermissen."
Der Wächter lächelte wackelig.
"Wir haben das Richtige getan", sagte Grabbasch unvermittelt ernst.
Braggasch schüttelte den Kopf. "Nein, äh, das haben wir nicht." Er blickte zum Himmel. "Wir haben genau das Falsche getan. Äh... Wir waren... wie sie..."
Der Bruder zuckte mit den Schultern. "Wie du meinst." Dann musterte er sein Gegenüber nachdenklich. "Du bist ein sehr seltsamer Zwerg, Braggi." Wieder spaltete ein Lächeln den Bart. "Vielleicht ist das ja ganz gut so."
Mit diesen Worten wandte sich Grabbasch Burkhardssohn Goldwart ab und stapfte zum Tor hinaus, mit dem Ziel bald wieder im heimatlichen Stollen zu sein.
Der Stadtzwerg sah ihm noch lange hinterher. Selbst als Kurven und Straßenstaub jeden Blickkontakt verhinderten, starrte Braggasch hinaus.
Irgendwann wandte er sich ab und nahm den Rückweg in Angriff.
Er betrat das Wachhaus, ging die Treppe hinauf, schloss seine Bürotür auf, setzte sich auf die Pritsche und dachte nach. Er hatte niemanden selbst umgebracht, war bei den wenigsten Taten überhaupt in der Nähe gewesen. Braggasch hatte seinem Bruder nur das nötige Handwerkszeug gegeben. Weil beide dachten das Richtige zu tun.
Jedoch war es nicht das Richtige gewesen, hatte es niemals sein können. Korporal Goldwart hatte eine Maschine entworfen, deren Ziel es war Menschen zu töten. Er hätte es genau so gut selbst tun können. Er war ein Verbrecher.
Unaufhaltsam versank er in Selbstmitleid und Selbsthass, grübelte brütend vor sich hin und nahm kaum noch am Wacheleben teil. Er wurde still und abweisend, huschte wie ein Schatten durch das Wachhaus und nahm als leere Hülle an Einsätzen teil. Nichts vermochte ihn anhaltend zu erfreuen, selbst mechanische Projekte lagen brach. Braggasch Goldwart wurde zum Geist, ganz so, als würde es ihn überhaupt nicht geben.


.oO 30. März im Jahr der rückblickenden Artischocke Oo.

Ruckartig wurde die Tür aufgerissen. Braggasch hob den trüben Blick.
Vier ihm wohlbekannte Personen drängten sich in sein kleines, vollgestopftes - und seit einiger Zeit miefendes - Büro: Sebulon Sohn des Samax, Jargon Schneidgut, Menélaos Schmelz und Glum Steinstiefel. Ein jeder von ihnen war in dem vergangenen Jahr bereits öfters einzeln zu ihm gekommen, hatte sich jedoch einem geistig abwesenden Zwerg gegenüber gesehen und letzendlich aufgegeben. Vor einer knappen halben Stunde dann waren sie in der Kantine zusammen gekomme und hatten einen Entschluss gefasst.
"Äh... Was...?", fragte der Späher träge.
"Bei allen Gewürznägeln, Braggasch, hast du in den letzten Monaten mal gelüftet?", keuchte der Szenekenner und mit Abstand Größte seines Besuchs. Ein Hauch von Rosmarin umwehte ihn, als er mit vorsichtigen Schritten an dem hockenden Zwerg vorbei stakte und die Fensterläden aufstieß. Sonnenlicht drang herein und ließ Goldwart blinzeln.
"Du bist dünn geworden...", meinte Sebulon besorgt.
"Und, nun ja... blass", fügte der Rechtsexperte und mittlerweile etwas gewohnterer Werwolf an.
Glum grinste. "Am Ende doch ein Vampir, was?"
Braggasch wackelte verwirrt mit dem Kopf. "Was, äh, wollte ihr hier?"
"Was wohl, Goldi?", meinte der Agent und reichte ihm die Hand. "Wir wollen dich aus diesem Zimmer holen."
Mehr aus Reflex als aus Wunsch heraus ließ sich der stellvertretende Abteilungsleiter der FROGs aufhelfen. "Und wohin?"
"In den Eimer", meinte Menélaos fröhlich. "Wir wollen Zeit mit dir verbringen. Mal wieder mit dir reden!"
"Ich komme nur mit, weil mir ein Bier versprochen wurde", ließ Glum aus dem Hintergrund vernehmen. "Warum sitzt du eigentlich nur noch hier rum? Redest mit keinem mehr, bist kaum noch in der Kantine... obwohl, naja, das kann ich ja noch irgendwie verstehen bei dem Fraß..."
Der Späher blickte den DOG-Zwerg an und dachte nach. Seine Freunde ließen ihm die Zeit und warteten geduldig. "Ich... äh... ich weiß es nicht", murmelte er schließlich verwirrt. "Ich habe keine Ahnung, warum ich nur hier rum sitze." Es war die Wahrheit.
"Na dann!" Freudig hakte sich Jargon bei ihm unter und bugsierte ihn gemeinsam mit dem übrigen Tross zur Tür. "Wir würden auch sehr gerne noch einmal eine Geschichte von dir hören, Brags. Weißt du noch? Früher? Da hast du uns immer gerne Geschichten erzählt... Ich fände es sehr schön, wenn du das mal wieder tun könntest." Menélaos und Sebulon nickten nachdrücklich, sogar Steinstiefel lies ein zustimmendes Brummen hören.
"Ja...", meinte Goldwart. "Ja. Äh... Vielleicht wird es Zeit, dass ich mal wieder eine Geschichte erzähle."


.oO Ende Oo.


[1] Genauer gesagt hatte Inspäctor sein Büro erst wenige Male seit langer Abwesenheit betreten.

[2] Nachzulesen in der Single Der Überhänger-Vorfall

[3] Nachzulesen in der Single Eine kurze Geschichte über einen Schmetterling

[4] Nachzulesen in der Coop Koboldrache

[5] Nachzulesen in der Multi Wir sind Helden

[6] Nachzulesen in der Single Bewegende Technik

[7] Nachzulesen in der Coop Gedankenverloren

[7a] Die Rezeptur hierfür hatte Braggasch bereits vor Jahren einem gewissen Ohnesorg abgekauft.




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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

10.4.2017

Willkommen zurück! :-) Eine ganz wundervolle Single! Abgesehen vom gut lesbaren Stil, gefielen mir vor allem die unzähligen Querverweise auf aktuelle Geschehnisse. Eine der kostbaren Geschichten, die nicht nur einen Charakter zurückbringt, sondern Brücken schlägt, zwischen vielen einzelnen Ereignissen. Wirklich sehr, sehr schön! Die Ausarbeitungen des Gesprächs mit der Zofe und dem Kämmerer oder auch des inneren Monologs von Romulus, waren echte Text-Perlen, die mich beim Lesen fesselten. Gerne noch viel mehr davon!

Von Sebulon, Sohn des Samax

02.4.2017

Wow. Was für ein fulminanter Wiedereinstieg. Ich finde es großartig, Geschichten von dir zu lesen, Braggasch - nach wie vor.

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