Jeden Morgen geht die Sonne auf

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von Obergefreite Mimosa (RUM)
Online seit 01. 10. 2008
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In einer Stadt, die traditionell hauptsächlich aus Holz, Stroh und Teer (um die Ritzen abzudichten) gebaut ist, sind Brände nichts Ungewöhnliches. Doch diesmal scheint mehr dahinterzustecken.

Dafür vergebene Note: 11

Ihre Augen waren scheu zu Boden gerichtet. Ein grauer, formloser Kittel hüllte ihren Körper ein und schwang fadenscheinig um sie herum, als sie durch die Menschenmenge huschte. Eine Dienstmagd unter vielen, das lange, rote Haar zu einem strähnigen Zopf geflochten, gekleidet in von der Herrschaft abgelegten Kleidern. Der krumme Rücken und die Augen, die über den Pseudopolisplatz schweiften und dennoch nichts zu sehen schienen, zeugten vom harten Alltag von Ankh-Morporks Dienstboten.
Unbemerkt verschwand sie in einer Seitengasse. Einige Zeit später öffnete sich die Tür des anliegenden Hauses und eine Wächterin in einer grau-roten Uniform trat hinaus. Widerstrebend rückten einige Menschen beiseite, so dass die Wächterin das gegenüberliegende Wachhaus betreten konnte.
Schon in der Tür wurde sie von einem Rekruten abgefangen, der offensichtlich angewiesen war auf sie und ihre Abteilungskollegen zu warten.
"Korporal Ziegenberger?"
Er wartete ihre Bestätigung nicht ab und drückte ihr eilfertig einen Notizzettel in die Hand.
"Alle RUM-Mitglieder sollen sich sofort in Feldwebel von Grauhaars Büro treffen, Sondersitzung!"
Ophelia hatte bereits damit gerechnet. Hinter ihr wandte sich der Rekrut wieder eifrig der Tür zu.

"Extrablatt. Extrablatt! EXTRABLATT!"
"JajaJA!"
Knurrend drückte Amok Laufen dem Zeitungsjungen ein paar Münzen in die Hand, nur damit er Ruhe gab und ihm nicht hinterherlief. Um Himmels Willen! Er hatte die ganze Nacht durchgemacht, und wozu das alles? Für nichts! Ab-so-lut gaaaar NICHTS! Und jetzt konnte er sich noch nicht mal eine wohlverdiente Pause gönnen, sondern wurde in aller Herrgottsfrühe von einer Taube an der Fensterscheibe geweckt, die obendrein sein Bett als Abort benutzt hatte. Konnte es eigentlich noch besser werden?
"Jeden Morgen geht die Sonne auf", brüllte der Zeitungsjunge hinter ihm lautstark und begeistert. Soviel dazu, den Weg zur Arbeit halbwegs in Frieden hinter sich zu bringen. Er warf einen Blick auf die Titelseite. Eine schreiend bunte Schlagzeile sprang seinen übermüdeten Augen entgegen. Auch das noch! Für dieses Käseblatt hatte er Geld ausgegeben!
Auf dem größten Teil der ersten Seite der "Ankh-Morpork Sun" prangte die Ikonographie einer leicht bekleideten Frau. Die Schlagzeile informierte ihn, dass Gräfin Isobelle aus Sto-Lat eine Affäre mit ihrem Schwiegersohn habe. Na und?
Kopfschüttelnd betrat er das Wachhaus und wurde sogleich von einem übereifrigem Rekruten überfallen.
"Alle RUM-Mitglieder-"
"Ich weiß!"

Romulus von Grauhaar ließ seine Augen über seine versammelte Truppe schweifen. Je nach Mentalität oder Respekt gegenüber ihrem Vorgesetzten saßen die WächterInnen aufmerksam auf ihren Stühlen oder schwatzten völlig ungeniert miteinander. Allgemeines Tassengeklirr ertönte und zeugte von einem viel zu hohem Koffeinpegel im Blut der anwesenden Spezies. Der Werwolf räusperte sich ungeduldig.
"Guten Morgen."
Auch der letzte Gesprächsfaden verebbte und die Wächter wandten sich mehr oder weniger interessiert ihrem Abteilungsleiter zu.
"Ich weiß nicht, in wie fern jeder einzelne über die kürzlichen Brandfälle informiert ist, also werde ich den Fall noch einmal zusammenfassen: Vor 22 Tagen brannte in der Ankertaustraße ein Haus ab. Es gab weder Tote noch Verletzte, aber einen recht hohen Sachschaden, da im Keller des Hauses ein Vorrat Achatische Seide lagerte. Dies wurde von Susi bestätigt und Seals und DOG übernahmen den Fall, da sie Brandstiftung und Fair-Sicher-Ungsbetrug vermuteten."
Leises Gemurmel kam im Raum auf, doch Romulus achtete nicht darauf und sprach weiter.
"Schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass der Besitzer überhaupt keine Fair-Sicher-Ung abgeschlossen hatte, weder offiziell noch inoffiziell. Seals überprüfte nun, ob der Besitzer Feinde hatte, doch die Ermittlungen verliefen im Sande. Genau eine Woche später brannte im Blechdosenweg wieder ein Haus ab, diesmal ein leerstehendes Wohnhaus, in dem aber ein paar Mitglieder der Bettlergilde schliefen. Die Golemfeuerwehr war rechtzeitig zur Stelle. Es gab zwar Verletzte, doch keine Toten. Diesmal konnte Susi Brandstiftung nachweisen."
Romulus spürte, dass er endlich die volle Aufmerksamkeit der anwesenden Wächter genoss. Dennoch hing die unausgesprochene Frage im Raum: Und was haben wir damit zu tun?
"Vorletzte Nacht brannte das dritte Haus ab. Wieder Brandstiftung. Diesmal gab es einen Toten und somit hat Seals den Fall an uns abgetreten."
Frän Fromm meldete sich zu Wort.
"War es wirklich ein Mord oder befand sich das Opfer nur zufällig im Haus? Um wen handelt es sich überhaupt?"
"Der Tote hieß Erwin Kitsch. Er schrieb als "Rennender Reporter" für die AM-Sun. Er hatte sich im Obergeschoß eines leerstehenden Hauses im Chrysanthemengäßchen in Little Achat eingenistet um für eine Story über das organisierte Verbrechen zu recherchieren, aber dann wurde die Sache wohl zu heiß- im wörtlichen Sinne."
"Es ist möglich, dass der letzte Brand von der Achatischen Yakuzzah mit Absicht gelegt wurde, um einen ungemütlichen Zeugen loszuwerden", übernahm Ophelia. "Ich habe mich heute Morgen bereits dort umgesehen und mit ein paar Dienstboten gesprochen, aber keiner weiß etwas und natürlich hat auch niemand etwas Verdächtiges gesehen."
"Wobei es schon verdächtig genug ist, dass die Brandorte in Straßen mit aufeinanderfolgenden Buchstaben liegen", meinte Septimus. "UND jeweils genau eine Woche dazwischen liegt."
Romulus nickte. "Wir verfolgen mehrere Spuren: Die Brandherde an sich, die Feinde der Besitzer und von Erwin Kitsch und die Achatische Yakuzzah. Frän, ich brauche ein Täterprofil. Pyronekdan, Thask, habt ihr Kontaktleute in Little Achat?"
Die beiden Angesprochenen schüttelten die Köpfe.
"Es ist schwiiiierig," sagte Thask. Die übrigen Wächter warteten mehr oder weniger geduldig, bis er - langsam- den Satz zu Ende brachte. "Sie reden nuuuur mit der Famiiilie und trauem keiiiiinem. Wenn man zu viele Fraaaagen stellt, hat man bald keine Zuuuunge mehr oder ein paar Fiiiiinger weniger."
Alle starrten Thask an.
"Es ist sehr schwiiiiierig, sich die Zunge wieder anzunähen", verteidigte er sich. "Man sieht sie sooo schlecht!"
Romulus verdrehte die Augen.
"Versuch's trotzdem. Mimosa und Mina, schaut euch ebenfalls unauffällig dort um, aber geht keine unnötigen Risiken ein. Die meisten Achater geben nicht viel auf die Wache. Ophelia, Septimus und Lilli, horcht die Anwohner der abgebrannten Häuser ein wenig aus und hört euch in den Kneipen um. Dann nehmt euch die Besitzer vor. Kolumbini und Ayure fragen in der Redaktion nach, wer alles wusste, dass sich das Opfer in dem Haus befand. Pyronekdan, erkundige dich in der Szene, ob in letzter Zeit jemand Brandstifter gesucht hat oder mit Bränden prahlt. Morgen um diese Zeit tauschen wir hier die Ergebnisse aus. Noch Fragen?"
Alle schüttelten die Köpfe.
"Viel Erfolg".
Die versammelte Wächterschaft salutierte mehr oder weniger simultan und verließ den Raum in einem Chaos aus durcheinander stehenden Stühlen, umgekippten Mucken und Kaffeeflecken.

***

Da weder Mimosa noch Mina besonders achatisch aussahen, beschlossen sie Ophelias Beispiel zu folgen und staffierten sich als Dienstmägde aus. Mimosa hatte sich die Haare dunkel gefärbt um die ungewöhnliche Farbe zu verdecken. Beide Wächterinnen hatten ihre auffallende Blässe mit Schminke überdeckt und liefen nun durch eine Parallelstraße des Chrysanthemengäßchens. Gedankenverloren krümelte Mimosa etwas in ihre Kapuze.
"Keks?" fragte Mina.
Mimosa schüttelte den Kopf.
"Eiswaffel. Ich habe Schleicher auf Diät gesetzt, er ist ein bisschen zu mopsig -Au!"
Sie verzog das Gesicht und rieb sich den schmerzenden Nacken.
"Deine Ratte hat echt ihren eigenen Kopf. Vielleicht hättest du sie besser zu Hause lassen sollen."
"Er kann sich zur Abwechslung mal nützlich machen. Außerdem ist seine Nase besser als unsere; kann ja sein, dass er was findet."
Die beiden Wächterinnen betraten ein Teehäuschen, das offensichtlich auch von den schlecht verdienenden Einwohnern des Viertels besucht wurde. Der Geruch machte deutlich, dass trotz der frühen Stunde noch ganz andere Sachen als Tee ausgeschenkt wurden.
"Ich glaube nicht, dass wir hier richtig sind", flüsterte Mina. "Wir sollten es woanders probieren-"
"Abwarten", erwiderte Mimosa forsch und steuerte auf die Theke zu. Mina beobachtete, wie ihre Mitwächterin eine Tasse orderte und es sich an einem Tisch bequem machte. Sie ließ ihrerseits ihren Blick durch das kleine Lokal schweifen und bemerkte zwei stämmig wirkende Männer, die abseits an einem Tisch saßen und sich offensichtlich schon reichlich zuge-kampait hatten. Einer der beiden blickte auf, und Mina schenkte ihm ein kurzes, zuckersüßes Lächeln, bevor sie sich betont langsam zu Mimosas Tisch begab.
"Du legst dich ja gewaltig ins Zeug", murmelte diese an ihrer Tasse vorbei. Mina spürte, wie sich der Mann ihrem Tisch näherte und kurze Zeit später eine Hand auf die Lehne ihres Stuhles legte.
"Was macht'n so'n hübsches Ding in so'm Loch", lallte er und präsentierte mit einem breiten Lächeln zwei Reihen brauner Zahnruinen. Mina musste sich sehr anstrengen, nicht angeekelt das Gesicht zu verziehen und nahm es Mimosa sehr übel, dass diese in ihren Tee prustete.
"Auf eine günstige Gelegenheit warten", schnurrte sie und winkte, um eine Flasche Reiswein zu ordern.

***

In einer Kneipe am anderen Ende der Stadt tauschten Ophelia, Lilli und Septimus gerade ihre Erfahrungen aus, das heißt, Ophelia und Septimus redeten und Lilli versuchte vergeblich mit einer verkümmert aussehenden staubigen Topfpflanze zu sprechen.
"-hat keiner der Anwohner etwas gehört. Als die Feuer ausbrachen, haben sie natürlich gleich die Feuerwehr alarmiert und sich, wie es sich für anständige Bürger gehört, mitten auf die Straße gestellt um zu gaffen, so dass die Golems fast keine Chance hatte die Brandorte zu erreichen und die Flammen noch mehr unschuldiges Holz fressen konnten. Hat dieser Irre überhaupt kein Mitgefühl? Kann er sich nicht ein Steinhaus zum Abfackeln suchen?" maulte der Gnom erbost und löschte seine Schimpftirade ab und an mit einem Schluck Kaffee - oder was die Kneipe als solchen verkaufte - aus einem Fingerhut.
Ophelia rührte nachdenklich in ihrem eigenen Becher.
"Man könnte fast glauben, der Brandstifter wollte gar nicht, dass jemand verletzt wird."
"Außer vielen völlig unbeteiligten Gewächsen, Gräsern, Moosen, Pilzen, einige Baumsprösslinge und ihre Samen. . . "
"Ich meine, die Häuser standen offiziell leer und es wurde auch nichts von Wert darin gelagert. Die Nachbarhäuser waren aus Stein oder standen nicht direkt daneben. Erwin Kitsch's Tod könnte ein Unfall gewesen sein. Vielleicht ist der Täter ein Pyromane und legt die Feuer um der Feuer willen und wegen der Aufregung, die er damit verursacht."
Septimus war nicht überzeugt.
"Und die Seide? Und die Bettler?"
"Angeblich befand sich doch nichts Wertvolles in dem Haus. Und im zweiten Fall konnte der Zeuge, der den Brand gemeldet hatte, nicht identifiziert werden. Er war spurlos verschwunden."
Lilli malte beharrlich Buchstabe um Buchstabe auf ein Stück Papier und schob es dann zu Ophelia.
"Im ersten und im dritten Fall hat es etwas mit dem Achatischen Reich zu tun? Mina und Mimosa ermitteln in Little Achat. Hoffentlich finden die beiden etwas mehr raus!"

***

Kolumbini griff nach einer Druckfahne und hielt sie hoch.
"Konkurrenz für Schnapper!" las er laut vor. "Neuer Händler verkauft Debrecziner. Na das ist doch großartig, das dürfte die Qualität der Lebensmittel in dieser Stadt gleich gewaltig anheben!"
"Was sind Debrecziner?" fragte Ayure lustlos. Sie kam sich in der Redaktion reichlich fehl am Platze vor. Um sie herum wimmelte es von Menschen, Zwergen, Gnomen und einigen Wesen, bei denen sie gar nicht sicher war, zu welcher Spezies sie gehörten. Es ging so geschäftig zu wie im Wachhaus bei der Soldausgabe. Papierzettel flogen durch die Luft, Pressen ratterten im Hintergrund, jeder versuchte den anderen zu übertönen und immer wieder schrie jemand bedrohlich "ANNAHMESCHLUSS" in den Raum.
Kolumbini bahnte sich zielsicher einen Weg durch das Gedränge und las weiter im Probedruck. Ayure folgte in seinem Kielwasser.
"Eine Art ausländisches Würstchen, also aus echten Schlachtresten", erläuterte er. Jemand riss ihm das Papier aus den Fingern und eilte zu einem Setztisch, wo er heftig gestikulierend auf den dort sitzenden Mitarbeiter einredete, der lediglich gelangweilt gähnte. Ayure kam sich vor wie in einem Irrenhaus. Wie konnte hier bloß produktiv gearbeitet werden. Andererseits, wenn sie an das Wachhaus dachte...
Kolumbini steuerte den vollgepacktesten Schreibtisch an, der förmlich unter einer Papierflut ertrank, und hinter dem die lauteste Stimme ertönte.
"Seite 3, Seite 3 und HÖCHSTENS eine halbe Seite!"
"Aber Hargas Rippenstube hat ebenfalls eine Werbeanzeige für-"
"Na und? Gib ihm ein paar Dollar Rabatt und verfrachtet ihn auf Seite 4! Oder soll DIESE Story etwa warten?"
Der Mann hinter dem Schreibtisch wedelte ungeduldig mit der Hand in Richtung der Wächter, als wollte er Fliegen verscheuchen. Kolumbini räusperte sich.
"Gesundheit. Ich brauche eine Ikonographie, eine große, 30 Prozent der Titelseite, das ganze abgebrannte Haus, und die Schlagzeile in 24 Punkt, ach was, 30 Punkt! Und die Ikonographie in Farbe, ach nein, ist ja sowieso eine Ruine, also die Ruine in schwarzweiß und ein Bild von Kitsch in Farbe, rechts unten. Und dann-"
Kolumbini räusperte sich erneut.
"Ich denke, wir sollten uns unterhalten. Korporal Inspäctor Kolumbini und Obergefreite Ayure Namida, Stadtwache. Ich hätte da ein paar Fragen an sie, Herr...
"Sehen Sie nicht, dass ich mit 'ner brandheißen Story beschäftigt bin?" fauchte der Mann. "Ich muss zu morgen eine Zeitung machen!"
"Ganz genau deswegen sind wir hier. Wir ermitteln im Fall Erwin Kitsch."
Der Mann verdrehte entnervt die Augen. Um sie herum zückten ein halbes Dutzend Reporter ihre Bleistifte, begierig jedes Wort mitzuschreiben und neues Material für ihre Artikel zu erhalten.
"Ich bin Axel Hüpfer... was Sie eigentlich wissen sollten. Mir gehört die Ankh-Morpork Sun und auch einige andere Zeitungen und Magazine. Ja, Erwin Kitsch war einer meiner Reporter- mein bester, um genau zu sein. Nein, ich habe keine Ahnung, wer der Brandstifter war. Feinde hatte er aufgrund seiner Enthüllungsstorys mehr als genug, aber das hat ihn nie gekümmert. Er war unverheiratet, hatte soweit mir bekannt keine feste Freundin und seine Adresse kann ihnen meine Sekretärin geben. War's das?"
Er blickte demonstrativ auf die Wanduhr. Kolumbini steckte seinen Notizblock weg.
"Für's erste ja, Herr. Mit wem können wir uns über Herrn Kitsch unterhalten? Hatte er Freunde- oder Feinde- hier in der Redaktion?"
"Da wäre Karl Kolumne, der war so ziemlich beides. Er hat seinen Schreibtisch dort hinten".
Axel Hüpfer deutete mit dem Kinn Richtung Raummitte.
"Er schreibt über die Brände und hat auch Erwin Kitsch's Nachruf verfasst."
Kolumbini nickte.
"Danke."
Gemächlich trottete er zu dem gezeigtem Schreibtisch. Der Mann, der dahinter saß, kritzelte auf einer Seite und schien die beiden Wächter nicht zu bemerken. Erst als Kolumbini direkt vor ihm stand, sah er auf.
"Guten Tag. Stadtwache, eh? Sie wollen sicher über Erwins Tod reden? Es war so tragisch, aber geradezu Schicksal, nicht wahr? Er hätte es bestimmt so gewollt, mutig dem Tode ins Auge blicken, während er versucht eine stadtbekannte kriminelle Vereinigung zu überführen, oder?"
"Sie standen sich also sehr nahe, Herr Kolumne?"
Kolumbini neige sich über den Schreibtisch und musterte scheinbar desinteressiert das bunte Sammelsurium aus Bleistiften, Ikonographien, Druckfahnen, ausgeschnittenen Artikeln und Briefen und erstaunlich vielen alten Zeitungen.
"Aber natürlich!"
Kolumne sprang auf.
"Er war genial, ein Spitzenreporter, eine Koryphäe! Er war mein größtes Vorbild und ein enger Freund! Und ich möchte Sie bitten, ein wenig Respekt zu zeigen. Schließlich starb er als Held! Ja?"
Karl Kolumne zitterte geradezu am ganzen Leib.
"Ich hätte da noch eine Frage: Wer wusste alles, dass sich Herr Kitsch unter dem Dachgiebel befand?"
"Nun, der Chef selbstverständlich, seine Sekretärin wahrscheinlich, ach was weiß ich! Sie sehen ja, wie es hier zugeht!"
"Hatte er Feinde hier in der Redaktion?"
"Feinde? Machen Sie sich nicht lächerlich! Er war unser absoluter Star!"
Kolumbini nickte und dankte ihm. Ayure, die alles mitgeschreiben hatte, steckte ihren Notizblock weg. Da drehte sich Kolumbini, schon halb im Gehen begriffen, noch einmal um:
"Und wer ist jetzt hier der Starreporter?"
"Ich... ich verstehe ihre Frage nicht."
Karl Kolumne wirkte irritiert.
"Ich habe mit mir selbst gesprochen... Das ist so eine kleine Angewohnheit von mir. Noch einen schönen Tag, Herr Kolumne!"
Kolumne blickte Ayure fragend an, die mit den Achseln zuckte und ihrem Vorgesetzten folgte.

***

Am nächsten Morgen versammelten sich die Wächter wieder im Romulus' Büro. Sie machten allesamt einen mehr oder weniger zerrupften Eindruck. Thask war irgendwann in der Nacht zurückgekehrt, hielt seine rechte Hand (die NICHT mehr am Gelenk befestigt war) in der linken und lallte "Ch Chachte ches cha cheschacht". Er klang selbst jetzt immer noch ein wenig beeinträchtigt. Pyronekdan war unverrichteter Dinge zurückgekehrt; Ophelia, Lilli und Septimus hatten ebenfalls wenig Neues erfahren. Mimosa und Mina hatten bei Anbruch der Dunkelheit einen -negativen- Zwischenbericht abgeliefert und waren dann als Näherinnen verkleidet wieder ins Achatische Viertel aufgebrochen. Nun saßen die beiden verdeckten Ermittlerinnen immer noch stark geschminkt, aber in "sittsamer" Uniform bei den anderen in der Runde.
"Wir haben mit so vielen Anwohnern und Gelegenheitsgaunern gesprochen wie wir konnten", beendete Mina gerade ihren Bericht. "Für alle kam der Brand überraschend. Anscheinend wusste niemand, dass sich Herr Kitsch dort einen Beobachtungsposten eingerichtet hatte. Im Nachhinein meinten ein paar Männer, die wahrscheinlich zur Yakuzzah gehören, dass da jemand "sauber aufgeräumt" hätte, aber sie hatten wohl auch keine Ahnung wer dahinterstecken könne."
"Ansonsten habt ihr nichts erfahren?" fragte Romlus ungeduldig. "Zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen Kitsch's Tod und der Achatischen Seide in der Ankertaugasse?"
"Nur'n bissen Allgemeinbildungszeugs", murmelte Mimosa müde. "Jetzt weiß ich wenigstens, was ein Zauberwürzer ist." Sie kicherte leise.
"Zauberwürzer?"
Ein Hauch von Rot stahl sich auf Minas blasse Wangen.
"Wenn ein Mann bei einer Näherin... ehm, also wenn er nicht... dann, eh, dann kann er das nehmen und..." stammelte sie verlegen.
Romulus winkte ab.
"Ich kann's mir vorstellen. Und habt ihr ansonsten etwas Nützliches erfahren?"
"Es hat sich zumindest niemand über Lieferengpässe bei Achatischer Seide beschwert oder über Diebstähle."
"Gut. Frän, wärst du dann soweit?"
Die Püschologin räusperte sich und reichte dann einen Stapel Papier herum.
"Der Täter handelt zu sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht aus Habgier, sondern aus einem inneren Zwang heraus. Dafür spricht die Regelmäßigkeit der Brände und die aufeinanderfolgenden Straßennamen. Möglicherweise ist er psychisch labil. Erwin Kitsch's Tod könnte unbeabsichtigt sein, doch der Brand im Chrysanthemengäßchen unterschied sich dennoch von den vorherigen. In den ersten beiden Fällen standen die Häuser isoliert und selbst wenn sich das Feuer ausgebreitet hätte, wäre wahrscheinlich nicht viel Schaden entstanden. Das Chrysanthemengäßchen ist sehr eng und schmal, die Häuser stehen dicht nebeneinander, sind aus Papier und Holz gebaut und normalerweise überbelegt. Allerdings gibt es nicht viele Straßen mit C, er könnte also aus der Notwendigkeit heraus dieses eine anscheinend unbewohnte Haus angezündet haben. Wahrscheinlich ist der Täter ein männlicher Mensch in seinen mittleren Jahren, der lange Zeit einer eintönigen Tätigkeit nachging und jetzt auf sich aufmerksam machen will. Unglücklicherweise",
hier wedelte sie mit einer druckfrischen, gerade erst erschienen AM-Sun
"unterstützen ihn die Medien diesbezüglich."
Auf der Titelseite prangte in großen Lettern:
"MÜSTERIÖSER MALLIFIZIENT! Wer ist Ankh-Morpork's Feuerteufel?"
Darunter sah man große Ikonographien der abgebrannten Häuser sowie einen aufreißerischen Artikel von Karl Kolumne. Erwin Kitsch hatte es nur auf Seite 3 geschafft, Harga war sogar ganz verbannt worden.
Kolumbini griff nach der Zeitung.
"Kolumne hat definitiv etwas zu verbergen. Er war sehr nervös, als er mit uns sprach."
"Normalerweise sind wir es doch, die nervös sind, wenn sie mit Reportern sprechen müssen", kommentierte Amok.
"Eben. Reicht das für einen Hausdurchsuchungsbefehl?"
"Kaum. Nervosität ist kein Verbrechen, auch wenn die Rechtsexperten da sicher den einen oder anderen Paragraphen ausbuddeln können," meinte der AL. "Wir könnten ihn allerdings beschatten. Ich denke, das übernehme ich selbst."
"Na hoffentlich leidet Kolumne nicht an Kynophobie!" kommentierte Septimus.

***

Ein paar Tage später kamen Ayure und Mimosa von einer Befragung der Bettler zurück, die in dem Haus im Blechdosenweg campiert hatten. Mimosa hielt vor einem Schaufenster und strich sich stolz über die neuen Rangabzeichen. Ihre Haare standen noch wirrer als sonst von ihrem Kopf ab und leuchteten wieder in grellem Rot. Ayure betrachtete nachdenklich ihren Hinterkopf.
"Sag mal, warst du beim Friseur?"
Mimosa drehte sich um.
"Nein, das war ich selbst", erwiderte sie stolz. "Ich hab' die blöde Farbe an den Spitzen nicht mehr rausgekriegt, da hab ich's eben abgeschnitten."
Sie drehte sich wieder zur Fensterscheibe um und betrachtete ihr Spiegelbild.
"Ist doch ganz gut geworden, oder?"
"Ähh..."
Von vorne sah das ganze noch halbwegs passabel aus aber von hinten wirkte es, als hätte Schleicher einen Teil des Haareabkappens übernommen. Ayure dachte, dass das auch gut möglich sein konnte.
"Es sieht- interessant aus."
"Danke. Was hältst du von der Aussage von dem Typen mit der eingedetschten Nase? Ein Mann in einem langen Mantel... noch vager geht's ja wohl kaum."
"Aber er hat zumindest etwas Verdächtiges gesehen. Es ist unsere einzige richtige Spur. Die Beschattung des Reporters hat nicht wirklich was ergeben."
Mimosa wich ein paar Passanten aus, die sich der Uniformen zum Trotz zwischen den beiden Wächterinnen hindurchdrängten.
"Damit passt dann ungefähr fuffzig Prozent der Einwohner ins Täterschema."
"Aber es passt zu Fräns Profil: Ein männlicher Mensch und wahrscheinlich ein Einzeltäter."
"WENN der Typ überhaupt etwas mit dem Brand zu tun hatte. Es könnte auch ein unbescholtener, ehm, unbeteiligter Passant gewesen sein."
Ayure schüttelte den Kopf.
"Um drei Uhr nachts, nicht betrunken und alleine? Wenn er nichts mit dem Brand zu tun hat, hat er definitiv anderweitig Dreck am Stecken!"
Im Wachhaus angekommen, trennte sich das zeitweilige Ermittlungsteam.
"Ayu? Kannst du bitte den Bericht abgeben?"
Ayure nickte.
"Die nächste Einsatzbesprechung ist morgen?"
Mimosa wedelte unbestimmt mit der Hand.
"Was soll dabei schon rumkommen. Wir treten buchstäblich auf der Stelle. Allerdings hat Frän durchklingen lassen, dass sie eine Art Falle geplant hat. Vielleicht erfahren wir morgen etwas Neues. Ich habe keine Lust mehr, mir jeden Morgen den Hintern plattzusitzen."
"Na, wohl spätestens übermorgen... morgen Abend ist wieder eine Woche um!"

***

Die Wächter waren spürbar unruhiger. Eine Woche war seit dem letzten Brand vergangen und die Ermittlungen liefen immer noch auf der Stelle. Eine genauere Untersuchung der drei Hausbesitzer zeigte keinerlei Verbindungen zwischen diesen. Die meisten Wächter waren seit Aufnahme des Falles fast pausenlos im Einsatz gewesen und jetzt lagen die Nerven blank, insbesondere wenn sie an die kommende Nacht dachten: Wenn es sich wirklich um einen Serientäter handelte, würde er in ein ungefähr 15 Stunden wieder zuschlagen. Romulus räusperte sich.
"Unsere Aufgabe wird zumindest dadurch erleichtert, dass es nur zwei Straßen mit D gibt, nämlich die Drachen-[1] und die Düstergutstraße. Sicherheitshalber werden auch zwei Wächter in "Des Zauberers Lustgarten" stationiert. Dort gibt es zwar nur einige kleine Lauben aber man kann ja nie wissen. Die Golemfeuerwehr ist informiert, wir hoffen also, dass es zumindest zu nicht allzu großem Schaden kommt. Wenn tatsächlich einer von euch den Brandstifter sieht, nachdem er einen Brand gelegt hat, verständigt einen Kollegen und versucht ihn zu fassen, während die anderen Schadensbegrenzung betreiben. Das fehlte mir gerade noch, dass die Sun morgen groß tönt: Wächter rennen blindlings durch die Stadt, während genau vor ihrer Nase ein Haus abbrennt."
Er wedelte mit der angesprochenen Zeitung, die mittlerweile Pflichtlektüre für das gesamte Ermittlungsteam geworden war.
"Und jemand soll weiterhin Kolumne beschatten. Er ist mir ein bisschen zu gut informiert. Ich bin mir sicher, er weiß mehr über die Brände, als er im Verhör zugegeben hat. Frän hat übrigens ein abgeändertes Täterprofil an die Sun geschickt, um den Brandstifter zu provozieren."
Papiernes Geraschel kam auf, als alle Anwesenden entweder in ihren eigenen Exemplaren blätterten oder auf die ihrer Nachbarn spähten. Hier und da wurde leise gekichert. Das "originale Ermittlungsprofil, unter größtem Aufwand von einer geheimen Quelle beschafft" wimmelte von Begriffen wie "anal-orale Fixierung", "triebhaftes Verlangen nach Feuer zur Verdrängung der eigenen Unzulänglichkeit", "Ausleben sexueller Phantasien beim Betrachten eines unbeherrschten Brandes, in Verbindung mit zwanghafter Selbstbefriedigung" und "frühkindliche Störung durch weibliche Zurückweisung, welche sich jetzt durch Pyromanie äußert".
"Noch irgendwelche Fragen oder Anmerkungen?"
Keiner reagierte.
"Also gut. Meldet sich jemand freiwillig für den Park?"
Septimus schoß sofort in die Höhe.
"Ich werde die Pflanzen notfalls unter Einsatz meines Lebens verteidigen!"
"Septimus und... Pyronekdan. Ihr patrouilliert in "Des Zauberes Lustgarten". Lilli und Amok behalten Kolumne im Auge. Ophelia, du leitest die Gruppe Drachenstraße mit Kolumbini, Mimosa und Mina. Jack, Ayure und Frän kommen mit mir zur Düstergutstraße. Wir treffen uns um 19 Uhr wieder hier. Wegtreten!"

***

Die abendliche Einsatzbesprechung hatte nichts Neues ergeben und so machten sich die Wächter auf den Weg. Offiziell sollten Pyronekdan und Septi den Park absuchen, die Wege im Auge behalten, nach Verdächtigen gucken... innoffiziell freuten sie sich auf eine ruhige Nachtschicht. Wer legt denn auch schon ein Feuer in einem Park? Und vor allem wie? Viele Teile des Parks glichen eher einem Sumpfgebiet. Septimus hatte sich vorgenommen, an einem neuen Traktat zur Bekämpfung der Achatischen Schwarztermiten (es war einfach unglaublich, wie viele Bäume sie im Jahr ermordeten) zu arbeiten, und Pyronekdan schmökerte in eine Abhandlung über die korrekte Anwendung der Schuppen der doppeltgeschwänzten Smaragdlibelle. Zumindest war das der Plan. In Wirklichkeit saß er in einer kleinen, windschiefen Laube, zitterte vor Kälte und zählte die Regentropfen, die durch das undichte Dach auf seinen Kopf tropften. Es war unmöglich, eine trockene Stelle zu finden.
Zusammen mit Septimus betrachtete er den aufgeweichten Weg, der sich durch den Park schlängelte. Der vorher schon eher braune als grüne Boden hatte sich in eine aufgeweichte, matschige Pampelacke verwandelt. Regentropfen pladderten gegen die Holzwände und verhinderten zusammen mit dem heulenden Wind effektiv nahezu jegliches Gespräch zwischen den Wächtern.
"Sieh's positiv", brüllte Septimus gegen den sich zusammenbrauenden Sturm an, "bei diesem Wetter brennt nichts!"
Pyronekdan konnte nicht antworten; seine Zähne klapperten zu sehr.

***

Amok torkelte durch die Straße und klammerte sich an seiner Schnapsflasche fest. Seine Kleidung zeigte deutlich, dass er schon mehrere arge Zusammenstöße mit dem Straßenbelag hinter sich hatte. Mittlerweile war es ohnehin egal. Er war so durchweicht und durchgefroren, dass der zusätzliche Dreck von der Straße eher wärmend als störend war - wenn er denn an seiner Kleidung haften bleiben und nicht abgespült werden würde. Hoffnungsvoll schwang er seine Buddel und schaffte es bereits beim dritten Mal seinen Mund zu treffen. Ein großer Schwall der farblosen Flüssigkeit ergoß sich in seinen Mund. Leider wies sogar das vom Himmel fallende Wasser einen höheren Alkoholgehalt auf. Amok fluchte und verwünschte sein Pech, ausgerechnet bei diesem Wetter den Reporter beschatten zu müssen. Und er war doch noch nicht mal verdeckter Ermittler! Weit vor ihm eilte der Schreiberling mit hochgezogenen Schultern durch den strömenden Regen und machte zum Glück keine Anstalten in eine Seitenstraße abzubiegen. Am Ende der Straße wartete Lilli und würde ihn ablösen.
Bislang hatte Kolumne noch nichts abgefackelt. Er trieb sich zwar in der Nähe einer verdächtigen Straße herum, aber er war schließlich Reporter. Vielleicht recherchierte er, wie man sich halb ertrunken fühlte oder so. Jetzt sah er sich um. Sogleich ließ sich Amok gegen eine Mauer fallen und hob erneut seine Flasche. Wenn das hier vorbei war, würde er um ein paar Tage Urlaub bitten und sich tatsächlich mit Schnaps volllaufen lassen. Von Wasser hatte er jedenfalls erst mal die Nase voll.
Mühsam kam er wieder auf die Beine, ließ sich sicherheitshalber noch einmal in den Dreck fallen und richtete einen Blick auf Kolumne. Oh, Mist. Nun bog der doch in eine abzweigende Straße ein. Amok wollte sich gerade aufrappeln, als ihm ein Paar Hände unter die Achseln griffen.
"Können wir dir helfen, Kumpel?"

***

Ophelia hockte unter einem Hausvorsprung, der bestenfalls suboptimal gegen den Regen schützte. Das Wasser kam zwar nicht von oben, dafür von allen anderen Seiten und schwappte bei gelegentlichen Gängen durch die Straße an einigen Stellen über ihre Stiefelränder. Sie hatte ihre Einsatzgruppe strategisch verteilt: Mimosa und Mina bewachten das Ende respektive den Anfang der Straße, während Kolumbini und sie selbst patrouillierten und die leerstehenden Häuser im Auge behielten. Mittlerweile war sie allerdings so weit, mit Mimosa oder Mina zu tauschen. Die beiden konnten sich wenigstens ein halbwegs trockenes Plätzchen suchen. Zum Glück- oder leider- war ihr Pflichtgefühl stärker ausgeprägt als ihre Abneigung gegen völlig durchweichte Unterwäsche und darüber liegende Klamotten und so seufzte sie nur, trottete schicksalsergeben zu einer weiteren Runde in das Unwetter hinaus und überlegte, ob man Erkältungstees und Badezusätze von der Spesenrechnung absetzen konnte.
Ihre Kollegen wälzten ähnliche Gedanken: Mina bedauerte, sich nicht in eine Fledermaus verwandeln zu können (die waren kleiner, boten dem Regen weniger Angriffsfläche und waren mit ihrem Fell definitiv besser isoliert), Mimosa beneidete aus ähnlichen Gründen ihren in ihrer (wasserdichten) Tasche schlafenden Kompagnon und Kolumbini suchte verzweifelt ein trockenes Plätzchen, wo er seine Pfeife anstecken konnte. Es versprach eine lange Nacht zu werden.

***

Jack Narrators Laune war noch übler als üblich. Seine finstere Miene versprach den Regentropfen die höllischsten Qualen, wenn sie es wagen sollten auf ihm zu landen. Leider ist Wasser, auch wenn es zu einem epischen Unwetter gehört und direkt aus den magisch aufgeladenen Spitzhornbergen stammt, mimisch nicht sonderlich begabt, und so wurde Jack genauso nass wie alle seine Kollegen; vielleicht sogar ein bisschen nasser. Er hasste es, um halb ein Uhr nachts in einem zugigen Hauseingang zu stehen und von allen Seiten mit Wasserschwällen überschüttet zu werden, verdammt noch mal!
Neben ihm versuchte Ayure erfolglos mit der Wand zu verschmelzen. Es half nichts, sie alle bekamen ihren Anteil an diesem Sauwetter ab. Und die Nacht war noch lange nicht um.

Romulus war froh, nicht in seiner Wolfsgestalt stecken zu müssen. Als Mensch war es schon schlimm genug, nass zu sein, aber nasses Fell stank. Der Geruch haftete ihm seltsamerweise noch Tage später an. Andererseits machte dem Wolf das Wetter längst nicht so viel aus.
Eine metallische Lasche half ihm, sich zu entscheiden. Pfoten können keine Dosen öffnen. Er leerte die Dose Superbulle bis auf den letzten Tropfen und stellte sie auf die anderen beiden, so dass sie eine Pyramide bildeten. Irgendwo hörte er den halb erstickten, dumpfen Schlag einer Turmuhr. Halb Eins? Eins? Halb Zwei? Die Nacht wollte kein Ende nehmen.

Frän hockte im Giebel eines leerstehenden Hauses und beobachtete die Straße unter ihr. Ihr war kalt, aber wenigstens hatte sie ein halbwegs trockenes Dach über dem Kopf. Sie konzentrierte sich auf die Straße und hoffte, dass sich ihr Talent bemerkbar machen würde, so dass sie den Brandstifter VOR dem Zündeln erwischen konnte; aber die Aussichten waren schlecht. Vor einigen Stunden hätte noch Gefahr bestanden, aber mittlerweile war die ganze Stadt so durchnässt, dass es einen Draco nobilis benötigt hätte, um auch nur ein Strohdach anzuschwelen.

Sollten sie es tatsächlich schaffen, den ominösen Brandstifter noch in dieser Nacht zu fassen, hofften alle Beteiligten auf fünf Minuten allein mit ihm. Fünf Minuten können schließlich sehr lang sein...

***

Amok schielte vorsichtig aufwärts. Vier verhüllte Gestalten umringten ihn und trafen Anstalten, ihn in einen Hauseingang zu zerren. Derjenige, der ihn hochgezogen hatte, schüttelte sich.
"Brr. Widerliches Wetter, stimmt's?"
Amok schnaufte nichtssagend.
"Ich meine, stellen Sie sich dass nur vor, bei diesem Sturm arbeiten zu müssen..."
Wenn du wüsstest, dachte Amok.
"Na, dann lassen wir uns mal schnell zum Geschäftlichen kommen, damit wir uns alle wieder ins Trockene flüchten können. Moment mal..."
Der Mann blätterte in einem durchweichten Notizblock.
"Aaaalso, dass wären dann- Was soll das heißen? Ach ja, drei. Scheißregen, die ganze Tinte ist verschmiert... Haben Sie zufällig einen Dollar elf Cent passend? Dann ist unser Kontingent für diesen Monat erfüllt!"
Der Dieb sah ihn hoffnungsvoll an. Amok verdrehte die Augen und begann in seinen Manteltaschen zu kramen. Schließlich förderte er eine Handvoll Münzen zu Tage. Er zählte sie ab.
"Ne, habe ich nicht. Nur siebenundachtzig Cent und ein 2 Dollar-Stück."
Der Dieb guckte sich das Kleingeld in Amoks Hand an.
"Mist. Dann geben Sie mir einundsechzig Cent, fuffzig Cent bekommt man eher passend."
Er füllte die Quittung aus und drückte Amok einen kleinen "Just robbed!" Button in die Hand.
"Besonderer Service diesen Monat. Sollten Sie noch einmal ausgeraubt werden, zeigen Sie den Button und Sie bekommen eine Trillerpfeife geschenkt!"
Die Diebe verschwanden in der Dunkelheit. Amok sah ihnen kopfschüttelnd hinterher, pinnte sich aber trotzdem das kleine Abzeichen an den Mantel. Erst dann fiel ihm sein Observierungsauftrag wieder ein. Lauthals fluchend rannte er die Straße entlang, doch Kolumne war verschwunden.

***

Der dunkelbraune Mantel diente eher als Sicht- denn als Regenschutz. Lilli war bis auf die Haut, pardon, Rinde durchnässt und behielt den Verdächtigen scharf im Auge. Dieser... Axtbesitzer war nicht nur ein Leichenschänder, der die traurigen Überreste von tausenden Bäumen mit Druckerschwärze misshandelte, nein, anscheinend steckte er auch mit dem Brandstifter unter einer Decke! Vor lauter Erregung begann Lilli zu knarzen. Sie würde diesen Verbrecher ganz bestimmt nicht entkommen lassen!
Der Schreiberling eilte an ihr vorbei, bemerkte sie aber nicht. Lilli folgte ihm unauffällig, doch beharrlich wie ein Kletterefeu. Der Baumbesudler schien kein festes Ziel zu haben, er irrte eher planlos durch die Straßen und blickte sich immer wieder um. Kein Wunder, dass er ein schlechtes Gewissen hatte, wahrscheinlich plagten ihn die Geister der von ihm malträtierten Bäume! Lilli blieb ihm dicht auf den Fersen, fest entschlossen, ihn so bald wie möglich zur Rechenschaft zu ziehen. Flüchtig fragte sie sich, wo Amok blieb, doch sie verwarf diesen Gedanken sofort wieder. DER gehörte IHR!
Schließlich hielt Kolumne vor einem großen Lagerschuppen. Er öffnete das riesige Vorhängeschloss mit einem ebenso gewaltigen Schlüssel, drückte sich durch den engen Türspalt und verschwand im dunklen Inneren des Gebäudes. Unschlüssig blieb Lilli vor der Tür stehen. Sie erinnerte sich an einen Fall vor einigen Wochen, in dem einige Wächter einem vermeintlichen Einbrecher in eine Privatwohnung gefolgt waren. Dummerweise war der "Einbrecher" nicht nur der Hausbesitzer, sondern auch Anwalt und verklagte die Wächter auf Hausfriedensbruch und Nötigung. Lilli stöhnte. Kolumne hatte einen Schlüssel... Vielleicht war er wirklich harmlos?
"Was denn nun? Wird das heute noch was?" schimpfte Horatius. Der Dämon war im Gegensatz zu Lilli ("Flüssignahrung von oben") von dem Sturm nicht gerade begeistert ("Scheißwetter!"). In seiner Wohnungskiste hieß es "Land unter!" Aus Protest trug Horatius eine kleine blau-weiß gestreifte Badehose, doch Lilli nahm das nicht zur Kenntnis. Stattdessen drehte sie einfach den Kasten um.
"Heeeee!"
Der Dämon konnte sich gerade noch am Rand festhalten.
"Sag mal, geht's dir noch gut?!?"
Lilli gestikulierte ihm ungeduldig, still zu sein. Der Dämon zog einen Flunsch, gehorchte aber widerstrebend. Lilli hämmerte auf den Glasdeckel ("Bring Amok her") und schubste den Dämon die Straße hinunter. Dann spähte sie vorsichtig ins Innere des Gebäudes. Nichts. Absolute Schwärze. Sie schloss die Augen und spitzte die Ohren. Rascheln. Zögernde Schritte. Sollte sie hineingehen? Absolute Dunkelheit war nichts für Bäume, auch nicht für im-Werden-Begriffene. Ohne Licht fühlte sie sich so träge.
Sie verharrte noch einen Moment, dann gab sie sich einen Ruck und betrat den Schuppen.

***

Lauthals fluchend rannte Amok durch den Regen. Wo war dieser... abgeblieben? Er konnte nur hoffen, dass Lilli ihn abgefangen hatte, ansonsten steckten sie in ernsthaften Schwierigkeiten. Schließlich blieb er mitten auf einer Kreuzung stehen. In allen Richtungen sah er nur grau, grau, grau. Vom Himmel strömendes Wasser übertönte alle Geräusche, beschränkte die Sicht auf etwas unter zwei Meter und verwischte sämtliche Spuren, die seine Kollegin eventuell hinterlassen hatte. Es war hoffnungslos. Geschlagen drehte Amok sich um und trottete Richtung Düstergutstraße. Sollte Lilli eine Taube schicken (oder einen Fisch), dann mit Sicherheit an Romulus.

***

Ophelia hatte sich mittlerweile doch ihrem früheren Schützling zugesellt. Gemeinsam mit Mina hockte sie unter einem Dachvorsprung und starrte in den Regen hinaus. Die Straße hatte sich in einen Sturzbach verwandelt, der sämtliche Keller vollaufen ließ. Im Grunde genommen konnten sie nach Hause gehen. Das Unwetter war besser als jede Brandschutzversicherung.
"Achtzehn", sagte Mina.
Vor ihren Füßen trieb eine weitere tote Ratte vorbei, die einzige Abwechslung in diesem grauen Einerlei. Das Aufregendste, was bislang passiert war, waren ein paar herabstürzende Dachziegel gewesen, die die Gruppe in helle Alarmbereitschaft versetzt hatten. Doch als die Wächter zu dem verlassenen Haus stürzten, um den Brandstifter zu verhaften und endlich nach Hause gehen zu können, empfing sie eine eiskalte Dusche, als auch der Rest des schadhaften Dachbereiches nachgab.
Ophelias Nase lieferte sich einen Wettstreit mit den Regenrinnen. Während sie sich bibbernd an die Hausmauer presste, schaute sie die stoisch in den Regen hinausstarrende Mina an und fragte sich, ob Vampire sich ebenfalls erkälten konnten.

***

"Was glaubst du eigentlich was du hier machst," schnauzte Romulus den Anwerber an. Neben ihm türmte sich ein kleines Vermögen in Form von Aluminium auf.
"Frieren, Sör", murmelte Amok. Glücklicherweise hörte sein Abteilungsleiter ihn nicht, dazu war er viel zu sehr in Rage.
"Du hattest einen Auftrag, Mann! Wie stellst du dir das eigentlich vor? Soll Lilli sich den Kerl alleine vornehmen? Der hat garantiert Dreck am Stecken! Und du weißt noch nicht mal ob es ihr gut geht - verdammt!"
Er warf frustriert den Kopf in den Nacken und schlug sich prompt den Hinterkopf an der Mauer an. Wütend funkelte er den Obergefreiten an, der gänzlich unschuldig war und sich ein Grinsen kaum verkneifen konnte.
"Ach, zisch ab", knurrte er.
Amok machte eine Geste, die einer Ehrenbezeugung täuschend ähnlich war, und flüchtete sich in einen entfernten Hauseingang.

***

Sie setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, immer darauf bedacht so wenig Geräusche wie nur möglich zu produzieren. Um sie herum türmten sich Berge von zerschredderten Baumleichen, in kleine Teile zerhäckselt und gewaltsam wieder zusammengepresst. Gelegentlich fiel ein einzelner, verirrter Lichtstrahl auf einen der meterhohen Papierstapel und sie konnte schwarze Schriftzeichen erkennen. Zum Lesen reichte das Dämmerlicht bei weitem nicht. Mit Unbehagen durchstreifte sie das raschelnde und knisternde Mausoleum. Jedesmal, wenn sie glaubte Kolumne endlich entdeckt zu haben, stellte sich das verdächtige Geräusch als ein Windstoß heraus, der knisternd durch eine Papierfahne fegte, als ein konstantes Pladdern vom undichten Dach, als Mäuse und Ratten, die im Papierwust ihre Nester hatten und ihren nächtlichen Geschäften nachgingen. Die Welt war geschrumpft, zusammengerückt zu einem grau-schwarzen Irrgarten aus lose aufeinandergestapelten Blättern und fest verschnürten, zentnerschweren Zeitungsziegeln. Lilli versuchte sich instinktiv so klein wie möglich zu machen, als sie orientierungslos durch die Dunkelheit tapste. Sie konnte nicht sagen, was mehr an ihren Nerven zerrte: die erstickende Stille in den engen Durchlässen oder die plötzlichen Geräuschinseln, auf die sie stieß, wenn sie einen Gang verließ und sich unverhofft an einem Kreuzungspunkt oder sogar einem etwas größeren Platz wiederfand. Wie groß war dieses Mausoleum? Sogar der Pseudopolisplatz schien kleiner. Die Papierstapel türmten sich aus allen Richtungen auf. Je höher sie waren, desto mehr neigten sie sich bedenklich nach innen. Kam es ihr nur so vor, oder wurden die Gänge immer enger? Schon mehrmals musste sie sich seitwärts durch einen Durchgang quetschen. Ein Schatten huschte durch ihr Blickfeld. Ruckartig stieß sie herum. Ein loses Zeitungsblatt raschelte vor ihren Füßen, Spielball eines Windstoßes, der sich durch ein offenes Fenster hereinverirrt hatte. Langsam, ganz langsam drehte sie sich um. Wo war sie hereingekommen? Da hindurch? Niemals! Viel zu eng!

Stoßend und schiebend quetschte sie sich trotzdem durch den engen Durchgang und löste prompt eine Staub- und Papierlawine aus. Für einen Moment herrschte der reinste Schneesturm: Um sie herum schwebten bedruckte Fetzen durch die Luft und beschränkten die Sicht auf plus/minus zwei Handbreit. Zu allem Überfluss blieben sie an ihren nassen Klamotten hängen. Erbost blickte Lilli an sich herunter. Wie sollte sie das jemals wieder sauber bekommen? Sie bezweifelte, dass sie eine extra-Reinigung irgendwie anrechnen lassen konnte. Endlich sanken die traurigen Überreste einstiger stolzer Bäume zu Boden und Lilli hatte zum ersten Mal, seit sie das Lagerhaus betreten hatte, freie Sicht - was nicht viel heißen sollte, schließlich war es immer noch stockfinster. Zumindest war der Weg jetzt frei. Frohgemut stapfte Lilli durch den knietiefen Informationsfriedhof und lief in die Richtung, in der sie die Tür vermutete. Sie erinnerte sich vage, einmal gehört zu haben, das Pflanzen immer in Richtung des Lichts wuchsen. Stirnrunzelnd besah sie sich ihre Fingernägel und Haarspitzen. Nein, so lange konnte sie nicht warten. Sie musste den Ausgang eben so finden.

***

Horatius grummelte durch die Straßen Richtung Düstergutstraße. Es war zwar in den Dienstvorschriften festgelegt, dass der Einsatzleiter benachrichtigt werden musste, wenn sich die Mission so grundlegend änderte - von einer reinen Beschattung zu einem Eindringen in ein leerstehendes Gebäude, in dem sich eine potentiell gefährliche Person aufhielt - und es musste auch berücksichtigt werden, dass Lilli alleine war, da Amok sich anscheinend aus dem Staub gemacht und irgendwo ein trockenes Plätzchen gesucht hatte aber warum musste ausgerechnet er sich durch diese Drei-Dämonen-hohen Sturzbäche kämpfen? Er war kein reguläres Mitglied der Wache, er war nicht vereidigt und der Gipfel der Ungerechtigkeit: Er bekam noch nicht mal Sold dafür, dass er hier Kopf und Kragen riskierte! Über die Ungerechtigkeit der Welt im Allgemeinen und gegen seine Person im Speziellen lamentierend erreichte er schließlich die Düstergutstraße, wo er gerade noch mitbekam, wie Amok gerüffelt wurde. Das hob seine Laune beträchtlich, allerdings befand sie sich immer noch temperaturmäßig auf dem Niveau von flüssigem, ach was festem! , Sauerstoff.
"He Chef!"
Romulus blickte irritiert über die Straße.
"UNTEN!"
Schließlich bemerkte er den Dämon.
"Was willst du denn?"
"Schönen Gruß von Lilli, schick ihr mal ein paar Mann!"
"Was?"
Der Dämon holte tief Luft.
"Hauptgefreite Lilli Baum ersucht um das Entsenden mehrerer Wächter zur Unterstützung bei der Observierung und potentiellen Inhaftierung eines suspekten Individuums, namentlich Karl Kolumne, welcher aller Voraussicht nach widerrechtlich in ein leerstehendes Magazin zur längerfristigen Deponierung diverser Publikationen eingedrungen ist und ergo von Hauptgefreiter Baum in Ausübung ihrer Pflicht verfolgt wurde!"
Diesen Satz musste Romulus erst mal verdauen.
"Lilli ist Kolumne in ein leeres Lagerhaus gefolgt?" fragte er endlich.
"Ja-AH! Das sag' ich doch die ganze Zeit!"
"Ganz allein?" vergewisserte sich Romulus. Horatius verdrehte die Augen. Waren die alle so begriffstutzig? Der Abteilungsleiter seufzte entnervt. Immer wenn er glaubte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, dachte sich einer seiner Untergebenen etwas Neues aus, mit dem er - oder sie - ihn auf die Palme bringen konnte.
"Hier passiert heute Nacht sowieso nichts mehr. Amok und Frän bleiben hier, Jack und Ayure, ihr kommt mit mir zu dem Lagerhaus. Vielleicht bringt uns das ja weiter."
Romulus glaubte es selber nicht.

***

Riaaa-tsch! Riaaaa-tsch! Riaaaa-tsch!
Vollkommen gleichmäßige, etwa eineinhalb Daumen dicke Zeitungsstreifen fielen zu Boden und bedeckten die abgescheuerten Eichenplanken, seine Schuhe und umhüllten weich und anschmiegsam seine Unterschenkel. Er nahm ein neues Blatt von der neben ihm liegenden Zeitung und streichelte beinahe zärtlich mit seinen Fingerkuppen über das grobe Papier. Er konnte fast die einzelnen Fasern spüren, einst große, mächtige Bäume, die selbst den stärksten Stürmen trotzten und jetzt, in ihre Bestandteile zerlegt, ihm vollkommen ausgeliefert waren. Seine Finger umschlossen den oberen Seitenrand.
Riaaa-tsch!
Gleichmäßig riß er Streifen für Streifen von der Seite ab, jeder nahezu gleich breit, obwohl er keinerlei Hilfsmittel benutzte.
Riaaaa-tsch!
Die Schlagzeile verkürzte sich jedes Mal wieder um ein paar Buchstaben.
Riaaaa-tsch!
Papier! Es hatte schon immer eine seltsame Faszination auf ihn ausgeübt...
Riaaaaa-tsch!
Aus "DAS ist der Feuerteufel!" wurde "DAS ist d Feuerteu" und schließlich "DAS Feuer". Er verharrte kurz. DAS Feuer. Ja, so musste es geschrieben werden. DAS Feuer, oder besser DAS FEUER. Es verdiente Respekt.
Riaaaaa-tsch!
DA Feu. Seine Gedanken glitten wieder ins Leere, als sich seine Finger mechanisch mit der Seite beschäftigten und seinen Körper langsam aber sicher in ein Gespinst aus weißen Streifen einhüllten.
Riaaaa-tsch!
Als er noch klein war, hatte seine Mama ihm gesagt, alle seine Spielzeuge und natürlich auch die Bücher würden nachts lebendig.
Riaaaa-tsch!
Später hatte er oft geträumt, die Geister aller von ihm zerstörten Bücher würden zusammenfinden und sich an ihm rächen. Lächerlich! Er hatte längst gelernt, sich das Papier und alle geschriebenen Worte untertan zu machen.
Riaaaaa-tsch!
Wieder hielt er kurz inne, als eine lange verschollene Erinnerung sich einen Weg in sein Bewusstsein bahnte: Kleine knubbelige Hände, die Seite um Seite ein Buch zerlegten. Seltsam. Damals hatte er die Streifen schon genau so breit gerissen.
Der flackernde, unstete Schein der Kerzen, die er im Halbkreis um sich herum aufgestellt hatte, reichte gerade aus um die Schlagzeilen zu erkennen. Die kleiner gedruckten Zeilen verschwammen mit dem matschigen Weiß des Papiers zu einem uneinheitlichen Grau. Er hockte auf achatische Weise auf dem Holzboden, ignorierte die Kerzen, die Kälte, die gelegentlich auf ihn fallenden Wassertropfen und den heulenden Sturm, ebenso wie das leise Rascheln, das beharrlich näher und näher rückte. In seiner Welt existierten sie nicht mehr. Nur seine Hände bewegten sich mechanisch.
Ein Ziegel gab nach. Die plötzliche Wassermasse kippte eine Kerze um und löschte sie. Das Wasser breitete sich langsam auf dem Boden aus, stieß an die Papierfetzen und saugte sich darin fest. In der Pfütze auf dem Boden tanzten die Reflektionen von sieben Kerzenflammen, sie tanzten auf den Metallteilen seiner Kleidung und auf dem billigen Ring. Aber nicht in seinen Augen. Die blieben matt und nach innen gekehrt, kannten keine Bewegung, kein Leben und keinen Tanz, hatten ihn noch nie gekannt.

***


"Rechts, dann geradeaus. Das ANDERE Rechts!"
Horatius saß auf Romulus' Schulter und genoss es aus tiefstem Herzen, die drei Wächter herumkommandieren zu können. Romulus tolerierte es zähneknirschend und nur ausnahmsweise. Schließlich war dieses misslungene Alchemiegeschöpf die einzige Person, die wusste wo Lilli steckte.
"Uuuuuuund-Marschmarschmarsch! Ne, hier ist es!"
Der Dämon deutete auf ein Lagerhaus. Im selben Augenblick packte der Werwolf das kleine Geschöpf und bugsierte es dahin, wo es hingehörte - auf die Straße.
"Und das ist jetzt der Dank", moserte Horatius, allerdings nur halblaut und flüchtete sich in ein Loch in der Mauer. Er wollte zwar Lilli helfen, befürchtete aber jemand könnte "versehentlich" auf ihn treten. Besser, er wartete bis die Wächter den unangenehmen Teil erledigt hatten. Die wurden schließlich dafür bezahlt!

"Hier war ich mit Kolumbini", meinte Ayure. "Dort hinten ist das Verlagshaus der Sun, das hier ist ihr Magazin. Da drinnen werden die Belegmagazine und die nicht verkauften Zeitungen gelagert, bis sie an Paul König gehen".
"Jeden Morgen geht die Sonne auf", zitierte Romulus den Werbeslogan des Revolverblattes. "Irgendwie läuft alles auf die Sun hinaus. Kommt!"

Vorsichtig betraten die drei Wächter das Lagerhaus. Ganz offensichtlich war vor ihnen schon jemand hier lang gelaufen, auf dem Fußboden waren nasse Fußstapfen, die ins Innere wiesen. Der Sturm hatte sich zu einem Crescendo aufgeschwungen und sorgte dafür, dass die Wächter sich kaum verständigen konnten. Nach Lilli zu rufen schied von vorneherein aus, selbst wenn der Verdächtige nicht mehr im Lager war. Ihre Kollegin hätte sie schlichtweg nicht gehört.
Also folgten die Wächter den schon nach kurzer Zeit endenden Fußspuren. Sie quetschten sich zwischen Zeitungsstapeln hindurch, die schon eine bedenkliche Schräglage aufwiesen und sicher bald der Schwerkraft zum Opfer fallen würden. Innerhalb weniger Augenblicke hatten sie jegliche Orientierung verloren. Wo war der verflixte Ausgang geblieben? Und Lilli? Insgeheim nahm sich Romulus vor, Lilli zur Strafe für den Ärger, den sie ihm mit dieser Aktion eingebrockt hatte, den ganzen Bericht alleine schreiben zu lassen. Andererseits: es war trocken, wärmer als draußen und er musste nicht mehr untätig in der Gegend herumsitzen und sich den Hintern abfrieren. Prompt besserte sich seine Laune. Allerdings revidierte er sein Urteil sofort wieder, als ein markerschütternder Schrei die Stille zerriß.

***

Lilli stapfte weiterhin frohgemut durch das dichte Papiergestöber. Die durch die Luft tanzenden Papierstücke wurden bei jedem ihrer Schritte neu aufgewirbelt und hatten eine merkwürdig hypnotische Wirkung auf sie. Winter, dachte sie und erinnerte sich an Zuhause, an die Zeit, bevor sie in Ankh-Morpork lebte. Sie stieß mit dem Fuß in einen unordentlichen staubbedeckten Haufen und beobachtete, wie die alten Zeitungen zerfielen und kleine Fetzen in die Luft stiegen. Eine Zeitlang folgte sie keinem festen Weg, sondern lief weiter durch das unabsichtlich von ihr verursachte Chaos. Schließlich stieß sie an eine Bretterwand. Dies ernüchterte sie augenblicklich. In der fast vollkommenen Dunkelheit hatte sie sich einen Phantasiewinter einbilden können, doch nun erinnerte sie sich an Kolumne, der ebenfalls hier irgendwo stecken musste.
Sie wusste nicht mehr genau, aus welcher Richtung sie gekommen war aber eine Hauswand hatte erfahrungsgemäß auch immer eine Tür. Sie lief an der Wand entlang und spähte angestrengt in das Innere des Lagerraumes. War es dort hinten nicht ein kleines bisschen heller? Oder bildete sie sich das nur ein? Achselzuckend schlug sie einen Weg ein, der sie zu der vermeintlichen Lichtquelle führen würde. Tatsächlich wurde es nach einigen Metern merklich heller und als sie einen weiteren Papierstapel hinter sich ließ, bemerkte sie eine Art Höhle inmitten des Lagers, ringsherum umgeben von hohen Stapeln vergessener Schlagzeilen. An den Rändern der künstlichen Höhle türmten sich Papierfetzen, doch in der Mitte war eine kleine Fläche freigeräumt worden. Sieben Kerzen standen im Halbkreis um einen Mann herum, eine achte lag erloschen auf dem Boden. Der Mann hockte im Schneidersitz auf dem Boden, die Augen starr auf die Kerzen gerichtet und zerriß Seite um Seite der heutigen, beziehungweise gestrigen, Morgenausgabe der Sun. Er schien Lilli nicht zu bemerken, die sich zögerlich von der Seite näherte. Sie trat bis auf wenige Meter an ihn heran, bevor sie ihn endlich erkannte. Das übernervöse Gehabe war aus seinem Gesicht verschwunden und hatte einer alles überwältigenden Leere Platz gemacht. Karl Kolumne schien verschwunden zu sein und hatte irgend etwas anderem Platz gemacht, das nun an seiner Stelle in einer endlosen Litanei Seite um Seite in Streifen zerriß.
Lilli griff vorsichtshalber nach ihrem Kurzschwert, dann trat sie direkt vor Kolumne. Keine Reaktion. Stirnrunzelnd wedelte sie mit einer Hand vor seinen Augen. Der Reporter zuckte nicht mal mit den Wimpern. Doch dann stupste sie ihn an der Schulter an und seine Reaktion übertraf alle ihre Erwartungen: Er stieß einen markerschütternden Schrei aus und seine Augen schienen schier aus ihren Höhlen zu treten. Vor Schreck plumpste sie auf ihr Hinterteil und löste eine erneute Papiereruption aus.

***

Riaaaa-tsch! Riaaaaa-tsch!
Das Rascheln war näher gekommen, doch nur ein ganz kleiner Teil von Kolumnes Verstand registrierte es und schaffte es nicht, die dämpfende Stille zu übertönen. Augen und Ohren schienen völlig den Dienst aufgegeben zu haben. Kolumne war wieder ein kleiner Junge, er war zu Hause und nachts wurden die Bücher lebendig.
Da berührte ihn etwas an der Schulter. Er schaute auf.

Es

War

Gekommen.

Um ihn zu holen.

Er schrie aus tiefster Seele.

***

Ein dunkles Lagerhaus. Eine verschollene Wächterin, die einen Verdächtigen in ebendieses Gebäude gefolgt war. Drei Kollegen, die sie suchten und ebenfalls in das Lagerhaus gingen. Natürlich musste jemand schreien, dachte Jack sarkastisch. Er hastete hinter seinem Vorgesetzten und seiner grünschnäbeligen Kollegin her und ging eine mentale Checkliste durch. Von den anwesenden Wächtern verstand er noch am meisten von Erster Hilfe. Nicht-letale Wunde, zumindest nicht sofort, sonst hätte der oder die Betroffene nicht kreischen können. Hatte der Schrei männlich oder weiblich geklungen? Die Kollegin war stumm, oder? Also Kolumne. Jack entspannte sich innerlich ein bisschen. Er hielt es für unwahrscheinlich, dass die so weltfremd wirkende Wächterin jemanden ernsthaft verletzen würde. Andererseits waren ihm gewisse Geschichten betreffend Bonsai-Bäumen und Frau Willichnicht zu Ohren gekommen...

Romulus preschte ohne Rücksicht auf Verluste vorwärts. Mehrere Papierstapel fielen ihm zum Opfer und vergrößerten das allgemeine Chaos im Lagerhaus. Schließlich fuhr er um einen besonders dicken Papierberg herum - und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Hinter sich hörte er Jack und Ayure. Der Püschologe in Ausbildung zog scharf die Luft ein. Er hatte schon befürchtet, dass in diesem speziellen Fall eher seine vorherige Spezialisierung zur Geltung kommen müsste, doch offensichtlich wurde ein Püschologe hier viel dringender benötigt - oder auch zwei.

Die drei Wächter starrten ungläubig auf ein über und über mit weißen Papierschnipseln bedecktes, vermutlich menschliches Wesen, welches sich erst bei sehr genauer Betrachtung als die gesuchte Wächterin entpuppte. Lilli hingegen achtete nicht auf ihre Kollegen, sondern beobachtete ihrerseits einen in embryonaler Haltung am Boden kauernden Mann, welcher mit weit aufgerissenen Augen und leeren Händen Reißbewegungen in der Luft vollführte.
"Tja", meinte Romulus schließlich. Irgendwie gab es nicht mehr zu sagen.

***

Der Vampirin schien die durchwachte Nacht, inklusive Sturm und Hundskälte, aber immerhin exklusive Täterjagd, nichts ausgemacht zu haben, während der Aktenstapel auf Romulus' Schreibtisch einen deutlichen Abdruck seines Kopfes aufwies. Er hatte es gerade noch geschafft ein paar Papiere zurechtzurücken und beschäftigt auszusehen, als Frän auch schon die Tür zu seinem Büro öffnete. Sie stand geduldig vor seinem Schreibtisch, in der Hand Vernehmungsprotokolle, und ignorierte taktvoll seine Tränensäcke.
"Also hat er gestanden und wir haben Beweise?", fragte Romulus sicherheitshalber nach. Er hatte genug von Spinnern, die medienwirksame Verbrechen auf sich nahmen, nur um in die Zeitungen zu kommen. Das Schlimmste, was man ihnen später androhen konnte, war ein Verfahren wegen Behinderung der Ermittlungen und dafür gab es einfach zu viele aufmerksamkeitsgeile Irre. Normalerweise setzte man sie nach einer Nacht in den Zellen und einem Ordnungsgeld wieder auf freien Fuß, ansonsten wären permanent die Zellen blockiert.
"Wir haben in seiner Wohnung entsprechende Beweise gefunden. Er schien einen regelrechten Hass auf Kitsch zu haben. Man kann auch nicht wirklich von einem Geständnis sprechen. Eher von einer Beichte."
Frän dachte an die erst kürzlich erhaltenen Hintergrundinformationen zu Kolumne und verspürte trotz des ganzen Ärgers Mitleid mit dem Mann, der jetzt als Bündel Elend im Keller hockte.
"Sein Vater war Schriftgelehrter. Er hat mehrere Pamphlete zur Wiedereinführung der Demokratie verfasst, zwar unter Pseudonym aber er wurde bekannt. Damals war Schnappüber noch an der Macht."
Romulus stöhnte und barg sein Gesicht in den Händen. Frän nickte grimmig.
"Er wurde gewarnt und versuchte zusammen mit seiner Frau alle Beweise zu vernichten. Sie zerrissen seine Schriften und verbrannten sie aber er konnte sich so nicht retten. Als ob Schnappüber jemals Beweise gebraucht hätte. Sie sind mitten in der Nacht gekommen, haben Kolumnes Eltern vor seinen Augen bewusstlos geschlagen und das Haus angezündet. Die Eltern starben in den Flammen, der Junge konnte gerade noch entkommen. Er war damals sieben und kam in ein Heim. Er hat wohl die Wahnvorstellung entwickelt, dass das Papier an sich schuld war am Schicksal seiner Eltern. So entwickelte er die Neigung, Brände zu legen. Allerdings wurde er nie gefasst. Nachdem er volljährig wurde, war er mehrere Jahre arbeitslos, dann fand er eine Anstellung bei der Sun und machte schnell Karriere, allerdings war ihm Kitsch im Weg. Der wurde als Starreporter bevorzugt. Dieser Druck verstärkte seinen Drang. Das Feuer in seiner Kindheit hat Kolumne nachhaltig geprägt. Er verstreute die verhassten Papierstreifen in den Häusern, die als Zündmaterial und Brandbeschleuniger dienten. Die ersten beiden Brände waren ein verqueres Ablenkungsmanöver, um auf einen Feuerteufel hinzuweisen und Kitsch's Tod als Unfall darzustellen. Man kann auch nicht wirklich sagen, dass Kolumne Kitsch getötet hat. Aus seiner Sicht waren es die Papierstreifen."
Romulus nickte.
"Hat der Patrizier schon entschieden, was mit ihm geschehen soll oder wird er an die Assassinengilde ausgeliefert?"
"Ein paar Ärzte fanden seinen Fall sehr interessant. Er kommt in die geschlossene Abteilung eines Spezialhospitals."
Romulus dachte an die jämmerliche Gestalt im Lagerhaus und schüttelte sich innerlich. Vielleicht war es sogar das Beste so. Vielleicht konnten die Ärzte Kolumne von seinen Dämonen befreien. Er bezweifelte es.


[1] Anmerkung: Auf der Karte "Die Straßen von Ankh-Morpork" und in "Helle Barden" heißt die Straße Unheilsstraße. In "Die volle Wahrheit" heißt sie Drachenstraße. Der Name dieser Straße geht jedoch nicht auf Drachen, sondern auf Dagon (ein Meeresgott) zurück. Quelle: DiscWiki

Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Harry

01.11.2008 13:58

Ein bisschen zu englisch für meinen Geschmack (Sun? Little Achat?), aber schöne Geschichte.

Von Kathiopeja

01.11.2008 13:58

Also... die Plotidee war schon gut, auch wenn die Auflösung mit dem geplanten Mord in meinen Augen nicht ganz glaubwürdig war.Ungünstig war, dass recht viele für mich unverständliche Worte vorkamen. Auch ziemlich viel Umgangssprache, was ich an einigen Stellen als störend empfand.Bitte schreib in Zukunft AL und AM in der Single aus, das hat den Lesefluss deutlich gestört.Auch die vielen Klammern innerhalb des Textes haben mich immer wieder gedanklich unterbrochen. Vielleicht solltest du versuchen diese Anmerkungen in den Text zu integrieren.Die Mehrheit der Pokalworte war aus meiner Sicht zu nebensächlich eingesetzt.Als normale Single gut, als Pokey meiner Meinung nach "nur" befriedigend.

Von Glum Steinstiefel

01.11.2008 13:58

Wunderbar! 1A! Die Atmosphäre im Lagerschuppen hatte etwas...nicht gerade hypnotisches...wie soll man das beschreiben? Etwas...phantastisches, aber nicht eben im euphorsichen Sinne, sonderm im beängstigenden. Öhm...sagen wir mal zwielichtig und ein wenig...zauberhaft. Ja. So kann man das sagen. Die Abteilung hat wunderbar zusammengearbeitet und auch die Handlungszeiten haben mir gut gefallen. Soll heißen: Was die Wächter wann, wo und wie gemacht haben, dass sich die Geschichte nach erstmaligen Untersuchungen auf diese eine Nacht konzentriert hat und nicht das Haus hat abflammen lassen, um im Nachhinein die Frage nach dem Wer und Warum? zu bearbeiten. Klar ist das elementar, aber durch die ausführliche Beschreibung der diversen Personen und ihren Empfindungen in jener Nacht entstand eine echt ungemütliche, extrem angenervte und...ja, auch eben recht feucht-fröhliche Atmosphäre, die dieser Single das gewisse Etwas gegeben hat. Nach dem Lesen dieser Story hätte ich mir zwar gewünscht, dass noch eine richtig große Sache, eine Art zweiter bzw. hauptsächlicher Brandstifter in Ankh-Morpork sein Unwesen treibt und der gute Kolumne eben nicht der eigentliche Täter wäre, aber das ist auch bloß ein Wunschdenken gewesen und bezeugt lediglich meine positive Meinung im Bezug auf diese Mission. So. Ufff... *Geht schnell ein paar Kerzen anzünden...muhuhaha...*

Von Sillybos

01.11.2008 15:11

Die Single war für mich ein Auf und Ab. Nach einem So-Lala-Start ging es steil bergauf, den Mittelteil fand ich richtig gut, und das Ende war in meinen Augen dann wieder schwächer. ;)



Das Stilistische (Wortwahl, Klammern etc) ist sicher Geschmackssache; mich hat es nicht gestört. Ich fand - gerade zu Beginn - eher störend, dass die Dialoge etwas oberlehrerhaft wirkten. Viele Sachen waren "Ich-teile-dem-Leser-einen-wichtigen-Hintergrund-mit"-Bemerkungen, die im Dialog zwischen zwei Wächtern manchmal unnatürlich wirkten. Da könntest du Mittel finden, dies anders unterzubringen (z.B. einen Neuling etwas fragen lassen, das der AL dann wissend beantwortet), oder die Perspektive eines Gesprächsteilnehmers einnehmen.



Den Mittelteil - das Geschehen in der Nacht - fand ich sehr gut geschrieben. Die Szenenwechsel waren gut gesetzt, die Szenen selbst waren atmosphärisch stark. Auch den Höhepunkt, wo du ein Ereignis aus drei verschiedenen Perspektiven beschrieben hast, fand ich ganz ausgezeichnet. :daumenhoch:



Leider war dann auch schon Schluss. Die Auflösung fand ich wiederum nicht so gut, weil es die war, mit der man als Leser gerechnet hatte (ich zumindest). Besser hätte ich es gefunden, hätte es einen zweiten Handlungsstrang gegeben, so dass am Ende beide Stränge zu einem überraschenderem Ende zusammenfließen. Aber sowas ist natürlich mit wesentlich mehr Arbeit verbunden. ;) Auch Kleinigkeiten und sogenannte "Running Gags" können am Ende gut nochmal aufgenommen werden, zum Beispiel die missglückte Frisur oder Ähnliches.



Als Pokey fand ich die Mission sehr gut. Insbesondere, dass du die eigene Figur in den Hintergrund gestellt hast und deine Abteilungskollegen hast zusammenwirken lassen, hat mir imponiert.



Ich freue mich auf deine nächste Mission! :)



Liebe Grüße

Silly

Von Mimosa

02.11.2008 17:54

Tja, das zeigt ja wohl, dass Geschmäcker verschieden sind. Ursprünglich war auch ein anderes Konzept geplant, nach der Art von "Tomorrow never dies", daher auch der Titel; aber dann musste ich schnell ein halbwegs glaubwürdiges Ende finden, weil die 9000-Grenze erreicht war. Aber vielleicht schreibe ich eine Fortsetzung, dann kann ich das alte Konzept noch benutzen.



Zur Wortwahl: Ich habe nicht bewusst irgendwelche "seltsamen" Wörter benutzt. Ich bin wirklich davon ausgegangen, dass sie jeder kennt. Und es hätten sonst eher Fragen kommen können... ich habe ein paar Tage vor Ende der Pokalrunde ja noch ein kleines Glossar reingestellt.

Zum Thema Umgangssprache: Ich achte immer sehr darauf, dass sich die Charaktere sprachlich voneinander unterscheiden. Mimosa kommt aus der Gosse und kann daher überhaupt nicht stilistisch rein sprechen (was meiner Meinung nach den Charakter auch unglaubwürdig machen würde), während zB Ophelia sich sehr gewählt ausdrückt (glaube ich zumindest ;) ). Genau das ist es nämlich auch, was mir an Pratchett so gut gefällt: schon an der Art der Wortwahl und des Satzbaus weiß man genau, wer gerade spricht (zumindest im Original, aber über "Übel"setzungen kann man sich ja streiten).



@ Silly und Glum: Geht mir genauso :roll: . Ich kann sehr gut düster-bedrückende Szenen schreiben, aber bei der normalen Ermittlungsarbeit haperts gewaltig. Naja, ich werde versuchen daran zu arbeiten. Ich finde es jedenfalls toll, dass euch die etwas spukige und nasskalte Atmosphäre gefallen hat. :)



@Harry: Wie gesagt, das ganze sollte ursprünglich eine James Bond-Persiflage werden, und die "SUN" ist ja die britische Bild. Ankh-Morporks Sonne fand ich in diesem Zusammenhang als Zeitschriftentitel völlig ungeeignet. Und ich dachte, mit Little Achat (wie das New Yorker Little Tokio) kann jeder etwas anfangen. In Deutschland ist diese Art der Namensgebung für Stadtteile nicht so verbreitet, daher hielt ich die englische Version für passender.

Von Kathiopeja

02.11.2008 18:18

Ich bezog mich auch nicht auf Umgangssprache im Gesprochenen, sondern im Erzählteil. Die ganze Geschichte wirkte für mich, als wäre der Erzähler sehr unbeteiligt, da stießen mir die umgangssprachlichen Begriffe eben umso mehr ins Auge. So z.B. auch das "Mucke", eines der Worte, die sich mir im Zusammenhang nicht erschlossen.

Von Ophelia Ziegenberger

08.11.2008 12:03

[quote="Mimosa"]...Und ich dachte, mit Little Achat (wie das New Yorker Little Tokio) kann jeder etwas anfangen. In Deutschland ist diese Art der Namensgebung für Stadtteile nicht so verbreitet, daher hielt ich die englische Version für passender.[/quote]

So, endlich komme ich dazu, Dir mein Feedback zu geben. Vorab als kleiner Schlenker zu der obigen Aussage: In Berlin wird beispielsweise ein großer Teil von Kreuzberg auch umgangssprachlich "Klein-Istanbul" genannt, so dass ich sofort ein entsprechendes Bild zu "Little Achat" im Kopf hatte. Unter anderem deswegen hatte ich in der Vor-Pokey-Phase auch nichts zu den Anglizismen etc. angemerkt. Generell bin auch ich kein Fan von ihnen und würde in Scheibenweltgeschichten der Wache persönlich immer nach deutschsprachigen Alternativen suchen. In deiner Single dagegen wirkten sie - auf mich - nicht gekünzelt, sondern konsequent über die gesamte Geschichte immer wieder intuitiv an den passenden Stellen gesetzt. Gerade der Zeitungsname stieß auch mir beim Lesen auf und ich weiß genau, dass mein Gedankengang dazu in etwa lautete: das reißt mich jetzt zwar kurzfristig aus dem Lesefluss aber im Grunde ist der englische Titel hier passend - das vermittelte Bild stimmt und es fiele mir persönlich auch keine ebenso passende Alternative ein. Achso... und die übrigen Worte fielen mir überhaupt nicht auf. Komisch, wir kommen doch aus sehr unterschiedlichen Gegenden, wenn ich das richtig in Erinnerung habe? Ich kannte diese Begriffe alle und habe sie deswegen ganz selbstverständlich mitgelesen. ^^



Zur Geschichte selber: Ich habe sie sehr gerne gelesen und mich über einen so guten Pokalbeitrag für R.U.M. gefreut. ;)

Aber ich stimme Silly in seiner Aussage zu, dass qualitativ eine gewisse Schwankung zu bemerken ist. Der atmosphärisch extrem dicht geschriebene Mittelteil zur nächtlichen Ermittlung der Abteilung im Regen stach um Meilen heraus, im Vergleich zu Beginn und Ende der Geschichte. Der Unterschied ist meinem Empfinden nach so stark, dass sowohl Figuren, als auch deren beschriebene Handlungen und alle Ereignisse aus Einführung und Schluss bis zum Vergessen hin verblassen. Es fiel mir einige Tage nach dem Lesen der Geschichte schwer, mich noch an die Begründung dafür, warum die Abteilung ermittelte, zu erinnern. Das Bild der tapferen Wächter dagegen, die in Kälte und Regen ihrer Pflicht folgen, ohne Unterschied in Rang oder Erfahrung, leuchtete regelrecht heroisch im Sinn und hat sich sogar nach mehreren Wochen noch genauso intensiv gehalten. Ich kann sogar noch dieses Gefühl, dass ich beim Lesen empfand, sofort spüren; eine Mischung aus Film-Noire und James Bond, Stolz und Ehre, Trostlosigkeit und Durchhaltevermögen, Einzelgängertum und Zusammengehörigkeit in einem. Du hast die Figuren der Kollegen ganz wunderbar getroffen. Es ist schon etwas länger her, seit ich Ophelia so gut verstanden fand - ich selber wäre niemals darauf gekommen, aber gerade das Pokalwort "suboptimal", charakterisierte ihre Gedanken an dieser Stelle absolut exakt. :) :daumenhoch:

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