Ophelia Ander Kaffer

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von Lance-Korporal Ophelia Ziegenberger (RUM)
Online seit 02. 05. 2007
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 Außerdem kommen vor: Jack NarratorMaganeKanndraAyure NamidaHumph MeckDwarfAraghast BreguyarSillybosKannichgut ZwiebelRomulus von GrauhaarRascaal OhnedurstCim BürstenkinnRogi FeinstichAnette KnödelIlona Istnichtgut FeldackerBreda KrulockValdimier van VarwaldThask VerschoorPyronekdanEttark Bergig

Aus dem 'Leitfaden für Ermittler': "Regel Fünf... 'Ander Kaffer' ist der Ermittler kein Wächter mehr: er schlüpft in die Haut einer anderen Person..."

Dafür vergebene Note: 14

Die Unbekannte


Die Leiche trieb auf dem Fluss. Gewissermaßen. Vielleicht wäre es korrekter, wenn man sagen würde, dass sie in ihm feststeckte und träge mitgewälzt wurde. Jedenfalls tauchte der leblose Körper ab und an dicht unter der Oberfläche hindurch oder streckte ein Stückchen durch die bröckelnde Membran. Berücksichtigte man den Gestank, die allgegenwärtige Braunfärbung allen Unrats in diesem schlammigen Flussbett und die sich daraus ergebende Unwahrscheinlichkeit stehen bleibender Passanten, so glich es einem Wunder, dass sie kurz vor Sonnenuntergang geborgen wurde. Aber selbst die Wacheangehörigen der Abteilung G.R.U.N.D. taten ihre Arbeit manchmal, entgegen mancher Gerüchte, gewissenhaft. Lange Stöcke mit eisernen Haken an ihren Enden, sowie Seile, kamen zum Einsatz und als es dunkel wurde, tanzten die schwachen Lichter von drei Laternen am Uferrand entlang, bis der dazugehörige Karren quietschend auf die mit Kopfsteinen gepflasterte Gasse einbog - direkten Weges zum Pseudopolisplatz.

~~~~~


"Die Leiche ist weiblich, menschlich, 1,72 m groß und die Tote wurde etwa 27 bis 30 Jahre alt."
Der kleine Diktierdämon würde sich davor hüten, die Aufmerksamkeit des Gerichtsmediziners auf sich zu lenken. Entsprechend eifrig lief er beim Schreiben die Zeilen auf dem für ihn riesigen Block ab. Er hatte sich von dieser Urlaubsvertretung irgendwie mehr erhofft.
"Sie hat unter der getrockneten Ankh-Schicht helle Haut und dunkelbraunes, kurz geschnittenes Haar."
Eine kurze Pause trat ein, die der gewissenhafte Dämon dazu nutzte, seine Fußspuren zu entfernen.
Ein Waschlappen landete platschend in der Wasserschüssel, bevor wieder die emotionslose Stimme Jack Narrators durch den leicht nachhallenden Raum klang.
"Augenfarbe: braun. Schmales, fast dreieckig geformtes Gesicht mit hohen Wangenknochen. Schmale Lippen." Aus dem Gedächtnis zitierend fügte er das Messergebnis der vorangegangenen halben Stunde dem Bericht hinzu: "Die Leiche wiegt etwa 62 kg, bei einem durchweg kräftigen und gesund wirkenden Körper. Alle Körperteile und Organe, mit denen bei einem Menschen zu rechnen ist, sind vorhanden und am richtigen Platz. Die Blutuntersuchung schließt die Spezies Vampire, Werwölfe und Gnome aus. Ebenso kommen auch Troll oder Wasserspeier, aus offensichtlicheren Gründen nicht in Frage. Die Tote ist auch kein Zombie, sondern richtig tot."
Der kleine Schreibgehilfe rollte entnervt mit den Augen. Dass er aber auch solch überflüssigen Kram aufschreiben sollte. Das sah man doch alles! Er würde darum bitten, spätestens nach Ablauf dieser Woche abgelöst zu werden. Lieber die Krankheitsvertretungen in der Näherinnengilde oder seinetwegen auch die in der Druckergilde übernehmen, als das hier. Der ständige Gestank und die Einsamkeit in diesen Räumen entsprachen einfach nicht seinen Vorstellungen von angemessenem Arbeitsklima. Er stellte die große Schreibfeder vorsichtig mit der Spitze auf dem Stoffstück neben sich ab und lehnte sich an ihr an.
"Kommen wir zu den wirklich interessanten Sachen."
Die Tür wurde aufgerissen und ein Troll blickte herein. Bevor er noch etwas sagen konnte schnappte die Stimme des Gerichtsmediziners regelrecht nach ihm: "Jetzt nicht! Ich gebe den Bericht raus, sobald ich soweit bin und ihr könnt ja wohl nicht behaupten, dass ihr mir schon viel Zeit gegeben hättet. Es ist noch nicht einmal Mittag, also raus, sonst darfst du den Kalkstaub selber auffegen, um dich herum!"
Der Wächter namens Scoglio schloss verstimmt aber ohne Kommentar die Tür und Jack betrachtete längst wieder voll konzentriert die Nackte auf dem Tisch.
"Auf den ersten Blick eine ganz normale Ankh-Leiche. Beginnende Waschhaut an den Fingerbeeren, ganz leicht. Geschrumpelte Haut und aufquellende Hornhaut im Anfangstadium. Leichte Verletzungen über den Körper verteilt, vor allem an den Extremitäten, Schürfwunden an Stirn, Schläfen, Handrücken und Fußspitzen, eine Quetschung am rechten Beckenbereich aber alle ohne Anzeichen einer Blutung, soweit das irgendwie erkennbar ist."
Das kratzende Geräusch der Feder war auch noch zu hören, während der Wächter sich mit dem Vergrößerungsglas über den kalten Körper beugte.
"Es ist schwer, das eindeutig zu belegen, aber ich denke, diese Verletzungen stammen vom Mitschleifen des Körpers durch den Unrat im Fluss und sind nach Eintritt des Todes entstanden." Ein unzufriedener Unterton schlich sich in die Stimme. "Es lässt sich nicht erkennen, ob der Tod im Wasser oder an Land eintrat." Er seufzte herzhaft und begann den Körper abzutasten. "Die Muskeln der Hand- und Fußgelenke, die des rechten Armes und beider Beine, sowie die Nackenmuskulatur sind vollständig versteift." Ein leises Ächzen war zu hören, als der Experte sich mit seinem Gewicht auf andere Partien stützte. "Dagegen gibt das Muskelgewebe an Bauch und den inneren Oberschenkeln noch leicht nach. Der linke Arm zeigt das erneute Einsetzen der Totenstarre - er hat also im Laufe der letzten vier bis acht Stunden vermutlich stärker seine Neigung verändert. Berücksichtigen wir das angenehme Wetter und die kühle Aufbewahrung im Fluss, so ergibt sich etwa ein Todeszeitpunkt von..." Jack zögerte. Natürlich war dies die Aussage seines Berichtes, auf die normalerweise am meisten Wert gelegt wurde. Ganze Theorien basierten auf Uhrzeiten und Alibi fielen ihnen zahlreich zum Opfer. Aber er hatte gelernt, vorsichtig zu sein, was das anging. Es gab so viele Faktoren, die sich auswirken konnten, die für ihn jedoch nicht ersichtlich waren. Was, wenn aufgrund seiner Aussage jemand vorschnell als Verdächtiger ausgeschlossen wurde, der dann aber doch ein Mörder war? Er schüttelte den Kopf. Das war Sache der Kollegen. Er konnte sich schließlich nicht um alles sorgen. Er würde einfach weiter ordentlich seine Arbeit machen und nun erst einmal überhaupt herauszufinden versuchen, ob sie es hier mit einem gewaltsamen Tod zu tun hatten oder vielmehr mit einem tragischen Unfall.
Jack räusperte sich: "Also, der Tod trat vermutlich vor acht bis sechzehn Stunden ein. Ist schwer einzugrenzen, vor allem, falls sie eben nicht schon bewusstlos in den Fluss geriet, sondern stattdessen darum gekämpft haben sollte, an der Oberfläche zu bleiben. Solch ein Bemühen hätte zu einer Beschleunigung der Totenstarre geführt und somit zu einer entsprechend längeren Zeitspanne. Ich werde jetzt die Lunge untersuchen."
Der dunkle Mann griff zu dem bereitgelegten Skalpell. Minutenlang war nichts als das leise Rascheln von Kleidung und der flache Atem des Untersuchenden zu hören. Dann schreckte der inzwischen schlummernde Dämon von seinem Arbeitsblatt auf und umarmte erschrocken die Schreibfeder, als ein lang gezogener, hoher Pfiff erklang.
"Meine Güte! Das ist ja mal außergewöhnlich! Tod durch Ertrinken war ja ziemlich nahe liegend aber das..."


S.E.A.L.S. greift ein


"Hast Du das gehört?" Anette Knödel blickte ihren Kollegen fragend mit großen runden Augen an.
Dieser fühlte sich von so viel betörender Aufmerksamkeit schier überrumpelt. Entsprechend verstört reagierte der S.E.A.L.S.-Wächter in Ausbildung: "W-w-w-was genau m-m-meinst Du?" Der angehende Kommunikationsexperte hätte sich ohrfeigen mögen. Jetzt war er mit einer richtig echten Frau auf Streife und brachte nicht einmal einen verständlichen Satz heraus. Er lief rot an, was der jungen Frau an seiner Seite allerdings nicht einmal bewusst wurde.
"Na das." Sie neigte lauschend den Kopf, was ihr einen zauberhaft sanften Ausdruck ins Gesicht malte.
Kannichgut bemühte sich nun doch um etwas mehr Konzentration auf den eigentlichen Grund ihres gemeinsamen Spaziergangs. Erst hörte er nichts als die übliche Geräuschkulisse der Stadt um die Mittagszeit. Unzählige Menschen, die über das Straßenpflaster liefen, riefen und lachten, Karren, deren eiserne Beschläge Funken stiebend über das Kopfsteinpflaster kratzten, das harte Aufschlagen der Pferde- und Eselshufe und Einiges mehr. Dann jedoch überlief ihn ein Schauer. Eine der Stimmen, weit entfernt wie es schien, klang schmerzerfüllt, abgehackt und gedämpft. Das verhaltene Stammeln schien aus der schattigen Gasse weiter vorne zu kommen. Der Gefreite überlegte, so zu tun, als wenn er nichts davon mitbekäme.
Die Informantenkontakterin an seiner Seite machte ihm dies jedoch auf unnachahmliche Art unmöglich. Sie wandte sich entschlossen an ihn: "Doch, ich habe da etwas gehört. Vielleicht benötigt jemand unsere Hilfe, weil er sich verletzt hat. So dumpf, wie es eben klang, ist bestimmt auf einen armen, schwachen Alten etwas Schweres drauf gefallen. Die fleißigen Menschen in dieser Stadt verschätzen sich ab und an darin, wie viel sie sich zumuten dürfen." Sprach es und lief, ohne sich noch einmal nach ihrem zögernden Kollegen umzudrehen, auf die Seitenstraße zu.
"Anette! So warte doch, Du weißt doch gar nicht..." Kannich sah ein, dass es keinen Zweck hatte, die Worte nur zu denken. Also lief er ihr schweigend hinterher, bevor sie in ihr Verderben rannte.
Direkt hinter der Häuserecke sah Anette ihr positives Weltbild einer bösartigen Attacke ausgesetzt. "Was tust Du denn da?"
Ihr Kollege schloss hinter ihr auf und griff unsicher nach seinem Schlagstock.
Zwei dunkel gekleidete Männer blickten auf, während sie sich noch halb über einen zusammengekauerten Mann beugten, der am Boden lag. Sie hielten jeder einen kleinen Knüppel in der Hand und hatten sich Halbmasken über die Augen gebunden.
Der am Boden Liegende öffnete seine Schutzhaltung ein Stück, um der unerwarteten Hilfe entgegen zu sehen. "Das sind Unlizenzierte. Helft mir, schnell!"
Der rechte Gauner nutzte die unbedachte Sekunde des Opfers, indem er ihm den Fuß in die Seite rammte. Innerhalb einer Sekunde krampfte sich der Mann stöhnend zusammen und ließ dabei das bisher mit einem Arm umklammerte Bündel fahren. Der zweite Angreifer griff danach, um es an sich zu nehmen. Noch ehe die beiden Wächter blinzeln konnten, rannten die Verbrecher schon, von ihnen fort, die Gasse hinunter.
Anette Knödel stürzte sich in mütterlicher Sorge auf den ächzenden Mann, während Kannichgut noch mit sich rang, ob er allein die Verfolgung zweier Schlägertypen aufnehmen sollte.
"Oh, Du Armer! Tut es sehr weh? Kannst Du wieder aufstehen? Komm, ich helfe Dir, Herr." Der Kommex-Anwärter seufzte. Es war bestimmt wichtiger, sich um das Opfer zu kümmern. Sicherlich.
Hinter ihm begann die hübsche Frau ein freundliches Kinderlied anzustimmen und er drehte sich überrascht um. Das Gesicht des Geretteten sprach von der selben Verwirrung, die Kannich spürte, als er dem Gesang lauschte.
"Heile, heile Gänschen, was hat es an dem Schwänzchen..."
Der Bestohlene blickte ihn fragend an, doch Kannichgut konnte nur mit hochrotem Kopf zurück gucken. Ihm kam der Gedanke, dass Frauen wirklich unberechenbare Geschöpfe waren. Was, wenn alle plötzliche Sangeslust überkommen konnte? Er trat einen unsicheren Schritt auf den Ausgeraubten zu und reichte diesem die Hand. "Am besten kommen Sie erst einmal mit zum Pseudopolisplatz."

~~~~~


Der dunkelhaarige Mann Mitte Dreißig rieb sich mit den Händen über das glatt rasierte Gesicht. Er wirkte erschöpft und auch etwas unsicher.
"Ich denke, ich werde keine Anzeige gegen Unbekannt aufgeben. So wertvoll waren die Sachen in dem Beutel auch wieder nicht."
Anette Knödel und Kannichgut Zwiebel sahen einander kurz an und die Wächterin fragte neugierig: "Aber das waren doch immerhin deine Sachen, Herr. Möchtest Du die denn gar nicht zurück haben?"
Der Befragte, Heinrich Bogenboden, wich kurz den Blicken aus, gab sich dann aber sichtlich einen Ruck. Er seufzte.
"Die Sachen in dem Bündel waren nicht von mir." Als der misstrauischere Wächter ihn mit einem Funkeln in den Augen bedachte, verteidigte Herr Bogenboden sich sogleich mit unterstreichenden Gesten. "Nicht was Du denkst, Herr Wächter. Die Sachen gehörten meiner Kollegin. Und es waren auch nur einige wenige Kleidungsstücke, die noch in ihrer Kammer lagen. Sie ist gestern nicht zur Arbeit gekommen. Sie hatte schon vor längerer Zeit davon gesprochen, natürlich nur unter uns, dass sie die Arbeit im Haus unerträglich fände. Aber der Herr toleriert so etwas nicht. Sie ist nicht aufgetaucht, also wurde ihre Kammer geräumt und ihre persönlichen Sachen sollten verfeuert werden. Ich nahm halt an, dass sie einfach die Gelegenheit genutzt hat, dass gestern Abend noch solch ein Kommen und Gehen war und wohl die Ausgangspforte offen stand. Sie wird bestimmt noch versuchen, Kontakt aufzunehmen. Im Haus konnte ich die Sachen natürlich nicht aufheben, denn wenn sie gefunden worden wären, hätte ich aufgrund meiner Eigenmächtigkeit Ärger bekommen. Jedenfalls wollte ich ihr wenigstens ihre Kleidung mitgeben können. Wir haben uns immer gut verstanden und wenn sie gegangen ist, kann ich das voll und ganz nachvollziehen. Es kommt nur eben nicht für jeden in Frage. Aber daraus, ihr die Kleidung zu geben, wird jetzt nichts mehr. Schade."
Die blonde Frau blinzelte. "Deine Kollegin ist nicht mehr aufgetaucht? Aber das ist ja schrecklich! Wenn ihr nun etwas passiert ist..."
Der Mann vor ihnen winkte beruhigend ab. "Ach was, Johanna kann auf sich aufpassen. Sie sieht zwar herzig aus aber sie lässt sich nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen."
Anette war nun, ihrer Natur entsprechend, aufrichtig besorgt. "Sag das nicht so leichtfertig, Herr. Wir sehen jeden Tag scheußliche Unfälle mit Eselskarren und so. Das kann schneller gehen, als man denkt!"
Herr Bogenboden wirkte nicht mehr ganz so selbstsicher. Sein Schweigen veranlasste die eifrige Wächterin, die Initiative zu ergreifen. Sie kramte ein langes Formular hervor und begann einfach mit den Eintragungen. Während dessen stellte sie dem Geretteten offensichtlich unliebsame Fragen.
"Am besten erzählst Du uns ganz genau, wie diese Johanna, wie heißt sie mit Nachnamen?"
Herr Bogenboden blickte mit gerunzelter Stirn zwischen dem Kommex-Anwärter und der Tür hin und her, antwortete dann aber doch voller Unbehagen.
"Onkel, Johanna Onkel heißt sie."
Anette ließ den Stift über das Papier kratzen.
"Also, wie diese Johanna Onkel aussieht. Dann können wir mal rumfragen, ob jemand sie gesehen hat. Wir haben nämlich eine prima Zusammenarbeit mit allen möglichen anderen Stellen und Leuten und wenn jemand vermisst wird oder sich verlaufen hat, dann findet sich meist ganz schnell ein Anderer, der weiterhelfen kann. Du wirst schon sehen, Herr. Mach Dir nicht so große Sorgen, wir kümmern uns da drum. Ach, warte. Hier ist erst noch das Feld für deinen Namen, so, und dann fehlt noch dein Beruf." Sie blickte erwartungsvoll auf.
"Kammerdiener."
Sie notierte die Aussage und hakte gleich nochmals nach: "Und wo arbeitest Du?"
Das Zögern war dieses Mal merklich länger. Doch Anettes naives Lächeln schien ihn etwas zu besänftigen.
"In der Siebenschläferstraße eins bis drei. Das ist nahe der Königsstraße."
Kannichgut Zwiebel hatte sofort ein inneres Raster vor Augen, welches die Stadt in Zahlen, Lichter und Fähnchen einteilte. Etwas in seinem Sinn machte vergleichsweise "klick" und er hatte ein ungutes Gefühl im Magen. Das war der große Privatklacker Richtung Deosil-Tor, zwischen der Rennbahn und dem Friedhof. Das Ding lief im Rund-Um-Die-Uhr-Bereitschaftsbetrieb und im Scheuklappenmodus. Da musste man schon große Geduld haben, um etwas aufzuschnappen. Er hatte schon zwei oder drei Mal das Glück gehabt, war aber jedes Mal an dem komplexen Code gescheitert. Da saß ein Profi dran. Nun war es an ihm, neugierig nachzufragen.
"Eins bis drei? Das klingt nach einem ziemlich großen Anwesen. Arbeitet es sich da gut?"
Ihre Blicke trafen sich und Kannich befürchtete, mit seiner Neugier alles verdorben zu haben. In dem Moment fiel Anette ihm lachend ins Wort: "Du hast doch uns. Wehe Du denkst darüber nach, Dich woanders zu bewerben." Und sie zwinkerte ihm kumpelhaft zu. Augenblicklich errötete er von Nasen- bis Zehenspitze. Als er sich getraute, den Kopf zu heben, war der vorsichtige Kammerdiener wieder voll in Beschlag genommen und musste sich auf die fröhlich schwatzende Wächterin konzentrieren.
"Kommen wir nochmal zu der wichtigsten Frage zurück. Falls ihr doch etwas passiert sein sollte, wir wollen es natürlich nicht hoffen, aber wenn doch und sie wird in irgendeiner Einrichtung gesund gepflegt: Wie sieht Frau Onkel aus?"
Herr Bogenboden atmete tief durch und betrachtete beim Nachdenken die Decke. "Sie ist ein gutes Stück jünger als ich. Vermutlich so um die 25. Sie ist auch etwas kleiner als ich, also vermutlich so um die 1,70 m. Sie hat ein freundliches Gesicht und dunkelbraunes Haar, etwa so lang.", er deutete einen Pagenschnitt an, "Und braune Augen. Ja. Ach so, sie ist ziemlich dünn. Also nicht dürre. Aber eben auch nicht kräftig oder gar dick."
Herr Bogenboden wirkte inzwischen sehr nervös, was aber Anette Knödel nicht davon abhielt, ihre Notizen sorgfältig abzuschließen. Dann erst sah sie wieder auf und lächelte ihm beruhigend zu.
"Wenn Du möchtest, dann frage ich gleich mal hier im Wachhaus nach, ob deine Freundin gesehen wurde."
"Kollegin, nicht Freundin.", stellte er die Aussage richtig.
Anette nickte nur lächelnd. "Ein paar Minuten nur, dann bin ich wieder da." Sie wandte sich an den jungen Mann mit den vielen Pickeln im Gesicht: "Ich gehe am Tresen fragen, die wissen am schnellsten, ob und was es Neues gibt. Bis gleich." Und schon war sie zur Tür raus.
Die beiden Männer sahen einander schweigend an, dann setzte sich der Wächter ebenfalls.
Der Kammerdiener beobachtete ihn fast lauernd. "Hübsche Frau, deine Kollegin."
Kannichgut konnte nicht verhindern, dass er bei dem Gedanken an deren tolle Figur rot wurde.
Sein Gegenüber grinste nun frech. "Aber ganz richtig ist sie nicht, oder? Stell ich mir schwierig vor, mit so Jemandem zusammen zu arbeiten."
Der Wächter verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. "Sie ist schon in Ordnung. Solange sie es nicht mit ihrem Arbeitseifer übertreibt..." Er blinzelte dem Anderen bedeutungsvoll zu, was dieser mit einem verständnisvollen Nicken quittierte.
"Tut mir leid, dass sie Dich so gelöchert hat, mit ihren Fragen, Herr. Du kennst diese Johanna immerhin und wenn sie einfach nur weg wollte, dann lohnt dieser Aufstand hier überhaupt nicht. Es ist ja auch nicht so, dass wir nicht genug anderes zu tun hätten. Das ist eben Anette!"
Schweigen senkte sich auf sie herab und vertiefte sich unmerklich. Bis plötzlich die Tür aufgerissen wurde und die Wächterin mit groß aufgerissenen Augen im Rahmen stand.
"Herr Bogenboden, Du musst jetzt ganz tapfer sein, ja?"
Die beiden Männer waren erschrocken von ihren Stühlen aufgesprungen und der Kammerdiener kniff bei diesen Worten, auf einen Schlag wieder misstrauisch geworden, die Augen zusammen.
Anette kam einige wackelnde Schritte auf ihn zu und reichte ihm eine Ikonographie.
"Ist sie das?"
Herr Bogenboden wurde blass wie eine frisch gekalkte Wand und setzte sich prompt. "Ist sie...? Ich meine, die Augen sind zu!"
Kannichgut blickte neugierig auf das kleine Bild und erkannte sofort die Kante des Labortisches.
Die blonde Wächterin hatte inzwischen vor lauter Mitgefühl Tränen in den Augen, die ihr durch das heftige Nicken von den Lidern kullerten und auf den Boden zu tropfen begannen. "Ja.", schluchzte sie. "Sie ist ertrunken. Sie wurde heute Nacht im Ankh gefunden. Es tut mir so leid!"
Der weißgesichtige Mann rührte sich nicht, doch es schien Kannichgut, als wenn er bei dem Wort 'ertrunken' noch bleicher geworden wäre. Er blickte verstört zu den Wächtern auf und etwas in seinen Augen sprach von... Kannichgut stutzte. Angst?
"Damit habe ich nichts zu tun!" Heinrich Bogenboden sprang auf und stürmte aus dem Raum, noch ehe ihn die überraschten Wächter daran hindern konnten.
Anette blinzelte, trat vor die Tür und rief dem Flüchtenden lahm hinterher: "Aber Herr Bogenboden, das hat doch auch keiner gesagt. Herr Bogenboden?"


In Personalfragen


Die lang gezogene Gebäudefront bestand ursprünglich aus drei eng beieinander stehenden Häusern, die vor nur wenigen Monaten durch Putz und Anstrich gewaltsam miteinander verschmolzen worden waren. Die beiden R.U.M.-Ermittlerinnen standen vor dem kunstvollen schmiedeeisernen Tor. Auch die Durchfahrt war gründlich bearbeitet worden, wie man an dem scharfkantigen Putz der steinernen Einfassung erkennen konnte. Vermutlich war sie ausgebrochen und erheblich erweitert worden, damit auch breitere Kutschen hindurch passten.
Lance-Korporal Magane atmete tief durch und warf ihrer acht Jahre jüngeren Kollegin einen aufmunternd gemeinten Blick zu.
Die Gefreite Namida trat daraufhin näher an die vergitterte Einfahrt heran und zog an dem großen Griff, der, an einer rasselnden Kette hängend, aus der Mauer herausragte. Im Innenhof hörten sie das eilige Schaben scharfer Krallen. Zwei große, schlanke Wachhunde hielten mit gefletschten Kiefern und lang gezogenem Grollen dicht hinter den schwarzen Stäben und ließen die beiden Wächterinnen nicht mehr aus den Augen.
Eine Tür klappte und es erschien ein kräftiger aber nicht besonders groß gebauter Mann hinter dem Tor und betrachtete sie mit einem verächtlichen Blick von Kopf bis Fuß. Sein gebundenes Halstuch war fleckig, die Weste stand ihm offen und aus dem Mundwinkel hing ein glimmender Zigarettenstummel.
"Was wollt ihr, Weiber?"
Magane vermutete, dass dieser Matscho vielleicht für ihre Kollegin schwer zu handhaben sein könnte und erbarmte sich daher, indem sie selbst dieses Gespräch übernahm.
"Wir haben einige Fragen an den Hausherrn und möchten ihn daher gerne sprechen." Sie zeigte vorsichtshalber nicht gleich ihre Dienstmarke, da das im Augenblick als Provokation gesehen werden konnte und dadurch jeden weiteren Versuch, ins Gespräch zu kommen, von vornherein zum Scheitern verurteilen würde. Außerdem war es kein Problem, die Marke auch noch später zu zücken, falls dies ausdrücklich gefordert würde.
Die Augenbrauen des Gegenübers zogen sich unter der gerunzelten Stirn zusammen. Der Kerl mit der Strubbelfrisur stemmte seine Arme in die Hüften, wodurch seine Oberarmmuskeln prächtig zur Geltung kamen.
"Was sollen das für Fragen sein, hä? Könnte ja jeder dahergelaufene Bulle reinkommen und alles begaffen und betatschen wollen!"
"Es geht um ein Mitglied seines Personals und genau deswegen gehen die Fragen auch nur Herrn Karakost selber etwas an. Bitte melde uns! Umso schneller wir hinein dürfen, desto schneller sind wir auch wieder weg."
Der Laufbursche legte seinen Kopf leicht nach hinten, um einen großen Rauchring in die Luft zu pusten. Dabei breitete sich ein unangenehmes Lächeln auf seinem glatt rasierten Gesicht aus.
"Aha. So so. Herrn Karakost persönlich also." Er klemmte den Stummel wieder in seinen Mundwinkel und reckte ihnen das Kinn entgegen. "Personalfragen gehen ja wohl eher das Personal was an, oder? Also raus damit! Um wen geht's? Ich bin hier so was von zuständig, das glaubst Du gar nicht, Kleine!"
Die jüngere Wächterin hatte den Schlagabtausch stillschweigend beobachtet und wartete nun auf die professionelle Reaktion ihrer Kollegin.
"Nein, wir möchten mit Herrn Karakost persönlich..."
"Tja, das nenn ich Pech." Mit einem höhnischen Grinsen drehte er sich um und ging zur Innenhoftür zurück. "Der ist nicht daheim." Das über die Schulter geworfene Zwinkern konnte man nur als dreckig bezeichnen. "Und für euch Süßen wird er es wohl auch nie sein."
Magane blickte ihm empört hinterher. "He, Du! Komm gefälligst zurück!"
Ayure blickte zweifelnd auf die kläffenden Hunde, die sich regelrecht durch das Tor hindurch zu stemmen versuchten. Magane war immer noch am Rufen, selbst, als sie durch das Getöse der beiden Wachhunde hindurch das Klappen der Tür hören konnten.
"Herr Karakost wird bestimmt verärgert sein, wenn Du uns nicht zu ihm durchlässt! Er wird Ärger bekommen und Du bist dann daran schuld!"
Die ältere Wächterin zupfte verärgert ihre Haarschleife zurecht und machte sich, in dem sicheren Wissen, das die Jüngere ihr folgen würde, auf den Weg um den Häuserblock herum.
"Die haben doch ganz sicher einen Hintereingang, ha! Das wäre ja gelacht!"

Die Wächterin hatte Recht. Nachdem sie den länglichen Block umrundet hatten, präsentierte sich ihnen, unweit der Hausecke, eine schmale Holztür in der Rückseite der Gebäude. Magane klopfte energisch an und wartete auf Antwort von drinnen.
Stattdessen wurde die Tür unvermittelt geöffnet und sie blickten einem Riesen auf die Brust. Zumindest war das der erste Eindruck. In Wirklichkeit war der Mann vor ihnen einfach nur groß. In der erhobenen Hand hielt er locker eine flache Schale mit gestampften Kartoffeln. Das Auffälligste an ihm, außer seiner Größe und den breiten Schultern, waren seine kantige Hakennase und die unrasierten Stoppelfelder auf seinen Wangen. Sein Tonfall klang emotionslos, während sein Gesichtsausdruck fast ein wenig dümmlich wirkte.
"Was ist denn? Was wollt ihr?"
Die erfahrene Ermittlerin nahm sich vor, sich dieses Mal nicht vor der Lernenden zu blamieren. Deswegen zückte sie schnell die Wachemarke und zeigte diese unaufgefordert vor. "Wir sind von der Stadtwache. Keine Sorge, es geht nur um eine Routineuntersuchung."
Der Mann runzelte die Stirn, rührte sich aber ansonsten nicht.
Der Lance-Korporal fischte eine kleine Phantomzeichnung aus ihrer Tasche und hielt sie dem Mann lächelnd entgegen. "Wir haben da ein kleines Problem mit dieser Frau hier, namens Johanna Onkel. Wann hast Du sie das letzte Mal gesehen, Herr?"
Die Wächterin spürte, dass innerhalb des Hauses etwas vor sich ging, von dem sie hier draußen kaum etwas mitbekamen. Der einzig sichtbare Hinweis war ein blitzschneller Seitenblick des Hünen, wie man diesen von ihm nicht erwartet hätte. Beinahe meinte Magane, so etwas, wie ein Flüstern zu hören. Sie sah mit fragendem Gesichtsausdruck zu Ayure hinüber, welche ihr vorsichtig bestätigend zunickte. Sie bekam das Gleiche mit.
Den waagerechten Falten auf der Stirn des Mannes gesellte sich eine senkrechte zwischen den Brauen hinzu. Er wirkte jetzt sehr finster und unzugänglich.
"Ich kenne die Frau nicht. Hab' sie noch nie gesehen."
Am liebsten hätte die Wächterin sich die Haare gerauft oder den Kerl lauthals angeschrien, dass er sie gefälligst nicht belügen solle. Sie wussten ganz sicher, dass die Tote hier gearbeitet hatte. Aber den Namen von Herrn Bogenboden ins Spiel zu bringen, schien gefährlich zu sein - zumindest für diesen selber. Wenn die Frau hier verleugnet wurde, dann war es nicht unwahrscheinlich, dass zumindest ein Teil des Personals am Mord beteiligt gewesen war. Oder die Leute fürchteten um ihr eigenes Leben, so sie etwas preisgeben sollten.
"Könntest Du bitte noch andere Hausbewohner befragen, Herr? Oder aber stattdessen uns dazu hereinlassen? Das Anwesen ist ja ziemlich groß. Vielleicht hat einer der anderen Angestellten sie gesehen."
Die Tür wurde vollends aufgerissen und die Köchin des Hauses erschien hinter dem Riesen. Sie klopfte ihm mit einer breiten Pranke auf die Schulter.
"Lass mal, Haken. Ich mach das schon."
Der große Kerl griff mit finsterem Blick zur Gabel und begann, den dampfenden Pamps in sich hineinzuschaufeln. Er drehte sich um und ging ins Haus zurück.
Die Frau war in ihren Ausmaßen fast quadratisch. Eine einzige Masse aus Muskeln, Knochen, Fett und Griesgrämigkeit. Die breite Nase war unförmig wie eine Kartoffel. Die Köchin trug eine geraffte Bluse, die aufgrund des darunter liegenden Busens zum Zerreißen gespannt wurde, mehrere Lagen wärmender Röcke, einen ledernen Miedergürtel und eine ausladende, platte Kochmütze. Sie begann aus dem Stehgreif mit ihren Armen in Richtung der Wächterinnen zu wedeln, wobei die Ellenbogen und die Fingerknochen in Fettpolstern versanken. Die kleinen Löckchen, die überall unter der Mütze hervorquollen, hüpften im Takt ihrer gebrüllten Aufforderung um ihre Schläfen.
"Verschwindet! Wir haben nichts über für Schmeißfliegen! Los, verzieht euch! Entweder ihr kommt mit einem Durchsuchungsbefehl wieder oder ihr verpisst euch. Hier gibt's und hier gab's keine Johanna Irgendwas und damit ist's gut! Wagt es ja nicht, unseren Herrn zu belästigen. Wir sind alle unbescholtene Bürger und kennen unsere Rechte!"
Und schon krachte die Tür ins Schloss und wurde geräuschvoll von innen verriegelt.
Die beiden Frauen sahen sich seufzend an und Ayure zuckte resignierend die Schultern. Hier war, zumindest auf diese Art und Weise, nichts weiter herauszubekommen.


Im Zeichen des Balken


"Kommen wir zur nächsten Angelegenheit, die unserer Aufmerksamkeit bedarf." Der über Kopf hängende Vampir verschränkte seine Arme neuerlich vor der Brust und schloss beim Reden die Augen. "Ich habe heute Mittag an jeden von Euch ein Memo gesandt, mit der Bitte, Nachforschungen zu einem gewissen Herrn Karakost anzustellen."
Die Abteilungsleiter bemühten sich, die auf ihren Knien gestapelten Notizen entsprechend dem angesprochenen Punkt umzusortieren. Hätte die Besprechung in einem der Besprechungszimmer stattgefunden, wären dort wenigstens Tische zur Ablage vorhanden gewesen. Außerdem stellten sie allmählich fest, dass sich ihnen aufgrund des ständigen Aufsehens steife Nacken ankündigten.
Es störte den Kommandeur keineswegs in seinem Vortrag, dass das Rascheln der Unterlagen noch nicht verklungen war. "Da mir der Name in den letzten Monaten schon mehrmals zu Ohren gekommen ist, wollte ich gerne erfahren, was wir aktuell zu ihm wissen. Das Ergebnis war aussagekräftig genug, um zu beunruhigen." Die Augen des Untoten öffneten sich beinahe träge und sein Blick richtete sich auf den R.U.M.-Abteilungsleiter. "Wenn Du so freundlich wärest, den anderen den Ausgangspunkt zu erklären..."
Humph MeckDwarf räusperte sich kurz und begann behäbig mit den Ausführungen. "Gestern, am späten Abend, fand eine der G.R.U.N.D.-Streifen eine Ankh-Leiche und barg diese. Die Leiche wurde heute Vormittag von S.U.S.I", der Abteilungsleiter nickte in Richtung von Sillybos, "unter die Lupe genommen." Der Abteilungsleiter holte tief Luft, wie um seine Gedanken zu sammeln. "Was dabei herausgekommen ist, ist Folgendes: Die Frau ist ertrunken. Aber was in ihrer Lunge gefunden wurde, das war kein Ankhschlamm, sondern reinstes quirmianisches Quellwasser!"
Kanndra Mombasamba stieß einen erstaunten Laut aus, während Araghast Breguyar lediglich eine Braue in die Höhe zog.
MeckDwarf fuhr fort: "Wie ihr Euch sicher denken könnt, gingen wir daher von Mord aus. Klar, kann es auch andere Erklärungen geben, wie einen Unfall und das verzweifelte Bemühen, nicht in irgendeinen Zusammenhang mit der Leiche gebracht zu werden. Aber die Wahrscheinlichkeit spricht eher dagegen." Er rieb sich das Kinn. "Jedenfalls hätten wir ewig nach einem weiteren Anhaltspunkt suchen können. Der Zufall half uns auf die Sprünge. Beziehungsweise zwei Streifengänger von S.E.A.L.S."
Cim grinste nur und enthielt sich vorerst einer Bemerkung.
"Die beiden haben in einen unlizenzierten Raub eingegriffen und das Opfer zur Befragung auf die Wache gebracht. Es stellte sich heraus, dass der Mann ein Butler aus dem Haushalt dieses Karakost ist und dass er ein ganz anderes Problem hatte, da er vielmehr seine Kollegin vermisste. Die verschollene Kollegin und die Ankhleiche sind identisch. Er hat sie auf einer Ikonographie identifiziert."
Die Abteilungsleiterin der F.R.O.G.s beugte sich interessiert auf ihrem Stuhl vor. Diese Besprechung war wesentlich spannender, als das hohe Aufkommen an Akten, die es in den letzten Wochen für sie zu wälzen gab.
Es war Sillybos, der seinen Kollegen mit einem gleichmütig klingenden Kommentar zum Weiterreden anstieß. "Was gibt es an der Sache für einen Haken?"
Die kühle Stimme von der Decke ließ, bis auf den Abteilungsleiter der D.O.G., alle zusammenzucken. "Wir dürfen nicht mit der Tür ins Haus fallen, das ist das Problem." Es war so unglaublich leicht, den I.A.-Agenten, wenn dieser sich still verhielt, zu vergessen. Sie blickten zu ihrem Vorgesetzten hinauf, der mit sarkastischem Lächeln die Zähne bleckte.
Humpf MeckDwarf nickte seufzend. "Wir haben heute schon Verschiedenes versucht. Aber Karakost wird komplett von seinen Leuten abgeschirmt, der Butler ist den ganzen Tag über nicht mehr vor die Tür gekommen und das übrige Personal schaltet auf stur. Wir haben keinerlei Beweise dafür, dass ein Zusammenhang zur Toten besteht, zumal die wenigen Aussagen des Personals sogar so weit gehen, zu leugnen, dass die Frau dort jemals gearbeitet hat! Es wurde der Wache schon mit Anwälten gedroht und Karakost scheint willens, wenn wir zu sehr nachbohren, die Drohungen wahr zu machen. Geld genug hat er dazu auf jeden Fall."
Ein Knall ließ die Abteilungsleiter zusammenfahren, als die Absätze der Kommandeursstiefel auf der Arbeitsfläche des Schreibtisches aufschlugen. Rascaal stieg gemächlich, wie eine langbeinige Katze, die eine Treppe hinabstolziert, über seinen Stuhl zu Boden. Er schob die Hände tief in die Taschen und blickte von einem Untergeben zum nächsten.
"Soweit der Stand der Informationen seitens R.U.M. Ich erhielt aber auch von D.O.G. und S.E.A.L.S. Rückmeldungen, die das nette Bild vervollständigen, das sich uns in diesem Fall zeigt und über die ihr alle Bescheid wissen solltet. Cim!"
Der braunhäutige Mann schaute grimmig drein, als er die Zusammenstöße seiner Abteilung mit dem Haushalt des Verdächtigen beschrieb. "Letzten Monat hatten wir es mit einer Anzeige wegen Sachbeschädigung zu tun. Ein Händler hatte seinen Karren vor dem Häuserblock abgestellt. Er sagte aus, ein Bediensteter des Haushaltes hätte ihn angebrüllt und unflätig beschimpft. Der anzeigende Kerl hat die Aufforderung, den Karren woanders zu parken, ignoriert, woraufhin er seine Waren als er wiederkam in der ganzen Straße verstreut und den Pritschenwagen zu Kleinholz verarbeitet vorfand. Ohne Beweise oder Augenzeugen wurde natürlich nichts aus der Anzeige. Vor drei Wochen gab es eine Anzeige wegen Körperverletzung. Einer der Männer, die für Karakost arbeiten, hatte den für das Haus zuständen Mitarbeiter Paul Königs zusammengeschlagen, als dieser im Morgengrauen seiner Arbeit nachgehen wollte und dabei statt erst anzuklopfen gleich die Hintertür öffnete. Natürlich hätte der es sich unter diesen Umständen sparen können, auch nur das Formular auszufüllen. Das Ganze verlief sich mehr oder weniger unter dem Vorwand Objektschutz beziehungsweise Selbstverteidigung. Noch in derselben Woche wurde eine unserer Streifen bei der Runde hinter dem Gebäudekomplex von einer der dort gegenüber wohnenden Nachbarinnen aufgehalten, die ihnen tränenüberströmt den Kadaver ihrer Katze zeigte. Das Tier war der Länge nach aufgeschlitzt und dann vor der Türschwelle abgelegt worden. Sie behauptete, einer der Bediensteten vom Karakost-Haushalt habe ihr gedroht, dass er 'das Vieh' selber ruhig stellen würde, wenn sie nicht schleunigst etwas unternähme, damit die Katze auf ihren Streifzügen durch die Gegend nicht seine Wachhunde wahnsinnig machen würde. Um nur einige Sachen zu nennen. Es gab noch jede Menge anderer Drohungen in etwa der gleichen Art. Die Kerle machen in der Gegend nur Ärger."
Der Vampir drehte sich mit einem bedeutungsvollen Blick dem verbleibenden Berichterstatter zu. "Bregs!"
Aller Augenmerk lag nun auf dem Abteilungsleiter mit der Augenklappe. Er neigte leicht seinen Kopf nach vorne, als wenn er lieber seinen Gedanken nachhängen würde, als seinen Kollegen entgegenzusehen. Schließlich jedoch zuckte sein Mundwinkel humorlos.
"Wir haben schon länger ein Auge auf den Haushalt." Das unpassende Schmunzeln des S.U.S.I.-Abteilungsleiters über diesen doppeldeutigen Wortwitz entging ihm geflissentlich. "Siegbert Karakost ist vor etwa zwei Monaten nach Ankh-Morpork gekommen. Er stammt ursprünglich aus Borogravien aber es hat ihn dort scheinbar nicht länger gehalten. Sein Personal hat er zur einen Hälfte von dort mitgebracht, zur anderen hier in der Stadt in irgendeiner Gosse aufgegabelt. Zu Letzteren gehören Gregor Zack, eine Art Laufbursche, und Kasimir Blond, auch 'Der Schlitzer' genannt. Beides nicht gerade Vertrauen erweckende Kerle. Aufbrausende Temperamente und verdammt lange Strafregister. Karakost verfügt über einen hübschen Batzen Bares und steckt seine Scheinchen vor allem Leuten in den Rachen, die ihm als Gegenleistung einen Gefallen bieten oder ihm die Türen zur feinen Gesellschaft aufhalten können. Er kauft sich Aufmerksamkeit, wie andere Zwiebeln auf dem Markt! Der ganze Bau ist ein verdammtes Rattennest, eine Kloake, aus der es zum Himmel stinkt."
Cim Bürstenkinn runzelte die Stirn und fragte geradeheraus: "Wodurch wurde D.O.G. auf Karakost aufmerksam?"
Breguyars eines Auge funkelte, während sein Gesichtsausdruck zur Vorsicht gemahnte. "Durch unsere Beziehungen zur Näherinnengilde."
Es zuckte unwillkürlich in Cims Mundwinkel, doch die plötzlich deutlich spürbare Präsenz des Kommandeurs hielt ihn davon zurück, die gute Gelegenheit zum Sticheln zu nutzen. Stattdessen fragte er: "Geht das etwas genauer? Was haben die mit dem Karakost am Hut?"
Araghast fixierte den Kollegen mit einem festen Blick.
"Sie kamen zu mir als Vertreter der Wache und baten um Recht und Ordnung. Sie werfen dem Borogravier vor, illegal Näherinnen zu importieren und damit unbefugt und direkt ihren Kundenstamm anzugreifen."
Wieder war es Kanndra, der ein leiser Aufruf entfuhr: "Illegale Näherinnen!"
Dem Abteilungsleiter der D.O.G.'s gelang es nicht, den Gedanken an seinen Papagei aufzuhalten. Er ließ sich aber nichts anmerken und antwortete mit einem Nicken.
"Die Gilde verfügt über eigene Informationsquellen, deren Effektivität ich nicht anzweifel. Die Anschuldigungen scheinen den Nagel auf den Kopf zu treffen. Die Näherinnen haben bisher keine Möglichkeit gefunden, dem einen Riegel vorzuschieben. Ihre Beschwerde wurde beim Patrizier 'mit Wohlwollen bedacht'. Eine andere Reaktion gab es allerdings nicht, lediglich den Hinweis, sie würden doch hoffentlich weibliche 'Gäste des Hauses' nicht mit berufstätigen Damen ihres eigenen Gewerbes verwechseln. Die Näherinnen erwarten dementsprechend keine schnelle Lösung aus dieser Richtung und bitten die Wache um Beistand, zumal sie betonen, sie hätten auch uns immer wieder mit Informationen ausgeholfen."
Es breitete sich eine bedeutungsvolle Stille in dem kleinen Raum unter dem Dachbalken aus. Der Kommandeur ließ sich in seinen Stuhl sinken, was eher die Wirkung von einem schattigen Dahinfließen hatte. Er legte die Fingerspitzen in vertrauter Weise aneinander, womit er den einen oder anderen Gedanken an die möglichen Interessen des Palastes in dieser Sache aufkommen ließ. Seine Stimme klang gelassen, als er seinen Entschluss verkündete: "Dieser Karakost und sein Haushalt könnten sich noch zu einem echten Problem auswachsen. Es ist meiner Ansicht nach sinnvoll und an der Zeit, ihn genauer zu beobachten. Es müssten verschiedenste Beweise in diesem Haus auffindbar sein, um dem Mann Steine in den Weg zu legen. Ich ordne eine Verdeckte Ermittlung an und gehe dafür von etwa drei Wochen aus. Das sollte genügen." Sein Blick wanderte zwischen Breguyar und MeckDwarf hin und her. "Da der entscheidende Auslöser für diesen Fall durch einen vermutlich unlizenzierten Mord zustande gekommen ist, übertrage ich die Leitung der Ermittlungen R.U.M. Eine Zusammenarbeit aller Abteilungen liegt mir dennoch am Herzen."
Die beiden hauptsächlich angesprochenen Männer nickten.
"Gut." Der Vampir schob mit spitzen Fingern ein Blatt seiner Notizen beiseite, welches nun mit zwei Stiefelabdrücken verziert war, und nahm das darunter liegende zur Hand.
"Nächster Punkt."


Die Kollegin


Romulus von Grauhaar schloss die Akte und schob diese der jungen Frau über den Tisch zu.
"Es geht natürlich wie immer um Informationsbeschaffung. Aber es könnte sein, dass der Auftrag etwas gefährlicher ist, als andere. Die Männer, die mit in diesem Haushalt leben, sind berüchtigte Störenfriede. Die schrecken auch vor Gewalt nicht zurück, um ihre Interessen durchzusetzen. Natürlich wissen wir nicht, ob dass innerhalb der Mauern ähnlich abläuft aber darum geht es ja schließlich."
Er schätzte Ophelia Ziegenberger als zuverlässige und fleißige Kollegin, der man nichts zweimal sagen musste. Sie war seinen Ausführungen mit der gewohnten Aufmerksamkeit gefolgt und hatte ihn kaum mit Zwischenfragen unterbrochen. Die Aufgabe war klar und die Verdeckte Ermittlerin die einzige, die dafür in ihrer Abteilung in Frage kam. Humph MeckDwarf war sich darüber mit ihm einig gewesen. Aber wenn Romulus ihr jetzt in die nebelgrauen Augen blickte, dann regten sich wieder die alt vertrauten Befürchtungen in ihm. Diese offene Art, die sie ausstrahlte, schien mit der dringend nötigen Maske ihrer Spezialisierung nicht vereinbar und das Wesen der jungen Frau viel zu verletzlich!
Die Ermittlerin blätterte inzwischen neugierig durch die Notizen des Falles.
"Mit wie vielen Bewohnern habe ich es voraussichtlich zu tun?"
"Wir wissen ganz sicher von drei Männern, die sich in der Bewachung der Häuser abwechseln. Dann gibt es noch den Butler, der uns den entscheidenden Hinweis gab, indem er die Leiche identifizierte. Darüber hinaus gibt es eine Köchin und eine Mamsell, sowie zwei oder drei weitere weibliche Angestellte. Und natürlich den Hausherrn selber."
Die Hauptgefreite nickte. "Etwa neun Personen. Ein relativ großer Haushalt für einen einzigen Mann." Sie legte den Kopf leicht schräg. Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens sah sie ihn wieder direkt an. "Nun gut, drei Wochen also. Wen habe ich als Kontakter zugeteilt bekommen?"
Romulus lehnte sich etwas zurück und schob die überflüssigen Sorgen beiseite. "Dein Ansprechpartner wird Ilona Istnichtgut sein. Sie hat auch schon eine Reihe von Möglichkeiten aufgelistet, die Dir eventuell als Tote Briefkästen zur Verfügung stehen werden." Er deutete auf die aufgeschlagene Blattsammlung. "Weiter hinten findest Du eine Aufzählung."
Ihre schlanken Hände suchten und wurden schnell fündig. Ophelia studierte die Liste sehr gründlich. Diese Angaben wurden ihr aus gutem Grund zur Verfügung gestellt. Sie bildeten ihr Sicherheitsnetz! Keine der hier gesammelten Informationen durfte auf schriftlichen Notizen bei ihr auffindbar sein. Zu leicht gerieten derartige Erinnerungsstützen in die falschen Hände und wie würde sie sich dann den Kollegen verständlich machen können? Nein, es war schlicht unumgänglich, die Standorte der Toten Briefkästen jederzeit abrufbar in ihrem Sinn zu verankern - und zwar nur dort!
Der stellvertretende Abteilungsleiter beobachtete beruhigt, wie die Wächterin die Augen schloss um mit stummen Lippenbewegungen das Gelesene zu wiederholen. Immer wieder zählte sie die Verstecke auf, gleich einem komplizierten Bannspruch, bis sie sie ebenso gut rückwärts nennen konnte, wie vorwärts. Dann öffnete sie die Augen und legte das Papier, ohne einen weiteren Blick darauf verschwenden zu müssen, in die Akte zurück.
Er stützte seine Ellenbogen auf dem Tisch zwischen ihnen ab, während er die Hände zusammenlegte.
"Ich habe die Kennworte selber festgelegt. Für den Fall, dass die Ermittlung abgebrochen werden muss, lässt Du uns eine Nachricht mit dem Wort 'Blume' darin zukommen. Wenn Du anmerkst, dass die Blume 'duftet', gehen wir von einer unterschwelligen Gefahr aus, die Du langsam auf Dich zukommen siehst, und basteln einen Vorwand, unter dem wir Dich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit unauffällig aus dem Haus holen. Wenn die Blume aber 'erblüht', gibst Du uns damit zu verstehen, dass Du in akuter Gefahr schwebst und ein Eingriff nicht länger warten darf. Dann stürmen wir das Haus mit einem Haftbefehl, der auf Dich ausgestellt ist, und holen Dich auf diese direkte Art und Weise raus. Es versteht sich natürlich von selbst, dass dieser Fall möglichst vermieden werden sollte."
Die junge Frau nickte ernst, wodurch ihre kunstvolle Hochsteckfrisur in einem sanften, dunklen Rotton schimmerte. "Schon um meiner Selbst willen."
Von Grauhaar fuhr fort: "Eine Nachricht mit dem Hinweis auf einen 'Marktplatz' bedeutet, dass Du Informationen sammeln konntest, die Du schriftlich hinterlegst. Eine Nachricht, die sich aufs 'Theater' bezieht bedeutet dagegen, dass Du um eine direkte Kontaktaufnahme bittest."
Ophelias nächste Frage klang etwas leiser, als die vorangegangenen: "Ich nehme an, dass die Antworten wieder zustimmend oder eben ablehnend formuliert und dadurch klar werden?"
Nun war es an ihrem Vorgesetzten, zu nicken. "Du kannst davon ausgehen, eine unserer Antworten in den Händen zu halten, wenn die Nachricht mit den Initialen 'RK' abschließt." Er strich sich das zottelige Haar aus der Stirn. "Du wirst als Aushilfe vorstellig werden, da die Chancen so größer sind, den Aufgabenbereich der Toten zu treffen und Ersatz für ihren Verlust anzubieten. Wir haben den ganzen Tag über demonstrativ zwei Kollegen vor dem Haus auftauchen lassen, so dass jegliche anderweitigen Interessenten einen großen Bogen um das Anwesen gemacht haben dürften. Und so frisch, wie Karakost noch immer in der Stadt ist, haben wir vielleicht zusätzliches Glück. Deine Rolle verlangt von Dir das übliche Maß an Fleiß und Zurückhaltung."
Die Wächterin legte beide Hände flach neben die Akte auf dem Tisch auf. "Ich würde gerne noch wissen, welches die offizielle Geschichte sein wird." Sie lächelte scheu.
Der Werwolf musste unwillkürlich grinsen. "Die Wache schickt Dich in einen Weiterbildungskurs nach StoLat. Es werden anstrengende Tage in einem kleinen Kaff ohne Postanbindung und ohne die Erlaubnis auf Freizeit. Du wirst dort knapp drei Wochen lang lernen, wie eine Wächterin ordentliche Berichte schreibt."
Sein Grinsen vertiefte sich, als die junge Frau das erste Mal so etwas wie Betroffenheit zeigte. Ihm war natürlich klar, dass sie unweigerlich an die vielen Hinweise dachte, die sie in der Zeit ihrer Wachezugehörigkeit schon erhalten hatte, bezüglich ihrer ungewöhnlich langen und komplex geschriebenen Berichte. Sie würde über diese kleine Spitze hinwegkommen, immerhin war es wirklich die realistischste Ausrede für ihr wochenlanges Verschwinden von der Bildfläche. Zumindest, wenn man keine Ahnung vom Budget der Abteilung hatte.
Sie atmete hörbar durch und konzentrierte sich auf das nun anstehende Problem. "Gibt es schon Vorgaben für meine Verkleidung, die ich berücksichtigen sollte?"
Romulus raffte sich auf, als wenn er die Besprechung damit schon fast hinter sich gebracht hätte. "Ja, gewissermaßen. Da dieser Einsatz länger dauern wird und damit auch die Gefahr für Dich, wegen einer ungenauen Kleinigkeit aufzufliegen steigt, habe ich mit Rogi Feinstich gesprochen. Sie hat einige Ideen und es wäre gut, wenn ihr Euch deswegen zusammensetzt."
Kurz darauf war Ophelia auch schon auf dem Weg in den Keller des Gebäudes, um sich von ihrer ehemaligen Ausbilderin in Fragen der Verkleidung beraten zu lassen. Wobei die zierliche Hauptgefreite nicht nachvollziehen konnte, warum Rogi plötzlich mehr davon verstehen sollte, als sie selber. Aber sie würde sich eben überraschen lassen.


Eine "haltbare Verkleidung"


"Ma'am?" Ophelia stand unschlüssig in der offenen Zellentür.
Innerhalb des kleinen und etwas kühlen Raumes drehte sich die Sanitäterin und Kommunikationsexpertin mit von sich gestreckten Armen zum Neuankömmling um. Der Raum wirkte mit geöffneten Kartons und herumliegendem Kleinkram etwas unordentlich, auf der Pritsche stand eine kompakte Tasche und zwischen den Händen des Chief-Korporals spannte sich ein grünes Uniformhemd.
"Komm herein, Ophelia. Ich bin gleich fo weit." Es gab einen kleinen Knall, wie von einer Peitsche, als die Igorina das Kleidungsstück ausschlug, um es dann auf der Pritsche glatt zu streichen. Sie begann es zusammen zu falten. "Romuluf hatte fon angekündigt, daff Du auftauchen würdeft." Das Hemd verschwand in den Tiefen des Reisegepäcks.
Die Verdeckte Ermittlerin beobachtete die Anzeichen des anstehenden Aufbruchs und fühlte sich wie ein Eindringling. "Komme ich ungelegen, Ma'am? Soll ich besser später zurückkommen?"
Rogi Feinstich schüttelte den Kopf. Sie sah nur kurz über ihre linke Schulter zur Tür zurück, doch war es dadurch die blaue Iris, welche den neutralen Tonfall der Antwort eisig zu untermalen schien. "Morgen bin ich fon auf einem Einfatf in Klatf. Dann könnte ich Dir auch nicht helfen. Alfo warte einfach kurz, dann bin ich gleif foweit."
Die kleinen Riegel der Reisetasche schnappten in ihre Verschlüsse und die Igorina wandte sich ihr zu. Sie deutete auf einen der beiden Stühle und setzte sich selber auf den anderen. Ophelia kam der Aufforderung sogleich nach.
"Fo, Fo! Einen längerfriftigen Aufenthalt hinter feindlichen Mauern alfo."
Ophelia nickte lediglich, woraufhin die Vorgesetzte tief durchatmete.
"Vermutlich wunderft Du dich darüber, waf Du defwegen bei mir follft. Daf ift einfach erklärt. Der Einfatf ift gefährlich und dauert vermutlich recht lange. Folche Fachen wie Perücken oder falfe Fähne würden irgendwann niemanden mehr täufen. Daher foll ich Dir fu einer haltbaren Verkleidung verhelfen."
Ophelia spürte ein ungutes Ziehen in der Magengegend. Es konnte nur eine einzige Art haltbarer Verkleidung geben, in deren Anlegen sich die talentierte Igorina besser verstand, als jeder andere weit und breit. Und auf eine Beratung in dieser Hinsicht, hätte die kleine Wächterin gerne verzichtet. Sie schwieg lieber, statt sich ihre Verunsicherung anmerken zu lassen.
Rogi dagegen kannte die Ermittlerin gut genug, um deren leichtes Stirnkräuseln geflissentlich zu übersehen. Auch ihr schien das Kommende nicht unbedingt angenehm zu sein aber sie war Wächterin durch und durch. Die Anweisung war bei ihr nicht auf taube Ohren gestoßen, weswegen sie ungerührt fortfuhr: "Daf Auffälligfte an Dir find deine Augen und dein Haar. Am beften wäre natürlich, wenn man beidef einfach wegnehmen, für die Dauer des Einfatfef durch unauffälligere Exemplare erfetfen, und den Tauf im Anfluff wieder umkehren könnte. Damit wäre fowohl der Verkleidung fum Futfe Genüge getan, alf auch ein fufälligef Wiedererkennen im Anfluff aufgefloffen."
Die junge Frau stellte sich vor, wie kalte Finger ihr die Augäpfel aus dem Kopf zu puhlen versuchten.
Die Igorina betrachtete sie prüfend, während sie ihre Überlegungen weiter erklärte. "Daf mit den Augen ift aber immer fo eine Fache. Ef ift gar nift fo einfach, wie man vielleicht denkt, die gut einfulegen, ohne daff fie kleinere Fäden davon tragen." Dem bedauernden Tonfall war zu entnehmen, dass dieses Vorhaben daher wohl verworfen worden war. Die Vermutung wurde anhand weiterer Erklärungen bestätigt. "Daher bleibt unf nichtf anderef übrig, alf durch daf Drumherum von den Augen abfulenken. Waf wiederum eine Brille als Verkleidungffubehör aufflieft und allef noch mehr verkomplifiert." Der Chief-Korporal behielt den zweigeteilten Blick durchdringend auf die Besucherin geheftet. "Womit wir beim entfeidenden Punkt angelangt wären. Die Fache mit dem Haar liefe fich machen."
Ophelia brauchte eine Sekunde, um mit ihren Gedanken dem Gesagten hinterher zu stolpern. Sie blinzelte. "Die Sache... ließe sich... machen?" Großtante Pätrischa hätte sie für eine so zusammenhanglos formulierte Aussage mit lähmender Verachtung gestraft.
Rogi Feinstich schien hin und her gerissen zwischen Belustigung und Ungeduld.
Es fiel der Ermittlerin schwer, das Gehörte in Worte zu fassen. "Nur des Verständnisses wegen... Du bietest mir an, mein Haar komplett auszutauschen, Ma'am?"
Die Sanitäterin nickte beinahe amüsiert.
"Und", Ophelia Ziegenberger blinzelte wieder flüchtig, "anschließend bekäme ich es unversehrt wieder? Genau so, wie es zuvor war?" Das wiederholte Nicken bekam sie kaum mit, so wenig konnte sie es fassen, dass sie hier, in einer kleinen Gefängniszelle an ihrem Arbeitsplatz, mit ihrer ehemaligen Ausbilderin zusammen saß und über die Möglichkeit einer Änderung ihrer Frisur anhand einer Transplantation plauderte! Na gut, als richtiges Plaudern konnte sie es im Grunde nicht bezeichnen, dafür tat sie selber sich etwas zu schwer mit der entsprechenden Vorstellung von dem, was die Worte bedeuten mochten.
Sie spürte sich noch immer unter Beobachtung. Die Igorina wartete offenbar auf eine etwas ausführlichere Reaktion ihrerseits.
"Ja. Das ist... gut." Natürlich hatte sie plötzlich unzählige Fragen im Sinn. Aber wo sollte sie anfangen?
Ihr Blick färbte sich vor Verlegenheit. "Und eine Perücke täte es wirklich nicht?"
Die unwillige Stirnfalte ihres Gegenübers ließ sie erröten und schnell beantwortete sie ihren eigenen Einwand: "Nein, natürlich nicht. Das war eine dumme Frage. Es tut mir leid, Ma'am. Ich weiß natürlich, dass Du und Chief-Korporal von Grauhaar, ihr beide Recht habt. Es wäre leichtsinnig, anders vorzugehen, zumal selbst eine starke Färbung meiner Haare niemals auch nur eine Woche hält und dann erst recht Fragen auftauchen würden."
Rogi Feinstich seufzte bei diesen Worten. Ihr Blick huschte zum Stein des Anstoßes und sie kommentierte die Aussage fast aus einem Reflex heraus: "Natürlich. Die Farbe klebt normalerweife in den Bruchftellen feft oder legt sich um die raue Aufenftruktur. Daf wird bei deinem Haar nicht gehen. Dafu ift ef einfach fu gefund."
Ophelia atmete tief durch und traf einen Entschluss. Schließlich hatte sie ja schon Rogis Zusage erhalten, dass nach dem Einsatz alles wieder so wie vorher wäre und ein Versprechen der Igorina anzuzweifeln, wäre ihr niemals auch nur in den Sinn gekommen.
"In Ordnung." Sie öffnete die Augen und wappnete sich innerlich vor dem, was da auf sie zukommen mochte. "Wie genau habe ich mir das vorzustellen?"

~~~~~


Etwa zwei Stunden später hörte Rogi Feinstich die leisen Schritte auf den steinernen Stufen, auf die sie schon so lange gewartet hatte. Die Schritte klangen erwartungsgemäß etwas zögerlich. Vor der schmalen Seite ihres Arbeitsraumes, die sich zum Zellengang hin öffnete, hatte die Igorina ein großes Laken als Sichtschutz aufgehangen. Demnächst würde von ihr wohl erwartet werden, in das Büro nahe des Wachetresens umzuziehen aber solange noch keiner sie direkt darauf ansprach, dachte sie nicht einmal im Traum daran, ihre gemütliche Zelle zu räumen.
Unterhalb der zerfransten Stoffkante, die nicht ganz bis auf den Boden reichte, waren schmale Stiefelspitzen zu sehen. Eine leise Stimme räusperte sich. "Ma'am? Bist Du da?"
Rogi ging raschen Schrittes zum provisorischen Vorhang und zog ihn beiseite. Ihre einstige Auszubildende stand mit einer prall gefüllten Reisetasche und einem Stapel Kleidungsstücke auf dem Arm vor der offen stehenden Gittertür.
"Komm rein! Ich habe allef foweit vorbereitet."
Die Ermittlerin bückte sich leicht, um nicht ungewollt den Stoffbehang mitzunehmen. Sie passierte Rogi, wobei sie deren Blick auswich.
Das Laken fiel wieder vor den Eingang.
"Deine Fachen kannft Du auf der Pritfe ablegen." Rogi beobachtete die Jüngere, wobei deren Körpersprache nicht schwer zu entschlüsseln war.
Ihr Augenmerk klebte wie gefangen an dem Tisch auf der rechten Zellenseite, den Rogi sonst für den Papierkram nutzte. Inzwischen hatte sie aber alles für eine Operation vorbereitet und aus dem Schreibtisch war mit wenigen Handgriffen, und einem weiteren Laken, ihr "Obduktionstisch" geworden. Natürlich kannte Ophelia diesen Tisch. Sie war Rogi erst vor einigen Wochen sogar bei einer Notoperation an einem Werwolf, an eben diesem Tisch, zur Hand gegangen. Aber dieses reine Wissen verlor offensichtlich für einen Menschen an Bedeutung, wenn er sich mit einer Situation konfrontiert sah, die ihn plötzlich selber betraf.
Rogi ging an ihr vorbei und stellte sich vor den Tisch. "Bift Du foweit? Oder gibt ef noch etwaf, daf fu erledigen ift?" Sie konnte direkt mitverfolgen, wie der Blick Ophelias sich auf sie fokussierte und die Überlegungen der jungen Frau ins Hier und Jetzt zurückkehrten.
"Ja." Die Verdeckte Ermittlerin räusperte sich und begann noch einmal, mit etwas festerer Stimme.
"Ich meine, ich habe meinen Abteilungsleiter über unsere Absprachen informiert, meine Eltern per Brief von der kurzfristig anberaumten Weiterbildungsmaßnahme in Kenntnis gesetzt und die Verkleidung dem Fundus entliehen." Sie hielt zur Verdeutlichung den Wäschestapel ansatzweise in die Höhe, bevor sie ihn vorsichtig ablegte.
Ihr Blick wanderte unkontrolliert zu der blank gescheuerten Ansammlung metallener Schüsseln und Werkzeuge, die Rogi neben dem breiten Tisch auf dem Vorsprung der Kommode und der Sitzfläche des näher geschobenen Stuhles aufgereiht hatte.
Rogi nickte zufrieden.
"Dann steht dem ja nichtf mehr im Wege. Heute Nacht taufe ich daf Haar. Morgen schlüpft Du in deine neue Rolle und gehft fofort von hier auf fu deinem Vorftellungfgefpräch." Sie erinnerte sich selber daran, dass diese Aufgabe zwar nicht die komplizierteste darstellte, die bisher an sie herangetragen worden war, dass sie aber eine der zeitaufwändigsten werden würde. Sie durften keine kostbare Zeit vergeuden, indem sie noch länger zögerten. Eine Nacht verging schnell und morgen früh musste nicht nur die junge Ermittlerin in den Einsatz, sondern auch sie selber. Rogi deutete auf den Tisch.
"Nimm bitte Platf!"
Sie bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Ophelia sich dem Operationstisch näherte und ging selber zur Kommode mit dem aufgestellten Regal. Sie griff in eines der vielen Fächer. Kleine Glasampullen klirrten leise aneinander. Sie zog eine von ihnen aus dem Regal und legte sie bereit. Als nächstes griff sie in das linke Schubfach und zog ein Etui heraus. Sie klappte dessen länglichen Deckel nach hinten und entnahm ihm ein Spritzbesteck. Mit beidem bewaffnet drehte sie sich wieder dem Tisch und der nun auf dessen Kante sitzenden blassen Person zu. Ophelias Augen waren weit aufgerissen und ihr Blick folgte den Bewegungen der Spritze wie unter Hypnose. Rogi brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um Probleme zu erahnen. So schnell zu atmen konnte nicht gut sein. Und die bleiche Wächterin hatte nicht einmal ein Ersatzherz. Nun, ihr Puls würde sich mit Sicherheit gleich drastisch beruhigen.
Die Igorina brach das Siegel an der kleinen Flasche und entfernte den Stopfen. Dann senkte sie die Nadel in das Gefäß und begann geschickt, die Spritze aufzuziehen. Langsam und gleichmäßig, damit keine Luftbläschen entstehen konnten.
"Fieb den Ftoff deinef linken Ärmelf hoch!"
Die Reaktion erfolgte langsam und mit zitternden Fingerspitzen.
Rogis erster Gedanke war: "Hervorragend! Die Venen springen einem ja regelrecht entgegen! Das würde Ihrer Hoheit zusagen."
Der zweite Gedanke dazu folgte jedoch dem vorangegangenen auf dem Fuße und verdrängte ihn regelrecht verärgert. "Reiß Dich gefälligst zusammen! Was hat das denn hiermit zu tun? Außerdem brauchst Du jetzt eine Arterie!"
Sie tastete nach dem flatternden Pochen und setzte die Nadel an. Der dünne Arm in ihren Händen begann zu zittern. Sie seufzte.
"Wahrfeinlich wird ef sinnvoll fein, wenn Du dich gleich hinlegft. Nicht, daff Du mir noch von der Kante kippft."
Die inzwischen kalkweiße Frau, deren Augen ungewohnt dunkel wirkten, streckte sich widerstandslos auf der Tischplatte aus. Ihrer beider Blicke begegneten sich und überraschenderweise fragte Ophelia die ältere Wächterin: "Ma'am, willst Du das wirklich auf Dich nehmen? Ich hätte nie gewagt, um so etwas zu bitten. Es ist schon allein anstrengend, sie zu kämmen, geschweige denn, sie zu waschen und ich weiß, wovon ich rede!"
Rogi musste lächeln, was die verschiedenen Narben in ihrem Gesicht in Bewegung brachte und den verwirrenden Gesamteindruck entstehen ließ, dass jemand ein Puzzle durcheinander schob. Irgendwie hatte sie nicht mit diesem Einwand gerechnet.
"Ich werde daf fon hinbekommen, Hauptgefreite. Mache Dir um mich keine Forgen. Ef läfft fich nun einmal flecht anderf löfen. Ohne Kopfhaut laffen fie fich kaum aufheben und Du möchteft fie ja fließlich furück bekommen, nicht wahr?" Und um ihre Patientin auf andere Gedanken zu bringen fügte sie hinzu: "Ef wäre freundlich von Dir, wenn Du auch auf die meinigen aufpaffen könnteft." Und sie zwinkerte der Liegenden freundlich zu.
Ophelia nickte ernsthaft, was die Sanitäterin dazu ausnutzte, die Nadel nicht nur neuerlich anzusetzen sondern auch sofort das Betäubungsmittel zu injizieren. Es war tatsächlich möglich gewesen, dass die Jüngere noch blasser wurde. Ophelia biss die Zähne zusammen. Ihre Augen wirkten wie dunkle Tümpel und ihr gelöstes Haar wie vergossener Wein.
Das Mittel zirkulierte bereits in ihren Blutbahnen, als sie wieder ausatmete und mit ängstlichem Blick aufsah. "Wie lange braucht das Betäubungsmittel, um zu wirken?"
Die Sanitäterin legte das Spritzbesteck beiseite und rollte nun ihrerseits die Ärmel hoch. Sie war stolz auf ihre Kreation. "Fähle einfach bif fehn."
Die Ermittlerin blinzelte überrascht. "So schnell?"
Rogi grinste zufrieden. "Ja, fo fnell." Sie begann damit, ihre eigene Kopfhaut mit einem der bereitgelegten Skalpelle abzulösen. Sie hatte die Hauptgefreite nicht erschrecken wollen, indem sie sie schon mit blanker Metallplatte begrüßt hätte. Menschen vertrugen so etwas meistens nicht besonders gut. Jetzt aber würde Ophelia schon nichts mehr um sich herum mitbekommen, auch wenn sie selber das nicht wahrnahm.
Der Einschätzung entsprechend erklang vom Operationstisch her leises Zählen, dass kontinuierlich undeutlicher wurde. "Eins, zwei, drei, vier..."
Rogi legte ihr eigenes Haar mitsamt der Kopfhaut in eine der Schüsseln. So ging es einfach schneller. Zuerst würde sie Ophelias Haar mitsamt den Wurzeln einzeln aus deren Kopfhaut lösen, dann würde sie anstelle dessen ihr eigenes Haar einsetzen und zum Schluss konnte sie dann ihre Kopfhaut wieder auffüllen. Dieses Mal jedoch mit der ungewohnt langen, fremden Pracht.
Die Zahlen zogen sich merklich in die Länge, ebenso wie die Pausen zwischen ihnen. "Fünf... sechs... siiiiiiie..."
Rogi nickte. Die Sieben würde niemals vervollständigt werden. Sie beugte sich näher und tastete nach der Halsschlagader. Aus dem schreckhaften Flattern war ein sehr langsames, sachtes Pochen geworden.
Die Igorina machte sich an die Arbeit.


Eine Frage der Dringlichkeit


Lautes Pfannengeklapper ließ die große Küche im Untergeschoss des Herrenhauses wie eine Schmiede klingen, in der die gerufenen Gespräche das metallene Inferno noch zu übertönen versuchten. Der kräftige Alt der übergewichtigen Köchin tat sich besonders hervor.
"Ich sage nein! Entweder bekomme ich hier bald mal wieder eine Neue oder die Herrschaften können sehen, was sie demnächst anziehen. Das kannst Du gerne so ausrichten, hochverehrte Mamsell."
Die antwortende Stimme schien erstaunlicherweise keiner Anstrengung zu bedürfen, um den Lärm zu übertönen.
"Soll das eine Drohung sein, liebe Elli?" Sämtliche Falten und Furchen des verkniffenen Gesichtes sahen so aus, als wenn sie in Richtung der Augenschlitze gezogen würden, kleine, gefährliche Hochöfen. Der geschminkte Mund der älteren Frau reichte als Ausgleich nicht. Er hob lediglich ihre tief eingegrabenen Mundwinkel hervor, sowie ihre längliche Gesichtsform. Die schwarze Wimpernpaste, die die ältere Dame benutzte, hinterließ leider immer kleine Klümpchen an den Härchen. Aber alles andere an ihr wirkte streng und züchtig, wortwörtlich hochgeschlossen und zugeknöpft.
Die Köchin stemmte eine riesige, gußeiserne Pfanne von der kalten Feuerstelle und wuchtete sie beidhändig zur Spüle hinüber, wo die schmale Spülmagd geistesgegenwärtig beiseite sprang, um nicht erschlagen zu werden. Das lederne Schnürmieder der Köchin knarrte vernehmlich, als diese sich wieder schnaufend aufrichtete und ihrer Kollegin mit spöttisch verzogenem Mundwinkel erwiderte: "Nö, soll es nicht, liebe Steffania." Die Betonung des Namens sorgte bei der knöchernen Älteren dafür, dass diese wütend ihre Hände zusammenkrampfte. Die Frau, die sich Ellie nannte, tauchte kurz eine ihrer fleischigen Hände in das große Becken und wischte sich dann das trübe Wasser an der Schürze ab. "Mehr heißes Wasser, Mari!"
Das dünne Mädchen eilte sogleich wortlos zur Feuerstelle, um den Rest erhitzten Wassers aus dem Topf zu holen, wobei sie die streitenden Frauen wohlweislich umging.
Die gewichtige Frau mit den quirligen Löckchen erklärte: "Das ist bloß eine Tatsache. Da brauch ich gar nicht drohen indem ich mir irgendwas aus den Fingern saugen würde. Du weißt genau, dass wir mindestens alle zwei Tage Wäsche machen müssen und wir haben jetzt schon einen Rückstand. Da kann man sich die Folgen selber an den Fingern abzählen." Sie hob schnell die Hand, um den Einwand der strengen Haushälterin abzuwehren. "Komm mir nicht mit, dann kümmere Dich darum! Wir schaffen das einfach nicht allein. Basta! Also kümmere Du dich gefälligst darum, das Problem auf anderem Wege zu lösen!"
Ein heiseres Krächzen, vom Türrahmen der Küche aus, unterbrach den Zwist: "Mamsell von Steinbruch?"
Die Angesprochene warf der Köchin einen ungnädigen Blick zu und wandte sich dann dem Stubenmädchen zu. "Was ist, Tine?"
Tine, die nicht grundlos auch 'Trine' genannt wurde, guckte die Vorgesetzte aus großen Augen an. "Da steht eine Frau in der Eingangshalle. Die möchte hier arbeiten. Hat sie jedenfalls gesagt."
Steffania von und zu Steinbruch warf der Köchin einen triumphierenden Blick zu, bevor sie sich anschickte, sich gemessenen Schrittes nach oben zu begeben.
"Bring die Dame in den Salon und sage ihr, dass ich gleich nachkommen werde."
Tine knickste ordentlich und verschwand schnell ins Erdgeschoss.
Die Mamsell warf einen kontrollierenden Blick in den fleckigen kleinen Spiegel neben der Treppe, zupfte sowohl an den streng geflochtenen und eingerollten Ohrschnecken, als auch an dem kleinen Häubchen, korrigierte die Rüschen am hohen Kragen um einen Millimeter und begab sich dann ebenfalls nach oben. Sie durchquerte die Eingangshalle und betrat den Salon.
Die Bewerberin hatte bisher lediglich die große Reisetasche auf einem der Stühle abgestellt und war soeben dabei, ihren leichten Umhang abzunehmen. Sie stand mit dem Rücken zur Tür, wodurch das Licht vom Fenster ihr knapp schulterlanges Haar braun aufleuchten ließ, was wunderbar mit dem hellbraunen Oberstoff harmonierte. Ihre Hände nestelten den Verschluss auf, während sie sich aufmerksam im Zimmer umsah.
Die Haushälterin hielt sich für eine Menschenkennerin. Unter anderem. Jedenfalls hatte sie sich nach diesen ersten Sekunden schon ein grundlegendes Urteil gebildet, welches sie hoffen ließ. Die junge Frau vor ihr war gut erzogen und intelligent. Und sie strahlte reinliche Zurückhaltung aus. Damit ließe sich schon etwas anfangen.
Sie räusperte sich vernehmlich und trat vollends in den Raum.
Die Bewerberin wandte sich ihr zu und irgendetwas an ihr irritierte die Ältere sofort. Aber es ließ sich nicht eingrenzen was genau.
"Guten Tag! Mein Name ist Mamsell von und zu Steinbruch. Ich habe gehört, dass Du dich bei uns vorstellen möchtest. Wie ist dein Name, Kind?"
Das Mädchen trat entschlossen auf sie zu, reichte ihr die Hand und lächelte sie an, wobei sie hauptsächlich die Oberlippe in die Höhe zog, so dass ihre Schneidezähne freilagen.
"Hallo! Ich bin die Berta Müller. Ich möchte gerne fragen, ob Sie hier Jemanden brauchen können, der mithilft. Ich frage schon den ganzen Tag in den Häusern nach. Eins nach dem andern. Aber bis jetzt hatte ich noch kein Glück. Aber vielleicht brauchen Sie ja Jemanden?"
Die Haushälterin konnte den Blick nur mit Mühe von dem entstellten Grinsen lösen. Wenigstens waren die Zähne gerade und gesund. Sie ignorierte die dargebotene Hand und deutete stattdessen auf die Chaiselonge.
"Nimm doch bitte erst einmal Platz, Frau Müller."
Die junge Frau schmiss ihren Umhang auf die abgestellte Tasche, ließ sich auf das Sitzmöbel plumpsen und blickte ihr erwartungsvoll entgegen. Vielleicht hatte sie sich dieses Mal tatsächlich geirrt, mit ihrer ersten Einschätzung. Der elegante Eindruck war verflogen und die Realität präsentierte ihr eine ungebildete Aushilfe mit gerade einmal grundlegendem Benimm. Das offene Haar stand ihr wie ein dunkler Mob um den Kopf. War es draußen tatsächlich so windig oder war es möglich, dass das Mädchen einfach vergessen hatte, sich heute früh zu kämmen? Sie trug einen dezent blau und grün karierten Rock aus grober dunkler Wolle und ein fransiges braunes Schultertuch. Ihre Augen...
Der Blickkontakt brach und so etwas wie Befangenheit zeigte sich im Verhalten der Bewerberin. Sie begann überraschend damit, die Hände in ihrem Schoß anzustarren und diese ineinander zu verschlingen.
Die Haushälterin seufzte innerlich. "Was hast Du denn schon so gemacht, Frau Müller? Mit was für Erfahrungen meinst Du, uns hier helfen zu können?"
Das Mädchen hörte zwar mit dem Händekneten auf, hielt aber weiterhin ihren Blick verschüchtert gesenkt. "Ich kann Strümpfe stopfen, sticken, nähen und ausbessern. Ich kann wischen, abstauben, abwaschen, beim Kochen helfen und bei der Wäsche." Sie blickte kurz auf, als wenn sie sich versichern wollte, dass ihre Hilfe hier benötigt würde.
Die ältere Dame konnte nicht verhindern, dass ihr Herz bei der Erwähnung des großen Wäscheproblems einen zusätzlichen Sprung tat. Sie faltete ihrerseits die Hände im Schoß, sorgsam darauf bedacht, eher die Knopfleiste der Ärmelmanschette anzusehen, die bis über das Handgelenk reichte, als durch Unvorsicht die Dringlichkeit durchschimmern zu lassen, mit der sie eine neue Arbeitskraft für dieses Haus suchte. Sie wollte schließlich keinen überhöhten Forderungen Vorschub gewähren.
"Hast Du Erfahrung im Umgang mit Tieren, Frau Müller?"
Die junge Frau kaute jetzt auf ihrer Unterlippe und schüttelte stumm den Kopf. Dann riss sie sich jedoch zusammen und betonte mit fester Stimme: "Das kann ich aber lernen! Wirklich! Ich lerne schnell."
Der Einwurf wurde mit einem verkniffenen Nicken kommentiert. "Hast Du Referenzen?"
Das feine Gesicht schien sich wieder vor den strengen Augen verstecken zu wollen, als die wilde Mähne sich wie ein Vorhang von beiden Seiten darum zu schließen schien. Das Händekneten fing wieder an. "Du meinst so etwas, was man bekommt, wenn man woanders gut gearbeitet hat, stimmt's?"
Die Mamsell holte innerlich tief Luft. Das Kind war erschreckend unbescholten. Natürlich waren Referenzen wichtig. Andererseits... es gab so viele Bewerber, die mit einem Stapel davon vorsprachen und dann trotzdem nicht den Erwartungen gerecht wurden. Zumal es eh' mühselig war, deren Echtheit in so schnelllebigen Zeiten zu überprüfen. Sie beobachtete die junge Frau schweigend und versuchte einen vernünftigen Schluss zu ziehen. Wobei ihr immer wieder das spöttische breite Gesicht der Rivalin vor Augen tanzte. Solange es zu keinen Unregelmäßigkeiten kam, konnte Steffania auf das Wohlwollen des Hausherrn zählen. Sollte er jedoch morgen vor seiner Ankleide stehen und nicht mit der gebotenen Auswahl zufrieden sein...
Eine verschüchterte Stimme drang hinter dem unordentlichen Haarteppich hervor. "Ich bin fleißig. Und ich nehme auch nicht viel Geld. Ich brauche vor allem eine Unterkunft und warme Mahlzeiten. Ich mache bestimmt keinen Ärger."
Die Alte schwieg noch eine Sekunde länger - allein wegen des dramatischen Effektes - und fragte dann in misstrauischem Tonfall: "Was hast Du vorher gemacht? Wo kommst Du her?"
Die Bewerberin lächelte verunsichert. Steffania von und zu Steinbruch hätte ihr am liebsten eine Ohrfeige verpasst und sie dazu aufgefordert, dieses dümmliche Hochziehen der Oberlippe zu unterlassen. Das war gewiss nicht ansehnlich. Das Mädchen könnte viel mehr aus seinem Äußeren machen. Wenigstens eine ordentliche Frisur würde sie sich hier im Hause angewöhnen müssen.
"Ich komme von der StoEbene, aus der Nähe von Quirm. Das ist ein ziemlich verschlafenes Kaff, wahrscheinlich kennst Du das gar nicht, Frau Steinbruch."
"Von und zu Steinbruch!", konnte Steffania sich nicht erwehren, sie zu verbessern. "Und ich kenne es tatsächlich sehr wohl, das kleine Kaff."
Berta Müller lächelte etwas verkrampft. Das geschah ihr recht, einfach den Namen der Dame des Hauses, und als solche sah die Mamsell sich in Ermangelung einer klassischen Herrin in diesem Anwesen, zu verhunzen! Na, das würde sie ihr auch noch beibringen.
"Natürlich. Verzeihung." Die zukünftige Aushilfe strich sich nervös die Haare aus dem Gesicht. "Ich komme jedenfalls von den Ebenen, hinter StoLat. Ich habe da in einem kleinen Gehöft gewohnt, zusammen mit meiner Mutter. Wir haben da der Bäuerin geholfen. Meine Mutter vor allem auf dem Feld mit dem Kohl und bei den Tieren, ich dagegen im Haus. Aber meine Mutter ist vor zwei Wochen mit einem Durchreisenden mitgegangen und hat mich einfach sitzen lassen. Sie hat in dem Brief geschrieben, dass ich alt genug wäre und sie keine Lust mehr hat, mich mit durchzufüttern." Berta Müller senkte den hochroten Kopf. Die Geschichte war ihr merklich peinlich. Dann atmete sie jedoch tief durch und hob resigniert die Arme in einer weiten, akzeptierenden Geste. "Macht ja nichts. Sie hat wohl Recht. Und wenn sie das darf, dann dachte ich mir eben: Ha! Ich wollte immer schon mal in die Stadt. Und hier bin ich nun und suche dringend eine Anstellung, weil ich sonst die nächste Nacht auf der Straße verbringen muss."
Steffania verkniff sich das hämische Grinsen. Nach Außen hin völlig ungerührt, machte sich in ihr drin jedoch Erleichterung breit. Das Mädchen würde fleißig sein, schon weil sie keine Möglichkeit hätte, woanders hin zu gehen. Sollte es Ärger geben, würde sie mit Rausschmiss drohen. Berta Müller war noch verzweifelter als sie selber. Sie würde dieses unsichere Unkraut aufnehmen und sie ordentlich arbeiten lassen. Und die garstige Elli könnte sich grün ärgern!
Sie erbarmte sich und beantwortete die unausgesprochene Frage zumindest teilweise. "So eine Entscheidung ist natürlich nicht leichtfertig zu treffen. Keiner möchte sich ungeahnt Diebesgesindel ins Haus holen, wenn Du mir meine Offenheit verzeihst, Frau Müller. Und faule Mäuler brauchen wir hier auch nicht."
"Natürlich, das verstehe ich. Aber bitte glaube mir. Ich bin weder faul, noch stehle ich."
Die Alte nickte und stand auf. "Bitte warte kurz. Ich werde schauen, ob seine Herrschaft zu sprechen ist. Es ist wichtig, dass Herr Karakost sich ein eigenes Urteil bilden kann, denn die letztliche Entscheidung trifft er."
Die junge Frau stand ebenfalls hastig auf. "Ja. In Ordnung. Ich warte hier."
Steffania ließ dieses reine Kind hinter sich und machte sich auf die Suche nach ihrem Herrn. Sie fand ihn eine Etage höher in seiner Bibliothek. "Herr Karakost?"
Der Mann sah von dem Buch in seiner Hand auf und ließ es auf das überschlagene Knie sinken. "Ja?" Sein dunkles Haar lag in einer schwungvoll geformten Welle glatt am Kopf an, die elegant gebogenen Brauen verschwanden hinter diesem Haaransatz, während seine mandelförmigen Augen dem Gesicht etwas Katzenhaftes verliehen. Auf den ersten Blick hätte man niemals vermutet, dass er Borogravier war, näher liegender wären achatene Eltern gewesen. Seine Kleidung war von ausgesuchter Qualität, fast schon etwas zu modisch für den Geschmack der prüden Haushälterin. Das brokatene Jacket wies einen übertrieben weiten Kragen bis zu den Schultern auf, der nochmals von einem spitz zulaufenden Kragen gekrönt wurde. Die Ärmel waren weit umgeschlagen und jede Abschlusskante wurde von seidig mattem Band eingefasst. An den Ärmeln und dem Kragen ergossen sich weite, weiße Rüschen wie Kaskaden über das dunkelrot.
Aber es stand ihr natürlich nicht zu, den Geschmack seiner Herrschaft zu kritisieren. Immerhin machte er selbst in diesem ganzen Brimborium noch eine sehr gute Figur.
"Da wir noch immer nach einem Ersatz suchen, habe ich mir die Freiheit genommen, eine junge Frau zum Vorstellungsgespräch zu laden. Sie ist erst seit wenigen Tagen in der Stadt, kommt aus den StoEbenen und ich denke, sie könnte durchaus Frau Onkels Platz einnehmen. Es wäre gut, wenn Du sie Dir anschauen würdest, Herr, bevor ich eine Entscheidung treffe."
Auf den glatten Zügen breitete sich ein verschlagenes Lächeln aus. "Ist sie hübsch?"
Die Haushälterin sah missbilligend zu ihm herüber. "Ich lege zwar auf andere Punkte Gewicht bei meiner Entscheidung aber ich nehme an, dass man sie zumindest nicht als hässlich zu bezeichnen braucht."
Der Mann lachte leise. "Aber, aber, meine liebe Frau von und zu Steinbruch... Nun gut. Ich werde sie mir mal ansehen." Er erhob sich geschmeidig und folgte seiner Angestellten.


Heimelig


Das Stubenmädchen sah sich mit neugierigem Blick zur Neuen um, die ihr, mit ihrer schweren Reisetasche unter dem Arm, schweigend folgte. Tine fand, dass sie ganz nett wirkte. Hoffentlich war sie es auch.
"Mein Name ist Tine aber die meisten nennen mich auch Trine. Ich bringe Dich erst mal zu deiner Kammer. Da kannst Du deine Sachen ablegen."
Berta nickte und folgte dem Stubenmädchen durch das Haus. Sie durchquerten die Eingangshalle in Richtung des Hauptportals, bogen dann aber linkerhand auf eine unauffällige Tür hin ab. Trine hielt diese auf und beide traten sie übergangslos hinaus ins Freie. Zur Linken wurde der längliche Gang von einer Schuppenwand abgegrenzt, zur Rechten von der hohen Steinmauer zur Straße hin.
"Hier musst Du aufpassen. Kann passieren, dass grad einer auf dem Dach ist und der Eimer runtergelassen wird. Aber normalerweise passiert das nur, wenn es lange nicht geregnet hat, weil wir dann die Wasserauffangtonne oben über den Brunnen auffüllen müssen. Oben sind nämlich nicht nur der Nachrichtenturm, sondern auch die Gemüsebeete."
Die Neue blickte zurück und verrenkte sich beinahe den Kopf in dem Bemühen, einen Blick von dem Erwähnten zu erhaschen. Sie sah aber nichts weiter über sich, als die Hauswand der ersten Etage und den Mauerabschluss darüber. Sie passierten eine Stelle, an der einerseits Holztüren den Schuppen verriegelten und andererseits das schwarz lackierte Metallgitter zur Straße hinauszeigte. Beidseitig des Eisengitters waren zusätzliche Holzverschläge angebracht, die sich nachts von Innen vorlegen ließen.
Das Stubenmädchen mit den Tränensäcken unter den Augen drehte sich im Gehen wieder zu der Neuen um und deutete nach vorne. "Hier ist der Brunnen. Die Abdeckung muss immer drauf liegen, damit kein Dreck reinfällt. Das da sind übrigens Geräteschuppen und Stall. Da drin stehen hinten die zwei Kutschen des Herrn und am Rand sind die Pferdeboxen untergebracht. Außerdem haben wir Kaninchen und Hühner. Die Tauben sind oben auf dem Dach des Gesindehauses untergebracht, wo auch noch ein Kräutergarten gepflanzt ist." Das Dienstmädchen zeigte bei diesen Ausführungen nach vorne, wo der Gang an einer Biegung linkerhand abknickte und dabei auf ein zweigeschossiges Haus stieß. Dieses wirkte wesentlich älter als das Herrenhaus und benötigte nicht bloß einen frischen Anstrich.
Um die Ecke schossen plötzlich lautlos zwei große Schatten auf sie zu, rasten der unbekannten Besucherin entgegen und versperrten dieser den Weg, indem sie abwechselnd die Zähne fletschten und aufgeregt anschlugen.
Tine war zwar selber ein wenig erschrocken, bei weitem aber nicht dermaßen schockiert wie die Aushilfe. Das Mädchen hielt ihre Reisetasche wie einen Schutzschild vor sich, umklammerte sie wie einen Rettungsanker und starrte den Wachhunden wie Ausgeburten des Pandämoniums entgegen.
"Keine Angst, wenn Du dich nicht bewegst, bist Du sicher. Und man darf ihnen keinen Appettiet machen, indem man ihnen zeigt, dass man Angst vor ihnen hat. Bleib einfach ruhig, ich hole Herrn Blond." Sie wartete keine Antwort ab, sondern ging rufend zur Ecke, von wo die Wächter der besonderen Art aufgetaucht waren. "Herr Blond? Herr Blond!"
Der Gerufene kam schon von sich aus zu ihnen. Ein kompakter Mann, klein und muskulös. Er trug eine weite Hose, die er um den Bauch herum mit mehreren dünnen Seilen gegürtet hatte, ein ärmelloses Hemd und robustes Schuhwerk mit Eisenbeschlagenen Kappen. Sein breites Gesicht war auf der rechten Wange von zwei Narben über der Wange gekennzeichnet, die kurz unter dem Auge begannen und sich bis unters Kinn hinzogen. Seine Stirn lag in Falten wie der Ankh im Hochsommer und die finster dreinblickenden Augen unter den tiefen Brauen wurden von weizenblondem, kurzem Stoppelhaar gekrönt. Er wirkte eindeutig gefährlich, selbst, wenn er keine großen Gesten machte.
"Aus!"
Die Hunde zuckten zusammen und duckten sich vor der gestellten Beute, immer wieder zu ihrem Herrchen hinüberschauend und um Erlaubnis zum Handeln ersuchend. Der Mann deutete mit einer kleinen Geste zu Boden und die Tiere machten Platz.
"Was ist?" Er musterte die Neue von Kopf bis Fuß.
"Das ist Berta Müller und sie wird ab heute bei uns arbeiten. Könntest Du bitte dafür sorgen, dass Pelle und Dago sie in Ruhe lassen?"
Tine beobachtete, wie der Leibwächter einmal gemächlich um die Aushilfe herumging und wie diese daraufhin ihren Blick niederschlug. Sie nahm ihr Gepäck am Henkel an nur einer Hand und stellte sich etwas aufrechter hin, wobei es dabei aber auch schon blieb, da die Hunde in Anbetracht der Bewegungen unterschwellig zu knurren begannen.
Der Mann blieb mit vor der Brust verschränkten Armen stehen.
"Die Viecher mögen es nicht, überrascht zu werden. Genauso wenig, wie ich. Wenn Du mir in die Quere kommst oder denkst, Du könntest dir hier Vorteile erschleichen, dann denke daran, wer die beiden füttert, wer sie hegt und pflegt und wer sie aus dem Zwinger lässt. Klar?"
Tine sah, wie die Neue vorsichtig zustimmend den Kopf neigte.
"Gut." Kasimir Blond deutete den Hunden an aufzustehen und zu ihm zu kommen. Er packte sie an den Halsbändern und führte sie dicht an die weiten Frauenröcke der Neuen heran. Die Schnauzen vergruben sich in Wadenhöhe in den Stoff, schnupperten, sabberten und schnüffelten. Der Leibwächter zog sie wieder zurück, deutete auf die junge Frau, blickte den Tieren tief in die Augen und sagte: "Freund!"
Die beiden Kampfmaschinen begannen freudig mit den Ruten zu wedeln und hechelnd aufzuspringen.
Tine, die diese Prozedur schon einmal gesehen hatte, bedankte sich bei ihm und setzte den Weg fort, als wenn nichts gewesen wäre. Der Neuankömmling hatte gerade genug Zeit, die Röcke zu raffen und einen misstrauischen Bogen um die gemischte Wächtergruppe des Hauses zu machen, als die Unterweisung hinter der Biegung wieder aufgenommen wurde.
"Das da links sind die Zwinger, siehst Du? Genau gegenüber ist der Eingang zur Gesindestube, von der aus es ebenerdig zu den Kammern der Männer geht und eine Treppe hoch zu den Kammern der Frauen. Alle nebeneinander, Tür an Tür." Sie öffnete die verklemmte Tür und ging leicht versetzt dazu auf die wackelige Holzstiege zu. Sie sah sich auf dem klammen Gang im ersten Stock kurz um. "Du kannst das freie Zimmer ganz am Ende des Ganges haben, Berta." Sie passierten drei Türen, bis das Stubenmädchen die letzte, in der hintersten Ecke öffnete. Licht fiel hier nur spärlich über die kleinen Fenster des Ganges. "Bitteschön! Ich hoffe es gefällt Dir hier bei uns."
Tine selber war nicht gerne in dem alten Gemäuer. Das leise Pfeifen des Windes durch die Löcher, dort wo der Putz an der Außenwand des Hauses abgefallen war, übertönte nur sachte das Knarren von überlastetem Holz. Aber immerhin war es ein Dach über dem Kopf und Tine hatte schnell gelernt, was das bedeutete, wenn man keine sonderlichen Gaben oder Intelligenz vorzuweisen hatte.
Die Neue betrat die enge Kammer, in der sich außer einer schmalen Liege mit Strohmatte, einem Stuhl und einer Kleidernische nichts weiter befand.
"Leider haben die einzelnen Zimmer keine Fenster aber dafür ist es etwas wärmer. Bettzeug, Waschschüssel, Krug, Nachttopf und eine Kerze kannst Du dir heute Abend von der Mamsell rausgeben lassen. Erst mal stellst Du am besten alles ab und dann kannst Du gleich die 'Klopfer' kennen lernen, das ist unsere Köchin. Also in Wirklichkeit heißt sie Elli. Ich bringe Dich hin aber dann muss ich auch wieder an die Arbeit."
Tine konnte im Zwielicht des vom Korridor hereinfallenden Lichtes dort wo die Neue im Zimmer stand nur einen vagen Schemen erkennen aber die Stimme klang erschöpft, als diese antwortete: "Danke."
Das Stubenmädchen wunderte sich darüber, denn immerhin hatte Berta Müller ja noch nicht einmal mit den Arbeiten begonnen, die ihr übertragen werden würden.


Die Neue


"Und, was denkst Du über die Neue?" Das spindeldünne Mädchen strich sich bei dieser Frage mit dem Handrücken über ihre verschwitzte Stirn und versuchte dadurch, die blonden Strähnen wieder unter die weite Küchenhaube zurückzuschieben. Sie beugte sich tief über das Spülbecken, beobachtete aber dennoch über ihre Schulter hinweg den Stallknecht, der das große Glas gemächlich Zug um Zug leerte. 'Hakens' Kehlkopf hüpfte munter. Dann erst seufzte der Stallbursche zufrieden, stellte das Glas auf der Arbeitsfläche ab und antwortete in seinem unverwechselbar ungerührten Tonfall: "Sie arbeitet wenigstens, statt zu quatschen."
Marians helle Augen blitzten verschmitzt auf und sie grinste ihn herausfordernd an. "Reden ist nicht verboten, weißt Du? Es gibt Leute, die beides gleichzeitig können." Sie griff nach der Putzwolle und begann damit kräftig durch den Topf zu schaben. Das entsprechende Geräusch kratzte auch an den Nerven. Marian Salbei stützte sich nach einer Weile schwer auf und atmete tief durch. Sie fand schnell zu ihrer unbeantworteten Frage zurück.
"Peter, ich würde das wirklich gerne von Dir wissen. Also? Was meinst Du?"
Eine männliche Stimme unterbrach die beiden und Gregor Zack gesellte sich zu ihnen dazu. "Womit löchert dich das Gör wieder, Haken?"
Marion brauchte sich nicht einmal umzudrehen. "Mach in der Küche gefälligst die Zigarette aus, Gregor. Wenn die Klopfer dich damit erwischt, gibt es nur wieder Ärger und darauf habe ich keinen Bock."
Der Laufbursche schnippte seine Asche in den Blecheimer neben dem Herd. "Ist mir doch scheißegal." Er nahm einen weiteren, demonstrativen Zug und hakte den Daumen der freien Hand hinter seinen Gürtel. "Die Klopfer hat mir nichts zu sagen. Und ihr auch nicht. Und worum ging es hier eben?"
Marian machte sich wieder an die Arbeit, wobei sie etwas Erde zum Scheuern in den Topf dazukrümelte. "Wir sprachen grad von der Neuen und ich wollte wissen, was Haken von ihr hält." Sie blickte kurz zu diesem hinüber.
Der grobschlächtige Kerl strich sich mit beiden Pranken über die Stoppelfelder seiner unrasierten Wangen und zuckte dann die Schultern. "Ist halt 'ne Aushilfe. Hat keine Ahnung von Tieren."
Die kleine Salbei blickte den Laufburschen neugierig an. "Und deine Meinung?"
Der dunkelhaarige Draufgänger grinste breit, wobei er gekonnt die Kippe im Mundwinkel balancierte. "Ist süß, wenn ihr mich fragt."
Marian lachte. "Süß? Na das ist ja mal ganz was Neues bei Dir." Sie schüttelte immer noch lachend den Kopf. "Ich glaube Du kannst an keiner Frau vorbeigehen, ohne sie anzugraben."
Gregor grinste noch breiter und hob entschuldigend beide Arme. "Was kann ich dafür, dass die Welt mit Bräuten gesegnet ist, die nur darauf warten, mir zu begegnen?"
Das zierliche Mädchen brachte alle Oberarmmuskeln zum Einsatz, als sie die angebrannten Reste zu lösen versuchte. Dennoch blieben ihr offenbar noch geheime Reserven, wenn es um das Aushorchen der Kollegen ging. "Dann hat sie Dir wohl noch nicht den Laufpass gegeben, Gregor, wenn Du sie noch nicht auf der Abschussliste hast?"
Der Befragte füllte sich ebenfalls ein Glas. "Ich bin eben unwiderstehlich." Er kniff dem Mädchen in die rechte Pobacke. "Bist Du etwa neidisch, mein Herz?"
Die Spülmagd schüttelte mit halb scherzhaftem, halb erbostem Funkeln in den Augen den Kopf. "Vor allem bist Du unverbesserlich."
Gregors leeres Glas gesellte sich zu dem von Peter, als er dem jungen Mädchen mit einer Gegenfrage konterte: "Was hälst Du denn selber von ihr, Mari?"
Sie drehte sich um und knetete beide Hände in ihrer Schürze trocken. Ans Becken gelehnt dachte sie kurz nach. "Tja... sie gibt sich Mühe. Und es ist allemal besser sie im Haus zu haben, als für die rausgekantete Onkel mitschuften zu müssen." Sie nahm das untere Ende der Schürze in beide Hände und trocknete sich damit ihr verschwitztes Gesicht. "Manchmal glaube ich, sie ist nicht ganz bei der Sache. Und viel zu langsam ist sie! Gestern hat sie sage und schreibe zwei Stunden für das Erdgeschoss gebraucht, ohne dass sie da schon gewischt hätte. Ich meine... beim ersten Stock mit den drei Zimmern und dem Staubwischen in der Bibliothek hätte ich es noch verstanden. Aber bei den zwei großen Empfangszimmern?" Sie schüttelte verständnislos den Kopf und stemmte beide Arme in die Hüften, als fordere sie zu Widerspruch heraus.
Der Laufbursche nahm wieder einen Zug und blies den Rauch bedächtig an die Decke. "Habt ihr gemerkt, wie die Mamsell und die Klopfer sich wegen ihr in die Haare bekommen?" Er grinste hämisch.
Marian winkte lachend ab. "Hör bloß auf. Berta hier, Berta dort. Ich kann's nicht mehr hören. Wenn sie die Aufträge der Klopfer fertig bekommen hat, steht schon die Steinbruch mit was Neuem bereit, um sie abzufangen. Die wollen beide nur ihren Kram loswerden. Beinahe könnte sie einem leidtun." Sie wandte sich wieder dem Abwasch zu und begann den Topf klarzuspülen.
Der Stallknecht wagte einen kurzen Einwurf. "Schlitzer mag sie jedenfalls nicht."
Gregor nickte zustimmend. "Das habe ich auch schon gemerkt. Er lässt keine Gelegenheit aus, die Hunde unbeaufsichtigt in ihre Nähe zu schicken."
Marian Salbei sah ihn neugierig an. "Aber hat er Pelle und Dago denn nicht zur Freundschaft angewiesen?"
Es war das erste Mal, dass auf Peter Kurztrans kantigem Gesicht so etwas wie Humor zu erkennen war - umso humorloser erschien das hintergründige Lächeln. "Doch. Aber sie schlagen trotzdem bei ihr an. Weiß nicht, wie er das gemacht hat. Sie halten die Müller zwar nicht auf. Aber sie ticken trotzdem jedes Mal aus, wenn die in der Nähe ist."
Das Mädchen an der Spüle kicherte. "Ach... davon hat sie gar nichts gesagt. Sieh an."
Das Gespräch wurde jäh unterbrochen, als von der Treppe im Vorraum das charakteristische Stampfen der Köchin hereindrang.
Gregor Zack ließ beim Eintreten der fetten Köchin demonstrativ seine ausgerauchte Kippe in den Eimer mit dem Anmachholz fallen. "Ich war eh' grad fertig." Er hatte sie passiert, ehe sie ein Wort herausgebracht hatte.
Der Stallknecht folgte ihm kommentarlos und Marian machte sich eilig wieder ans Schrubben.
Elli Treuhand blickte beiden schimpfend hinterher. "Irgendwann krieg ich ihn unter vier Augen in die Finger. Irgendwann. Und dann wird er sich wünschen, nie geboren worden zu sein!" Sie blickte sich suchend im Raum um und schnauzte kurzerhand, mangels besseren Opfers, das dürre Mädchen am Becken an: "Wo ist die Müller? Ich hab' ihr schon vor Stunden gesagt, dass sie sich gefälligst direkt nachdem sie mit dem Füttern der Stalltiere fertig ist, bei mir melden soll!"
Marian musste sich bemühen, ihren Sinn für Humor nicht durchscheinen zu lassen und antwortete in möglichst neutralem Tonfall: "Sie war kurz hier aber da hat die Steinbruch sie abgefangen. Sie müsste jetzt auf dem Weg zur Schneiderei sein, um dort die korrigierten Maße für die Änderungswünsche des Herrn anzugeben."
Die breite Stirn der Köchin legte sich missbilligend in Falten. "Na gut. Dann muss sie sich um das Unkrautjäten im Kräutergarten eben heute Abend nach dem Abendessen kümmern."
Die Spülmagd war kein böser Mensch. Aber sie hatte lange genug für zwei geackert, um dies auch einmal jemandem Anders zu gönnen. "Ja, Madam." Sie grinste ihr schlieriges Spiegelbild im Spülbecken an.


Der Tote Briefkasten


Das trübe Wetter der letzten Tage machte dem sanften Gemüt der Kontakterin zwar etwas zu schaffen aber wenigstens war es noch nicht kalt geworden. Kühl schon aber eben noch nicht kalt. Sie ließ den Blick ihrer braunen Augen verträumt über das dreckige Kopfsteinpflaster wandern.
Ilona Istnichtgut hatte ihre Runde eben erst begonnen und keinerlei Eile. Im Gegenteil. In hektischen Straßen zu rennen wurde komischerweise viel eher von aufmerksamen Beobachtern bemerkt, als eine still stehende Person. Sie wusste das, weil sie selbst oft auf Verdächtiges achten musste. Vermutlich hing es mit der Vermutung zusammen, dass jemand der schnell unterwegs war, auf der Flucht sein musste. Gab es eigentlich ein Gesetz, das auch die Durchschnittsgeschwindigkeit von Fußgängern regelte, so wie es Gesetzte für die Karrenlenker gab?
Ilona holte umständlich ihren Block heraus und notierte sich diese Frage für später - direkt unter der Frage "Wenn das Glück der Erde auf dem Rücken der Pferde liegt, kann man dann sagen, dass es unter die Erde kommt, wenn das Pferd sich wälzt?".
Sie erreichte die Straßenecke und stopfte den Block wieder in die Tasche zurück. Die Kontakterin betrat den Hausflur, schloss sorgsam die Tür hinter sich und trat an den Briefkasten heran. Nummer eins auf der Strecke war ein Toter Briefkasten im wortwörtlichen Sinne. Sie angelte nach dem kleinen Metallschlüssel und öffnete den kleinen, uneinsichtigen Holzkasten. Ein zusammengefalteter Zettel hing verkantet zwischen den Innenwänden. Die Wächterin erstarrte kurz in der Bewegung. Dann jedoch schoss ihr ein heftiger Adrenalinschub durch ihre Adern und brachte sie umgehend dazu, mit zitternden Fingern nach der Nachricht zu greifen. Sie überflog diese mit fliegendem Atem.

"Wie versprochen habe ich mir das mit dem Urlaub noch mal durch den Kopf gehen lassen. Aber ich bin immer noch der Meinung, dass es eine ruhigere Herberge auch tun würde. Wozu soll es gut sein, nicht nur von einer Mamsell, einem Dienstmädchen, einer Köchin und einer Spülmagd im Haus, sondern sogar noch von einem Stallknecht, einem Laufburschen und einem Hundebetreuer außerhalb des Anwesens umschwirrt zu werden? Warum dann nicht auch gleich noch einen Butler? Er bräuchte nicht mal auf der Bildfläche erscheinen, bei so viel Personal und dennoch wäre der Hausherr wohl zufrieden. Und dann das Haus an sich! Viel zu groß! Die beiden Häuser haben zwei beziehungsweise drei Geschosse, hast Du dir die eigentlich selber mal angesehen? Nein, ich möchte lieber etwas anderes suchen, bevor ich mich festlege. Zumal ich mir wirklich nicht vorstellen kann, wie Du das bezahlen willst. Ich habe diese Woche zwar viel wegen des großen Empfangs vor mir aber wenn ich trotzdem etwas Passenderes finde, melde ich mich natürlich wieder bei Dir. Liebe Grüße, O."


Für Höheres bestimmt


Die streitenden Stimmen klangen zwar gedämpft durch die erste Etage des Haupthauses, deswegen jedoch keinesfalls freundlicher.
"Sirena, ich rede mit Dir! Schau mich gefälligst an! Das hast Du doch mit Absicht gemacht, Du arrogante Schlampe!" Die Frau, die zu dieser Stimme gehören musste, war ganz sicher keinen Deut weniger überheblich, als sie dies ihrer Kontrahentin vorgeworfen hatte.
Die antwortende Frauenstimme klang gelassen und vibrierte in einem angenehm tiefen Timbre. "Wenn Du meinst."
"Ja, ich meine."
"Weißt Du, Lorelei, vermutlich ist dein Gehirn einfach zu klein, um gleichzeitig die Augen klimpern zu lassen und die Beine zu bedienen. Aber um auf diesen Gedanken zu kommen, hätte es ja schon einer dreifachen Belastung bedurft."
So etwas wie frustriertes Kreischen und das Pochen eines aufgestampften spitzen Absatzes hallte durch das ansonsten leere Stockwerk. Von unten drang das raue Lachen zweier Männerstimmen herauf.
Die herausfordernde Stimme zitterte regelrecht vor unterdrückter Wut. "Du hast Dich auf den Saum gestellt, als ich aufgestanden bin, Du fette Kuh!"
Die tiefe Frauenstimme lachte spöttisch. "Mir ist schon klar, dass Du bei den krummen Beinen lieber nach einer anderen Erklärung, als der offensichtlichen suchst."
"Ach, lass mich doch in Ruhe!"
Die Gelassenere antwortete daraufhin mit triefendem Sarkasmus: "Wie Ihr wünscht, My Lady."
Im Türrahmen des offenen Gästezimmers erschien der dunkle Schatten einer hoch gewachsenen Frau. Und stieß mit einem etwas hellerem Schatten zusammen.
"Pass doch auf, Du ungeschicktes Ding!" Die Dame aus dem Zimmer blickte angewidert auf das Stubenmädchen, dass sich knicksend und mit betroffen gesenktem Blick immer wieder entschuldigte.
"Es tut mir leid, Madam. Ich habe Dich nicht kommen gehört und wollte gerade an der Tür anklopfen. Bitte verzeihe mir. Entschuldigung."
"Schon gut." Die schlanke Frau mit der tiefen Stimme ließ unter ihren schweren, schwarz gemalten Lidern hervor einen abschätzenden Blick über die Angestellte schweifen. Sie verschränkte ihre Arme so vor dem Körper, dass die über den Ellenbogen endenden, schwarzen Seidenhandschuhe auch vor dem tief ausgeschnittenen schwarzen Kleid noch trefflich zur Geltung kamen. Ein extrem eng umschließendes Schnürmieder betonte die Wespentaille. An Ohren und Hals trug sie schweren, dunkel glimmenden Schmuck. Ihr Haar rahmte schimmernd wie ein rabenschwarzer Wasserfall das glatte, blasse Gesicht ein, nur von einem einfachen Band aus der Stirn gehalten.
"Was machst Du überhaupt hier?"
Aus dem Zimmer erklang das unregelmäßige Pochen winziger Metallabsätze auf dem Holz der Dielen. Die anfänglich fast schrille Stimme klang nun neugierig und säuselnd. "Wer ist denn da?"
Hinter der Diva tauchte eine erwachsene Elfe auf. Lorelei legte gar keinen Wert darauf, einen eleganten Ruf zu verteidigen. Sie war eher für ihre farbenfrohe Verspieltheit und ihr besonderes Verhältnis zum Luxus bekannt. Blonde Wellen fielen aus einer pompösen Hochsteckfrisur und ringelten sich bis über die nackten Schultern herab. Der Aufbau wurde von einem glitzernden Schmuckschmetterling gekrönt, der in seiner wippenden Farbenpracht kaum mit der fröhlichen Gesichtsbemalung rund um die großen Augen mithalten konnte, ebenso wie von einem glitzernden Baumelgesteck mit kleinen Glöckchen an den Ketten. Perlenreihen baumelten bis zur eingeschnürten Taille hinunter und klimperten mit den Kopfglöckchen und den unzähligen Armreifen um die Wette. Das etwas breitere Stück Stoff wurde von dünnen Trägern über den Schultern an Ort und Stelle gehalten und unterhalb der Oberschenkel in durchsichtigen, regenbogenfarbenen Bahnen fortgesetzt, so dass ellenlange Beine zu erkennen waren, die in winzigen Riemchensandalen mit erschreckend hohen Absätzen mündeten. Eines der hauchdünnen Rocktücher hing nur noch mit einem kleinen Stück am Rock fest.
Die beiden so extrem unterschiedlichen Frauen sahen nun auf das Dienstmädchen herab.
"Ich... ich sollte mich darum kümmern, dass das Zimmer für sie beide hergerichtet wird, meine Damen"
Die Schwarzhaarige wandte sich mit verächtlichem Schnaufen an die Blondine. "Was habe ich Dir gesagt? Wir müssen es noch länger miteinander aushalten."
Die Angesprochene kräuselte bitter die vollen Lippen. Sie kniff die frühlingsgrün leuchtenden Augen zusammen und packte das fassungslose Dienstmädchen kurzerhand am Arm ihres schlichten Hauskleides. Im Zimmer ließ die Frau sich auf das Bett fallen und blickte herausfordernd von dort auf.
"Repariere mein Kleid!"
Das Mädchen wirkte verunsichert und versuchte vorsichtig, ihren Ärmel dem unbarmherzigen Griff zu entziehen. Sie scheiterte in dem Bemühen. Die blonde Frau schien regelrechte Klauen in den Stoff zu schlagen und ihr hübsches Gesicht wurde übergangslos zu einer entstellten Fratze.
"Ich habe Dir eine Anweisung gegeben, Aschenputtel! Bist Du taub, oder was?"
Von der Tür her erklang leises Lachen. "Wie ich sehe hast Du etwas zum Spielen gefunden, was deinem Intelligenzquotienten entspricht. Viel Spaß! Ich werde mich wieder in den Salon begeben."
"Bleib gefälligst hier, wir gehen gleich wieder gemeinsam runter und... Sirena!"
Die elegante Frau mit dem nächtlich-finsterem Kleidergeschmack ignorierte sowohl den wutentbrannten Schrei ihrer Kollegin, als auch den flehentlichen Blick des armen Stubenmädchens.

Kurz darauf waren beide allein.
"Madam, ich muss mich wirklich um die Zimmer kümmern, bevor die Gesellschaft vorüber ist und die Herrschaften zu Bett möchten. Wenn Du mich bitte loslassen könntest, mir bleibt nicht viel Zeit."
Die Blondine hätte sie am liebsten mit einem einzigen Blick niedergemäht - wenn sie sie nicht noch benötigt hätte.
"Ich habe noch wesentlich weniger Zeit als Du und nun hol gefälligst Nadel und Faden und mach Dich an die Arbeit. Oder soll ich Eurem Hausdrachen verraten, wie wenig Dir das Wohl der Gäste am Herzen liegt? Wäre Dir das lieber, hm?"
Berta Müller blickte zu Boden. Ihre Hände krampften sich wie in Zeitlupe zu Fäusten und sie schien mit sich zu ringen. Dann jedoch schüttelte sie vorsichtig den Kopf, als wenn sie wieder zur Vernunft gekommen wäre. Die Frau namens Lorelei lächelte boshaft.
"Wer sagt es denn. Warum nicht gleich so? Und nun beeile Dich, sonst hat die Zicke die Beiden um den Finger gewickelt, bevor ich zurück bin."
"Ich hole Nadel und Faden."
Lorelei ließ sich endgültig zurückfallen und streckte die Arme über den Kopf, bis sie mit den Fingern das Kopfende erreichte. Sie begann einen ungeduldigen Rhythmus gegen das Holz zu trommeln. Was hatte der Oberst sich nur dabei gedacht, sie in dieses Haus zu schleifen? Von einer beispiellosen Karriere hatte er geredet. Von Gold auf den Straßen und Männern, die sie auf Händen tragen würden aufgrund ihrer Schönheit. Männern, die nur einen einzigen Blick benötigen würden um feststellen zu müssen, dass sie ihr ganzes Leben lang blind gewesen waren und Lorelei die Erfüllung ihrer geheimsten Wünsche war.
Sie begann, mit weiß behandschuter Hand, goldige Locken um ihre Finger zu wickeln und unbemerkt ihren berühmten Schmollmund zu ziehen. Dieses Gebaren hatte sich wirklich schon so tief in ihre Persönlichkeit eingebrannt, dass sie es nicht mehr wahrnahm.
Der Oberst hatte sie belogen. Sie gestand es sich nur ungern ein aber sie hatte allein während ihrer Ankunft in der Stadt unzählige wirklich hübsche und einige atemberaubend schöne Frauen auf den Straßen gesehen. Diese Stadt litt keinerlei Mangel. Es war keineswegs so, dass sie mit offenen Armen empfangen werden würden.
Eine hässliche Falte entstand zwischen ihren sorgfältig gezupften Brauen.
Sie hatte von einer Gilde gehört, die hier ähnliche Dienste, wie sie sie in der Sahneschicht der Gesellschaft feilbot, sozusagen offiziell verwaltete. Und sie war im Zusammenhang damit gewarnt worden.
Unwillig verdrängte sie diesen Gedanken und setzte sich ruckartig wieder auf.
Wo blieb diese unfähige Person mit dem Flickzeug?
Doch Verdrängtes steigt wieder an die Oberfläche zurück, so wie Luftbläschen unter Wasser, von einem Drang getrieben, der nicht aufgehalten werden kann.
Und wenn sie erwischt würde? Nein, diese Einwände waren nicht ernst zu nehmen. Immerhin stammten sie von ihrer neidischen Schwester. Und was wollte die schon über Ankh-Morpork wissen? Die war ja nicht einmal aus dem Dorf herausgekommen! Und außerdem gehörte sie zu all den anderen dazu. Kein einziger von ihnen hatte es gewagt, die ehernen Regeln, die Traditionen und die Gesetze Borograviens anzuzweifeln. Sie waren alle so eingeengt im Denken gewesen, so ländlich und roh. Ganz ohne Geschmack oder Manieren!
Lorelei gehörte einfach hierher, statt in das kleine Kaff, in dem sie geboren worden war. Sie war dem Oberst dankbar dafür, eine echte Chance auf ein eigenes Leben geschenkt bekommen zu haben, weit weg von den Konventionen und Regeln, wie eine Frau zu sein und wie sie sich zu benehmen hatte.
Die Aushilfe war beinahe lautlos ins Zimmer und neben die Liegestatt getreten. Sie kniete nun neben dem Bett nieder.
"Darf ich?", fragte sie und tastete vorsichtig nach dem losen Ende an der aufgerissenen Stoffstelle.
Lorelei nickte jovial.
Das Mädchen vermied es tunlichst, außer den Stoffkanten irgendetwas anderes zu berühren.
"Meine Güte, bist Du prüde! Hast Du noch nie einen anderen Menschen berührt?" Sie kicherte entzückt, als die Brünette unter ihrem straff gespannten Spitzenhäubchen deutlich errötete. "Nicht, dass Du denkst, Du könntest Dir etwas herausnehmen. Ich bin für Höheres bestimmt, Kleine."
Das Mädchen hatte vor Scham brennende Wangen und wollte schon aufspringen, als Loreleis Hand vorschnellte und sie am Genick packte.
"Nichts da. Ich sage, wann Du gehen darfst. Und nun kümmere Dich verdammt nochmal endlich um das Kleid oder Du hast gleich unschöne Kratzer in deinem Gesichtchen." Sie lockerte den Griff wieder und stützte sich beobachtend, mit den Händen hinter sich, auf dem Bett auf.
Das Dienstmädchen fädelte zitternd den Faden in das Nadelöhr und begann dann, mit überraschend flinken Stichen, den ausgerissenen Saum zu vernähen. Allmählich beruhigte Lorelei sich etwas.
"Von wo kommst Du?"
Die junge Angestellte senkte noch mehr den Kopf über ihre Arbeit und sagte undeutlich: "StoLat. Jedenfalls die Gegend dort."
Die Ältere beobachtete sie genau. "Und, wie ist es da so? Warum bist Du von dort weg und hierher gekommen?"
Die Nähnadel flitzte durch den hauchdünnen Stoff und kam sichtbar voran mit der Arbeit. "Es ist dort langweilig. Ziemlich eintönig."
"Verstehe." Lorelei lächelte betörend. "Also ein unschuldiges Landei." Die Reaktion ließ nicht auf sich warten und entlockte der inoffiziellen Näherin ein weiteres Lachen. "Da ist doch nichts dabei. Weißt Du, ich komme auch aus einem dämlichen Kuhkaff östlich von Überwald. Ist viel wichtiger, was man daraus macht, sage ich mir immer. Ich zum Beispiel, ich werde hier Karriere machen. Das hat der Oberst mir versprochen." Sie sah eine Weile nachdenklich ins Leere.
Dann flüsterte sie, wie im Selbstgespräch: "Oh ja, das werde ich. Auch wenn der Oberst mich belogen hat. Ich weiß immerhin was ich will!"
Zu ihren Füßen vernähte Berta Müller das letzte Stück des Fadens und sah mit grauen Augen zu ihr auf.


Verstrichene Schlagzeilen


Jeder kam mal an die Reihe. Das war sicher. Also warum nicht gleich todesmutig vortreten und sich freiwillig melden? Dieser, oder vielleicht ein ähnlicher Gedankengang, hatte Thask Verschoor dazu angestiftet, die Schicht mit Ilona zu tauschen. Was machte es für ihn denn schon für einen Unterschied, ob er heute oder morgen durch andere Straßen der Stadt zog, um seinem Dschob nachzugehen? Die R.U.M.-Kollegin dagegen hatte, wegen dringender persönlicher Angelegenheiten, um einen freien Tag ersucht.
Ein weiterer Passant vergrößerte schlagartig den Abstand zu dem angeblichen Lumpensammler. Thask dachte einen langen Moment darüber nach, ob das an seinen üblichen Ausdünstungen liegen mochte. Der Moment wurde noch etwas länger. Dann kam der dünne Zombie jedoch zu dem Schluss, dass es dieses Mal wahrscheinlich eher an dem zweirädrigen Holzkarren lag, den er mühsam vor sich her schob. Auf diesem türmten sich ausgeblichene Stofffetzen und ungeschickt gestapeltes Altpapier. Nach einem weiteren lang gezogenen Gedanken entschied der bleiche Wagenlenker, dass die Farblosigkeit der Kleider jedenfalls nicht daher rühren konnte, dass sie verwaschen gewesen wären.
Er blickte wieder auf und erkannte vor sich das Haus, zu dem die Route als nächstes führte. Die Anweisung lautete hier, einmal den Block umrunden und nach Kram auf dem Straßenpflaster Ausschau halten.
Auf der Rückseite des Gebäudes angekommen sah er schon von Weitem, dass dort, direkt neben der kleinen Tür in der Außenmauer des Anwesens, durch die die Mülltonnen entsorgt werden mussten, ein undefinierbarer Haufen lag. Er war nicht groß aber wenn man auf so etwas achtete, ja darauf wartete, wirkte er regelrecht provokativ.
Verschoor schob den Karren rumpelnd über die holprigen Pflastersteine, bis er neben dem Häufchen zum Stehen kam. Er sah auf eine zerfledderte Times-Ausgabe hinab. Der Zombie bückte sich und griff nach den verteilten Seiten. Er faltete sie notdürftig zusammen und stopfte sie ohne großes Aufhebens zwischen das übrige Altpapier auf seinem Karren. Dann stemmte er sich wieder gegen die Stangen und brachte den Wagen mit einem kräftigen Ruck zum Anfahren.
Thask sah sich weiterhin aufmerksam um, ob er noch etwas fände, was vielleicht als Nachricht aufzufassen wäre. Dabei tat er einen Schritt nach dem anderen und gelangte schließlich an einen ruhigeren Flecken, der einige Straßen weiter und somit außer Sicht eventueller Beobachter liegen sollte. Nervös entfaltete er die aufgelesene Zeitung und brachte ihre einzelnen Seiten in die richtige Reihenfolge. Die erwartete Nachricht fand er nicht.
Hielt er nun einen Hinweis der Verdeckten Ermittlerin in den Händen oder war der Fundort lediglich auf einen unbedeutenden Zufall zurückzuführen? Hatte er vielleicht etwas übersehen?
Der Kontakter zuckte die Schultern und entschloss sich, dieses Rätsel auf der Wache zu ergründen.

~~~~~


Die Uhren der Stadt hatten soeben alle nacheinander die Mittagszeit eingeläutet. Der Stumme Tom schloss mit bleierner Stille den Reigen ab. Die beiden Männer tasteten synchron nach den Ohren, um das nachhallende Summen abzuschütteln. Der untote Kontakter deutete, um dem Werwolf seine Rückschlüsse zu verdeutlichen, auf verschiedene Stellen in der aufgeschlagenen Zeitung.
"Jedenfalls dachte ich miiir, dass es bei einer aktuellen Ausgaaabe vielleicht ein Zufall gewesen wäääre aber nicht bei einer so alten. Diese wurde bestimmt eine Zeitlaaang, neben einem Ooofen oder Herd aufgehoooben. Hätte sie lange dort auf der Straße gelegen, dann wäre sie schon durchweicht geweeesen."
Der stellvertretende Abteilungsleiter nickte. Sein empfindlicher Geruchssinn war durch Mitwirkung einer rettenden Wäscheklammer ausgeschaltet worden. Glücklicherweise empfand der Zombie dieses Verhalten seiner Kollegen nicht als Beleidigung. Er fuhr fort:
"Ich suchte also nach etwas, das nicht hinein gehörte. Es hat eine Weile gedauert, bis ich auf die Schmiiierer gekommen bin. Die flüchtigen Kooohlemarkierungen hier. Die wirken doch zufällig, nicht wahr? Hier, siiiehst Du? Dort und dort. Die Markierungen, die zur Nachricht gehööören, beginnen erst auf der zweiten Seite der Zeitung. Die davooor sind sozusagen echt."
Romulus von Grauhaar neigte sich vor, um eines der geschwärzten Worte zu entziffern und näselte: "Also bei dem 'ier kann ich nicht mehr erkennen, was darunter gestanden 'at."
Thask lächelte und legte eine zweite Times-Ausgabe mit gleichem Datum daneben. "Die habe ich mir besorgt, als ich an dem gleichen Punkt angekommen waaar. Ich habe alle Worte rausgesuuucht, die von Kooohlestrichen markiert wurden. Dabei ist Folgendes herausgekommen."
Er überreichte einen von ihm selbst geschriebenen Notizzettel.

"Gerücht der Näherin bewahrheitet verbotene Einfuhr von Näherin zwei im Haus von Oberst geliefert Borogravien Herkunft"



Der geheime See


Der Tag hatte früh begonnen, im Hause Karakost. Schon lange vor dem Morgengrauen lag das Gesindehaus verlassen im Dunkel, während in Haupthaus und Stall reges Treiben herrschte. Lampen und Kerzen mussten aufgefüllt, die Nachttöpfe ausgeleert und die kleinen Öfen angefeuert werden. Und natürlich konnte man die Hühner und Tauben nicht Hungern lassen. Wenigstens um die Pferde und die Hunde kümmerten sich die Männer.
Kaum blieb genug Zeit, heißen Tee und ein Brot hinunter zu schlingen, als sowohl die Mamsell, wie auch die Köchin mit dem rigorosen Verteilen der Aufgaben unter ihre Unterstellten begannen. Aggressivität und Niedergeschlagenheit ob der kaum zu bewältigenden Arbeit machten sich breit.
Die junge Aushilfe hatte sich bereits gut eingearbeitet. Auch wenn sie oftmals zu langsam war. Dieses Manko machte sie jedoch mit Ausdauer wieder wett und damit, bisher zu keiner Anweisung Widerworte gegeben zu haben. Ein für sie sicherlich kräftezehrendes Verhalten, da beide starken Frauen sie auf diese Weise für ihren jeweiligen Arbeitsbereich beanspruchten.
Entsprechend sah auch Bertas Tagesablauf aus: Peter hatte sie mit dem Karren 'in die Stadt' gefahren, damit alle Einkäufe hintereinander getätigt werden konnten. Sie war auf dem Markt gewesen, hatte Lebensmittelvorräte aufgefüllt und den geänderten Anzug des Hausherrn vom Schneider abgeholt. Das Haus sollte für den Abend mit frischen Blumen geschmückt werden, weswegen sie den am Vortag georderten Auftrag beim Händler abholte. Bei den Alchimisten fragte sie wegen des für Mitternacht bestellten Feuerwerks nach, ob die Vorbereitungen dazu planmäßig abliefen. Herr Karakost legte offenbar großen Wert darauf, die wenigen Gäste zu beeindrucken.
Bei ihrer Rückkehr wurde sie mit messerscharfen Beschimpfungen seitens der Mamsell begrüßt. Peter half ihr noch beim Ausladen und Berta bemühte sich ernsthaft darum, die unfairen Worte der Mamsell an sich abprallen zu lassen. Dennoch, das gemeinsame Essen des Personals um die Mittagszeit wurde ihr versagt, da sich aufgrund ihrer "Trödelei" bereits Arbeit angesammelt habe.
Der Nachmittag verging wie im Fluge. Für das Feuerwerk sollte Berta das Flachdach gemütlicher herrichten und dazu musste sie Sitzmöbel, kleine Tische, Kerzen und Fackeln herauf tragen, sowie in den angrenzenden Gemüsebeeten das Unkraut jäten. Eine Gelegenheit, sich dabei den Schuppen mit dem Signalturm auf der einen Seite des Daches genauer anzuschauen, fand sie nicht.
Es wurde allmählich dunkel und sie war mehr als sonst erschöpft. Ein anhaltendes Schwächegefühl ließ immer mal wieder ihre Beine zittern, während sich die fehlende Mahlzeit mit bohrendem Hunger bemerkbar machte. Doch noch würde es viele lange Stunden dauern, bis sie sich zu Bett begeben durfte.

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Elli Treuhand stemmte sich beide Hände in den Rücken und bog diesen etwas durch, in dem Bemühen, die verkrampften Muskeln etwas zu lockern. Die Küche war vom üblichen Radau erfüllt. Marian wurde an der Spüle von Berta unterstützt. In den oberen Etagen bereiteten sich die Herrschaften allmählich auf das Abendessen vor, was hier unten zu einem straffen Ablauf führte. Aber der Zeitdruck wäre erträglich gewesen, wenn die Steinbruch nicht alle Nase lang runtergekommen wäre, um zusätzlichen Stress zu machen. Sie konnte die Mamsell noch nie leiden.
Die Seitentür rechterhand des großen Küchenraumes, die neben der Spüle in einen hinteren Bereich führte, öffnete sich und 'Haken' und Gregor kamen herausgeschlurft. Beide wirkten erschöpft und waren über und über mit Kohlestaub bedeckt, der an ihren verschwitzten Gesichtern und Armen festklebte. An ihnen haftete zudem der herbe Geruch von Drachemodem. Sie gossen sich auf dem Beistelltisch große Becher mit Wasser voll und kippten diese ohne Luft zu holen ihre Kehlen hinunter.
Elli mochte die Jungs. Klar, sie waren manchmal etwas ruppig aber sie waren trotzdem so etwas wie kleine Jungs, um die sie sich gerne kümmerte. "Und? Kommt ihr gut voran? Laufen die Viecher?"
Die Männer nickten wortkarg und gossen sich die Gläser ein weiteres Mal randvoll. Gregor wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und hinterließ dabei einen neuerlichen Schmutzstreifen quer über seine Wange. "Haben Glück. Bis jetzt noch keiner kritisch. Vielleicht läuft ja ausnahmsweise mal alles wie geschmiert. Schön wär's ja."
Vom Vorraum her waren Schritte zu hören und die Männer verschwanden schnell zurück in den abgesperrten Raum und schlossen die Türe wieder hinter sich.
Mamsell von und zu Steinbruch schritt in ihrem gestärkten Kostüm mit dem strengen, hohen Kragen in den Raum und deutete mit beinahe anklagendem Finger auf die Spüle beziehungsweise auf die beiden Mädchen dort: "Berta!"
Die Aushilfe wandte sich ihr, mit einem Geschirrtuch und einem Teller in den Händen, zu. "Ja, Madame?"
Die Mamsell zog ihren rechten Zeigefinger gleich einer Kralle zu sich heran. "Mitkommen! Trine benötigt oben Unterstützung beim Servieren."
Die Köchin stapfte erbost auf die Vorgesetzte zu. "Wir brauchen sie hier unten aber schon zur Unterstützung!"
Steffania lächelte sie aus einem vertrockneten Mundwinkel an. "Keine Sorge, Du bekommst sie ja gleich zurück. Meine Güte, man könnte meinen, Du würdest allmählich alt und langsam, so dass Du deine Aufgaben nicht mehr bewältigen kannst?" Und schon zog sie die braunhaarige Aushilfe hinter sich her.
Elli rief frustriert hinterher: "Uns fehlt ja auch eine Person, falls Du es vergessen haben solltest!"
Steffania blieb nur kurz stehen um einen bitteren Blick zurück zu werfen: "Uns dort oben auch, Elli, uns auch. Nur, falls Du das vergessen haben solltest!"

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Als Berta Müller im Anschluss an das Aufwarten und das Geschirr abräumen aus dem Esszimmer zurückkam, wechselte der Wächter Kasimir gerade den Laufburschen bei der zehrenden Arbeit in dem Raum hinter der Küche ab. Die Aushilfe blickte Gregor neugierig nach, als dieser sich streckend, ansonsten aber überraschend desinteressiert, an ihr vorüber ging. "Falls jemand mich braucht... ich bin die nächste halbe Stunde drüben im Gesinderaum und säge Holz auf der Bank."
Elli nickte. "Geht klar, Gregor. Willst Du noch ein Stück kalten Braten mit rüber nehmen?" Sie reichte ihm einen Teller mit Köstlichkeiten vom Abendessen und einen Krug, bis zum Rand mit Winkels Besonderem Alten gefüllt.
Er grinste sie dankbar an. "Da sag' ich doch nicht nein."
Die 'Klopfer' fand schnell wieder zu ihrem gewohnt harschen Tonfall zurück. "Gut, dass Du wieder hier bist, Berta. Dort, das Tablett soll runter an die Kellertreppe. Da stellst Du es auf dem Wägelchen an der Wand ab. Trine bringt es dann zu den Herrschaften. Und trödel nicht. Ich hab' hier noch genug andere Sachen für Dich."
Als das blasse Mädchen kurz darauf wieder die Küche betrat, erhaschte die Köchin einen zufälligen Blick auf sie und runzelte innerlich die Stirn.
"Berta! Setz Dich kurz und trink etwas! Du siehst aus wie 'ne wandelnde Leiche. Wenn Du mir hier umkippst, hab ich auch nichts davon."
Die zierliche Aushilfe wollte widersprechen, dann jedoch überlegte sie es sich anders und nahm dankbar auf dem Stuhl zwischen Arbeitsfläche und Türrahmen Platz.
Elli stellte ihr kurz entschlossen ebenfalls einen Teller vor die Nase, wenn auch in abgespeckter Fassung. Sie dachte daran, dass die Mamsell dem Kind ja heute eine Pause untersagt hatte und das arme Gör schon den ganzen Tag ohne was im Magen schuftete. Und wenn sich ihr hier so ganz nebenbei die Möglichkeit bot, es dem alten Drachen mit etwas Mildtätigkeit heimzuzahlen, dann umso besser! Eine Scheibe trocken Brot und eine Scheibe Schinken bewirkten manchmal Wunder.
Elli reinigte die Arbeitsfläche und beobachtete dabei mit Zufriedenheit aus dem Augenwinkel heraus, wie Brot und Fleisch mit offensichtlichem Hunger verzehrt wurden. Sie stäubte die blank geschrubbte Holzfläche mit hellem Mehl ein und begann mittig einen großen Haufen Mehl mit anderen Zutaten zu vermengen. Berta sah ihr dabei zu.
"Madame?"
"Was ist, Kind?"
"Die Männer sahen auch sehr erschöpft aus und ich habe sie noch nie so verrußt gesehen. Was heizen sie denn dort hinter der Tür ein?"
Marian hielt beim Spülen kurz inne und die Köchin setzte beide Pranken neben dem Mehlberg auf. Sie betrachtete einen Moment lang das arglose, wenn auch etwas neugierige Gesichtchen vor sich. Dann gab sie sich einen Ruck und tat, als sei nichts gewesen.
"Den See."
Berta Müller blickte verwirrt von einer zur anderen. "Den See?"
"Ja, den See. Wir wohnen in einem verwunschenen Schloss und wenn Pelle dreimal bellt wirst Du deinen linken Schuh verlieren und als tote Prinzessin die nächste Treppe hinaufstolpern! Meine Güte, stelle gefälligst nicht so viele Fragen zu Zeugs, das Dich nicht zu interessieren hat, sondern iss lieber schleunigst auf, ehe ich es mir anders überlege und mich besinne. Du kannst hier nämlich gleich mit dem Teig weitermachen und das Brot für morgen vorbereiten."
Marian klapperte wieder munter in der Spüle herum und polterte und rumorte mit dem Geschirr, während die Aushilfe sich mit der kurzen Mahlzeit beeilte und dann schnell für die Köchin einsprang.
Sie war soeben dabei, die runden Laibe mit den Schiebern weit hinten in den großen Ofen zu schubsen, als der Laufbursche mit trägen Bewegungen zurück kam und hinter der hinteren Küchentür verschwand.
Berta warf etwas zusätzliche Kohle in die Feuerklappe des Herdes, als der Stallknecht aus dem Heizraum auftauchte und sich erst einmal einen ordentlichen Krug vom bereitgestellten Bier gönnte. Er ließ sich auf den Stuhl plumpsen und Berta stellte ihm sein wohlverdientes Abendessen vor. 'Haken' war absolut nicht redselig und so schwiegen sie beide, während Berta die letzten Arbeitsutensilien forträumte und die Flächen abwischte.
Marians helle Stimme schreckte sie dabei auf. "Berta, ich nehme mir eine Kleinigkeit zu essen mit rüber. Der letzte Schwung Abwasch dürfte etwa in zwei Stunden anfallen, wenn sie endgültig Schluss machen für heute. Machst Du hier im Haus den Rundgang? Dann mache ich ihn gleich drüben."
Berta blickte überrascht auf. "Ist es denn schon so spät? Ob wir auch ein wenig vom Feuerwerk anschauen dürfen?"
Die Spülmagd lachte herzlich auf. "Vom Feuerwerk? Berta, Du bist lustig! Das ist doch schon längst vorbei."
Die Aushilfe blickte enttäuscht drein. "Oh, das ist ja schade." Sie lächelte etwas verkrampft, wobei sie ihre Oberlippe auf diese abscheuliche Art bis unter die Nase hochzog. "Na ja, wahrscheinlich hätte ich eh' nicht gucken dürfen."
Marian schüttelte lachend ihr gekräuseltes Engelshaar unter der Spülhaube. "Als wenn die Mamsell oder die Klopfer uns das gestattet hätten."
Berta konnte dem nicht widersprechen. "Dann geht es heute ja richtig lange. In zwei Stunden erst Schluss, sagst Du?"
Die Spülmagd legte ihre Mütze ab und strich sich das krause, dünne Haar aus der Stirn und fasst es kurz im Nacken zusammen. "In etwa jedenfalls, wenn es so läuft, wie die vorigen Male. Ich könnte natürlich auch morgen ganz früh abspülen aber ich werd jetzt eh' noch auf bleiben und meine Sachen stopfen, von daher..."
Berta nickte kurz. "Dann lohnt es sich natürlich, das heute noch zu machen, anstatt sich das morgen zusätzlich aufzubürden. Und, natürlich mache ich gleich den Rundgang und drehe die Lampen runter."
Marian schlang ihr Schultertuch um sich und nahm sich eine Kerze im Halter mit. "Vergiss auch nicht, die Fenster zu kontrollieren! Gute Nacht! Und auch Dir, Peter!"
Der Stallknecht brummte nur etwas Unverständliches zur Antwort, während er sich völlig auf den Boden seines Bierkruges konzentrierte.


Die quirmianische Lieferung


Der Morgendämmerung gelang es nicht, in die muffige Düsternis der Gesindestube vorzudringen. Der kurze Kerzenstummel auf dem Tisch in der Ecke verbreitete nur mühsam und mit unstetem Flackern etwas Licht. Dem Wächter dieses Anwesens war das allerdings ebenso recht, wie offenbar den übrigen drei Personen, die gemeinsam mit ihm schweigend ihre Morgenmahlzeit einnahmen. Kasimir Blond bemerkte aus den Augenwinkeln die angespannte Haltung seines Kollegen. Er war nicht sonderlich überrascht, als dieser scheinbar aus heiterem Himmel seine Frühstücksstulle mit heftigem Widerwillen auf den Teller warf, dass die Fleischscheiben von ihr absprangen.
"Es ist zum Kotzen!" Gregor verschränkte seine Arme über der offenen Weste. 'Haken' und die Neue beachteten ihn nicht weiter. Sie waren ebenso wie 'Schlitzer' schon mit den morgendlichen Anfällen des Laufburschen vertraut. Gregor hieb mit seiner Faust neben den Teller. "Ich halt das nicht mehr aus! Jeden Morgen diesen unerträglichen Gestank! Wie soll man denn da was runter bekommen, wenn es ständig nach Jauche stinkt!"
'Haken' biss wie zur Antwort herzhaft von seinem Brot ab und die Müller versenkte ihren Blick im Wasserbecher.
Gerade als Gregor so richtig loslegen wollte, ging die Tür der Gesindestube auf und vom Innenhof her trat die Steinbruch ein. Ihr gekrauster Stehkragen lag wie immer ebenso akkurat an ihrem Hals an, wie die langen Knopfleisten an ihren Armen. Die vier Bediensteten sahen auf.
"Guten Morgen, Mamsell von und zu Steinbruch."
Die alte Dame nickte der Aushilfe mit verkniffenem Gesichtsausdruck zu. "Guten Morgen!"
Sie legte ihre Hände mit der faltigen, trockenen Haut vor dem Körper zusammen und ließ einen Blick über die kleine Runde der zweiten Frühstücksschicht schweifen, der es an Kälte mit dem dunstigen Morgengrauen vor der Tür aufnehmen konnte. 'Schlitzer' war froh, dass es heute nicht ihn traf. "Haken?"
Der Stallknecht legte seine Stulle auf dem Teller ab. "Ja, Madam?"
Die Mamsell fixierte ihn mit ihren Augen und schloss somit jeden anderen Anwesenden von dem Gespräch aus. 'Schlitzer' hatte allerdings in seinem Bemühen, möglichst wenig Streit mit der Alten anzufangen frühzeitig gelernt, dass das noch lange keinen Freifahrtschein dazu darstellte, dass er mit seiner Mahlzeit fortfahren konnte.
"Ich erwarte von Dir, dass Du gegen 11 Uhr mit dem Wichtigsten fertig sein und Dich um die eintreffende Wasserlieferung kümmern wirst. Zur Not soll Gregor Dir zur Hand gehen."
Der emotionslos wirkende Stallknecht nickte nur zur Antwort. Gregor dagegen runzelte die Stirn. Er wusste nur allzu deutlich darum, wie schwer die Arbeit mit den Fässern jedes Mal war.
Die alte Dame feuerte einen stählernen Blick in Richtung des Anwesenwächters ab. "Und dass dieses Mal die Hunde niemandem in die Quere kommen, ist das klar?"
'Schlitzer' umfasste das scharfe Messer fester, als er ihren unverschämt befehlenden Tonfall hörte. Die Hunde waren seine Sache, die gingen die Alte nichts an. Und welchen Freiraum er ihnen gab, das bestimmte noch immer er und kein herrschsüchtiger Hausdrachen.
Das trockene Klatschen der dürren Hände Steffania von und zu Steinbruchs klang unnatürlich laut in dem niedrigen Raum, als diese unmissverständlich um Eile bat.
"Auf, auf! Ihr werdet ja wohl nicht den ganzen Morgen mit Essen vertrödeln wollen? Berta, ich erwarte Dich gleich in meinem Zimmer zur heutigen Arbeitseinteilung."
"Ja, Madam."
'Schlitzer' atmete gezwungen ruhig wieder aus. Nicht über die Olle aufregen. Es lohnte gar nicht die Mühe, die dazu nötig war. Zumal er immer noch sein eigener Herr war in diesem Hause. Zumindest, solange Karakost sich nicht in seine Arbeit einmischte.
Der Wächter und Hundebetreuer hieb mit seinem Messer zu und spießte dabei eine der heruntergeflogenen Wurstscheiben Gregors vom Tisch auf. Das leichte Zusammenzucken der Neuen ihm gegenüber war dabei die reinste Wohltat für sein angekratztes Gemüt.

~~~~~


Die blasse Morgensonne leuchtete verhalten durch den Morgendunst unzähliger Schornsteine hindurch. Er war vor einer Weile vom Markt zurückgekommen und soeben dabei, zusätzlich zum Frischfleisch noch die kräftigende Körnermischung für seine Lieblinge vorzubereiten, als sachte Schritte auf dem frisch geharkten Kies zu hören waren. 'Schlitzer' blickte auf und sah Karakos vom Haupthaus her auf sich zukommen. Er hielt in seiner Arbeit inne und richtete sich auf.
"Kasimir", begann Karakost, "Ich muss mit Dir reden."
Die schmalen, leicht schräg stehenden Augen des jungen Hausherrn wirkten völlig fehl am Platze, wie 'Schlitzer' fand. Der Kerl hatte ebenso wenig Achatisches an sich, wie Kasimir Borogravisches. Zumindest äußerlich.
Siegbert Karakost stand aufrecht und gelassen vor ihm, wie es nur jemand fertig brachte, der sich seiner Autorität völlig sicher ist. Selbst die albernen weißen Rüschen, die sein Revers und die Handgelenke schmückten, taten dem keinen Abbruch. Das hatte aber mehr mit ihrem geteilten Wissen zu tun, als mit der Wirkung der Aufmachung. Der Hausherr lächelte.
"Das Wichtigste natürlich zuerst. Wie geht es den Hunden?"
Obwohl diese Einleitung einen offensichtlichen Versuch der Beschwichtigung seiner Stimmung darstellte, nahm Kasimir Blond sich die Zeit zu einer ausformulierten Antwort. Sein Arbeitgeber mochte zwar ein begabter Lackaffe sein aber er war eben auch durchaus dazu in der Lage, gute Tiere zu erkennen und ihren Wert zu schätzen. Zudem stellte er hohe Ansprüche, was die Verteidigung seines Anwesens in dieser Verruchten Stadt anging.
"Es geht beiden ausgezeichnet, Herr. Pelle ist zwar etwas aufgeregt aber Dago lässt sich davon überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Ich bin gerade dabei, ihr Fressen vorzubereiten."
"Aufgeregt? Weswegen?" Die schmalen Augen wurden zu misstrauischen Schlitzen.
"Nichts Besonderes. Die Neue musste ein paar Mal zwischen den Häusern wechseln und irgendwie kann er sie nicht ausstehen. Das macht ihn etwas, tja, aufgeregt."
Karakost blickte nachdenklich auf die beiden engen Zwinger mit den aufmerksam schauenden Hunden. Dann blickte er mindestens ebenso nachdenklich auf seinen Leibwächter. Ein verschmitztes Grinsen breitete sich über sein markantes Gesicht aus.
"Nun gut. Wenn Du das als bedeutungslos abtust, so werde ich mich deiner Einschätzung anschließen. Ich bin allerdings wegen einer anderen Sache hier. Es geht um die heutige Wasserlieferung. Mamsell von und zu Steinbruch hat mich darauf hingewiesen, dass es allein deine Schuld war, dass wir den Lieferanten nach dem letzten Zwischenfall wechseln mussten. Und sie betonte, dass sie keinesfalls irgendeine Garantie dafür übernehmen könne, dass dies zu ähnlich günstigen Konditionen ein weiteres Mal möglich sei, so Du deine Kleinen heute nicht besser im Griff haben solltest."
Kasimir spürte, wie sein Unterkiefer über die Kanten des Oberkiefers zu knirschen begann und seine Halsmuskulatur sich spannte.
Wieder lächelte Karakost, wobei sein Blick belustigt über die zuckenden Muskelstränge des Stiernackens ihm gegenüber fuhr. "Du wirst daher sicherlich Verständnis dafür haben, wenn ich Dich heute darum bitte, die Hunde erst nach der Lieferung aus den Käfigen zu lassen. Es sind nur einige Stunden, die Dir zudem die Möglichkeit geben, deinen ganz eigenen Sinn für Gefahr wieder etwas zu schärfen." Er wandte sich zum Gehen, ohne auf eine Erwiderung zu warten. Dann jedoch stoppte er noch einmal und wandte sich kurz mit süffisantem Lächeln um. "Dazu gehört vielleicht auch zu wissen, in wessen Gegenwart es unklug ist, mit einem Messer zu spielen. Vor allem Frauen mögen das so gar nicht, habe ich mir sagen lassen."
'Schlitzer' merkte, wie sich die Narben über seinem linken Auge und seiner rechten Wange bedrohlich zu spannen begannen. Diese Hexe!

~~~~~


"Schon gut, Dago, schon gut. Beruhige Dich, Dicker." Natürlich war an dem schwarzen Rüden absolut nichts übergewichtig. Im Gegenteil, war er doch Kasimirs ganzer Stolz, mit seinem schimmernden Fell und seiner stolzen Haltung. Man hätte ihn durchaus mit einem reinrassigen Lippwitzer verwechseln können.
Hinter der Hausecke, dort wo sich das Eingangstor befand und gegenüber dem Tor, im Innenraum des Anwesens, dem Eingang zum Stall also, erklang das typische Poltern von Fässern, die über hölzerne Laderampen rollten.
Die beiden Hunde liefen hektisch in ihren Käfigen auf und ab, immer darum bemüht, irgendetwas von dem, was da hinter der Hausecke vor sich ging zu sehen, um, wenn nötig, Alarm schlagen zu können. Wobei es vielleicht nicht verkehrt war, sowieso Alarm zu schlagen. Bei all den fremden Stimmen!
"Pelle, aus! Hast Du nicht gehört? Aus!" Kasimir konnte mit seinen Lieblingen mitfühlen. Es war so ungerecht, dass sie ihren Daseinszweck nicht erfüllen und den Eindringlingen wenigstens ein Bein oder so abbeißen durften.
"Dago, jetzt reicht es aber. Sitz!" Beide Hunde setzten sich prompt nieder, waren aber zu aufgeregt, um den Hintern auch stillzuhalten. Ihre schlanken Vorderpfoten tapsten vor ihnen hin und her, als wenn sie Teig kneten wollten. Ihr herzerweichendes Winseln macht ihn fast schwach.
"Keine Sorge, es ist alles in Ordnung. Ich gehe selber schnell nachsehen und bin dann gleich wieder bei euch beiden, ja?"
Er ballte die kräftigen Hände zu Fäusten und stapfte mit gerunzelter Stirn zum Haupttor. Das Poltern ging weiter, als ein Fass nach dem anderen vom Wagen gerollt und vor dem geschlossenen Stall abgestellt wurde. Unzählige Schritte liefen auf dem Kies hin und her und ließen ihn knirschen. Es waren mindestens drei Stimmen zu hören. Kasimir bog um die Ecke und sah zwischen den Holzfässern zwei Lieferanten stehen, die in quirmianisch auf die Mamsell einredeten, die ihrerseits in der selben Sprache antwortete und dazu mit verkniffenem Gesichtsausdruck auf eines der Fässer deutete, dessen Holzverfärbung deutlich von einer längeren Lagerung kündete. Hinter der älteren Dame sprachen sich soeben 'Haken' und Gregor ab, woraufhin der große Stallknecht die kleine Innenhoftür des Haupthauses ansteuerte. Die sich im gleichen Moment öffnete. Die Neue kam mit einem schweren Korb heraus und hielt 'Haken' die Tür auf. Sie passierte die diskutierende Mamsell, als diese sich gerade mit zufriedenem Gesichtsausdruck eine Kladde zum Unterschreiben reichen ließ.
Er konnte die Mamsell nicht ausstehen. Er würde sich an ihr dafür rächen, dass sie es gewagt hatte, ihn beim Hausherrn anzuschwärzen und seinen Lieblingen Grenzen aufzuerlegen. Vielleicht sollte er ihren Teller mit etwas von dem Rattengift behandeln, das sie im Gesindehaus einlagerten.
Die Aushilfe mit dem Henkelkorb ging an ihm vorüber, wobei sie den Abstand zwischen ihnen beiden unmerklich vergrößerte. Als sie sich dem Gesindehaus und damit auch den Zwingern näherte, begann das Hundekläffen hinter ihm von Neuem. Erst rollte Kasimir mit den Augen. Dann aber musste er grinsen. Seine Lieblinge teilten eben seinen Geschmack.


Dunkles Tor


Der beleibte Kontakter zog seinen Umhang wieder etwas weiter nach vorn, damit ihn der Kordelverschluss nicht erdrosselte. Wenn dieses dumme Band am Hals ihn nicht immer wieder würgen würde, hätte er sich ganz wie in alten Zeiten gefühlt. Der große Hut hatte etwas beruhigendes an sich und das magische Prickeln seines Zauberstabes wärmte ihm die klammen Finger besser, als jeder Handschuh. Ach, das waren noch Zeiten gewesen, als er jünger gewesen war und gemeinsam mit anderen Studenten den Markt besucht hatte um... nun ja, eigentlich war er meistens alleine hierher gekommen. Wie die Anderen auch. Immerhin waren sie nicht umsonst Zauberer. Das schloss Verbrüderung schon von der Natur der Sache her fast aus.
Pyronekdan seufzte bei diesen Erinnerungen. Immerhin hatte er nun ein ständiges Zimmer im Universitätskomplex. Das war ja auch schon viel Wert.
Er sah sich wieder unauffällig um und beschloss, dass nun ein günstiger Zeitpunkt gekommen sei, um die dralle Verkäuferin auf neue Nachrichten anzusprechen. Er räusperte sich in dem festen Wissen, dass nicht mehr als zwei oder drei Leute in der direkten Nähe standen.
"Gute Frau, ich hätte gerne etwas besonders Gutes aus deinem Sortiment. Es sollte möglichst neu sein, darf aber nicht zu viel kosten."
Weder er selber sah dabei ein Stück der Auslage an, noch tat dies die vollbusige Dame hinter dem Stand, als sie ihm rundheraus antwortete: "Ein Zauberer also? Interessant. Kannst Du denn mit deinem Stab auch mehr machen, als ihn nur mit Dir herum tragen, mein Herr?" Ihr spöttischer Blick gab ihm deutlich zu verstehen, was sie von seiner Verkleidung hielt.
Mit hochrotem Kopf erwiderte er, gezwungenermaßen höflich: "Ich versichere Dir, junge Dame, dass ich meines Zeichens ein talentierter Zauberer bin und Du zu Unrecht an meinen Fähigkeiten zweifelst. Ich hoffe, das genügt als Antwort. Und nun... was kannst Du mir empfehlen?"
Die rotwangige Frau beugte sich grinsend über die Waren, was tiefen Einblick in ihre Persönlichkeit gewährte. "Ich könnte Dir so einiges empfehlen."
Der Wächter wandte seinen Blick bewusst ab und holte keuchend Atem. "Könntest Du dich bitte auf deine Arbeit konzentrieren. Ich habe heute noch viel zu tun und keine Zeit, unnötig herumzutrödeln."
Die junge Verkäuferin lachte laut. "Keine Angst, alter Mann. Ich packe Dir zwei knackige, saftige Äpfel ein. Die dürften deinem Geschmack entsprechen."
Erleichtert beobachtete er, wie sie unter dem Tisch nach einer Papiertüte griff und ihm die versprochenen Früchte hineintat. Sie überreichte ihm die Tüte mit einem unverschämten Grinsen, welches sich bei seinem gestammelten Dank und seiner hastigen Suche nach den geforderten Münzen noch vertiefte.
Einige Schritte vom Verkaufsstand entfernt wagte er einen kurzen Blick in die Papiertüte. Wenigstens hatte sich die Peinlichkeit gelohnt. Er brachte eine neuerliche Nachricht aus dem Toten Briefkasten 'Obststand Dunkles Tor' mit nach Hause.
Eigentlich sollte er das ja nicht tun aber er war viel zu neugierig, um mit dem Lesen der Nachricht zu warten, bis er im Wachhaus angekommen wäre. Außerdem konnte er dann ja schon den Hinweg für das Entschlüsseln der codierten Zeichensammlung nutzen. Genau, es ging ihm vor allem um Zeitersparnis und effizientes Arbeiten. Mit ungeschickten Fingern angelte er in der Tüte, bis er den Zettel zu fassen bekam. Er hielt ihn so in der Tüte versteckt, dass er wenigstens erkennen konnte, was da auf dem dünnen Papier stand.
Seine Mundwinkel sanken enttäuscht herab. Die Nachricht war derart offensichtlich in ihrer Aussage, dass ihm nichts daran zu deuten blieb.

"Ich habe nachgefragt aber morgen Mittag, gegen 12 Uhr, spielt kein Theater auch nur irgendein Stück. Vielleicht sollten wir uns doch lieber auf einen Abend einigen. Oder wir gehen stattdessen nächste Woche auf die Rennbahn? Liebe Grüße, O."


Grenzüberschreitung


Die Neue erschien gerade in dem Moment am oberen Treppenabsatz, als Gregor die gegenüberliegende Tür öffnete, um die Gesindebaracke zu betreten. Er schloss sie wieder mit einem verschlagenen Grinsen und lehnte sich abwartend an deren Rahmen an, während er in seiner Westentasche nach einem Zündholz angelte. Gregors Aufmerksamkeit ruhte dabei jedoch ganz auf den schmalen Schnürstiefeln, die bei jedem Schritt hinab zum Erdgeschoss unter den nicht mehr ganz so sauberen, weißen Rocksäumen hervorblitzten. Was für stramme Waden unter diesen vielen, unnützen Lagen Stoff stecken mussten!
Er fand, wonach er gesucht hatte und riss das Hölzchen mit einem zischendem Aufflammen an. Der hüpfende Feuerschein flackerte im Halbdunkel über sein hageres Gesicht und brachte dunkle Pupillen zum Glühen.
Die Aushilfe hielt auf der engen, knarzenden Stiege eine Sekunde lang inne. Sie bedachte ihn mit einem unsicheren Blick, brachte dann aber doch die übrigen Stufen hinter sich. Den flachen Weidenkorb mit den frisch gepflückten Kräutern stellte sie auf dem Gesindetisch ab, die Spindel mit dem dünnen Garn legte sie in den Schrank zurück.
Gregor ließ langsam und genüsslich seinen Blick über sie schweifen, während kräuselnder Rauch seinem Mundwinkel entstieg.
"Die Gelegenheit wäre günstig, meine Schöne."
Sie wich seinem Blick aus und ging zur Waschschüssel hinüber. Sie goss etwas Wasser aus dem Krug ein und begann, die erdigen Reste und Spuren der Kräuter von ihren Händen abzuspülen.
Er grinste zufrieden und stieß sich vom Türrahmen ab, um lässig zu ihr hinüber zu schlendern. Seine Stimme, ebenso überheblich wie samtig, war außer dem leisen Plätschern der Waschschüssel das einzige Geräusch; sie füllte den Raum zwischen ihnen aus, als er näher aufschloss.
"Bella Berta!", säuselte er. "Warum zierst Du dich so?"
Sie griff hastig zum Trockentuch und strich sich die Haare wieder ordentlich unter das Spitzenhäubchen zurück, während sie sich hektisch umdrehte, um an ihm vorbei zu eilen. Sie prallte jedoch sofort wieder erschrocken zurück.
Gregor hatte Ihr Ausweichen allmählich satt und war ihr dieses Mal mit einem kurzen Sprint zuvor gekommen. "Nein, dieses Mal nicht, mein Schatz!"
Die Neue konnte weder vor, in seine Arme, noch zurück, wo das Bord mit der Kante in ihren Rücken stieß. Sie stützte sich mit beiden Händen auf der Ablagefläche ab und bog ihren Rücken leicht zurück, einen Ausdruck in den weit aufgerissenen Augen, der ihm zusagte. Er beugte sich näher an sie heran und umschloss den kleinen Bereich mit seiner Präsenz, indem er seine Hände auf die ihren legte.
Ihre Stimme klang verunsichert, jedoch schwang auch eine gewisse Portion Verärgerung mit, als sie sich seinem Zugriff zu entwinden versuchte: "Gregor, lass das gefälligst! Ich muss..."
Er hatte die Augen geschlossen, um ihren würzigen Duft zu inhalieren. Nun schnitt er ihr lächelnd das Wort ab: "Du musst jetzt gerade gar nichts, meine Süße! Nichts, als mir zuhören." Die einsetzende Dunkelheit des Abends ließ die Schatten im Raum erwachen und diese sich ihnen entgegenstrecken. Die Augen des Laufburschen öffneten sich wieder und so etwas wie Gier schimmerte in ihnen, woraufhin die junge Frau schnell seinem Blick auswich und an dem festen Halt zu rütteln begann.
Ihre rechte Hand kam mit einem Mal frei. Jedoch nur deswegen, weil er von sich aus losgelassen hatte, um statt dessen nach ihrem Kinn zu greifen. Er zwang ihren Blick zurück und flüsterte mit nunmehr rauer Stimme: "Diese Augen..."
Berta nutzte die neue Freiheit und stieß ihn mit einem Arm von sich. "Gregor! Ich will nicht! Ich habe Dir das schon hundert Mal gesagt! Also lass mich gefälligst in Frieden! Ich muss zurück ins Haupthaus!"
Das bis dahin überlegene Lächeln verschwand innerhalb eines Wimpernschlages von seinem Gesicht, als wäre dieses eine bemalte Tafel gewesen und ihre Worte hätten einem Schwamm gleich fortgewischt, was bis dato dort geschrieben stand. Seine schmalen, dunklen Brauen senkten sich wie unheilvolle Einschnitte einander entgegen und sein Mund wirkte im Dunkeln hart wie gemeißelter Stein.
"Du willst also wirklich bei deinem lächerlichen Nein bleiben?"
Zur Antwort stemmte sie mit ihrer freien Hand seine Schulter so weit von sich, wie sie es vermochte. Er konnte ihren vor Anstrengung schweren Atem hören, roch sowohl den leichten Duft von Pfefferminze, als auch den Schweiß unter dem groben Tuch des Kleides. Er schob sich näher an sie heran, bis er sich mit seinem ganzen Körper an den ihren drückte. Gierig begannen seine Hände ihren Körper entlang zu gleiten und dabei durch die Stoffschichten zu fühlen.
Berta holte zischend Luft und begann mit den Händen auf seine Schultern, Arme und Brust einzuschlagen, ihn mit aller Kraft von sich zu stoßen und mit den eingezwängten Beinen nachzuschieben, doch es gab kein Entkommen. Ihre Kräfte reichten bei Weitem nicht, um gegen den durchtrainierten männlichen Körper anzukommen.
Er hielt sie fest am Genick gepackt und begrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge, in der festen Absicht, es nicht nur dort zu belassen. Ihr Widerstand ärgerte und erregte ihn gleichermaßen und er spürte, dass er eben erst so richtig in Fahrt kam, als sich ihrem verzweifelten Flüstern, dem Keuchen ihrer beider Lungen und den dumpfen, doch nutzlosen Aufschlägen ihrer kleinen Fäuste das charakteristische Knarren der Tür hinzugesellte.
"Na hier geht es ja heiß her!"
Marians Stimme brachte ihn für einen kurzen Moment aus dem Konzept und er blickte zu dem schwach beleuchteten Viereck der Tür hin, in dem sie sich klein und schemenhaft abzeichnete.
Sein Opfer nutzte diese unachtsame Sekunde sofort und plötzlich stand er, mit stark abgekühltem Gemüt, tropfend im Raum, aus Reflex heraus einen erschrockenen Schritt zurück gesprungen.
Berta Müller blickte ihn aus vor Zorn glühenden Augen an, die geleerte Waschschüssel drohend erhoben. Sie flüsterte bebend: "Wage es nie wieder!"
Erst blickte er sie fassungslos an. Dann sah er ungläubig an sich herab. Und schließlich wandte er sich mit zusammen gekniffenen Augenschlitzen dem leisen Lachen Marians zu.
Berta stellte die Schüssel krachend auf der Ablage hinter sich ab, stürmte mit wehenden Röcken und tiefroten Wangen an ihm vorbei, schnappte sich den Kräuterkorb und verließ die Gesindestube. Marian wandte sich grinsend um und ließ ihn, noch immer tropfend, im Dunkeln stehen.
Er hörte, wie die Spülmagd der Neuen hinterher eilte und diese lachend beglückwünschte. Das letzte, was er von den beiden Frauen hörte, bevor er sich verärgert dem Gang zu seiner Stube zuwandte, waren die Worte: "Übrigens wollte ich Dich gerade holen, weil die Mamsell nach Dir verlangt..."


Handlungsunfähig


Es fiel Steffania schwer, Luft zu holen. Aufrecht auf der Bettkante zu sitzen, schien ihr beinahe unmöglich. Die Tatsache, dass sie ihre Anweisungen im Sitzen erteilen musste, war erniedrigend genug. Es kam jedenfalls auf keinen Fall in Frage, dieses letzte Stück Stolz fortwerfen zu müssen. Ihre knochigen Hände krampften sich um die Bettkante, während sie ächzend nach Luft schnappte. Übelkeit stieg in der Speiseröhre auf, wie heranrasende Gezeiten. Sie griff sich stöhnend an den Hals und zog mit spitzen Fingern an dem engen Stehkragen.
Es klopfte an der Kammertür. "Mamsell? Du hast mich rufen lassen? Ich bin es, Berta."
Steffania von und zu Steinbruch brachte kaum ein Wort heraus. Die Jüngere vor der Tür jedoch musste sie dennoch gehört haben. Sie öffnete die Kammer und trat knicksend ein. Mochte die alte Dame auch noch so hinfällig sein, den unordentlichen Zustand der Neuen nahm sie dennoch wahr. Sie runzelte missbilligend die Stirn, den Blick auf das wie immer zerwühlte Haar geworfen. Nach nunmehr etwas länger als zwei Wochen in diesem Haushalt wäre es angemessen gewesen, wenn das Mädchen sich ernsthaft mit seinem Äußeren auseinandergesetzt hätte.
"Tritt ein!"
Berta Müller schloss die Türe vorsichtig wieder hinter sich und wartete auf Anweisungen.
Irgendwie wirkte sie bei weitem nicht so zurückhaltend und ausgeglichen wie sonst. Irgendwas in ihren Augen funkelte regelrecht mutwillig.
Steffania schüttelte den Kopf. Warum sollte etwas anders als sonst sein? Sie bildete sich schon Dinge ein. Ein schlechtes Zeichen. Sie sollte lieber schnell dieses Gespräch hier hinter sich bringen, bevor sie wegen der Übelkeit nicht mehr an sich würde halten können. Und so eine Schande herauszufordern wäre sträflicher Leichtsinn. Die Arbeit musste getan werden und wenn sie selber für einige Stunden dringend der Erholung bedurfte, so mussten zumindest die erteilten Zuweisungen lückenlos und präzise sein.
Die Mamsell schöpfte Atem und richtete sich mühevoll auf, bis sie den Rücken kerzengrade hielt, dann räusperte sie sich.
"Ich habe Dich rufen lassen, Berta, weil es mir nicht gut geht. Ich muss mich leider einige Stunden zurückziehen. Dann wird es sicherlich auch wieder gehen. Aber bis dahin, muss natürlich trotzdem alles seinen geordneten Gang nehmen."
Die junge Aushilfe beobachtete sie schweigend, nickte jedoch höflich.
Dieses Kind! Eine Schande, dass sie ihr nun mehr, als ursprünglich vorgesehen, anvertrauen musste. Aber zu all dem, was über Tabletttragen oder das Entgegennehmen von Mänteln hinausging, war Trine wahrlich nicht zu gebrauchen. Und der Köchin widerstandslos das Kommando zu überlassen, kam schon mal überhaupt nicht in Frage! Wenigstens war das Mädchen fleißig und nicht auf den Kopf gefallen.
Steffania seufzte schwer. Es fiel ihr alles andere als leicht, Verantwortung zu teilen. Aber für kurz würde es eben gehen müssen.
"Bist Du mit deinen Aufgaben fertig geworden?"
"Ja, Madam."
Die alte Dame schwankte leicht und wurde grünlich im Gesicht. Sie versuchte, den Würgereiz wieder ihren Hals hinunter zu kämpfen, indem sie sich auf Wichtigeres konzentrierte.
"Gut... Dann also zu den Aufgaben des Abends... Du wirst mit Tine zusammen das Eindecken und das Auftragen der Speisen übernehmen. Die Köchin weiß schon Bescheid, das Abendessen wird heute aus vier Gängen bestehen."
Sie griff an ihre Seite und nahm den schmalen Gürtel mit dem schweren Eisenring von der Hüfte ab. Die vielen eisernen Schlüssel klirrten aneinander, woraufhin sie schmerzlich das Gesicht verzog. Nach einem weiteren tiefen Atemzug begann sie, vorsichtig drei große Schlüssel von dem Bund zu trennen. Sie reichte ihr den ersten und zugleich kleinsten von ihnen.
"Zur Mahlzeit reichst Du drei Flaschen Wein. Dies ist der Schlüssel zum Weinvorrat. Die Tür am Ende der Vorratskammer. Öffne eine Flasche nach der anderen und hetze nicht mit dem Einschenken, so dass sie etwas länger reichen."
Die junge Aushilfe nahm den ersten Schlüssel entgegen, woraufhin ihr die Mamsell gleich den zweiten dazu gab. Dieser war lang und tiefschwarz, mit einem mehrfach gekerbten Bart.
"Der hier gehört zu der kleinen Tür in der Küche, neben dem Herd. Da die Herrschaften noch eine Zeit lang zu bleiben gedenken, werden die Männer noch einige Abende mit Einheizen zubringen müssen. Etwas, das ihnen natürlich nicht gefällt. Heute sollten sie außerdem früher beginnen, da die neue Wasserlieferung auch die Restwärme vertrieben haben dürfte. Im Großen und Ganzen wissen sie natürlich längst, was auf sie zukommt. Aber du musst dafür sorgen, dass sie ihre Arbeit ordentlich machen. Ich will keine Beschwerden hören!"
Die Alte auf dem Bett maß die junge Frau mit misstrauischem Blick, legte ihr dann jedoch auch den letzten Schlüssel, einen schweren Metallstab mit beidseitigem Bart und braun gerosteten kleinen Stellen, in die ausgestreckte Hand.
"Und dieser gehört zu der Kellertür am untersten Treppenabsatz. Theoretisch sollte es genügen, wenn Du im Anschluss an die Mahlzeit, wenn der Herr es befiehlt, die Türe aufschließt und dann nur noch dafür sorgst, dass Tine die Herrschaften dort unten mit Getränken und leichtem Gebäck bewirtet. Falls Herr Karakost allerdings nach Dir rufen sollte..."
Sie ließ den Rest des Gedankens unausgesprochen. Ihr Blick sprach Bände: Nicht alles ging auch Jeden etwas an!
Steffania ergänzte ihre Ausführungen mit den Anweisungen für den morgigen Tag und schloss dann mit den Worten: "Und bis dahin werde ich mich ja wohl spätestens soweit erholt haben, dass ich die Fäden wieder selber in die Hand nehmen kann." Sie verzog die tiefen Falten um ihre Mundwinkel und presste warnend heraus: "Und bilde Dir ja nichts darauf ein, dass Du nun mal ausnahmsweise meine Aufgaben und die Schlüssel hast, ich warne Dich! Auch kommst Du gefälligst zu mir, wenn es etwas Wichtiges zu klären gibt, verstanden?"
Die Bedienstete beeilte sich zu knicksen und verzog ihr Gesicht auf diese typisch unansehnliche Art zu einem wohlwollend gemeinten, grotesken Lächeln. "Ich werde alles ganz ordentlich machen, Madam, so wie Du es möchtest."
Berta wirkte wieder ebenso normal, wie sonst auch und Steffania beglückwünschte sich insgeheim dazu, ihren Sinn wieder streng reglementiert und im Griff zu haben. Sie nickte nur kurz.
Da fiel ihr etwas ein, was sie beinahe vergessen hätte.
"Darüber hinaus habe ich Durst. Bringe mir frisch geschöpftes Wasser aus dem Brunnen. Einen ganzen Krug voll. Koche es zuvor ab. Und kümmere Dich selbst darum! Ich... möchte ganz und gar sauberes Wasser trinken... Um sicher zu gehen."
"Ja, Madam."
Die zurückgehaltene Übelkeit brandete mit ungeahnter Wucht über die alte Dame herein, so dass sie der Aushilfe nur noch hastig abwinken konnte. "Nun geh schon! Los! Verschwinde! Und klopfe an, wenn Du wiederkommst!" Sie beugte sich schnell vor und griff nach einer bereitgestellten Schüssel.


Zauberhafte Gesellschaft


Die Gäste begannen ihn bereits zu ermüden. Nicht lediglich an diesem speziellen Abend oder zu dieser Mahlzeit, sondern generell. Er hatte alle Weichen gestellt, um Sirena und Lorelei unauffällig in die richtige Gesellschaft einzuführen und sie so gut wie unsichtbar unterzubringen. Die beiden Paradiesvögel würden erst völlig durchschauen, worum es bei diesem Geschäft ging, wenn sich ihre hübschen Schnäbelchen nicht mehr verplappern konnten. Er lächelte sanft bei diesem Gedanken.
"Karakost, mein Freund, ich sehe, dass auch Dir die zauberhafte Gesellschaft gut tut."
Die penetrant laute Stimme des Oberst ließ ihn jedes Mal innerlich zusammen zucken. Konnte der Mann sich nicht in einer zivilisierten Lautstärke äußern?
Doch Siegbert ließ sich keinen dieser Gedanken anmerken, sondern erwiderte in vertraut sanfter Art: "Wie könnte ich auch nicht, verehrter Oberst?" Er blickte bei seinen Worten viel sagend auf Sirena, die zu seiner Linken saß. Es war schlicht etwas leichter, deren gelassene Blicke zu erwidern, als es mit dem überschäumenden Temperament der Blonden aufzunehmen. Im Grunde empfand er inzwischen sogar seinen Salat als interessanter, als eine von ihnen. Er hatte beider Künste inzwischen kennen gelernt und der Reiz des Neuen war somit verflogen.
Der grobschlächtige Kerl in der militärisch geschnittenen Jacke, der den früheren Zeiten hinterher trauerte, während er zugleich einen der herzlosesten Handel der Scheibenwelt betrieb, ließ es sich geräuschvoll schmecken. Er deutete mit dem öligen Messer zwischen den Damen hin und her und rumpelte undeutlich an einem Fleischstück vorbei: "Ihr fwei Beiden Hübfen könnt Euch schon freuen. Bald wir mein Freund hier Euch auf eine kleine Privatparty mitnehmen..." Er zog bedeutungsvoll grinsend die buschigen Brauen in die Höhe und grinste.
Sirena und Lorelei strahlten Karakost mit gierigen Blicken an und rückten unauffällig noch etwas näher an ihn heran.
Karakost seufzte innerlich und ließ einen scheinbar freundlichen Blick durch den Raum schweifen.
Das Esszimmer war einer der beiden größten Räume im Haus und lag im Erdgeschoss. Es wurde vollständig von einer langen Tafel und den entsprechenden Stühlen gefüllt, wobei rundum ausreichend Bewegungsfreiraum blieb, um sich nicht eingezwängt zu fühlen. Nahe der Tür standen ein Servierwagen mit Ablagefläche, sowie eines der Mädchen.
Er konnte dieses dämliche Gesicht mit den dunklen Tränensäcken nicht ausstehen. Andererseits hatte die Steinbruch deutlich gemacht, dass sie seinen ungewöhnlichen Haushalt nur dann führen würde, wenn er sie samt der beschränkten Tochter in den Hausstand aufnahm. Zumindest kostete das hässliche Gör ihn außer einiger Verpflegungsrationen nichts.
Siegbert Karakost widmete sich widerstrebend der Abendgesellschaft. Er wandte sich an Sirena: "Darf ich mich erkundigen, ob ein Abend wie der vorangegangene deinen Wünschen für heute entgegenkäme, meine Liebe?"
Die gebürtige Borogravierin bedachte ihn mit gekonnt schwerem Augenaufschlag. "Ja, Herr, solch ein Zeitvertreib wäre mir angenehm." Wobei ihm ihr süffisantes Lächeln in Richtung der Rivalin nicht entging.
Lorelei konnte dementsprechend auch kaum an sich halten. Sie klimperte mit langen Wimpern und unzähligen Silberreifen an den Armen mit sich selbst um die Wette. Ihre aufgeregte Stimme malträtierte sein Gemüt ebenso sehr, wie die des Oberst.
"Ach, ich weiß ja nicht. So ungemein aufregend ist das ja nun auch wieder nicht."
Der Oberst polterte vergnügt dazwischen, während er eine völlig überladende Gabel vom Teller hievte. "Das liegt aber vor allem daran, dass Du dich nicht mit rein traust, meine Hübsche."
Lorelei zog ihren berühmten Schmollmund. "Ich traue mich wohl. Aber so viel Wasser kann nicht gesund sein. Das trocknet die Haut aus. Und...", dabei blickte sie mit großen Unschuldsaugen zum Hausherrn hinüber, "Haut muss doch weich und frisch und feucht sein."
Der Oberst verschluckte sich, hustete und brach dann in brüllendes Gelächter aus.
Sirena schwieg, sandte der verachteten Kollegin allerdings brennende Blicke über die Tafel.
Und Siegbert Karakost führte einen heißen Löffel Vorsuppe an seinen Mund, während er die vulgäre Blondine mit einem scheinbar bedeutungsvollen Blick bei Laune hielt.
Als er das nächste Mal wieder über den Tisch hinweg zur Tür sah, hatte Trine ihren Platz neben dem Servierwagen verlassen und mit der Neuen getauscht.
Wie hieß sie gleich? Ah ja. Berta Müller. Es war schon eine Weile her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Das war kurz nach der Sache mit dem lästigen Butler gewesen. Er runzelte unbemerkt die Stirn, als er daran dachte, dass sie noch immer keinen Ersatz für ihn gefunden hatten. Er würde morgen, wenn es der Steinbruch hoffentlich wieder besser ginge, unbedingt ein ernstes Wort mit ihr darüber reden müssen.
Zu seiner Rechten machte sich wieder diese nervtötende Frau bemerkbar. Sie konnte es nicht lassen, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken. Karakost ignorierte sie geflissentlich und deutete der Angestellten, dass es an der Zeit sei, die alten Gedecke abzuräumen und den nächsten Gang aufzutischen.
Die junge Frau mit gestärktem Spitzenhäubchen und weißer Schürze löste ihre vor dem Körper zusammengelegten Hände voneinander und beeilte sich, dem Hinweis nachzukommen. Sie und die Dämliche wechselten sich immer wieder ab im Hin- und Hereilen, so dass schnell der gebratene Hauptgang vor ihnen bereitstand.
Leise Kaugeräusche, das genussvolle Schnaufen des Oberst und das dezente Klappern des Silberbestecks auf dem teueren Porzellan entbanden ihn vorerst von der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Kommunikation.
Sooft er von seinem Teller aufblickte, sah er die Aushilfe mit gesenktem Blick abwartend neben der Tür stehen und irgend etwas an ihr ließ ihn nachdenklich werden. Aber vielleicht hing das auch mehr damit zusammen, dass er sie seit dem kurzen Einstellungsgespräch kaum einmal flüchtig zur Kenntnis genommen hatte. Sie schien sich eingearbeitet zu haben. Weder seitens der Mamsell, noch seitens der Köchin hatte er Beschwerden über sie gehört. Und was die Männer anging... es waren ihm noch keinerlei Gerüchte zu Ohren gekommen. Allerdings konnte das natürlich auch damit zusammenhängen, dass wohl keiner seiner Angestellten mit einer Ablehnung hausieren gegangen wäre.
Sirena ließ sich neuen Wein einschenken und er beobachtete die Bedienstete dabei unauffällig.
Heute Abend hatten die Umstände sich dahingehend gefügt, dass die junge Frau mit einem der vielen Geheimnisse seines Hausstandes betraut worden war. Er war sich nicht ganz sicher, was er davon halten sollte. Andererseits war das eine gute Gelegenheit, sie dem Haushalt gegenüber noch mehr zu binden.
Auch er ließ sich von ihr nachschenken und beobachtete dabei zufrieden, dass die behandschuhten Hände so ruhig eingossen, dass es für ihn schwerlich vorstellbar war, dass Berta Müller etwas vor ihm zu verbergen hätte. Doch als er das rubinrot gefüllte Glas an seine Lippen ansetzte, flüsterte die leise Stimme der Erfahrung in seinem Sinn: Wer wusste das schon so genau?
Zur Not konnte er immer noch 'Schlitzer' einen Hinweis dahingehend geben, ihr die Bedeutung der Worte 'Verschwiegenheit' und 'Loyalität' zu erläutern.
Er lächelte freundlich.


Die Lasterhöhle


Sie taten es schon wieder. Sie wollte das gar nicht sehen.
Tine saß neben der kleinen Kerze am unteren Ende der Kellertreppe und schlang die Wolldecke enger um ihre Schultern. Die Temperatur hier unten war wesentlich angenehmer, als man sie normalerweise in dieser Tiefe hätte erwarten dürfen. Jeder andere Keller der Zwillingsstadt konnte vermutlich eher zur kühlen Lagerung von Lebensmitteln herhalten als dieser besondere. Aber darum ging es dem Stubenmädchen nicht. Dieser Gang war der direkte Weg in eine Lasterhöhle!
Natürlich war der Herr ihr Arbeitgeber und die Mamsell hatte immer und immer wieder betont, dass sie ihm weder Widerworte geben, noch in seiner Gegenwart 'laut denken' solle. Aber das alles war einfach nicht richtig! Ganz gewiss würde Om den Haushalt strafen! Sie wollte keinen Anteil an deren Sünden haben und nicht mit ihnen gemeinsam gestraft werden!
Tine hörte weit entfernte Geräusche leise den gemauerten Gang hinauf klingen. Ihre Phantasie lieferte ungefragt die Bilder dazu und ließ sie wieder die Sachen sehen, die sie nicht sehen wollte!
Schnell drehte sie den Kopf in die andere Richtung und begann zu summen, damit sie die Geräusche nicht mehr hören könnte.
Die Zeit verging hier nur langsam. Tine maß sie normalerweise an den Kerzen, die neben ihr nach und nach nieder brannten. Dieses Mal dauerte es jedoch nicht lange, bis das harmlose Läuten der Zugglocke über ihrem Platz sie aufschreckte. Das Herz schlug ihr bis zum Halse, doch sie bekämpfte den Fluchtreflex, legte die Decke ab und machte sich auf den Weg, tiefer in diesen Keller hinein. Sie passierte die Biegung nach rechts und folgte dem langen, schmalen Gang, während die Kerze in ihrer Hand unstete Schatten warf. Sie kam an dem schwarzen Loch in der linken Wand des Ganges vorbei und vermied es, ihren Blick darauf verweilen zu lassen. Eine weitere Biegung nach rechts und schon folgte der schwere rote Samtvorhang, der die Laute dahinter abdämpfte. Sie schob den Behang beiseite und stand in einem kleinen, weiß gekachelten Raum. Dieses Bad mit seinen Nischen, der plüschigen Sitzecke und den unzähligen Vorhängen und Spiegeln, wurde hell und warm von glitzernden Kristallen ausgeleuchtet, die das Licht der großen Öllampen tausendfach in bunte Regenbogen brachen und verspielt an die Wände warfen.
Tine kannte das alles jedoch nur zu gut um zu wissen, dass nicht alles, was hübsch anzusehen war, auch der Seele gut tat. Sie näherte sich dem zweiten, von Feuchtigkeit noch schwereren Vorhang und betrat den Raum dahinter. Das Geräusch von fließendem Wasser wurde sofort um ein Vielfaches lauter, hallender, und die rundum angebrachten Fackeln verliehen der lang gezogenen, hohen Höhle etwas Geheimnisvolles. Die Höhle wurde von einem kristallklaren See dominiert, der lediglich einen etwa zwei Meter breiten Streifen Felswand an der rechten Seite und einen etwas größeren Bereich am Ende der Höhle freiließ, um darauf zu laufen.
Das Stubenmädchen eilte an dem künstlichen Becken mit größtmöglichem Abstand vorbei und näherte sich der lasterhaften Gruppe am 'Strand', dort, wo Karakost Mengen heller Erde hatte aufschütten lassen. Die kahlen Wände waren von speziellem Efeu und von Farnen bepflanzt, die auch im Dunkeln gediehen. Von den bunt gemusterten Decken, die auf dem Sand ausgebreitet lagen, konnte man direkt über einige der dort in den Stein gemeißelten Treppen ins Wasser steigen. Von dort aus blickte man sogar, über den ganzen See hinweg, auf den breiten, ebenfalls künstlichen Wasserfall, neben dem Eingangsvorhang. Er wurde per Dampfkraft in Gang gehalten und bewirkte, dass das quirmianische Quellwasser in Bewegung blieb. Es wurde über kleine Schaufelräder und versteckte Leitungen immer von Neuem zu dem höher gelegenen Felsabsatz geführt.
Und überall gab es wunderschöne, bunt bemalte Fliesen und Einlegemosaike zu bewundern.
Tine ignorierte das Ambiente und klammerte alles hier, so gut es eben ging, aus ihrer Wahrnehmung aus. Nur dem Hausherrn sah sie verschämt in die Augen. "Ja, Herr?"
Siegbert Karakost blickte nicht einmal in ihre Richtung, als er ihr auftrug, die Müller zu holen.
"Sie soll einen weiteren alten Wein aus dem Vorrat aussuchen. Wir sind heute guter Stimmung und entsprechend durstig. Sie kann ihn auch gleich herbringen. Dann brauchst Du nicht noch einmal zu uns kommen."
Bei den letzten Worten lächelte er sie an, doch etwas in seinem Gesichtsausdruck verriet Tine, dass er sie im Grunde auslachte und verachtete. Dennoch... Mutter - nein, sie sollte sie ja Mamsell nennen - die Mamsell von und zu Steinbruch hatte ihr beigebracht, dass sie lieber den Mund halten und einfach das tun solle, was man ihr auftrug. Om sei Dank, hatte sie das inzwischen gut geübt. Sie nickte.

Kurz darauf war sie mit Berta auf dem Weg in die Grotte. Sie erklärte der Aushilfe, dass es gut war, hier unten eine eigene Kerze dabei zu haben.
"Zwar gibt es einige Fackeln an den Wänden und der Weg ist auch nicht weit, er geht bloß einmal unterirdisch um das Grundstück herum, aber die Fackeln sind in großem Abstand zueinander angebracht und der Boden ist nicht ganz eben. Manchmal liegen auch überraschend Kleider... Sachen von den Herrschaften hier herum."
Berta hob neugierig ihre Kerze, während sie mit der anderen Hand das große Tablett balancierte.
"Was ist das hier?" Sie hielt die Flamme näher an die Wand heran, als sie gegen Ende des langen Gangabschnittes an dem finsteren Loch vorüber kamen.
Tine schauderte. "Dort werden die Kohlen hinunter gebracht, die für die Drachen im Heizraum. Du weißt schon, der Raum hinter der Küche."
Berta nickte und sagte leise: "Ja, den habe ich heute gesehen. Das Loch dort liegt also hier über diesem?"
Tine bejahte das. "Der Schacht geht sogar noch eine Etage tiefer von hier aus. Dort erst lagern die Kohlen. Wenn sie benötigt werden, muss einer der Männer hinunter und welche in den Lastaufzug einladen. Dann werden die Kohlen rauf gezogen."
Berta hielt ihre Kerze ganz in das Loch hinein und blickte einmal nach unten und einmal den Schacht hinauf. "Wo endet er denn oben? Ich habe noch nie ebenerdig eine Kohleklappe gesehen."
Das Stubemädchen zog ungeduldig an dem Arm mit der Kerze. "Komm, lass uns weitergehen. Der Schacht hat oben im Stall eine Öffnung."
Berta musste das Tablett ausbalancieren, ließ sich die logische Folgefrage aber nicht nehmen. "Im Stall? Wo denn dort?"
"Hinter den Stallboxen. An der Wand gibt es eine Holzluke zum Runterklappen. Sieht wie ein Teil der Stallrückwand aus, ist aber ein Vorbau. Damit das nicht so hässlich aussieht."
"Und wofür ist das hier?"
Sie waren soeben mit dumpf pochenden Schritten über die Bodenluke gegangen.
"Da geht es zu der Trennwand, die unter dem Gesindehaus verläuft. Da unten ist kaum Platz, gerade so viel, dass ein dünner Mann stehen und die Wand abdichten kann. Die Wand liegt in die Richtung.", sie deutete auf die vor ihnen liegende Biegung, "Du weißt doch, dass neben dem hinteren Ausgang der Grundstücksmauer, hinter der Küche, das Grubenloch ist, in das wir die Abfälle schütten und die Nachttöpfe leeren. Dies Trennwand muss ständig ausgebessert werden, damit die Sickergrube dahinter eben nicht in die Kellerräume auf dieser Seite durchbricht."
Berta sagte nichts weiter dazu. Sie kamen an dem ersten Vorhang an und Tine zögerte einen kurzen Moment. Sie rang mit sich. Einerseits ging sie das alles nichts an. Sie war Stubenmädchen und sie machte nur ihre Arbeit. Andererseits jedoch mochte sie die freundliche Berta. Diese hatte sie noch nie ausgelacht. Und sie half ihr manchmal, wenn sie es einrichten konnte. Die anderen aus dem Gesinde halfen Tine nur, wenn sie ansonsten Ärger bekämen.
Tine holte tief Luft und drehte sich zu ihr um. Sie sah die Aushilfe mit unsicherem Blick an und versuchte ihre Stimme zu stärken.
"Ich... ich muss Dich warnen." Sie konnte deutlich sehen, wie die Augen der jungen Frau ihr gegenüber sich weiteten. Das machte es ihr etwas leichter und bestätigte sie in ihrem Entschluss, denn es zeigte Tine, dass Berta sie ernst nahm. Om wusste, sie wollte ihr keine unnötige Angst einjagen aber...
"Warnen? Wovor denn?" Auch Berta hatte ihre Stimme unwillkürlich zu einem Flüstern gesenkt.
Tine suchte nach den richtigen Worten. Mit denen kam sie nicht so gut zurecht. Das fiel ihr nicht leicht. "Vor dem, was hinter den Vorhängen passiert." Sie holte noch einmal tief Atem und sprach dann schnell das aus, wovor ihr graute. "Der Herr ist zwar immer schick angezogen und guckt einen nett an aber in Wirklichkeit ist er... verkommen! Om weiß, ich rede die Wahrheit! Die Herrschaften haben nicht einmal einen klitzekleinen Fetzen Stoff mehr am Leibe, wenn sie hier unten hin kommen! Sie lachen und... gehen mit dem ganzen Körper ins Wasser! Das ist doch nicht normal! Sie haben keinen Anstand und machen vor gar nichts halt!" Sie wisperte die letzten Worte nur noch: "Sie benehmen sich schrecklich! Aber niemand darf darüber reden, sonst bekommt man Schläge von 'Schlitzer'! Das geht niemanden etwas an, was hier unten passiert, sagen sie."
Die junge Frau mit den unordentlichen Haaren stand völlig reglos vor ihr und Tine begann schon daran zu zweifeln, ob es gut gewesen war, Berta zu warnen, als diese endlich den angehaltenen Atem entweichen ließ.
"Ich werde Dich nicht verraten, Tine. Keine Sorge. Und danke, dass Du mich gewarnt hast."
Tine lächelte erleichtert. "Ich dachte mir, dass es besser ist, wenn ich Dir das sage. Nicht, dass Du... ich möchte nicht, dass Du auch gehst..." Und während sie den Vorhang beiseite hob murmelte sie mit bestimmtem Tonfall: "Der Herr hat keine Seele mehr, so hässlich wie er lebt! Ist es Sünde, wenn ich um Jemanden bitte, der bei mir bleibt? Es tut mir leid aber ich kann heute nicht noch einmal mitgehen. Ich möchte nicht. Ich... warte lieber wieder vorne an der Kellertreppe auf Dich, in Ordnung?"


Im Vertrauen


Draußen hörte sie das leise Knarren der Holzdielen, auf das sie schon seit einer Weile gewartet hatte. Schnell schob Marian ihre Decke von sich, schlüpfte in die dünnen Filzpantoffeln und huschte zur Kammertür. Sie öffnete diese gerade in dem Moment, als Berta mit gerafften Röcken den Treppenabsatz erreichte und der Schein ihrer Kerze den Beginn des Flures zu den Frauenkammern ausleuchtete. Die Aushilfe war müde und nahm sie erst wahr, als sie die Tür etwas weiter öffnete. Die blasse Frau mit dem schulterlangen Haar zuckte erschrocken zusammen.
"Hast Du mich erschreckt!" Sie ließ mit einem erleichterten Ausatmen wieder die Hand sinken, mit der sie sich reflexartig ans Herz gegriffen hatte.
Die Spülmagd lächelte verlegen. "Tut mir leid. War keine Absicht." Sie neigte etwas den Kopf, wodurch sich ihr das blond gelockte Haar leicht auf die Schultern des schlichten weißen Hemdes ringelte. Es wirkte im schwachen Lichtschein wie Gold. "Hast Du noch einen Moment Zeit, Berta? Ich würde nur gerne... mit Dir reden."
Die Erschöpfungsschatten auf dem Gesicht der Aushilfe waren unübersehbar aber sie willigte ohne zu Zögern ein.
"Ich hoffe, dass es Dir nichts ausmacht, Marian, wenn ich mich nebenbei bettfertig mache? Ich höre Dir während dessen auch auf jeden Fall zu."
"Nein, nein. Das ist völlig in Ordnung."
Die kleine Spülmagd folgte der nur unwesentlich größeren Aushilfe und beide betraten sie die Kammer am Ende des Ganges. Es war kalt hier, regelrecht eisig. Marian bedauerte, dass sie sich nicht ihre vorgewärmte Decke mit rüber geholt hatte. Sie deutete fragend auf das Bettgestell ihrer Kollegin. "Darf ich?"
Sie erntete ein müdes Nicken, während die Neue mit der mitgebrachten Kerze diejenige auf dem Stuhl entzündete. Schnell huschte Marian zwischen das klamme Leinen. Sie wickelte sich bis über die Schultern in die Decke und lehnte sich dann gegen die Zimmerwand, während sie Berta dabei beobachtete, wie diese die Haarnadeln aus dem Spitzenhäubchen puhlte. So etwas wie Neid zog schmerzhaft durch Marians Unterleib. Die Andere war ganz klar müde bis zum Umfallen aber dennoch strahlten ihre Bewegungen Eleganz aus. So etwas war einfach nicht fair! Sie verdrängte dieses Gefühl - es gab eben solche Menschen und solche. Sie hatte wegen etwas ganz Anderem fragen wollen. Sie räusperte sich.
"Warst Du noch einmal bei der Alten?"
Die Aushilfe nickte langsam und schüttelte mit einem leisen Seufzer die Frisur auf. Sie schloss die Augen und massierte sich genüsslich die Kopfhaut. "Ja. Ich war eben noch einmal kurz bei ihr und habe nach ihr gesehen." Sie senkte ihre Arme und ließ langsam den Kopf vor- und zurückkreisen, dehnte dann leicht die Schultern. "Es geht ihr noch immer nicht besser."
Marian setzte ihr Kinn auf den angezogenen Knien ab und runzelte die Stirn. "Dann kümmerst Du dich morgen um die Einteilungen und Einkäufe?"
Berta wandte sich ihr zu und begann dabei, die Schürze aufzubinden und abzulegen, wodurch das schlichte, dunkle Kleid zum Vorschein kam. "Das werde ich wohl müssen. Sicherheitshalber sehe ich morgen ganz früh noch einmal nach ihr aber so oft, wie sie sich momentan übergibt..." Sie ließ den Satz unbeendet.
Nun war es an Marian zu seufzen. "Na, mir soll es ja egal sein. Die Klopfer wird Dir eh' ganz genau Bescheid geben, was sie haben will und da kein Besuch zusätzlich zu dem feisten Schmarotzer und seinen Hyänen zu erwarten ist, dürfte schon alles glatt gehen." Das blond gelockte Mädchen mit den trügerisch dünnen Armen lachte leise. "Vielleicht wird dann sogar mal die Stimmung im Haupthaus erträglich?"
Berta schmunzelte ebenfalls bei dieser Vermutung, was ihr einen ungewohnten Ausdruck verlieh. Die Spülmagd dachte immer noch darüber nach, woran das liegen mochte, als ihr Gegenüber sich von ihr abwandte und zum Stuhl hinunterbeugte. Unter dem Sitzmöbel kam die Waschschüssel zum Vorschein. In ihr stand der Wasserkrug. Berta stellte die Kerze auf den Boden und die Schüssel auf den Stuhl. Dann begann sie, das Oberteil ihres Kleides der Länge nach aufzuknöpfen und die Bänder zu lösen. Sie ließ es von den Schultern gleiten, nahm das Abdecktuch vom Krug und goss etwas von dem kalten Wasser in die Schüssel. Während sie sich wusch, wandte sie sich wieder an Marian.
"Kannst Du nicht schlafen?"
Die Kleinere zog eine frustrierte Schnute und knetete die Decke. "Irgendwie nicht. Ich weiß auch nicht warum." Sie beobachtete, wie die Neue sich abtrocknete und schnell nach dem Nachthemd griff. Sie zitterte vor Kälte, rieb sich die Arme warm und schlüpfte dann erst aus den Röcken, die sie darunter anbehalten hatte. Marian dachte an den Vorfall zuvor, seit dem nur wenige Stunden vergangen waren. Im Grunde hatte sie dort das erste Mal erlebt, dass die Aushilfe aufgebracht gewesen wäre. Sie erwiderte in verschmitztem Tonfall: "Wobei es auch an dem Tag liegen mag... immerhin ist ja doch einiges passiert." Marian spürte wieder dieses vertraute Ziehen, dieses Mal jedoch auch im Herzen. Sie wusste, dass sie sich dumm verhielt aber was konnte sie daran ändern, dass sie den Schuft nun einmal anhimmelte? Vorsichtig tastete sie sich zum Kern des Gesprächs vorwärts. "Dir ist es da ja nicht anders ergangen, nicht wahr?"
Berta bürstete inzwischen mit kräftigen Strichen das dunkelblonde Haar. Marian hätte darauf wetten können, dass sie es mindestens einhundert Mal mit den Borsten bearbeiten würde. Mochte die Neue auch wie jede andere Magd mit ihnen zusammen wohnen und arbeiten, manchmal hatte sie etwas von einer feinen Dame, wie Marian sich diese vorzustellen pflegte. Natürlich war das lächerlich. Immerhin würde sich keine feine Dame bei ihnen verdingen müssen. Und Marian würde diese Gedanken auch mit keinem der Anderen teilen, aus Sorge, sich zum Gespött zu machen. Aber sie hatte immer öfter das Gefühl, aus irgendeinem Grunde gesellschaftlich unter der Anderen zu stehen, was sie umso mehr ärgerte, da Berta nichts tat, was diesen Eindruck rechtfertigt hätte. Marian atmete tief durch, woraufhin Berta die Schultern sinken ließ und sich neben sie auf die Bettkante setzte. Sie starrte in die Flammen der beiden dicht beieinander stehenden Kerzen. "Meinst Du...", sie zögerte kurz, blickte Marian dann aber direkt an. "Meinst Du, dass Gregor mich zukünftig in Ruhe lassen wird?"
Marian spürte ein zwiegespaltenes Drängen in sich: Erleichterung, dass Berta sich nicht als Konkurrentin entpuppte und Eifersucht darüber, dass Gregor sich so sinnlos in diese unerwiderte Sackgasse verrannt hatte, wo er sich doch bloß an sie selber hätte wenden müssen! Es war der kleinen Spülmagd unbegreiflich, wie Berta so ein Bild von einem Mann abblitzen lassen konnte, zumal keine von ihnen Beiden jemals etwas Besseres erreichen können würden! Wenn da nur nicht der verdammte männliche Stolz gewesen wäre, der auf solche Szenen wie heute mit einem gesteigerten, wenn auch beleidigten, Jagdtrieb reagieren würde. Sie kannte doch ihren Gregor.
Marian seufzte.
"Gregor ist unverbesserlich. Wenn er sich erst mal eine in den Kopf gesetzt hat, kann das eine Weile dauern, bis er wieder von ihr ablässt. Wenn Du auf Nummer sicher gehen willst, dann trag' am Besten ein kleines Messer griffbereit bei Dir. Solche Überraschungen sind das Einzige, was er versteht."
Sie beobachtete amüsiert, wie die Aushilfe sich kerzengrade aufsetzte und sie mit einem erschrockenen Blick ansah. "Ein Messer? Aber was, wenn etwas passiert? Zum Beispiel ein Unfall oder so?"
Marians Lachen klang leichthin. "Unterschätze ihn bloß nicht. Glaube mir, Gregor kann ganz gut auf sich aufpassen. Wenn er sich überraschen ließe, dann wäre er selbst schuld. Wahrscheinlicher wäre es, dass er wieder an seine Arbeit geht, während die Mamsell nach Ersatz für Dich suchen müsste."
Berta ging nachdenklich zu dem schmalen Kleiderspind, nahm ein gestricktes Schultertuch heraus und schlang es auf dem Weg zum Bett eng um sich. Sie setzte sich auf das Kopfende und steckte ihre kalten Füße mit unter die Decke.
Marian musste unwillkürlich grinsen. "Das sieht nach einer Plaudernacht unter Mädels aus."
Berta lächelte sie unsicher an. Nach kurzem Zögern griff sie das Thema jedoch wieder auf. "Kam so etwas denn schon einmal vor? Dass ein Mädchen Gregor mit dem Messer abgewehrt hat?"
Die Spülmagd gluckste nun regelrecht vor Vergnügen. "Natürlich. Ich gebe doch keine Tipps weiter, die ich nicht zuvor selber ausprobiert hätte." Marian lächelte selig in Erinnerungen. Dann begann sie lachend aufzuzählen: "Die Kleine Brünette damals war besser mit dem Nudelholz. Die Schwarzhaarige mit dem Bübchenschnitt hatte gar keine Chance - die war dann auch ziemlich schnell wieder weg. Sie hat gesagt, dass sie es sich doch anders überlegt habe. Ich glaub', die ist wieder zu ihrer Mami zurück. Und Heinrich hat mir irgendwann mal erzählt, dass er Johanna dabei überraschte, als sie Gregor mit der Bratpfanne bekanntmachte..."
Berta hatte sie aufmerksam angesehen und ihren Erklärungen gelauscht. Nun fragte sie lächelnd nach: "Wer ist denn Heinrich?"
Marian kaute auf ihrer Unterlippe, antwortete dann jedoch mit einem Schulterzucken, das Bedenken abschüttelte. "Das war unser letzter Butler. Der ist abgehauen, kurz bevor Du zu uns dazu gekommen bist. Wobei ich das echt nicht verstehen kann. Der Typ hat eine schöne Summe mehr verdient als ich und musste dafür nicht von früh bis spät im heißen Dampf stehen oder sich die Hände wund scheuern."
Berta nickte verständnisvoll. "Ich möchte auch nicht an deiner Stelle stehen, wirklich." Sie befreite ihre Hände aus dem Wolltuch und zeigte sie ihr mit einem unglaublich traurigen Gesichtsausdruck. "Sieh mal! Dabei kommt das bei mir nur von den Gärten und dem Putzen, ich muss nicht einmal an der Spüle werkeln wie Du!" Die schlanken Finger waren von rauer Hornhaut, von geröteten Kratzern und verheilten Schnitten übersät. Die Knöchel teilweise verschorft. "Wenn wir beim Servieren nicht die weißen Handschuhe tragen müssten, dann würde ich vor lauter Scham alles verschütten."
Marian musste lachen. "Wie hast Du das denn in deiner vorigen Anstellung verhindert? Du bist schon lustig. Wenn Du nicht so in Ordnung wärst, dann könnte ich Dich wahrscheinlich auf den Tode nicht ausstehen."
Sie konnte es sich nicht verkneifen, die Kollegin zwinkernd aufzuziehen, wobei sogar ihr selber nicht der unsichere Unterton ihrer Stimme beim Scherzen entging. "Mit ein bisschen Puder im Gesicht und etwas von dem Schmuckgebamsel der blonden Schickse um den Hals, könntest Du über einen abgebrochenen Fingernagel jammern und dabei als feine Dame durchgehen. Wahrscheinlich ist es das, was Gregor an Dir so anziehend findet. Du Arme! Dann wirst Du ihn wohl nie los."
Berta hatte schnell die Hände zurückgezogen und diese im Schultertuch verborgen. Sie wirkte im unsteten Schein betroffen und murmelte eine Entschuldigung.
"Es tut mir leid. Ich wollte nicht jammern. Und mit deiner Arbeit kann ich das eh' nicht vergleichen..."
Marian winkte ab.
Die Aushilfe suchte sichtbar nach einer Möglichkeit, von diesem unangenehmen Thema abzulenken. "Diese andere Frau, die mit der Bratpfanne... war sie irgendwann von Gregor genervt oder warum ist sie nicht mehr hier?"
Marian atmete tief durch. "Tja...", sie war in Gedanken woanders und runzelte die Stirn. Es war ja nun auch nicht so, dass die Neue eine Spionin oder so etwas war. Was sollte sie schon mit dieser ungeschickt entflohenen Information anfangen können? Vermutlich hätte sie die sowieso schon fünf Minuten später wieder vergessen. Ihr jetzt eine unwichtige Kleinigkeit zu verheimlichen, würde Bertas Aufmerksamkeit wesentlich stärker auf all das ernste Verborgene lenken, was sie wirklich nichts anging.
Marian gab sich einen Ruck. Sie würde der Neuen einfach kleine Unwahrheiten auftischen, die tatsächlichen Geschehnisse umgehen und ihr im Anschluss lauter noch unwichtigeren Kram erzählen, um sie damit von dem Gehörten abzulenken.
"Johanna war so eine Sache. Die Gute kam aus Borogravien, weißt Du? Da viele von uns von dort kommen, dachte der Herr wohl, dass sie gut zu uns passen würde. Aber sie war irgendwie nicht wirklich wie wir. Sie hat sich die Wurst nicht vom Brot nehmen lassen. Ja, das mache ich auch nicht, wirst Du jetzt sagen aber... ist schwer zu beschreiben. Jedenfalls war Gregor, der Windhund, natürlich hin und weg von ihr. Muss daran liegen, dass er ein waschechter Städter ist und irgendwie auf Landeier steht. Von wegen Unschuld und naiv und so. Irgendwann ist er ihr einmal zu oft hinterher geschlichen. Muss einen ziemlichen Streit gegeben haben."
Sie beobachtete die Neue, die ihr mit großen Augen lauschte. Vielleicht hätte sie es doch anders anpacken sollen? Egal. Jetzt gab es eh' kein Zurück mehr. Und Berta hatte keine Möglichkeit, die Wahrheit hinter den Lügen zu erkennen.
Sie fuhr fort: "Ich persönlich glaube ja, dass er sie mit dem Butler in flagranti erwischt hat." Sie zwinkerte Berta im Schummerlicht bedeutungsvoll zu. "Und dann sind beide gemeinsam abgehauen." Marian warf ihre feinen, goldigen Wellen mit einem entschlossenen Ruck zurück. "Ziemlich dämlich, wenn Du mich fragst. Ich meine, wovon sollen sie leben?" Sie konnte einen Schauer kaum unterdrücken. "Und natürlich auch eine blöde Sache für die Steinbruch, gleich zwei Neue suchen zu müssen." Sie begann über das ganze Gesicht zu strahlen. "Aber Du bist allemal besser als Johanna es war. Viel freundlicher. Ich bin jedenfalls froh, dass Du jetzt bei uns bist."
Immerhin nahm Berta ihr, selbst in ihrer manchmal nervtötend langsamen Art, eine Menge Arbeit ab. Natürlich bedeutete Marians Freundlichkeit nicht, dass sie sich Gregor von ihr wegschnappen ließe! Wenn es hart auf hart kam... Aber erst einmal konnte es nicht schaden, freundlich zu ihr zu sein.


An der Rennbahn


Das Wetter war in den letzten Wochen so gleich bleibend grau gewesen, dass die schneidende Kälte heute eine regelrechte Überraschung darstellte.
Ilona versuchte sich daran zu erinnern, warum sie sich irgendwann einmal für den Tschob des Informantenkontakters entschieden hatte. Hatte bei ihren Überlegungen nicht auch so etwas wie 'abwechslungsreiche Arbeit an der frischen Luft' eine Rolle gespielt? Sie stampfte den Raureif von ihren Stiefelspitzen und sah sich wieder nach der Verdeckten Ermittlerin um.
Hinter ihr lag das relativ große Feld der Rennbahn, über dem die eisigen Böen so richtig schön Anlauf nahmen, bevor sie sich ihr in den Nacken warfen.
Sie wartete seit Stunden und bezweifelte inzwischen, dass die Ziegenberger heute noch auftauchen würde. Irgend etwas musste ihr dazwischen gekommen sein. Das geschah bei solchen Einsätzen immer mal wieder und war an sich kein Grund zur Sorge. Es war für Verdeckte Ermittler schwer genug, ein unauffälliges Treffen zu planen und zu besuchen. Für die Hauptgefreite konnte das in ihrer untergeordneten Angestelltenrolle zu einer Unmöglichkeit werden, da sie schlecht eine übertragene Aufgabe ablehnen oder eine Arbeit einfach unterbrechen konnte, um zu gehen.
Dennoch... Ilona sah das Bild der rothaarigen Kollegin vor sich, wie sie einander im Wachhaus über den Weg liefen und sich grüßend zunickten. Ophelia war eine der wenigen Kolleginnen, mit denen es ihrer Meinung nach überhaupt nicht schwer fiel, ins Gespräch zu kommen. Sie vermittelte das Gefühl, man selber sei eine sehr interessante Person und alles Andere im Moment zweitrangig.
Ilona machte sich irgendwie Sorgen um ihre Kollegin.
Wieder blickte sie sich um und ließ dabei den Blick über die Stände an einer Seite des Platzes schweifen, ebenso wie über die Straßen und Häuser, die die Rennbahn säumten. In der Ferne schlug die Glocke der Lehrergilde zur dritten Stunde nach der Mittagszeit und die Uhren der übrigen Gildentürme stimmten nach und nach ein.
Die Kontakterin seufzte leise und rieb ihre halb erfrorenen Finger aneinander.
Es hatte keinen Sinn. Ophelia würde heute nicht mehr zum vereinbarten Treffen kommen, also konnte sie selber ebenso gut zum Pseudopolisplatz zurückkehren und sich dort an einer duftenden Tasse Kaffee wärmen.
Morgen würde sie sich mehr Schichten anziehen. Vor allem käme sie wohl nicht mehr um die Handschuhe herum. Vielleicht würde die Verdeckte Ermittlerin ja einen Tag versetzt am vereinbarten Treffpunkt auftauchen?


Milde Gabe


Thask Verschoor spürte, wie die trockene Kälte sein untotes Fleisch langsam aussteifen ließ. So mussten sich Leichen fühlen, die allmählich der Totenstarre anheim fielen. Wenigstens regnete oder schneite es nicht. Dennoch... der Preis, den Königin Molly von der Wache für diesen Gefallen einforderte, war horrend und die Bereitschaft des Kommandeurs, ihn zu zahlen, war nur durch die Dringlichkeit zu erklären, mit der sie einen so unauffälligen Posten als Anlaufstation benötigten. Es war ja gut durchdacht worden und schien zu funktionieren. Thask haderte lediglich deswegen mit dem Konzept, da der Posten des 'Toten Briefkastens' in diesem Fall ihm zugefallen war. Das bedeutete, dass er in schön gleichmäßigem Rhythmus jeden ersten Wochentag an dieser Stelle auf den kalten Steinen saß und verkleidet als Bettler um Almosen bettelte. Dafür auch noch zahlen zu müssen, selbst wenn dies die Wache übernahm, erschien ihm skurril. Er war sogar dazu gezwungen, das wenige Erbettelte anschließend an die Gilde abzutreten!
Wie zum Hohn klapperte es in seiner Holzschale und er bemerkte, während das eilige Tappen von Kinderfüßen und deren hämisches Lachen verklang, dass er schon wieder einen Knopf verdient hatte.
Thask lehnte sich seufzend wieder an die Mauer zurück und setzte sein unartikuliertes Brummeln fort.
Es war für die Ander Kaffers gut zu wissen, dass sie einen zentralen Ort völlig unverdächtig aufsuchen konnten, um Nachrichten zu übergeben. Zwar gab es nicht viele Menschen, die noch Mitleid mit einem Bettler gehabt hätten aber es gab viele, die um das hohe Gefahrenpotential eines unzufriedenen Bettlers in ihrer Gegend wussten. Und niemand Geringerer als Königin Molly selber wagte es, einen Bettler darum zu bitten, seine Einnahmen offen zu legen!
Der bleiche Mann rückte das platt gesessene Kissen und die zerrissene Stoffdecke zurecht und begann nun damit, wimmernd vor und zurück zu schwanken.
Wie er dieses Getue hasste! Aber das zählte eben zum Kult-Ur-Erbe und musste respektiert werden. Außerdem wäre er sonst zwischen seinen viel kreativeren 'Kollegen', die diesen Platz den Rest der Woche über abwechselnd bedienten, ziemlich aufgefallen.
Irgendwie war der Platz auch gar nicht so schlecht, musste er sich eingestehen. Zumindest, solange es nicht zu Regnen begann. Immerhin konnte er, sozusagen nebenbei, einiges an Informationen aufschnappen. Es war erstaunlich, wie gründlich die Vorübergehenden ihn ignorierten. Einmal hatten sich zwei von der Diebesgilde ganz offen über ihre anstehende Schicht unterhalten, bevor sie wieder aus seiner Sicht verschwunden waren. Ein andermal hatte er in der Straßennische gegenüber ein geheimes Treffen beobachten können. Verstanden hatte er von hier aus natürlich nichts aber er hatte eine Beschreibung der Verdächtigen aufgezeichnet und an die D.O.G.'s weitergegeben. Vielleicht hatten seine Informationen denen ja weiter geholfen?
Eine seiner Nachahnungen traf ihn. Er fühlte sich seit einiger Zeit beobachtet. Möglichst unauffällig schaukelte er weiter mit dem Oberkörper hin und her und verdrehte dabei soweit die Augen, bis in ihnen fast nur noch das Weiße zu sehen war.
Sanfte Schritte kamen auf ihn zu, gingen vorüber, zögerten und kamen wieder zurück.
Er neigte seinen Kopf fast bis auf den Boden, ergriff seine Bettelschale und hielt diese mit beiden Händen in die Höhe. Eine warme Hand legte sich sanft um seine und eine leise Stimme sagte:
"Hast Du zu Essen, guter Mann?"
Er erkannte die Stimme und war plötzlich aufgeregt. Dies war eine der Situationen, die den Grund dafür bildeten, warum er Woche um Woche das Gespött der anderen Bettler über sich ergehen lassen musste. Warum er stundenlang an der zugigen Straßenecke saß, eingehüllt in Lumpen, mit denen er nicht einmal mehr das S.U.S.I.-Labor auswischen würde, wenn er dazu verdonnert würde! Er normalisierte seinen Blick etwas und studierte die kleine Kollegin unauffällig.
Sie wirkte blass wie immer aber wesentlich erschöpfter, als er sie in Erinnerung hatte. Ihre Hand fühlte sich rau und rissig an, während ihr Gesicht von dunklen Schatten unter den Augen gezeichnet war. Sie strahlte Aufmerksamkeit und Vorsicht aus. Aber keine Angst. Das war gut.
Sie lächelte ihn an. "Ich habe kein Geld, von dem ich Dir geben könnte. Aber vielleicht möchtest Du etwas zu essen haben?"
Thask nickte eifrig. "Zu eeessen! Ich verhungere. Und Gaaarn, zum Stopfen meiner Saaachen. Ich erfriiiere! Und Papier für den Abooort."
Die Hauptgefreite begann in dem großen Tragebeutel zu suchen. Sie reichte ihm einen Apfel, den er scheinbar gierig in seine Kleidung steckte, und zog dann ein zerknittertes Blatt Papier hervor. Sie blickte ihn kurz an, strich das Papier notdürftig glatt, so als vergewissere sie sich, dass darauf nichts von Bedeutung geschrieben stand und gab es dann leichthin an ihn weiter.
"Daaanke, Frau!"
Sie bedachte ihn mit einem Lächeln, nickte und ging, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen.
Der Wächter stopfte das Papier unbesehen zu den anderen Dingen. Er zwang sich dazu, ihr nicht nachzusehen, sondern stattdessen die fleckige Holzschüssel wieder vor sich auszurichten.
Doch der Ernst, den er in ihren grauen Augen gesehen hatte, dicht hinter dem Lächeln, wollte ihm für den Rest des Tages nicht mehr aus dem Sinn gehen. Er musste noch immer an diese Ernsthaftigkeit denken, als er in dem kleinen Raum, den er in der Bettlergilde zum Umziehen nutzen durfte, ihren zerknitterten Zettel von den übrigen Dingen, die er dort in der Schale zurücklassen musste, trennte und ihn sich genauer besah. Das Papier war billig und der bröckelnde Stift hatte teilweise unschöne Schmierer hinterlassen. Einige Worte waren ausgestrichen und neu geschrieben worden, als wenn das Dargelegte schon während des Formulierens wieder verworfen worden wäre. Das Ganze hatte die Wirkung eines nie gesendeten Briefes.

"Liebe Mutter! Als Du mit dem Kerl weg gegangen bist und mich einfach alleine gelassen hast, war ich wütend auf Dich aber dann bin ich nach Ankh-Morpork gegangen. Jetzt zu jammern, dass der Kerl jeden in seiner Umgebung misstrauisch überwacht, nutzt nichts. Ich habe hier eine gute Arbeit gefunden und verdiene jetzt mein eigenes Geld. Falls das ein Grund zur Sorge sein sollte: Mir geht es gut. Nun sagst Du, dass ich wieder nach Hause kommen soll - aber vielleicht überlegst Du es dir einfach wieder anders und dann habe ich nicht mal mehr die Arbeit und muss ganz von Vorne anfangen. Das ist mir zu unsicher. Es tut mir leid aber ich weiß genau, dass Du mich nur überreden willst und das geht nicht. Ich werde nicht zu dem Treffen gehen. Und dabei ist es mir völlig egal, was dein Freund über mich denkt. Du brauchst also auch nicht länger auf mich zu warten. Vielleicht wäre es gut, wenn Du dich von dem Kerl trennst? Trotz allem würde ich mich natürlich über einen Brief von Dir freuen und ich werde ebenfalls versuchen zu schreiben, sobald ich wieder eine freie Minute habe.
Deine Tochter, O."



Überraschungsgäste


Er nickte dem hart gesottenen Burschen zu und dieser ließ seine geballte Faust mehrmals hintereinander, kräftig gegen das Holz der kleinen Hintertür krachen. Der Donnerschlag hallte mit ungebrochener Wucht durch die nächtliche Straße und augenblicklich setzte von allen Seiten aus Hundegebell ein. Sie warteten. Ihr Atem dampfte in der kühlen Luft und die eisernen Ketten, die Steffen so gerne über dem gegerbten Leder trug, klimperten leise. Das Hundegebell hielt mit ungeminderter Intensität an. Sie waren insgesamt zu fünft. Kaleb sah sich mit einer stummen Frage zu ihm um und Rattengesicht nickte, woraufhin Kaleb erneut auf die Tür einzuschlagen begann. Die Hunde in der Nachbarschaft und diejenigen im Anwesen drohten durchzudrehen. Die ersten Fensterläden knallten auf und erboste Stimmen forderten Ruhe. Hinter der Tür erklangen Schritte und lautstarkes Schimpfen. Der Türklopfer hielt inne und trat einige Schritte zurück, so dass die Gruppe vor der Tür einen lockeren Halbkreis bildete.
Die Tür wurde mit einem scheppernden Schlüsselring bearbeitet und öffnete sich dann mit erbostem Schwung. In der Öffnung blieb der Stallknecht schweigend stehen und sah einen der wartenden Besucher, nach dem anderen an. Er bewegte nicht einmal den Kopf, als er mit kräftiger Stimme nach seinen Kollegen verlangte: "Gregor! Schlitzer!" Keine zehn Sekunden darauf hörte man es hinter dem Hünen leise rascheln und die Schatten verdichteten sich zu zwei Männern.
Der Blick des Stallknechts wanderte über die Männer, bis er auf Rattengesicht zur Ruhe kam. "Was willst Du?"
Auf genau diese Frage hatte er gewartet und so trat er einen Schritt beiseite, deutete auf den abgedeckten Wagen hinter seiner Gruppe und antwortete: "Mein restliches Geld!"
Der breit gebaute Mann mit der Hakennase und den enormen Pranken zog missbilligend die Brauen zusammen. "Ihr solltet die Ware erst beim Richtigen abliefern."
Rattengesicht fühlte sich verspottet und gab seiner Verachtung mit einem Schnaufen Ausdruck.
"Ich habe ihm das ganze Zeug besorgt. Ich habe mich an meinen Teil der Abmachung gehalten. Wenn Euer Verbindungsmann ausfällt, dann liegt das nicht an mir. Ich hab ein paar Mal gesagt, dass Ihr das Zeug abholen sollt. Aber ich werde ständig vertröstet! Ich mach das nicht mehr mit. Nicht nur, dass die Ware langsam heiß wird, nein, ich brauch auch den Platz. Ich kann Euern Krempel nicht ewig einlagern. Bin ja schließlich kein Lagerunternehmer! Das Zeug ist ab heute nicht mehr mein Problem. Ihr hattet Zeit genug. Entweder Karakost nimmt es mir jetzt sofort ab, lagert es selber und wartet, bis ich einen neuen Kontaktmann für ihn aufgetan habe oder ich storniere den restlichen Vertrag und schmeiß Euch das Zeug hier und jetzt vor die Füße." Er beobachtete, wie der Narbengesichtige und der Sandalenmann hinter dem Stallknecht sich einen kurzen Blick zuwarfen. Vergesst es gleich wieder, Ihr Luschen, dachte er. Gegen Steffen, Kaleb, Heinchen, Ling und mich habt ihr keine Chance!
Die drei in der Tür kamen ganz klar zu dem gleichen Schluss. Missgelaunt knurrte ihn der stoppelgesichtige Knecht an: "Wartet hier! Ich klär' das." Er wandte sich um und 'Schlitzer' mit seinem Kumpel rückte auf, um das offene Oval des Eingangs zu schließen. Der kleinere Kerl, mit Weste und Halstuch, zündete sich betont lässig eine Zigarette an und lehnte sich dann rauchend an den Rahmen.
Sie hatten sich nichts zu sagen, weswegen die Wartezeit schweigend verstrich, lediglich angefüllt vom leisen Atem der Männer und brennenden Blicken. Das Hundegebell war inzwischen verstummt, dafür klapperte irgendwo in den nächtlichen Straßen eine Mülltonne und zwei fauchende Katzen entfernten sich drehwärts.
Hinter den beiden Anwesenwächtern kam es zu Bewegung. Sie blickten sich um und gingen dann schnell beiseite. Im Türrahmen erschien ein gut aussehender Mann, sein Haar lag sanft gewellt an Stirn und Schläfen an, der dunkle Samt des gegürteten Morgenmantels wurde an Revers und den Enden der Ärmel von wahren Rüschenkaskaden bekränzt. Seine schmalen Augen waren zu boshaften Schlitzen verengt. Er trat ohne Scheu auf das Kopfsteinpflaster, inmitten des Kreises der nächtlichen Besucher, und somit Rattengesicht entgegen.
"Was hat das zu bedeuten?" Sein Blick bohrte sich regelrecht in den des Händlers, seine Stimme jedoch glich einem akzentuierten Zischen.
Rattengesicht machte das nichts aus. Er würde den Borogravier zwar nicht unterschätzen aber noch war er seiner Meinung nach nicht gefährlicher als andere seiner Kunden. Er kreuzte die Arme vor der Brust und starrte selbstsicher zurück. "Komm mir nicht so, Mann. Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt und wie ich deinen Männern schon gesagt habe: Ich bin kein Lagerhaus!"
Karakost ballte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten. Aber es waren manikürte Fäuste und Rattengesicht hatte schon vor längerer Zeit den Nutzen guter Geschäftsbeziehungen festgestellt, vor allem solcher, die mit der Assassinen-Gilde ausgehandelt waren.
Der empörte Hausherr funkelte ihn wütend an. "Der Vertrag bestand aus zwei Teilen und diesen zweiten Teil hast Du noch nicht erfüllt."
Rattengesicht zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Der zweite Teil hing von deinem Schmuggler ab und da die Gilde ihn erwischt und entsorgt hat, kann ich das Zeug an Niemanden weitergeben, der Dir recht wäre. Das musst Du doch zugeben, Herr."
Karakost atmete tief durch und entspannte mit bewusster Willensanstrengung die verkrampften Hände. Er rang sich zu einem falschen Lächeln durch. "Wir finden einen Neuen."
Rattengesicht hatte kein Problem damit, das Mimikspiel aufzugreifen, doch sein scheinbar fröhlicher Tonfall konnte nicht über seinen unverrückbaren Standpunkt in dieser Sache hinwegtäuschen: "Das ist toll, Herr. Dann wird der Kram Dir ja nicht lange Platz wegnehmen."
Bevor der schlanke Auftraggeber seinen verkniffenen Mund wieder öffnen und womöglich das Gesagte bereuen konnte, fiel Rattengesicht ihm mit einem Seufzer ins Wort. "Hör mal, Mann, ich mach Dir einen Vorschlag. Die Sache ist nicht so toll gelaufen, das wissen wir beide. Aber Geschäft ist Geschäft und ich will mir meine Kunden ja schließlich nicht vergraulen, nicht? Ich kann das Zeug echt nicht länger lagern, keine Möglichkeit, geht nicht! Das musst Du akzeptieren, Herr. Ich kann Dir dafür was gutschreiben." Er hob schnell die Hand, um dem giftigen Einwand zuvor zu kommen. "Warte! Als Gegenleistung lasse ich meine Kontakte spielen und finde für Dich einen neuen Schmuggler, einen, der der Gilde garantiert noch nicht aufgefallen ist. Alles klar? Was sagst Du dazu?"
Karakost ließ sich den Gedanken einen Moment durch den Kopf gehen. "Fünfzig Prozent Nachlass..."
Rattengesicht konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen. "Guter Witz, Herr, wirklich, lustig..."
Die dunklen Augenschlitze lauerten regelrecht, als der schlanke Mann mit dem katzenhaften Gesichtsausdruck einwarf: "Du hast den Vertrag gebrochen und bist hergekommen! Zu meinem Haus, an meine Haustür! Du hast mich gezwungen, das Geschäft auf offener Straße mit Dir zu diskuttieren! Fünfzig Prozent!"
Rattengesicht wurde mit einem Schlag ernst: "Ich könnte deine Argumente umdrehen. Du hast mich dazu gezwungen, Dich zu zwingen! Denkst Du etwa, mir wäre es lieb, hier mit meinen Männern ein so hohes Risiko einzugehen?" Nun war seine Stimme nicht mehr als ein vorwurfsvolles Flüstern. "Zwanzig Prozent Nachlass und keinen Deut mehr!"
Sie sahen einander tief in die Augen, während die Männer um sie herum unruhig wurden.
"Fünfundzwanzig..."
Die Blicke kreuzten sich, wie gezogene Degenklingen und die Sekunden dehnten sich.
Rattengesicht brummte missbilligend und gab dem bereit stehenden Steffen einen Wink.
Die Männer der beiden Verhandlungspartner begannen stumm damit, die Plane vom Karren abzudecken und die darunter verborgen gewesenen, vernagelten Holzkisten abzuladen.
Karakost schenkte dem Händler einen letzten Blick und folgte ihnen dann mit wehendem Gehrock ins Innere des Hauses.
"Bringt sie in den Stall!"
Rattengesicht rieb sich mit den flachen Händen das Gesicht, atmete tief durch und legte dann den Kopf entspannt in den Nacken.
Als er die müden Augen wieder öffnete, blickte er zuvorderst auf die Außenmauer des Anwesens von Karakost. Dort wo die Mauerkrone endete, begann, etwa zwei Meter zurückversetzt, das dahinter stehende Gebäude und ragte noch ein Stockwerk in die Höhe. So etwas wie ein bleicher Schatten war für eine Sekunde auf dem dortigen Dach zu erahnen gewesen und soeben fortgehuscht. Oder hatte er sich das nur eingebildet und es war in Wirklichkeit lediglich ein fortziehender Wolkenfetzen gewesen? Er runzelte die Stirn.


Der Verdacht


Gregor dachte darüber nach, ob er seine Vermutungen mit den anderen teilen oder sie lieber für sich behalten sollte. Er dachte darüber nun schon einige Stunden nach, während er gleichzeitig die Pferdeboxen ausmistete. Einerseits wäre es nur fair gewesen, 'Haken' und 'Schlitzer' an seinen Befürchtungen teilhaben zu lassen. Sie drei waren für die Sicherheit des Anwesens verantwortlich und wenn irgendetwas aus dem Ruder lief, müsste einer wie der andere den Kopf hinhalten. Andererseits war er noch nie als sonderlich fair bekannt gewesen und die beiden Kollegen zählten eben nicht zu seinen engeren Freunden.
Er wuchtete eine stinkende Schaufel Mist auf die Schubkarre.
Und wenn er nur mit Karakost darüber sprach? Der würde ihn gewiss erst einmal fragen, ob er sich denn sicher sei. Und konnte er dies bejahen?
Er dachte an die absichtlich zur Unkenntlichkeit verwischten Spuren neben dem Kohlevorrat, an die fehlenden Nägel im Deckel der einen Warenkiste und an die fast unscheinbaren Wachsflecken auf dem groben Boden hinter dem Kohlehaufen.
Ja, er war sich sicher.
Es sei denn, einer der beiden Anderen hatte sich selbst bedient an den Kisten.
Wenn er seine Beobachtungen vorbringen und damit unbeabsichtigt bei 'Hakens' oder 'Schlitzers' Angelegenheiten ins Schwarze treffen sollte, dann würde ihm das nicht gut bekommen.
Andererseits wiederum...
Er begann damit, neues Heu in die Boxen zu streuen, wobei sein Blick missmutig an der getarnten Luke am Ende des Raumes hängen blieb.
Er konnte sich außer seinen beiden Kumpels nur eine weitere Person vorstellen, die in diesem Haushalt überhaupt dafür in Frage kam, sich nicht an die Regeln zu halten. Zumindest nicht an seine Regeln!
Er kniff die dünnen Lippen so wütend zusammen, dass der glimmende Zigarettenstummel im Mundwinkel aufhüpfte und leuchtende Pünktchen zu Boden regnen ließ. Schnell trat er das Glühen zwischen den Strohhalmen aus.
Mit dieser Person hatte er sowieso noch eine Rechnung offen!


Das Paket


Das Paket hatte in etwa die Maße einer dicken Akte und war in vergilbtes und gewachstes Papier gewickelt worden, wie man es neuerdings für einen ordentlichen Preis in der Post erstehen konnte. Das Papier war mit festen Schnüren gesichert worden. Es gab keinen Absender.
Romulus von Grauhaar runzelte skeptisch die Stirn und beschnüffelte es unauffällig. Dann nahm er es auf und schüttelte es vorsichtig. Nichts.
Ein neuerlicher Blick auf die Anschrift bestätigte ihm jedoch, dass er als Empfänger vorgesehen war. Die Schrift kam ihm auch vage vertraut vor. Woher kannte er diesen typischen Schwung in den Oberlängen nur?
Es musste von Jemandem an ihn gesandt worden sein, der mit der Abteilung zu tun hatte, alles andere machte keinen Sinn. Es musste...
Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Verstehens, als ihn ein Erkenntnispartikel traf.
Natürlich! Ophelia Ziegenberger!
Schnell begann er die Knoten zu lösen und das Papier aufzuwickeln. Das Paket entfaltete sich auf dem Tisch gleich einer Blüte. Vor ihm lag ein Stapel beschriebener und nochmals mit einem dünnen Band geschnürter Papierseiten, über und über mit Notizen versehen. Allerdings, wie er mit einem Blick und einem schnellen Durchblättern der Seitenränder feststellte, sämtlich in einer ihm fremden Handschrift verfasst.
Er löste die letzten hinderlichen Fäden, warf sie achtlos auf den Tisch und suchte nach einem beigelegten Schreiben der jungen Ander Kaffer-Wächterin. Als er den ganzen Packen noch einmal anhob, sah er es. Das einzelne Blatt war separat beigelegt worden und zeigte den Grundriss des Karakostanwesens mit zusätzlichen Markierungen. So zeigte ein großes X einen Kohleschacht an, der durch Stall (Wandverdeckung), Heizraum (hinter Küche), Keller (zum See) und Kohlekeller führte, und viele kleine Kreise vermerkten die Schlafstätten der Hausbewohner. Es waren sogar die Hundezwinger zwischen Haupt- und Gesindehaus eingezeichnet und mit mehreren Ausrufezeichen hervorgehoben. Ein richtiges Anschreiben jedoch fand er nicht. Dafür konnte es viele Gründe geben, angefangen bei dem ganz schlichten, dass es ihr an Zeit gemangelt haben könnte, bis zu dem viel ernsteren, dass sie sich zu dem Zeitpunkt, an dem sie das Paket an ihn aufgegeben hatte, unter Beobachtung gewähnt haben mochte und die Gefahr auf ein Minimum hatte reduzieren wollen.
Romulus nahm, keineswegs beruhigt, nochmals die oberste Seite der Notizen zur Hand und begann, diese zu lesen.
Die Schrift zog sich in kleinem, schwungvollem Auf und Ab über die Seiten, auf von Hand gezogenen Linien gebändigt, wobei die scharfkantigen Buchstaben sowohl von Eile, als auch von einem starken Willen zu zeugen schienen.
Er blätterte zur nächsten Seite, inzwischen mit einer steilen Falte zwischen den buschigen Brauen. Seine Pupillen huschten hin und her, während seine Aufmerksamkeit die Zeilen überflog. Völlig in Gedanken ließ Romulus sich auf seinen Bürostuhl sinken und blätterte weiter zur dritten Seite der dünnen Papiersammlung.
Etwa eine halbe Stunde später legte er das letzte Blatt auf den kleinen Stapel zurück und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Der Stuhl knarrzte, gab aber nicht nach, als er sich zurücklehnte.
Das war eine Menge an Informationen!
Seine Gedanken wanderten zu der kleinen Ermittlerin.
Wenn irgendwer aus dem Hausstand mitbekommen haben sollte, wie sie dieses Paket abgesandt hatte, dann schwebte sie jetzt definitiv in Lebensgefahr. Erst recht, wenn eine Ahnung zum Umfang der weitergeleiteten Informationen bestehen sollte. Es schien zwar unwahrscheinlich, denn weder hatte sie selber einen entsprechenden Hinweis mitgegeben, noch wäre sie sonst vermutlich so weit gekommen, dass sie diesen Packen an Papieren am Postschalter hatte einreichen können. Aber die ohnehin unterschwellig stets vorhandene Sorge des stellvertretenden Abteilungsleiters um die verdeckt ermittelnden Kollegen hatte nun neuen Nährstoff gefunden. Das alles würde ihm keine Ruhe mehr lassen.
Er seufzte tief, beugte sich zum Schreibtisch vor und schob die Notizseiten akkurat zusammen. Es war eindeutig an der Zeit, mit einem Zwischenstandsbericht zum Abteilungsleiter zu gehen, um von dort aus gleich zum Kommandeur weitergeschickt zu werden - er kannte schließlich MeckDwarf. Und diese Informationen verlangten ganz klar nach einer Entscheidung!

Verlängerung


"Sör?", dem Werwolf in ihm sträubten sich die Nackenhaare, als Romulus von Grauhaar nach kurzem Klopfen die dunkle Dachkammer betrat. Schummriges Licht fiel schräg von draußen durch die Dachluke ein und nahm dem kahlen Raum mit dem Schreibtisch in der Mitte etwas von dessen unheimlichem Flair. Der warm leuchtende Balken aus Sonnenschein schien wegen der darin aufsteigenden Staubpartikel so etwas wie träge Substanz auszustrahlen.
Der stellvertretende Abteilungsleiter blickt misstrauisch zu dem rustikalen Balken empor und schloss zugleich die Tür des Büros hinter sich.
"Sör!" Er sah sich misstrauisch um. Sein Geruchssinn konnte sich doch nicht so grundlegend irren? Der I.A.-Agent musste hier irgendwo...
Ein leiser Schatten passierte ihn zu seiner Rechten in gemächlichem Tempo und der Vorgesetzte setzte sich nahezu geräuschlos in den Stuhl hinter das Schreibmöbel - gerade so, dass der Lichtstrahl ihn verfehlte.
Romulus atmete tief durch und unterdrückte seine zweite Natur mit all ihren instinktiven Reaktionen. Er war inzwischen zu lange bei der Wache dabei, um sich von so etwas wirklich aus dem Konzept bringen zu lassen. Stattdessen trat er vor den Schreibtisch, salutierte kurz und kam gleich zum Thema, wobei er dem Kommandeur den Stapel eingesandter Notizen behutsam auf der fleckigen Arbeitsfläche vorlegte.
"Diese Informationen kamen soeben per Postpaket an. Es war an mich adressiert, in der Handschrift der Hauptgefreiten Ziegenberger, die seit knapp drei Wochen im Ander Kaffer-Einsatz ermittelt. Leider lag kein Anschreiben von ihr bei."
Der bleiche Vampir deutete auf den einsamen Stuhl vor seinem Schreibtisch und nickte wissend: "Ja, die Karakost-Sache, ich erinnere mich." Er überflog mit satter Gelassenheit die ersten Sätze der ersten Seite, wobei er nur kurz unter schweren Lidern aufsah, um den Wächter zum Weiterreden aufzufordern. "Wie würdest Du die Entwicklungen in der Angelegenheit beschreiben?"
Romulus holte bei seiner Antwort etwas aus, endete jedoch mit den Worten: "... Es ist damit auf jeden Fall ziemlich klar, dass irgendwer im Haushalt Karakost bereits seit einiger Zeit und somit lange vor uns Informationen zu den dortigen Vorgängen gesammelt hat. Die Art der Aufzeichnungen und die Auswahl der festgehaltenen Punkte legen nahe, dass diese Person dem Haushaltsvorstand nicht gewogen gegenüber steht oder stand. Dass die Hauptgefreite die Informationen gesammelt an uns weiterleiten konnte kann im Grunde nur bedeuten, dass mit diesem direkten Vorgehen auch keine spezielle Gefahr für sie verbunden ist, wie zum Beispiel die, dass der Informationssammler seine Unterlagen vermissen würde. Sonst hätte sie vermutlich eher Kopien der Unterlagen in eigener Abschrift anzufertigen versucht. Es kommen als Urheber der Notizen daher im Grunde nur die beiden kürzlich aus dem Haushalt Ausgeschiedenen in Frage, was in Hinblick auf die Umstände durchaus Sinn macht. Wenn man nun noch die Handschrift berücksichtigt, die eher als weiblich identifiziert werden muss, legt das meiner Meinung nach den Schluss nahe, dass es sich um Aufzeichnungen der verstorbenen Johanna Onkel handelt, die diese vermutlich vor ihrer Ermordung an einem Versteck hinterlegt hatte, welches die Hauptgefreite nun entdeckt hat."
Rascaal Ohnedurst nickte bedächtig und blätterte mit spitzen Fingern durch die Unterlagen.
"Ich teile deine Schlussfolgerungen."
Es war für den stellvertretenden Abteilungsleiter nicht klar zu erkennen, ob der Vampir vor ihm lediglich Schlagworte überflog oder ob er die detaillierten Informationen tatsächlich mit rasender Geschwindigkeit in sich aufnahm. Im Stande dazu wäre er in jedem Falle gewesen, soweit Romulus das einschätzen konnte.
Ein sarkastisches Lächeln legte sich um die Mundwinkel des I.A.-Agenten und die blanke Spitze eines Eckzahnes blitzte im Zwielicht des Büros auf. "Karakost hatte also eine Laus im Pelz, derer er sich mit unfeinen Methoden entledigte. Und dazu handelte es sich auch noch um eine extrem neugierige Laus. Bloß hat er ganz offensichtlich nichts von diesen Aufzeichnungen gewusst, sonst hätte er sie ebenfalls vernichtet. Gut für uns." Er hielt einen Augenblick inne im Blättern und die weit entfernten Geräusche aus den unteren Etagen des Gebäudes sickerten in die Stille der Dachkammer. Sein Lächeln schwand. Rascaal legte die Notizen wieder zueinander und seine Hand oben auf den Stapel auf. Er musterte den Wächter mit dem fadenscheinigen Halstuch.
"Es geht also um Waffen für Borogravien. Gut zu wissen. Das ist große Politik und wird unserem lieben Havelock gewiss nicht zusagen... Waffenhandel, Umsturzpläne bezüglich der borogravischen Regierung und Konspiration dazu mit dem dortigen Adel, illegaler Näherinnen-Import, Mord... Der Kerl steckt nach allen Himmelsrichtungen hin bis zur Halskrause im Dreck."
Romulus nickte zustimmend.
Die kurze Stille wurde von einer Frage seitens des Kommandeurs unterbrochen: "Ich nehme an, das angedeutete Treffen mit einem 'hochrangigen Borogravier', das in etwa zu dieser Zeit jetzt geplant gewesen sein soll, hat noch nicht stattgefunden?"
Der R.U.M.-ler schüttelte den Kopf. "Soweit wir das abschätzen können, noch nicht. Jedenfalls hat uns keine diesbezügliche Information erreicht."
Der Befehlshabende der Wache nickte langsam, dann traf er eine Entscheidung.
"Der Ander Kaffer-Einsatz von Hauptgefreiter Ziegenberger wird um eine Woche verlängert! Teile das bitte MeckDwarf mit! Und leite auch sonst alles Nötige in die Wege! Außerdem möchte ich auf dem Laufenden gehalten werden!"
Romulus nickte und erhob sich vom Stuhl, um den Anweisungen schweren Herzens Folge zu leisten.


Kleine Unstimmigkeiten


Ayure Namida, derzeit Gefreite der Wache und Ermittlerin der Abteilung R.U.M., war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Sie blieb kurz an der Straßenecke stehen und blinzelte sich den unangenehmen Raureif von den Wimpern.
Heute Morgen hatte sie am Wachetresen erfahren, dass sie zum Leeren der Toten Briefkästen der Großen Route eingeteilt worden war. Natürlich sollte jeder Ermittler mit den Briefkästen vertraut sein und sie irgendwann einmal geleert haben. Und prinzipiell hatte sie ja auch nichts dagegen, an die frische Luft zu kommen. Aber es war eben eine Aufgabe, die nicht ausdrücklich zu ihrem Aufgabenbereich gehörte und es missfiel ihr, gerade jetzt dazu eingeteilt worden zu sein, da es draußen schneidend kalt geworden war und da sie sich für heute ein frisches Buch mitgenommen hatte. Es war eben etwas schwieriger beim Laufen zu lesen, als beim Wacheschieben bei den Zellen oder einer ruhigeren Schicht am Tresen. Na, immerhin hatte die Tour sich gelohnt. Sie dachte kurz an den vergilbten, welligen Zettel aus einem der Briefkästen.
Ein eisiger Luftzug fuhr ihr unter den Kragen. Sie zog geistesabwesend den Schal enger um ihren Hals, blätterte zur nächsten Seite um und überquerte mit traumwandlerischer Sicherheit die Straße. Ihre Gedanken versanken wieder in der Geschichte, bis sie aus den Augenwinkeln die Markierungen des Wache-Eingangsbereiches bemerkte. Mit einem unwilligen Seufzen schloss sie das Buch und verwahrte es vorsichtig in der Umhängetasche. Sie durchquerte die kleine Eingangshalle und erklomm die Stufen in den ersten Stock. Das Büro, welches sie sich mit den beiden Kollegen teilte, befand sich rechts den Flur hinunter, an dessen Ende. Sie öffnete die Tür - und löste damit allgegenwärtiges Rascheln aus. Ein kleine Wolke von Papieren wurde aufgewirbelt und durch die Tür fort geschoben. Eindeutig Rasmus' Handschrift. Er übertrieb es mit der Unordnung etwas.

Ayure blickte auf ihren eigenen Schreibtisch mit der gelbblättrigen Topfpflanze und hängte ihren Umhang seufzend über den einfachen Holzstuhl, der daraufhin fast unter dem Gewicht zu zerbrechen schien. Sie schob einige der Papiere auf ihrem Schreibtisch beiseite, ohne sie eines genaueren Blickes zu würdigen, und leerte den Inhalt ihrer Umhängetasche auf der Arbeitsfläche. Das Buch stellte sie mit wehmütigem Blick auf den Boden, dort wo die anderen Bücher ordentlich auf dem sauberen Tuch an der Wand standen. In den Apfel biss sie herzhaft hinein. Und die Nachricht aus dem Toten Briefkasten sah sie sich nun in aller Ruhe genauer an.
Auf einem normalen Blatt Papier stand dort zu lesen:

"Ich bin sowas von sauer und dass Du blind für das Offensichtliche bist, macht es auch nicht besser. Denk mal darüber nach, was Du hättest tun sollen, anstatt nur ins Leere zu starren. Würde mich allerdings nicht wundern, wenn Du dich schwarz ärgerst, bevor Du drauf kommst. Immerhin kann man nicht grad behaupten, Dir sei schon mal vor lauter Denken der Schweiß ausgebrochen oder sonst wie von der Arbeit warm geworden. O."

Hm. Merkwürdiger Text. Natürlich war das eine Nachricht an die Abteilung. Ayure wusste sogar, wer derzeit mit "O." unterschreiben würde. Aber inhaltlich...
Sie rümpfte angewidert die Nase. Das Papier stank erbärmlich, als wenn es neben einer Fäkalgrube aufbewahrt worden wäre. Was natürlich durchaus der Fall gewesen sein konnte.
Sie dachte über die Formulierungen nach.
Auf den ersten Blick wirkte es so, als wenn die Nachricht sinngemäß codiert worden wäre, denn bei den meisten anderen Verschlüsselungen, mal abgesehen von dem "Jedes-dritte-Wort-Trick" entstand nicht solch holprige Sinnhaftigkeit.
Also galt es, nach Schlüsselworten Ausschau zu halten!
Sie ging den Text Satz für Satz durch und wählte als auffällige Wörter: sauer, blind, Offensichtliche, denk mal, tun sollen, Leere, starren, schwarz ärgern, darauf kommen, behaupten, Denken, Schweiß, ausgebrochen, Arbeit, warm.
Das ergab noch nicht viel Sinn. Vermutlich hatte sie zu viele Worte ausgewählt, was wiederum zu mehr Verwirrung führte. Worauf zielten die Formulierungen hauptsächlich ab, was stellten sie in den Vordergrund? Den sauren Zustand der Zeilenverfasserin, sowie etwas Offensichtliches.
Ayure dachte an die Kollegin mit dem gut situierten Hintergrund. Es war schlichtweg undenkbar, dass diese sich unter normalen Umständen als sauer bezeichnet hätte. Vermutlich hätte sie eher so etwas gesagt wie "ich bin nicht unbedingt glücklich darüber". Dieses Wort musste eine tiefere Bedeutung haben. Dann betonte sie die Leere, die man nicht anstarren solle. Sie würde sich kaum dieserart auf irgendeinen Kollegen beziehen.
Ayure drehte den Zettel in den Händen und sah nach, ob vielleicht auf der Rückseite noch etwas Hilfreiches zu finden wäre, doch dort war nichts Besonderes zu sehen. Nur die leere Rückseite eben.
Sie drehte den Zettel wieder um.
Zusammen mit dem Offensichtlichem musste es also darum gehen, dass dieser Nachricht mehr anhaftete, als der erste Eindruck Glauben machen mochte. Sich schwarz ärgern! Das stach irgendwie heraus. Überhaupt gab es in dem kurzen Text unverhältnismäßig viele Hinweise auf Dinge, die mit dem Sehen oder Erkennen zu tun hatten - blind, Offensichtliches, Leere anstarren und dann noch eine Farbnennung...
In Ayures Gehirn begann sich etwas zu regen, ein Gedanke, der sich allmählich an die Oberfläche des Bewussten bahnte und schließlich mit einem kleinen Fähnchen winkte.
Das ich bezog sich auf den Zettel selber! Und wenn dieser sauer war, dann vielleicht in wörtlichem Sinne?
Die Gefreite dachte an einen schon länger zurückliegenden Vortrag ihrer Ausbildungszeit, in dem es um Geheimschriften gegangen war. "...natürlich ist das nicht ganz so einfach, wie es sich jetzt anhört. Das Papier saugt normalerweise enorm viel davon auf und beginnt sich zu wellen, was schon mal Aufmerksamkeit erregen kann. Und dann würde in der Praxis der süßlich-saure Geruch jedem misstrauischen Menschen mit einigen Kenntnissen dieser Dinge sofort auffallen..."
Ayure fühlte das Adrenalin regelrecht durch ihre Adern schießen, als sie ein Zündhölzchen anriss und eine Kerze zu sich heranzog.
Nein, nicht wenn man das Papier zuvor schon einem wesentlich stärkeren Aroma ausgesetzt hatte, welches alle anderen Düfte überdecken musste.
Sie begann sehr, sehr vorsichtig, das gewellte Papier mit einigem Abstand über der Flamme zu schwenken. Die flimmernde Hitze der kleinen Flamme ließ den Zettel knistern.
Sie musste lächeln. "...oder sonst wie von der Arbeit warm geworden..." Natürlich!
Das weiße Papier begann sich zaghaft zu verfärben. Hellbraune Schlieren zeichneten sich auf der Rückseite des beschrifteten Zettels ab, verlängerten sich und begannen miteinander zu blassen Worten zu verschmelzen:

"Information im Privatraum von Karakost gefunden. Hausherr beauftragt illegalen Assassinen, Tim Schiesswut, 19 Jahre alt, wohnhaft in der Betrug-und-Schwindel-Straße 36 in den Schatten. Auftragsziel ist Theodor Bester, Oberhaupt der Schmugglergilde. Erfüllungszeitraum ist auf vier Tage festgesetzt. Vereinbarter Lohn sind 300 AM-Dollar. - Blume duftet! O."

Keine Minute später schrieb die Gefreite den sichtbar gemachten Text fein säuberlich auf einen neuen Zettel ab, bevor sie mit beiden zum stellvertretenden Abteilungsleiter eilte.


Der Mann mit der Karte


Die Mittagszeit war schon seit einer Weile vorbei und die typisch städtische Geschäftigkeit nahm mit jeder zusätzlich verstreichenden Minute zu, da sich der Nachmittag mit seinen unweigerlichen Staus in den engen Straßen näherte. Karren und kleinere Fuhrwerke stritten um jeden Millimeter zum Umfahren von Hindernissen, wodurch sie selber zu ebensolchen wurden. Wesen aller Größen und Spezies wimmelten durcheinander, drängelten, hasteten und redeten. Die vorgespannten Zugtiere, auch der parkenden Karren am Straßenrand, wurden nervös.
'Haken' saß etwas erhöht über all dem auf dem Kutschbock des abgestellten Wagens. Er wartete auf die Müller. Sein Blick schweifte über das verdreckte Kopfsteinpflaster und die eng aneinander gedrängten Fassaden des Fünf-und-Sieben-Hofes. Alles hier lag im Schatten, was zwar im Hochsommer angenehm sein mochte, zu dieser kühlen Zeit des Jahres jedoch den steten Luftzug aus den umliegenden Gassen unangenehm verstärkte.
Er beobachtete aus der Entfernung, wie sie mit einem der Händler länger zu reden begann und dabei immer wieder auf Teile der Auslage des schmalen Standes zeigte.
Was trieb sie denn bloß so lange? Die Auswahl an frischem Gemüse war nicht einmal besonders groß und sie mussten noch weiter!
Eine neuerliche Böe fuhr ihm zischend in die Kleider und er brummte mürrisch.
Da endlich packte der Verkäufer unter langatmigem Lamentieren mehrere Kohlköpfe und helle Rüben in zwei große Papiertüten. Die Müller zählte ihm das Geld auf die flache Hand und hub die Tüten an, um mit ihnen den Platz zu überqueren.
Das wurde aber auch Zeit! Dann konnten sie jetzt endlich... moment! Was wollte der komische Kauz dort von der Müller? Und was zeigte er ihr für einen Zettel?
Die Aushilfe blickte schnell zu ihm rüber und schien unsicher zu sein, ob sie sich aufhalten lassen sollte. Zudem schienen die Tüten mit nicht unbeträchtlichem Gewicht an ihren Armen zu ziehen und sie hatte Mühe, sie zu halten und immer wieder hoch zu wuchten.
'Haken' band die Zügel fest um den Bremshebel des Kutschbocks und stieg vom heftig schaukelnden Gefährt auf den Gehweg. Er bahnte sich ohne besondere Rücksichtnahme den kurzen Weg zur Aushilfe, um gerade noch ihren fast erschrockenen Blick zu sehen, als sie dem Mann unsicher antwortete.
"...geradezu, bis Du auf die breite Königsstraße triffst. Dann musst Du links abbiegen und bei der nächsten großen Kreuzung rechts rein in die Teekuchenstraße. Und soweit ich weiß, dann nur noch geradeaus, bis Du auf die Chrono... auf diese Straße triffst. Wobei ich aber selber noch einigermaßen neu bin in der Stadt und manchmal was durcheinander bringe."
Ihre großen grauen Augen blickten 'Haken' betont unschuldig entgegen, als sie mit einem Nicken an ihn fortfuhr: "Aber mein Kollege hier kann Dir bestimmt besser weiterhelfen."
Der Stallknecht nahm ihr wortlos eine der schweren Tüten ab. Besser so, als wenn sie noch mehr Zeit damit vergeuden müssten, das gefallene Gemüse wieder einzusammeln. Er wandte sich dem kleinen Mann zu, der ihn mit nervösem Blinzeln von unten herauf ansah. Die unnatürlich hohe Stimme des Mannes ließ 'Haken' die Stirn runzeln. So aufgeregt konnte man gar nicht sein, dass man dermaßen quäkte.
"Äh, ja, sicherlich, Herr... Ich möchte, wie ich der freundlichen jungen Dame schon erklärte, zur Chronontonto... ähm... zu dieser Straße hier." Er zeigte dem muskelbepackten Hünen eine Grußkarte der Stadt mit dem magisch funkelnden Bild des Kunstturmes. Auf ihrer Rückseite stand in einfachen Druckbuchstaben geschrieben:

"Lieber Ottokar, wir freuen uns darauf, Dich morgen endlich nach so langer Zeit wieder bei uns haben zu dürfen. RK"


Der kleine Mann blinzelte ihn freundlich an, zog schniefend die Nase hoch und deutete mit einem behandschuhten Finger auf die Absenderangaben.
"Dort, so heißt diese Straße. Sie muss hier ganz in der Nähe sein aber irgendwie kann ich sie nicht finden. Langsam glaube ich, dass ich im Kreis laufe oder dass mir die Leute immer den falschen Weg sagen."
Als Absender stand auf der Karte ein gewisser Ralfi Klunker, wohnhaft in der Chrononhotonthologenstrasse 54 vermerkt.
'Haken' nickte wortkarg und zeigte in die gleiche Richtung, die zuvor seine Kollegin beschrieben hatte. "Das ist schon richtig, was sie Dir gesagt hat. Du musst dort lang und dann links." Er gab dem kleinen Mann seine Postkarte zurück und dieser beeilte sich, in die angegebene Richtung zu verschwinden.

Die Aushilfe sah ihm mit merkwürdigem Gesichtsausdruck nach, bevor sie sich sichtlich zusammen nahm und mit einem dieser grässlichen Grinsen die Röcke raffte, um zum Wagen voraus zu gehen.
Der grobschlächtige Mann folgte ihr kurz auf, wobei er erst den entschwindenden Mann und dann ihre gerade Rückenlinie mit einem nachdenklichen Blick bedachte. Einem Blick, dem weitaus mehr Intelligenz zu entnehmen gewesen wäre, als die üblichen Beobachter in ihm zu finden gewohnt waren.


Verkommene Stadt


Die Küche war brütend warm vom erst kürzlich erloschenen Herdfeuer und noch immer schwebten die letzten Düfte der Abendmahlzeit im Raum. Die Köchin griff in den kleinen Tontopf neben der Spüle und begann, ihren Händen eine reichhaltige Schicht Melkfett einzumassieren. Ihr gutmütiger Blick glitt über die anderen Beiden - Marian und Berta. Während die kleine Blondine den Rand der Spüle mit einem fast schon durchscheinend gescheuerten Lappen trocken wischte, schloss die Andere soeben den hinteren Herd, aus dem sie die alte Asche gekratzt hatte.
Ellie nickte zufrieden. Ihre beiden Mädels gaben ein ordentliches Gespann ab.
Marian lächelte ihr in gewohnt herzlicher Art zu: "Ich bin jedenfalls froh, dass die beiden Weiber mit dem Oberst heute Abend abgereist sind. Jetzt wird es wohl endlich wieder etwas ruhiger werden."
Die beleibte Vorgesetzte nickte, ebenfalls unverkennbare Zufriedenheit ins Gesicht geschrieben. "Wurde ja auch Zeit. Wen soll man denn schließlich noch alles durchfüttern!"
Berta trug den Ascheeimer in die Ecke und streckte sich. "Dann wird wohl auch nicht mehr so oft für Unten eingeheizt werden müssen, oder? Das dürfte die Männer freuen."
Die beiden länger im Haushalt beschäftigten Frauen grinsten einander an und die Köchin antwortete mit einem fast gutturalen Gurren in der Kehle: "Worauf Du einen lassen kannst, Mädel!"
Sie ergänzte mit einem schelmischen Blick zur Tür und für sie ungewohnt neckendem Tonfall: "Was aber nicht bedeutet, dass der Herr deswegen bessere Laune bekommt."
Im Rahmen zur Küche stand 'Schlitzer'. Er fand Scherze auf seine Kosten offensichtlich keinesfalls amüsant, denn seine Narben schienen sich tiefer als sonst in die Falten seines Gesichtes zu graben und die Stirn glich zusammengeballten Gewitterfronten, deren Ausläufer dunkel übereinander hinwegrollten. Er ignorierte das spöttische Gelächter und wandte sich an die zerzaust wirkende Aushilfe.
"Karakost braucht Dich unten."
Ellie stutzte. "Um die Zeit noch? Will er noch etwas zu essen gem..."
Der Leibwächter unterbrach sie mit einem funkelnden Blick und die stämmige Frau runzelte unwillig die Stirn. Sie sah zu dem verunsichert blickenden Mädchen und spürte einen grollenden Zorn hinter ihrer gewaltigen Brust aufsteigen. Nicht schon wieder!
Doch 'Schlitzer' wandte sich bloß um und Marian und sie tauschten einen langen Blick miteinander aus.
Ellie spürte die fragenden grauen Augen auf sich ruhen und seufzte aus den Tiefen ihres sich plötzlich sehr alt fühlenden, schweren Herzens heraus. Möglichst leichthin zuckte sie mit den Schultern.
"Tja, dann musst Du wohl noch mal runter, Berta."
Es war offensichtlich, dass etwas nicht stimmte und das Mädchen hätte dümmer als Trine sein müssen, um das nicht zu bemerken. Aber sie alle hatten sich nun einmal an Spielregeln zu halten und in bestimmte Sachen mischte man sich nicht ein.
Die leichten Schritte entfernten sich in den Vorraum und stiegen kurz darauf die steinernen Stufen in den Keller hinab, bis sie nicht mehr zu hören waren.

Die Spülmagd schlang die Arme um ihren Oberkörper, als wenn ihr plötzlich kalt geworden wäre. Sie wollte etwas sagen, doch Ellie verhärtete sicherheitshalber ihr Herz und die eingefrorene Mimik ließ Marian innehalten.
Es war eine Schande, egal was in dieser verkommenen Stadt sonst noch üblich sein mochte. Manchmal wünschte die Köchin sich, es möge eine der "ach so tollen Gottheiten" mit einem Blitz dazwischen fahren und solchen Sachen ein gebührendes Ende setzen. Aber das geschah nie.
Sie wandte der plötzlich zerbrechlich wirkenden Marian den Rücken zu und ließ diese allein in der Küche zurück.


Die Nachricht


Der große Rekrut saß zusammengekauert auf dem Dach des Wachegebäudes und starrte grübelnd in die Nacht hinaus. Der Anblick tausender kleiner Lichter zwischen unzähligen dunklen Dächern hätte idyllisch sein können, wenn die Kälte ihm nicht so zugesetzt und dadurch die Stimmung verdorben hätte. Seine Nähte schmerzten ihn und nur der Gedanke an den unbekannten Verursacher seiner gerade erst abheilenden Wunden vermochte ihn glühend von innen zu wärmen. Er würde sich den Kerl vorknöpfen! So ein Gesicht war schwerlich zu vergessen und es würde Menschen geben, die sich daran erinnerten. Andere, denen es geglückt sein mochte, bisher zu überleben.
Ettark verzog das Gesicht und griff hastig an seine Seite, wo sich die Flasche mit dem Betäubungsmittel befand.
Die Igorina hatte ihn mit einem eindringlichen Blick der unterschiedlich gefärbten Augen angesehen und darauf bestanden, ihm lediglich kleine Rationen des Mittels auszuhändigen. Er könne jederzeit Nachschub abholen aber zu viel auf einmal würde ganz eigene Gefahren bergen.
Es galt also, das Zeug zu rationieren, schließlich hatte er nicht vor, bei ihr betteln zu gehen. Oder aber er musste möglichst schnell selber eine bessere Dosierung mischen. Wenn er nur nicht gerade mit diesem Fach so seine Schwierigkeiten gehabt hätte!
Er nahm nur einen kleinen Schluck und hielt die Flasche dann eine Zeit lang geöffnet in der verkrampften Hand, darum bemüht, regelmäßig zu atmen. Das Brennen über den gesamten Körper würde gleich nachlassen. Ein Erfahrungswert. Minuten vergingen.
Er ließ den Atem entweichen und verstöpselte die Flasche sorgsam wieder.
Die Nacht um ihn herum funkelte leise und all die Geräusche einer niemals ruhenden Großstadt stiegen zu ihm auf.
Er konzentrierte sich wieder. Immerhin saß er hier nicht ohne Grund auf dem Dach herum!
Mit einem routinierten Blick überprüfte Ettark die von hieraus sichtbaren großen Klackertürme. Vor allem den, der den städtischen Anschluss zum Großen Strang bildete. Sollten irgendwelche wichtigen Nachrichten von dort aus an das Wachhaus geschickt werden, so war er der Richtige, um diese weiterzuleiten. Im Gegensatz zu anderen Rekruten hatte er keine Schwierigkeiten damit, die eingehenden Nachrichten nicht nur schnell genug zu notieren. Er konnte sie auch zeitgleich decodieren, denn das war etwas, was man in der Gilde gleich zu Beginn im theoretischen Unterricht erlernte und kurz darauf schnell praktisch zu schätzen lernte.
Geradezu das Opernhaus versperrte ihm den grandiosen Blick auf die dahinter schnurgerade verlaufende Königsstraße, die man in Richtung Quirm bis zum Deosil-Tor hinuntersehen konnte, wie er von seinen Spaziergängen über die Dächer wusste. Schade eigentlich.
Er ließ die Augen über das Panorama zur Rechten schweifen. Immer wieder blinkten nah und fern Lichter auf, die ihn misstrauisch innehalten ließen. Zumindest sollte das so sein. Aber so eine Nacht war lang und wenn nicht die Müdigkeit ihren Tribut einforderte, dann stumpften die Sinne aufgrund der unzähligen bedeutungslosen Lichter ab - Kerzen wurden in Fenstern entzündet, die Alchemisten ließen in unregelmäßigen Abständen stumme Blitze verpuffen, ein betrunkener Zauberer tief in den Gassen unter Ettark veranstaltete auf dem Heimweg zur Universität ein privates Feuerwerk und die Gasbeleuchtung mit ihren Aussetzern narrte ihn zusätzlich. Und dann gab es ja auch noch die vielen privaten Klacker, die unvermutet zwischen dem Schornsteinwald aufleuchteten, mit so unwichtigen Nachrichten wie "Bist Du schon zu Hause?" oder "Ich habe noch mal nachgesehen. Es war ein Karren der Serie Drachenbau mit zusätzlichen Schuppenbezügen. Tolles Teil!".
Der ehemalige Assasine sah in die andere Richtung, dorthin, wo der leuchtende Schimmer über den Dächern dunkler ausfiel, als über dem Rest der Stadt - zu den Schatten. Einem verrotteten Leuchtturm gleich ragte dort in einiger Entfernung, fast verdeckt von den Auswüchsen des riesigen Klackers der Bettlergilde, der Klacker des alten Wachhauses auf.
Was die anderen Rekruten wohl gerade machten? Vermutlich schlafen, dachte er mit einem grimmigen Lächeln.
Dann blinzelte er und sah genauer hin. Gerade fiel die Signalfahne seitlich des Wachhausklackers in ihre Einrastung und der Turm begann mit den Standardsignalen um Aufmerksamkeit zu werben.
Der Rekrut sprang auf, ließ die wärmende Decke auf dem Platz liegen und eilte zum hiesigen Gegenstück der Kommunikationsanlage. Keine zehn Sekunden später hatte er die Blende der Lampe entfernt, den Docht hochgedreht und das Signal bestätigt. Er blendete die Lampe wieder ab und wartete. Da begann der gegenüberliegende Turm zu senden.
Ettark brauchte sich das kurze und lange Leuchten nicht zu notieren, er sprach die Buchstaben und Wörter leise mit. Als das Ende der Nachricht angezeigt wurde, bestätigte er mit einem kurzen Signal den Empfang, drehte den Docht runter und rannte aufgeregt zum Treppenhaus. Die Schmerzen waren für den Moment vergessen, stattdessen pulsierte Aufregung in ihm. Er ahnte, dass hinter dieser Nachricht mehr stecken musste, immerhin wurde sie mitten in der Nacht an die Abteilung gesandt, die für Mordangelegenheiten zuständig war! So etwas wie beinahe verschüttete professionelle Neugier regte sich in ihm, als er die Nachricht am Wachetresen notierte und als dringlich abgeben wollte.

Der dortige Rekrut zuckte nach einem kurzen Blick darauf nur mit den Schultern. "Die Nachricht war im Original nicht mit Dringlichkeit gekennzeichnet, hast Du zugegeben! Ich meine ja nur, wenn wir hier einfach alles mit hoher Wichtigkeit versehen..." Er bemerkte den durchdringenden Blick des Kollegen. "Ach... keine Ahnung... Wenn Du meinst, dass es wirklich was Wichtiges ist, dann kannst Du ja beim Feldwebel Dubiata anklopfen." Er deutete auf die Tür, von ihm aus gesehen rechts des Wachhauseinganges. "Ich hab' sie grad von der Gerichtsmedizin runterkommen sehen. Ja, ja, alte Angewohnheiten..." Er begegnete den langsam Ungeduld ausstrahlenden Augen und winkte ab. "Ist egal. Jedenfalls ist die neue S.E.A.L.S.-Abteilungsleiterin heute Nacht nicht im Wachhaus aber ihre Stellvertreterin. Frag die. Sonst kannst Du den Zettel auch bis morgen hier lassen, wir leiten den dann mit der Rohrpost an die Abteilung weiter, sobald die Frühschicht beginnt."
Ettark blickte etwas unentschlossen auf die kurze Nachricht. Sollte er sich im Übereifer zum Gespött machen? Andererseits... es wurde immer über die dämlichen Rekruten geschimpft, die nicht einmal, wenn man sie mit dem Kopf hinein tunkte, etwas Wichtiges erkennen würden...
Immerhin hatte er die Nachricht selber empfangen! Und er gab nicht viel auf Spott.
Er traf eine Entscheidung und ging sicheren Schrittes zum Büro des stellvertretenden Abteilungsleiters der S.E.A.L.S. Er klopfte an und trat ein.

Ohne auf eine Erwiderung zu warten leitete er sich mit den Worten ein: "Ich hab' grad Klackerdienst und soeben eine Nachricht empfangen, die wichtig sein könnte. Ich bitte um eine Anweisung, wie damit zu verfahren ist."
Rea Dubiata sah ihn überrascht aber nicht unfreundlich an. Sie streckte die Hand nach der Nachricht aus, las sie schweigend und gab sie dann an den Rekruten zurück. Sie dachte kurz nach.
"Romulus müsste noch im Wachhaus sein... am besten gehst Du gleich direkt zu ihm. Erstes Stockwerk. Du siehst dort drei Türen, davon die rechte, das Büro des Stellvertreters. In Ordnung? Rekrut...?"
"Ettark! Rekrut Ettark ist mein Name."
Sie lächelte ihn freundlich an.
"In Ordnung, Ettark. Am besten Du bringst ihm die Nachricht sofort, bevor er sich vielleicht doch noch auf den Heimweg macht."

Der Bergiger machte sich wieder auf den Weg, an dem mit milder Nachsicht lächelnden Wachhabenden vorbei, die Treppe rauf. Kaum an dem entsprechenden Büro angekommen, stieß er beinahe mit von Grauhaar zusammen, als dieser seine Bürotür öffnete und sich im Gehen seinen Hut aufsetzte.
Ettark druckste nicht lange herum: "Soeben traf diese Nachricht ein. Ich weiß nicht, ob Du noch einen Blick darauf werfen möchtest oder..." Er ließ den Rest des Satzes offen in der Luft hängen.
Der ältere Wächter sah ihm auf gleicher Augenhöhe ins Gesicht, nahm dann aber kommentarlos den Zettel des Rekruten entgegen.
Ettark spürte, wie etwas in der Luft sich zu verändern schien.
Der Wächter vor ihm sog scharf Luft ein und ballte reflexartig die Faust um das nun zerknitterte Stück Papier. Er sah ihn mit alarmiertem Blick an und schlug ihm derart kräftig auf die Schulter, dass Ettark fast in die Knie gegangen wäre.
"Verdammt! Das darf doch nicht wahr sein. Nur ein paar Stunden noch, ein paar lächerliche Stunden!" Die Augen des Vorgesetzten schienen etwas Raubtierhaftes auszustrahlen und er knurrte Ettark fast die Befehle ins Gesicht.
"Ich alarmiere die anderen und stelle ein F.R.O.G.-Tiehm zusammen, Du schnappst Dir sofort einen zusätzlichen Wächter und spannst den Einsatzwagen an. Nimm Schusi! Und dann fahre den Eselskarren vor' s Wachhaus! Wir brechen sofort auf!"
Und schon sprintete Romulus von Grauhaar an ihm vorbei und eine Treppe höher zum AL-Büro der F.R.O.G.s. Ettark war soeben wieder im Erdgeschoss angekommen und rannte dort am Wachetresen vorbei zum Pausenraum, um sich Verstärkung zu holen, als er den durchdringenden Alarmschrei des Oberfeldwebels hörte:
"FROGS! ZU MIR!"
Das eilige Fußgetrappel war noch zwei Etagen tiefer zu spüren, als die Anwesenden vom Bereitschaftsraum in das Büro stürmten.
Der Rekrut kam schlitternd im Türrahmen des Pausenraumes zum Stehen und deutete auf die einzige dort sitzende Person. "Du! Komm schnell mit! Die F.R.O.G.s starten zu einem Notfalleinsatz und wir müssen sofort den Wagen anspannen!"
Der Andere, ein blasser Rekrut mit schwarzem Haar, runzelte zwar leicht die Stirn, hielt sie beide aber nicht mit unnötigen Fragen auf. Sie rannten zu den Stallungen und gaben ihr Bestes, den störrischen Esel mitsamt dem Einsatzkarren rechtzeitig vor das Portal zu bekommen. Aber die fünfköpfige Einsatztruppe kam in den Hof gestürmt, als sie noch nicht einmal das Geschirr festgezurrt hatten. Kurzerhand sahen sie sich beiseite gedrängt und nur noch tatenlos zusehend und zuhörend, während die höherrangigen Wächter sich mit knappen Worten und schnellen Handgriffen verständigten.

Ettark hatte geahnt, dass hinter den wenigen Worten der Nachricht mehr steckte, als auf den ersten Blick für ihn ersichtlich war. Aber diese Wendung der Ereignisse hatte er nicht vorhergesehen. Er versuchte das, was hier vor sich ging, mit dem Dechiffrierten in einen logischen Zusammenhang zu setzen und rekonstruierte die Signale in seinem Sinn.

"- Ursprüngliche Nachricht von Klacker 512 -
- Siebenschläferstrasse Ecke Königsstrasse -
- Weitergeleitet von Wache Kröselstrasse -
- Nachtschicht - Rekrut Schwerter -
Text: Vermisst Ihr eine Küchenmagd?
Falls RUM eine benötigen sollte:
Die Dame wird wohl heute noch entlassen.
- Nachricht Ende -"


Nur allmählich ging ihm auf, was das bedeuten mochte. Der schlanke Vampir mit den zwei Pistolenarmbrüsten und dem Umhang wuchtete soeben eine voll gepackte Tasche auf den Wagen, in der es leise metallen schepperte und der stellvertretende AL von R.U.M. zog den Riemen des Geschirrs mit einem solchen Ruck an, dass Schusi zusammenzuckte und mit nervös wackelnden Ohren auf der Stelle zu tänzeln begann. Die junge Frau mit dem zusammengebundenen aschblonden Haar, die schon wartend auf der Ladefläche des Karrens bereit saß, war Ettarks Einschätzung nach ganz bestimmt Püschologin. Der riesige Gefreite mit dem silber-schwarz gesträhnten Haar und dem Dreitagebart strahlte regelrecht die Worte aus "Ich bin Werwolf!", während er der Frau im Wagen kommentarlos einen Stapel zusammengelegter Decken raufreichte. Die Abteilungsleiterin der F.R.O.G. kontrollierte das Seil an ihrem Gürtel, sowie den Dolch im Stiefel, während sie mit ernstem Gesichtsausdruck von Grauhaar zuhörte.
"... raus holen. Ich hoffe nur, dass es noch nicht zu spät ist."
Die dunkelhäutige Schönheit stemmte die Hände in die Hüften.
"Offiziell ist sie also eine Mörderin und wir holen sie mit einem Haftbefehl da raus. In Ordnung, das kriegen wir schon hin, Romulus. Beruhige Dich! Wir machen sowas ja schließlich nicht zum ersten Mal."
Ettark sah den hoch gewachsenen Mann kurz innehalten und sich der Frau zuwenden.
"Ich... Du verstehst das nicht, Kanndra, sie ist... eigentlich wäre der Einsatz schon letzte Woche zu Ende gewesen und sie wieder raus aus der Sache. Wir haben nur noch auf einen einzigen Hinweis gewartet, der aber nicht mehr unabänderlich nötig gewesen wäre! Besser natürlich schon aber nicht unbedingt nötig. Und dann kam ja heute auch das Stichwort und wir hatten schon alles veranlasst. Wir... Und zu allem Überfluss: Wer, verdammt noch mal, hat die Nachricht abgeschickt?"
Die F.R.O.G.-Abteilungsleiterin unterbrach ihn: "Ich verstehe das sehr wohl, Romulus. Aber es wäre besser, wenn wir uns darum jetzt nicht noch zusätzliche Gedanken machen, sondern stattdessen losfahren." Womit sie auch die Übrigen des Trupps mit einem Wink dazu aufforderte, aufzusteigen. Der stellvertretende Abteilungsleiter von R.U.M. drehte sich noch ein letztes Mal zu den Rekruten um.
"Schafft Rogi Feinstich her! Sie soll sich auf das Schlimmste gefasst machen und alles vorbereiten!"
Die Glocke wurde mit lautem Bimmeln geschwungen und Schusi zog den Wagen mit einem Ruck an, der deutlich machte, wie viel Kraft tatsächlich in dem Tier steckte.

Die Rekruten sahen dem Wagen nach, wie er mit zunehmender Geschwindigkeit in die Nacht raste. Neben Ettark regte sich der Kollege.
"Ich bin William de Morgue. Und wie heißt Du?"
"Ettark."
Sie sahen einander an und nach einigen Sekunden fragte de Morgue:
"Soweit ich weiß, hat die neue S.E.A.L.S.-Schäffin heute keine Schicht. Hat sie überhaupt schon ein neues Büro?"
Ettark erinnerte sich an die entsprechenden Hinweise des Wachhabenden und nickte zögerlich.
William sprach die Frage laut aus, die sie nun beide beschäftigte:
"Wo finden wir sie, wenn sie nicht im Wachhaus ist?"


Herzensangelegenheit


Die Nacht war sein Reich! Und die köstliche Erregung einer Jagd das angestammte Recht seiner Spezies! Vorbei fliegende Schatten hätten demnach den perfekten Rahmen für Valdimier von Varwalds Abend bilden müssen.
Wenn es nicht um einen Kollegen in Not gegangen wäre!
Seine geschärften Sinne eilten dem Einsatzwagen voraus und all sein Verlangen richtete sich darauf, schneller voran zu kommen, womöglich schon hier und jetzt die Gestalt zu wandeln und die Kollegen zurück zu lassen. Aber das wäre sträflicher Leichtsinn gewesen und nicht im Sinne der Einsatzleitung. Sicherlich, er konnte als erster am Einsatzort ankommen. Aber dann wäre kein geschlossenes Vorgehen mehr möglich gewesen. Und wie oft hatte es sich schon gezeigt, dass auch Vampire in dieser Stadt Feinden begegnen konnten, denen sie allein nicht gewachsen waren? Eine Lektion, die man als Wächter umso schneller lernte. Er hielt sich also zurück.
Die Ander Kaffer-Wächterin, um die es ging, war ihm noch nicht begegnet. Der Beschreibung nach handelte es sich bei ihr um eine zierliche Menschenfrau, wesentlich kleiner als er, mit schulterlangem, braunem Haar, grauen Augen und dem lockenden Herzschlag einer 21-Jährigen. Er würde sie schon finden.
Das kräftige Pochen der zwei Werwolfherzen und dasjenige der zwei Menschenherzen neben ihm hatte aufgrund der Anspannung, die sie alle ergriffen hatte, eine ansteckende Wirkung auf Valdimier. Nicht, dass sein eigenes Herz plötzlich wieder zu schlagen begonnen hätte aber er fühlte sich wach und aufgeregt.
Kanndra zügelte das Tempo und kurz darauf kam der Wagen mit einem Ruck zum Stehen. Sie wandte sich zu den anderen auf der Karrenfläche um und erteilte leise Instruktionen.
"Wir befinden uns einen Block entfernt zum Karakost-Anwesen, auf dessen Rückseite. Valdimier schaltet die Hunde aus. Wir gehen über die Hintertür rein. Romulus und Waldemar gehen vor. Tussnelda und ich sichern hinter Euch den Rückweg ab. Erst das Gesindehaus, dann das Haupthaus. Valdimier, Du weißt wo der Schachteinstieg liegt. Sobald Du unser Zeichen siehst, gehst Du runter und gibst uns Deckung, wenn wir von Vorne reingehen!"
Sie blickte jeden noch einmal ernst an.
"Zügig und effizient. Wie immer. Wichtigstes Ziel ist es, unsere Kollegin rauszuholen. Behaltet dabei aber im Sinn, dass sie offiziell als Mörderin gesucht wird! Keine verräterischen Aktionen! Ihr kennt sie nicht! Außerdem ist höchste Vorsicht angesagt - alles sieht nach einer Falle aus und wir können nicht davon ausgehen, dass sie überhaupt noch lebt..."
Kanndra seufzte. "Hat jeder genügend Handschellen mit?"
Das synchrone Nicken gab den Ausschlag.
"Gut. Dann wollen wir mal. Es geht los!"

~~~~~


Die beiden Pistolenarmbrüste hingen geladen an seinen Seiten, als die flüsternde Seide seines Umhanges sich dunkel um den Vampir schloss... und verschwand. Ein winziger Schatten huschte lautlos davon, über die Außenmauern des Häuserblocks, in den dortigen Hof. Als die wiederhergestellte Seide wispernd auseinander glitt und die beiden Wachhunde mit gespitzten Ohren aufsahen, war es für sie zu spät. 'Tschak-tschak'! Die Betäubungbolzen wirkten sofort und als die sehnigen Körper auf dem Boden auftrafen, öffnete der Vampir schon die Hintertür für die wartenden Kollegen.
Sie bewegten sich leise, sehr leise, rannten von Schatten zu Schatten und drangen in das Gesindehaus ein.
Valdimier huschte zum Stall und wartete an dessen Eingang auf das vereinbarte Zeichen. Am Fenster des Ersten Stockwerks leuchtete sacht eine bleiche Handfläche zu ihm rüber, gefolgt von einer zweiten. Er durchquerte den Stall und tastete im Dunkeln die hintere Wand nach der Einstiegsluke ab. Der Mechanismus war sehr einfach. Er blickte in den finsteren Schacht hinunter, konnte aber trotz seiner guten Nachtsicht kein Hindernis ausmachen. Perfekt! Sie hatten bisher Glück.
Er verwandelte sich wieder und flog, das nervös beiseite gerückte Pferd im Stall zurücklassend, eine Etage tiefer, wo er schon im Schacht von Wärme und dem muffigen Geruch dösender Drachen umfangen wurde. Die kleinen Kreaturen bemerkten ihn nicht einmal, als er das flache Ledertäschchen mit den Dietrichen zückte und sich so, von dem hinteren Raum aus, Zugang zur Küche verschaffte. Er eilte lautlos durch die dunklen Räume, wie es nur ein Vampir vermochte, bis er in die Eingangshalle des Haupthauses gelangte. Die Werwolfkollegen mussten seine Präsenz inzwischen riechen, wenn sie soweit vorgedrungen waren. Er befüllte seine Armbrust von Neuem und legte sich auf die Lauer. Seine Augen wanderten die Wände und Türen entlang, immer auf der Suche nach einer verräterischen Bewegung im Dunkel. Es war ihm nur zu deutlich bewusst, dass sie vermutlich längst vom Absender der Nachricht erwartet wurden.

Die kleine Seitentür öffnete sich und die Kollegen huschten, wie besprochen, durch die Haupthalle und zu ihm in den Salon. Sie lehnten die Tür an, um den kurzen Informationsaustausch zusätzlich nach Außen abzudämmen.
Valdimier flüsterte mit kaum hörbarer Stimme: "Ich befürchte, sie sind nicht mehr im Haus. Ich konnte nur drei Herzen im Gesindetrakt wahrnehmen und ein älteres auf der Küchenebene. Das dürfte, laut Plan, die Haushälterin sein. Falls sie einen Troll hier haben oder eine andere Spezies ohne Herzschlag, kann ich diese natürlich nicht ausmachen. Ich konnte zwar nichts entdecken aber..."
Kanndra nickte knapp. "Um die drei Frauen im Gesindehaus haben wir uns schon gekümmert. Sie waren überrascht, haben aber keine Probleme gemacht. Romulus!"
Valdimier sah zu dem Werwolf rüber.
Romulus runzelte bei diesem Stichwort die Stirn. "Sie sind noch hier. Ganz unten. Die Mauern sind zwar dick aber wir...", womit er kurz zu Waldemar sah, der seine Worte mit einem lautlosen Nicken bestätigte, "...können dennoch Blut riechen. Wir müssen also in den unteren Keller!"
Kanndra deutete auf die schweigsame Püschologin und sich.
"Wir kümmern uns um die Alte und schließen dann sofort wieder zu Euch auf. Valdimier deckt Euch wieder über den Schacht. Und ab!"
Die Truppe strömte aus dem Raum und teilte sich.

~~~~~


Valdimier nahm den Weg, den er gekommen war, passierte die still im Dunkeln liegende Küche und die Heizkammer mit den schlafenden, dürren Drachen in ihren Käfigen. Als er dieses Mal den Schacht verließ, fand er sich in einem aus dem Stein gehauenen schmalen Gang wieder, der sich in zwei Richtungen in absolute Finsternis erstreckte.
Der Wächter wusste, in welche Richtung er laut Plan musste und bog kurz darauf nach rechts ab und stieß auf einen schweren Samtvorhang. Er lauschte. Bis auf leises Plätschern von Wasser, geradeso über der Hörschwelle, konnte er nichts ausmachen. Vorsichtig schob er den Stoff beiseite. Der Gang öffnete sich in einen großen, hell ausgeleuchteten Raum. Das Licht etlicher Öllampen empfing ihn und reflektierte glitzernd in polierten Armaturen, samtig leuchtenden Porzellanbecken und Schüsseln, Zinnkrügen, Kristallleuchtern und Spiegeln. In einer Ecke des Raumes lagen flauschige Felle um eine großzügige Chaiselonge drapiert.
Und über all dem lag der undefinierbare Geruch von Gefahr.
Valdimier blendete den Prunk so gut wie möglich aus seiner Wahrnehmung aus und konzentrierte sich auf das Wesentliche. Weit hinter ihm öffneten die Kollegen soeben die Kellertür am Anfang des Ganges. Und irgendwo vor ihm schlug ein menschliches Herz - viel zu unregelmäßig und zu schwach!
Er trat auf den zweiten Samtvorhang zu, dessen Stoff sich kalt und feucht anfühlte. Ein vertrauter, warmer Duft filterte durch diesen und ließ Valdimier erahnen, was ihn hinter der Barriere erwarten würde. Er spürte keine weitere Präsenz und ließ es drauf ankommen.
Der Anblick, der sich ihm darbot, entsprach nur entfernt dem, was er erwartet hatte. Schnell eilte er in die Grotte und kontrollierte, wer von den Personen, die in gewissem Abstand zueinander auf dem Boden lagen, noch am Leben war. Bei einigen war die Schlussfolgerung offensichtlicher, als bei anderen.

Hinter ihm trafen die Kollegen ein und sein scharfes Gehör konnte nicht umhin, das entsetzte Einatmen der Püschologin zu hören. Sie war schnellen Schrittes auf ihn zugekommen und stand neben ihm, als er bei der einzigen Person niederkniete, deren Herzschlag noch nicht verstummt war. Tussnelda von Grantick kannte die Ander Kaffer-Wächterin und, ohne die Püschologin näher befragen zu müssen, wusste Valdimier, dass sie sie gefunden hatten.
Sie lag in einer Blutlache, die glücklicherweise nicht ihre eigene war.
Er zwang sich dazu, das leuchtend frische Rot zu ignorieren. 'Du kannst in ein paar Stunden wieder eine kleine Ration davon nehmen... jetzt musst Du dich zusammenreißen... nachher!' Er vermied es einzuatmen und blickte wieder auf die Kollegin.
Es sah nicht gut aus für sie. Die junge Frau war bewusstlos und völlig durchnässt. Das kurze braune Haar klebte ihr im Gesicht, ebenso wie es die Kleidung an ihrem Körper tat. Ihre Beine ragten ins Wasser und neben der Bewusstlosen zeugte eine Lache aus Erbrochenem davon, dass sie es gerade noch so geschafft haben musste, das Zuviel an geschlucktem Wasser wieder von sich zu geben.

Kanndra schloss mit den Übrigen zu ihnen auf und Valdimier blickte ihr entgegen.
"Sie lebt noch!"
Die F.R.O.G. schickte den Gefreiten weiter in die Höhle, um alles abzusichern. Der junge Werwolf flüchtete regelrecht in diese Anweisung und entfernte sich so weit es ihm möglich war, von den Toten, was jedoch kaum von den Kollegen registriert wurde.
"Scheint so, als hätte hier jemand vor uns aufgeräumt."
Kanndra deutete auf Tussie und Romulus. "Bringt sie zu Rogi. Wir kümmern uns um den Rest. Und Romulus... schick ein S.U.S.I.-Tiehm. Die sollen hier schnellstmöglich mit der Spurensicherung anfangen."
Valdimier schob seine Arme unter die junge Frau und hob den überraschend schweren Körper auf - die vielen Lagen Röcke schienen mit dem Felsen verbunden zu sein und er musste noch einmal nachfassen. Der vollgesogene Stoff legte sich kalt um seine Arme und Wasser floss in roten Strömen an ihm herab. Tussnelda folgte ihm besorgt und schnellen Schrittes.
Ihnen allen standen viele Stunden Arbeit bevor. Und eine Nacht mit Warten und Hoffen.


Auf der Schwelle


Bewegung. Und kalter Wind auf dem Gesicht.
Ophelia versuchte, den Kopf abzuwenden und ihr Gesicht vor dem Wind zu schützen. Aber irgendwie wollte ihr das nicht so recht gelingen. Die Welt um sie herum ruckelte und schaukelte. Ihr war speiübel und ein stechender Schmerz pochte in... eigentlich überall. Außerdem bekam sie nicht richtig Luft! Sie rang nach Atem aber das einzige, was sie damit auslöste, war ein kläglicher Hustenanfall. Die Schmerzen in Hals und Lunge flammten zu einem einzigen auf und es dauerte eine Weile ehe sie begriff, dass das leise Wimmern von ihr selber stammte. Jemand redete auf sie ein.
Die Erinnerung kam mit einem Schlag zurück und sie riss panisch die Augen auf.
Doch über ihr zog lediglich, in gleich bleibender Geschwindigkeit, der freie Nachthimmel vorbei. Eine stark schwankende Laterne schubste das Licht hin und her.
Ophelia blinzelte. Ein vertrautes Gesicht beugte sich zu ihr herab... Tussie! Dann mussten sie sie gefunden und rausgeholt haben...
Ophelia schloss erleichtert die Augen und gab sich dem angenehm tauben Schwindel hin.
Die Stöße im Rücken hörten auf.
Sie spürte, wie kräftige Hände sie halbwegs aufrichteten und sie aufgehoben wurde. Warmes, raues Tuch an der Wange und das ungewohnte Gefühl, an einer männlichen Brust anzulehnen, regelrecht eingebettet in Decken und Schutz.
Viele verschiedene Stimmen.
Sie war nicht dazu willens, ihnen einen Sinn zu entnehmen. Es reichte, der unglaublichen Übelkeit und den Schmerzen entgegentreten zu müssen, die im gesamten Körper zu wüten schienen.
Kalte Fingerspitzen strichen ihr über die Stirn und eine besorgte Stimme war plötzlich inmitten der Bilder.
"Kleines, wie geht es Dir?"
Breda versuchte sie mit Gedanken zu erreichen, doch Ophelia versteckte ihre Gefühle hinter einem schwarzen Vorhang.
Noch nicht.
Sie wollte in Ruhe gelassen werden.
Das mentale Tasten verschwand.
Als die Bewegung nachließ und ihr Träger sie auf eine vergleichsweise harte Unterlage bettete, nahm sie den Verlust der Wärme mit Bedauern hin. Die Decken wurden ihr weggenommen und geradezu grelles Licht blendete sie.
Sie runzelte unwillig die Stirn und wandte den Kopf ab.
"Ophelia? Hörft Du mich?"
Natürlich hörte sie die Stimme. Aber sie wollte mit niemandem reden. War denn das so schwer zu verstehen, dass sie einfach nur ihre Ruhe haben wollte? Sie fühlte sich so elend!
"Komm fon, bleib wach! Mach die Augen auf!"
Das nachdrückliche Tätscheln der Wange fühlte sich wie ein Beben im Schädel an. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb öffnete Ophelia die Augen.
Sie blickte auf eine ausgezehrt wirkende Frau, deren nasse Kleidung ihr am Körper klebte. Diese Dienstmagd sah sie mit dunklen Augen an, die einen auffallenden Kontrast zu dem blutbesudelten Weiß ihrer Haut bildeten. Der Ausdruck des Gesichtes war unendlich müde.
In dieses vom abgehangenen Spiegel reflektierte Bild schob sich das besorgte Gesicht der Igorina, von ungewohnt rotem Haar umrahmt.
"Gut fo. Daf wird fon wieder!"
Rogi verschwand wieder aus dem Blickfeld und neben dem Klappern von Metall hörte Ophelia sie murmeln: "Dann wollen wir mal. Alf erftef etwaf für die Lunge..."
Die Augen fielen ihr von selbst wieder zu und bleierne Müdigkeit bemächtigte sich ihrer.
Sie war in Sicherheit.


Nachlese


Der stellvertretende Abteilungsleiter von R.U.M. hatte auch diese Aufgabe wieder einmal von seinem Vorgesetzten übertragen bekommen. Gewissermaßen war ihm das jedoch dieses Mal recht. Die Kollegen hatten zwar in der vorigen Nacht noch eine Menge Indizien gefunden aber viele Fragen hatten sie nicht beantworten können. In das Mitgefühl, welches Romulus zweifelsohne für die bleiche Wächterin vor seinem Schreibtisch empfand, mischte sich eine nicht unbeträchtliche Portion Neugier. Aber noch musste er diese zügeln. Eines nach dem Anderen.
Er stellte ihr eine dampfende Tasse Tee mit Honig hin, die sie dankend entgegen nahm.
Er deutete fragend auf den dicken Schal der Wächterin.
"Wie lange wird das dauern? Hat Rogi was dazu gesagt?"
Die junge Frau antwortete mit kratzender Stimme. "Etwa zwei Wochen." Sie räusperte sich und nahm einen Schluck aus der bauchigen Tasse, die sie wärmend zwischen ihren Händen hielt.
Romulus setzte sich hinter die Akte, während er verständnisvoll nickte. Nach kurzem Blättern begann er.
"Na gut. Ich nehme an, dass Du nach alledem auch gerne wissen möchtest, was gestern passiert ist."
Sie neigte zur Bestätigung leicht den Kopf.
Ihr Vorgesetzter fasste die Ereignisse des Abends bis zu dem Punkt zusammen, an dem der F.R.O.G.-Einsatztrupp das Anwesen gestürmt hatte. Er legte ihr nacheinander Ikonographien des Tatortes vor.
"Wenn Du diese Männer identifizieren kannst, dann notiere auf dem Blatt hier, neben der Nummerierung, bitte ihre Namen!"
Ophelia ging die Bilder langsam durch. Er konnte sehen, dass ihr das nicht leicht fiel. Ihre Hand zitterte leicht, als sie neben jeder Zahl den entsprechenden Namen vermerkte.
Er sammelte die Bilder wieder ein und verwahrte sie in der unscheinbaren Papiertüte, die er ans Ende der Akte heftete.
"Wie ja auf den Ikonographien zu sehen war, sind sie alle verstorben. Sie erlagen noch vor unserem Eintreffen im Haus den Verletzungen. Dabei machen wir uns natürlich Gedanken darüber, wie das passieren konnte."
Er sah sie nun mit voller Aufmerksamkeit an.
"Es hat sich nichts angefunden, was uns einen Hinweis darauf hätte geben können, was wirklich gestern Abend in diesem Untergeschoss passiert ist. Wir wissen, dass noch eine weitere Person im Haus gewesen sein muss, haben sie aber nicht mehr gesehen. Die Nachricht gibt uns ein weiteres Rätsel auf."
Romulus beugte sich leicht über die Tischplatte vor.
"Andererseits warst Du dabei, Hauptgefreite... Woran erinnerst Du dich?"


Erinnerungen


Die Männer gaben sich nicht einmal Mühe damit, einen überflüssigen Schein zu wahren. Kaum hatte sie den See auf dem schmalen, steinernen Seitenweg passiert und den künstlich aufgeschütteten Strand betreten, da schlossen 'Haken', 'Schlitzer' und Gregor ihr den Rückweg ab. Sie wandte ihren verunsicherten Blick von den Wachenden ab, zum auf sie zu schlendernden Hausherrn.
"Berta... Müller..."
Er umrundete sie mit amüsiertem Blick, bis er vor ihr innehielt. Sie begegnete den katzenhaft anmutenden Augen mit allem ihr zur Verfügung stehenden Selbstbewusstsein. Karakosts Lächeln versteinerte.
"Wie heißt Du wirklich?"
Sie hatte so etwas kommen geahnt, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass sie merklich blasser wurde.
"Ich weiß nicht, was Du meinst, Herr? Ich bin Berta Müller und..."
"Lüge mich nicht an! Das bekommt Dir nicht."
"Aber Herr..."
Karakost schnitt ihr wieder das Wort ab.
"Nachdem Johanna entsorgt war, war ein neuer Kuckuck im gemachten Nest ziemlich wahrscheinlich. Unser lieber Gregor hier hatte Dich ja schon länger im Verdacht, nicht ganz ehrlich zu sein."
Sie sah' die Möglichkeit, einen Funken Hoffnung am Leben zu erhalten, und ergriff sie mit beiden Händen.
"Ich weiß wirklich nicht, was Du meinst, mit wer ich in echt sei, Herr, aber wenn es was mit Gregor zu tun hat, dann bin ich nicht dran Schuld, Herr! Er wollte, dass ich was mit ihm anfange aber ich hab' ihn abblitzen lassen, Herr, und das hat er nicht vertragen. Er will mir bestimmt was anhängen, womit ich gar nichts zu tun habe, Herr!"
Der Hausherr sah ihr mit spöttischem Funkeln über die Schulter.
"Sieh an... Du konntest also nicht bei ihr landen... Vermutlich hätte ich früher von deiner Vermutung erfahren, wenn Du zeitiger einen Korb bekommen hättest? Wie dem auch sei..." Er wandte sich wieder seiner Aushilfe zu.
"Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass Du nicht ganz ehrlich zu mir gewesen bist... Berta." Die betonte Pause zwischen seiner Aussage und ihrem Namen unterstrich den Spott in seiner Stimme.
"Spätestens die geöffnete Kiste mit den Waffen hat uns den entscheidenden Hinweis gegeben. Dachtest Du, es würde Niemandem auffallen? Nein, lass mich raten... vermutlich wäre es zu laut gewesen, die Nägel wieder einzuschlagen, nicht wahr? Aber weißt Du, auf so etwas achte ich sehr genau. Und weder die Männer, noch die anderen Frauen im Haus würden es jemals wagen, mich derart zu hintergehen."
Er trat näher an sie heran, was sie automatisch dazu veranlasste, vor ihm zurück zu weichen. Doch hinter ihr standen die Schläger bereit, nur allzu begierig darauf, sie in die Finger zu bekommen, und seitlich gab es keine große Wahlmöglichkeit zwischen Wand und Becken. Sie konnte den Blick nicht von ihm nehmen, als sie spürte, wie ihr Schuh in die wässrige Zone des Beckenrandes traf. Sie hatte Angst. Die Ikonographie der borogravischen Spionin trat vor ihr inneres Auge. Hatte Johanna schwimmen können?
Sie blieb mit dem Rücken zum See stehen.
Sie selber hatte niemals schwimmen gelernt!
Karakost trat dicht vor sie und fragte mit lauter Stimme:
"Wer bist Du und wer schickt Dich?"
Was sollte sie machen? Was konnte sie machen?
"Herr, bitte! Ich weiß nicht, was hier vor sich geht und..."
Seine Hände schnellten vor und der harte Stoß schleuderte sie über die Kante hinaus.
Eisiges Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen und sie begann wie von Sinnen aufwärts zu strampeln, hoch, der Luft entgegen!
Die Oberfläche teilte sich und sie bekam den Felsen zu packen, um sich daran festzuklammern. Ein Paar Schuhe mit stählernen Kappen trat näher und schubste ihre Hände beiseite. Sie versuchte immer wieder nachzugreifen und ignorierte dabei völlig die splitternden Fingernägel, doch letztlich verlor sie den Halt und rutschte wieder ins Becken zurück.
Beim nächsten Auftauchen rang sie um Atem, schlug Halt suchend um sich, hustete und spuckte Wasser. Unerwartet bekam sie etwas zu fassen und klammerte sich daran fest. Es handelte sich um eine lange Holzstange, einen Bootshaken, wie er normalerweise im Hafen genutzt wurde um Unrat aus dem Wasser zu ziehen. Das andere Ende des Holzes lag in den Händen des Stallknechtes und sein emotionsloser Blick, als er den Bootshaken weiter in die Mitte des Becks schob, ließ keinen Raum für Spekulationen.
Neben ihm tauchte Karakost auf.
"Nun? Kommen wir so schneller zum Ziel? Raus mit der Sprache! Wie lautet dein richtiger Name und in wessen Auftrag bist Du in meinem Haus?"
Sie blickte Hilfe suchend zu den beiden anderen Männern, traf jedoch auch dort nur auf eiskalte Berechnung.
Karakost kommentierte dies auf seine eigene Art.
"Keine Antwort ist ebenfalls eine falsche Antwort."
Und wie auf Kommando tauchte der Hüne die Holzstange tief in den See.

Sie erinnerte sich nur noch verschwommen und etwas wirr an dieses "Verhör". Ihre Unschuldsbeteuerungen verklangen ungehört und jede "falsche" Antwort führte zu neuerlichem Untertauchen. Sobald sie wieder auftauchte, hagelten die Fragen auf sie herab und allmählich schwanden ihre Kräfte. Zugleich war ihr deutlich vor Augen, dass ihr nun selbst mit der Wahrheit nicht mehr geholfen wäre. Diese Männer hatten kein Problem damit, Jemanden aus dem Wege zu räumen. Johanna war vor ihr diesen Weg hinab gezwungen worden und keine Begründung dieser Welt würde die Verbrecher jetzt noch in ihrem Wahn aufhalten können. Sie hätte auch gleich aufgeben können. Wenn sie es denn gekonnt hätte! Etwas in ihr wollte, nein, vielmehr konnte, dies nicht! Es handelte sich dabei um keine bewusste Entscheidung, sondern um einen inneren Zwang, der sie selbst dann einatmen lassen würde, wenn es nichts anderes mehr um sie gäbe, als diese ewigen Wassermassen. Sie würde um jede zusätzliche Minute ihres Lebens kämpfen, mit aller zur Verfügung stehenden Kraft.

Der Druck der Stange, die sie unter Wasser hielt, ließ unvermittelt nach und sie trat verzweifelt Wasser, bis sie wieder Luft bekam. Die vielen Lagen Röcke hatten sich hoffnungslos vollgesogen, behinderten sie wie heimtükische Fesseln, und kaum gelang es ihr noch die nötige Kraft aufzubringen, die Stoffschichten mit den Beinen auseinander zu treten. Sie wollte sich wie die Male zuvor an der Stange festklammern, zog diese dabei aber ins Wasser, woraufhin das metallbewehrte Holz augenblicklich auf den Grund sank. Sie blinzelte durch das aufspritzende Wasser. Auf Augenhöhe schwankte in einiger Entfernung der Beckenrand. Anstelle der mit Stahl beschlagenen Schuhe blickte sie geradewegs in die starr auf sie gerichteten, offenen Augen von 'Schlitzer'. Seine Stirn war durch einen glatten Bolzeneinschuss gelocht und rote Flüssigkeit breitete sich von seinem nicht sichtbaren Hinterkopf her in einer Lache um ihn herum aus. Das schwappende Wasser des Sees zupfte leuchtende Fäden des Blutes mit sich und über den Rand, von wo sie einen rosigen Fächer bildeten. Dieses Bild brannte sich unauslöschlich und farbenprächtig in ihre Erinnerungen.
Dann sank sie. Das letzte was sie erahnte, bevor die schwerelose Dunkelheit sie umschloss, war ein Mann in Schwarz, der sie fast freundlich in die Arme nahm.


Mit liebem Gruß


Ophelias raue Stimme war immer leiser geworden beim Erzählen, nun verstummte sie völlig. Sie verbarg ihren Gesichtsausdruck hinter dem erhobenen Tassenrand.
Romulus ließ ihr Zeit, sich zu fassen.
Nach einiger Zeit stellte sie die Tasse auf ihrem Schoss ab und begegnete seinem Blick mit dem ihren.
"Ich bin zwischenzeitlich noch einmal zu mir gekommen. Ich kann zwar keine verlässliche Beschreibung des Mannes geben aber er hielt sich noch in meiner Nähe auf. Er..." Sie räusperte sich, sprach aber mit nicht minder rauchiger Stimme weiter, "Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich gehört habe oder es nur den wirren Bildern in meinem Kopf entspringt, Sör."
Er forderte sie mit einer Geste auf, dennoch weiter zu sprechen. Sie runzelte die Stirn und zitierte den erinnerten Wortlaut.
"Er sagte so etwas wie: "Bester dankt der Wache für den Hinweis. Er schätzt es gar nicht, wenn irgendwelche Fremden in die Stadt kommen und sich aufführen, als wenn sie ihnen gehören würde. Geld sei eben nicht alles. Manchmal wären Beziehungen wichtiger." Und er informierte mich darüber, dass gleich meine Kollegen auftauchen würden. Aber das hielt ich zu diesem Zeitpunkt wirklich für eine Wunschvorstellung..."
Romulus runzelte die Stirn. "Die Information bezüglich des geplanten Assassinen-Auftrags gegen ihn war, außer dem Kommandeur, Niemandem außerhalb unserer Abteilung zugänglich." Er sah nachdenklich auf die Akte hinab, den verräterischen Gedanken im Hinterkopf, dass er vielleicht zuviel ausgesprochen haben könnte. Er sah wieder auf, noch ernster als zuvor. "Ich werde der Sache nachgehen und bitte Dich darum, diese Feststellung für Dich zu behalten, Hauptgefreite."
Ophelia nickte.
Romulus machte sich einige Notizen zu ihren Aussagen.
"Sör? Was wird aus den verhafteten Frauen werden?"
Er ahnte, dass trotz aller Professionalität auch persönliche Betroffenheit in diese Frage hineinspielte.
"Wir haben sie dahingehend verhört, was sie über die Vorgänge im Haus und die angeblich gefasste Mörderin mitbekommen haben. Wir werden ihre Aussagen in der Akte vermerken und damit das Bild abrunden. Vor allem die Aussage der Frau...", er blickte kurz in den Notizen nach, "...der Frau Tim waren sehr ergiebig und wenn auch nur einer der Kerle noch leben würde, hätten wir ihn mit Erfolgsgarantie vor den Patrizier bringen können. Aber so... Jedenfalls stehen die Frauen nicht in direktem Verdacht, womit wir sie heute Nachmittag wieder laufen lassen werden. In das Haus können sie erst einmal nur unter Vorbehalt zurück, da dort immer noch die S.U.S.en am Wirken sind. Und die Sekretariatstube des Palastes hat auch schon einen Vertreter geschickt, der sämtliche Unterlagen eingefordert und das Anwesen zu Regierungseigentum erklärt hat. Soweit ich es munkeln gehört habe, sollen allerdings heute morgen Regierungsvertreter aus Borogravien im Palast vorstellig geworden sein. Es scheint alles auf Politik hinauszulaufen. Wir werden den Fall also sehr bald weiterreichen müssen."
Das trübe Licht des kalten Nachmittags sickerte in das Büro und hüllte sie in gedankenvolles Schweigen. Romulus lenkte von den Erinnerungen ab, indem er mit einem Blick auf das schulterlange, zerzaust wirkende Haar fragte: "Wann werdet Ihr das wieder rückgängig machen?"
Ophelia brauchte einen Moment, ehe sie seinen Gedanken folgen konnte.
"Morgen Nachmittag. Rogi meinte, ich müsse erst wieder etwas zu Kräften kommen und die Medikamente, die sie mir heute Nacht gegeben hat, größtenteils verarbeitet haben, bevor sie mir neuerliches Betäubungsmittel injizieren könne. Nicht, dass mich so etwas jetzt noch stören würde..."
Sie lächelte mit ungewohnt schiefem Mund.
Der stellvertretende Abteilungsleiter erwiderte es irritiert, dann atmete er tief durch und brachte das Gespräch zu einem Abschluss.
"Ich bin froh, dass alles noch einmal glimpflich ausgegangen ist. Wir hatten uns alle ziemliche Sorgen gemacht. Jedenfalls konnte ich es so einrichten, dass Du von morgen an drei Tage frei hast."
Er blickte sie entschuldigend an. "Ich weiß, es ist nicht viel. Aber offiziell kommst Du von einer Weiterbildung zurück, nach der Du gewiss nicht gleich in den Urlaub könntest. Es wäre nicht gut, diese Tarnung zu zerstören. Die drei Tage lassen sich gut dadurch erklären, dass Du dir eine starke Erkältung zugezogen hast und diese noch kurieren musst, ehe Du wieder in den Dienst kommst. Sobald Du im Wachhaus zur Schicht erscheinst, möchte ich Dich bitten, Dich beim Kommandeur zurück zu melden, da er Dich mit einer neuen Aufgabe betreuen möchte. Aber dazu dann mehr. Jetzt ist es wichtig, dass Du gesund und munter zurückkommst."
Ophelia stellte den leeren Becher ab und erhob sich. "Vielen Dank, Sör! Ich werde mein Möglichstes tun."


Mein Kind


Die Wohnungstür fiel ins Schloss und Kathrine eilte nach vorne. Dort stellte ihre Tochter soeben den schweren Reisekoffer ab und blickte ihr dann entgegen. Kathrine hielt mitten in der Bewegung inne und schlug die Hände vor den Mund.
"Schatz! Was ist mit Dir passiert?" Sie rannte die letzten Schritte auf ihre Tochter zu und tastete deren Gesichtszüge ab, ohne auf eine Erwiderung zu warten.
"Du meine Güte, was haben sie mit Dir gemacht, Kind? Gab es denn nicht genug zu essen dort? Ich werde mich bei deinem Vorgesetzten beschweren, so etwas muss ja wohl nicht derart sparsam arrangiert werden, dass die Wächter vom Fleisch fallen und... oh, bei Om!" Die halbherzig abwehrenden Gesten der Heimgekommenen hatten deren Hände in den Blick gerückt.
Kathrine hielt sie beide in den ihren und starrte sie fassungslos an.
Sie waren von alten und neuen Schürfwunden übersät, die Fingernägel teilweise bis ins Nagelbett eingerissen, kleinere Brandblasen und Schwielen zeugten von schwerer Arbeit über einen längeren Zeitraum.
Ophelia erwiderte den fragenden Blick ihrer Mutter mit unsicherem Schweigen.
"Du warst auf keinen Fall auf einer Weiterbildung, Ophelia."
Ihre Tochter wich dem Blick aus.
Kathrine hob eine zitternde Hand an die blasse Wange und erinnerte sich selbst an ihren festen Vorsatz, nicht noch einmal etwas zwischen sie beide treten zu lassen. Ihre eigenwillige Tochter ließ sich nichts mehr von ihr vorschreiben und die Leute, mit denen sie nun zusammen arbeitete, waren aus anderem Holz gemacht, als diejenigen, mit denen Ophelia aufgewachsen war.
Kathrine wusste, dass sie das Resultat dessen vor sich sah, wozu Ophelia aus freien Stücken und entgegen jeden gutgemeinten Ratschlages aus dem mütterlichen Nest geflohen war. Weder Fragen noch Vorwürfe würden etwas nützen. Das hatten sie schon unzähllige Male durchgespielt. Sie hätte ihrer wütenden Hilflosigkeit am liebsten lautstark Luft gemacht, jemanden beschuldigt oder zur Verantwortung gezogen! Aber dagegen sprachen sowohl Erziehung, als auch Erfahrung. Und es sprach der verletzte Ausdruck im Gesicht ihres Kindes dagegen.
Sie flüsterte: "Das bekommen wir wieder hin..."
Ophelias Augen füllten sich mit Tränen.
Kathrine konnte nicht verhindern, dass ihre mütterlichen Gefühle sie überkamen und so nahm sie die junge Frau fest in den Arm.
! Kritik erwünscht!


Zählt als Patch-Mission.



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Feedback:

Von Romulus von Grauhaar

20.05.2007 09:35

</b><br><br>Eine sehr schöne Single mit einem klar durchdachten Handlungsstrang und obwohl der Verbrecher von Anfang an klar ist, entsteht doch eine gehörige Spannung durch die Tatsache, dass man nicht weiß, was eigentlich genau gespielt wird und durch diverse brenzlige Situationen, in die Ophelia gerät. Dazu ein angenehm und flüssig lesbarer Schreibstil. Also ganz klar für mich eine Ribbon-Single. Ein Bisschen runtergegangen bin ich in meiner Bewertung, weil mir bei der ganzen Single der Humor, den ich beim Scheibenwelt-Setting eigentlich zumindest stellenweise erwarte, nahezu völlig auf der Strecke blieb. Es war halt alles sehr ernst und schmunzeln konnte man lediglich über die Szene mit Rogi und der Frisurentransplantation.

Von Huitztli Pochtli

20.05.2007 09:35

</b><br><br>Diese Story setzt Maßstäbe!<br>Ich habe mich köstlich über Anette Knödel amüsiert. <br>Ich hoffe dereinst Stories in solcher Qualität abzuliefern!<br><br><b>

Von Rea Dubiata

20.05.2007 09:35

</b><br><br>Super tolle Geschichte. Sobald ich wieder zu Hause bin schreibe ich noch mehr dazu. Nur soviel: Ich hatte zweitweise das Gefühl, das ich ein Buch und keine "Kurz"geschichte in der Hand hatte. Es hat viel Freude bereitet sie zu lesen und das Ausdrucken hat sich gelohnt. :-)<br><br><b>

Von Ettark Bergig

20.05.2007 09:35

</b><br><br>Soooo... meine erste Bewertung, ich geb mir Mühe ;)<br>Also erst mal eine wirklich sehr schöne, zum teil fesselnde Geschichte, ich habe sie fast an einem Stück durchgelesen (zugegeben... mit drei kurzen Unterbrechungen ;) )<br>Die Geschichte war im grossen ganzen schlüssig und logisch.<br>Negativ ist mir eigendlich nur aufgefallen, das einige (kleine) Stellen etwas verworren waren, zum Teil habe ich den Überblick etwas verlohen.<br>Ausserdem blieb am Ende das Gefühl, dass die Geschichte noch nicht ganz abgeschlossen ist... Irgendwie fehlte mir noch mal eine kurze Zusammenfassung der gesamten Geschehnisse.<br>Zuletzt: Ist das noch eine Kurzgeschichte? ;)<br><br>Aber trotzdem: alles in Allem eine wirklich gelungene Geschichte :daumenhoch: <br><br><b>

Von Breda Krulock

20.05.2007 12:01

[quote="Forendämon"] Zuletzt: Ist das noch eine Kurzgeschichte? ;)[/quote]

Diese Frage kann man nur beantworten, wenn man genau definiert, wie eine Kurzgeschichte auszusehen hat. Zum Glück haben wir hier ja keine Grenze, was die Wortzahl angeht und die ein, zwei Singles, die über 80 Seiten lang sind, kann man mE ruhig in die Kurzgeschichten Spalte mit reinpacken. Soviel Freiheit sollten wir hier haben :wink:



@Ophelia: Gratuliere!! Musstest ja auch lange genug drauf warten!! :daumenhoch: :daumenhoch: :daumenhoch:

Von Araghast Breguyar

20.05.2007 12:25

Was für eine Single... Für mich war es ganz klar die beste Geschichte die ich hier seit langem gelesen habe. Die einzelnen Charaktere, auch die Nebenrollen, besaßen jeder eine eigene unverwechselbare Persönlichkeit. Einziger ganz kleiner Kritikpunkt waren gelegentlich die Ausrufungszeichen im Erzähltext, über die ich ein wenig gestolpert bin, aber auch das hat meine Wertung von ganz klar 15 Punkten nicht verhindert.

Von Sillybos

20.05.2007 16:14

Herzlichen Glückwunsch, Ophelia! Aufgrund der statistischen Schwierigkeit, 15 Punkte zu bekommen, gratuliere ich dir mal zur Quasi-Höchstnote. ;)



Eine in meinen Augen wunderbare Single. Dein Ausdruck und Stil sind fantastisch: du hast einen schönen, großen Wortschatz und findest mit einer Leichtigkeit die richtigen Adjektive, die beneidenswert ist; du beschreibst nicht nur das Sichtbare, sondern auch das Hör- und Riechbare und hast ein ausgezeichnetes Auge für Details - das alles macht deine Single zu der atmosphärisch dichtesten, die ich seit langem gelesen habe.



Die Aufgabe des Undercover-Einsatzes hast du auch stilistisch sehr schön gelöst. Das konsequente Vermeiden von Ophelias Perspektive während des Einsatzes und ihr Auftreten als Berta als unauffällige Nebenfigur - gekonnt. Ich hatte überlegt, ob du nicht vielleicht auch die gesamte Single nicht aus Ophelias Sicht schreiben könntest, aber bei der Schlussszene wäre das schwierig gewesen (die du ja gerade deswegen auch als Erinnerung schreiben musstest und nicht an der chronologisch richtigen Stelle), außerdem ist so der Kontrast Ophelia-Berta noch stärker.



Auch von mir ein großes Lob zu den Nebencharakteren, die du sehr schön ausgearbeitet hast und mit vielen Details sehr lebendig dargestellt hast. Die Entwicklungen (z.B. wie aus der "Neuen" die "Aushilfe" wurde) waren sehr schön und subtil herausgearbeitet.



Ein paar Kleinigkeiten noch. So empfanden zum Beispiel anfangs Magane und Ayure, als sie dem Hünen gegenüberstanden, der in einem Haus wohnt, wo ein kaltblütiger Mord geschehen war, keinerlei Unbehagen oder gar Angst, das hättest du noch einbringen können. Das vereinzelt aufblitzende Misstrauen der Hausbewohner Berta gegenüber fand ich zwar gut (hielt die Spannung aufrecht), aber es erschien mir in der Vagheit bisweilen etwas unmotiviert. Und am Ende lässt du meiner Meinung nach noch einige Fragen offen, so dass ich das Gefühl hatte, dass die Single "noch nicht ganz fertig ist."



Kurzum, klare 15 Punkte von mir, die Druckerpatrone war gut investiert. ;)

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