Undurchsichtig

Bisher hat keiner bewertet.

von Chief-Korporal Ophelia Ziegenberger (RUM)
Online seit 01. 02. 2010
PDF-Version

 Außerdem kommen vor: Septimus EbelJack NarratorSebulon, Sohn des SamaxRomulus von GrauhaarMimosaKolumbiniThask VerschoorMina von Nachtschatten

Es häufen sich die Anzeichen, dass ein seit langem gesuchter Meisterverbrecher nach Ankh-Morpork zurückgekehrt ist. Schafft es eure Abteilung, den Täter zu fassen?

Dafür vergebene Note: 11

Außer dem steten Ticken der alten Uhr war in dem spärlich ausgeleuchteten Raum nicht viel zu hören. Die beiden Männer vor dem Schreibtisch warteten auf eine Reaktion ihres Gegenübers. Der Mann jedoch stand mit dem Rücken zu ihnen, blickte aus dem Fenster hinaus und schwenkte langsam ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit in der Hand. Er ließ sich Zeit und dachte nach. Als er sich ihnen zuwandte, blickte er sie ernst an.
"Dann wird er seinen Lohn heute Nacht in die nächst beste Spelunke schaffen und ihn dort verjubeln. Folgt ihm! Und wenn er nicht mehr ganz sicher auf den Beinen ist... Schafft ihn aus dem Weg!"
Er nahm einen großen Schluck. Und blickte irritiert auf.
"Ist noch etwas?"
Die beiden Männer sahen einander an, sagten aber nichts. Sie verließen mit einem klaren Ziel vor Augen das Haus.

~~~ oOo ~~~


Ophelia wusste nicht, woran es lag. Jedes Mal, wenn sie nicht bloß flüchtig mit dem Korporal zu tun hatte, gerieten sie aneinander. Sie ahnte, dass es auch anderen so mit dem Püschologen ergehen musste. Ihr Pflichtgefühl jedoch verbot es ihr, sich mit dieser Vermutung abzufinden. Sie war immerhin stellvertretende Abteilungsleiterin und es daher ganz klar ihre Verpflichtung, auf ein reibungsloses und möglichst harmonisches Miteinander bei R.U.M. hinzuwirken.
Sie standen auf dem Gang vor dem Verhörraum und sie versuchte es erneut, inzwischen mit deutlich angespannterem Tonfall.
"Narrator, sie ist das Opfer - nicht irgendein Verdächtiger! Es wird doch gewiss möglich sein, dem Rechnung zu tragen und etwas schonender mit ihr umzugehen, nicht wahr?"
"Es laufen Mörder frei herum, weil irgendwann mal jemand von ihnen das gleiche behauptet hat. Wenn ich Fragen stellen soll, dann auf meine Art."
Die Wächterin sah dem Kollegen noch einen Moment lang in die Augen, bevor sie resignierte. Dies war kein guter Tag und er wurde nicht besser.
"So kommen wir jedenfalls nicht weiter. Vielleicht ist es besser, wenn ich die Gelegenheit dazu nutze, ihr einen Kaffee zu besorgen. Du führst derweil das Gespräch weiter und fasst, wenn ich wiederkomme, das Ergebnis zusammen. Entweder bestätigt die Dame diese Zusammenfassung dann oder ich versuche es auf meine Art, etwas Vernünftiges aus ihr heraus zu bekommen. Wie wäre das?"
Der Püschologe zuckte mit den Schultern.
"Wenn Du meinst..."

Zehn Minuten später blickte die dürre Frau Hilfe suchend zu ihr auf. Die verkrusteten Schrammen und blauen Flecken, die deren Gesicht bedeckten, taten selbst ihr als Betrachterin weh. Ophelia reichte ihr wortlos die Tasse mit der dunklen Flüssigkeit. Ein Blick zu ihrem Kollegen verhieß nichts Gutes und wirklich ließ er sie nicht lange im Ungewissen. Er lehnte sich triumphierend zurück und stemmte die Hände viel sagend in seine Hosentaschen.
"Die gute Frau Schmechtling hat sich eben spontan daran erinnert, doch etwas bei sich gehabt zu haben, was für den Räuber von Interesse gewesen ist. Nicht wahr?"
Sie hätte schwören können, dass die dürre Zeugin beim Blick des Wächters zusammengezuckt war. Auf jeden Fall hielt sie sich ängstlich an der Tasse fest und suchte Verständnis heischend ihren Blick. Frau Schmechtling nickte zögerlich.
"Ja, also es könnte sein, dass der Mann es wirklich auf meine Kette abgesehen hatte. Aber ich habe sie nicht offen mit mir herumgetragen, sie lag immer unter der Bluse versteckt an meinem Herzen."
Der zerrissene Stoff oberhalb des Schnürmieders sprach Bände. Frau Schmechtling errötete, warf dem Wächter einen nervösen Blick zu und sprach dann leise weiter:
"Die Kette war sehr wertvoll. Aber vor allem war sie mir persönlich wichtig. Es hängen so viele Erinnerungen an ihr!"
Der Püschologe grinste süffisant.
"Und nun wird es interessant: Ein gewisser Heinrich Müller hat ihr das gute Stück geschenkt."
Ophelia wurde hellhörig und zum ersten Mal war sie froh, dass Jack Narrator an seinen nachhaltigen Verhörmethoden festgehalten hatte. Der harmlos klingende Name war allen im Wachhaus bekannt!
Die geschundene Frau musste den Stimmungswechsel bemerkt haben, denn sie blickte über den Tassenrand hinweg unsicher von einem zum anderen und stotterte:
"Also, das ist aber schon lange her..."

~~~ oOo ~~~


Kolumbini wollte nicht länger warten. Entschlossen steckte er den Zeitmesser in die unendlichen Tiefen einer der Manteltaschen und betrat dann den Treppenaufgang des mehrstöckigen Hauses. Auf die jungen Nachwuchswächter war wirklich kein Verlass. Er würde sich diesen Kadwalladar Janders, wenn der nicht eine wirklich gute Ausrede hätte, am Nachmittag vorknüpfen müssen.
Das gediegene Reihenhaus inmitten ebenso gepflegter Fachwerkhäuser zu beiden Seiten, besaß gerade einmal drei Etagen. Das Namensschild auf dem obersten Treppenabsatz sah frisch poliert aus.
"Ja bitte?" Trotz ihrer Jugend besaß das Dienstmädchen schon diesen unverwechselbar eingegrabenen, mürrischen Ausdruck im Gesicht, der zuverlässiges Personal auszuzeichnen schien.
Der Ermittler zeigte seine Dienstmarke vor und sagte das kurze Sprüchlein auf.
"Korporal Kolumbini von der Stadtwache. Wir ermitteln in einem Fall, in dem Herr Müller uns vielleicht unterstützen kann."
"Der Herr ist sehr beschäftigt. Besser, Du versuchst es später noch einmal, Herr Korporal."
"Ich denke, ich rede besser jetzt mit Herrn Müller. Es geht um eine dringende Sache und sein Rat könnte einer alten Bekannten von ihm helfen. Ich bin sicher, dass er informiert werden möchte."

Kurz darauf saß er dem Hausherrn in dessen schummrigem Arbeitsraum gegenüber. Die Vorfälle, in denen Müllers Name aufgetaucht war, hatten sich in der letzten Zeit gehäuft und die Wache ein Auge auf ihn. Doch das würde Kolumbini ihm natürlich nicht auf die Nase binden. Sie hatten nur Vermutungen, keinen einzigen Beweis und dass der Kommandeur stets hinter allem eine Verschwörung oder ein groß angelegtes Verbrechersyndikat vermutete, machte es nicht einfacher. Wenn R.U.M. auf jeden Verdacht von Bregs hin die F.R.O.G.s in den Einsatz geschickt hätte, dann wäre das Wachhaus vermutlich längst dem Erdboden gleichgemacht worden.
Müller schwenkte in der einen Hand ein wuchtiges Glas mit schwerem Boden, dem ein betörender Duft entstieg, während er mit der anderen die Kohlestiftzeichnung eines Schmuckstückes in die Höhe hielt und diese eingehend betrachtete.
"Wie war der Name der Dame?"
"Frau Mechthild."
"Nein, bedauere, ich kann mich nicht an eine Bekanntschaft dieses Namens erinnern. Da muss eine Verwechslung vorliegen." Er wandte dem Wächter leicht den Blick zu und lächelte merkwürdig. "Immerhin muss ich zu meiner Schande gestehen, dass mein Name nicht unbedingt selten ist." Sein Blick wanderte wieder zu der Zeichnung zurück. "Aber dieses ausnehmend schöne Stück ist natürlich alle Anstrengungen zur Widerbeschaffung wert. Rubine sagtest Du? Schon merkwürdig, dass eine allein stehende Frau ohne Begleitung mit solch einem Vermögen herumläuft, nicht wahr, Herr Wächter? Die Frage liegt meiner Meinung nach auf der Hand, ob man der Geschichte allzu viel Wahrheitsgehalt beimessen sollte: Geschenkt bekommen? Etwas unwahrscheinlich, oder?"

~~~ oOo ~~~


"Süßer, Du solltest wirklich mal was gegen deinen Geruch tun!"
Der Zombie kramte erschrocken in seiner Jacke und reichte der hübschen Frau eine Wäscheklammer.
"Entschuldige. Das habe ich völlig vergesseeeen."
Annalene kicherte und klopfte ihm fast zärtlich auf den Handrücken.
"Du Dummchen! Dir würden die Nasenflügel abfallen, wenn Du wüsstest, wie schlimm manche meiner Kunden den Geruchssinn strapazieren. Und Du kannst ja nicht mal was dafür! Trotzdem! Es gibt am Hier-Gibt's-Alles-Platz seit letzter Woche einen Händler, der Körperpuder für Zombies anbietet. Soll die Haut mit trockener Feuchtigkeit versorgen und mit pflanzlichen Düften den Geruch übertünchen. Nur so als Tipp. Vielleicht bringt das ja was? Probieren könntest Du es ja mal."
Der Kontakter zögerte, erinnerte sich dann aber an seine Aufgabe und daran, dass guter Wille einen guten Eindruck hinterließ und dadurch auch manchmal gute Ergebnisse.
"Danke. Ich werde es ausprobiiiieren."
Die kleine Frau mit dem Lockenschopf grinste ihn spitzbübisch an und strich fürsorglich durch sein Haar.
"Ach, ich weiß auch nicht warum ich das immer wieder für Dich mache. Irgendwann bekomme ich bestimmt Ärger deswegen. Aber was soll' s. Ich muss gleich wieder rein, also zeig schon her! Wen suchst Du diesmal?"
Thask Verschoor holte vorsichtig eine leicht zerknitterte Ikonographie aus seiner Jackentasche.
Die Näherin blickte sie sich lange an und runzelte dann ihre Stirn.
"Das ist doch...", ihr Blick huschte kurz zu ihm hin und dann zu dem Bild zurück. "Was hast Du mit ihr zu tun? Hat sie etwas angestellt?"
Der Wächter suchte nach den richtigen Worten.
"Nein. Sie wurde überfallen und ausgeraubt und ich versuche, ihr unter der Hand zu helfen. Vielleicht kann man den Keeeerl ja finden, der' s waaaar und ihm eine... Abreibung verpassen? Es könnte jemand dahinter stecken, deeeer sie kennt und deswegen frage ich nach Informationen heruuuum."
Annalene blickte erst unschlüssig auf das Bild, bevor sie sich mit einem tiefen Seufzer an die kalte, rückwärtige Hauswand anlehnte und in die Abenddämmerung hinauf blickte - von der zwischen all den Dachfirsten und eng stehenden Schornsteinen kaum etwas zu sehen war.
"Das ist Dörte, nicht wahr?"
Thask tat, was er in solchen Fällen immer tat - er blickte für einen Moment wortlos auf seine Schuhspitzen und demonstrierte damit Verschwiegenheit. Das brachte normalerweise mehr Informationen ein, als jede erdenkliche Antwort.
Sein Gegenüber lächelte matt.
"Schon gut. Dörte Schmechtling hieß sie, beziehungsweise 'Stella Starlett'. Aber sie ist schon lange raus aus dem Geschäft. Auch keine von denen, die unlizenziert wildern würden. Ich habe sie nur einmal auf einem großen Ehemaligentreffen gesehen, bei dem ich die Getränke auf dem Tablett herumtragen musste. Früher sah sie mal ganz hübsch aus, so auf die dürre Art eben. Aber da war ihr Gesicht noch nicht so alt." Sie deutete mitleidig auf die Ikonographie. "Sie war eine richtige Berühmtheit. Hat immer reichere Kunden benäht, bis sie an diesen Juwelier herankam. Da ist sie in den Ruhestand gegangen. Eine von den Glücklichen eben. So im Allgemeinen weiß man aber wenig darüber, sie war sehr dezent und er damals immerhin noch verheiratet. Als seine Frau kurz darauf starb, ist ihm wohl an allem die Lust vergangen und Stella saß plötzlich ohne alles da. Immerhin war sie da schon gut versorgt. Sie hatte wohl einiges beiseite gelegt. Man hat seitdem nichts mehr von ihr gehört. Ich wusste nicht mal, dass sie noch lebt." Sie lächelte traurig. "Tja, Alter und Verbrechen machen vor keinem halt, nicht wahr?"

~~~ oOo ~~~


Die beiden Wächterinnen saßen einander schweigend gegenüber. Das fiel aber inmitten des Chaos in der Kantine nicht weiter auf. Die menschliche Frau blickte gedankenlos vor sich hin, während sie kleine Brotkrumen von dem Kanten abbröselte und diese neben ihr Ohr hielt. Winzige Pfötchen griffen danach und verschwanden damit in die baumelnde Kapuze. Die Vampirin hingegen blickte hochkonzentriert auf eine aufgeschlagene Akte. Ab und an blätterte sie darin vor oder zurück.
Mimosas Blick streifte die Kollegin nur flüchtig und doch registrierte sie deren Stimmung.
"Was ist mit Dir? Fehlt was in den Unterlagen?"
Mina kniff leicht die Lippen zusammen und runzelte die ansonsten alterslos glatte Stirn.
"Nein, es ist nur... irgendetwas stört mich und ich komme nicht darauf, was es ist. Die Indizien sammeln sich schnell an und unsere Überwachung hat schon einiges zu Tage gefördert. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis wir etwas Handfestes vorweisen können. Die Arbeit geht gut voran..."
Mimosa nickte.
"Ich weiß. Aber?"
Sie blickte auf ihren leeren Teller, zur Essensausgabe und wieder zurück, in Gedanken offensichtlich ganz woanders.
Die untote Kollegin saß reglos über der Akte. Sie sprach leise, wie im Selbstgespräch:
"Er sitzt wie eine Spinne im Zentrum eines Netzes. In wie vielen der zahlreichen Vorfälle hatte er seine Hände im Spiel? Und von wie vielen wissen wir noch nicht einmal? Die Fäden laufen alle im Mittelpunkt zusammen, bei ihm. Die verschwundenen Juwelen auf dem Ball vor zwei Wochen - er war dort, als geladener Gast. Sein ehemaliges Dienstmädchen, aus dem seit dem Unfall letzte Woche kein Wort mehr herauszubekommen ist. Gerüchteweise hat er eine dunkle Vergangenheit, doch selbst darüber gibt es keine verlässlichen Informationen, nichts als unbestätigtes Hörensagen! Das einzige, was wir definitiv über ihn wissen ist, dass er Witwer und erfolgreicher Juwelier ist. Er lebt bescheiden und unauffällig, obwohl er wohlhabend ist. Wie wohlhabend, das ist kaum einzuschätzen. Er war lange Zeit fast unsichtbar. Und nun? Wir kommen nicht an ihn heran! Er muss ein Meister seines Fachs sein."
Die Vampirin wurde abrupt aus ihrer heimlichen Bewunderung gerissen.
"Meinst Du, sie gibt noch eine dritte Portion raus?"
"Wie bitte?"
Die menschliche Ermittlerin nickte in Richtung der Essensausgabe.
"Es müsste doch noch was über sein."

~~~ oOo ~~~


An manchen Tagen fühlte der Gnom sich unsichtbar.
"Ich bin ein ehrenwerter Gnom," brummte er unzufrieden. "Ich kümmere mich um die vernachlässigten Pflanzen und unternehme wenigstens was gegen die ganzen erbärmlichen Umweltsünder. Nicht so wie andere, die einfach wegschauen! Und was ist der Lohn dafür? Man wird schlichtweg übersehen, als wenn man nicht von Bedeutung wäre!" Er schmollte. Da er allein und obendrein auch noch verdeckt ermittelte, schmollte er sehr leise und somit auch ungehört. Was es natürlich nicht besser machte. "Jetzt brauchen sie mich wieder, was? Wenn es drauf ankommt, kann man nicht klein genug sein. Aber wenn ich mal was will, dann gucken sie einfach über mich hinweg und tun so, als wenn sie mich gar nicht gesehen hätten!" Er angelte ein Stück Apfel aus seiner Tasche, für ihn so groß wie eine Melonenscheibe es für jemand anderen gewesen wäre, hielt es in beiden Händen und biss wütend hinein. Der Saft spritzte ihm in die Augen, so dass er frustriert zur anderen Häuserseite blinzelte. "Waf fü' ein langfeiliga Wachpfostn...", kaute er vor sich hin. "Und daf ganfe nu', weil ich fo unfeinba' bin!" Er schluckte und spülte mit einem Fingerhut voll Wasser aus seinem Beutel nach. "Ach! Schon besser!" Sein Blick wanderte die belebte Straße hoch und wieder runter. "Dabei könnte jeder der andern Kollegen den Dschob genauso gut machen. Bei all dem Trubel hier, fällt man echt nicht auf. Scheint ja auch ein beliebtes Gildeneckchen zu sein: Alle dabei. Von den Assassinen bis hin zur Bettlergilde mit einem professionellen Krüppel." Septimus hatte sich fast schon wieder beruhigt, so schnell schlug ihn die Geschäftigkeit der Straße in den Bann. Seine aufmerksamen Augen huschten hierhin und dorthin. "Hm... es ist wirklich viel los. Aber nichts, was besonders wäre." Die Tür zu einem Kurzwarenladen ein gutes Stück die Straße hinunter flog auf und zwei zeternde Frauen stürzten auf den Gehweg. Septimus' Aufmerksamkeit verweilte etwas bei ihnen, bevor er sich wieder auf die alte Häuserfront gegenüber besann. Er biss ein weiteres Mal kräftig in die Apfelscheibe und sog den Saft schlürfend durch die Lippen ein. Das eigene Kaugeräusch beruhigte ihn weiter. "Ich möchte mal wissen," sinnierte er kurz darauf, "wie es Menschen geben kann, denen es so gar nichts auszumachen scheint, den ganzen Tag drinnen rum zu sitzen. Der Kerl kommt ja scheinbar nie raus! Und viel Besuch bekommt er auch nicht. Bloß sein Dienstmädchen. Und so einen dürren Kerl mit Aktentasche." Septimus beneidete heimlich den Typen von der Bettlergilde, den er zwangsläufig die ganze Zeit über im Blick hatte. Dieser saß nämlich am liebsten mitten in dem beobachteten Häusereingang und schien es dort recht windgeschützt zu haben. Gegen Nachmittag jedoch hatte er es sich anders überlegt und wollte doch lieber nicht tauschen. Im Gegensatz zur üblichen Taktik schien dieser Kerl echte Gebrechlichkeiten zu haben, denn im Laufe der Stunden gab er niemals seine Schonhaltung auf und manchmal konnte der Gnom selbst von der Ferne das klagende Ächzen hören und die unbeabsichtigten Schmerzensgrimassen sehen. "Vielleicht gibt es doch Schlimmeres, als übersehen zu werden," dachte er.
Die Haustür öffnete sich quietschend und der Bettler wurde unsanft seines Platzes verwiesen.
Der Verdeckte Ermittler rappelte sich auf und klopfte geistesabwesend seine Kleidung aus.
Der Mann mit dem Storchengang und der dünnen Mappe unter dem Arm machte sich auf den Weg in Richtung Zentrum und Ebel folgte ihm unauffällig.

~~~ oOo ~~~


Romulus von Grauhaar war sich beinahe sicher, dass dieser Fall einer jener war, die seinen altehrwürdigen überwaldschen Familiennamen untermauerten. Aus den Augenwinkeln heraus meinte er, eine Strähne seines Zopfes verräterisch silbern leuchten zu sehen. Er warf den letzten Bericht entnervt auf den Schreibtisch.
Vielleicht war es an der Zeit, die Akte zu schließen? Bregs wäre da vermutlich anderer Meinung, wie immer, wenn er Schatten der Vergangenheit witterte, die kein anderer auch nur erahnte. Andererseits besaß sein alter Kollege und Weggefährte eine unleugbare Vorliebe für Hochprozentiges, was seiner Urteilskraft schon lange abträglich sein musste - auch wenn man davon bisher noch nichts mitbekommen hatte!
Er betrachtete die heimlich gemachte Ikonographie des Verdächtigen.
Sie konnten nur Spuren folgen, Spuren, die sich direkt zu Füßen des lächelnden Juweliers in Luft auflösten. Der Besucher, den Septimus Ebel verfolgt hatte, der ihm so überaus verdächtig erschien, war nur ein Mieteintreiber gewesen. Ein alter Bekannter, dessen Reputation außer Frage stand, den der Gnom aber noch nicht gekannt hatte.
Sie kamen nicht an den Müller heran!
Und womit hätte er als Abteilungsleiter es nach wochenlanger Arbeit seiner Männer noch länger rechtfertigen sollen, personelle Ressourcen an einen Fall zu binden, der sich als Sackgasse entpuppte?
Die Juwelen galten inzwischen offiziell als unlizenziert gestohlen und fielen in den Aufgabenbereich der Gilde. Das Dienstmädchen drohte inzwischen damit, die Wache beim Patrizier anzuzeigen, wenn sie sie nicht in Frieden ließen. Die frühere Näherin hatten sie nur noch einmal daheim angetroffen, wo sie sich inzwischen einschloss und als vorzeitig gealterte Frau mit gebrochenem Herzen den Kontakt zur Außenwelt verweigerte - Mit der kostbaren Kette waren ihr auch ihre Erinnerungen genommen worden.
Kein einziger der ursprünglichen Ermittlungsansätze war ihnen geblieben und der Abstand zu dem Verdächtigen wuchs mit jeder verstreichenden Stunde.
Romulus atmete tief durch und warf die Zeichnung auf den Stapel.
Er musste den Tatsachen ins Auge sehen. Es gab eben auch solche Fälle. Er würde...
Es klopfte an der Tür.
"Herein!"
Lilli Baum trat ein und streckte ihm kommentarlos einen Notizzettel entgegen.
"Was ist das?" Die Frage war mehr oder weniger rhetorisch, immerhin hatte er sich inzwischen daran gewöhnt, dass dem Korporal kein Wort entschlüpfte. Dementsprechend wartete er auch gar nicht erst auf ihre Antwort, sondern las gleich die wenigen, unsauber geschriebenen Zeilen.
"Ihr seit total nutzlos! Nix bekommt ihr hin! Heinrich Müller ist ein Mörder und gehört ins Kittchen. Wenn ihr ihn haben wollt müsst ihr ihn auch schnappen. Heute Nacht ist er dran und dann hapt ihr auch den Beweiss. Ausser ihr seit auch daführ zu beschoiärt."

~~~ oOo ~~~


Sebulon wusste von dem Sondereinsatz seiner Kollegen bei R.U.M.
Nicht nur durch Rohrpost und 'Buschtrommeln', sondern auch durch seinen unausgeglichenen geistigen Zustand.
Er war noch nicht bei den Zauberern gewesen, um sich Hilfe zu holen. Und zum Glück fiel es den meisten anderen um ihn herum kaum auf, wenn seine Psyche auf die Reise ging.
Doch heute war es wieder einmal einer jener Abende, die auf einen besonders anstrengenden Tag bei G.R.U.N.D. folgten. Sein Gehirn schien einen Ausgleich zu suchen und es fand diesen auf eine Art und Weise, wie selbst er es noch nicht erlebt hatte!
Kein zufällig vorbeikommender Rekrut würde mit der Situation umgehen können, wenn er seinen Ausbilder dieserart weggetreten auf dem Schreibtisch liegen sähe.
Aber darum konnte der Zwerg sich gerade keinen Kopf machen.
Derselbige war nämlich angefüllt mit Bildern die zwar allenfalls im Jetzt, aber keinesfalls im Hier stattfanden!

Sein Abteilungsleiter schritt bedächtig eine nächtliche Straße entlang, den Schlapphut tief ins Gesicht gezogen. Er blickte sich genau um und gab dann unauffällig ein Zeichen, dass die Luft rein sei, indem er sich mit einem Taschendrachen die Zigarette anzündete.
Der Blickwinkel wechselte zu einem Zombie, der hinter einer Häuserecke stehend das OK per Handzeichen weitergab.
Zwei fast unsichtbare Schatten huschten von Hauseingang zu Hauseingang, aufeinander zu, bis sie schnell nacheinander in demselben Eingang verschwanden - von der linken her erkannte er die schlanke Gestalt Minas, seiner Vampirkollegin, von rechts her verrieten die winzigen, schimmernden Knopfaugen eines Nagetieres unter einer tief herabgezogenen Kapuze die Identität der Verdeckten Ermittlerin: Mimosa.
Der nächste Bilderfetzen wirkte leicht verschwommen - die Kollegin Lilli Baum betrat das Gebäude etwas umständlicher, indem sie sich langsam aber stetig über die miteinander verbundenen Dachböden voran tastete und die Dachluke unter ihren Händen soeben mit unendlich viel Fingerspitzengefühl dazu überredete, sich lautlos zu öffnen.
Er hörte Stimmen und automatisch befürchtete er, es wären wieder solche, die niemand außer ihm wahrnahm. Die Hand der Wächterin zögerte aber im gleichen Moment und verharrte auf halber Höhe, mit der verzogenen Holzluke fest im Griff. Auch sie schien die beiden Männerstimmen zu hören, viel näher noch als er.
"...rufe ich die Wache!"
"Als wenn Du mich damit erschrecken könntest."
"Schlimm genug, dass Du Tag und Nacht vor der Haustür herumlungerst, jetzt auch noch bis hier hinauf zu kommen, das ist eine Unverschämtheit! Die Miete ist hoch genug, um den Gildenbeitrag zu decken und frisch bezahlt habe ich sie auch gerade erst. Also verschwinde!"
Der Blickwinkel riss den fernen Wächter mit sich, ob dieser es wollte oder nicht, und zeigte ihm plötzlich im Dunkel vorbeieilende morsche Stufen.
Die Schuhspitzen, die immer wieder in Sicht gerieten, bestanden aus besonders weichem, leicht gebogenem Leder. Das Schuhwerk einer Frau. Sie hörte die Diskussion ebenfalls, wenn auch wesentlich undeutlicher und von einer Etage tiefer.
"...willst Du damit andeuten? Bekommst wohl den Rachen nicht voll?"
"Ein paar Groschen hinwerfen und damit das Gewissen erleichtern, stimmt' s? Glaubst wohl, so funktioniert das?"
Der nächste Sprung platzierte ihn als ungewollten Beobachter auf Bodenhöhe.
Wände und Bodendielen rasten in mörderischem Tempo an ihm vorüber, die Welt war riesig und die Szene des oberen Treppenabsatzes sprang ihm entgegen, bis er so abrupt hielt, dass es ihn regelrecht aus dem Wirtskörper hinaus
- nicht wirklich die Ratte der Kollegin, oder -
und in den nächsten, annähernd vertrauten, Leib hineinschleuderte.
Der Blick der Kollegin fokussierte sich auf die Lücke im Geländer, während sie in unendlich geschmeidiger Eleganz näher schlich. Schwarzes Haar umspielte seidig den Blickwinkel.
Die Stimmen wurden lauter, das Gesprochene deutlicher. Hinter den übrigen Wohnungstüren im Gebäude vernahm ihr übersensibles Gehör das verräterische Rascheln der Kleidung und das verhaltene Wispern vom Atem neugieriger Nachbarn.

Die Blickwinkel überlappten sich in Schwindel erregender Folge, teilweise hatte Sebulon das Gefühl, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein, zerrissen und vereint, schwebend. Und inmitten all dessen der Verbrecher und das Opfer.

Der Krüppel stützte sich schwer auf einem Stock auf und spuckte den Mann im Türsturz hasserfüllt an.

Das Bild der verschiedenen, beobachtenden Augen war überdeutlich, jeder Schatten ausgeleuchtet, menschliche Wahrnehmung vereinte sich mit vampirischer, tierischer und zwergischer. Die Wirkung war überwältigend und unbeschreiblich - nur nicht unbedingt Magen schonend.

Der gut gekleidete Mann guckte an sich herab, suchte schnell nach einem Stofftaschentuch, mit dem er den Makel umständlich abzuwischen versuchte. Er lief zornesrot an.
"Du... du..."
Der Krüppel brach in ein heiseres Lachen aus, das ihn unkontrolliert durchschüttelte.
Müller brüllte den Fremden an und trat ungehalten vor.
"Was soll das alles? Die Götter haben sich in letzter Zeit gegen mich verschworen! Was habe ich Dir getan, Mann, dass Du..."
Weiter kam er nicht. Der Krüppel wurde von einem Krampf gepackt, der sowohl dem fatalistischen Lachen, als auch den üblichen Schmerzen seines geschundenen Körpers entstammen mochte. Sein Rücken krümmte sich unnatürlich in eine seitliche Schräglage, ein Bein knickte ein und der Krückstock rutschte unter ihm fort. Er ruderte mit den Armen, griff aber ins Leere.

Und dann sahen sämtliche Augenpaare den Krüppel fallen, sahen seinen Körper auf den ersten Treppenstufen aufschlagen, deren Holz splittern, sahen seine Glieder in schrecklichen Winkeln schwenken, rutschen, schlenkern und auftreffen.

Sebulon hörte das Poltern des fallenden Körpers ebenso laut, als wenn er unmittelbar dabei wäre, er erkannte ohne Zweifel das knackende Brechen von Knochen.

Ein Blickwinkel rückte in den Vordergrund und es war derjenige Lilli Baums. Sie hatte die Luke endgültig geöffnet und blickte von oben auf die Szenerie herab. Direkt unter sich blickte sie auf den reglosen Haarschopf des Juweliers, die Treppe hinab auf den Körper des Bettlers, der ihrer Kollegin auf die Füße gefallen war, als diese um den Absatz herum stürmte in dem Bemühen, ihn noch aufzufangen und seinen Fall zu mildern. Der Gestürzte sah mit verschleiertem Blick zu der Vampirin auf, als diese sanft seinen Kopf stützte. Seine Stimme brach, als er flüsterte:
"Er hat mich... umgebracht..."
Mimosa tauchte neben den beiden auf, gerade als Mina seine Augen mit vertrauter Geste schloss.
Lilli Baums Gedanken waren seltsam unbeschwert, als sie wie in einer frühlingshaften Brise an Sebulon vorüberwehten: Der Leichnam würde vermutlich keinen besonders guten Dünger ergeben, so ausgezehrt wie er war.
Mimosas Blickwinkel überlagerte diesen und er sah mit ihren Augen das Entsetzen in dem Blick des wie versteinert stehenden Mannes oberhalb der Treppe.
Irgendwer zog seine Wachemarke und begann zu erklären, dass sie von einem besorgten Anwohner darum gebeten worden waren, ein Auge auf diesen Herrn zu haben und ob er ein paar Fragen beantworten könnte. Der Form halber. Denn dass es sich um einen Unfall gehandelt hatte, konnten sie alle bestätigen. Die Stimmen wurden leiser, die Bilder verschwammen und wurden blasser.
Der Püschologe nahm den realen Raum um sich wieder wahr. Etwas piekste ihn in die Wange. Er war wohl mit dem Gesicht auf dem Bleistift gelandet.


~~~ Etwa zwanzig Jahre zuvor ~~~



Die Stimmen klangen weit entfernt aber er hätte sie auch von Nahem nicht völlig verstanden, denn dazu hätte es einer Gehirntätigkeit bedurft und die hatte vor wenigen Minuten größtenteils ausgesetzt. Sie war durch allumfassende Schmerzen ersetzt worden.
"Bist Du dir sicher?"
"Klar, siehst Du doch. Der blutet wie ein angestochenes Schwein. Das überlebt der nicht. Komm, lass uns verschwinden!"
Die Schritte waren schnell. Dann waren sie weg.
Seine Welt war furchtbar laut. Das Rauschen in den Ohren, der dröhnende Herzschlag im Kopf, der ihm durch den Brustkorb und den Magen pulste, das eigene Stöhnen und Wimmern...
Die Zeit verging und gnädiges Vergessen wechselte sich mit höllischem Erwachen ab.
Irgendwann wurde es hell.
Sein Gehirn begann wieder zu arbeiten, klarer als zuvor, nachdem auch die betäubende Wirkung des Restalkohols nachließ.
Heinrich Müller! Sein letzter Auftraggeber musste den Spieß umgedreht und ihn in eine Falle gelockt haben! Er hatte den schmierigen Juwelenknirps unterschätzt. Für so skrupellos hatte er ihn nicht gehalten. Andererseits hatte der sich auch an ihm nicht die Finger schmutzig gemacht und wiederum Handlanger benutzt. Ganz genau so, wie er sich auch durch ihn seiner nörgelnden aber stinkreichen Ehefrau entledigt hatte. Ein Unfall, hatte es geheißen. Und einen Unfall hatte er arrangiert, oh ja. Darin war er Profi. Er würde hier in der Gosse krepieren, während Müller sich ins Fäustchen lachte!
Sein Körper hatte den Kampf noch nicht aufgegeben.
Der Hass in ihm wuchs.
Wenn er das hier entgegen aller Wahrscheinlichkeiten überleben sollte, dann würde er sich an dem Juwelier rächen. Er würde erst seinen sauberen Ruf ruinieren und dann sein Genick brechen. Und zwar stilecht, mit Schimpf und Schande. So einen musste man vor den Patrizier schleifen. Natürlich könnte er nicht einfach zur Wache gehen, denn immerhin hatte er selbst keine weiße Weste. Aber man würde die Wache für die eigenen Zwecke nutzen können, bestimmt. Es musste einen Weg dazu geben. Es musste einfach!
Leider reichte die Zeit beim Schreiben dieser Pokalmission nicht mehr für absichernde Fragen an meine Abteilungskollegen. Falls ich daher jemandes Charakter nicht zufriedenstellend oder - ich hoffe sehr, dies möge nicht passiert sein - womöglich falsch dargestellt haben sollte, bitte ich schon im Voraus um Nachsicht!



Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Von Huitztli Pochtli

01.03.2010 11:53

Die Geschichte hat mir gut gefallen, vor allem die überraschende Auflösung am Ende. Die Beschreibung von Sebulons exkorporaler Reise hatte schon beinahe etwas Psychedelisches!

Von Braggasch Goldwart

01.03.2010 11:53

Ganz besonders gefiel mir der Teil wo Sebulon unfreiwilliger Beobachter war - wer weiß ob es wirklich so ablief? :P Ansonsten freut es mich mal wieder eine single zu lesen, die kein Happy End hat. Ist bestimmt nicht das letzte mal, das wir von Müller hören. ^^

Von Sebulon, Sohn des Samax

01.03.2010 11:53

Ich muss zugeben, dass ich die Single äußerst verwirrend fand - nur den Part nicht, der mehr oder weniger in Sebulons Kopf stattfindet. ^^ (Du scheinst ihn also gut getroffen zu haben.)

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung