Ein letzter Fehler

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von Lance-Korporal Pismire
Online seit 18. 12. 2000
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Eine Nachricht trifft im Wachhaus ein:
„Ihr werdet alle streben!“
Ein Rechtschraipfehler?

Dafür vergebene Note: 13

Lance-Korporal Pismire machte es sich an seinem Schreibtisch gemütlich. Er hatte sich einen zwielichtigen Kräutertee aufgebrüht, seinem Beutel übelriechende Ziegenkäse-Kekse entnommen und beschloss nun, den gerade frisch abgearbeiteten Papierkram zu feiern. Ein Blick aus dem Fenster genügte ihm. Draußen war es dunkel und windig, hin und wieder peitschte eine Regenböe über den Pseudopolisplatz, und er vermutete nicht zu unrecht, dass es dort kalt war.

Er seufzte, goss sich Tee ein, griff nach den Keksen und lehnte sich zurück. Die Wache war behaglich warm, aus dem Zellentrakt, wo Chief-Korporal Knurblich gerade den Lehrgang „Die Kunst des Fair-Hörs II“ für Rekruten und interessiert Gefreite abhielt, drangen gedämpfte Schreie und leises Wimmern, No-name, die offizielle Katze der Wache, döste schnurrend vor dem Kamin. Frau Willichnicht lag vermutlich schlafend in ihrem Bett, und alles war gut. In diesem Augenblick ging die Tür auf, und zwei Gestalten in Kapuzenmänteln standen im Eingang. 'Ah', dachte Pismire nach einem kurzen Blick, 'die Streife macht Pause.'

Die nächsten Dinge ereigneten sich fast gleichzeitig. Ein gedämpfter Aufprall, einer der Wächter kippte der Länge nach auf den Boden, geistesgegenwärtig rollte der andere sich ab, zog den Kollegen aus dem Eingang und trat die Tür zu, Pismire zuckte zusammen, kippte de Tee über seinen Oberkörper und begann hingebungsvoll zu fluchen, und die übrigen Wächter stürzten in die Wachstube. No-name riskierte ein Auge, reckte sich, drehte sich auf die andere Seite und döste weiter. Aus dem Rücken des hingeschlagenen Wächters ragte ein schwarzer Pfeil auf, der einen weißen Zettel auf den Rücken des Wächters genagelt hatte.

Pismire kniete schon neben ihm und machte sich daran, vorsichtig den Pfeil aus dem Körper zu entfernen. Er legte dann Pfeil und Zettel beiseite, richtete sich wieder auf und sagte nur: „Schwein gehabt“, während Volrath sich aufrappelte. „So ein Mist“, fluchte der Gefreite. „Der Mantel hin, die Rüstung hin, Loch in der Lunge, dabei wollte ich Pause machen und nicht Nähstunde.“ Die übrigen Wächter atmeten erleichtert auf.

„Gib mal den Zettel, Pismire“, kommandierte Venezia. Pismire legte ihn auf die Erde, wo die Wächter ihn misstrauisch beäugten. „Ihr werdet alle streben!“, stand dort mit roter Tinte zu lesen. „Hm.“ murmelte Pismire, „das passt nicht zusammen: teures Papier, eine saubere, kalligraphische Handschrift und dann die Form, die Rechtschreibung...“

„Wieso?“, erklang eine Stimme aus dem Kreis der Wächter, „ist doch alles richtig geschrieben, oder?“ Venezia seufzte, ihr mochte manch ein schriftlicher Bericht einfallen. „Ja, aber der Sinn“, sagte sie scharf. „Es soll doch wohl 'sterben' heißen, oder? Ich meine, die richtigen Buchstaben allein bringen's nicht – bei der Ortokra..., na, Rechtschraibung geht es auch um die richtige Reihenfolge. Nun“, nachdenklich wippte sie mit den Zehen auf und ab, „wahrscheinlich irgendein Spinner. Aber wir sollten die Sache im Auge behalten.“ Sie schaute Pismire an. Dann klatschte sie in die Hände: „So, hopp, hopp, soviel zur Pause, der Kurs geht weiter!“

Zwei Stunden später war klar, dass es sich nicht um eine harmlose Angelegenheit handeln konnte: zwei weitere Wächter waren in den Rücken getroffen im Wachhaus zusammengebrochen – allerdings hatte die Wache noch Glück im Unglück: da es sich um normale Pfeile handelte, waren die Untoten – von kleineren Löchern einmal abgesehen – glimpflich davon gekommen. Allerdings hatte sich mit Volrath, Ayami und Macnus nun ein kleines Handarbeitskränzchen im Schlafraum gebildet.

Die Botschaften sahen alle gleich aus, nur der Text variierte. Auf Macnus konnte man lesen: „Ihr habt euren Leben erwürgt“, während es bei Ayami hieß: „Karton wird nicht gewehrt“. Die letzte Botschaft hatte am meisten Kopfzerbrechen hervor gerufen; schließlich einigten Pismire und Venezia sich auf : „Pardon wird nicht gewährt“. Die Chief-Korporalin, die den von ihr überaus geschätzten Lehrgang nicht unterbrechen wollte, gab den Fall an Pismire mit den Worten: „Schaff mir den Irren zum Verhör“, weiter. Zu seinem Glück hörte seine Vorgesetzte den Kommentar: „Wie kann man nur so vergnügungssüchtig sein“, den er sich in den Bart murmelte, nicht.

Seit einer geraumen Weile nun schob Pismire die Beweisstücke: drei schwarze Pfeile und drei Bögen Papier vor sich auf dem Schreibtisch hin und her. Er war beim dritten Tee angefangt, dann stutzte er und es dämmerte ihm. Er schnappte sich die corpora delicti und einen warmen Mantel und stapfte nach draußen. Es dämmerte bereits, als er das Gebäude der Assassinengilde vor sich aufragen sah. Den beiden Gestalten, die das Tor bewachten, zeigte er seine Marke und gab ihnen einen Zettel mit der höflichen Bitte, ihn an Lord Witwenmacher weiter zu leiten. Überraschend schnell kam der Gildenschatzmeister Zählgut zum Tor, um den Lance-Korporal in Empfang zu nehmen.

„Ah, Lance-Korporal Pismire von der Stadtwache, welche Freude“, säuselte er, „was kann die Gilde für die Wache tun?“ Pimire dachte nur: 'Schleimer', setzte ein freundliches Lächeln auf und sagte dann laut: „Nun, es geht da um zwei oder drei unbedeutende Fragen, in denen ich gerne den überaus geschätzten Rat von Lord Witwenmacher einholen würde.“ Und gab damit den Ball gekonnt zurück. Unter wohlgesetzten und diplomatischen Worten, die Pismire gerne als 'verbales Pingpong' bezeichnete, erreichten sie das Arbeitszimmer des obersten Drecksacks, äh, Pismire korrigierte sogar seine Gedanken: Assassinen.

Unter pompösem Wortgeklingel bat Witwenmacher ihn herein, bestellte Tee, ließ ihn durch den Diener einschenken, wartete ab, bis sie allein waren und erkundigte sich dann – immer noch sehr wortreich – nach den Wünschen der Wache. Pismire trommelte schon in Gedanken seit einer ganzen Weile ungeduldig mit den Fingern, ließ sich aber nichts anmerken, lächelte stattdessen, neigte den Kopf an den richtigen Stellen und atmete erleichtert auf, als Witwenmacher nun seinerseits zum Tee griff.

„Nun, euer Lordschaft und Ehrwürdität, heute Nacht kam es zu drei bedauerlichen Zwischenfällen in der Wache am Pseudopolisplatz.“ Mit wohlgesetzten Worten gab Pismire die Geschehnisse der letzten Stunden wieder. Als Lord Witwenmacher zu einer Antwort ansetzen wollte, unterbrach Pismire ihn mit einer beschwichtigenden Geste. „Sicher, euer Weisheit und Lordschaft, kein Assassine auch nur des ersten Lehrjahres wäre so 'dumm', untote Mitglieder der Wache mit solchen“ – er zauberte die drei Pfeile aus seinem Umhang – „armseligen und unpassenden Mitteln inhumieren zu wollen, noch dazu ohne Auftrag.“ Ein Blick in Lord Witwenmachers Gesicht bestätigte diese Annahme.

„Dennoch“, fuhr er fort, und ein erneuter Griff unter den Mantel ließ drei Blätter über den Schreibtisch direkt vor Lord Witwenmachers Hände gleiten, „die kalligraphische Form spricht gegen einen ordinären Attentäter. Dennoch, die fehlerhafte Orthographie“, Pismire schüttelte bedauernd den Kopf, „diese ersichtliche Stümperhaftigkeit...“ - „Nun, ich kann euch versichern, Lance-Korporal, dass kein Mitglied meiner Gilde ein derartiges Schreiben verfasst haben kann.“ Witwenmacher schaute nachdenklich auf die Zettel, „dennoch, die Handschrift...“ Er drückte auf einen Knopf unter seiner Schreibtischplatte. Sekunden später stand ein kleiner und dürrer Assasine vor dem Schreibtisch.

„Ah, Herr Sargnagel, darf ich vorstellen, Lance-Korporal Pismire von der Stadtwache. Und, Lance-Korporal, das ist Herr Sargnagel, das für die Auswahl der Auszubildenden zuständige Mitglied des Gildenrates.“ 'Meine Güte, was für ein passender Name', fuhr es Pismire durch den Kopf.

Witwenmacher schilderte kurz die Angelegenheit, dann reichte er die drei Botschaften an Sargnagel weiter. Dieser schaute sie an. Dann schloss er kurz die Augen. Ein kurzer Blick zu Lord Witwenmacher als er sie wieder öffnete sagte Pismire, dass alles, was nun auch immer kommen sollte, mit der Wahrheit nichts zu tun hatte. Aber er war nicht unvorbereitet zur Gilde gekommen. Eine kurze Bewegung mit dem rechten Arm und ein weiterer Zettel, diesmal aus dem Ärmel, glitt in Witwenmachers Gesichtsfeld. Dieser nahm die Worte zur Kenntnis, hob die Hand und machte eine kurze Geste. Sargnagel zog heftig die Luft ein, schluckte und schaute erstaunt zu Pismire, der sich wieder zurückgelehnt hatte.

„Nun, es gab da einen Bewerber, dieses Jahr“, begann Sargnagel tastend, „talentiert, ohne Frage, doch, auf gewisse Weise, aber nach den Erfahrungen mit“, er hüstelte, „Herrn Kaffeetrinken, nun, der Rat entschied sich gegen den jungen Mann. Außerdem bestand er den schriftlichen Aufnahmetest nicht. Und dann sein Bewerbungsschreiben...“, angewidert schloss Sargnagel die Augen. „Es war, im selben 'Stil' wie diese Elaborate. Deshalb haben wir ihn abgelehnt. Er tobte und kündigte – schriftlich – etwas s-p-e-c-k-t-a-c-k-u-l-e-e-r-e-s an.“ Er zuckte mit den Achseln und fuhr fort: „Aber die Gildenregeln sehen nicht vor, jemanden nur auf Grund eines mangelhaften Bewerbungsschreibens zu inhumieren.“ Er sah Witwenmacher streng an. „Meine Meinung konnte sich ja nie...“ Mit einer eindeutigen Geste schnitt Witwenmacher ihm das Wort ab.

Pismire war der Erzählung mit einer Mischung aus Heiterkeit und Entsetzten gefolgt. „Nun, Lance-Korporal“, richtete der Oberassassine das Wort an ihn, „Ihr seht, der Fall ist so gut wie gelöst. Der junge Mann nennt sich Arsen Poisson“, er verzog angewidert das Gesicht, „und wohnt Am toten Winkel 1.“ Er nickte Pismire zu. „Ihr solltet Euch beeilen....“ Sargnagel war bereits verschwunden. Pismire verbeugte sich stumm und hastete nach draußen.

In dem Haus Am toten Winkel 1 malte ein junger Bursche von allgemein ungesundem Aussehen an einer Botschaft: „Mit dieser Wächter sind ess dann fier“. Er stutzte. Ein Schatten fiel auf das Blatt. Er blickte hoch in das Gesicht von Herrn Sargnagel und begann zu lächeln. „Arsen Poisson, die Gilde ist auf dich aufmerksam geworden...“, Arsens Lächels wurde breiter, ein Schlitzmesser Nr. 4 durchtrennte seinen Hals, „...und das ist nie gut“, vollendete Sargnagel seinen Satz. Er blickte kurz auf die Botschaft. „Meine Güte, 'mit dieser Wächter', 'ess', 'fier', das ist doch abstoßend.“ Angewidert schnippte er das Blatt ins Kaminfeuer. Als er vor der Tür Pismire hörte, glitt er aus dem Fenster. Kurze Zeit darauf stand Pismire vor der Leiche. „Tja, das war der letzte Fehler“, murmelte er und ging.

Als Pismire in die Wache kam, warteten dort schon die Wächter auf seinen Bericht. „Nun, es ist alles“, er stutzte, „geregelt, ja, so kann man es nennen.“ Als er den Bericht beendet hatte, blickte Chief-Korporalin Knurblich ihn fragend an. „Was stand denn nun eigentlich auf dem zweiten Zettel?“ - „Nur drei Namen: d'Eath, Machmichplatt und Kaffeetrinken“, entgegnete er grinsend. „Falls die Gilde ein kurzes Gedächtnis hat.“ Er zwinkerte. Venezia pfiff durch die Zähne. „Dann erwarte ich jetzt noch den schriftlichen Bericht. Und zwar fehlerfrei. Und das nächste Mal hätte ich gerne einen lebenden Verdächtigen.“ Pismire salutierte. 'Vergnügungssüchtig', dachte er und zuckte die Schultern, 'hemmungslos vergnügungssüchtig.'



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