Testamente

Bisher haben 4 bewertet.Du hast schon bewertet!

von Agent Sebulon, Sohn des Samax (IA)
Online seit 03. 10. 2015
Zeitmönche haben die Geschichte auf den 03. 11. 2012 datiert
PDF-Version

 Außerdem kommen vor: RibBraggasch GoldwartJargon SchneidgutMina von Nachtschatten

Wenn Untote ihr Testament angehen ...
Wichtelgeschichte zu einer Zeit, da ein Mensch Werwolf und ein Gnom Mumie geworden ist ...

Für diese Mission wurde keine Note vergeben.

"Blätter können erst tanzen, wenn sie sich vom Baum gelöst haben. So gibt es kein wirkliches Leben ohne das drohende Sterben."
- Björn Jansen

Die Idee war von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Das fand zumindest Jargon Schneidgut, Rechtsexperte, seines Zeichens Wächter mit erweiterter Fachkenntnis in den Arbeitsbereichen "Streife laufen", "Einfinden am Tatort", "Abwarten", "Liegenlassen der Beweismittel" und "noch mehr Streife".[1] Dennoch hatte er sich bereit erklärt, diesen neusten legalen Vorstoß der Wacheleitung auf Wächterseite umzusetzen. Es war keine schwere Aufgabe, die meisten Kollegen würden sich ohnehin an externe Juristen wenden und für jede Stunde Anwesenheit zur Rechtsberatung konnte er zwei Überstunden für Nachbereitung geltend machen.
Also alles in allem voraussichtliche drei unverfänglich verbrachte Zeitstunden, denn es gab keine Warteschlange. Genau genommen war bisher niemand außer der Abteilungsleiterin Rea Dubiata vorbeigekommen, die jedoch nur den Dienstplan für die kommende Woche besprechen wollte.
Streife, dachte Jargon, war mit den Jahren immer häufiger geworden. Zwar hatte es sein Gutes, dass er damit nach der Transition seiner Werwolfseite viel Auslauf bieten konnte, doch sechzehn Routen pro Woche laufen war mittlerweile die Regel geworden und nicht mehr nur Maßregelung für ausnehmend widerspenstige Gefreite. Schweigend schüttelte er den Kopf über den auf Knirsch gestrickten Streifenplan. Wann hatte er Chi Petto oder Menélaos Schmelz, Nyria oder Damien zuletzt außerhalb der Einsatzbesprechungen gesehen? Und war Kannichgut Zwiebel überhaupt noch als Experte der Kommunikation in der Wache beschäftigt?
Schneidgut kratzte sich am Kinn. Früher hatte sich die Wache weniger einsam angefühlt, wenn man im Bereitschaftsraum saß, einen kompetenten Eindruck machte und den Streifenplan betrachtete, fand er.
"He, du, mach mir hier auf!", krakeelte jemand aus dem Gang. Noch bevor Jargon aufstehen konnte, senkte sich die Türklinke und sein Freund Braggasch Goldwart lächelte durch den Türspalt. Der Zwerg mit der hellen Stimme und den wässrig grünen Augen, den Jargon in den letzten Jahren herzlich lieb gewonnen hatte, verharrte viel zu kurz. "Weg da, weg da", brach sich wieder die Stimme Bahn, doch woher sie kam, war kaum auszumachen - bis sich mit Elan eine winzige Mumie auf den Tisch emporschwang. "Ich will mein Testament machen, aber ein bisschen Dalli, auch mit Bandagen lebt man nicht ewig!"
Jargons Hände bewegten sich, noch bevor sein Kopf die Befehle vollständig erfasst hatten. Papier, Stift, Liste zum Abhaken. "Soll ich Tut'Wee oder Rib aufschreiben?"
"Wie, wir müssen das aufschreiben?", fragte die Gnumie und wäre beinahe einen Schritt zurück gegangen, was ihn zurück auf den Boden der Tatsachen befördert hätte. "Das kann doch einfach eine Abmachung zwischen Ehrenleuten sein!"
Der Werwolf blickte auf die Gnumie hinab. War das Furcht in den Augen des Dienstvorgesetzten? Doch schon war der Gesichtsausdruck vorüber.
"Der Kommandör hat die Order gegeben, dass jeder und jede ein Testament haben soll", deklamierte Tut'Wee. Etwas leiser fuhr er fort: "Lies mal noch vor, was du alles wissen willst - dann sage ich dir, ob Bregs Order auch für mich gilt."
Jargon räusperte sich und begann die Liste vorzulesen. Bei manchen Punkten grunzte der Kleine abschätzig, wie "Geburtsdatum" und "Kinder aus früheren Beziehungen". Andere Punkte, wie "Güterstand" und die Frage nach bereits existierenden Testamenten, ließen ihn schmunzeln und den Kopf schütteln.
"Ich dachte", schnauzte Tut'Wee, "im Testament geht es vor allem um so Sachen wie: Wer erbt wieviel? Wer erbt, wenn jemand nicht erben will? Wer zwingt die bestimmten Erben dazu, auch dann zu erben, wenn sie nicht wollen? Wieviel bekommt der Willensvollstrecker für seine Mühe? Sowas."
Jargon lächelte nervös. "Ja, das ... das können wir natürlich auch festlegen. Wobei ich nicht ganz sicher bin, ob man jemanden zum Erben zwingen darf ..."
"Papperlapapp! Wenn ich schon eines Tages nicht mehr untot bin, dann muss ich auch selbst bestimmen können, wer meinen Besitz bekommt! Wo ist denn sonst der Sinn im endgültigen Ableben? Überhaupt habe ich bisher nichts über das gehört, was für mich wichtig ist."
Unfreiwillig fühlte sich Jargon gnomenklein und unfähig. In einem Versuch, sich zu behaupten, streckte er seinen Rücken. "Und das wäre?", fiepste er mit roten Wangen.
"Regelungen für den Fall des endgültigen Todes, alles gut und schön - aber was passiert im Falle einer Wiederbelebung? Was passiert, wenn mein untotes Leben endet und jemand meinen Geist beschwört? Man muss ja heutzutage auf alles vorbereitet sein.
Eine weibliche Stimme meldete sich zu Wort. "Das interessiert mich auch", sagte die Vampirin, die in der Tür stand. Jargon hatte sie über die hitzige Debatte nicht kommen riechen. Er schloss die Augen, doch dadurch wurden die Gerüche im Raum nur intensiver: Die Bandagen der Gnumie, der lauernde Schweiß vergangener Wächtergenerationen in den Stühlen und Bohlen, und ...
Irritiert juckte sich Jargon die Nase. Mina von Nachtschatten roch nach Tussnelda von Grantick. Seltsam.
"Macht euch keine Umstände meinetwegen", gestattete die Vampirin und strich ihre makellose Uniform glatt. "Ich kann warten."
"Oh, ist es etwas Dienstliches?", fragte Jargon. Er konnte nicht verhindern, dass die Verzweiflung über die Gnumie seine Stimmlage prägte.
"Ich wollte sowieso gerade gehen", brummte Tut'Wee.
'Oh nein, ich habe es vermasselt', dachte Jargon. 'Ich habe einen Vorgesetzten vergrault!' In dem Versuch, entstanenen Schaden zu mildern, rief Schneidgut dem davoneilenden Wächter hinterher: "Ich wünsche dir, dass du lächelnd in den Abend gehen kannst!" Der Gesichtsausdruck, als Tut'wee sich noch einmal umdrehte, überraschte den Werwolf: Die Gnumie grinste über beide Ohren. Zugleich machte er jedoch eine obszöne Geste mit der Hand. Ohne abzubremsen eilte er aus dem Wachhaus und verschwand aus Jargons Sichtfeld.
"Wie günstig, so bin ich nun doch an der Reihe", sagte Mina und setzte sich. Ihre spitzen Eckzähne ließen Jargon die Haare im Nacken zu Berge stehen.
Jargon rief sich zur Ruhe. "Wie kann ich Ihnen helfen?" Er nahm ein neues, leeres Blatt zur Hand.
Die Vampirin sah ihn mit einem unheimlich neutralen Blick an. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Sie ist dreimal so alt wie ich. Wie viele Blut haben ihre Vampirzähne seit dem schon ...?
"Nenn mich Mina. Wir arbeiten schon so lange im gleichen Haus, ..."
"Wie sie meinen, Mina", sagte Jargon. Seine Hände nestelten knisternd an dem Papier herum. Warum lächelt sie jetzt? Der nächstgelegene Ausgang ist das Fenster hinter mir ...
Die Vampirin legte ihre Fingerspitzen auf das Papier. "Ich schlage vor, wir fangen an. Was musst du wissen?"

Eine Viertelstunde später hatte Schneidgut unter dem bohrenden Blick der von Nachtschatten die wichtigsten Fakten aufgenommen und brauchte eine Pause. Er erhob sich, drehte sich um, trat zum Vorhang und öffnete das ungeputzte Fenster. Mildes Abendlicht fiel ihm nun ungehindert auf das Gesicht. Er schloss die Augen. Seit seiner Transition zum Werwolf genoss er es etwas mehr, den Himmel über sich zu wissen. War der Mond schon aufgegangen? Heute war kein Vollmond, dennoch spürte er im Nacken, wie das Nachtgestirn sich in den Himmel schob. Es war ein entspannendes, erhebendes Gefühl. Dankbar atmete er ein - und bereute diese Entscheidung im selben Moment. Reflexartig legte er sich die Hände schützend auf die schmerzende Nase. An den Geruch vom Ankh hatte er sich noch nicht gewöhnt.
"Alles in Ordnung, Jargon?", fragte die Vampirin und tauchte lautlos an seiner Seite auf.
Der Werwolf machte einen Satz nach hinten und stieß gegen den Schreibtisch, hinter dem seine Besucherin noch vor wenigen Momenten gesessen hatte. "Ja - ja, alles gut." Er rieb sich den Nasenrücken und versuchte den Schmerz zu ignorieren. "Mir ist nur gerade aufgefallen ... wie selten wir in meinen sieben Jahren Wache zusammengearbeitet haben." Er lächelte sie schief an, konnte den Blick jedoch nicht von ihren Zähnen wenden, die ihn bedrohlich anzustarren schienen. "Und ... und ich weiß eigentlich so wenig über ..." Er räusperte sich. In dem Versuch, einen weiteren Schritt zurückzuweichen, rempelte er unsanft gegen seinen Stuhl. "Da war doch ein Haus, nicht wahr? Ein Herrenhaus oder so etwas? Ich glaube, es wäre hilfreich, wenn ich einmal vorbeischauen würde, ..."
Minas Augenbrauen senkten sich und ein Hauch von Zweifel wehte über ihr Gesicht.
"Ich denke, das war erstmal alles", unterbrach sie ihn. Sie umrundete im Stechschritt den Tisch, griff das vorausgefüllte Formular und ging zur Tür. "Danke für deine Zeit."

"... ich verstehe das alles nicht", beendete Jargon Schneidgut am nächsten Abend seine Geschichte im Eimer, wo er mit Braggasch Goldwart ein Bier trank. "Rib und Mina schauen mich seitdem beide so komisch an."
Der Zwerg suchte nach den richtigen Worten.
"Was Rib hat, kann ich dir nicht erklären. Was Mina angeht .... also, ich denke ...", setzte er an, doch dann schwieg er noch einmal.
"Ohje", machte Jargon.
"Lass es mich so ausdrücken: Es geht das Gerücht, dass du Mina gegenüber ungewöhnlich freundlich warst. Äh, du weißt schon, f r e u n d l i c h." Verständnislos schüttelte Jargon den Kopf. "Vielleicht hat sie diese Sache mit deinem persönlichen Interesse an ihrem Testament falsch aufgefasst?", versuchte Braggasch zu erklären.
"Du meinst, sie denkt, ich bin an ihrem Besitz interessiert ...?"
"Nicht notwendigerweise. Äh." Herumdrucksend fuchtelte der Zwerg mit den Händen. "Sie denkt ... du bist an ... ihr interessiert."
"Ooooh", machte Jargon erleichtert. Und dann fuhr er etwas weniger erleichtert fort: "Oh. Oh! O-oh."
"Ich denke, es ist besser, wenn du in der nächsten Zeit keine Testamente mehr machst", sagte Braggasch und klopfte dem Werwolf aufmunternd auf die Schulter.
Jargon schüttelte den Kopf. "Außer meinem eigenen. Je nachdem."
[1] Die Abteilung SEALS befand sich in einem Prozess aktiver Schrumpfung, sodass es faktisch keine Konsequenzen gab, wenn man "Streife, Ermittlung und andere lustige Sachen" ungewöhnlich ausdeutete, solange niemand in die Richtung "Schutzgeld erpressen, arrogant lungern, Saufen" dachte.




Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Von Kanndra

13.10.2015

Sehr schöne kleine Episode. Hat mir gut gefallen! (Vielleicht sollte Jargon in nächster Zeit auch den Bogen um einen gewissen Ermittler etwas größer schlagen ;) )

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung