Gepfählte Herzen

Bisher hat keiner bewertet.

von Chief-Korporal Valdimier van Varwald (FROG)
Online seit 24. 10. 2006
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Eigentlich kann sich Valdimier nicht beschweren. Er hat eine Freundin gefunden und auch in der Wache geht es immer weiter aufwärts. Doch ein Ereignis wirft seine Schatten voraus und droht zumindest ein Teil seines Glückes zu zerstören. Was allerdings hat der neue Roman von Barbara Kartenhand damit zu tun?

Dafür vergebene Note: 11

Vorwort:
Eigentlich bin ich ja kein großer Freund von solchen Vorworten, doch bei dieser Geschichte muss mal eins sein. Zum ersten der kleine Hinweis, dass diese Geschichte keinen Fall enthält, sondern der reinen Charakterentwicklung dient. Außerdem unterscheidet sich diese Geschichte doch sehr von den anderen, die ich bis jetzt bei der Wache geschrieben habe. Sehr wenig Action und ich darf schon mal verraten, dass niemand draufgeht. Ich wollte einfach mal etwas anderes ausprobieren.



Man will survive
The harshest conditions
And stay alive
Through difficult decisions
So make up your mind for me
Walk the line for me
If you want my love

Idle talk
And hollow promises
Cheating Judases
Doubting Thomases
Don't just stand there and shout it
Do something about it


--"Judas" von Depeche Mode



Prolog


Ohne Hast nahm Kanndra die letzten Treppenstufen, die zu ihrer Wohnung führten. Der Stress der heutigen Arbeit lag hinter ihr, und wenn nicht wieder ein akuter Notfall in Form von irgendeinem Verrückten, die irgendwelche verrückten Morde beging, auftrat, konnte sie sich auf einen ruhigen und entspannenden Abend freuen, und der aus Pizzaschachtel strömende Duft verstärkte diese Vorfreude nur noch. Wenn es darum ging, einen schmackhaften belegen Teigfladen zu kreieren, kannte die Wächterin einfach niemanden, der Jovanni das Wasser reichen konnte.

Doch der bevorstehende Verzehr sollte sich noch etwas hinauszögern, als Kanndra plötzlich eine vertraute Stimme hinter sich hörte, während sie mit der einen Hand in ihrer Jackentasche nach ihrem Wohnungsschlüssel kramte und auf der anderen den Pizzakarton balancierte.
"Hey Kanndra! Warte, lass mich dir helfen."
Eine Hand streckte sich ihr von hinten entgegen und griff nach dem bedenklich schwankenden Pizzakarton.
"Danke", erwiderte die RUM-Chefin und drehte sich um. Sie hatte die Person schon gleich an der Stimme erkannt, war es doch ihre Nachbarin und gleichzeitig gute Freundin Tania. Trotzdem zog sie etwas überrascht die Augenbraue hoch, als sie sie sah.
"Hui, heute wohl wieder eine Verabredung, wie?"
Das lange feuerrote Kleid, das in den oberen Körperregionen hauteng anzuliegen schien, und die Schminke, die ihr Gesicht zierte, deuteten sehr darauf hin, dass Tania heute Abend noch etwas Besonderes vorhatte.
"Kenne ich die Glückliche vielleicht?", fragte sie weiter.
"Nein", antwortete Tania augenzwinkernd. "Ich habe sie erst vor kurzen bei einem Theaterbesuch kennen gelernt." Sie sah, wie Kanndra etwas sagen wollte. "Und bevor du fragst, ihr Name ist Chantal."
"Klingt nett." Jetzt war es die Wächterin, die mit einem Auge zwinkerte. Sie kannte Tania schon lange genug, um zu wissen, wann sie sich über eine bevorstehende Verabredung freute. Diese Chantal schien ja sehr viel versprechend zu sein.
"Ich wünsche dir schon mal viel Spaß."
"Danke." Tania schaute Kanndra kurz dabei zu, wie die Wächterin ihre Wohnung aufschloss, und sich dann wieder zu ihr drehte, um den Pizzakarton an sich zu nehmen. "Aber bevor ich gehe, habe ich noch etwas für dich."
Fragend hob Kanndra die Augenbraue.
"Ui, was denn?"
Für einen Moment glaubte sie einen kurzen Ausdruck des Unbehagens in dem Gesicht ihrer Freundin zu erkennen. Doch ehe sie sich genauer darauf konzentrieren konnte erweckte ein Gegenstand, den Tania in ihrer anderen Hand hielt, ihre Aufmerksamkeit. Als die Frau ihn behutsam auf eine Stelle des Pizzakartons legte, der noch nicht vom Fett durchzogen war, sah Kanndra, dass es sich dabei um ein kleines Buch handelte.
"Oh, ein neuer?", fragte sie.
Tanias Antwort war ein stilles Nicken, das Kanndra allerdings nicht sah, weil sie schon das Bild betrachtete, das die Vorderseite des Buches zierte. Es zeigte eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, die in den Armen eines blondköpfigen Vampirs lag und ihn küsste. Kanndra war sich sicher, dass es sich bei dem Mann um einen Vampir handeln musste. Seine blasse Haut, der schwarze Umhang und der zu sehende spitze Eckzahn ließen keine andere Möglichkeit zu. Umgeben waren die beiden von einem farbenfrohen Hintergrund aus Rot- und Gelbtönen, der kein erkennbares Muster hatte.
"Ich habe mal etwas neues versucht", hörte sie Tania sagen. Hätte Kanndra ihre Freundin in diesem Moment angeschaut, so hätte sie wieder den unbehaglichen Ausdruck von vorhin in ihrem Gesicht gesehen.
Doch stattdessen, glitten die Blicke der Wächterin zu dem Titel, der in schwarzen Buchstaben über den beiden Personen stand.

Gepfählte Herzen


Eine dunkle Vorahnung baute sich langsam in Kanndra auf, als sie den Titel zum wiederholten Male las. Vom Klang her war es ein typischer Barbara Kartenhand, Tanias Pseudonym, unter dem sie ihre kitschigen Liebesromane veröffentlichte, doch das war nicht der Grund, warum sich Kanndra plötzlich selbst etwas unwohl fühlte.
"So, ich will dann mal los." Tania schien die plötzliche Unsicherheit ihrer Freundin bemerkt zu haben. "Machs gut Kanny."
"Machs gut Tania", erwiderte Kanndra, ohne ihre Freundin zu beachten. Sie merkte auch nicht, dass Tania schneller die Treppe hinunter ging, als es sich für eine Frau, die Schuhe mit spitzen hohen Absätzen trug, empfehlen würde.
Erst als sie von dem Buch aufschaute, realisierte sie, dass sie sich alleine auf dem Flur befand.
Für einen Moment stand sie einfach da und starrte an die Stelle in der Luft, wo sich noch vor kurzem das Gesicht ihrer Freundin befunden hatte, ehe der Blick wieder auf das Buch fiel. Ein leises Murmeln wich über ihre Lippen, als sie wieder das Bild betrachtete.
"Sie hat doch nicht etwa..."
Plötzlich überkam sie ein kurzer Schub der Aufregung und sie drehte sich so hastig rum, um in ihre Wohnung zu kommen, dass das Buch um ein Haar von dem Karton gerutscht wäre. Als sie die Tür wieder hinter sich geschlossen und sich anschließend in ihr kleines Esszimmer begeben hatte, legte sie die Pizza auf den Tisch und griff nach dem Roman. Hatte ihre Freundin wirklich das getan, was sie vermutete? Hastig schlug sie die erste Seite auf und ihre Aufregung stieg, als sie die beiden Zeilen las, die sich ihr als einziges zeigten.

Für Kanndra
Ich hoffe du bist nicht zu böse auf mich


Sie hat es wirklich getan, ging es ihr durch den Kopf, als sie wie in Trance auf die nächstes Seite blätterte und anfing zu lesen. Ihre letzten Zweifel lösten sich schlagartig in Luft auf.

***Kapitel 1***


Waldemar war glücklich. Diese Gewissheit übermannte ihn immer wieder, wenn er jeden Morgen aufs Neue aufwachte, und die Frau neben sich im Bett spürte, die er über alles liebte. Es gab Tage, an denen er immer noch nicht glauben konnte, dass er wirklich jemanden gefunden hatte, den es nicht störte, dass er anders war. Denn Waldemar war Vampir. Ein Untoter, ein Geschöpf der Nacht. Manche nannten ihn sogar einen verdammten Blutsauger, und trotzdem hatte sich Lilian in ihn verliebt. Sie war eine hübsche Frau, in der Blüte ihres Lebens. Viele Männer hätten alles dafür gegeben, um mit ihr zusammen zu sein, doch Waldemar war es gewesen, für den sie sich entschieden hatte.
Es waren diese Gedanken die in seinem Verstand hausten, als Waldemar zu ihr schaute und sie betrachtete. Sie war einfach wunderschön. Die wenigen Sonnenstrahlen, die es durch die Fenstervorhänge in das Innere ihres gemeinsamen Schlafzimmers schafften, ließen ihr langes schwarzes Haar leicht aufleuchten. Ihre blauen Augen waren geschlossen und noch immer hob und senkte sich ihr makelloser Körper im ruhigen Rhythmus des Schlafes. Vorsichtig senkte der Vampir den Kopf und küsste seinen Liebling zärtlich auf die Wange. Sie liebte es, so von ihm geweckt zu werden.
"Guten Morgen mein Schatz", säuselte der Vampir mit leiser Stimme. "Zeit aufzustehen."
Mit einem leisen Seufzen öffnete Lilian die Augen. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, als sich ihre Blicke trafen und sie griff sanft nach seiner Hand.
"Gute Morgen", flüsterte sie leise, und seufzte erneut auf, als sie sich unter ihrer Decke ausstreckte, verfolgt von Waldemars begierigen Blick. "Ist es schon Zeit?"
"Ja", antwortete Waldemar und strich ihr mit dem Finger über die Wange.
Liebend gerne hätte er sich wieder an sie geschmiegt und noch einige Stunden mit ihr zusammen verbracht, doch die Pflicht rief. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, bis er aufbrechen musste.
"Ich muss mich fertig machen." Mit diesen Worten drehte er sich zur Seite und schwang seine Beine über das Bett. Doch ehe er vollends aufstand, drehte er sich noch einmal zu seiner Liebsten um. "Hast du diesmal besser geschlafen?"
Auch Lilian hatte sich aufgesetzt, und bedachte ihn mit einem warmen Lächeln, als sie nickte.
"Ja, ich glaube die Aufregung legt sich langsam."
"Vertrau mir", antwortete der Vampir mit lieblicher Stimme und stand auf. "Es wird alles gut gehen."
Lilian nickte erneut. Gerne hätte sie ihm geglaubt, doch als sich Waldemar in den kleinen Waschraum zurückgezogen hatte, um sich dort auf den kommenden Tag vorzubereiten, allerdings nicht ohne sie vorher noch einmal zu küssen, verschwand plötzlich jegliches Glücklichsein aus ihrem Gesicht. Wieso nur, hatte er sie jetzt wieder an das vor ihnen Liegende erinnern müssen? Eine Welle der Bestürzung brach über sie hinein und sie musste sich zusammenreissen um ein lautes Aufschluchzen zu verhindern. Benommen senkte sie ihr Gesicht in ihre Hände. Wieso konnte sie ihm nicht einfach die Wahrheit sagen? Sie liebte ihn doch über alles. Warum nur belog sie ihn dann schon so lange?


***


"So etwas muss ich mir nicht antun. Du kannst von mir aus bleiben wo der Kohl wächst."
Obwohl er schweigend neben ihr saß, konnte Lilith von Ankhbach die Stimme des Vampirs laut und deutlich hören, und als sie ihm antwortete, war sie die einzige, die ihre eigenen Worte hören konnte.
"Valdimier bitte. Du musst mir glauben. Ich wollte nicht..."
"Spar dir die Floskeln", fiel er ihr donnernd ins Wort. "Du denkst doch genauso wie er. Erzähl mir doch nichts."
"Das tue ich nicht!" Ihre mentale Stimme hatte sich in ein Schreien verwandelt. "Niemals würde ich wie er denken. Glaube mir doch bitte."
Ein verächtliches Lachen erklang, dass es Lilith kalt den Rücken herunter lief. Er würde sie wirklich verlassen. Diese Gewissheit überrollte sie so plötzlich, wie die Steinlawine den überraschten Bergsteiger.
"Netter Versuch, Lilith. Nützen wird er dir aber nichts. Zwischen uns ist es aus, Lilith. Hörst du mich, Lilith? Aus sage ich, Lilith. Alles aus, Lilith."
Immer wieder hörte sie ihn ihren Namen sagen, und als ein plötzlicher Hieb sie an der Seite traf, merkte sie, dass seine Stimme keine Einbildung war. Doch ehe dieser Gedanke weiter Fuß fassen konnte, hörte sie plötzlich eine weitere Stimme. Und diese klang alles andere als erfreut.

Schon als sie ihm das erste Mal gegenüberstanden, beschlich Valdimier die Vorahnung, dass auch Meister Li Lei Quam nicht lange ihr neuer Lehrmeister der Achaten Kampfkunst werden würde. Sofort war ihm das aggressive Verhalten des Mannes aufgefallen. Im Vergleich mit Meister Me Sik, dem ersten Lehrmeister von Lilith und ihm, der aber von einem ehemaligen Schüler hinterrücks umgebracht worden war, ging es Meister Quam wohl nicht darum, den Körper in totalen Einklang mit der Seele zu bekommen, sondern hauptsächlich darum, seinen Körper in eine tödliche Waffe zu verwandeln. Zwar wusste Valdimier immer noch nicht, wie das mit dem Einklang funktionieren sollte und auch wenn er Me Sik in der kurzen Zeit nie wirklich verstanden hatte, so war der Vampir zu der Überzeugung gekommen, dass seine Lehren mehr Sinn ergaben als diese hier. Doch dieser Gedanke verschwand, als er bemerkte, wie Meister Quam zu Lilith sprach, sie aber nicht reagierte.
"Lilith! Psst, Lilith." Ihren abwesenden Blick bemerkend, stieß Valdimier seine Freundin vorsichtig mit dem Ellenbogen an. "Lilith, Meister Quam redet mit dir."
Obwohl sie die ganze Zeit mit offenen Augen im Schneidersitz neben ihm gesessen hatte, zuckte Lilith unter seiner Berührung zusammen und schaute für einen kurzen Moment mit erschrockenem Blick umher. Er wollte ihr noch etwas sagen, doch die wütende Stimme von Meister Quam ließ ihn sofort verstummen.
"Schläfst du etwa, Schülerin?" Das rot angelaufene Gesicht des Mannes ließ erkennen, wie wütend er war. "Schläfst du etwa in meiner Unterrichtsstunde?"
"Was?" Erst jetzt schien ihr klar zu werden, was gerade passiert war. "Neinnein Meister Quam. Ich war..." Für einen kurzen Moment hielt sie inne, um nach den richtigen Worten zu suchen, brachte den Satz aber nicht mehr zu Ende. Auch Valdimier war klar, dass, egal wie sie es ausdrücken würde, Meister Quam mit jeder Ausrede alles andere als zufrieden gewesen wäre.
"Es tut mir leid."
Langsam senkte seine Freundin den Kopf und schaute zu Boden. Eine Geste, die man jedem Meister der achaten Kampfkunst entgegenbringen sollte, wenn man ihn verärgert hatte und um Wiedergutmachung bat. So hatte es ihnen zumindest Me Sik damals beigebracht. Doch bei Meister Quam schien es nicht viel zu helfen.
"Als ich euch eben aufgenommen habe, wurdet ihr doch ausdrücklich über die Konsequenzen informiert, die euch blühen, wenn ihr meinem Unterricht nicht folgt", donnerte seine Stimme. "Was genau habe ich euch gesagt? Habt ihr es etwa schon vergessen? Es ist nicht mal eine Stunde her."
Als Lilith antwortete, war der leichte Trotz in ihrer Stimme nicht zu überhören. Zumindest für Valdimier. Sie waren schon lange genug zusammen, um über die verschiedenen Verhaltensweisen des anderen Bescheid zu wissen. So wusste der Vampir, dass sie sich wohl gerade mental auf die Zunge beißen musste, um dem Lehrer keine weniger hilfreiche Antwort zu geben.
"Sie haben uns gesagt, dass Sie kein Fehlverhalten tolerieren werden und uns aus dem Kurs werfen, wenn wir Ihren Anweisungen nicht Folge leisten."
Da sie noch immer ihren Kopf gesenkt hatte, sah Meister Quam nicht, wie ihr Blick zu Valdimier huschte, während sie sprach.
An was für einen Püscho sind wir denn hier geraten?, fragte sie ihn stumm.
Valdimier antwortet nur mit einem kurzen Blinzeln, denn er wollte nicht riskieren, dass ihr Lehrer noch wütender wurde. Zwar war ihnen beiden klar, dass diese erste Unterrichtsstunde zugleich die Letzte war, aber man konnte ja noch versuchen, sie halbwegs vernünftig zu beenden.
Doch auch diese Hoffnung löste sich in Luft auf, als er den nächsten Satz des Meisters hörte.
"Na dann hast du es ja doch begriffen", höhnte er. "Und diese Regeln zählen besonders für kleine Frauen, die sich einbilden, sich wie große starke Männer aufführen zu müssen. Wenn du damit ein Problem hast Schülerin, kannst du sofort wieder gehen."
Liliths Kopf schnellte nach oben und mit einem Funkeln in den Augen starrte sie ihren gleich nicht mehr Lehrer an. Valdimier spürte förmlich, wie ihr eine passende Antwort auf der Zunge lag, doch sie sprach sie nicht aus. Sie zuckte nur kurz mit den Schultern und erhob sich.
"Jaha, lauf nur davon." Auf Meister Quams Gesicht hatte sich ein dickes Grinsen gebildet. "Der große Quim Pai hatte nur zu gut Recht gehabt, als er sagte, dass Frauen sich nicht.. hey, wo willst du denn hin?" Mit einem leichten Ausdruck der Überraschung schaute er zu Valdimier, der sich ebenfalls erhoben hatte. "Rennst du ihr etwa hinterher?"
"Alleine werde ich hier sicher nicht weiter machen", erwiderte der Vampir.
"Ha, so soll es sein", stieß der dickliche Mann hervor. "Wenn du deine Gier nach dem weiblichen Körper nicht unter Kontrolle hast, wirst du niemals ein richtiger Kämpfer werden. Nur wer die strengen Regeln der Abstinenz, die von Quim Pai selbst aufgestellt wurden, einhält, wird die wahre Natur des achaten Kampfes erlernen."
"Dann kann ich ja über etwas sehr beruhigt sein", erwiderte Valdimier, während er und Lilith sich ihre Schuhe anzogen, die sie neben die Reismatte gelegt hatten, auf der sie vorher gesessen hatten.
"Dass so Idioten wie Sie bald aussterben werden."

***


"Und lasst euch ja nicht wieder hier blicken!!"
Die wütenden Schreie des Lehrers waren auch dann noch zu hören, als sich Valdimier und Lilith schon ein gutes Stück von seinem Dojo entfernt hatten. Viele der unzähligen Passanten, die in den frühen Abendstunden noch ihren letzten Geschäften nachgingen und so die Strasse besiedelten, reckten neugierig die Hälse, um erkennen zu können, was sich einige Meter vor oder hinter ihnen gerade zutrug. Einige von ihnen liefen sogar aufgeregt der Stimme des Kampfmeisters entgegen, um einen guten Stehplatz zu bekommen, wenn es doch etwas Aufregendes zu sehen gab. Die Bürger von Ankh-Morpork gaben sich wie immer wirklich größte Mühe, dem sich hartnäckig haltenden Vorurteil der Neugierde, gerecht zu werden.
"Geht es wieder?"
Sich bei ihm eingehakt, schaute Lilith zu Valdimier auf. Das Fluchttempo, mit dem sie das Dojo verlassen hatten, war ihrem üblichen gemeinsamen Schlenderschritt gewichen und sie gingen langsam in die Richtung ihrer, seit kurzem gemeinsamen, Wohnung.
"Ja, ich denke schon", erwiderte sie leise, und schaute wieder auf die vor ihnen liegende Strasse.
Sie war sich sicher, dass Valdimier ihre gedankliche Abwesenheit vorhin nicht entgangen war, doch sie hoffte inständig, dass er sie diesmal nicht darauf ansprechen würde. Es fiel ihr zunehmend schwerer, ihm zu versichern, dass alles wieder in Ordnung sei. Jedes Mal, wenn sie ihm erklärte, dass sie nur ein wenig nervös war, fragte sie sich selbst, wie lange sie ihn noch anlügen konnte. Sie wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, in der sie ihm endlich die Wahrheit sagen konnte, um ihn nicht vollkommen unvorbereitet in das sicherlich geschehende Chaos stolpern zu lassen.

***


Gebannt starrte Lilian durch das Fenster auf die verregnete Strasse. Wenn er nicht von etwas aufgehalten wurde, würde ihr Schatz bald wieder bei ihr sein. Wieder griff sie nach einem neuen Taschentuch und wischte sich damit über ihre verweinten Augen, doch sofort flossen neue Tränen nach und ein weiteres Schluchzen entwich ihrer Kehle. Wie konnte sie ihm nur so etwas antun? Auch wenn er nicht die Gefahren fürchten musste, denen andere seiner Kollegen bei der Wache ausgesetzt waren, so riskierte Waldemar jeden Tag aufs neue sein Leben, um in der Stadt für Recht und Ordnung zu sorgen. Er war einer jenen, die sich dafür einsetzten, dass Lilian und auch die anderen Bewohner der Stadt nachts in Frieden schlafen konnten, ohne befürchten zu müssen, am nächsten Morgen ohne Hab und Gut dazustehen, oder gar den nächsten Morgen nie erleben zu können, weil ein kranker Verbrecher über sie hergefallen war.
Ihren Blick nicht von der Strasse nehmend, die langsam aber sicher in der Dunkelheit der sich nähernden Nacht verschwand, griff Lilian erneut zu einem Taschentuch und putzte sich die Nase. Sie hatte sich entschlossen, ihm heute Abend die Wahrheit zu sagen. Sie besaß einfach nicht das Recht, ihn weiter anzulügen, egal, wie groß die Angst davor war, dass er nie wieder ein Wort mit ihr sprechen würde. So konnte und wollte sie einfach nicht weiterleben. Das einzige was ihr jetzt noch blieb, war einfach vom ganzen Herzen zu hoffen, dass er sie verstehen würde. Dass er sie trotzdem noch immer lieben würde, wenn sie ihm ihre Lüge gebeichtet hatte.

Doch diese Hoffnung verwandelte sich in blanke Furcht, als sie ihren Liebsten erblickte. Sich mit einem großen Umhang gegen den Regen schützend, schritt er die Strasse entlang und verschwand kurze Zeit später im Inneren des Hauses.


"Das darf doch nicht wahr sein."
Eine Mischung aus Wut und Neugierde durchflutete Kanndra, als sie die nächste Seite des Buches aufschlug. Welche ausgeuferte Feier hatte Tania denn nur diese Idee in den Kopf gesetzt? Kanndra war eigentlich immer der Meinung gewesen, dass man persönliche Geschichten, die man von der besten Freundin erzählt bekam, auch für sich behielt, und nicht einen Groschenroman daraus bastelte.
Ihren Blick nicht von dem Buch nehmend, griff die Abteilungsleiterin nach einem weiteren Stück der Pizza und biss hinein. Unter normalen Umständen wäre von ihrem Abendessen nichts mehr übrig gewesen, doch diesmal war es anders. Denn egal wie sehr sie sich aufregte, musste sich Kanndra auch eingestehen, dass ihre Freundin auch bei diesem Buch wieder ganze Arbeit geleistet hatte. Außerdem vermutete sie, dass sich Tania im Klaren war, was sie getan hatte. Anders konnte sie sich die Widmung und das etwas merkwürdige Verhalten von vorhin nicht erklären. Trotzdem würde sie Tania, alias Barbara Kartenhand, gehörig die Leviten lesen, wenn sie sie das nächste Mal sah.

Doch als sie weiter las, war ihre größte Sorge, dass auch Valdimier dieses Buch in die Finger bekommen könnte, und sie wollte sich nicht vorstellen, wie er reagieren würde.

***Kapitel 2***


In so ziemlich jeder Beziehung gab es ein Ereignis, das so gut wie immer darüber entschied, ob man auch noch in Zukunft zusammen war, oder ob man plötzlich fluchtartig das Haus verlassen musste, um nicht von einem Nudelholz am Hinterkopf getroffen zu werden, und genau dieses Ereignis stand nun auch Lilith und Valdimier bevor.

Morgen würde er ihren Vater kennen lernen.

Auch wenn sie es ihm niemals direkt sagte, so wusste Valdimier nur zu gut, dass seine Freundin aus diesem Grund in den letzten Tagen immer öfters gedanklich so abwesend war, dass man sie nur noch schwer in das Hier und Jetzt zurückholen konnte. Zwar versuchte er ihr immer wieder gut zuzureden, und sie auf andere Gedanken zu bringen, doch auch er selbst verspürte jedes Mal eine leichte Nervosität, wenn er an den morgigen Tag denken musste. Zwar hatte er einiges versucht um diese Nervosität zu unterdrücken, doch wenn man sich vor einen Spiegel stellte, um sich selbst Mut zuzusprechen, und sich selbst nicht darin sehen konnte, erzielte das nicht ganz die erhoffte Wirkung.

Alles hatte an dem Abend vor genau drei Tagen angefangen. Es gab nicht viel, was sich Valdimier zu diesem Zeitpunkt noch hätte wünschen können. Lilith und er hatten vor kurzem seinen Einzug in ihre Wohnung beschlossen, das größte Problem war gewesen Valdimiers doch sehr umfangreiche Umhangsammlung in den Kleiderschrank zu bekommen, und auch auf der Wache hatte er einen nicht zu verachtenden Schritt nach vorne gemacht. Nachdem Kanndra die Leitung von RUM übernommen hatte, wurde er von Bregs zum nächsten Stellvertreter der FROG's ernannt. Zwar war er immer noch der Meinung, dass es nicht nur seine Leistung war, die seinen einst besten Freund zu dieser Entscheidung bewegt hatte, sondern weil er sich auch sicher erhoffte, ihn so besser unter Kontrolle zu haben. Seinen anfänglichen Ärger darüber hatte Valdimier allerdings schnell wieder verloren. Dem komischen Verhalten seines Chefs zum Trotz hatte er sich vorgenommen, seinen Job so gut wie möglich zu erfüllen. Doch das alles schien in den Hintergrund zu geraten, als er eines Abends von seinem Dienst nach Hause kam, und ihm Lilith aufgeregt den Brief entgegen hielt, in dem ihr Vater seinen Besuch ankündigte. Drei Jahre waren vergangen seit Albert von Ankhbach seine sieben Sachen gepackt und die Stadt verlassen hatte, um woanders sein Glück zu suchen. Viele seiner Freunde hatten diese Entscheidung mehr als nur belächelt, galt Ankh-Morpork als die Stadt, die man aufsuchte, wenn es woanders mit dem Glück nicht so richtig funktioniert hatte. Doch diese "Schmarotzer", so nannte sie Albert immer, waren es gewesen, die ihn zu diesen Schritt bewegt hatten. Zwar hatte er es ihr gegenüber nie zugegeben, doch Lilith war sich ziemlich sicher, dass es eine reine Trotzaktion gewesen war, mit der er allen beweisen wollte, dass man auch woanders erfolgreich sein konnte, wenn man es nur wollte. Dieser Vorsatz hatte ihn dann nach langer Reise in die Stadt Lancre verschlagen, wo er sich dann auch niederließ. Dort eröffnete er einen kleinen Gemischtwarenladen, mit dem er sich auch heute noch seinen Lebensunterhalt verdiente. Natürlich hatte er damals verlangt, dass ihn seine Tochter begleiten sollte, doch Lilith hatte sich vehement dagegen gewehrt.
"Ich habe seine Ansichten, was die Stadt anging, niemals geteilt", war ihre Antwort gewesen, als Valdimier, der natürlich sehr erleichtert war, dass sie sich so und nicht anders entschieden hatte, sie einmal über den Grund fragte. "Und außerdem hatte ich damals schon einen ziemlich sicheren Stand, den ich einfach nicht aufgeben wollte."
Und nun brachte eine Geschäftsreise ihn zurück in die Stadt und diese Gelegenheit wollte Lilith nutzen, um ihn mit Valdimier bekannt zu machen. Natürlich wusste Albert darüber Bescheid, dass seine Tochter jemanden gefunden hatte, mit dem sie nun zusammen lebte, denn Lilith hatte ihn in einem Brief schon dementsprechend vorgewarnt, und so würde das Treffen in "Alfonsos kleiner Kaffeestube", das ehemalige Stammcafe ihres Vaters, nur noch ein kleiner Höflichkeitsbesuch sein, der an der ganzen Sache nicht mehr viel ändern konnte. Zumindest redete sich Valdimier dies immer wieder in seiner Nervosität aufs neue ein, wenn er an das bevorstehende Treffen denken musste.

***


Es war wie jeden Abend, dachte sich Waldemar voller Verzückung, als er die Wohnungstür öffnete und hinein trat. Sein Schatz wartete schon auf ihn, und nur mit schwerer Not konnte er die Aufregung in seinem Herzen unterdrücken. Doch diese Aufregung wäre blanke Furcht gewesen, wenn er gewusst hätte, dass heute alles anders war.
"Hallo mein Liebling. Ich bin wieder..."
Waldemars Stimme erstarb, als er Lilian im Licht einer einzelnen Kerze sitzen sah. Das schwache Mondlicht, das es durch die schweren Regenwolken schaffte und durch das Fenster fiel, ließ die Tränen in ihrem Gesicht leise glitzern.
"Ist alles in Ordnung mein Liebling?"
Hastig streifte er seinen durchnässten Mantel ab und warf ihn achtlos in die Ecke. Mit schnellen Schritten eilte er zu ihr und kniete sich neben sie. Erst jetzt schien Lilian seine Anwesenheit zu bemerken und als sie ihn anschaute, spürte Waldemar, wie eine eisige Kälte sein Herz umgriff. Noch nie hatte er sie so verzweifelt gesehen.
"Bei Io Lilian, sag mir bitte was...."
"Oh Waldemar, ich habe dich die ganze Zeit belogen", fiel ihm Lilian ins Wort. Ein lautes Schluchzen entwich ihrer Kehle und Waldemar sah, wie neue Tränen langsam ihre Wangen hinunter glitten. "Ich habe dir nicht die Wahrheit über meinen Vater erzählt."
Verwirrt schüttelte der Vampir den Kopf. Die Panik die er in ihren rot unterlaufenen Augen sah, ließ nicht zu, dass er noch einen klaren Gedanken fassen konnte.
"Du hast was?"
"Es tut mir so leid", erwiderte Lilian mit verzweifelter Stimme, und warf sich ihm um den Hals. Fest drückte sie ihn an sich und fing weiter an zu weinen. "Bitte verzeih mir, mein Liebster, dass ich nicht ehrlich zu dir war. Ich wollte es dir doch schon so lange sagen."
"Oh Lilian, sage mir doch bitte, was du hast."
Auch Waldemars Stimme fing an vor Angst zu zittern. Nicht zu wissen, was seinem Schatz so sehr bedrückte, sorgte dafür, dass ihre Verzweiflung auch langsam von ihm Besitz ergriff. Möglichst ruhig versuchte er mit den Händen über ihren Rücken zu streichen um sie etwas zu beruhigen, doch all seine Bemühungen schienen nicht zu helfen.
"Es ist mein Vater", klagte Lilian, ihren Kopf an seine Brust gelehnt. "Er..."


"Verdammt!!"
Fluchend starrte Kanndra auf das Stück Pizza, das nun neben ihr lag. Das Buch in der einen Hand haltend und so sehr darin vertieft, war es ihr entgangen, wie ihr das Essen langsam aus der anderen Hand entglitten war, und sich nun, zu allem Überdruss mit dem Belag nach unten, auf dem Fußboden befand. Von einem saugenden Geräusch begleitet hob sie den belegten Teigfladen wieder auf und legte ihn zurück in den Karton. Missmutig stellte sie dabei fest, dass es sich auch noch um das letzte Stück gehandelte hatte, das nun ungenießbar war, doch der Gedanke hielt sie nicht sehr lange auf. Es ärgerte sie umso mehr, dass sie gerade bei dieser Szene abgelenkt wurde. Den Pizzakarton nicht weiter beachtend, wandte sie sich wieder dem Buch zu. Ein Teil von ihr wunderte sich darüber, dass sie so sehr mitfieberte, wusste sie doch eh schon, was Lilians große Lüge war.

Es lag wohl größtenteils daran, dass es in der Realität nicht so dramatisch abgelaufen war.

***Kapitel 3***


Dankend nahm Lilith das ihr angebotene Glas Wasser entgegen, während sich Valdimier neben sie setzte. Sie waren wieder in ihrer Wohnung und saßen nun an dem kleinen Esstisch in der Mitte des Wohnzimmers. Valdimier betrachtete seine Freundin dabei, wie sie ein paar Schlucke von dem Wasser nahm, ehe sie das Glas wieder vor sich auf den Tisch stellte.
"Hast du wieder an morgen gedacht?"
Es war nicht zu übersehen, dass er sie mit seiner Frage überrascht hatte. Ihr Körper zuckte kurz zusammen, ehe sie ihn anschaute und schweigend nickte. Es war nicht oft der Fall gewesen, dass Valdimier solch eine Unsicherheit in ihrem Gesicht sah, doch in den letzten Tagen hatte er sie nur sehr wenig lächeln gesehen. Vorsichtig rückte er etwas näher zu ihr und griff nach ihrer Hand.
"Mach dir keine Sorgen, es wird...", begann er mit ruhiger Stimme, doch er verstummte, als Lilith plötzlich ihre Hand zurückzog.
"Warte Valdimier", stieß sie hervor und blickte zur Seite. "Sag es nicht."
Erschrocken wich der Vampir zurück.
"Was.. was ist los?"
Von der plötzlichen Zurückweisung verunsichert starrte er seine Freundin an. Noch immer war ihr Blick von ihm abgewandt. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen, als würde sie versuchen ihre Kräfte zu sammeln, doch als sie sie wieder öffnete und ihn wieder anschaute, konnte Valdimier die deutlichen Spuren von Kummer und Angst in ihrem Gesicht erkennen. Plötzlich spürte auch er, wie sich sein Bauch in Furcht zusammenzog und ein leichtes Kribbeln der Nervosität kroch über seinen Nacken. Noch nie hatte er seine Freundin so niedergeschlagen gesehen. Schon von Anfang an hatte er ihre Seelenstärke zu schätzen gewusst und erneut lief ein eisiger Schauer seinen Nacken herunter, als ihm klar wurde, wie groß die Last war, die Lilith allem Anschein nach langsam zu erdrücken drohte. Eine dunkle Vorahnung meldete sich plötzlich in dem Vampir zu Wort, doch Liliths Stimme ließ ihm nicht viel Zeit zum Nachdenken.
"Hör mir bitte zu, Valdimier." Die Angst in ihrer Stimme war nicht zu überhören, und während sie sprach griff Lilith nach seiner Hand, aus der sie sich eben noch so plötzlich befreit hatte. "Es gibt etwas, dass ich dir sagen musste. Ich habe...Ich..." Sie geriet ins Stocken, als sich ihre Blicke trafen, und Valdimier merkte, wie ihr der Mut zu entgleiten drohte. Wieder wandte sie den Blick von ihm ab und schaute vor sich auf dem Tisch. Ihr Griff um seine Hand verstärkte sich, als wenn sie befürchtete, dass er sich diesmal ihrer entziehen könnte, und kurz darauf erfuhr der Vampir auch den Grund dafür.
"Mein Vater hasst Untote."
Valdimiers Augen weiteten sich vor Überraschung. Ihre Worte fraßen sich in seine Gedanken, wie Buchwürmer durch ein besonders schmackhaftes Buch und hinterließen eine Spur der Verwüstung. Er spürte, wie all seine Hoffnungen, die er in den letzten Monaten gehegt hatte, dass seine Herkunft niemals zwischen ihnen stehen würde, über ihn zusammenzubrechen drohte. Er öffnete den Mund, um ihr zu antworten, doch plötzlich hatte er das Gefühl, dass man ihm die Kehle zuschnürte.
"Er...Er..." Mit einem lauten Räuspern versuchte er wieder seine Stimme finden. "Er hasst Untote?"
"Ja, aber bitte Valdimier, du musst mir glauben", erwiderte Lilith hastig. "Ich wollte es dir schon viel früher sagen. Ich hätte damit nicht so lange warten dürfen. Es tut mir...ich weiß nicht." Ihre Stimme fing an sich zu überschlagen und ihre letzten Worte wurden von einem leisen Schluchzen begleitet. "Bitte, du musst mir..."
"Warte Lilith, warte!" Geistesgegenwärtig griff Valdimier mit seiner anderen Hand nach der ihren und umfasste sie. "Bleib ganz ruhig."
Teils zu seiner eigenen Überraschung, kam sie seiner Bitte nach. Gebannt und noch immer voller Angst in den Augen blickte sie ihn an, als erwartete sie das schlimmste.
"Ich will, dass du dich jetzt erst einmal beruhigst." Valdimier musste sich beherrschen, um seine sanfte Stimme zu behalten. Zwar schwirrten plötzlich unzählige Fragen in seinem Kopf herum, für die er noch Antworten suchte, doch das alles trat für ihn in diesem Moment in den Hintergrund. Er hatte gesehen, welche Überwindung es Lilith gekostet hatte, und dass sie nun durch die sprichwörtliche Kerkerdimension ging. Sie so sehen zu müssen erfüllte ihn selbst mit Schmerz, den er nur schwer ertragen konnte. Vorsichtig streichelte er ihre Hand, während er sich etwas nach vorne beugte.
"Bleib einfach ganz ruhig, ok? Dann reden wir über alles."
Zögerlich nickte Lilith, ehe sie erneut die Augen schloss. Valdimier achtete nicht darauf, wie lange es dauerte, doch er spürte, wie das Zittern in ihrer Hand langsam schwächer wurde. Es verschwand nicht vollends und so stand es auch um die Angst in ihren Augen, als sie sie wieder öffnete. Mit einem leisen Seufzer warf sie ihren Kopf in den Nacken, ehe sie ihn wieder nach vorne fallen ließ und Valdimier anschaute.
"Wieder alles in Ordnung?"
Noch ehe die Frage vollends seinen Mund verlassen hatte, wurde sich der Vampir der Absurdheit der Frage bewusst.
"Na ja, kommt ganz darauf an, was man unter in Ordnung versteht", erwiderte Lilith mit einem gequälten Lächeln, doch Valdimier wusste nur allzu gut wie er die Antwort zu deuten hatte. Seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln, als er noch ein Stück näher rückte.
"Gut, dann erklär mir bitte, was es mit deinem Vater auf sich hat, und lass dir dabei so viel Zeit wie nötig."
Erneut nickte Lilith und nach einem kurzen Moment des Zögerns kam sie seiner Bitte nach und begann zu erzählen.

***


Die meiste Zeit über schwieg Valdimier, während er Liliths Erzählung lauschte. Nur ein einziges Mal nutze er eine kurze Pause ihrerseits aus um sie etwas zu fragen, doch sonst saß er einfach ihr weiterhin gegenüber und hörte ihr zu. Auch wenn sie immer noch sehr nervös war und gelegentlich sogar seinem Blick auswich, wenn er sie anschaute, so schien sich ein großer Teil ihrer Aufregung wieder gelegt zu haben. Unter normalen Umständen hätte sich Valdimier darüber gefreut, doch was sie ihm mit ihrer nun wieder ruhigen Stimme erzählte, drohte genau das Gegenteil zu bewirken. Er konnte nicht sagen, was es für ein Gefühl war, das ihn in diesem Moment heimsuchte und sich langsam in ihm ausbreitete, je länger er Lilith zuhörte. Es war keine Angst oder sogar Furcht. Er verspürte auch keine Wut ihr gegenüber, weil sie ihm so lange keinen reinen Wein eingeschenkt hatte. Es war mehr die Sorge darüber, dass sich all die Sorgen die seine untote Existenz mit sich brachte auf einen Schlag erfüllen würden.

"Das ist auch der wirkliche Grund, warum er Ankh-Morpork verlassen hatte", erzählte Lilith. "Er war schon immer dagegen gewesen, dass ihr Vampire und auch alle anderen untoten Spezies mehr Rechte in der Stadt bekommt. "Wenn sie tot sind, dann sollen sie auch tot bleiben", war eigentlich der Satz, den ich mir am meisten von ihm anhören musste. Eines Tages hat er es dann nicht mehr ausgehalten, hat seine Sachen gepackt und hat die Stadt verlassen. Es hatte ihn dann auch nicht zufällig nach Lancre verschlagen, musst du wissen. Er hat die Gegend aus dem Grund gewählt, weil er genau wusste, dass sich dort aufgrund der Hexen so gut wie keine Vampire aufhielten. Er wollte natürlich, dass ich ihn begleite, doch ich hielt diese ganze Sache einfach nur für komplett verrückt. Natürlich hat er mir auch die ganzen bekannten Schauermärchen erzählt, die es so gab, doch ich dachte mir immer, wenn es wirklich der Wahrheit entsprechen würde, wäre in Ankh-Morpork schon sicher jeder in einen Vampir, Werwolf oder Zombie verwandelt worden. So hatte auch immer meine Mutter gedacht, die Alberts Ausschweifungen immer mit einem Lächeln quittierte."
Als sie von ihrer Mutter sprach war es das einzige Mal, dass Lilith eine Pause einlegen musste, um wieder Kraft zu finden weiter zu sprechen. Carolina von Ankhbach war vor fünf Jahren an einer schweren Krankheit gestorben, die sich in ihrer Lunge festgesetzt und ihr langsam aber sicher die Kraft geraubt hatte. An jenem Tag war die Person aus Liliths Leben geschieden, die ihr am meisten bedeutete.
"Sie war immer für mich da, wenn ich sie gebraucht habe musst du wissen, Valdimier. Sie war es auch, die mir einbläute, mir nicht alle Flausen von meinem Vater in den Kopf setzen zu lassen. Das war dann auch der Grund, warum ich ihn nicht begleitete."

Mit einem leisen Seufzen beendete Lilith ihre Erzählung und blickte wieder zu Valdimier. Der Vampir hatte seinen Kopf gesenkt und starrte vor sich auf den Boden. Sie konnte regelrecht sehen, wie die Gedanken in seinem Kopf vor sich hin rasten. Zwar kostete sie es einiges an Beherrschung, denn noch immer lauerte tief in ihrem Innern die Angst vor seiner Reaktion, doch sie wartete geduldig bis er so weit war, und ihre Worte verarbeitet hatte. So vergingen die Sekunden, in denen sie sich schweigend gegenübersaßen. Noch immer hielt Valdimier ihre Hand und strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. Gerne hätte Lilith es als beruhigende Geste gesehen, doch sie merkte, dass es in der Gleichmäßigkeit und Monotonie der gedanklichen Abwesenheit geschah. Es war kein Hinweis auf den möglichen Ausgang des ganzen und so kam es, dass Lilith gebannt die Luft anhielt als Valdimier wieder zu ihr aufschaute, und sie glaubte sogar einen Anflug von Ablehnung und Kälte in seinen Augen erkennen zu können.
"Beantworte mir bitte eine Frage", sagte er mit leiser Stimme.
Langsam wieder die Angst in sich emporsteigen fühlend, nickte Lilith vorsichtig. Plötzlich überkam sie die Gewissheit, dass er sie jetzt fragen würde, was bei allen Göttern sie sich nur dabei gedacht hatte und wie sie ihm so etwas nur antun könnte. An das, was danach passierte, wollte sie in diesem Moment nicht denken, waren es doch die dunklen Vorahnungen, die sie die letzten Tage in ihren Gedanken plagten.
"Was wird deiner Vermutung nach morgen passieren, wenn wir deinem Vater gegenübertreten?"

***


"Ich weiß es nicht, mein Geliebter." Noch immer weinend klammerte sich Lilian an ihren Liebsten. "Ich weiß nicht, ob..."
Plötzlich verstummte Lilian und hielt inne. Etwas in Waldemars Frage schaffte es erst jetzt in ihren, von der Verzweiflung durchpflügten Verstand vorzudringen. Würden sie sich nicht gerade in einer solch schweren Stunde befinden, die über das Schicksal ihrer Liebe zu entscheiden drohte, wäre es für sie nur eine normale Frage gewesen, doch in diesem einen Moment hatte sie das Gefühl, als würde man ihr einen letzten rettenden Strohhalm entgegenreichen, der sie vor dem sicheren Auseinanderbrechen bewahrte.
Langsam hob Lilian den Kopf und schaute ihrem Vampir in die Augen. Ihre Frage bestand nur aus einem einzigen Wort.
"Wir?"


***


Fragend hob sich Valdimiers Augenbraue.
Liliths Reaktion auf seine Frage sorgte dafür, dass sich das Gefühl in seinem Kopf, dass er jeden Augenblick wie ein überreifer Kürbis zu zerplatzen drohte, nur noch weiter ausbreitete. Noch immer klangen die letzten Worte ihrer Erzählung in seinen Gehörgängen nach und seine Erkundigungen nach einem möglichen Ausgang des morgigen Tages, war der erste, für ihn logische, Versuch gewesen, seine Gedanken wieder in die richtige Richtung zu lenken. Doch ihre plötzliche Überraschung bewirkte genau das Gegenteil.
"Ähm...natürlich wir?" Die Skepsis in seiner Stimme war nicht zu überhören. "Oder willst du es ihm etwa alleine erklären?"
Die Überraschung in Lilith Gesicht verschwand so plötzlich wieder, wie sie aufgetaucht war und erst jetzt schien sie zu erkennen, welche Wirkung es auf ihn ausübte.
"Nun ja, Valdimier. Eigentlich dachte ich, dass..."
Sie verstummte und bedachte ihn mit einem vorsichtigen abschätzenden Blick, als würde sie überlegen, was sie ihm als nächstes sagen sollte.
"Du hast gedacht?", bohrte Valdimier vorsichtig nach. Es lag nicht in seiner Absicht, sie zu irgendetwas zu drängen, doch er wollte nicht, dass sie sich wieder vor ihm verschloss.
Mit einem leises Seufzen und einem Schulterzucken, das immer die Form gezwungener Lässigkeit hatte, weil man instinktiv hoffte, dem Gegenüber zu vermitteln, dass doch alles gar nicht so schlimm sei, schaute sie zur Seite.
"Weißt du Valdimier, ich habe einfach Angst davor, dass du wegen ihm nicht mehr mit mir zusammen sein willst."
"Wie kommst du denn darauf?"
Noch während er zu Ende sprach, bereute Valdimier seine Worte sofort. Sie hatten seinen Mund verlassen, ohne dass er etwas dagegen tun hätte können und besaßen dazu noch einen Tonfall der von Skepsis nur so überschäumte. Vorsichtig rückte er wieder ein Stück näher zu ihr. Er hoffte in ihren Augen einen Hinweis zu finde, der ihm den Grund für ihr Misstrauen verriet, doch er konnte keinen finden. Stattdessen war dort immer noch die bedrückende Unruhe zu sehen, mit der sie ihn gebannt anschaute. Das einzige, was ihm jetzt noch übrig blieb, war die Flucht nach vorne.
"Tut mir leid", entschuldigte er sich mit leiser Stimme. "Aber sag mir bitte, warum du so etwas von mir denkst? Du bist nicht dein Vater."
Seine letzten Worte ließen Liliths Körper kurz zusammenzucken, und als sie ihm antwortete klang ihre Stimme resigniert und erschöpft.
"Das habe ich mir auch immer gesagt. Aber auch wenn du es jetzt sicher nicht zugeben willst, weiß ich sehr genau, dass du noch immer sehr stolz auf deine Art und Vergangenheit bist, und ich war mir einfach nicht sicher, wie du reagieren würdest." Sie zögerte kurz. Als sie weiter sprach, hatte ihre Stimme auf einmal einen vorwurfsvollen Ton angenommen. "Und deine recht impulsive Art machte es nicht gerade leichter, auf einer sichere Antwort zu kommen."
Ein Teil von Valdimier wollte mit den Augen rollen, doch er konnte sich noch beherrschen es nicht zu tun. Er hatte nicht geglaubt, dass er sich diesen Vorwurf von seiner Freundin anhören musste. In der Wache war er ja so etwas von Araghast gewöhnt. Wenn die FROG's zu einem Verbrechen gerufen worden, und auch nur einer der Täter nach dem Einsatz nicht mehr unter den Lebenden weilte, machte Bregs meistens ihn dafür verantwortlich. Doch daran durfte er jetzt nicht denken, denn es würde der ganzen Sache sicher nicht helfen. Er versuchte zu lächeln, doch es führte nur dazu, dass er eine schiefe Grimasse schnitt.
"Das ist, glaub ich, das erste Mal, dass du mir das zum Vorwurf machst, oder?"
"Bis auf die letzten Tage hat es mich auch nicht wirklich gestört", erwiderte Lilith und auch auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein schwaches Lächeln ab, doch es blieb nur für einen kurzen Augenblick und wich dann wieder der Niedergeschlagenheit. "Aber bitte Valdimier, du musst mir glauben wenn..."
Sie verstummte, als Valdimier die Hand hob und mit dem Zeigefinger vorsichtig ihre Lippen berührte.
"Du musst dich nicht entschuldigen." Mit einem leichten Kopfschütteln unterstützte er diese Forderung. "Es tut mir leid, dass ich dich so verunsichert habe, und du sollst wissen, dass ich niemals auf die Idee käme, dass du genauso wie dein Vater denkst. Wenn du dich morgen immer noch mit ihm treffen willst, dann werde ich dich auf jeden Fall begleiten."
Für einen Moment schauten sie sich in die Augen und Valdimier spürte regelrecht, wie sich der Kummer in Lilith langsam auflöste. Er lehnte sich etwas nach vorne und legte zärtlich seine Arme um sie. Ein erlösendes Seufzen entwich ihrer Kehle, als sie das gleiche tat, und in diesem Moment, als sie sich aneinander schmiegten, war es ihm egal, was morgen auch passieren sollte.

***


"Ich würde dich niemals verlassen", flüsterte Waldemar in Lilians Ohr. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust und er hörte, wie ihr Schluchzen langsam leiser wurde, als seine Worte zu ihr durchdrangen. "Nicht für alles auf der Welt."
Obwohl ihr Gesicht von Tränenspuren gezeichnet und ihre Augen von roten Rändern umgeben waren, strahlte es immer noch eine Schönheit aus, der sich Waldemar nur schwer widersetzen konnte, als Lilian den Kopf hob.
"Es tut mir so leid, mein Geliebter. Ich weiß nicht, wie mich solche schlimmen Gedanken plagen konnten."
"Es muss dir nicht leid tun." Vorsichtig hob Waldemar die Hand und strich zärtlich eine Träne aus ihrem Gesicht. "Ich liebe dich über alles und ich habe mir geschworen, dass, solange du dein Leben mit mir teilen willst, unsere Unterschiede niemals einen Keil zwischen uns treiben werden. Wenn du morgen deinem Vater gegenübertrittst, werde ich an deiner Seite sein, und daran wird sich auch nichts ändern, egal wie es ausgeht."
Als er Lilian lächeln sah, spürte Waldemar, wie eine erlösende Wärme seinen untoten Körper durchflutete. Es war dieser sinnliche Moment, in dem er sich so lebendig fühlte, wie ein Vampir sich nur fühlen konnte. Vorsichtig senkte er den Kopf und ihre Lippen trafen aufeinander. Auch wenn sie sich in der Vergangenheit schon so oft geküsst hatten, war dieser Kuss etwas Besonderes. Es war ein stilles Versprechen, dass ihre Liebe zueinander niemals zerstört werden konnte. Ihre Leidenschaft ließ den Kuss innig werden, und die Hände des Vampirs glitten langsam an Lilians Körper herab und öffneten...


"Also das muss nun wirklich nicht sein."
Durch die vielen Romane ihrer Freundin, die Kanndra schon gelesen hatte, konnte sie aus Erfahrung vorhersagen, was als nächstes passieren würde. Normalerweise hatte sie damit kein Problem, gehörten solche Passagen doch zu jedem vernünftigen Roman dieser Klasse, wie ein Brötchen zu Schnappers Würstchen. Doch sich vorstellen müssen, wer dort nun in Wirklichkeit eine Nähszene hinlegte, wollte sie wirklich nicht. Sie blätterte ein paar Seiten, fünf an der Zahl, denn Tania ließ sich für so etwas immer sehr viel Zeit, nach vorne und sprang zum nächsten Absatz. Als sie weiter las, war sie davon überzeugt, dass dies nicht die einzige erotische Eskapade war, die noch auf sie zukommen würde.

***Kapitel 4***


Am nächsten Tag konnte sich Waldemar nur mit schwerer Not auf seine Aufgaben als Wächter konzentrieren. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu Lilian und dem bevorstehenden Treffen. Auch wenn er sich vehement dagegen gewehrt hatte, war seine Liebste doch noch ihrer Arbeit nachgegangen und befand sich nun wieder in der Taverne um die hungrigen Gäste mit Speis und Trank zu versorgen.
"Wenn ich mich jetzt vor meinen Aufgaben verstecke, werde ich mich ihm niemals zeigen können", hatte sie zu ihm gesagt, als sie sich im Bett an ihn schmiegte. "Und außerdem wird es mir dabei helfen auf andere Gedanken zu kommen und mich vor dem Wahnsinn schützen, der mich sicher erfasst, wenn ich nichts tue."
Waldemar hoffte, dass es wirklich so war und sie etwas Ruhe finden konnte, ehe sie sich ihrem Vater gegenüberstellte. Er konnte einfach nicht fassen, dass ihr Glück an nur einem Tag wie eine schwache Seifenblase zu zerplatzen drohte. Warum war es ihm nur nicht früher aufgefallen, dass Lilian diese Last mit sich trug? War seine Liebe zu ihr etwa nicht groß genug, um sie davon zu befreien?
Der Vampir spürte, wie ein kalter Schauer seinen Rücken hinauf kroch, als ihn dieser Gedanke überkam. Doch ehe er vollends die Kontrolle über sein Denken erlangen konnte, schüttelte Waldemar ihn ab. Nein, diesen Weg würde er nicht gehen. Tief in seinem Inneren wusste er, dass Lilian und er füreinander bestimmt waren und er würde niemals zulassen, dass ihr Vater dies zunichte machen würde.


***


"Und was ist dann passiert?"
"Na ja, die ganze Sache hat sie doch ziemlich mitgenommen, und wie du dir sicher vorstellen kannst, ging es mir danach auch nicht besonders. Deswegen haben wir eine von Me Siks Entspannungsübungen versucht."
"Und die hat geholfen?"
"Ja, aber weißt du, sie hatte richtig Angst. So etwas hab ich vorher noch nie bei ihr gesehen."
Unruhig stellte Valdimier die Kaffeetasse vor sich auf Kanndras Schreibtisch. Die neue Chefin von RUM, die sich ihr Büro schon komplett neu eingerichtet hat, während bei ihm noch immer ein Stapel auszuräumender Kisten in den Ecken stand, saß ihm gegenüber und nickte verständnisvoll. Er hatte jemanden gebraucht um die ganze Sache erzählen zu können und seine Kollegin gehörte neben Bregs, mit dem es aber in letzter Zeit mehr schlecht als recht lief, zu seinen besten Freunden.
"Na ja, wenn ich ehrlich bin, kann ich sie schon etwas verstehen. Ich meine, ihr wärt sicher nicht die ersten, bei denen irgendein Elternteil das Glück zerstört."
"Trotzdem fühle ich mich gerade so, als würden wir uns hier in einem schlechten Klicker befinden", murmelte Valdimier als Antwort. Auch wenn es gut tat, mit jemandem darüber zu sprechen, war seine Stimmung alles andere als euphorisch. Die Ungewissheit darüber, was ihn an diesem Nachmittag noch erwarten würde, machte ihm immer noch sehr zu schaffen.
"Es gibt so viele Frauen auf der Scheibenwelt", erklärte er resigniert. "Und ich verliebe mich ausgerechnet in die, deren Vater der Anführer von HIRN sein könnte."
"So schlimm wird es sicher nicht sein", versuchte seine Freundin ihn zu beruhigen. "Was wird denn Liliths Meinung nach heute passieren, wenn ihr euch zusammen Albert zeigt?"
"Das ist es ja gerade." Von einem erneuten Schub von Hoffnungslosigkeit übermannt ließ Valdimier die Schultern hängen. "Sie weiß es nicht. In seinen Briefen hat er nie das Thema Untote angesprochen. Entweder aus totaler Abscheu, oder weil er seine Meinung über sie geändert hatte. Ich denke da aber eher an ersteres."
"Und selbst wenn es so wäre. Was wird deiner Meinung nach passieren, Valdimier? Lilith hat dir doch sehr deutlich gezeigt, dass es ihr egal ist wie ihr Vater reagieren wird."
"Das weiß ich auch." Als der Vampir mit den Schultern zuckte, war seine Unzufriedenheit nicht zu übersehen. "Doch wäre ich ein normaler Mensch, dann..."
"Dann hätte ihr Vater sicher was dagegen gehabt, dass du Wächter bist", fiel ihm seine Kollegin ins Wort. Ihre Stimme hatte plötzlich einen mahnenden Tonfall angenommen. "Man kann es leider niemals jedem Recht machen, Valdimier. Du wirst mir doch nicht erzählen wollen, dass du so naiv warst und wirklich geglaubt hast, dass niemals solche Probleme auf euch zukommen, oder?"
"Natürlich nicht", erwiderte der Vampir trotzig, da er nicht glauben konnte, dass Kanndra ihn für so naiv hielt. "Ich hatte einfach nur gehofft, dass es nicht gleich so ein großes werden würde."
Die Nervosität lies ihn wieder nach der Kaffeetasse greifen. Normalerweise war Valdimier kein großer Freund des dunklen Gebräus, doch an diesem Morgen hatte er sich einfach einen eingeschenkt, ohne viel darüber nachzudenken. Auch das laute Gezeter des Kaffeedämons war größtenteils an ihm vorbeigegangen. Kanndra beobachtete ihn dabei und nickte erneut.
"Ich weiß. Aber glaube mir, ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr es schafft." Ein freundliches Lächeln bildete sich auf dem Gesicht der Abteilungsleiterin, das vollste Zuversicht ausstrahlte. "Ihr passt einfach so gut zueinander."
Sie wartete bis Valdimier seine Tasse wieder abgesetzt hatte und ihr einen dankenden Blick zuwarf. "Wo und wann wollt ihr euch denn eigentlich mit ihm treffen?"
"In Alfonsos kleiner Kaffeestube." Durch Kanndras Worte ermutigt, klang Valdimiers Stimme wieder etwas fester. "Alberts ehemaligem Stammcafe. Ich hol sie nach Dienstschluss in der Taverne ab und dann gehen wir zusammen da hin."
"Also wollt ihr gleich reinen Tisch machen?"
Valdimier nickte. Das war eine Frage die sich Lilith und er noch gestern Abend gestellt hatten.
"Anfangs hatten wir uns überlegt, ob es nicht besser währe, wenn sie erst mal alleine mit ihm redet und ihn vorsichtig darauf vorbereitet, doch nachdem wir uns gestern ausgesprochen haben, ist Lilith der Meinung, dass ich mich vor Albert nicht verstecken soll. Entweder er akzeptiert es, oder nicht." Er seufzte leise, denn er wusste, dass sein nächster Satz genau der war, den Kanndra von ihm hören wollte, und zwar nicht im positiven Sinne. "Und außerdem will ich dabei sein, wenn Albert seine Entscheidung trifft."
Wie er erwartet hatte, veränderte sich Kanndras Mimik auf die Weise, wie sie es immer tat, wenn sie sich um etwas sorgte.
"Mach dir keine Sorgen", erklärte Valdimier, ehe sie etwas sagen konnte. "Solange er es nicht darauf anlegt, werde ich ihm nichts tun."
Unter normalen Umständen wäre die Stimme des Vampirs nicht so ruhig wie jetzt, wenn man sein oft ungezügeltes Temperament kritisierte, doch diesmal teilte er sogar Kanndras Sorge. Auch wenn er sich sicher war, dass Lilith in so einer Situation sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte- der verheerende Tritt, den sie ihrem Lehrer im Achaten Kampfkurs einmal verpasst hatte, war ihm noch nicht entfallen- würde er kein Mittel auslassen, wenn es darum gehen sollte, Albert von ihr fernzuhalten.
"Das hoffe ich sehr", sprach Kanndra mit mahnender Stimme. "Die ganze Sache hat keinen Sinn, wenn du danach bei uns in einer Zelle sitzt."
"Würde aber gut ins Klischee passen."
Mit diesen Worten griff Valdimier nach seiner Kaffeetasse und stand auf. Er hatte nicht darauf geachtet, wie lange er mit Kanndra gesprochen hatte, aber ein Gefühl sagte ihm, dass es viel länger als seine eigentlich erlaubte Mittagszeit gewesen war. Diese Vermutung sollte sich wenige Sekunden später auch bestätigen, als er sich bei seiner Freundin verabschieden wollte, und plötzlich die Bürotür der Abteilungsleiterin schwungvoll geöffnet wurde und Bregs im Türrahmen stand.
"Hier steckst du also", grollte er mit tiefer Stimme, die zusammen mit seinem finsteren Gesichtsausdruck sehr stark den Eindruck erweckte, dass es mit seiner Laune nicht zum besten stand. "Ich suche dich schon überall."
"Was gibt es denn?", fragte Valdimier, den fordernden Tonfall außer acht lassend. In letzter Zeit hatte er gelernt, dass man am besten mit den schlechten Stimmungsphasen des Hauptfeldwebels zurechtkam, wenn man sie einfach ignorierte.
"Na was wohl? Wir haben einen Einsatz. Auf dem Hier-gibts-alles-Platz bahnt sich ein Tumult an, weil dort irgendein Verrückter Kleider zum halben Preis verkauft."
"Häh? Was ist los?"
"Ich weiß auch nicht so genau. Jetzt komm endlich!"
Mit einer fordernden Geste gab Bregs zu verstehen, dass Valdimier sich in Bewegung setzen sollte und machte sich kurz darauf selbst auf den Weg in Richtung Stall. Valdimier folgte ihm, doch vorher drehte er sich noch einmal zu Kanndra um.
"Er scheint ja wieder bester Laune zu sein."
"Na ja, es könnte schlimmer sein."
"Oh ja." Mit einem kurzen Winken verabschiedete er sich bei seiner Freundin und lief kurz darauf seinem Chef hinterher. "Das könnte es durchaus."

***


Einige Stunden später

Aus sicherer Entfernung betrachtete Lilith Alfonsos kleine Kaffeestube. Eigentlich hätten Valdimier und sie schon vor einigen Minuten dort sein sollen, doch er war bis jetzt noch nicht aufgetaucht. Nachdem sie vergeblich vor dem glücklichen Eber auf ihn gewartet hatte, war sie schon mal langsam vorgegangen. Natürlich hatte sie vorher Klaus, den Wirt der Taverne, gebeten, dass er Valdimier Bescheid sagte wenn er auftauchte, damit er zu ihr aufschließen konnte. Doch er war nicht gekommen.
Ein leises Seufzen entwich ihrer Kehle. Es konnte nur einen Grund geben, warum er jetzt nicht hier war. Er war zu einem dringenden Einsatz gerufen worden, der es ihm nun unmöglich machte hier zu sein. An jedem anderen Tag hätte sie Verständnis dafür gehabt, doch diesmal war es anders. Es war das erste Mal, dass sie sich wünschte, dass er doch einer anderen Arbeit nachging. Als Verkäufer von koscherem Fleisch in einer Metzgerei vielleicht oder in einem Bestattungsunternehmen, wenn es darum ging, einem Kunden das passende Sargmodell zu empfehlen. Es gab so viele Berufe die für einen Vampir einfach nur perfekt waren und die feste geregelte Arbeitszeiten hatten. Warum musste er ausgerechnet Wächter sein?
Jetzt ist ein gänzlich ungünstiger Zeitpunkt dafür, ermahnte sie eine innere Stimme und sie biss sich auf die Lippe. Dir war von Anfang an klar, welche Last seine Arbeit mit sich bringt, und es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passiert. Fang jetzt nicht damit an, den Kopf in den Sand zu stecken wie ein Klatschianischer Strauß.
Erneut blickte sie zu dem Cafe. Bis auf ein paar neue Gäste, die nun draußen an den Tischen saßen, hatte sich nichts verändert. Wenn ihr Vater schon da war, hatte er sich einen Platz im Inneren gesucht. Sie wartete noch mal ein paar Minuten, in der Hoffung, dass Valdimier noch auftauchen würde, doch ihre Hoffnung erfüllte sich nicht. Schließlich fasste sie einen Entschluss und machte sich alleine auf den Weg. Auch wenn man nicht wirklich sagen konnte, dass sie sich auf das bevorstehende Treffen freute, wollte sie ihren Vater nicht länger warten lassen.

Der Duft von frischem Kaffee und Kuchen stieg ihr in die Nase, als Lilith die Räumlichkeit betrat. Nur noch wenige Tische des gut besuchten Cafes waren frei und das wilde Geschwätz verschiedener Gespräche lag in der Luft. Zwei Serviererinnen waren damit beschäftigt, die Wünsche der Kundschaft zu erfüllen und altes Geschirr von den Tischen zu räumen um sie für neue Gäste vorzubereiten. Lilith überlegte kurz ob sie eine von ihnen fragen sollte, ob sie ihren Vater gesehen hatte, entschied sich dann aber doch dagegen. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass man in diesem Beruf über jede Pause froh sein konnte. So ließ sie ihren Blick durch das Cafe wandern. Anfangs hatte sie kein Glück und sie glaubte schon fast, dass auch er es nicht rechtzeitig geschafft hatte, doch dann durchzog ein Ruck der Anspannung ihren Körper, als sie ihn an einem kleinen Wandtisch sitzen sah. Sie brauchte nicht lange nachzuschauen, um sicher zu sein. Die Brille mit den runden Gläsern und das kurze graue Haar waren immer die markantesten Merkmale ihres Vaters gewesen. Für einen kurzen Moment fragte sich Lilith ob dies ein schlechtes Zeichen dafür war, dass er sich in den letzten Jahren nicht geändert hatte. Doch auch diesmal spornte sie ihre innere Stimme dazu an, sich darüber jetzt keine Gedanken mehr zu machen. Egal wie es kommen würde, ändern konnte sie es nicht mehr.
Langsam setzte sie sich in Bewegung und bahnte sich ihren Weg zwischen den besetzten Tischen hindurch. Als sie auf halben Wege bei ihm war, bemerkte er sie und seine runden Gesichtszüge nahmen sofort fröhliche Formen an.
"Da bist du ja, mein Schatz!"
Mit diesen Worten sprang er auf und umarmte sie als sie bei ihm war.
"Hallo Vater", erwiderte Lilith. Zwar fehlte es ihrer Stimme etwas an der Fröhlichkeit mit der sie begrüßt worden war, doch ein Teil von ihr war froh, ihren Vater nach drei Jahren endlich wieder zu sehen.
"Komm, lass dich anschauen."
Vorsichtig löste sich Albert aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück.
"Hübsch wie immer. Das ist meine Tochter."
"Danke." Das Lächeln auf dem Gesichts ihres Vaters zeigte ihr, dass es nicht einfach eine Floskel war, die er ihr entgegenbrachte, sondern, dass er es ernst meinte. "Du hast dich aber auch gut gehalten."
Als er das hörte, musste Albert kurz auflachen.
"Na ja, man tut was man kann. Die Luft in Lancre kann wahre Wunder wirken."
Es verging wieder ein kurzer Augenblick in dem sie sich schweigend anschauten. Dann wanderte plötzlich Alberts Blick umher als würde er jemanden suchen.
"Aber sag, wo ist denn dein Freund?"
"Er wird sich wohl etwas verspäten." Lilith musste sich anstrengen, ihre Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen und ihre Nervosität zu verbergen. "Er wurde sicher zu einem Einsatz gerufen."
"Na, ich hoffe er kommt nicht zu spät. Ich will den Mann möglichst schnell kennen lernen, der es geschafft hat, meine Tochter für sich zu gewinnen." Mit diesen Worten setzte er sich wieder auf seinen Platz und bot Lilith an, dass sie sich doch auch setzen sollte. "Wobei ich nicht verstehen kann, dass du dir ausgerechnet einen Wächter an Land gezogen hast. Schlechte Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung und besonders sicher ist das eigene Leben in diesem Beruf bekanntermaßen ja auch nicht."
"Na ja, es gibt schlimmeres", erwiderte seine Tochter und schaute zu Boden. Irgendwie sah sie keinen Sinn darin, die ganze Sache in die Länge zu ziehen. Würde es einen Unterschied machen, wenn sie es ihm jetzt oder erst später sagte?
"Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte Albert, dem nicht entgangen war, dass seine Tochter so vor sich auf den Tisch starrte.
"Es geht schon. Ich bin nur ziemlich nervös, musst du wissen." Mit einem leisen Seufzen blickte sie auf. "Es tut mir leid, dass du es jetzt erst erfährst, doch es gibt etwas, dass ich dir über Valdimier sagen muss."

***


Hastig streifte sich Valdimier eine neue Uniformjacke über und eilte aus seinem Büro. Wenn ihn der Zeitdämon nicht angelogen hatte, war er schon viel zu spät dran. Warum um alles in der Welt musste auch ausgerechnet heute ein gewisser Mann namens Franz Brennimeier auf die Idee kommen, bei seinem Stand auf dem Hier-gibts-alles-Platz Kleider für den halben Preis zu verkaufen, und somit eine Massenhysterie unter den weiblichen Kunden auslösen? Herr Brennimeier nannte es den "Die-heiße-Zeit-ist-vorbei-verkauf", doch für die FROG's war es eher der "Handtasche-auf-den-Kopf-geschlagen-bekommen-Einsatz". Wenn es nach ihm gehen würde, hätte Valdimier nichts dagegen, wenn der nächste Einsatz eine Bande von schwerbewaffneten Irren mit sich bringen würde. Selbst die wären gegen diese Furien chancenlos gewesen. Er selbst hatte ja noch das Glück, dass es ihn nur eine Uniformjacke gekostet hatte, deren zerrissenen Überreste nun in seinem Büro lagen, denn die Blessuren, die er und seine Kollegen erlitten hatten, waren bei ihm schon wieder verschwunden. Frauenhandtaschen konnten ziemlich gefährliche Waffen sein.

Doch all das rückte für ihn komplett in den Hintergrund, als er hastig eines der Fenster im Flur aufriss, sich hinausstürzte und wenige Augenblicke später als Fledermaus die Strasse entlang flog.

***


"Aber Lilian, warum hast du dich ausgerechnet für solch einen Blutsauger entschieden? Habe ich dir nicht oft genug gesagt, was es mit ihnen auf sich hat?"
"Das wirst du wohl niemals verstehen, Vater. Wir lieben uns und das ist alles was für mich zählt."
Nur mit großer Not konnte Lilian ihre Stimme im Zaun halten, doch alleine dass sie Waldemar an ihrer Seite spürte gab ihr die Kraft die ganze Sache durchzustehen. Bis jetzt hatte ihr Geliebter noch nicht gesprochen, sondern stand die ganze Zeit still neben ihr und hatte den Arm um ihre Hüfte gelegt. Trotzdem plagte sie das Gefühl, als hätte man ihr Herz mit einem Dolch durchstoßen. Warum sah ihr eigener Vater nicht, dass sie glücklich war?
"Bitte Vater, es tut mir leid, dass wir dich damit so überrumpelt haben, aber bitte gib Waldemar doch eine Chance. Wenn nicht für mich, dann für Coletta. Sie wollte immer, dass ich glücklich bin, und das bin ich nun."
Ihre verstorbene Mutter zu erwähnen war ein Akt der Verzweiflung, doch Lilian sah keine andere Möglichkeit mehr, um ihren Vater vielleicht doch noch umstimmen zu können. Doch auch ihre letzte Hoffnung wurde zerstört als sie sah, wie er den Kopf schüttelte.
"So etwas hätte sich deine Mutter sicher nicht gewünscht."
Ein weiterer Dolchstoß durchdrang Lilians Herz als sie das hörte. Wie konnte er nur so etwas sagen?
"Ich kann einfach nicht glauben, dass du so etwas sagst", schluchzte sie leise. Auch wenn sie sich vorgenommen hatte heute keine Schwäche zu zeigen, konnte sie nicht verhindern, dass Tränen anfingen ihr Gesicht hinunterzulaufen. "Mutter hätte sich sicher für mich gefreut."
Wieder schüttelte ihr Vater den Kopf.
"Es tut mir leid, mein Liebes."
Plötzlich erfasste Lilian das Gefühl, als würde sich der Boden unter ihren Füßen auftun und sie in eine alles verschlingende Schwärze stürzen. Für einen kurzen Augenblick wollte sie die Augen schließen und sich der Dunkelheit hingeben. Einfach nur alles hinter sich lassen und vor all der Verzweiflung fliehen. Sie stand kurz davor, dem Wunsch nachzugeben, doch plötzlich wurde ihr Körper von einem leichten Ruck erfasst und als sie erschrocken die Augen aufriss, schaute sie in das besorgte Gesicht Waldemars. Dem Vampir war ihre nahende Ohnmacht nicht entgangen und so hatte er sie etwas fester an sich gezogen, damit sie nicht zu Boden stürzte.
"Willst du dich setzen?", fragte er.
Doch Lilian schüttelte den Kopf.
"Nein, mein Liebster. Es geht schon wieder."
Waldemar nickte stumm und lockerte den Griff um ihre Hüfte etwas, doch die Sorge verschwand nicht aus seinem Gesicht. Lilian seufzte leise und schaute wieder zu ihrem Vater. Plötzlich fühlte sie eine Leere in sich, die sie wieder laut aufschluchzen ließen.
"Und das ist dein letztes Wort?"
Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern, und auch wenn sie sich sicher war, die Antwort schon zu kennen, wollte sie sie aus seinem Munde hören.
"Es tut mir leid. Ich kann einfach nicht verstehen, wie du dein Herz diesem Blutsauger schenken kannst."
Es waren nicht die Worte, die Lilian das Gefühl gaben, von einem weiteren Dolch durchbohrt zu werden. Es war der Blick in seinen Augen. Sie erkannte nicht einmal den Hauch von Scham oder Reue.
"Dann haben wir uns nichts mehr zu sagen."
Mit einer letzten, ihrem Vater trotzenden Geste, richtete sie sich auf und schaute zu Waldemar.
"Lass uns gehen, mein Liebster."

Als sie zusammen mit ihrem Vampir durch die Tür des Cafes ging, wusste Lilian, dass es für sie kein Zurück mehr gab.


Nachdenklich kratzte sich Kanndra am Kinn. Sie wusste zwar nicht, was genau in dem Cafe passiert war, doch ganz so ruhig, war es nicht verlaufen. Jedenfalls konnte sie sich nicht vorstellen, warum Albert sonst ein paar Tage später eine Anzeige bei IA aufgegeben hatte.

***


Mit einem leisen PLOP verwandelte sich Valdimier vor der Einganstür zu Alfonsos kleiner Kaffeestube in seine menschliche Gestalt zurück. Wie er von Klaus erfahren, und auch schon befürchtet hatte, war Lilith ohne ihn losgegangen. Obwohl er keine Zeit mehr zu verlieren hatte, blieb er trotzdem noch für einen kurzen Moment vor der Tür stehen und schloss die Augen.
Was immer gleich passieren mag, reiß dich zusammen und verhalte dich ruhig. Gib ihm nicht noch Bestätigung, wenn es nicht gut ausgehen sollte.
Mit diesem Vorsatz öffnete er die Tür und trat ein. Sofort merkte er, dass etwas nicht stimmte. Auf den ersten Blick schien das Cafe gut besucht zu sein, doch bis auf ein paar vereinzelte Stimmen saßen alle Gäste still auf ihren Stühlen und schienen in die gleiche Richtung starren. Sogar die Angestellten des Cafes, die sonst damit beschäftigt waren, die Wünsche der Kundschaft zu erfüllen, standen mir ihren Tabletts in den Händen zwischen den Tischen und taten es ihren Gästen gleich. Instinktiv schaute er in die gleiche Richtung und was er sah gefiel ihm überhaupt nicht. Was er im selben Moment hörte allerdings noch weniger.
"Wenn du glaubst, dass du nach drei Jahren einfach hierher kommen kannst, um mir dann zu erzählen, was ich zu tun oder zu lassen habe, hättest du dir den Weg auch sparen können."
Es war Liliths Stimme gewesen, die diesen Satz vor sich hertrug und Valdimier konnte hören, dass sie sehr wütend war. Als er sie erblickte saß sie mit den Armen vor der Brust verschränkt an einem Tisch und blickte einen ihr gegenübersitzenden, älteren Mann finster an. Es lag für Valdimier außer Zweifel, dass es sich dabei um ihren Vater handelte. Das erste was ihm auffiel, war das wütende runde Gesicht, in das sich wohl einiges an Röte eingeschlichen hatte.
Das fängt ja sehr gut an, war sein Gedanke, als er sich auf den Weg zu ihnen machte.
"Ich kann einfach nicht fassen, dass du dich mit einem Blutsauger abgibst."
Wie auch seine Tochter schien Albert nicht mehr sehr darauf zu achten, dass sie eine Menge Zuschauer hatten.
"Das ist etwas, was du wohl nie verstehen wirst. Wieso hab ich nur gehofft, dass du dich geändert hast. Genauso gut hätte ich auch versuchen können, den Ankh sauber zu bekommen."
"Ich habe halt meine Prinzipien."
"Ach, deine Prinzipien? Die gleichen Prinzipien, mit denen..."
Sie verstummte, als sie Valdimier sah, der in diesem Moment den Tisch erreichte. Doch auf ihrem Gesicht war kein Anzeichen von Freude oder Erleichterung über sein Eintreffen zu erkennen. Doch ihr Blick schien für Albert Hinweis genug zu sein.
"Ist er das etwa?", fragte ihr Vater mit wütender Stimme und sprang auf.
Instinktiv wich Valdimier einen Schritt zurück und er spürte wie sich die Muskeln in seinen Armen anspannten. Wenn er es auf solch eine Begrüßung anlegte, dann konnte er sie gerne haben.
"Ja genau, das ist er." Auch Lilith war aufgestanden und ging zu Valdimier, die Augen immer auf ihren Vater gerichtet. Sie änderte ihren Blick auch nicht, als sie nach seinem Arm griff und sich demonstrativ bei ihm einhakte.
"Es tut mir leid Albert, aber es ist mir aufs herzlichste egal, ob ich jetzt gegen deine Prinzipien verstoße, aber es ist meine Entscheidung. Ich hatte wirklich gehofft, dass du dich wenigstens etwas für mich freust, und vielleicht kommt auch irgendwann der Tag, an dem das geschieht, aber wie es ausschaut, werde ich wohl lange darauf warten." Sie drehte kurz den Kopf und schaute zu Valdimier. "Komm, wir gehen."
Zuerst wollte Valdimier etwas sagen, zumindest den Versuch unternehmen, sie wieder etwas zu beruhigen. Doch er wusste, dass er damit keinen Erfolg haben würde. Die Gemüter waren zu sehr erhitzt, um in diesem Moment ein friedliches Zusammensetzen zu ermöglichen. Sie würden sicher noch einmal die Chance bekommen, um mit Albert in Ruhe zu reden.
Doch kaum hatten sie die ersten Schritte Richtung Tür hinter sich gebracht, erklang wieder Alberts Stimme, und was er sagte, ließ Valdimiers Hoffnungen auf einen Schlag wie eine Seifenblase zerplatzen.
"Wenn du jetzt gehst, habe ich keine Tochter mehr."
Valdimier spürte, wie Lilith zusammenzuckte, als sie die Worte ihres Vaters hörte.
"Was sagst du da?"
Sich von Valdimiers Arm lösend, drehte sie sich um.
"Ich denke du hast mich schon verstanden." Trotz der Wut in seinem Gesicht, war zu erkennen, dass Albert die Worte nicht im blinden Zorn aussprach. "Wenn du dich wirklich mit so etwas abgeben willst, dann tu es von mir aus. Aber eher würde ich sterben, als dass ich dich dabei unterstütze. Deine Mutter würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie mit ansehen müsste, in was für eine Schlampe du dich verwandelt hast. Ich..."
Weiter kam er nicht. Mit nur wenigen Schritten stand Lilith wieder vor ihm und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
"Lass Mama gefälligst aus dem Spiel, du mieses Schwein", knurrte sie ihn an. "Dir war es doch immer egal, was sie wollte."
Fassungslos rieb sich Albert mit einem ungläubigen Gesichtsaudruck die schmerzende Wange. Aus den Reihen der Gäste des Cafes ertönte ein einzelnes kurzes Applaudieren, was aber schnell wieder verklang. Sekunden vergingen, in denen er sie einfach nur anstarrte, doch dann machte er plötzlich einen Schritt nach vorne.
"Du miese kleine..."
Drohend holte er mit seiner rechten Hand aus. Lilith wich zurück, ihren Arm zum Schutz hebend, doch im selben Moment stürzte Valdimier an ihr vorbei. Niemals würde er zulassen, dass dieser Verrückte auch nur die Hand gegen Lilith erhob. All seine Wut, die sich in den wenigen Minuten in ihm angesammelt hatte, entlud sich in einem Schlag, den er Albert entgegen brachte. Von einem dumpfen Aufschlag begleitet traf er Albert an der linken Seite seines Kinns. Der Kopf des Mannes wurde herum gerissen und einen Schmerzenslaut von sich gebend stürzte er nach hinten. Ein Stuhl stand ihm im Weg und so fiel er mit einem lauten Krachen zu Boden. Valdimier musste all seine Beherrschung aufbringen um ihm nicht hinterher zu stürzen und ihm noch einen Schlag zu verpassen. Allein schon dafür, wie er Lilith vor wenigen Augeblicken genannt hatte. Doch dann spürte er eine Berührung an seinem Arm und Liliths Stimme klang in seinen Ohren.
"Er ist es nicht wert."
Es dauerte einen kurzen Augenblick bis der Vampir reagierte, doch langsam ließ er seine Fäuste sinken und schaute zu seiner Freundin. In ihrem Gesicht spiegelte sich noch immer die Wut in ihr wieder, auch wenn er sah, wie hart die Worte ihres Vaters sie getroffen hatten.
"Wir sollten jetzt besser gehen."
Valdimier überlegte nicht lange, sondern folgte ihr mit einem kurzen Kopfnicken. Ohne auf die anderen Gäste zu achten, die sie mit gemischten Reaktionen anstarrten, verließen sie das Cafe. Doch ehe sie die Tür erreichten, drehte sich Valdimier noch ein letztes Mal um und starrte auf den immer noch auf den Boden liegenden Albert. Eine der Kellnerinnen hatte sich über ihn gebeugt und schien ihm helfen zu wollen. In dem Vampir flammte der Gedanke auf, dass der Schlag vielleicht zu stark war und Liliths Vater nicht mehr unter den Lebenden warte. In diesem Moment wäre es ihm auch egal gewesen, doch kurz darauf gab Albert ein leises Stöhnen von sich und fasste sich mit der Hand an den Kopf. Die Brille die ihn vorhin zierte war verschwunden. Die Wucht des Schlages hatte sie wohl quer durch den Raum geschleudert.
"Du verdammter...", stöhnte er leise, doch den Rest der Verwünschung bekamen Valdimier und Lilith nicht mehr mit, denn in diesem Moment schloss sich die Eingangstür hinter ihnen.

***Kapitel 5***


Auf den Weg zurück zu ihrer Wohnung schwieg Lilith die ganze Zeit über. In Valdimiers Arm eingehakt, ging sie neben ihm her und schien einige Meter vor ihnen den vorbeiziehenden Boden anzustarren. Gelegentlich blickte Valdimier zu ihr, um zu schauen, wie es ihr ging, doch jedes Mal sah er den gleichen emotionslosen Ausdruck. Auch als sie schließlich das Haus in der Ankh-Weier-Gasse erreichten, hatte sie sich nicht geändert. Erst als die Wohnungstür hinter ihnen wieder in das Schloss fiel und sie sich von seiner Seite löste, gab sie ein leises Seufzen von sich.
"Ich brauch etwas zu trinken."
Mit diesen Worten verschwand sie in das Esszimmer. Valdimier folgte ihr. Als sie vor dem Regal mit den Gläsern stand, drehte sie sich zu ihm um. Kleine Ringe hatten sich unter ihren Augen gebildet und als sie ihn fragte, ob er auch etwas haben wollte, klang ihre Stimme müde und erschöpft. Schweigend nickte der Vampir und griff nach der Wasserflasche, die vor ihm auf dem Tisch stand.
"Lass mich das machen. Du solltest dich am besten etwas hinlegen. Es ist..."
"Nein, es geht schon", unterbrach sie ihn schroff und zog ihm die Flasche aus der Hand. "Mir geht es gut."
Die offensichtliche Lüge ignorierend überließ ihr Valdimier die Flasche und beobachtet sie dabei, wie sie den Verschluss öffnete.
"Genau genommen habe ich mit so etwas irgendwie gerechnet, weißt du?", erklärte sie, während sie zwei Gläser vor sich auf den Tisch stellte und das erste davon befüllte. Valdimier konnte sehen, wie ihre Hände zitterten. "Es hätte mich wirklich sehr überrascht, wenn er sich doch geändert hätte. Aber ich sage dir was. Er kann von mir aus..."
Während sie sprach entglitt ihr plötzlich die Flasche aus den Händen. Zwar konnte sie sie gerade noch ergreifen, stieß dabei aber an das halb gefüllte Glas, das mit einem leisen Klirren umfiel und so seinen Inhalt über den Tisch verteilte.
"Ach verdammt!!"
Fluchend stellte sie die Flasche wieder auf den Tisch und griff nach dem Glas. Zuerst sah es so als, als wolle sie es einfach wieder aufstellen, doch plötzlich holte sie damit aus und schleuderte es zu Valdimiers Überraschung quer durch den Raum. Sie achtete nicht einmal darauf wohin sie es warf und schaute auch nicht auf, als es laut scheppernd an der gegenüberliegenden Wand zerbarst. Wütend stemmte sie die Hände auf die Tischplatte und schloss die Augen. Schluchzend versuchte sie die Fassung zu waren, doch die ganze Last, die vorher durch die Wut in ihr gestützt wurde, drohte nun über ihr zusammenzubrechen. Tröstend legte Valdimier den Arm um sie. Erneut schluchzte sie laut und als sie sich zu ihm umdrehte, rannen die ersten Tränen ihr Gesicht hinab, und als er sie in seine Arme nahm, weinte sie hemmungslos.
"Wie kann er mir nur so etwas antun, Valdimier", fragte sie, ihre Kopf auf seinen Schultern ruhend. "Wie kann mir mein eigener Vater nur so etwas antun?"
Diese Fragen stellte sich auch Valdimier während er dort stand und sie zu trösten versuchte.

***


"Wieso tut er das?", weinte Lilian an Waldemar Brust. "Wieso tut er mir so etwas nur an?"
Hemmungslos ließ die junge Frau ihren Gefühlen freien Lauf, als sie in den Armen des Vampirs lag und weinte. Wie konnte ihr Vater sie nur so abweisen?. Wieso konnte er nicht einmal, nur ein einziges Mal, seinen Hass beiseite schieben und ihr Glück erkennen?
"Oh Waldemar. Was soll ich nur tun?"
"Es wird alles wieder gut, meine Liebe", versuchte der Vampir sie zu trösten. "Wir finden schon einen Weg."
Lilian spürte, wie er sie fester an sich drückte.
"Wir finden schon einen Weg", wiederholte er leise.
Als Lilian zu ihm aufschaute, sah sie die Tränen die sich in seinen Augen gebildet hatten. Auch er hatte angefangen zu weinen und auch ihm schien es unmöglich, seine Gefühle noch zu kontrollieren.
"Oh Lilian, es tut mir alles so schrecklich leid."


***


Still saß Valdimier auf dem Bettrand und betrachtete seine schlafende Freundin. Zwar hatte Lilith immer wieder betont, dass sie jetzt wohl nicht schlafen konnte, doch am Ende hatte die Erschöpfung gesiegt. So war sie kurz nachdem sie sich hingelegt hatte eingeschlafen. Sie hatte sich auf die Seite gelegt und ihr Oberkörper bewegte sich in einem ruhigen gleichmäßigen Rhythmus. Mindestens schien sie einen ruhigen Schlaf zu bekommen. Valdimier hatte nicht darauf geachtet wie viel Zeit vergangen war, doch als er einen kurzen Blick in Richtung Fenster warf, hatte sich die Dunkelheit der Nacht schon über die Stadt gelegt. Doch in dieser Zeit hatte er selbst keine Ruhe finden können. Noch immer schwirrten die verschiedensten Gedanken in seinem Kopf herum und unaufhaltsam wurden es immer mehr. Doch einer von ihnen hob sich immer wieder aufs neuste hervor und sein Echo hallte jedes Mal lauter in seinem Kopf.
Es ist alles deine Schuld
"Natürlich ist es deine Schuld", hörte er plötzlich Alberts Stimme. "Wessen soll es sonst sein?"
Obwohl er die Stimme in dem Inneren seines Kopfes hörte, blickte Valdimier zur Seite und sah die Gestalt von Liliths Vater. Mit den Armen vor der Brust verschränkt stand er neben ihm und seine Augen musterten ihn streng. Im Gegensatz zu ihrem ersten Aufeinandertreffen sprach Albert mir ruhiger und wissender Stimme, und auch sein Gesicht war nicht mehr vor Wut verzogen, sondern hatte die Züge eines Mannes, der genau wusste, was er zu sagen hatte. Obwohl sich Valdimier gewahr war, dass es sich bei seinem Gegenüber nur um eine Einbildung handelte antwortete er ihm.
"Es liegt nur Leuten wie Ihnen."
"Was erwartest du denn von mir?", erwiderte Albert. "Dass ich einfach dasitze und dabei zusehe wie sich meine Tochter mit einer Rasse abgibt, die dafür bekannt ist, nachts in fremde Schlafzimmer einzudringen um dann dort über junge Frauen herzufallen?"
"Zu dieser Sorte gehöre ich nicht mehr."
Als er das hörte, fing sein Gegenüber hämisch an zu lachen.
"Och, wie niedlich. Du glaubst also, dass du deinen Durst einfach so abstellen kannst? Warum trinkst du dann immer noch heimlich und sagst ihr nichts davon? Hast wohl Angst, dass dein Charme dann bei ihr verfliegt. Du bist ein Blutsauger, wirst es immer sein, und eines Tages wird das ihr Verhängnis. Auf die eine oder andere Art."
"Ich würde ihr niemals etwas antun", zischte Valdimier, doch schien das Albert nicht sehr zu beeindrucken. Stattdessen zuckte er nur mit den Schultern.
"Jaja, ich weiß. Du liebst sie über alles. Das Gerede können wir uns sparen. Immerhin bist du nicht so dumm und behauptest, dass dir nicht mal der Gedanke danach gekommen ist, etwas an ihrem Hals zu nuckeln. Keine Sorge. Ich weiß, dass du es nicht böse meinst. Sie ist ein Mensch. Sie wird alt. Und wohin das im Endeffekt führt, weißt Du nur zu genau. Du fürchtest dich davor, eines Tages allein an ihrem Grab zu stehen, während du noch genauso aussiehst, wie an dem Tag als ihr euch das erste Mal getroffen habt, und es gibt nur eine Möglichkeit um dies zu verhindern."
Als er seine Rede zu beendet hatte, betrachtete er den Vampir interessiert.
"Ich muss dich glaub ich nicht daran erinnern, dass dieser Gedanke auch gerne mal aufblitzt, wenn ihr beide es miteinander treibt."
In diesem Moment wusste Valdimier nicht, was ihn mehr bestürzten sollte. Dass er gerade von seinen eigenen Gedanken verspottet wurde, oder dass sie dabei so eine ordinäre Aussprache verwendeten.
"Ich...", begann Valdimier, doch Albert schnitt ihm das Wort ab.
"Spar dir deine Ausrede. Es ist einfach so, und du kannst nichts dagegen machen. Also beschwer dich nicht darüber, dass das Leben für Lilith nicht immer der reine Sonnenschein ist, wenn du mir das Wortspiel verzeihst. Es tut mir leid, dass ich dir dein kleines Liebesleben zerstöre, aber was heute passiert ist, war nur ein Vorgeschmack auf das, was euch noch erwartet. Genieß lieber die Zeit so lange wie du noch kannst, denn wenn du zu lange den Kopf in den Sand steckst...", er hob eine Hand und drückte Daumen und Mittelfinger zusammen, "...wird es vorbei sein, ehe du bis drei zählen kannst."
Mit einer schnellen Bewegung schnippte er mit den Fingern. Das entstehende Geräusch ließ Valdimier zusammenzucken und für einen Bruchteil einer Sekunde verlor er seine Konzentration. Als er sich wieder der Stelle gewahr wurde, an der eben noch Albert gestanden hatte, war er verschwunden. Sekundenlang starrte er noch an die leere Stelle, ehe ihn ein leises Seufzen herumfahren ließ. In ihrem Schlaf hatte sich Lilith auf die andere Seite gerollt und lag nun mit dem Rücken zu ihm. Wie benommen starrte er sie an. Als wäre sie plötzlich zu etwas geworden, vor dem er sich fürchtete. Sekunden vergingen, bis er den Blick wieder von ihr lösen konnte und zu Boden schaute.

Er musste unbedingt einen klaren Kopf bekommen.

***


"Ich liebe dich über alles, meine Liebste und doch verletzte ich dich auf die schlimmste Art, die ich mir vorstellen kann." Waldemars sanfte Stimme war nur ein leises Flüstern in ihren Ohren als er sie fest in seinen Armen hielt. Eng umschlungen lagen sie in ihrem Bett, ihre Körper in den Stoff der Bettdecke gehüllt.
"Du musst für nichts um Verzeihung bitten", antwortet Lilian. "Du nicht."
"Aber ich...", begann der Vampir erneut, doch Lilian ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen.
"Es ist mir egal, was andere über dich sagen, mein Liebster. Auch wenn er mein Vater ist und es mich schmerzt, dass er mein Glück nicht mit mir teilen will, so ist es doch meine Entscheidung."
Der Vampir sah, wie ihr bei diesen Worten eine vereinzelte Träne die Wange entlangrann. Vorsichtig hob er die Hand und strich sie von ihr.
"Und diese Bürde willst du wirklich auf dich nehmen?"
Das Lächeln, welches sich auf Lilians Gesicht bildete, hätte ihm schon als Antwort gereicht, doch ihre Worte ließen ihn wirklich jeden Zweifel verlieren.
"Nur wenn du an meiner Seite bist, und mir einen Teil dieser Last abnimmst."
Als er das hörte, bildete sich auch auf dem Gesicht des Vampirs ein Lächeln, und er küsste sie zärtlich auf die Wange.
"Nichts würde ich lieber tun."


***


Es kam öfters vor, dass sich Valdimier an die frische Luft zurückzog, wenn er nachdenken musste. Nachts über die Häuser der Stadt mit ihren erleuchteten Fenstern zu fliegen, hatte immer eine beruhigende Wirkung auf ihn und war die beste Beschäftigung um einen klaren Kopf zu bekommen. Doch diesmal war dem Vampir nicht sehr nach fliegen zumute. Es hätte ihn nur mehr daran erinnert, warum er sich überhaupt in dieser Misere befand. Stattdessen hatte er sich einen sicheren Platz auf dem Dach des Hauses gesucht und musste sich mit einer weit weniger spektakulären Aussicht begnügen. Der Horizont verlor doch etwas von seinem Reiz, wenn er von qualmenden Schornsteinen verdeckt wurde.
Passt vielleicht auch besser zur Stimmung, dachte sich der Vampir verbittert.
Was sollte er jetzt nur machen? Diese Frage stellte er sich immer wieder. Auch wenn es nur seine eigenen Gedanken waren, die die Gestalt Alberts angenommen hatten, hallte die Stimme des Mannes immer noch in seinem Kopf. Lange Zeit hatte Valdimier diese Gedanken erfolgreich in den Hintergrund seines Verstandes verdrängt und sie dort verschlossen. Doch das Treffen mit Albert hatte die Tür in diesen Bereich unwiderruflich geöffnet und nun drohten sie ihn zu überschwemmen.
Ob sich Bregs genauso gefühlt hat?, fragte er sich, doch dann merkte er, wie nutzlos dieser Vergleich war. Bregs war kein richtiger Vampir. Er würde zusammen mit Lea alt werden und nicht Jahre später wie ein Jungspund aussehen, der auf alte Omas stand. Auch der Blutdurst war bei ihm sicher nicht so stark, wie bei einem echten Vampir. Valdimier hatte erlebt, was mit Bregs passiert war, und vielleicht war das auch einer der Gründe warum ihre Freundschaft zur Zeit mehr als eisig war. Was würde erst mit ihm passieren, wenn er es wirklich versuchen würde? Zwar hatte er nie richtig mit Lilith darüber gesprochen und er hatte ihr auch nie versprochen, den roten Lebenssaft nicht mehr anzurühren, doch wie würde er sie jetzt noch anschauen können, ohne ihr ängstliches Gesicht vor seinem geistigem Auge zu sehen? Erwartete sie sogar von ihm, dass er nicht zu den Bluttrinkern gehörte?
Der Vampir seufzte leise. Egal was er auch tun würde, er würde ihr nur Kummer und Sorge bereiten.
Vielleicht wäre es besser, wenn ich einfach meine Sachen packe und...
Doch ehe er den Gedanken zu Ende bringen konnte, hörte er, wie neben ihm das Dachfenster aufgeklappt wurde, und Lilith herausschaute. Valdimier konnte die Skepsis in ihrem Gesicht sehen, als sie ihn erblickte. Es war kein Zufall, dass sie gerade hier nach ihm suchte. Natürlich hatte er ihr eine Nachricht auf ihrem Nachttisch hinterlassen.
"Und ich dachte, der Zettel wäre nur ein Scherz gewesen."
"Na ja, ich brauchte nur ein paar Minuten an der frischen Luft."
Schulterzuckend wollte er aufstehen.
"Hey, sitzen bleiben. Wer sagt denn, dass ich die nicht auch mal gebrauchen könnte?"
Mit diesen Worten stieg Lilith ebenfalls durch das Fenster und balancierte über das Dach auf ihn zu. Argwöhnisch beobachtet Valdimier sie dabei und reichte ihr eine Hand, die sie augenzwinkernd entgegennahm, als sie sich vorsichtig neben ihn setzte. Das Dach war nicht besonders steil, doch eine unvorsichtige Bewegung konnte immer noch sehr schnell dazu führen, dass man als sehr flaches Objekt auf der Strasse endete.
"Schöne Aussicht."
"Ich habe schon bessere gesehen", murmelte Valdimier und schaute zu ihr. "Wie geht es dir?"
"Soweit ganz gut."
In ihrem Gesicht sah der Vampir noch immer die Spuren des Abends. Kleine dunkle Ringe hatten sich unter ihren Augen gebildet und auf ihren Wangen glänzten noch die Reste der Tränenspuren. Doch er entdeckte auch wieder die Entschlossenheit und Stärke, die er die letzten Tage immer weniger bei ihr gesehen hatte.
"Und dir?", fragte sie zurück.
"Den Umständen entsprechend."
Lilith antwortet mit einem ruhigen Nicken und wandte ihren Blick wieder dem Horizont zu.
"Es tut mir leid, was Albert über dich gesagt hat."
"Du musst dich nicht für ihn entschuldigen", erwiderte Valdimier. "Auch wenn es sicher nie passieren wird, aber wenn es einer soll, dann er selbst."
"Ja, sicher." Spöttisch lachte Lilith leise auf. "Bevor das passiert, werde ich Patrizierin."
Auch Valdimier musste kurz auflachen, doch dann legte sich das Schweigen über sie beide, während ihre Blicke über den Horizont streiften. Valdimier achtete nicht darauf, wie lange sie dort saßen, doch irgendwann drehte er den Kopf zur Seite und schaute sie an.
"Es gibt etwas, was ich dir sagen muss."
"Ja?"
In diesem Moment wusste er, wie sie sich gestern gefühlt haben musste, als sie ihm die Wahrheit über ihren Vater gestanden hatte. Doch er wusste auch, dass er nicht anders konnte. Wenn er sie wirklich jemals wieder anschauen wollte, ohne das er sich immer Vorwürfe machen musste, war nun er an der Reihe.
"Ich weiß, dass es komisch klingt, aber dein Vater hatte nicht ganz Unrecht, als er mich einen Blutsauger nannte."
Er legte eine Pause ein, die ein normal lebender Mensch für ein schweres ein- und ausatmen genutzt hätte. Ihm wurde klar, dass diese Einleitung alles andere als glücklich gewählt war.
"Lilith, ich trinke noch immer regelmäßig Blut. Kein Menschenblut, musst du wissen." Den letzten Satz sprach er mit einer hastigen Geschwindigkeit aus. "Nur reines Tierblut. Ich bin nicht glücklich damit, aber nachdem ich die Folgen des Entzuges bei meinem einst besten Freund erleben musste, konnte ich nicht das gleiche riskieren. Er ist nur ein halber Vampir und hatte sich komplett verändert, und damit meine ich nicht zum Guten. Wer weiß was mit passiert wäre."
Die folgenden Momente waren für Valdimier die unangenehmsten, seiner bisherigen Existenz. Gebannt starrte er Lilith an, auf der Suche nach einer Reaktion, doch sie ließ keine erkennen.
"Das ist mir schon lange klar."
"Was?"
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Valdimier seine Freundin an. Als wenn sich eine Maske von ihrem Gesicht löste, lächelte sie und zwinkerte ihm zu.
"Na hör mal mein Lieber. Ich bin mit einem Vampir zusammen. Da informiert man sich auch mal über die ganzen Dinge die man beachten muss. Der Verzicht auf ein besonderes Gewürz und die Wahl des passenden Nachthemdes nur zum Beispiel. Deswegen habe ich mal bei der Enthaltsamkeitsliga vorbeigeschaut, um mehr über deine Art zu erfahren. Es gab... Jetzt schau mich nicht so entgeistert an. Erstens hab ich einen Rollkragenpullover getragen und zweitens hab ich jedem erzählt, dass ich für eine Freundin frage, die mit einem Vampir zusammen ist."
Valdimier wusste nicht, was bedrückender war. Das gerade stattfindenden Gespräch oder die Vorstellung, Konkurrenz zu bekommen. Er wusste, dass es für die Vampire in der Liga nichts besseres gab als einen menschlichen Partner zu haben. Das half angeblich besser beim Integrationsprozess.
"Jedenfalls habe ich dort auch erfahren, was mit euch passieren kann, wenn ihr dem B-Wort absagt", erklärte Lilith fort. "Ich sage dir, was ich da alles gesehen habe. Vom kompletten Nervenzusammenbruch bis zur ewigen Sprachstörung war alles vertreten. Du stattdessen hast in der ganzen Zeit, in der wir jetzt zusammen sind, nicht ein einziges Mal eins der üblichen Symptome gezeigt. Man muss kein Genie sein, um herauszufinden, warum das so ist. Außerdem solltest du weniger Minze benutzen, wenn du deinen Atem verbergen willst."
"Und du hast kein Problem damit?", fragte Valdimier nach einigem Zögern.
"Wären wir jetzt sonst hier?" Ihrer Frage Nachdruck verleihend rutschte Lilith neben ihm auf die Seite, von wo sie ihn mit einem fordernden Blick anschaute. "Valdimier, begehe ja nicht den Fehler und halte mich für das dumme kleine Mädchen, was sich Hals über Kopf in jemanden verliebt, und alle Konsequenzen vergisst. Das wir es nicht immer leicht haben würden, war mir von vornherein klar, und ich weiß, dass es dir genauso geht. Glaub mir, wäre das alles ein Problem für mich, dann wäre das zwischen uns niemals zustande gekommen. Es hätte auch keinen Unterschied gemacht, ob du so einen schwarzen Stofffetzen bei dir hast, oder nicht."
So schnell wie er aufgetaucht war, verlor sich ihr durchdringender Blick auch wieder, als sie Valdimier sah, der sie mit einer Mischung von Überraschung und Unbehagen anschaute.
"Natürlich bleibt ein leichtes komisches Gefühl, doch wenn die Alternative darin besteht, dass jetzt ein nervliches Wrack neben mir sitzen könnte und du nicht anfängst Menschen an die Gurgel zu gehen, sehe ich darüber gerne hinweg."
Vorsichtig hob sie die Hand und strich Valdimier über das Haar. Der Vampir sah wie ihre Miene von einem kurzen Schatten durchzogen wurde, und als sie weiter sprach, war ihre Stimme ruhiger geworden.
"Wenn ich ehrlich bin, hatte ich bei unserem ersten Treffen doch ein mulmiges Gefühl. Vielleicht war ja doch etwas von Alberts Reden hängen geblieben." Ein kurzes Auflachen entwich ihrer Kehle. "Doch mit der Zeit wusste ich, dass ich mir bei dir keine Sorgen zu machen brauchte. Das ist auch einer der Gründe, warum ich dir nicht die Wahrheit über Albert gesagt habe. Ich hatte einfach Angst, dass das hier alles dann zu Ende wäre."
Erneut wurde ihr Gesicht von dem Kummer heimgesucht, den Valdimier in letzter Zeit zu oft bei ihr gesehen hatte. Doch es war nur von kurzer Dauer, denn so schnell wie er aufgekommen war, verschwand er auch wieder.
"Natürlich war es wie ein Stich durchs Herz, als er mir diese Sachen an den Kopf warf, doch wenn er diesen Weg gehen will, dann soll er das tun. Ich will mit dir zusammen sein Valdimier, und daran wird er nichts ändern können."
Die Sekunden verstrichen, in denen sie sich schweigend anschauten. Ohne ein Wort zu sagen, streckte der Vampir den Arm aus und zog sie zu sich. Er wusste, dass er etwas sagen musste, doch ihm fiel nichts ein, was in diesem Moment passend genug war, um seine Gefühle zu beschreiben. Vorsichtig senkte er den Kopf und nach einem letzten kurzen Zögern küssten sie sich. Es war dieser Moment, in dem alle Sorgen von ihm abfielen wie die Zähne eines Bibers, der auf einem Stück Treibholz nagte, dass er auf dem Ankh gefunden hatte. Keiner von ihnen achtete auf die Zeit, doch als sich ihre Lippen irgendwann wieder voneinander lösten kam es ihnen wie eine Ewigkeit vor. Noch immer hatte Valdimier seine Arme um sie gelegt und die Zeit des Loslassens war noch lange nicht gekommen.
"Ich will, dass du folgendes weißt. Ich..."
Doch weiter kam er nicht. Es war kein plötzlicher Anfall von Nervosität, der ihm die Sprache verschlug, sondern eine fremde Stimme, die plötzlich hinter ihnen erklang.
"Ähm, entschuldigen Sie bitte?"
Ruckartig drehten die Beiden ihre Köpfe und sahen einen unbekannten Mann, der hinter ihnen auf dem Dachfirst stand. Für einen kurzen Augenblick glaubte Valdimier, dass sich ein Assassine an sie herangeschlichen hatte, doch die Kleidung die der Fremde trug war viel zu gewöhnlich und brachte keine guten Tarnmöglichkeiten mit sich. Trotzdem ruhte seine Hand instinktiv an der Stelle seines Gürtels, wo sich sonst immer seine Pistolenarmbrust befand.
"Wer in Namen aller Kerkerdimension sind Sie denn?", platzte es aus Lilith heraus. Es war zu hören, dass sie über die Unterbrechung nicht sehr erfreut war.
"Ähm...nun ja...ich.." Verlegen trat der Mann von einem Bein auf das andere. "Mein Name ist Paulus Plexus und ich bin Mitglied der Diebesgilde. Es tut mir außerordentlich leid, Sie zu stören. Ich bin ehrlich gesagt eh etwas überrascht hier oben jemanden vorzufinden."
"Jaja, die Welt steckt voller Überraschungen", erwiderte Valdimier trocken. "Was wollen Sie denn von uns?"
"Ähm, ich wollte eigentlich nur wissen, ob das hier die Ankh-Weier-Gasse Nummer neun ist."
Neben ihr sah Lilith aus ihren Augenwinkeln, wie Valdimier die Augen verdrehte. Sie warf ihm einen kurzen aufmunternden Blick zu und wandte sich wieder dem allen Anschein leicht orientierungslosen Dieb zu.
"Tut mir leid, aber das hier ist Haus Nummer acht. Nummer neun ist auf der anderen Seite."
"Oh..." Überrascht schaute der Dieb auf die andere Straßenseite. "Wirklich."
"Ja wirklich", knurrte Valdimier.
"Na so ein verdammter Mist. Wie komme ich denn jetzt am besten da rüber?" Nachdenklich kratzte er sich am Kinn, ehe der Blick wieder auf die zwei Sitzenden fiel. "Sie haben nicht zufällig ein Seil dabei, oder?"
"Natürlich nicht", antwortete Lilith mit entrüsteter Stimme. "Was um Himmelswillen glauben Sie denn, machen wir hier?"
"Öööhhmm..."
"Sie können gerne durch das Dachfenster klettern und dann durch das Haus nach unten gehen, wenn Sie möchten", schnitt sie ihm das Wort ab, ehe er noch den Fehler beging, seine Gedanken in Worte zu fassen.
"Na zu diesem Angebot sage ich natürlich nicht nein."
Ohne lange zu zögern balancierte Herr Plexus vorsichtig auf die kleine Öffnung zu. Ein leicht nervöses Lachen war zu hören, als er sich daran machte, durch die Luke zu klettern.
"Wissen Sie, das hier ist mein erster Auftrag in der Gilde. Da kann so ein kleines Missgeschick sicher mal passieren, oder?"
"Jaja, es wäre jetzt aber wirklich schön, wenn Sie uns alleine lassen würden."
"Ähm, selbstverständlich. Einen schönen Abend wünsche ich noch."
"Ihnen auch", antwortete Lilith. "Aber lassen Sie gefälligst die Finger von unserer Wohnung. Wir bezahlen unsere Beiträge."
"Natürlich Ma'am."
Mit diesen Worten war der Dieb dann auch schon im Inneren des Hauses verschwunden.
"Das darf doch alles nicht wahr sein", fluchte Valdimier leise. "Nicht mal hier oben hat man seine Ruhe."
"Das ist eben Ankh-Morpork", antwortete Lilith von einem leichten Kichern begleitet. Doch als sich ihre Blicke wieder trafen, verstummte sie.
Es gab so vieles, das Valdimier ihr sagen wollte, doch Herr Plexus hatte es geschafft, den richtigen Moment zu zerstören.
"Du weißt sicher, was ich dir vorher sagen wollte, oder?"
"Natürlich."
"Ich tue es wirklich musst du wissen."
"Ich auch."
Mit diesen Worten schmiegte sie sich wieder an ihn und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
Genieß die Zeit noch so lange wie du kannst
Die letzten Worte Alberts hallten wieder in seinen Ohren.

Doch diesmal war es seine eigene Stimme die Valdimier hörte, und er wusste, dass er dieser Aufforderung mit Vergnügen nachkommen würde. Egal was die Zukunft für sie bereithielt.

Ende


"Lilian..Lilian, wach bitte auf."
Ein leichter Kuss auf ihre Wange unterstützte die Bitte des Vampirs. Mit einem leisen Seufzer öffnete Lilian die Augen und blickte in die Selbigen ihres geliebten Schatzes.
"Was ist los?", fragte sie mit müder Stimme und richtete sich auf. "Musst du etwa zur Wache?"
Wie spät war es? Wie viel Zeit war vergangen, seit sie in seinen Armen eingeschlafen war? Es brauchte etwas Zeit bis der Schlaf aus ihren Gedanken verschwunden war.
"Meine geliebte Lilian, es gibt etwas, was du wissen musst", sprach Waldemar und blickte ihr in die Augen. "Und etwas, dass ich wissen muss. Es tut mir leid, dass ich dich mitten in der Nacht wecke, wo du doch sicher deinen Schlaf brauchst, nachdem so ein schlimmer Tag hinter dir liegt."
"Was ist es, mein Schatz?"
Gebannt schaute sie zu dem Vampir, der sich zu ihr ans Bett gesetzt hatte. Er hatte die kleine Kerze auf dem Nachttischchen entzündet, welches auf ihrer Seite des Bettes stand. Ohne ein Wort zu sagen griff er nach ihrer Hand. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Vampir einen seiner guten Abendanzüge trug. Fragend schaute sie in seine Augen und sah plötzlich die Nervosität in ihnen.
"Oh Waldemar, was liegt dir auf dem Herzen? Sag es..."
Weiter kam sie nicht, denn der Vampir berührte mit seinen Finger sanft ihre Lippen.
"Meine Liebste, ich kann verstehen, dass dich das alles irritiert, doch in wenigen Augenblicken wirst du mich sicher verstehen."
Lilian spürte wie sich seine Hand fester um die ihre schloss.
"Lilian, ich kann einfach nicht länger warten, um dir das zu sagen. Morgen fehlt mir vielleicht schon wieder der Mut dazu."
Es verging ein kurzer Augenblick, in dem sie sich einfach nur in die Augen schauten, doch als der Vampir weitersprach erklang seine Stimme in einer Sanftheit, die sie noch nie zuvor von ihm gehört hatte.
"Lilian, seit wir zusammen sind, erfüllst du mein Herz mit Freude und Geborgenheit. Anfangs wusste ich nicht, ob wir überhaupt eine Chance zusammen haben würden, sind wir doch so verschieden. Doch dir war egal, was ich war und wie ich aussah. Ich habe mir geschworen, dass ich dir niemals etwas Böses antun würde, und du sollst wissen, dass ich dich über alles liebe und du die einzige Frau bist, die ich mir jemals an meiner Seite vorzustellen vermag. Wenn du mich lässt, werde ich alles in meiner Macht stehende tun, um dir das Leben so schön und glücklich wie möglich zu machen."
Lilian hielt den Atem an. Zu sehr hatten seine Worte sie berührt. Sie sah auch nicht, wie der Vampir in eine seiner Anzugstaschen griff.
"Lilian, willst du meine Frau werden?"
Die junge Frau spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust einen Sprung machte.
"Bei Io, Waldemar", hauchte sie. "Ich..."
Dann sah sie den Ring in seiner geöffneten Hand. Das silberne Metall glänzte schwach im Kerzenlicht. Als sie wieder aufblickte, schaute sie in die gebannten Augen des Vampirs.
Sie brauchte nicht einen Gedanken an ihre Antwort zu verschwenden, denn tief in ihrem Herzen wusste sie sie schon lange. Ohne zu zögern fiel sie ihrem Geliebten um den Hals.
"Oh Waldemar, natürlich will ich."
Sie hörte wie der Vampir einen Laut der Erleichterung von sich gab und kurz darauf hatte auch er seine Arme um sie geschlungen, und drückte sie an sich. Wieder rannen Tränen ihr Gesicht hinab, wie es oft an diesem Tag schon geschehen war, doch diesmal waren es Tränen der Freude. Als sie die Umarmung wieder lösten, griff der Vampir nach ihrer Hand und schob ihr den Ring auf den Finger. Er passte perfekt. Das schwache Glitzern im Kerzenlicht ließ ihn in seiner ganzen Schönheit erstrahlen, die nur sie in diesem Moment sehen konnte.
"Eigentlich verdienst du einen viel schöneren, aber..."
Diesmal war es Lilian die Waldemar den Finger an die Lippen hielt und ihn so verstummen lies.
"Er ist einfach wunderschön."
Mit diesen Worten lies sie sich in seine Arme fallen und sie küssten sich. In engster Umarmung ließen sie ihrer Zuneigung freien Lauf und keiner von ihnen verschwendete auch nur einen Gedanken an das Ende dieser Nacht.
"Liebe mich, mein Gemahl", hauchte sie in sein Ohr, als sich ihre Lippen für einen kurzen Moment voneinander trennten. "Liebe mich bis die ersten Sonnenstrahlen am Horizont zu sehen sind."


"Das wird aber auch langsam mal Zeit", murmelte Kanndra leise vor sich hin, als sie die letzten Seiten des Buches durch ihre Finger gleiten lies.
Es waren nur noch fünf Seiten übrig und die letzte große Liebesszene hatte gerade erst begonnen. Da es kein Buch ihrer Freundin mehr gab, das sie nicht gelesen hatte, war solch ein glückliches Ende keine Seltenheit für sie. Es hätte sie sogar etwas gewundert, wenn Tania, alias Barbara Kartenhand, wirklich mal etwas ganz anderes ausprobiert hätte und es mal nicht in einem glücklichen Zusammensein geendet wäre. Müde klappte sie das Buch zu und stand auf. Wie spät war es jetzt? Durch das ganze Lesen war die Zeit völlig in Vergessenheit geraten, doch ein kurzer Blick auf den Zeitdämonen verriet ihr, dass sie sich jetzt immerhin noch vier Stunden Schlaf gönne konnte, ehe sie wieder zu Wache musste. Den fast leeren Pizzakarton konnte sie auch noch später in der Früh entsorgen und das bevorstehende Gespräch mit Tania würde sie auf den Abend nach der Wache verschieben. Mit einem leichten Gähnen knöpfte sie die Jacke ihrer Uniform auf und wollte sie gerade ablegen, als ihr Blick wieder auf das Buch mit seinem farbigen Titelbild fiel. Sie wusste, dass sie sich eigentlich schleunigst zu Bett begeben sollte, doch dann gewann die Neugier. Als sie es wieder aufschlug blätterte sie zur letzten Seite. Bis heute hatte es noch kein Kartenhand Buch gegeben, was sie nicht wirklich zu Ende gelesen hatte, und dies würde sicher nicht das erste sein.

Und als Lilian in dieser Nacht wieder in den Armen ihres geliebten Vampirs einschlief, war es mit der Gewissheit, dass sie für den Rest ihres Lebens nie wieder alleine sein würde.

Ende



And the spirit of love
Is rising within me
Talking to you now
Telling you clearly
The fire still burns

I'm talking to you now
The fire still burns
Whatever you do now
The world still turns


--"Insight" von Depeche Mode



Ein herzliches Dankeschön geht an Bregs und Kanndra für die vielen Ratschläge, Hilfen und Inspirationen per AIM. An Bregs außerdem noch dafür, dass sie die schwere Bürde des korrekturlesens (wer meine Grammatikkünste kennt weiß wovon ich rede) auf sich genommen hat und auch noch mal an Kanndra, da ich ihren Charakter für die Geschichte verwenden durfte.



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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

31.10.2006 13:17

Auch ich bin im Grunde kein großer Freund von Vorworten. Aber die Vorwegnahme, dass es bei deiner Single durchweg um eine Charakterstudie gehen würde, war genau die richtige Einstimmung, die es an dieser Stelle brauchte. Der Rahmenaufbau des gelesenen Buches innerhalb der Geschichte ist immer ein schöner Kniff. Die richtigstellende Kommentierung anhand der Realszenen machte jedoch etwas noch pfiffigeres daraus, perfekt unterstrichen durch den scharfen Kontrast zwischen gedankenlos dramatischer Romantik und der eher bodenständigen Ernsthaftigkeit. Mir gefiel der seriöse Umgang mit den menschlichen Nöten, die in jeder Welt zu finden sind. Der Spannungsbogen war ausgewogen angelegt, so dass er zwar keine Überraschungen beinhaltete, es gleichzeitig aber gestattete, die humorvolle Pointe mit dem typisch scheibenweltlerischen Zwischenfall auf dem Dach an genau der richtigen Stelle zu platzieren. Zuvor wäre noch kein Raum zum Aufatmen gewesen. Alles zusammen genommen stellte deine Single eine Charakterstudie dar, der es eben keinen Abbruch tat, dass in ihr ein klassischer Fall fehlte. Meiner Meinung nach ein schönes Beispiel für andere Geschichten dieser Art.

Von Tussnelda von Grantick

31.10.2006 13:30

Schade! Ich hab sie gestern abend zu ende gelesen und wollte heute bewerten... nun, dazu bin ich ja nicht mehr gekommen - gerade deswegen hier ein Feedback:



Ich fand die von Dir geschaffene Atmosphäre durchgehend klasse! Die Reaktionen Deiner Figuren waren authentisch, nachvollziehbar. Trotzdem, dass es eine Char-Studie war, gab es einen gewissen Spannungsrahmen. Sehr entspannend war das Fehlen jeglicher Fussnote - es las sich flüssig wie "ein richtiges" Buch.



Worüber ich stellenweise gestolpert bin, waren deine Metaphern. Manchmal wollten sie (oh ja sie waren bunt und schön!) nicht ganz in den restlichen Text passen, rein von der Stimmung her. Auch hätte ich Lilith eher von ihrem Vater reden hören wollen, als von Albert, weil hier für mich ein persönlicheres, dringlicheres Gefühl entstanden wäre. Und: Wie gesagt, fand ich die Reaktionen Deiner Figuren gut nachvollziehbar. Das war aber auch ein Problem: Es war wenig überraschendes dabei. Auch die echten Widerstände im Inneren hätte ihc an Deiner Stelle noch mehr ins Spiel gebracht (Valdis Befürchtungen bzgl. der Alterung, der geheime Wunsch, sich von dieser Not durch einen Biss zu befreien).

Von Kolumbini

01.11.2006 22:05

Habe sie noch nicht lesen können, werde es aber versuchen nachzuholen.

Von Valdimier van Varwald

05.11.2006 21:06

Vielen dank für die nette und Kritik. Ich hatte ja eigentlich mit dem schlimmsten gerechnet :D

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