In den Hafen Morporks oder: Durch und durch durchdacht

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von Korporal Kolumbini (RUM)
Online seit 01. 06. 2008
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Die Tochter eines berüchtigten Oberhaupts einer Verbrecherfamilie wird tot im Hafen Morproks gefunden. Ein kniffliger Fall für die Ermittler der Abteilung für Raub und unlizensierten Mord.

Dafür vergebene Note: 13

Sie berührte die Narben auf seinem Körper und verfolgte seine Venen mit ihrem Finger. Es war nicht richtig, ihn einfach so schlafen zu lassen, aber sie musste jetzt gehen. Wenn sie Glück hatte, würde sie vor ihnen zu ihrem Schiff kommen, auch wenn sie nicht damit rechnete, dass dies irgend etwas ändern würde. Langsam schritt sie aus dem Zimmer, in den muffigen Flur und in den frühen Morgen des morporkianischen Hafens.
Sie ging noch einen letzten Schritt in ihrem Leben und dann stellte sie fest, dass sie schweben konnte.

Feldwebel Romulus von Grauhaar blickte besorgt auf den Bericht des SEALS-Szenekenners und klopfte nervös mit den Fingern auf einer Dose Superbulle herum.
"Schwierig, was?" meinte Ophelia Ziegenberger, die derzeit als einzige Person mit dem Abteilungsleiter der Abteilung RUM in dessen Büro saß.
"Nach dem Bericht vom Hauptgefreiten Bleicht ist die Familie Traminer wohl in einige krummen Geschäfte in der Stadt verstrickt. Ferdinand Traminer, der Hausherr, gilt als einer der gerissensten Verbrecher in ganz Ankh. Das könnte offene Ermittlungen sehr erschweren. Wir konnten ihnen bisher nichts nachweisen, aber wahrscheinlich werden sie genau deshalb jegliche Ermittlungen der Wache in diesem Fall behindern", überlegte Romulus laut.
"Verständlich", gab Ophelia zurück. "Wenn meine Tochter tot im Hafen gefunden worden wäre und ich Teil der Verbrecherszene Ankh-Morporks wäre, so würde ich es auch nicht begrüßen, Wächter bei mir zu Hause rumschnüffeln zu haben."
Romulus blätterte in seinen Unterlagen und nahm einen Schluck Superbulle.
"Anscheinend suchen sie seit längerer Zeit ein tüchtiges Hausmädchen", gab der Abteilungsleiter vielsagend von sich und grinste Ophelia an. Die Angesprochene seufzte.
"Schon verstanden. Wer leitet die Ermittlungen?"
"Fred", gab Romulus knapp zurück.
"Er hat lange keine große Ermittlung mehr geleitet, oder?"
"Eben darum. Ich kenne ihn und es wird Zeit, dass er mal wieder etwas Zusammenarbeit übt. Außerdem kann er nicht stets in seinem Büro versauern. Lilli Baum, Ayure Namida und ihr Auszubildender", bei diesen Worten musste Romulus unwillkürlich grinsen, "sind mit in seinem Tiehm. Außerdem habe ich Jack noch mitgeschickt und Septimus hat die Anweisung bekommen, sich im Hafenmilieu umzuhören."
Ophelia wusste nicht so recht, ob sie Lilli Baum oder Kolumbini für die Entscheidung von Romulus bemitleiden sollte. Die beiden waren sich bisher, soweit sie wusste, ziemlich aus dem Weg gegangen, aber Ophelia kannte Inspäctor gut genug, um zu wissen, wie er auf die etwas eigenartige Art von Lilli reagieren würde. Da Romulus und Kolumbini gute Freunde waren, fiel es Ophelia nicht schwer zu entscheiden auf wessen Seite Romulus stand.
"Dann arbeite ich mich mal in diesen Fall ein", sagte Ophelia und stand auf.
"Im wahrsten Sinne des Wortes, wie?" meinte Romulus und grinste schelmisch.

"Nicht gerade hübsch, was?", meinte Ayure Namida zu den anderen RUM-Mitgliedern, während sie nachdenklich auf die Leiche starrten. Der Bericht des SUSI-Experten war eindeutig gewesen: Zeitpunkt des Todes ca. 6:00 Uhr Morgens, tiefe Schwertwunde am Rücken, Todesursache Verblutung.
"Zu Lebzeiten schon, schätze ich", meinte Daemon trocken. "Jetzt nicht mehr."
"Meinst du, dir wäre eine hübsche Leiche lieber, als all das Blut?" wandte Jack Narrator sich sarkastisch an Ayu. "Wäre es dir lieber, wenn man sie mit einer Arsensuppe ermordet hätte und wir nun in der Restaurantszene Ankhs ermitteln müssten?"
Ayu ließ diesen Kommentar einfach von sich abprallen und betrachtete den Tatort um sich etwas genauer. Die beiden anderen Mitglieder des Trupps hatten die kurze Unterhaltung entweder überhört oder nicht beachtet. Sie befanden sich in einer Seitengasse des Hafenbezirks von Morpork. Durch die Häuserlücken ließen sich die braunen Fluten des Ankh und das geschäftige Treiben am Pier nur bedingt ausmachen.
"Elisabeth Traminer", murmelte Inspäctor "Fred" Kolumbini vor sich hin und paffte an seiner Pfeife. Warum musste die Leiche der jungen Frau auch ausgerechnet die Tochter einer der großen Verbrecherfamilien Ankhs sein? Oh, man konnte ihnen nie etwas nachweisen, da sie immer einen Dritten hatten, der sich die Hände an einem Vierten schmutzig machte. Die Tatsache, dass die Familie Traminer die Wache mied wie eine Katze das Wasser, würde die Ermittlungen sehr erschweren. Die Ermittler wussten, dass Romulus einen verdeckten Wächter in die Familie einzuschleusen versuchen würde, auch wenn es riskant sein würde.
Es war nun bereits 12:00 Uhr morgens und bisher schien Kolumbini die Abwesenheit jeglicher Komplikationen als verdächtig. Glücklicherweise sollten zu seiner Beruhigung bald einige Hindernisse auftreten.

Es war ein schönes Haus, das stand ganz außer Frage. Es war ein großes Anwesen in einem ausgezeichneten Viertel in Ankh, hatte einen wunderschönen Garten und sah durch den großen Efeubewuchs wie eine Villa eines wohlwollenden und gütigen Herren aus. Um genau zu sein, war es genau dieser Anschein, den der Herr dieses Hauses auch erwecken wollte. Man sollte kaum glauben, dass hinter dieser schönen Fassade ein gerissenes Verbrechergenie steckte. Was für das Haus galt, galt umso mehr für seinen Hausherren, wie die junge Annalena Wurski, alias Ophelia Ziegenberger, bald feststellen musste. Ferdinand Traminer führte höchstpersönlich das Einstellungsgespräch, was Ophelia sehr erstaunte. Hatte er noch nicht mitbekommen, dass seine Tochter ermordet im Hafen aufgefunden worden war? Es war auf der Titelseite der Times gewesen und deshalb schloss Ophelia diese Möglichkeit aus. Dennoch ließ sich in dem Gebaren des Hausherren keinerlei Betroffenheit oder ein ähnliches Gefühl ausmachen.
"Nun Fräulein Wurski, was haben Sie für Referenzen aufzuweisen?" fragte der rund vierzigjährige Herr, während er auf den Zettel blickte, den Ophelia ihm in die Hand gedrückt hatte.
"Ich habe zuvor im Palast Lord Vetinaris gedient...", begann die junge Dame.
"...und davor bei diversen Lords und Ladies in Sto Lat und Ankh-Morpork. Das sehe ich selber. Aber wie sieht es mit ihren Fähigkeiten aus? Sind sie gut in der Kinderbetreuung? Die Familie ist uns sehr wichtig, müssen Sie wissen. Sind Sie gut in der häuslichen Arbeit?"
Ophelia versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie ihrem Gegenüber den Satz mit der Familie nicht abkaufte, aber anscheinend konnte Traminer Gedanken lesen.
"Ich nehme an ihr versteckt skeptischer Blick bezieht sich auf meine Äußerungen über die Familie. Sicher haben auch Sie die Times konsultiert und dort spärliche Informationen gesammelt über den bedauerlichen Zwischenfall, der meiner Tochter zugestoßen ist. Dazu möchte ich sagen, dass meine Tochter sich von der Familie entfremdet hat und zwar vor geraumer Zeit. Ich habe ihr Verhalten nicht begrüßt, aber es akzeptiert. Aber da sie nun mal unwiderruflich von uns gegangen ist, so bedauerlich dies auch sein mag, ist es sinnlos, das normale Tagesgeschäft zu unterbrechen." Traminers Ton war trocken, aber Ophelia merkte, dass in dieser Rede etwas nicht gestimmt hatte, ganz gleich, was es war.
"Es war nicht meine Absicht, euer Lordschafts Aussage in Frage zu stellen", wandte sie ihren Blick beschämt ab. "Und um Ihre Frage zu beantworten: ja ich kann sowohl Ihre Kinder hüten, als auch im Haushalt helfen."
"Möchten Sie etwas mit mir trinken?"
"Nein danke, Sire. Es steht einer Bediensteten nicht zu, mit Ihrem Herren zu trinken."
Anscheinend schien diese Antwort Traminer zu gefallen und er grinste leicht, als er sich einen Cognac in ein Glas einfüllte. Ophelia betrachtete ihn dabei genauer. Er war groß und recht dünn, mit einem dünnen Bart um die Mundwinkel und leicht schütterem Haupthaar. Seine Augen waren grün und wachsam und so stechend wie die einer Katze. Mit ruhigen Bewegungen setzte er sich wieder an den Tisch, den Cognacschwenker in der linken Hand kreisend.
"Sagen Sie, Fräulein Wurski. Haben Sie auch Gerüchte gehört, bezüglich meines Berufes?" Sein Blick erinnerte an den eines Fuchses und Ophelia wusste, dass es sich auch hierbei um einen Test ihrer Diskretion handelte.
"Es steht einer Bediensteten nicht zu, sich ein Urteil über Ihren Herren zu machen, Sire", gab sie, Augen auf den Boden gerichtet, zurück.
"Nun gut. Nur wenige Menschen möchten hier arbeiten, aufgrund der gemeinen Gerüchte, die man innerhalb der hohen Kreise Ankh-Morporks streut. Natürlich ist das meiste davon erstunken und erlogen. Ihre Bezahlung wird gut sein und ich erwarte keinerlei unangemessene Dinge von Ihnen. Allerdings werde ich vorerst Ihre Angaben überprüfen müssen, wenn Sie es mir gerne nachsehen möchten. Ich werde morgen nach Ihnen schicken lassen. Einen schönen Tag noch, Fräulein Wurski."
Mit diesem letzten Satz ließ Ferdinand Traminer die junge Dame hinausbringen und sah ihr nach, wie sie durch den Garten hinaus ging.

"Ich hasse diese Fälle, bei denen man keine Ahnung hat, wo man anfangen soll", murmelte Kolumbini leise und tippte sich gegen sein Glasauge. Dann schloss er die Augen und begann laut zu überlegen.
"Zuerst müssen wir herausfinden, was sie hier wollte. Dann, woher sie kam und schlussendlich von wem sie kam", sprach er seine Kollegen mehr indirekt als direkt an.
"Klingt nach einem Plan und wo sollen wir anfangen?", meinte Daemon.
"Was haben wir bei der jungen Dame noch gefunden?" gab Kolumbini als Antwort.
"Laut dem SUSI-Bericht fand sich bei der Leiche nichts weiter als die Kleidung, die sie am Leib trug. Wobei vermutlich jegliche Wertsachen innerhalb weniger Minuten verschwunden waren", entgegnete Daemon.
Die übrigen Ermittler nickten. Dann hörten sie das leise Kratzen einer Feder auf Lilli Baums Schreibkärtchen.
"Was währe, wenn Sie raisen wollte?" schrieb sie. Kolumbini schien diese Idee zu begrüßen.
"Eine großartige Idee, Hauptgefreite", meinte er mit einem hintersinnigen Grinsen. "Wie wäre es, wenn du dich bei den Kapitänen umhörst, ob sie eine Schiffspassage gebucht hat?"
Als selbst nach einer Minute keine Antwort von der abwesend wirkenden Wächterin folgte, begann der Ermittler sie finster anzuschauen und ungeduldig mit den Füßen zu tippen.
"Hallo, Hauptgefreite Baum? Was haben Sie vor? Hier Wurzeln zu schla...Gehen Sie einfach los und versuchen Sie etwas herauszufinden!"
Lilli Baum fügte sich in ihr Schicksal und machte sich auf den Weg tiefer in die Hafen Morporks. Als sie gegangen war atmete Kolumbini erleichtert auf. Er wusste nur zu gut, dass er in Sachen Schrulligkeit den Vogel abschoss, aber Lilli Baum sorgte in diesem Punkt für die komplette Ausrottung einer gesamten Vogelart.
"Und was sollen wir machen?" fragte Ayu den leitenden Ermittler skeptisch.
"Wir versuchen herauszufinden, wo Fräulein Traminer sich letzte Nacht aufgehalten hat", gab Fred zurück.

Wenn es um üble Hafenspelunken ging, so konnte man in keinem Hafen der ganzen Scheibe bessere Vertreter dieser Gattung finden als in den Hafen Morporks. Es war sicherlich nicht Kolumbinis grandioseste Idee gewesen mit drei weiteren Wächtern in diese Spelunken zu gehen, aber das Klientel dieser Etablissements schien derzeit nicht angriffslustig und somit hatten die Wächter noch einmal Glück im Unglück. Ayu erntete einige anerkennende Pfiffe und unzüchtige Kommentare, woraufhin sie sich rasch umdrehte und von breiten grinsenden Seebären, die vom Skorbut geplagt schienen und ihren Vitamin C Mangel durch eine gehörige Zufuhr des Vitamin Rs (wie in Rum) auszugleichen gedachten. Die ersten drei Kneipenermittlungen ergaben nichts Neues, bis die vier Wächter schließlich fündig wurden.
Die Kneipe war dreckig und trug den Namen "Zum Durstigen Komaran", wobei das Schild der Spelunke ein sehr übel zugerichteter Vogel zierte. Der Wirt war ein drahtiger Bursche mit einem zusammengefallenen Gesicht, aus dem gelbe Zähne hervorstachen.
"Guten Tag", stellte Fred die Truppe vor. "Stadtwache, der Herr."
"Das sehe ich", gab der Wirt zurück. In seinem Maul drehte er immer wieder einen Zahnstocher hin und her. Auch er bedachte Ayu mit einem schmierigen Grinsen, eine Sitte die in sämtlichen miesen, von Männern bevölkerten Spelunken des Multiversums, zum unumstößlichen Verhaltenskodex gehörte. "Was kann ich für euch tun?" Wieder folgte das schmierige Grinsen.
"Wir versuchen etwas über diese Frau herauszufinden", unterbrach Daemon den Blick des Wirtes zu Ayu mit einer Ikonographie der Toten, die sie aus der Times ausgeschnitten hatten. Die Götter allein wussten, wie die Reporter so schnell an das Bild der jungen Dame herangekommen waren. "Haben Sie sie zufällig schon einmal gesehen?"
Der Wirt betrachtete die Ikonographie lange und schüttelte schlussendlich den Kopf.
"Kann mich nicht entsinnen", entgegnete er lediglich. "Vielleicht befragen sie meine Kunden hier. Aber ohne etwas Gehirnschmiere werden die sich wohl kaum erinnern." Bei den letzten Worten nickte er bedeutsam in Richtung der Rumflasche, die auf seiner Theke stand. Eine halbe Rumflasche später erbarmte sich schlussendlich ein alter Akkordeonspieler und erzählte den Wächtern, dass er die junge Dame gestern gesehen habe. Sie sei gegen Mitternacht aufgetaucht und habe sich an den rauesten Schläger und Seemann den der alte Mann kannte herangeschmissen.
"Dieser Jungspund Nervus ist der verschlagenste Mistkerl, diesseits des Ankh", erläuterte der Alte weiter. "Habe keine Ahnung was so ein hübsches Ding mit diesem Monster von einem Mann wollte."
"Wissen Sie, wo wir diesen Nervus finden könnten?" erkundigte sich Kolumbini und schob dem Alten ein weiteres Glas Rum zu.
"Is gestern erst wieder an Land gekommen und wird nun erst mal sein Geld bei den Spelunken und Näherinnen lassen. Da war die junge Dame wohl mal ne willkommene Abwechslung. Die musste er nicht mal bezahlen."
Kolumbini nickte und wandte sich seinen Kollegen zu.
"Wir sollten zum Wachhaus zurückkehren und diesen Nervus überprüfen."

Es war nicht gerade einfach gewesen in Erfahrung zu bringen, welches der vielen Schiffe in den Hafen Morporks ausgerechnet heute die Segel setzen würde beziehungsweise welche Schiffe dies schon getan hatten. Das hölzerne Knarren der Schiffe in den Docks weckte gewissermaßen eine baumische Solidarität in Lilli, als sie den Pier entlang schritt. Nach Auskunft eines Matrosen sollte die Listige Seekuh bereits seit einigen Stunden aufgebrochen sein, allerdings schien sie, Gerüchten zu Folge, einem gemeinen Anschlag zum Opfer gefallen zu sein.
Als Lilli Baum das fragliche Schiff erblickte, wurde ihr klar, was für ein Anschlag dies gewesen war. Jemand hatte offenkundig eines der Hauptsegel gezielt zerstört, das nun, zerfetzt dort hing und auf einen Ersatz wartete.
"Ein Austauschen wird mindestens einen Tag dauern", schimpfte der Kapitän seinen ersten Maat an, als Lilli Baum sich gerade zu ihm vorgedrängt hatte.
"Guten Tahg! Stadtwache, der Herr! Sind Sie der Kahpitän der lisdigen Seekuh?" las der Kapitän verwirrt auf dem Kärtchen, das ihm entgegengestreckt wurde.
"Das bin ich. Was will die Wache von mir?"
Er war ein bulliger Mann mit einem vollen, schwarzen Backenbart und sprach in einem düsteren Bariton. Sein wettergegerbtes Gesicht betrachtete Lilli mit Argwohn als sie erneut auf ein Kärtchen schrieb, anstatt dem Mann direkt zu antworten. War sie stumm? Oder gehörte es zu den neuen Methoden der Stadtwache nicht mehr mit Personen zu reden?
"Hoite morgen wurde eine junge Dahme tot im Hafenfiertel aufgefunden. Dürfte ich ihre Passagierliste nach dehm Nahmen der jungen Dahme überprüfen?"
Innerlich atmete der Kapitän auf, ließ sich jedoch nichts anmerken. Wenn es nach ihm ging konnte die Wache ihn nach allem fragen, solange es sich nicht um die Ladung von klatschianischen Krummsäbeln handelte, die er illegal in seiner letzten Ladung mittransportiert hatte. Er zeigte Lilli die Liste, auch wenn sie nach der Kenntnis über den Anschlag auf das Schiff ziemlich sicher war, dass Elisabeth Traminer mit diesem Schiff hatte reisen wollen. Offenkundig hatte sie jemand am Abreisen hindern wollen und ebenso offenkundig hatte dieser jemand dabei vollen Erfolg gehabt.

"Mehrfache Körperverletzung, Sachbeschädigung und in einem Falle Brandstiftung", murmelte Romulus von Grauhaar vor sich hin, nachdem Fred ihm die Akte Servus vorgelegt hatte. Der Seemann hatte vermutlich ebensoviel Zeit in einer kleinen Zelle im Wachhaus wie auf See verbracht. In letzter Zeit hatte er sich jedoch nicht mehr allzu viel zu Schulden kommen bzw. sich nicht erwischen lassen. Eine Ikonographie des kleinkriminellen Seemannes zeigte ein vernarbtes, raues Gesicht, das mehr aussah als würde es zu einem Troll, als zu einem Menschen gehören.
"Septimus arbeitet daran, ihn aufzustöbern, wie mir Thask versicherte. Vermutlich wird er in irgendeinem heruntergekommenen Hafenetablissement untergekommen sein", sagte Romulus zu dem versammelten Ermittlungsthiem. "Habt ihr schon Neuigkeiten von Lilli?"
"Nein", antwortete Fred knapp. Er wusste zwar, dass sein Freund es nur gut meinte, wenn er ihn mal wieder zur Gruppenarbeit zwang, aber manchmal wünschte sich der halbe Brindisianer, sich wenigstens aussuchen zu können mit wem er arbeitete. Zugegebenermaßen kam immerhin auch er nicht ganz um Zusammenarbeit herum, aber deshalb hatte er sich über die Zeit einen Kreis von "fähigen Mitwächtern" aufgebaut, mit denen er immer wieder gerne zusammenarbeitete. Unglücklicherweise war Romulus nun Abteilungsleiter und war selber kaum noch in die Ermittlungsarbeit involviert und sein Lieblingspüschologe war nun Kommandeur der Wache. Somit waren zwei wichtige "fähige Kollegen" so gut wie weggefallen.
"Derzeit müssen wir vorerst neue Informationen abwarten, bevor wir uns in eine Richtung versteifen", schlug Daemon vor. "Dieser Nervus ist derzeit auf alle Fälle der Hauptverdächtige, wie ich das sehe. Er hat das Opfer als einer der Letzten lebend gesehen."
"Weiterhin ist es wichtig zu wissen, was Ophelia bei Familie Traminer herausfindet", fügte Kolumbini hinzu. "Wenn jemand etwas von ihren Gründen, morgens im Hafen unterwegs zu sein, weiß, dann ihre Familie."
Noch bevor die Wächter weitere Vermutungen anstellen konnten trottete Thask Verschoor herbei und berichtete, dass Septimus herausgefunden hatte, dass Nervus sich im Gasthaus "Zur maritimen Jungfrau" ein Zimmer gemietet hatte.

"Stadtwache von Ankh-Morpork, bitte öffnen Sie die Tür, Herr Nervus", rief Inspäctor "Fred" Kolumbini zwanzig Minuten später im Gang des heruntergekommenen Gasthauses "Zur maritimen Jungfrau".
Kaum waren diese Worte gesprochen, flog die Tür mit einem Krachen auf und ein riesiger Berg von einem Mann stand im Türrahmen mit einer Axt in den Händen.
"Nicht diesmal!" stieß er laut aus und wollte gerade ausholen, als ihn ein Armbrustbolzen ins Bein traf. Valdimier van Varwald nickte seinen Kollegen zu. Ohne eine kleine Verstärkung der FROG-Truppe wären die Ermittler nicht losgezogen. Mit blitzschnellen Bewegungen beförderte Valdimier die Axt aus der Reichweite des Bullen und hielt ihm eine weitere geladene Armbrust zwischen die Augen. Nervus verzog das Gesicht zu einem grimmigen Lächeln.
"An Ihrer Stelle würde ich jedwede andere Gewalt unterlassen", meinte Jack mit genervtem Unterton. "Allein dieser plötzliche Angriff hat Sie mehr verdächtig gemacht als Alles andere. Bitte denken Sie doch einfach nach, ja?"
Jack wusste nur zu gut, dass bei diesem offenkundig unverbesserlichen Schläger seine Ansprache ungefähr soviel nützte, wie eine Gesteinsansprache [1]. Wobei Jack nicht ganz sicher war, ob eine Predigt zu einem Stein nicht vielleicht doch auf fruchtbareren Boden fiel, wie die Bitte zur Kooperation bei einem, der Akte und dem ersten Eindruck nach, stupiden Muskelberg wie Nervus. Derzeit sah der breitschultrige Mann aus, als würde er jeden Moment wie ein Vulkan explodieren. Die Wunde schien ihm nicht viel auszumachen.
"Wir wollen vorerst nur mit Ihnen reden, Herr Nervus", versuchte Kolumbini die Spannung von der Situation zu nehmen. "Wenn Sie unschuldig sind haben Sie nichts zu befürchten."
Nervus lachte, aber ob dieses Lachen bedeuten sollte, dass er entweder ohnehin nichts zu befürchten hatte von solchen lächerlichen Gestalten, oder aber, dass er dem Wächter keinen Glauben schenkte, ließ sich nicht sagen.
"Ok, reden wir", sagte er schließlich. "Aber in meinem Zimmer."
Kolumbini nickte. "Lass ihn aufstehen, Valdimier."
Sie folgten dem Muskelberg in sein Zimmer und begannen die Befragung.

"Kennen Sie diese Dame?" begann Ayu mit dem Verhör. Kolumbini hatte sie gebeten es zu übernehmen, teils, weil er nachdenken musste, teils weil er sehen wollte, wie sie sich anstellte und teils weil es einfach ein zu amüsantes Bild war, wie die zierliche Ayure Namida einen um das Vielfache größere Fleischberg von einem Mann befragte.
"Ja", antwortete Nervus in seiner rauen Bass-Stimme. Anscheinend schien er auf Kooperation aus beziehungsweise auf ein schnelles Über-die-Bühne-Bringen dieser Angelegenheit. "Sie war gestern mit mir."
Der Duft, der das verdreckte Zimmer, mit seinen mintgrünen Tapeten, dem windschiefen Bett und den undefinierbaren fleckigen Fetzen an den schmierigen Fenstern, die vermutlich Vorhänge darstellen sollten, durchzog war eindeutig im Bezug auf die Tatsache, dass ein Mann und eine Frau in diesem Raum miteinander aktiv geworden waren.
"Kannten Sie sie vorher?" fuhr Ayu fort.
"Nein. Sie hat mich gestern angesprochen. Wir waren in einer Kneipe. Sie kam einfach mit mir mit."
"Hat sie gesagt warum?"
"Nein. Sie wollte wohl Gesellschaft haben."
Nicht nur Ayure kam es seltsam vor, dass eine so hübsche junge Dame wie Elisabeth Traminer sich freiwillig mit einem groben Schlächter wie Nervus abgab. Noch dazu warf es die Frage auf, warum sie die Nacht nicht in dem Haus ihrer Familie verbringen wollte.
"Wussten Sie, wer sie war?" wandte sich die Ermittlerin erneut an Nervus.
"Silver, sie sagte ihr Name sei Silver."
Kolumbini schrieb dies alles in sein Notizbuch, während er Nervus interessiert musterte. Der gewaltige Mann trug ein grobes, weißes Leinenhemd, das stellenweise bereits zerrissen war, eine dunkle Hose und schwere Stiefel. Sein Gesicht war grob und von einem Netzwerk aus Narben durchzogen, seine Augen waren stechend und klein wie die eines rachsüchtigen Schweins. Zwei Rabenschädel, die an einer Schnur um den Hals dieses Riesen hingen, komplettierten sein unheilvolles Auftreten.
"Wann ist sie gegangen?" wollte Daemon wissen.
"Als ich schlief", drehte sich Nervus zu dem anderen Wächter. "Warum ist sie wichtig?"
"Sie wurde heute Morgen tot im Hafen gefunden", erläuterte Jack trocken.
Der Riese antwortete nicht direkt auf diese Offenbarung, sondern schwieg eine ganze Weile.
"Wer...?" sagte er schließlich.
"Es war?" komplettierte Daemon die Frage vorläufig. "Das wissen wir noch nicht. Wissen Sie es?"
"Nein. Sie hatte Angst. Mehr weiß ich nicht."
Das glaubte dem Mann zwar keiner der Anwesenden im Raum, aber dennoch ließen sie es dabei bewenden.
"Hat sie Ihnen gegenüber etwas Merkwürdiges erwähnt? Etwas worauf sie sich keinen Reim machen konnten?" Diese Frage stammte von Kolumbini. Nervus ließ sich nicht anmerken, dass der komische Mann mit dem Mantel ins Schwarze getroffen hatte.
"Nein", sagte er. Doch in Wirklichkeit dachte er: sie hat dich ihren Erretter genannt, ihren Rächer. Als sie sich ihm voller Ekstase hingegeben hatte, hatte sie diese Worte verlauten lassen. Aber ihre Bedeutung war ihm nicht klar gewesen. Bis jetzt.
"Sagen Sie, Nervus, warum tragen Sie eigentlich diese Köpfe um ihren Hals?"
"Gegen Wundbrand", gab der Riese knapp zurück und fügte nach den fragenden Blick an, dass es sich um einen alten Familienaberglauben handele. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, seitdem er erfahren hatte, dass Silver tot war. Sie hatte ihm die Nacht seines Lebens beschert und nun hatte sie irgendein Bastard umgelegt. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Sie hatte gewusst, warum sie ihn ausgewählt hatte und es war eine gute Idee gewesen. Er würde sie nicht enttäuschen.

Sie hatte es geschafft. Fräulein Wurski, alias Ophelia Ziegenberger, hatte die Anstellung bei der Familie Traminer bekommen. Sie wusste nicht genau, ob sie sich über diesen Sachverhalt freuen sollte, immerhin lastete nun ein enormer Druck auf ihr. Das war eines der großen Probleme eines verdeckten Ermittlers: der große Erwartungsdruck, das man die Kollegen mit wichtigen Informationen versorgte und auf der anderen Seite auf sich alleine gestellt war, wenn etwas schief lief. Weiterhin war ihr noch nicht klar, ob die Traminers nicht etwa herausgefunden hatten, dass sie eine Wächterin war und nun ihre Spielchen mit ihr treiben würden.
Als sie das große Haus ein zweites mal betrat wirkte es irgendwie unheimlicher, als würde die junge Dame hier nichts Gutes erwarten. [2] Ihre Bedienstetenkleidung klebte an ihrer vom schweiß durchnässten Haut, ob dies jedoch durch ihre Aufregung, oder durch die extreme, schwüle Hitze, die in der Stadt herrschte, verursacht wurde, konnte sie jedoch nicht sagen.
In der großen Eingangshalle wartete bereits ein in die Jahre gekommener Butler, der aussah, wie alle Butler im Multiversum: so als hätte er einen Besen verschluckt und einen Pinguin als Stilberater gehabt.
"Sie müssen Fräulein Wurski sein", begrüßte der alte Herr Ophelia. "Unser Herr lässt sich entschuldigen, er hat noch wichtige Geschäfte zu erledigen. Mein Name ist Perkin, ich bin der oberste Butler der Familie Traminer. Mein Herr Ferdinand Traminer bat mich, Ihnen alles zu zeigen. Normalerweise übernimmt er die Einweisung der Bediensteten persönlich. Er ist ein sehr pflichtbewusster Herr. Dies ist ein sehr pflichtbewusster Haushalt, aber aus ebendiesem Grund muss er sich derzeit vorerst um einige wichtige Geschäfte kümmern, die nicht länger warten können", sobald der Butler das Wort Pflicht erwähnte, lag ein scharfer Ton in seiner ansonsten sanften, leicht näselnden Stimme. "Auch wenn einige Personen das Konzept der Pflicht nicht verstehen würden." Ophelia wusste nicht, ob der alte Herr damit sie meinte, oder eine andere Person. Manchmal wirkte der Butler abwesend, als er ihr die einzelnen Räume zeigte und stets eine kurze Erklärung abgab, was in diesem Raum zu finden sei und ob sie dort etwas zu suchen hatte.
"Was ist hinter dieser Tür?" fragte Ophelia, als der Butler kurz vor einem weißen Portal im Wohnungstrakt stehen blieb, sich jedoch ohne eine Erklärung wieder abwandte.
"Das ist das Zimmer des verstorbenen Mündels unseres Herren. Sie wurde gestern tot im Hafen aufgefunden", erläuterte der Diener, mit einem seltsam kalten Unterton in seiner Stimme.
"Es tut mir Leid", gab Ophelia schüchtern zurück.
"Das muss es nicht. Sie konnten es ja nicht wissen. Lassen Sie mich Ihnen etwas anderes zeigen. Das Zimmer der Kuriositäten...nun eigentlich ist es das Studierzimmer unseres Herren, aber wir nennen es hausintern das Zimmer der Kuriositäten, Sie werden bald wissen warum."
Auf dem Weg zu dem Zimmer gingen Ophelia einige Gedanken durch den Kopf. Hatte der kalte Unterton in der Stimme des Butlers als er Elisabeth Traminer erwähnt hatte eine Bedeutung, oder nicht? Es war eine kaum merkliche Veränderung in der Stimme des alten Herren gewesen, da seine Intonation ohnehin nicht von Emotionen überschüttet wurde. Ophelia tat es daher als bisher unbedeutendes Detail ab. Was sie mehr beschäftigte war die Tatsache, dass Elisabeth Traminer nach Auskunft des Butlers nicht Ferdinand Traminers leibliche Tochter gewesen zu sein schien. Warum hatte Traminer dennoch von seiner Tochter gesprochen? Die Gedankengänge der verdeckten Ermittlerin wurden jäh unterbrochen, als Perkin vor einer großen, braunen Holztür stehen blieb und erneut das mysteriöse Zimmer der Kuriositäten ankündigte.
Das Erste, was dem angeblichen Hausmädchen auffiel, als sie das Zimmer der Kuriositäten betrat, war der extreme Alkoholgeruch. Es war der typische Geruch von billigem Fusel, wie er aus heruntergekommenen Kneipen, Schnapsbrennereien und manchen Lehrerzimmern hervorströmte.
Das Studierzimmer von Ferdinand Traminer selbst war mit Holzvertäfelungen eingerichtet und mit Ledersesseln und -stühlen ausgestattet. Das ganze Zimmer wirkte wie eine Art skurriler Gentlemanclub. An den Wänden befanden sich Regale und einige Kommoden, auf denen verschiedene seltsame Gegenstände zu finden waren. Einige Tierskelette standen neben seltsam geformten Holzfiguren, von denen einige offenkundig Fruchtbarkeitssymbole waren. In einem der Regale standen Glasbehälter mit äußerst unappetitlichen Inhalten. Anscheinend schien Traminer Gefallen an der menschlichen Anatomie zu finden. Am Fenster stand ein altmodischer Vogelkäfig in Bronze in dem ein unscheinbarer Vogel sein Dasein fristete. Auf dem Boden des Käfigs befand sich eine Schale mit einer Flüssigkeit.
"Das ist die Schnapsdrossel [3] unseres Herrn", erläuterte Perkins amüsiert.
"Ich dachte, die wären ausgestorben", entgegnete Ophelia. Perkins war offenkundig beeindruckt von dem Hintergrundwissen der jungen Dame.
"Eine kleine Okkultbiologin etwa?"
"Oh, nein", erwiderte Ophelia. "Aber ich lese viel."
"Dann kennen Sie auch vermutlich die Wiewunderländische Grinsekatze, deren Präparat hier drüben steht?"
Perkin zeigte auf das hundsgroße Präparat einer Katze, die einen ausgeprägten Kiefer besaß, wodurch sie zu grinsen schien.
"Tut mir Leid, Herr Perkin, aber nein, ich kenne sie nicht. Was wollten Sie mir hier noch zeigen?"
Der Butler versteifte sich. "Die meisten Bediensteten ziehen es nach dem Zimmer der Kuriositäten vor, das Gebäude zu verlassen."
"Es ist ein erster Test, nicht wahr? Die Inhalte der Gläsern sind nicht echt."
Wieder schien der alte Herr beeindruckt. "Gut gemacht. Für ein einfaches Hausmädchen sind Sie auf Zack, wie man heute glaube ich sagt. Sie haben Recht. Die Inhalte der Gläser sind nicht echt, größtenteils jedenfalls." Nach dieser Feststellung wirkte der Butler weniger reserviert gegenüber Ophelia, als er es vorher gewesen war. Ophelia hingegen versuchte nicht daran zu denken, welche Inhalte echt waren und welchen Konkurrenten Traminers sie wohl gehört hatten.
In diesem Moment trat Ferdinand Traminer in das Zimmer und begrüßte Ophelia mit einem erneuten füchsischen Grinsen.
"Wie schön, dass Sie zu uns gefunden haben, Fräulein Wurski. Perkins hat Sie herumgeführt, wie ich dem Sachverhalt entnehme, dass Sie in meinem Studierzimmer sind. Ich hoffe, es gefällt Ihnen. Ich werde Ihnen nun Ihr Zimmer im Haus zeigen. Sie werden heute Nacht besser bei uns bleiben, um sich besser einarbeiten zu können. Oh und richten Sie danach bitte alles für den Tee zurecht. Wir werden später noch Besuch bekommen, von einigen Stadtwächtern."

Ein weiterer Tag im Wachhaus am Pseudopolisplatz war angebrochen und Inspäctor Kolumbini, Jack Narrator, sowie Ayure Namida befanden sich in Romulus von Grauhaars Büro, um über die Erkenntnisse im Fall Traminer zu berichten.
"Lilli Baum hat herausgefunden, dass Elisabeth Traminer eine Schiffspassage nach Klatsch gebucht hat. Das Schiff wurde an seiner Abfahrt durch ein zerstörtes Segel behindert. Der Kapitän sagte aus, dass der wachhabende Seemann niedergeschlagen worden sei", erläuterte Fred seinem Freund und Abteilungsleiter.
"Glaubt ihr, dass der Mörder das Schiff sabotiert hat?" erkundigte sich Romulus
"Gut möglich. Vielleicht wollte er auf Nummer sicher gehen, dass sein Opfer nicht aus Ankh-Morpork entkommt", antwortete Ayure.
"Was ist mit diesem Nervus?"
"Wir haben weder ein Motiv, noch Beweise gegen ihn. Alles was wir derzeit vermuten ist, dass er die Person war, die Elisabeth Traminer zuletzt lebend gesehen hat. Anscheinend hat er die Nacht mit ihr verbracht", fuhr Inspäctor fort.
"Ich persönlich gehe davon aus, dass sie sich den brutalsten Schläger gesucht hat, um sie zu beschützen", überlegte Jack laut. "Mit ihrem Aussehen hätte sie vermutlich jeden um den Finger wickeln können. Sie hat etwas geahnt vermute ich, sonst hätte sie wohl kaum diesen Schläger als Bettgefährten gewählt."
"Glaubst du, dass Nervus zu einem Mord fähig ist?" hakte Romulus nach. Er war wieder einmal hoffnungslos übermüdet und versuchte seine viel zu müden grauen Zellen derzeit mit offenkundigen Fragen und Superbulle in Fahrt zu bringen.
"Ist ein Alkoholiker zum Alkoholmissbrauch fähig?" gab Jack sarkastisch zurück. "Man muss ja wohl kaum seine Akte lesen, um zu wissen, dass der Kerl..."
"Ja, ja! Ist ja schon gut", unterbrach Romulus den Püschologen barsch. "Blöde Frage, ich weiß. Was wissen wir sonst noch über den Fall?"
"Nur, dass wir einen Tatverdächtigen ohne Motiv haben, den Septimus versucht zu beschatten und, dass wir sonst keinerlei Ideen haben, wo wir weiter suchen sollen", gab Kolumbini resignierend von sich.
"Was ist mit Ophelia?" erkundigte sich der Abteilungsleiter.
"Noch nichts Neues von ihr. Amok muss erst einmal Kontakt mit ihr aufnehmen, bevor wir mit irgendwelchen Informationen oder Neuigkeiten rechnen kö-" Ein schnelles Aufreißen der Tür und Hereinstürmen von Amok Laufen unterbrach Freds Rede harsch.
"Ich habe Neuigkeiten von Ophelia. Offenkundig sind der Abteilungsleiter von RUM und der leitende Ermittler bei der Familie Traminer zum Tee eingeladen", stieß Amok hervor.
Die Wächter blickten sich besorgt an und ihre Blicke sagten allesamt das Gleiche aus. Die Traminers mussten Lunte gerochen haben.

Ein mieser Tag, in einer miesen Stadt, in der miese Leute einem das miese Leben zu einer noch größeren Misere machten. Genau so empfand Nervus diesen Tag. Er wusste nicht viel, er wusste nur, dass er die Bastarde, die seine Silver getötet hatten, bezahlen lassen würde. Er würde es keinem inkompetenten Wachetrupp überlassen, den Täter seiner "gerechten" Strafe zuzuführen. Für Nervus gab es nur eine gerechte Strafe für diesen Mistkerl und das war ein langer, qualvoller Tod. Es würde nicht der erste Mensch sein, den Nervus ausfindig machte und umbrachte. Es würde auch nicht das erste mal sein, dass jemand ihn dabei erwischen würde. Zuerst galt es herauszufinden, wer Silvers Mörder war und Nervus hatte bessere Verhörmethoden, als die Wache. Eine linke und eine rechte.

Septimus Ebel musste an diesem speziellen Tag feststellen, dass es unangenehme Verfolgungen gab und, dass Nervus Verfolgung definitiv zu den verzwicktesten und unangenehmsten überhaupt gehörte. Der bullige Mann schien immer Umwege in Kauf zu nehmen und rannte immer wieder plötzlich los, als wisse er ganz genau, dass ihn jemand beobachtete. Aber er konnte Septimus unmöglich gesehen haben. Vielmehr schien der Klotz von einem Mann generell misstrauisch und paranoid zu sein, denn er sah sich ständig nervös nach Leuten um, sah jedoch niemanden direkt an, wenn er an ihm vorbeilief. Hätte Septimus Nervus aus der Vogelperspektive beobachtet, so wäre ihm aufgefallen, dass sich der verbrecherische Seemann vielmehr wie eine Ratte in einem Versuchslabor bewegte, als ein Mensch mit einem bestimmten Ziel. Natürlich war das augenscheinlich verwirrte Verhalten Nervus' nur ein Ablenkungsmanöver, damit er seinen Verfolger, von dem er zwar nicht wusste, aber viel ahnte, auf Wunsch blitzschnell abschütteln konnte, wenn er seine Fortbewegungstechnik schnell änderte. Seine Technik trug gute Früchte und Septimus fand sich bald als Verfolger ohne Verfolgten wieder.

"Eindrucksvoll, was Fred?" meinte Romulus von Grauhaar, als sie den Garten des Traminer-Anwesens betraten.
"Ja. Vor allem die vier spielenden Kinder dort drüben mit der Dame", gab Inspäctor sarkastisch wieder.
"Vermutlich die Mutter", schloss Romulus. "Leicht zynisch Kinder und Mutter vergnügt draußen spielen zu lassen, wenn man mehrere Leichen im Keller hat."
"Der schöne Schein der hohen Gesellschaft", meinte Kolumbini, als sie vor dem Eingangsportal der Villa standen. Obgleich diese Unterhaltung es kaum vermuten ließ, waren die beiden Wächter innerlich angespannt. War Ophelias Tarnung aufgeflogen und Traminer wollte sie vorführen? Derzeit versuchten sich die Wächter abzulenken und da sie beide sehr ähnlich in ihrer Person waren, konnten sie dies am Besten, indem sie sich in beißendem Sarkasmus übten.
Der Abteilungsleiter betätigte den großen Türklopfer und wartete. Wenige Augenblicke später wurde die Tür von einem in die Jahre gekommenen Diener, der in der berühmten schwarz-weiß Kombination gekleidet war, geöffnet. Er stellte sich als der Oberste Butler Perkin vor und sagte, dass sein Herr die Besucher bereits erwarte. Die beiden Wächter wurden durch die eindrucksvolle Empfangshalle in den Salon geführt, wo Perkin sie bat, Platz zu nehmen.
Den Wächtern blieb eine gute viertel Stunde, den Raum zu begutachten, bevor Ferdinand Traminer sich zu ihnen gesellte. An den Wänden hingen unzählig viele Bilder der einzelnen Mitglieder der Traminerfamilie. Es war schwer sich vorzustellen, dass ein solcher Familienmensch mit einigen der finstersten Gestalten der morporkianischen Unterwelt zu tun hatte. Sah man einmal von den Bildern seiner Schwiegermutter ab.
"Ah, Herr von Grauhaar und Herr Kolumbini, Perkin war so frei, mir Ihre Namen zu nennen, auch wenn Sie sicher wissen, dass man in meinem Geschäft auch einen gewissen Überblick über die Situation in der ehrenwerten Stadtwache walten lassen muss."
Alleine für diesen Satz hätte Kolumbini dem schmierigen Bastard, wie er es auszudrücken pflegte, eine 'reinhauen können. In meinem Geschäft, dachte Kolumbini bitter. Es ist so als ob sich ein ausgewachsener Tiger eine Namensliste der Tierfänger besorgen würde. Er weiß, dass wir ihm nichts anhaben können und wir wissen es auch.
"Ich möchte mich als guter Bürger zeigen und Sie in Ihren Ermittlungen voll und ganz unterstützen, meine Herren", fuhr Traminer fort. "Es ist ein tragischer Fall, der Tod meiner Tochter Elisabeth, aber leider ist es nun einmal geschehen. Alles, was wir nun noch für sie tun können, ist ihren Mörder seiner gerechten Strafe zuzuführen."
Traminer fuhr in diesem Stil einige weitere Minuten fort, ohne die Wächter zum Reden kommen zu lassen. Er berichtete davon, dass er sich mit seiner Tochter zunehmend entfremdet hatte und er deshalb leider nicht wisse, was sie im Hafen getrieben habe. Es schien, als habe er alle Fragen, die die Ermittler an ihn richten könnten, bereits vorher erfahren und würde ihnen nun eine Geschichte dazu zurechtspinnen.
"Vielen Dank für diese ausführlichen Informationen, Herr Traminer. Ich wünschte jeder Zeuge würde uns mit so einer Rede begrüßen", gab Kolumbini in seiner besten Ich-Bin-Lediglich-Ein-Dummer-Kleiner-Wächter-Manier zurück, als der Berufsverbrecher und Familienvater fertig war. "Das würde die Befragungen um einiges verkürzen. Allerdings hätten wir da noch einige kleine Fragen."
"Oh, selbstverständlich, meine Herren. Aber lassen Sie uns zuvor eine Tasse Tee trinken. Wir haben ein neues Hausmädchen mit idealen Referenzen und sie arbeitet heute den ersten Tag bei uns. Da müssen wir doch jede Möglichkeit zu einem Test ihrer Fähigkeiten nutzen, nicht wahr?"

Es war nicht leicht gewesen, Nervus Spur wieder aufzunehmen, aber schließlich fand Septimus Ebel den rauen Seemann wieder, wenn auch mehr durch Glück, als durch ermittlungstechnische Leistung. Im Gegensatz zu seiner vorherigen Gangweise, bewegte sich Nervus nun ausgesprochen zielgerichtet, schnell und ökonomisch fort, was es nicht gerade leichter machte ihn zu verfolgen, aber Septimus dennoch die Möglichkeit gab, ihn zu verfolgen. Der Riese steuerte auf ein heruntergekommenes Lagerhaus zu. Als Septimus versuchte durch eines der schmutzigen Fenster zu blicken, konnte er lediglich Regale ausmachen, die schwach von wenigen Lampen beleuchtet wurden und einige gefährlich glitzernde Gegenstände beherbergten. Als Nervus aus dem Lagerhaus ging, hatte er einen großen Leinensack über die Schulter geworfen. Es war nicht schwer zu erahnen, dass der grobe Mann keine Geschenke in seinem Sack hatte, beziehungsweise keine Geschenke über die man sich in der Silvesternacht freute. Als normaler Mensch zumindest.
Septimus folgte Nervus um die Ecke, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Die beiden Ermittler ließen sich nichts anmerken, als die junge Dame in der altmodischen Bedienstetenkleidung den Raum mit einem Teetablett betrat. Sie stellte das Tablett auf den Salontisch und wollte sich wieder umdrehen, als Traminer sie mit seiner Stimme aufhielt.
"Wenn ich vorstellen dürfte, meine Herren Wächter, dies ist unsere neue Hilfskraft, Fräulein Wurski. Sie hat absolut exzellente Referenzen und wie Sie an diesem exzellent hergerichteten Tablett sehen, ist sie eine tüchtige Frau. Fräulein Wurski, dies sind die Herren von Grauhaar und Kolumbini von der Stadtwache."
"Guten Tag", antwortete die Bedienstete schüchtern. "Kommen Sie wegen des Mordes an dem Mündel meines Herren?"
Bei dem Worte Mündel horchten Romulus und Fred auf.
"Mündel?" meinte Romulus. "Ich dachte, es handelte sich um Ihre leibliche Tochter, Herr Traminer."
"Ach, diese winzigen Details. Ja ich war nur ihr Adoptivvater, ihr Vormund, aber sie wurde von mir behandelt, wie mein eigenes Kind."
"Beinhaltet das die Entfremdung?" sagte Kolumbini und ließ es so erscheinen, als sei ihm dies rausgerutscht.
"Und die Tatsache, dass sie nicht wissen, wo sich ihre teuren Kinder aufhalten?" fügte Romulus hinzu. Es war riskant einen hohen Kriminellen der Stadt so anzugehen, aber die Wächter waren bereit, jegliches Risiko einzugehen, um von Ophelia abzulenken.
Traminers hinterhältiges Grinsen schien plötzlich wie eingefroren.
"Auch wenn sich meine Tochter von der Familie losgesa-" Traminer unterbrach sich selbst und wusste, dass er der Taktik der Wächter auf den Leim gegangen war.
"Das wäre Alles, Fräulein Wurski", brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Mein werter Herr Kolumbini, wie ich mit meiner Familie umgehe, ist meine Sache. Die Familie ist uns Traminern sehr wichtig. Wir haben eine große Familienehre."
"Hatte Elisabeth diese Ehre auch? Wenn sie lediglich ihr adoptiertes Kind war und sich von Ihrer Familie losgesagt hat?"
Selbst bei dieser provokanten Frage des Werwolfs hielt sich Traminer zurück. Er wollte jedweden weiteren Ausrutscher vermeiden.
"Meine Herren hiermit ist diese Befragung beendet. Ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß und wir sind nicht hier zusammengekommen, um solch tief philosophischen Begriffe wie Ehre und Enttäuschung zu diskutieren."
Der Begriff Enttäuschung war ihm offenkundig herausgerutscht, da er nur einen Augenblick nachdem er die Worte gesprochen hatte, die Augen schmerzvoll zusammenkniff, als ob er hoffte, dass die Ermittler diesen Teil des Satzes überhört hatten.

Als die beiden RUM-Wächter ins Wachhaus zurückkehrten, fanden sie zum vereinbarten Besprechungstermin lediglich Jack und Lilli im Büro des Abteilungsleiter an.
"Wo sind die anderen?" fragte Romulus leicht zornig und wesentlich stärker überrascht.
"Habt ihr die Nachricht nicht bekommen?" erkundigte sich Jack. "Septimus ist verschwunden. Thask hat nichts Neues mehr von ihm gehört, seit er ihm per Brieftaube mitteilen ließ, dass er Nervus verloren habe. Ayu, Daemon und der Rest suchen ihn derzeit. Wir sollten hier die Stellung halten."
"Und wer hat das alles in die Wege geleitet?" wollte Romulus weiter wissen.
"Na der Hauptmann natürlich. Er sagte, er sei immerhin der Ranghöchste hier und deshalb leite er diese Operation."
Der Abteilungsleiter seufzte und setzte sich an seinen Tisch.
"Gerade jetzt, wo wir jedes bisschen Hirnschmalz bräuchten, verschwindet einer unserer verdeckten Ermittler."
"Alles was wir durch den Besuch bei Traminer haben, ist eine zusätzliche Theorie", meinte Kolumbini.
"Du meinst die Tatsache, dass die Adoptivtochter nicht so dankbar war, wie Pappi es sich gewünscht hat..." begann der Überwaldianer.
"...sich von der ungeliebten Adoptivfamilie endlich trennen wollte und Traminer ein nach Außen-Dringen von Informationen verhindern wollte. Genau. Es ist nur eine Theorie, aber mir gefällt sie besser, als die mit Nervus."
"Glaubst du, Traminer weiß, wer seine neue Dienstmagd ist?"
"Wissen tut er es nicht, aber er vermutet es. Ich schätze jedoch nicht, dass er jetzt bereits Schritte unternehmen wird. Unsere Einladung und diese Farce, die er uns vorgeführt hat, zeigt jedoch, dass er Ophelia verdächtigt."
"Das befürchte ich auch. Nunja sie wird Amok heute Abend einen Bericht zukommen lassen, wenn sie in ihrer Auftragswohnung ist."

Ophelia kümmerte sich gerade um das Abräumen des Geschirrs des Abendessens, als sie Traminer leise mit einer ihr unbekannten Person im Studierzimmer reden hörte.
"Glaubst du sie ist von der Wache?" fragte die unbekannte Stimme.
"Nein", antwortete Traminer.
Ophelia atmete erleichtert auf. Langsam schritt sie weiter in dem guten Gewissen, heute Abend ohne Probleme im Hause der Traminer übernachten zu können. Folgende Worte konnte sie daher leider nicht mehr belauschen.
"Aber ich halte es dennoch für einen zu großen Zufall, dass sie direkt nach Elisabeths Tod hier angefragt hat. Vielleicht ist sie ein Spitzel von Vetinari oder einer unserer Kollegen. Du solltest sie heute Abend verhören, wenn du verstehst, was ich meine."
"Sicher doch. Alles für die Familie, das weißt du doch."

Als Septimus Ebel wieder zu sich kam spürte er eine große Wut in sich aufbäumen. Nicht nur, dass er in diesem verdreckten Ort, in dem nicht ein grüner Halm wuchs und der allgemein als Hafenviertel bekannt war, schon viel zu lange ermitteln musste, nein nun war er auch noch so dumm gewesen einem groben Rüpel auf den Leim zu gehen. Was jedoch wichtiger war, als seine derzeitige Wut war, dass er noch am Leben war. Er lag zwar gefesselt in einem Eimer in einer verlassenen Lagerhalle irgendwo in der Stadt, aber er war am Leben. Und der Knoten war nicht einmal besonders fest zugeschnürt.

Es war nun Abend geworden und Ophelia hatte nun Feierabend und sich auf ihr Zimmer begeben. Auf dem kleinen Bett lag ein Nachtgewand, dass Frau Traminer, eine nette, wenn auch leicht dümmlich wirkende, hübsche Brünette, ihr zur Verfügung gestellt hatte. Im Laufe des Tages hatte sie erfahren, dass die Traminers jeden Fremden mit offenen Armen begrüßten und gerne in ihre Reihen aufnahmen. Voraussetzung war nur, dass man erste Tests, wie die seltsame Art des Hausherren überstand und damit leben konnte. Allerdings schien es ein unbeschriebenes Gesetzt, dass man aus der Familie nicht einfach so aussteigen konnte. Perkin hatte ihr erklärt, dass ein Dienerleben in der Traminer-Familie ein Beruf fürs Leben war und zwar der einzige, wenn man ihn einmal begonnen hatte. Ophelia kam sich vor wie die Bedienstete eines Vampiren, der zwar seiner Familie und seinem Klan gegenüber loyal und moralisch gegenüber handelte, jedoch immer noch des Nachts loszog, um Jungfrauen das Blut auszusaugen. In scheibenweltethischen Fachkreisen nannte man dieses Phänomen übrigens Vampirehre, was einen Unterbegriff der Ganovenehre beschreibt. Die Vampirehre ist abgeleitet vom kategorischen Instinktiv des überwaldianischen Philosophen Ecke, der besagt, dass eine Handlung dann gerechtfertig ist, wenn man den Grundsatz, der dieser Handlung zu Grunde liegt, als ein allgemeines Gesetz geltend machen könnte, aber natürlich nur, wenn man selber von dieser Regel ausgeschlossen war. Ecke bezeichnet dies die Ich-Zentrierte oder auch egoistische Universalisierung.
Langsam begann Ophelia sich zu entkleiden und streifte das edle Nachtgewand über. Sicherheitshalber schloss sie die Tür ab und legte ihren, normalerweise in ihrer Kleidung versteckten, Dolch an die Seite ihres Bettes. Daraufhin löschte sie das Licht und legte sich schlafen.

Nervus wusste nun die Wahrheit. Er hatte einige Menschen übel zurichten müssen, um an die Wahrheit zu gelangen, aber das war es wert. Er würde Silver rächen können. Auch wenn er dabei sterben würde zu versuchen, Ferdinand Traminer umzubringen.

Es war nicht leicht für Septimus herauszufinden, wo Nervus sich derzeit befand, aber ein willensstarker Gnom, der nicht davor zurückschreckt einen Knöchel übel zuzurichten, bekommt meist sehr schnell Informationen von unschuldigen Marktstandbetreibern, wenn es darum geht herauszufinden einen muskulösen Riesen von einem Mann mit einem Sack auf den Rücken ausfindig zu machen. Egal wo man in Ankh-Morpork unterwegs war, es gab immer jemanden, der einen sah und Nervus war kein Anblick, den man schnell vergas. Als Septimus schließlich in einer ermittlerischen Sackgasse angekommen war, kam ihm der Zufall in Form des Hauptmanns Llanddcairfyn zu Hilfe.
"Wo bei allen Göttern bist du gewesen?" fragte Dae den Gnom überrascht und erbost.
"Keine Zeit für lange Fragen, wir müssen Nervus aufhalten."
"Bitte?"
"Er ist mit einem Sack voller abscheulicher Messer, Sägen und was weiß ich noch über die Brücke nach Ankh gerannt. Wenn der was Gutes vorhat, will ich einen Baum fällen."
"Er will den Mord an Elisabeth rächen?"
"Keine Ahnung, aber möglich ist's."
Dae musste nicht lange überlegen, bis er wusste, wohin Nervus unterwegs war.

Ophelia wurde von einem Klicken des Schlosses geweckt. Sie hatte unruhig geschlafen und somit mitbekommen, wie jegliche Geräusche des Haushaltes langsam von der Nacht verschluckt worden waren. Deshalb erschien das Klicken des Schlosses unnatürlich laut und das Herunterfallen des Schlüssels, nachdem die Person, die offenkundig vor der Tür stehen musste, den Schlüssel aus dem Schloss geschoben hatte, hörte sich an wie eine Explosion der Alchimistengilde. Leise griff Ophelia nach ihrem Dolch. Ihr Herz klopfte unerhört laut. Sie musste den Eindruck erwecken noch zu schlafen, um einen nächtlichen Übergriff überraschend verhindern zu können.
Sie hörte wie jemand einen anderen Schlüssel von außen in das Schloss schob und sich die Bolzen der Schließvorrichtung bewegten, um ihrem nächtlichen Besucher Einlass zu gewähren. Der Mond ließ den Raum durch fahles Licht gespenstisch erscheinen. [4] Die verdeckte Ermittlerin umfasste ihren Dolch beinahe krampfhaft. Langsam öffnete sich die Tür und ein dunkler Schatten betrat den Raum.

Es war vollbracht. Und es war leichter gewesen, als er erwartet hatte. Die wenigen Leibwächter lagen nun tot im Gras und ihr Blut tränkte den Rasen, auf dem vor einigen Stunden noch Kinder gespielt hatten. Der Vater hatte es in Auftrag gegeben, soviel wusste Nervus. Er hatte es aus einem von Traminers Kontaktmännern, den er durch frühere Saufgelage kannte, herausbekommen. Der Kontaktmann würde in Zukunft jede Mahlzeit zu einem Trinkgelage verkommen lassen müssen. Es war nicht einfach, mit einem zahnlosen Mund zu kauen.
Ferdinand Traminer hatte seine Tochter umbringen lassen, weil sie nicht länger Teil der Familie sein wollte. Niemand stieg aus der Familie aus. Und dafür lag das Verbrechergenie nun tot in seinem Studierzimmer. Nervus drehte sich zu dem nach Schnaps riechenden Käfig um und ließ den seltsamen Vogel frei. Anstatt in die Freiheit zu flattern torkelte der Vogel ein wenig, gab einige schräge Pfiffe von sich und plumpste neben seinen ehemaligen Besitzer auf den Teppich. Es war nicht das Leben oder die Menschheit, die der bullige Seemann verachtete, sondern es war Ungerechtigkeit. Nervus hörte die Tür hinter sich ins Schloss schnappen. Er drehte sich um und sah einen alten Butler mit einer Pistolenarmbrust in der Hand.
"Alles für die Familie", flüsterte der Butler und drückte ab.

Daemon und Septimus kamen gerade in den Garten gerannt, als eine große unförmige Gestalt aus einem der unteren Fenster gesprungen kam, sich auf dem Gras abrollte und in einem großen Tempo weiterrollte. Hätten die Wächter genauer hinsehen können, hätten sie festgestellt, dass sich die Person zwei Rabenschädel an eine Armbrustschusswunde in ihrem Bauch rieb.
"Nervus!" riefen beide Wächter gleichzeitig und wollten gerade die Verfolgung aufnehmen, als sie einen hohen und schrillen Schrei aus dem Inneren des Hauses hörten.

Ophelia Ziegenberger blickte an dem blutigen Nachtgewand herunter und hinauf zu ihrem Angreifer. Als dieser seinen Totschläger fallen ließ, stieß sie den Verwundeten von sich weg.
Es dauerte keine Minute, bis zwei ihr bekannte Wächtervisagen zur Tür hineinkam.
"Ist alles in Ordnung, Ophelia?" fragte Septimus besorgt.
"Das solltet ihr lieber diesen Herren hier fragen."
Daemon und Septimus sahen sich verwirrt an.
"Wir haben dich schreien gehört."
"Nicht ganz korrekt, Hauptmann", gab Ophelia trocken zurück. "Das war er."

Es dauerte keine Stunde, bis das komplette Anwesen der Traminer-Familie von Wächtern nur so wimmelte. Räume wurden durchsucht, Leichen abtransportiert und Verbliebene püschologisch betreut. Den Butler Perkin fand Kolumbini tot in einem äußerst skurrilen Arbeitszimmer, direkt neben der Leiche von Ferdinand Traminer. Ihre Gliedmaßen waren mit einer groben Machete abgesäbelt worden.
"Was manche Menschen Gerechtigkeit nennen", murmelte Kolumbini und zündete sich eine Pfeife an.

Die geistigen Überreste von Elisabeth Traminer schwebten über den Hafen Morporks und ihrer Leiche. Sie hatte gewusst, dass sie es nicht überleben würde, die Familie zu verlassen. Aber sie hatte Sorge getragen, dass die Familie es ebenfalls nicht überleben würde. Zumindest wenn ihr Plan aufging. Sie hatte sich den übelsten, perspektivlosesten Schläger herausgesucht, damit er sie rächen würde. Gib einem Verhungernden Brot und er wird dich für eine heilige halten. Und wenn dieser Verhungernde auch noch ein brutaler Psychopath war...umso besser. Dann konnte er in einen heiligen Krieg ziehen und all das nur aufgrund eines Aktes der Wohltätigkeit. Es war kein perfekter Plan gewesen, aber er würde funktionieren.
In der Luft neben dem Geist der Verstorbenen erschien ein zwei Meter großes Skelett mit einer aus Finsternis gewobenen Robe, blau glühenden Augenhöhlen und einer Sense.
"Alles in allem durch und durch durchdacht", sagte der Geist von Elisabeth "Silver" Traminer.
EINE NETTE FORMULIERUNG, sagte Tod.

Man fand den Mörder Nervus eine Woche später in einem Lagerhaus in Morpork. Er war an Wundbrand gestorben.
[1]  Wobei anzumerken ist, dass der Historiker Unratamsel mehrere historisch verbürgte Ereignisse der Trollgeschichte anführte, in denen eine Predigt Steinen gegenüber durchaus Früchte trug. Es ist sicher unnötig anzumerken, dass Unratamsel ein Spezizist war und seine Schriften aus diesem Grunde keinen großen Anklang bei Verlegern fanden. Wer will schon sein Verlagshaus von einer auf Silizium basierenden Lebensform eingerissen bekommen?

[2] Dieser Satz findet sich übrigens im "Lexikon für klischeehafte Wendungen - Kriminalschundromanausgabe" zusammen mit einigen anderen Wendungen ohne die keine ordentliche mysteriösen Geschichte auskommt.

[3] Die Schnapsdrossel ist eine seltene morporkianische Vogelart, die durch die magische Hintergrundstrahlung der Unsichtbaren Universität das Licht der Welt erblickte. Sie ernährt sich ausschließlich von billigem Fusel und ist deshalb flugunfähig. (Versuchen Sie einmal mit einem konstanten Alkoholpegel von 2 Promille zu fliegen.) Wie der Oktarine Schlingspatz kann die Schnapsdrossel nur bei einer entsprechenden magischen Hintergrundstrahlung existieren und ist deshalb nur in wenigen Gegenden Ankh-Morporks zu finden, weshalb sie als so gut wie ausgestorben gilt. Früher war eine große Population bei Jimkin Bärdrückers Destille zu finden, inzwischen sind die meisten Vögel jedoch in den Bottichen ertrunken. Die Morporkianische Schnapsdrossel ist ein vielzitiertes Beispiel eines geflügelten Wortes, das tatsächlich Flügel bekam.

[4] Ein weiterer Standardsatz für den angehenden Spannungsgeschichtenschreiber! Nicht zögern!! Kaufen Sie jetzt und bekommen Sie das Standardnachschlagewerk für kitschige Liebesromane gratis dazu!

Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Romulus von Grauhaar

01.07.2008 12:54

Eine gut ausgeklügelte Geschichte, die trotz der Tatsache, dass der Ausgang wenig überraschendes barg, Spannung und gute Ermittlungsarbeiten beinhaltete. Die Abteilungsarbeit kam nicht zu kurz, auch die Charaktere der einzelnen Wächter nicht. Stilistisch merkt man, dass du lieber längere Sachen schreibst, man konnte die Kürzungen förmlich riechen ;) Außerdem hast du offenkundig eine Vorliebe für das Wort "offenkundig" ;) Trotz größtenteils ernsten Inhalten/Handlungssträngen schaffst du es, scheibenwelt-typischen Humor unterzubringen, was ich an deinen Geschichten sehr schätze.

Von Valdimier van Varwald

01.07.2008 12:54

Eine typische Kolumbini Single, die wohl etwas an der Wörterbegrenzung litt. Schön ausgearbeiteter Plot, die Charaktere sind wie immer gut ausgearbeitet und kommen Glaubhaft rüber und die Sin City Anspielung war eh klasse ;)Das einzige was mich gesört hat, war dann das letzte Drittel, da es einfach zu schnell ablief und nicht recht zum restlichen Teil der Geschichte passte.

Von Ophelia Ziegenberger

01.07.2008 12:54

Eine durch und durch durchdachte Geschichte, in der Tat. Ich fand sie sehr gut zu lesen und mir hat vor allem der stimmige Plot gefallen, sowie die Tatsache, dass Du die Abteilung wunderbar eingebracht hast. Die einzelnen Szenen waren aufeinander abgestimmt und sowohl von der Dramaturgie, als auch der Chronologie her schön aneinander gereiht. Du hast nicht nur die neuen Figuren mit Motiv und LEben versehen, sondern Dich auch schön in die charakterlichen Vorgaben deiner Mitwächter eingearbeitet und deren Eigenheiten und Auftreten nicht übertrieben dargestellt, sondern sie stattdessen eher unterschwellig und mit Andeutungen einfließen lassen. Über Ophelias verdeckte Ermittlung habe ich mich sehr gefreut und auch diese fand ich sehr gut dargestellt. :D Jetzt hat sie sogar schon ein gutes Atbeitszeugnis vom Patrizier? *lol* Vielleicht sollte sie den Beruf wechseln und "das Hausmädchen mit dem schnellen Messer" werden? *kicher* Besonders die von Dir gewählte Methode der Informationsübermittlung in der beschriebenen schwierigen Situation entsprach ganz genau meinen eigenen Vorstellungen davon, wie Ophelia dies handhaben würde. Prima! Obwohl ich deine Single nicht als Pokey werten darf, darf ich es doch als normale Singlewertung und da schneidet sie sehr gut ab. ;)

Von Ruppert ag LochMoloch

01.07.2008 12:54

Schon bei den ersten Sätzen war mir klar, dass hier eine sehr gut geschriebene Geschichte auf mich warten würde. Ich halte sie auch für die - an den Pokalbedingungen gemessen - beste Geschichte dieser Runde. Die Abteilung wurde mit all ihren Spezialisten glaubhaft und ausführlich beschrieben. Das hat mir gefallen. Sehr schön auch die Fußnoten!Einige Sätze musste ich mehrfach lesen, weil der Satzbau etwas ungewohnt war. Das hat den Lesefluss doch immer wieder mal gestört. Aber das ist eigentlich nur ein kleiner Schönheitsfehler in einer ansonsten rundum gelungenen Geschichte. Die einzige Unlogik der Story ist übrigen das Überleben von Septimus. Nach der Beschreibung hätte Nervus ihn einfach nur zermatscht.

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