Sinn und Sinnlosigkeit

Bisher hat keiner bewertet.

von Oberfeldwebel Rib (SUSI)
Online seit 01. 08. 2009
PDF-Version

Ich wollte mich mit einer für mich typischen Geschichte zurückmelden. Hart, voller Selbstreflektionen der Figuren und belehrend. Dies dürfte wohl meine dunkelste sein.

Dafür vergebene Note: 11

"Gut", meinte Tut'Wee, kleinste Mumie der Scheibenwelt und Mitglied der Stadtwache zu seinen Arbeitskollegen. Fast die ganze Abteilung SuSi war hier versammelt. "Wir haben hier also einen Todesfall vor uns liegen, was können wir über ihn sagen?"
Charlie und Magane stöhnten auf: "Wir Haben Feierabend."
Laiza, die Abteilungsleiterin, beschwichtigte: "Kommt schon lassen wir ihm seinen Spaß."
"Genau", meinte Huitztli grinsend, "schließlich wollen wir nicht, das dieses Opfer als Karteileiche auf meinem Tisch endet."
"Es gibt nur eine Karteileiche. Und das bin ich." erwiderte die Gnumie resolut. Und das stimmte auch irgendwie. Laizas Aktenschrank, zwischen den Fächern T und U. "Los, kommt schon. Das wird ein Spaß."
"Na dann, fang mal an." meinte Avalania.
Tut wechselte die Perspektive, nahm völlig die Position des Okkultismusexperten ein.
"Naja", meinte jener, "viel kann ich nicht dazu beisteuern. Keine besonderen Zeichen oder Symbole, immerhin anscheinend ein ritualisiertes Vorgehen, da schon mehrere dieser Opfer an solchen Orten wie hier gefunden wurden. Aber im großen und ganzen eher ein Serien-, kein Ritualmord. Bin erstmal draußen, füge aber nachher vielleicht noch etwas hinzu."


Ich lebe hier in diesem Raum unter ewigem Tageslicht. Geboren in dem Großen Raum, habe ich ihn nie verlassen. Dieser Raum ist alles, er ist mein persönliches Universum. Die Großen Wände, jene Wände also, die das Ende meines Universums verkünden sind weiß gekalkt. Aber es gibt zwei Löcher in den Großen Wänden, selbst sind nicht sehr groß, die beständig Wind durch den Großen Raum ziehen lassen. Wind, der von irgendwo anders her kommen muss, der anders riecht, nach Draußen.
Unsere Leiber sind weiß und fett. Unsere Muskeln so untrainiert, das selbst ein leichter Stoß sofort uns einen blauen Fleck hinzufügt. Uns fehlt die Bewegung. Ich selber laufe nie weiter als die Länge meiner Zelle, welche fast meine eigene ist. Selbst das bringt inzwischen mein Herz fast zum Platzen. Die Tage sind so langweilig hier, eintönig, isoliert. Ein Gefühl von Sinnlosigkeit liegt über ihnen. In der einen großen Wand is ein Tor eingebaut, eine Verheißung.
Oft frage ich mich ob ich existiere, ob ich mehr bin als der Traum eines gelangweilten Lebens bin, geschaffen als ein Symbol dieser existentiellen Sinnlosigkeit, die diesem Raum, ja meiner Zelle zugrunde liegt. Ob es stimmt, dass wenn ich denke, wenn jemand da ist, nämlich ich, der bemerkt, das er gerade in diesem Moment denkt, dann muss jemand da sein, der denkt? Dann muss ich sein? Muss ich sein? Bin ich zwangsläufig existent?
Der Große Raum ist in Zellen unterteilt, klein, niedrig, deckenlos. Jeder von uns hat seine eigenen Zelle, ein Minimum an Platz, das nur ihm gehört. Holzbretter begrenzen meine Zelle, enden sie, beschließen sie. Wenn ich meine Nase hebe, sehe ich die Insassen neben mir. Zumindest das bißchen, was die Bretter mich sehen lassen, nicht mehr als eine Linie, die nicht linear zu sein scheint. Die Bretter beenden mich nicht nur, sie verteidigen mich. Wenn jemand in meine Zelle kommt, bring ich ihn um. Jeder hat seine eigene Zelle, ist seine eigene Zelle. So lautet das Gesetz, das wir uns selber gegeben haben. Deine Zelle ist dein Besitz, dein einziger Besitz, dein Leben. Verteidige sie mit deinem Leben. Du hast nur sie.

"Nun", meinte die Tatortwächterin, "ich bin wohl dran. Wenn du erlaubst Charlie. Immerhin treffen wir als erste ein, sichern Spuren, die keinem auffallen und machen die ersten, unberührtesten Eindrücke. Gut, schon beim Eintreffen am Fundort der Leiche bemerkten wir, das dies unmöglich der Tatort gewesen sein konnte. Nichts wies darauf hin, dass die Tötung hier geschehen ist. Kaum Blut und obwohl das Opfer gehäutet und ausgeweidet wurde, liegt hier nichts von dem herum. Soweit man sehen kann. Tschuldigung, aber hier ist es wirklich verdreckt. Eine Identifizierung des Opfers wurde uns durch die Häutung schwer gemacht, aber die Spezies deutet darauf hin, das er kein Metropolenbewohner war. Ich nehme an, er kam von außerhalb. Ach ja: ER. Das Opfer, wenngleich man kurz vor oder nach seinem Tode eine Kastration vollzogen hat, war eindeutig mannlich".
"Nach seinem Tod." meinte die Gerichtsmedizinerin. "Keine verheilten Wundränder."
"Sei still. Du bist gleich erst dran. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja: Die Spurensuche wird ganz schön erschwert durch den Umstand, das hier halb Ankh-Morpork durchwandert. Wir also schwer sein, jemanden zu finden, der NICHT mit diesem Mord in Verbindung steht. Naja, immerhin haben wir dieses seltsame Bekennerschreiben."
Sie winkte mit einer Karte und schloss mit den Worten: "So, Ava, jetzt bist du dran."


"Du hier... raus." Der Wärter kommt, treibt mich mit Fußtritten heraus auf einen Gang, auf diese metallerne Scheibe, die er Messstation nennt. Er murmelt Zahlen. Irgendetwas stimmt nicht, ist anders. Meine Zelle, meine Grenze, meine Verteidigung, wo bist du? Mein Herz droht unter der Anstrengung der eigenen Schritte aufzugeben. Ich spüre die Blutergüsse, die sich schon unter meiner Haut bilden. Doch ich soll weitergehen, in eine andere Zelle, doppelt so groß wie meine. Ich kenne diese Zelle. Es ist die Zelle der kalten Frau. Ich weiß, was ich zu tun habe, noch ehe ich ihren Duft in der Luft erschnuppere. Du bist kalt, meine Liebe, und schweigsam. Noch nie habe ich einen Herzschlag an dir gespürt. Kein Wort kommt über deine Lippen und dein Gesicht ist unerkennbar. Aber ich liebe dich, hier in diesem Raum, der dir gewidmet zu sein scheint, unverkennbar und vollkommen deinen Geruch als Siegel hält. Diesen Geruch, der mich um deiner selbst willen mich selbst verlieren lässt. Wenn du nur etwas sagen würdest.
Die Wärter beobachten mich genau, wie ungeschickt ich bin, abrutsche, aufschlage es von Neuem versuche. Plump hänge ich an dir, nicht unkommentiert von Wächters Auge und Zunge. Sie verhöhnen mich. Aber mir macht das nichts aus. Ich liebe dich. Auch wenn du nicht mit mir sprichst, mein kaltes Herz. Sie treiben mich wieder fort, mit mehr Nachdruck und härterem Schlage, da ich dich nicht verlassen will. Und doch lasse ich dich gefüllt zurück. Wie bei jeder unserer Begegnungen, die so sind, wie du, kalt und still. Und doch harre ich ihrer, wie ich auch deiner harre. Meine Liebe.
Ich kehre in meine Zelle zurück. Man hat mir Essen hingestellt und ich schlinge es herunter. Ich esse immer, denn es erfüllt meine Zeit, wie ich SIE füllte. Meine Zeit ist endlos, unbeschäftigt, sinnfrei. Aber so wenigstens schmackhaft. Ich bin so fett geworden, das ich kaum stehen kann.
Wer bin ich? Wenn ich raus könnte, nicht nur aus dieser Zelle, sondern aus dem Großen Raum, was würde ich erfahren, vom Leben, von der Welt? Wo sind die Wärter, wenn sie mich nicht zu dir treiben, kalte Frau? Warum bringen sie mich zu dir, Schweigsame? Was wissen sie, da sie den Raum verlassen können? Gibt es ein Wissen neben der Sinnlosigkeit?
Ich weiß, dass ich, obwohl ich hier geboren bin, hier nicht meine Bestimmung finde. Einmal haben ältere Insassen diesen Raum verlassen, Ich hatte immer gehofft, das sie wiederkämen, das sie erzählen würden, was hinter den großen Wänden ist. Eines Tages, das glaube ich fest, werde ich ihr Wissen teilen können. Ich werde den Raum verlassen.
Die jüngeren Insassen, jene die mit mir in dem Raum noch verblieben sind, wissen auch nichts. Ich höre ihre Stimmen, ihr Drohen, ihr Seufzen und ihr Flehen. Und was noch wichtiger ist, ihre Gerüchte. Wörter, aufgeschnappt oder erfunden, machen die Runde, versuchen Erinnerungen zu werden. Unbedeutendes, denn was draußen ist, was wir hier drinnen sind, kann keiner sagen. "Progressionszone" ist das Neuste, ein Wort, das ein Wärter fallen ließ, etwas, das unsere Anzahl bestimmen soll. Als ob irgendjemand unsere Anzahl kennen würde. Oder sie von Belang wäre an einem Ort, wo man nicht einmal den Nachbarn richtig erkennen kann. An diesem Wort beteilige ich mich nicht.
Ich kaue.

Die Gerichtsmedizinerin räusperte sich: "Festgestellt haben wir ja schon, das postmortem das Opfer einiges durchmachen musste. Kastriert, gehäutet, dazu noch ausgeweidet. Als Gerichtsmedizinerin komme ich nicht um hin, der Liste noch 'Mit siedend heißem Öl und einer alkoholischen Flüssigkeit übergossen' hinzuzufügen. Und es wurde großer Hitze ausgesetzt, die das Fleisch aber nur ansatzweise verbrannte. Nein, Tut, ich kenne deine nächste Frage: Auch wenn ein Opfer nur halb durch ist, kannst du es nicht als Medium nutzen. Und gepflockt mit einer Eisenstange wurde es auch noch. In jedem normalen Mordfall würde ich hier auf Mord aus Leidenschaft tippen. Keine dieser Taten hatte jedoch seinen Tod zur Folge, da zu diesem Zeitpunkt das Opfer schon ziemlich blutleer war. Hier am Hals ist eine tiefe Stichwunde zu sehen, dass Opfer erlag also einer Messerstecherei. Keine Abwehrverletzungen, also eine ziemlich einseitige Stecherei.

"Du hier... raus." Ich muss geschlafen haben, vielleicht von ihr geträumt haben. Der Wärter ist da, treibt mich mit Fußtritten heraus auf einen Gang, auf diese metallerne Scheibe, die er Messstation nennt. Er murmelt Zahlen. Irgendetwas stimmt nicht, ist anders. Sogar mehr anders als sonst. Ihr Duft liegt nicht in der Luft. Ich werde zu anderen getrieben. Wir wissen nicht, was wir tun sollen kennen uns nicht. Selbst meine Nachbarn, jene nicht linearen Linien der Beredsamkeit, würde ich nicht erkennen. Einige von uns beißen, mehr aus Verwirrtheit, denn aus Angst, aber trotzdem ernst. Was sollen wir nun verteidigen, ohne Zelle?
Das Tor, es öffnet sich! Grün schlägt mir entgegen, fern, aber erreichbar. Mir schlägt es entgegen, der ich nur weiß und grau und silber kannte. Und es riecht nach etwas, was ich ... Heimat nenne. Mehr als die Zelle, der Gang und die Frau. Ein Wort namens Gras, ein längst vergessenes Gerücht macht die Runde. Ist es das? Naht nun die Erlösung, die Freiheit? Erfahren wir nun das Wissen der Älteren?
Und es durchflutet mich nun, wie das Licht, das von oben aus der blauen Decke, deren Entfernung ich nicht schätzen kann, herabstrahlt. Und ich weiß, das es Tag ist, echter Tag, nicht die beleuchtete stumpfsinnige Ewigkeit, die dem Raum seine Erscheinung gibt. Das Grün, so fern... Ferne! Begriffe wie Weite, Unendlichkeit strömen in mich ein, Begriffe die diesem Raum, der meinen RAUM umfasst, nicht im Mindesten gerecht wird. Und der Boden ist Raum, eine weitere Farbe. Mein Herz macht einen Sprung, droht nun endgültig zu platzen. Das neben mir jemand an der Schönheit zusammenbricht, bemerke ich kaum. Nur meine Neugier am Schönen hält mich aufrecht. Wie viel ich sehen kann...
Sie treiben uns weiter, einen Gang aus Gattern entlang. Das Grün, obgleich sichtbar, scheint unerreichbar fern. Ich, gebannt von seiner Farbe, spüre die Schläge kaum. Der Boden ist weich, fast so nachgiebig wie die Haut eines Lebenswesens, dessen Atem als Wind über uns strömt. Zu bald schon kommt eine Rampe, über die sie uns in einen dunklen Raum, fast zu eng für uns alle, treiben. Viele sind immer noch verwirrt, beißen, reißen, verletzen. Aber ich sehe nur die fast vollkommene Dunkelheit, die in diesem Raum vorherrscht. Nacht. Ein neues Erlebnis. Die Rampe wird hochgeklappt und der Raum fängt an zu wackeln. Die Luft ist voll vom Geruch von Exkrementen, die aus Angst verloren wurden. Mein Körper, belastet durch ungewohnte Anstrengung und Erkenntnis, fordert Tribut. Eine andere Nacht umhüllt mich, schaltet mich aus in sanfter Umarmung.

Nun war die Laborantin dran: "Gut, ich halte es kurz. Das Öl besteht hauptsächlich aus seinem eigenen Körperfett, das durch die große Hitze gelöst hat. Bei dem Alkohol handelt es eine nicht brennbaren Anteil von unter 42 Prozent, ich tippe auf Bier.
Katzenbringerisches Nachweisverfahren würde ergeben, hoffe ich zumindest, das hier kein Lykanthrop vor uns liegt. Ansonsten ist das Opfer stark übergewichtig und hat kurze Zeit vor seinem Tod starke Anstrengungen betrieben - Man beachte die geschwollenen Knöchel. Der hohe Fettanteil im Fleisch belegt eine unausgewogene Ernährung und wenig Bewegung. Die Schnitt wunde wurde seitlich zugefügt, das Ausweiden von hinten nach vorne. Der Täter bewies eine gewisse Professionalität, was man daran sehen kann, das die Ohren trotz Häutung noch am Körper haften."


Bin ich wach? Träume ich? Was sind die Regeln, nach denen dieser Raum funktioniert? Nicht von all dem, was wir gelernt, nein, aus uns entwickelt haben funktioniert. Und meine Beine können mich kaum noch tragen. Ich verstehe die Regeln nicht. Das Grün, nur eine Erinnerung, an der ich mich kaum festhalten kann. Ich traue mich nicht, herabzusehen, gleichgültig der Dunkelheit, die verhüllen würde, was ich nicht sehen konnte. Ich stehe auf dem Gesicht von jemandem totem, hoffentlich totem.
Der Raum rumpelt noch immer, meine sinnlose Welt scheint nun einer des Schmerzes gewichen zu sein. Blut strömt mir aus der Nase. Bald wird jemand auf meinem Gesicht stehen. Doch selbst das scheint nicht gewiss. Was mache ich hier? Wenn meine Welt sinnfrei, geregelt und sicher, nun chaotisch und regellos ist, bedeutet das, das in diesem Zustand der Sinn steckt?
Ich denke: Ja.
Ebenso wie ich früher gedacht habe, das die Erkenntnis, ein denkendes Wesen zu sein etwas darüber aussagt, was und das ich bin, weiß ich nun, das ich mich geirrt habe. Was bin ich, besser was ist ich, wenn nicht ein Fettkloß, unbeholfen im Abyss der Dunkelheit, schmerzgepeinigt. Ich bin ein bestimmbares Ding im Dunkeln. Ängstlich, erregt und fett vielleicht, aber bestimmbar. Das darf ich nicht vergessen, darf niemand vergessen. Das definiert mich. Und die Hilfe, die ich benötige. Es ist egal, ob der Schmerz Illusion ist, ob ich Illusion bin. Ich fühle ihn als Realität, muss ihn als gegeben erkennen, bestimmen als wahr, da seine Qualität, die durch meine vielleicht illusorischen Nerven zieht, ihn zur Wahrheit bestimmt. Alles kann Illusion sein, nur der Schmerz ist wahr. Und wenn der Schmerz wahr ist, bin ich, der ihn fühlt auch. Ich habe etwas gelernt.
Was ist mit den anderen? In ihrem Gesicht, das ich heute zum ersten mal sah, sah ich Augen, Mund und Nase. Und Entsetzen sah ich. Ich glaube, sie kennen sich auch. Ist es nicht das, was wirkliche Selbsterkenntnis ist? Zu wissen, etwas kann einem schaden? ich glaube die anderen kennen sich nun auch. Sie leiden.
Ich suche die kalte frau, doch ihr Geruch ist nicht in der Luft. So ist sie nicht zur Erkenntnis gelangt, die uns dieser Raum vermittelt. Aber vielleicht ist sie gar nicht existent, fern von Pulsschlag, Bewegung und nun auch Erkenntnis. Meine Eingeweide kramfen sich in Aufruhr zusammen und ich hoffe das Gesicht unter mir wirklich tot war. Das will ich keinem zumuten. Denn ich fühle mit euch, leide mit euch, Nachbarn, Brüder. Mitleiden... Mitleid, ein neues Konzept. Fern der Regel. Ich spucke Blut.
Ist dies das Geheimnis des rumpelnen Raums? Jenes Zusammenbrechen aller Regeln und Werte, hat sie den Sinn der mir fehlte? lehrt mich das Fehlen jeder Norm neue Bestimmungen?
Ich, aus Schmerz geboren, lebe. Schmerz ist der Beweis des Lebens. Es ist mein Atem, der meinen Brustkasten hebt und senkt. Atem... Wind... Seele.
Ich bin bestimmbar, nun habe ich mich bestimmt. Ich bin ein bestimmtes Ding. Und verkrieche mich, hier in der halb wahnsinnigen Menge an den einzigen Ort der mir bleibt. Mein Ich. Denn ich weiß nun, ich habe eins.
Irgendetwas neben mir zuckt.

"Tja", meinte der Rechtsexperte, "Normalweise würde man hier von Mord sprechen, aber ich muss euch enttäuschen. Alles recht legal. Nicht mal den Besitzer dieses ... Ortes hier können wir aufgrund einer Gewinnbeteilung am Tod des Opfers zur Mittäterschaft belangen.

Das Rumpeln hat aufgehört, die Türen sind geöffnet worden. Frische Luft strömt herein. Mein Atem, meine Seele normalisiert sich. Und ich habe etwas gelernt. Fern von Schmerz und Blut, auch wenn einige von uns dafür ihr Leben lassen mussten, haben wir etwas gelernt. Die Wärter waren unsere Lehrmeister. Dankbar für ihr Wissen schaue ich zu meinen Wohltätern auf. Wie konnte ich leben, ohne gelernt zu haben, dass ich lebe? Deutlich, verlockend wie das Grün, steigt Erkenntnis auf. Ich, keiner sonst habe mein Blut erbrochen, habe diese speziellen Bisswunden, die nur an mir an den für mich bestimmenden Stellen sitzen. Ich habe gelernt, ein Individuum zu sein. Das ist zwar keine Bestimmung, aber etwas bestimmendes. Was wertvoller sein kann. Weil es Ansätze für eine Moral bietet.
Wir trampeln die Rampe wieder herunter, über Leichen und jene die nun vor Erschöpfung zusammenbrechen. Aber ich tue es mit Mitleid. Ein anderer Raum, dasselbe ewige Licht. Auch die Messstation scheint ähnlich zu sein. Nun, da ich durch den rumpelnden Raum gewandert bin, dem Chaos nicht erlegen, sondern durch Erkenntnis gestärkt bin, gehe ich auf eine Weise dorthin, woher ich kam. Doch es ist nicht der selbe Raum, andere Geräusche und Gerüche liegen in der Luft. Nun bin ich auf der Station. Im Gegensatz zu sonst nimmt man es hier sehr genau, für Messungenauigkeiten ist hier kein Platz. Ein Wärter, unbekannt, tritt an mein Ohr und durchbohrt es. Entsetzt furchte ich, ob ich noch mehr Lehren aus dem Schmerz ziehen soll, da sehe ich sie: Die Plakette.
Was auf ihr steht vermag ich nicht zu lesen, jeder von uns, die wir gemessen wurden, hat eine, doch jede scheint etwas anders zu sein. Eine Auszeichnung meiner inneren Individualität, begreife ich, die nun auch äußerlich sichtbar ist. Mein Ohr tut weh, aber dennoch trage ich sie mit stolz. Ich habe gelernt. Und daher verdinglichen mich die Wärter nicht mehr, sondern helfen mir auf meinem Weg zur Einzigartigkeit. Es steckt ein Sinn hinter all dem. Sinn, das war es was mir gefehlt hatte. Ein Ziel, nach dem ich mich ausrichten konnte. Ich bin bereit es zu entwickeln, wie die Wärter, deren Kraft anscheinend daraus resultiert, das sie ein Ziel haben. Ich erinnere mich an das Grün, das sich verlockend in meine Gedanken schleicht. Aber wie formuliere ich das als Ziel?
Die Wärter bemerken mein Zögern, ihr Sinn ist noch nicht vollendet, daher treiben sie mich weiter, den unbekannten Geräuschen entgegen. Wir werden aufgestellt, in Durchmusterungsreihenfolge. Eine Kette wird um mein rechtes Bein geschlungen. Mein Bein, ich fühle es, mein. Bemerkst du mein Wachsen, Wärter? Ich habe Angst, bin am Ende angelangt, aber ich existiere. Bereit für deine Wahrheit.
Plötzlich zieht die Kette mich hoch, und ich sehe über mir eine Winde, von Dämonen über eine Schiene gezogen. Das muss ein Irrtum sein, Wärter. Schmerz kann mich nichts mehr lehren, hat mich gelehrt. Mein Gewicht, zu schwer für meine Knöchel, reißt nun an meinem einem aufgehangenen Bein. Und etwas in mir reißt auch, Organe platzen. Ich hänge mit dem Kopf nach unten, der Blutstrom aus der Nase, fast versiegt, schießt in nicht dargewesenem Schwall hervor und droht mich zu ersticken.
Wände rasen an mir vorbei. Ich sehe meinen Vordermann, ein Wärter beugt sich zu ihm, wie um eine letzte Wahrheit zu verkünden. Dann sehe ich ein metallernes Ding in Wärterhand. Es schneidet tief in den Hals, zertrennt Muskeln, Sehnen, Luftröhren. Das Zucken des Vordermannes hört abrupt auf. Dann werde ich vorgeschoben. Das muss ein Irrtum sein. Wärter, ich will dir von dem Gras erzählen, dem rumpelnen Raum, meiner Plakette. Wenn du mich kennen würdest, wüsstest, wer ich bin, so wie ich es erlebt habe durch dich. Bitte, flüster mir kein Metall zu, sondern höre auf das, was ich dir einflüstern möchte: Ich bin einzigartig, ich habe gelernt, ich kenne Sinn und Sinnhaftigkeit. Ich... blute. Kann nicht atmen. Atem... Seele... Leben. Alles fließt aus mir heraus. Einem Individuum. Nun brauche ich keine Hilfe mehr.

"Alles rechtens?", meinte Nimh, " Find ich gut. Hätte auch nicht gewußt, wo wir dann unsere Abende verbringen sollten. Also los jetzt ich habe Hunger."
Er hob sein Glas und grinste: "Und nun, Herr Wirt, her mit dem Stück Spanferkel."



Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Von Jargon Schneidgut

01.09.2009 11:39

In gewisser Weise ist das eine Zusammenfassung der Gründe, warum eine Menge Menschen Vegetarier werden ^^. Daumen hoch für die Atmosphäre und die Dichte!

Von Huitztli Pochtli

01.09.2009 11:39

Hui, wie gemein! ;-)Dennoch: eine unglaublche Idee. Die Single hat mich gefesselt und auch nachdenklich gestimmt. Bekanntermaßen bin ich kein Vegetarier, aber auch Schlachttiere verdienen Respekt.

Von Valdimier van Varwald

01.09.2009 11:39

Also ich habe ja lange überlegt, ob ich die Geschichte bewerten soll. Schreibtechnisch wie immer erste Sahne und das von dir auch gerne mal Geschichten "anderer" Art kommen, ist ja kein Geheimnis und auch gut so. Es bleibt auch jedem selbst überlassen, was er in seine Geschichte packt, aber warum du ausgerechnet für eine Pokey eine Geschichte nimmst, die ich eher auf der Homepage der PETA vermuten würde, will sich mir nicht ganz eröffnen. Die Idee mit den parallel verlaufenden Handlungssträngen war zwar sehr nett, aber knapp nach der Hälfte war mir klar, worum es geht, da sich die Kollegen niemals so verhalten würden, wenn sie eine menschliche Leiche vor sich hätten.Als moralischer Anstoß für alle Fleischesser sicher sinnvoll, aber auch nicht wirklich originell. Wie sinnvoll so eine Geschichte in dieser Holzhammer Art aber auf der Wache ist, muss jeder für sich selbst sehen. Für mich knapp am Ribbon vorbei, wobei mir der "Plot" absolut nicht gefallen hat.

Von Breda Krulock

01.09.2009 11:39

Es fiel mir schwer, diese Single zu bewerten. Mir ist bewusst, was du damit ausdrücken und erreichen wolltest, aber zumindest bei mir hat es eigentlich nur Ablehnung hervorgerufen. Mir wurde relativ schnell klar, worum es geht und die Hinweise wurden zum Ende hin großflächiger gestreut als zu Beginn. Alles in allem aber wurde es mir dann doch zu makaber. Ich denke, viele wenn nicht sogar alle sind sich der perversen Tierhaltung und allem was dazu gehört bewusst. Die Frage ist nur, ob man damit auch noch in der Stadtwache konfrontiert werden muss.Ich finds furchtbar schade, dass sie mich nun überhaupt nicht ansprach, hatte mich so gefreut wieder mal was von dir zu lesen...

Von Braggasch Goldwart

01.09.2009 11:39

Klingt wie die Geschichte eines eingefleischten Vegetariers. :D Im ernst: Es hatte mir viel zu wenig mit der Wache ansich zu tun und doch fastzinierte mich der "Plot". Ich stolpere zwar ab und zu über schwammige und umständliche formulierungen, aber der morbide Stil ist herrlich, die Sicht des Schweins nachvollziehbar und alles in einer Art düster, dass man nahezu mitleiden möchte. Leider muss ich jedoch zu dem Schluss kommen, dass diese single weit besser als Einzelne unter "außer Konkurenz" geblieben wäre, als sie als Pokey zu verwenden.

Von Sebulon, Sohn des Samax

01.09.2009 11:39

Und so ist es. Düster und wahr. Auch dir, Tut: Ein Korrektor wäre vorteilhaft. Er würde dich auch auf fehlende Satzhälften aufmerksam machen, wie in 'Bei dem Alkohol handelt es eine nicht brennbaren Anteil von unter 42 Prozent, ich tippe auf Bier.'Aber eine klasse Pokalsingle. Danke. :)

Von Daemon Llanddcairfyn

01.09.2009 16:12

Bis zum letzten Satz fand ich die Geschichte zum Kotzen, danach war's ne 15 ;-D

Von Magane

01.09.2009 23:16

Ich empfand diese Kurzgeschichte als extrem anstrengend, zumal ich als Erstkorrektor kaum eine andere Wahl hatte als sie zu lesen. Hätte ich eine Wahl gehabt, hätte ich sie ziemlich am Anfang beiseite gelegt.



Die Inhalte sind mir nicht fremd, der Kampf dagegen ist eine gute Sache, aber ich habe es schon oft gesagt und werde es immer wieder sagen: Hier an diesem virtuellen Ort, möchte ich damit nicht auch noch konfrontiert werden. Deswegen bin ich hier, dies ist ein Zufluchtsort.



Und nun zu den Fehlern die ich übrsehen habe: Wer sie findet mag sie gerne behalten. Wir sind alle nicht perfekt, keine Pokey in dieser Runde war fehlerlos und ich wage zu behaupten, dass keine Single hier fehlerlos ist.

Wer mag kann mehr zu meiner Ansicht zu Fehlern lesen, aber ich möchte niemanden übermäßig ärgern...
[spoiler]Was die Grammatik angeht, so habe ich mir nichts vorzuwerfen, mag sein dass ich die eine oder andere fragwürdige Konstruktion übersehen oder selbst benutzt habe, aber das ist noch lange kein Grund darüber herzuziehen. Die deutsche Sprache ist keine rein systhematische Sprache, es gibt nicht nur schwarz und weiß sondern auch grau. Ganz nebenbei handelt es sich auch noch um eine lebendige Sprache, immer im Fluss, was ich noch als richtig gelernt habe ist heute schon zum Teil veraltet, was ich als falsch gelernt habe ist heute zum Teil richtig. Also wenn ich eine fragwürdige Konstruktion finde oder selber benutze, noch dazu in wörtlicher Rede, so ist das kein Fehler, sondern eine fragwürdige Konstruktion. Für weitere Diskussionen hierzu, bin ich im AIM, per Mail oder per PN jederzeit offen.[/spoiler]

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung